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RUDOLF STEINER GESAMTAUSGABE VORTRÄGE

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für die Deklamation, für die Rezitation, an der Geste studieren und<br />

die Geste dann erst heraufheben zu dem gesprochenen Worte. Aber<br />

Prosa hat mit der Beschränkung auf den Kopf auch die Geste fast<br />

ganz verloren. Und Prosa kann man deklamieren mit Ausschluß der<br />

Geste. Man deklamiert dann eben nicht; man redet Prosa im Prosaischen.<br />

Was kommt dabei in Betracht? Dabei kommt in Betracht, daß die<br />

Prosa, wie sie heute besteht, überhaupt darauf hinorientiert ist, den<br />

Stil als solchen zu verlieren und an die Stelle des Stiles die Pointierung<br />

zu setzen, denn in der Prosa hat man die Aufgabe, präzise einen Inhalt<br />

anzugeben. Der Inhalt aber, den der Mensch durch den Kopf, das<br />

heißt durch die Rundung bekommt in der Nachahmung des rund erscheinenden<br />

Universums, der ist nicht geformt. Unsere Gedanken liegen,<br />

insoferne sie sich in Prosa bewegen, chaotisch ungeformt nebeneinander.<br />

Wäre das nicht der Fall, so würden wir auch nicht die Misere<br />

heute haben mit den nebeneinanderliegenden Wissenschaften oder mit<br />

der Spezialisierung in dem Nebeneinanderliegen unserer Erkenntnisse,<br />

die alle Kunst verloren haben, die eben nebeneinanderliegen. Man<br />

kann ein großer Anatom im heutigen Sinne sein und von der menschlichen<br />

Seele gar nichts verstehen; aber man kann das nicht in Wirklichkeit<br />

sein. Man kann weder ein Seelenkundiger in Wirklichkeit<br />

sein, ohne von Anatomie etwas zu verstehen, noch ein Anatom sein,<br />

ohne von Seelenkunde etwas zu verstehen. Aber heute ist das möglich.<br />

Heute ist es möglich, weil schon die Ausdrucksform in der Prosa<br />

auf das präzise Pointierte so gehen muß durch die nebeneinanderliegenden<br />

Gedanken, der Stil aber durch eine Fortführung des Gedankens,<br />

durch eine Kontinuität hindurch fortgehen kann. Wer im<br />

Stile schreibt, muß, wenn er einen Aufsatz zu schreiben beginnt, im<br />

ersten Satze den letzten haben. Ja, er muß sogar mehr Aufmerksamkeit<br />

dem letzten Satz zuwenden als dem ersten, und wenn er den<br />

zweiten Satz schreibt, muß er den vorletzten im Sinne haben. Einen<br />

einzigen Satz im Sinne zu haben, ist nur in der Mitte des Aufsatzes<br />

gestattet. Man schreibt also, wenn man in der Prosa Stilgefühl hat,<br />

seinen Aufsatz aus dem Ganzen heraus.<br />

Bitte, fragen Sie heute einen Botaniker, wenn er über irgend etwas

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