inform Nr. 5 Dezember 2009 - Physio Austria
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abdominaler Druckanstieg im hals/Kopf,<br />
Brust-/Bauchraum bis zum Beckenboden,<br />
welcher sich verschließt. Die gesäßmuskeln<br />
spannen an, und die lendenwirbelsäule<br />
baut ein hohlkreuz (lordose) auf.<br />
Die Rückmeldungen der Schwangeren lauten<br />
jetzt: „Der geburtsweg wird länger“,<br />
„die Bewegung des Beckens erfolgt „aus<br />
der gebärstellung heraus“, „da gehe ich<br />
vom hals bis zum Beckenboden zu“ oder<br />
„viel anstrengender“.<br />
Die in Seitlage gespürte gebärbewegung<br />
des Beckens beim Schieben wird nach<br />
dieser Wahrnehmungsarbeit mit den<br />
Schwangeren in jeder folgenden geburtsvorbereitungsstunde<br />
in variierenden vertikalen<br />
und halbvertikalen gebärpositionen<br />
praktisch vertieft. Die Schwangeren/<br />
Paare suchen das, was zu ihnen passt,<br />
probieren aus. Dabei gibt die Kursleiterin<br />
notwendige verbale und taktile hilfestellungen,<br />
ermuntert und lobt!<br />
Atmung beim Schieben<br />
In der geburtsvorbereitung nach Menne/<br />
heller gibt es für das Zulassen des Spontanatems<br />
beim Schieben hilfestellungen.<br />
Dazu drei begründende hinweise:<br />
1. In den meisten geburtskliniken erfolgen<br />
in der Regel beim gebären Atemanleitungen.<br />
Die auf die geburt vorbereitete<br />
gebärende kann dadurch dem „Tief-luftholen“,<br />
„Tief-Einatmen“ etwas entgegensetzen.<br />
2. Die Schwangeren fragen, wenn im<br />
geburtsvorbereitungskurs das Schieben<br />
in verschiedenen Ausgangsstellungen<br />
probiert wird, nach: „Wie soll ich dabei<br />
atmen?“ Diese Frage darf nicht unbeantwortet<br />
im Raum stehen bleiben, hier<br />
genügt in der Regel nicht ein hinweis auf<br />
den Spontanatem!<br />
3. Eigene Beobachtungen bei vielen<br />
geburtsbegleitungen und gespräche mit<br />
hebammen bewogen mich, die Vorgehensweise<br />
(kein Programm!) mit den<br />
Schwangeren und Paaren für das Atemverhalten<br />
beim Schieben, bis das Kind<br />
aus der Mutter herausgeboren ist, in der<br />
geburtsvorbereitung zu besprechen.<br />
Die so vorbereiteten gebärenden haben<br />
keine Probleme, auch nicht bei unterschiedlichen<br />
Auffassungen der geburtsleitungen,<br />
das Schieben mit dem folgenden<br />
vorgeschlagenen Atemverhalten umzusetzen.<br />
A. heller, PT<br />
Quelle: heller, Schieben – ein natürliches und<br />
schonendes gebärverhalten, Die hebamme<br />
2004; 17: 22-31<br />
Literaturangaben zu diesem Beitrag unter<br />
www.physioaustria.at<br />
Schwerpunktthema Interview mit Angela Heller<br />
„Öffentliches<br />
Interesse am<br />
Beckenboden<br />
wächst“<br />
Angela Heller gilt als Kapazität<br />
in der gynäkologischen<br />
<strong>Physio</strong>therapie. Ihr Konzept<br />
Methode Menne-Heller zählt<br />
längst zu den Standardwerken<br />
in der <strong>Physio</strong>therapie.<br />
Auch für <strong>Physio</strong>-<strong>Austria</strong> hält<br />
die Beckenboden-Spezialistin<br />
seit über einem Jahrzehnt<br />
Weiterbildungsseminare.<br />
<strong>inform</strong>: Frau heller, Sie gelten als Pionierin<br />
der geburtsvorbereitung. Wie sind Sie<br />
dazu gekommen?<br />
Heller: Ursprünglich wollte ich Kinder-<br />
<strong>Physio</strong>therapeutin werden. Fast schicksalhaft<br />
bekam ich in Berlin und Mannheim<br />
immer wieder Anstellungen in der<br />
Frauenklinik. Mit Erlaubnis vom chefarzt<br />
und der oberhebamme durfte ich viel Zeit<br />
– auch meine Freizeit – im Kreißsaal sein<br />
und gebärende mit Atmung unterstützen.<br />
Die Frauen lagen und hatten durch cTg-<br />
Ableitung und Wehentropf wenig chancen<br />
zur Mobilität. Erst Anfang der 80iger Jahre<br />
durften werdende Väter im Kreißsaal<br />
anwesend sein. Da war auch der Anfang<br />
der Vertikalität beim gebären. geburtsvorbereitung,<br />
welche ich seit 1959 mit<br />
Schwangeren machte, musste nun den<br />
Neuerungen in der geburtshilfe angepasst<br />
werden. Eine spannende Zeit war das!<br />
<strong>inform</strong>: ... und das hat Sie nicht mehr<br />
losgelassen?<br />
Heller: Ich habe jetzt allerdings meine<br />
Fortbildungskurse für geburtsvorbereitung<br />
und Rückbildung im Wochenbett<br />
teilweise an zwei kompetente österreichische<br />
Kolleginnen übergegeben, die mein<br />
Konzept weitertragen sollen. Ich möchte<br />
mich nunmehr noch intensiver mit dem<br />
Thema ‚Beckenboden Frau und Mann’<br />
befassen, zu dem ich schon viele Jahre<br />
Weiterbildungen anbiete.<br />
<strong>inform</strong>: Worum geht es dabei konkret?<br />
Heller: Die Entschlüsselung des „geheimnis<br />
Beckenboden“ steht m.E. immer<br />
noch am Anfang, ist endlich im Focus der<br />
Fachwelt offiziell angekommen. Entleerungsstörungen<br />
und Strukturverletzungen<br />
am Beckenboden und seinen Speicherorganen<br />
haben oft massive Auswirkungen<br />
auf den ganzen Menschen. International<br />
wird viel geforscht und immer wieder<br />
werden spannende neue Studienergebnisse<br />
vorgestellt. Auch laien sprechen mehr<br />
und mehr über das so lange tabuisierte<br />
Thema. Urologische- und Enddarmzentren<br />
werden überall, auch in der Region, in der<br />
ich lebe (Mannheim – ludwigshafen –<br />
heidelberg), eingerichtet. Immer wieder<br />
suchen Patienten bei mir – oft als letzte<br />
Instanz – Rat und hilfe. In der Praxis einer<br />
Kollegin habe ich für austherapierte Notfälle<br />
die Möglichkeit, mir diese Patienten<br />
anzuschauen und mit therapeutischem<br />
Rat und Behandlung hilfen zu geben. Sie<br />
kommen oft von weit her! Mein credo ist,<br />
dass jede Maßnahme, die wir zur Therapie<br />
einsetzen, begründbar sein sollte.<br />
<strong>inform</strong>: Noch einmal zum Thema<br />
geburten: Als Verfechterin eines „natürlichen<br />
gebärverhaltens“ müsste Ihnen der<br />
Anstieg von Kaiserschnittgeburten sehr<br />
missfallen....<br />
Heller: Ja, das tut es. Das heißt nicht,<br />
dass ich die hilfe der geburtsmedizin<br />
ablehne, deren Ziel es ist, die Morbidität-<br />
und Mortalitätsrate für Kind und Mutter<br />
auf ein Minimum zu reduzieren. Aber nicht<br />
alle Kaiserschnitte haben einen pathologischen<br />
hintergrund. Für mich gilt, dass<br />
Mutter und Kind gemeinsam unbeschadet<br />
den geburtsraum verlassen dürfen und<br />
können. Meine Erfahrung ist aber, dass<br />
die Würde der Frau, welche gebären wollte<br />
aber dann entbunden wurde, sehr oft<br />
verletzt ist, seelisch und körperlich!<br />
Interview: otto havelka<br />
<strong>Physio</strong> <strong>Austria</strong> <strong>inform</strong> <strong>Dezember</strong> <strong>2009</strong> 7