h. - Prof. Dr. Hans-Peter Benöhr - Humboldt-Universität zu Berlin
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H.-P. BENÖHR<br />
RÖMISCHES PRIVATRECHT<br />
MIT BESONDERER BERÜCKSICHTIGUNG DER INSTITUTIONEN JUSTINIANS<br />
DIGESTENEXEGESE<br />
BGB-ENTSTEHUNG<br />
HUMBOLDT-UNIVERSITÄT ZU BERLIN<br />
2004<br />
<strong>Humboldt</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>zu</strong> <strong>Berlin</strong>, Juristische Fakultät, Unter den Linden 6, D 10099 <strong>Berlin</strong><br />
<strong>Hans</strong>-<strong>Peter</strong>.Benoehr@rz.hu-berlin.de<br />
http://www.rewi.hu-berlin.de/jura/ex/bnr<br />
Vorsicht! Diese Hinweise ersetzen nichts, weder die Vorlesung, noch ein Lehrbuch und am allerwenigsten das<br />
eigene Studium. Sie sind in keiner Weise vollständig, leider auch nicht ganz frei von Fehlern und sind deshalb<br />
nur <strong>zu</strong>sammen mit anderen Informationsmitteln sinnvoll <strong>zu</strong> gebrauchen. (Die Hinweise auf das geltende Recht<br />
sind noch nicht durchgehend an das Schuldrechtsänderungsgesetz angepasst).<br />
9. Juni 2005
INHALT<br />
mit besonderer Berücksichtigung der Institutionen Justinians 1<br />
Inhalt 2<br />
ERSTER TEIL 8<br />
WARUM, WIE, WAS NICHT? 8<br />
Kapitel 1. Warum? 8<br />
Kapitel 2. Wie? Benut<strong>zu</strong>ng dieses Begleittextes 8<br />
Kapitel 3. Was nicht? Lücken 8<br />
ZWEITER TEIL 9<br />
REFERENDAREXAMEN - WAHLFACH 2 9<br />
Kapitel 1. Durchführung 9<br />
Kapitel 2. Vorbereitung 10<br />
Kapitel 3. Hilfsmittel für die Examensklausuren 11<br />
Kapitel 4. Kein Schwerpunktbereich an der <strong>Humboldt</strong>-<strong>Universität</strong> 11<br />
DRITTER TEIL 11<br />
ANTIKE RECHTSGESCHICHTE 11<br />
IN VOR-RÖMISCHER ZEIT 11<br />
Kapitel 1. Perioden und Gebiete der antiken Rechtsgeschichte insgesamt 11<br />
Kapitel 2. Gesetzgebung der Babylonier 12<br />
Kapitel 3. Biblisches Recht 13<br />
Kapitel 4. Jüdisches Recht, insbes. Talmud, Mittelalter 17<br />
Kapitel 5. Recht des Neuen Testaments 19<br />
Kapitel 6. Demokratie und Rechtsdenken der Griechen 20<br />
VIERTER TEIL 24<br />
RÖMISCHE GESCHICHTE UND VERFASSUNG 24<br />
Kapitel 1. Perioden der römischen Rechtsgeschichte 24<br />
Kapitel 2. Geschichte und Verfassung Roms 25<br />
FÜNFTER TEIL 29<br />
RECHTSQUELLEN 29<br />
Kapitel 1. Naturrecht = Ius naturale 29<br />
Kapitel 2. Zivilrecht = Ius civile 29<br />
Kapitel 3. Recht für Römer und Nichtrömer 30<br />
Kapitel 4. Amtsrecht = Ius honorarium 31<br />
Kapitel 5. Gewohnheitsrecht und positives Recht 31<br />
Kapitel 6. Positives Recht 31<br />
Kapitel 7. Öffentliches Recht und Privatrecht 33<br />
Kapitel 8. System des Privatrechts (Institutionensystem) 33<br />
Kapitel 9. Überlieferung 33<br />
Kapitel 10. Die Zwölf Tafeln 34<br />
Kapitel 11. Hauptprinzipien des Rechts 37<br />
SECHSTER TEIL 37<br />
JURISTENRECHT 37<br />
Kapitel 1A. Rechtswissenschaft 37<br />
Kapitel 1B. Fallbehandlung in der Exegese 39<br />
Kapitel 2. Die berühmtesten Juristen 39<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
2
Kapitel 3. Argumentationsformeln 42<br />
Kapitel 4. Rechtsschulen 44<br />
Kapitel 5. Literaturgattungen 46<br />
Kapitel 6. Zuerst Rechtserfahrung, später Rechtsunterricht 47<br />
SIEBENTER TEIL 47<br />
CORPUS IURIS CIVILIS 47<br />
Kapitel 1. Zitiergesetze und Codex Theodosianus 47<br />
Kapitel 2. Corpus Iuris Civilis von 533 n. Chr. 48<br />
Kapitel 3. Institutionen Justinians 49<br />
Kapitel 4. Digesten 49<br />
Kapitel 5. Kodifikation 50<br />
Kapitel 6. Geltung des Corpus Iuris und des römischen Rechts 52<br />
Kapitel 7. Rezeption des römischen Rechts im Mittelalter 53<br />
ACHTER TEIL 58<br />
VERFAHREN 58<br />
Kapitel 1. Das Aktionensystem und seine Überwindung 58<br />
Kapitel 2. Der römische Formalismus und seine Überwindung 58<br />
Kapitel 3. Prozessrecht im Kurzüberblick 59<br />
Kapitel 4. Einzelne Klagformeln und Rechtsmittel 61<br />
Kapitel 5. Condictio 62<br />
Kapitel 6. Rechtsschöpfungen des Praetors, Analogie 63<br />
Kapitel 7. Einreden = Exceptiones, Gegeneinreden = Replicationes 64<br />
Kapitel 8. Einrede der Arglist = Exceptio doli, und ähnliche Fälle 64<br />
Kapitel 9. Sanktionen 65<br />
NEUNTER TEIL 66<br />
PERSON UND FAMILIE 66<br />
Kapitel 1. Caput - Begriffe und System des Personenrechts 66<br />
Kapitel 2. Familie; Agnaten, Gens; Personenname; Cognates 67<br />
Kapitel 3. Anfang und Ende der patria potestas 68<br />
Kapitel 4. Väterliche Unterhaltspflicht 69<br />
Kapitel 5. Hauskinder als Teilnehmer am Rechtsverkehr 69<br />
Kapitel 6. Altersstufen: Infans, pupillus, minor 72<br />
Kapitel 7. Impuberes = Pupilli 73<br />
Kapitel 8. Tutor 74<br />
Kapitel 9A. Minor 75<br />
Kapitel 9B. Curator 76<br />
Kapitel 10. Frauen 76<br />
Kapitel 11. Abschluss und Inhalt der Ehe 77<br />
Kapitel 12A. Vermögensrechtliche Wirkungen der Ehe, allgemein 79<br />
Kapitel 12B. Mitigft = Dos 80<br />
Kapitel 13. Ehescheidung = Divortium 81<br />
Kapitel 14. Entstehung der Sklaverei 82<br />
Kapitel 15. Beendigung der Sklaverei 82<br />
Kapitel 16. Sklaven als Objekte 83<br />
Kapitel 17. Sklaven als Teilnehmer am Rechtsverkehr 85<br />
Kapitel 18. Adjektizische Klagen, Überblick / Grundlagen 87<br />
Kapitel 19. Actio quod iussu 90<br />
Kapitel 20. Reederklage = Actio exercitoria 90<br />
Kapitel 21. Geschäftsherrenklage = Actio institoria 91<br />
Kapitel 22. Peculium und Actio de peculio 92<br />
Kapitel 23. Verwendungsklage = Versionsklage = A. de in rem verso 94<br />
Kapitel 24. Procurator 95<br />
30. September 2011<br />
3
Kapitel 25. Grundsatz: Ausschluss der Stellvertretung 97<br />
Kapitel 26. Ausnahmen: Wirksamkeit des Handelns für andere 97<br />
Kapitel 27. Zustimmungen 99<br />
Kapitel 28. Erwerb durch andere 100<br />
Kapitel 29. Mittelbare Stellvertretung 101<br />
ZEHNTER TEIL 101<br />
RECHTSGESCHÄFTE 101<br />
Kapitel 1. Begriffe des Schuldrechts 102<br />
Kapitel 2. System des Schuldrechts 103<br />
Kapitel 3. Naturalis obligatio 103<br />
Kapitel 4A. Unwirksamkeit 104<br />
Kapitel 4B. Bedingung = Condicio 105<br />
Kapitel 5A. Treu und Glauben 107<br />
Kapitel 5B. Gewalt oder Furcht = Vis oder Metus 108<br />
Kapitel 6. Erfüllung = Solutio, Inst. 3, 29 pr. 108<br />
Kapitel 7. Aufrechnung = Compensatio 108<br />
Kapitel 8. Erlass, Stundung 109<br />
Kapitel 9. Abtretung 109<br />
Kapitel 10. Litteralkontrakte allgemein, Gai. 3, 128 ff. 109<br />
Kapitel 11. Konsensualkontrakte allgemein, Inst. 3, 22 pass. 109<br />
Kapitel 12. Kaufvertrag = Emptio venditio, Inst. 3, 23 pass. 110<br />
Kapitel 13. Abschluss und Inhalt des Kaufvertrages 110<br />
Kapitel 14. Auslegung 112<br />
Kapitel 15. Konsens und Irrtum 112<br />
Kapitel 16. Irrtum über wesentliche Eigenschaften 113<br />
Kapitel 17. Kaufpreis und Wucher 117<br />
Kapitel 18A. Rücktrittsvorbehalte allgemein 118<br />
Kapitel 18B. Bessergebotsklausel = In diem addictio 119<br />
Kapitel 18C. Auflösungsvorbehalt = Lex commissoria 120<br />
Kapitel 18D. Missbilligungsabrede = Pactum displicentiae 121<br />
Kapitel 19A. Anfängliche tatsächliche objektive Unmöglichkeit 122<br />
Kapitel 19B. Ergän<strong>zu</strong>ng: Unmöglichkeit 123<br />
Kapitel 20. Verkehrsunfähige Sachen = Res extra commercium 128<br />
Kapitel 21. Anfängliches subjektives Unvermögen 132<br />
Kapitel 22. Nachträgliche Unmöglichkeit 132<br />
Kapitel 23. Kaufklage = Actio empti 134<br />
Kapitel 24. Rechtsmängel 134<br />
Kapitel 25. Sachmängel 136<br />
Kapitel 26. Exkurs: Schenkung = Donatio 138<br />
Kapitel 27. Locatio conductio 139<br />
Kapitel 28. Personenverbindungen, insb. Gesellschaft = Societas 141<br />
Kapitel 29. Auftrag = Mandatum 141<br />
Kapitel 30. Realkontrakte allgemein, Inst. 3, 14 pass. 142<br />
Kapitel 31. Geld 143<br />
Kapitel 32. Darlehen = Mutuum 144<br />
Kapitel 33. Darlehen mit Wirkung für andere 147<br />
Kapitel 34. Darlehenszinsen und Wucher 148<br />
Kapitel 35. Sc. Macedonianum 149<br />
Kapitel 36. Banken 152<br />
Kapitel 37. Bürgschaft 152<br />
Kapitel 38. Frauenbürgschaft, Sc. Vellaeanum 155<br />
Kapitel 39. Mitbürgen 156<br />
Kapitel 40. Rückgriff, Bürgenregress 156<br />
Kapitel 41. Schutz des Bürgen 157<br />
Kapitel 42. Verwahrung – Hinterlegung = Depositum 157<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
4
Kapitel 43. Stipulation 158<br />
Kapitel 44. Stipulation, Regelung in Inst. 3, 15 – 3, 20 161<br />
Kapitel 45. Kein Vertrag <strong>zu</strong> Gunsten <strong>Dr</strong>itter, 162<br />
aber wichtige Einschränkungen 162<br />
Kapitel 46 A. Schuldumschaffung = Novatio 164<br />
Kapitel 46 B. Anweisung = Delegatio 164<br />
Kapitel 47. Delegation statt moderner Abtretung 169<br />
Kapitel 48. Delegation statt moderner Schuldübernahme 170<br />
11 A. TEIL 171<br />
VERTRAGSÄHNLICHE VERHÄLTNISSE 171<br />
Kapitel 51. Quasikontrakte, Inst. 3, 27 pass. 171<br />
Kapitel 52. Geschäftsführung ohne Auftrag = Negotiorum gestio 171<br />
Kapitel 53. Ungerechtfertigte Bereicherung = Condictio indebiti 171<br />
Kapitel 54. Geldkondiktion 173<br />
11 B. TEIL 174<br />
UNERLAUBTE HANDLUNGEN 174<br />
Kapitel 1. Delikte 174<br />
Kapitel 2. Diebstahl = Furtum 176<br />
Kapitel 3. Unerlaubte Vermögensschädigung, Lex Aquilia 177<br />
Kapitel 4A. Verlet<strong>zu</strong>ngen der Person = Iniuria, Inst. 4, 4 pass. 182<br />
Kapitel 4B. Arglist = Actio de dolo 182<br />
Kapitel 5. Quasidelikte 183<br />
Kapitel 6. Haftung für Delikte Gewaltunterworfener, Noxalklage 183<br />
12. TEIL 184<br />
SACHENRECHT 184<br />
Kapitel 1. Sachenrecht, Systematik 184<br />
Kapitel 2. Besitz = Possessio 185<br />
Kapitel 3. Besitzerwerb 186<br />
Kapitel 4. Erwerb des Besitzes durch andere 188<br />
Kapitel 5. Erhaltung des Besitzes durch andere 189<br />
Kapitel 6. Besitzverlust 190<br />
Kapitel 7. Besitzschutz, Interdicta 190<br />
Kapitel 8. Eigentumserwerb, Eigentumsarten, Überblick 191<br />
Kapitel 9. Mancipatio 192<br />
Kapitel 10. In iure cessio 195<br />
Kapitel 11. Traditio 195<br />
Kapitel 12. Wirkungen der traditio 197<br />
Kapitel 13. Übereignungen mittels Hilfspersonen 198<br />
Kapitel 14. Ersit<strong>zu</strong>ng = Usucapio 200<br />
Kapitel 15. Tiere 202<br />
Kapitel 16. Verarbeitung 202<br />
Kapitel 17. Vermischung, Inst. 2, 1, 27 + 28 203<br />
Kapitel 18. Sachverbindung von beweglichen Sachen 203<br />
Kapitel 19. Sachverbindung mit Grundstück 204<br />
Kapitel 20. Früchte = Fructus 205<br />
Kapitel 21. Schatz = Thesaurus 206<br />
Kapitel 22. Aneignung = Occupatio und Eigentumsaufgabe = Derelictio 206<br />
Kapitel 23. Eigentum an Geld 207<br />
Kapitel 24. Eigentumsschutz allgemein 210<br />
Kapitel 25. Eigentumsherausgabeklage = Rei vindicatio 210<br />
Kapitel 26. Actio Publiciana 211<br />
Kapitel 27. Störungsbeseitigungsklage = Actio negatoria 212<br />
30. September 2011<br />
5
Kapitel 28. Actio ad exhibendum 213<br />
Kapitel 29. Schadenersatz wegen Zerstörung oder Beschädigung 213<br />
Kapitel 30. Privates Nachbarrecht 213<br />
Kapitel 31. Heute sogenannte dingliche Nut<strong>zu</strong>ngsrechte 214<br />
Kapitel 32. Pfandrecht 214<br />
Kapitel 33. Weitere Entwicklung des Sachenrechts 215<br />
13. TEIL 216<br />
ERBRECHT 216<br />
Kapitel 1. Erbrecht, Überblick 216<br />
Kapitel 2. Arten der Erben, Inst. 2, 19 pass. 218<br />
Kapitel 3. Erbrecht für Frauen 218<br />
Kapitel 4. Testierfreiheit, gewillkürte Erbfolge, Testament, Testamentsauslegung 219<br />
Kapitel 5. Noterbrecht, Querela inofficiosi testamenti 221<br />
Kapitel 6. Intestaterbrecht nach ius civile 222<br />
Kapitel 9. Intestaterbrecht nach ius honorarium 223<br />
Kapitel 10. Berufung <strong>zu</strong>r Erbschaft, Erbschaftserwerb, ruhende Erbschaft 223<br />
Kapitel 11. Erbengemeinschaft 224<br />
Kapitel 12. Erbschaftsklage 224<br />
Kapitel 13. Erbenhaftung 225<br />
Kapitel 14. Verkauf und Übertragung der Erbschaft 225<br />
Kapitel 15. Vermächtnis = Legatum 226<br />
Kapitel 16. Das Fidei commissum 227<br />
14. TEIL 227<br />
STRAFRECHT 227<br />
15. TEIL 228<br />
NEUERE UND NEUESTE RECHTSGESCHICHTE 228<br />
Kapitel 1. Historische Wurzeln des modernen Rechts 228<br />
Kapitel 2. Rechtsentwicklungen im Mittelalter und in der Neuzeit 229<br />
Kapitel 3. Savigny und die Rechtswissenschaft des 19. Jh. 231<br />
Kapitel 4. Ausarbeitung des BGB 233<br />
Kapitel 5. Neueste Rechtsgeschichte 235<br />
16. TEIL 236<br />
DIGESTENEXEGESE 236<br />
Kapitel 1. Der Sinn der Übung 236<br />
Kapitel 2. Musterexegesen 236<br />
Kapitel 3. Häufige Rechtsprobleme in Klausuren 237<br />
Kapitel 4. Textbeispiel Pomp. D. 19, 2, 52 237<br />
Kapitel 5. Allgemeine Hinweise 237<br />
Kapitel 6. Gliederungspunkte 238<br />
Kapitel 7. Erläuterungen <strong>zu</strong>r Inskription 238<br />
Kapitel 8. Sachverhalt 239<br />
Kapitel 9. Rechtsfragen 241<br />
Kapitel 10. Gedanken <strong>zu</strong>m geltenden Recht 243<br />
Kapitel 11. Allgemeine Fragen in der Klausur 244<br />
17. TEIL 245<br />
WÖRTERBÜCHER 245<br />
Kapitel 1. Fachausdrücke <strong>zu</strong>m Verständnis der Rechtsquellen 245<br />
Kapitel 2. Rechtsmaximen 248<br />
Kapitel 3. Kleines Wörterbuch <strong>zu</strong>m allgemeinen Verständnis 249<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
6
Kapitel 4. Heute gebräuchliche Ausdrücke 252<br />
18. TEIL 255<br />
LITERATUR 255<br />
Kapitel 1. Einfachster „Einstieg“ und einfachste Wiederholung 255<br />
Kapitel 2. Studienliteratur 255<br />
Kapitel 3. Forschungsliteratur 256<br />
Kapitel 4. Lern- und Studienliteratur Mittelalter und Neuzeit 259<br />
Kapitel 5. Weiterführende Literatur Mittelalter und Neuzeit 260<br />
Kapitel 6. Gemeines Recht, römisches Recht im 19. Jahrhundert 262<br />
Kapitel 7. Quellen und Literatur <strong>zu</strong>r Entstehung des BGB 262<br />
19. TEIL 264<br />
JAHRESZAHLEN 264<br />
30. September 2011<br />
7
ERSTER TEIL<br />
WARUM, WIE, WAS NICHT?<br />
KAPITEL 1. WARUM?<br />
Von der Leistung der Römer vor 2000 Jahren profitiert das Rechtssystem der ganzen westlichen Welt noch heute.<br />
Sie rechneten mit den Begriffen, wie Savigny sagte, und gelangten damit in den unterschiedlichsten und<br />
kompliziertesten Fällen <strong>zu</strong> gerechten Ergebnissen. Römisches Recht galt im Mittelalter und in der Neuzeit fast in<br />
ganz Europa, so dass man vom Ius commune, später in Deutschland von dem "Gemeinen Recht" sprach. Es gehört<br />
<strong>zu</strong> den wichtigsten Grundpfeilern aller westlicher Rechtsordnungen. Das von den römischen Juristen am<br />
weitaus höchsten entwickelte Recht ist das Privatrecht. Dabei sind auch die Praxis und Theorie der Subsumtion<br />
und der sonstigen rechtlichen Argumentation bekannt. Deswegen lohnt es sich, sich das römische Recht direkt<br />
an<strong>zu</strong>schauen.<br />
Erinnern Sie sich auch an weitere Vermächtnisse der Antike wie:<br />
- Sprache (Italienisch, Französisch, Kirchensprache, Germanenrechte, Wissenschaftssprache)<br />
- Schrift<br />
- alle Wissenschaften<br />
- Kirche<br />
- Grundherrschaft (vorher: Latifundien)<br />
- Staatsorganisation (Diözesen, Steuerwesen)<br />
- Gesetzgebungskunst (Germanenrechte)<br />
- Architektur, Straßenbau.<br />
KAPITEL 2. WIE? BENUTZUNG DIESES BEGLEITTEXTES<br />
Den Schwerpunkt der folgenden Hinweise bilden die Stichworte <strong>zu</strong>m römischen Privatrecht, die <strong>zu</strong>meist an die<br />
entsprechenden Teile der Institutionen Justinians (da<strong>zu</strong> jetzt die Überset<strong>zu</strong>ng von O. Behrends u. a.) anknüpfen.<br />
Da<strong>zu</strong> habe ich vermehrt Hinweise <strong>zu</strong> den lateinischen Fachausdrücken und Rechtsmaximen notiert. Lateinkenntnisse<br />
sind nicht erforderlich, erleichtern aber das Verständnis. Da die Vorlesungen über römisches Recht auch<br />
<strong>zu</strong>r Digestenexegese in Übung, Seminar oder Prüfung hinführen, habe ich speziell <strong>zu</strong> dieser ein paar Bemerkungen<br />
aufgenommen. Wegen des Sach<strong>zu</strong>sammenhangs und des naheliegenden Vergleichs zwischen römischem<br />
und modernem Recht bin ich noch einmal auf die BGB-Entstehung eingegangen. Wörterbücher für "Nicht-<br />
Lateiner", Literaturverzeichnisse und eine chronologische Übersicht schließen den Begleittext ab. Die Anmerkungen<br />
verweisen teils auf weitere Literatur und nennen <strong>zu</strong>m anderen Teil einschlägige oder problematische<br />
Quellenstellen.<br />
KAPITEL 3. WAS NICHT? LÜCKEN<br />
Nur, soweit wie für das Verständnis des römischen Privatrechts erforderlich, habe ich die römische Rechtsgeschichte<br />
wiederholt, denn diese bildet den Gegenstand einer gesonderten Vorlesung. Im allgemeinen habe ich<br />
auch das nicht angesprochen, was üblicherweise in der Rechtsgeschichtsvorlesung für das erste und zweite Semester<br />
vorgetragen wird.<br />
In den (hier also nicht noch einmal wiederholten) Vorlesungsmaterialien für das erste und zweite Semester finden<br />
Sie insbesondere: Vorderorientalische Rechte, jüdisches Recht, Rechte des Christentums, griechische Rech-<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
8
te, römische Geschichte, Rechtsgeschichte der neueren und neuesten Zeit. Die Wiederholung dieser Kapitel sei<br />
Ihrer besonderen Aufmerksamkeit empfohlen.<br />
ZWEITER TEIL<br />
REFERENDAREXAMEN - WAHLFACH 2<br />
KAPITEL 1. DURCHFÜHRUNG<br />
1. Gesamtgewicht der Wahlfächer im Referendarexamen<br />
Die Zusammenset<strong>zu</strong>ng der Anteile des Wahlfachs an Klausuren und mündlichen Examen ergibt, dass die Note<br />
des Wahlfachs mehr als ein Fünftel der Endnote ausmacht 1<br />
.<br />
2. Klausuren<br />
Zwei der neun Klausuren für das Referendarexamen betreffen das Wahlfach. Im Wahlfach 2, Rechts- und Verfassungsgeschichte,<br />
haben die Bearbeiterinnen und Bearbeiter bei beiden Klausuren die Wahl zwischen einer<br />
Aufgabe aus der sogenannten „römischen Rechtsgeschichte“ 2<br />
, der „Rechtsgeschichte des Mittelalters“ und der<br />
„Rechtsgeschichte der Neuzeit“. Die Aufgaben bestehen meistens darin, einen vorgegebenen Text oder mehrere<br />
vorgegebenen Texte <strong>zu</strong> interpretieren und einige weitere Fragen <strong>zu</strong> beantworten.<br />
Außerdem wird jeweils eine Zusatzfrage aus einem anderen Teilgebiet der Rechtsgeschichte gestellt. Die Bearbeiterinnen<br />
und Bearbeiter erhalten auf diese Weise die Gelegenheit, ihre Kenntnisse, die sie in anderen Teilgebieten<br />
haben, <strong>zu</strong>r Geltung <strong>zu</strong> bringen. Die Bearbeitung der Zusatzfrage soll sich nämlich nur bewertungssteigernd,<br />
nicht aber bewertungsmindernd auswirken können.<br />
3. Mündliche Prüfung<br />
In der mündlichen Prüfung ist einer der fünf Prüfungsabschnitte dem Wahlfach gewidmet. Im Wahlfach Rechts-<br />
und Verfassungsgeschichte soll künftig das Gewicht über die Teilgebiete hinaus stärker auf einen Überblick über<br />
die gesamte Rechtsgeschichte und auf die Beziehung <strong>zu</strong>m geltenden Recht gelegt werden.<br />
4. Prüfer<br />
Die Prüfungen und die Lehrveranstaltungen im Wahlfach 2 werden hauptsächlich durch Frau <strong>Prof</strong>essorin Möller<br />
und die <strong>Prof</strong>essoren <strong>Benöhr</strong> 3<br />
, Ebel, Paulus und Schröder durchgeführt.<br />
1<br />
2<br />
3<br />
Zusatz <strong>Benöhr</strong>: Das Wahlfach wiegt damit genausoviel wie Öffentliches Recht oder Strafrecht, nur etwas weniger<br />
als Zivilrecht, viel mehr als das „gemischte Recht“!<br />
Zusatz <strong>Benöhr</strong>: Deswegen die regelmäßige Durchführung der Digestenexegese an beiden <strong>Universität</strong>en, deswegen<br />
auch Hinweise <strong>zu</strong>r Anfertigung einer Digestenexegese mit Literatur gegen Ende dieses Begleittextes.<br />
Zusatz <strong>Benöhr</strong>: Auch nach Pensionierung <strong>Benöhr</strong> <strong>zu</strong>m 1. April 2002.<br />
30. September 2011<br />
9
KAPITEL 2. VORBEREITUNG<br />
1. Rechtsgeschichtliche Lehrveranstaltungen an der Freien <strong>Universität</strong> und an der <strong>Humboldt</strong>-<br />
<strong>Universität</strong><br />
Die Studentinnen und Studenten haben die Möglichkeit, sowohl an der Freien <strong>Universität</strong> als auch an der <strong>Humboldt</strong>-<strong>Universität</strong><br />
an Lehrveranstaltungen teil<strong>zu</strong>nehmen. Die regelmäßig vorgesehenen Hauptveranstaltungen<br />
werden im folgenden aufgeführt. Die Teilnahme an weiteren Vorlesungen, Proseminaren, Seminaren, Projektgruppen<br />
und einzelnen Vorträgen mit rechtshistorischem Inhalt, z. B. <strong>zu</strong>r Verfassungs- oder Strafrechtsentwicklung<br />
oder <strong>zu</strong>m alten nahöstlichen oder jüdischen Recht, wird empfohlen, selbstverständlich gerade dann, wenn<br />
diese nicht von den Prüfern des Wahlfachs 2 angeboten werden.<br />
2. Seminare<br />
Besonders wichtig sind Seminare <strong>zu</strong> Spezialthemen, die an beiden <strong>Universität</strong>en regelmäßig durchgeführt werden.<br />
3. Weitere regelmäßige Lehrveranstaltungen an der Freien <strong>Universität</strong><br />
a) Für das 1. Fachsemester Rechtswissenschaft<br />
Grundzüge der Rechts- und Verfassungsgeschichte<br />
mit Möglichkeit des Scheinerwerbs nach § 1 I 2 b JAG (in jedem Wintersemester) 4 SWS.<br />
b) Besonders für das Wahlfach 2<br />
- Vorlesung römisches Recht 2 SWS<br />
- Digestenexegese 2 SWS<br />
- Vorlesung Rechtsgeschichte des Mittelalters 2 SWS<br />
- Vorlesung Verfassungs- und Rechtsgeschichte der Neuzeit 2 SWS<br />
- Übung <strong>zu</strong>r Rechtsgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit 2 SWS<br />
Diese Lehrveranstaltungen werden regelmäßig, aber nicht in jedem Semester angeboten.<br />
4. Weitere regelmäßige Lehrveranstaltungen an der <strong>Humboldt</strong>-<strong>Universität</strong><br />
a) Für das 1. Fachsemester Rechtswissenschaft<br />
Einführung in die Rechtsgeschichte 4 SWS<br />
mit Möglichkeit des Scheinerwerbs nach § 1 I 2 b JAG (in jedem Semester)<br />
b) Besonders für das Wahlfach 2<br />
- Römische Rechtsgeschichte (möglichst jedes Wintersemester) 2 SWS<br />
- Römisches Privatrecht (möglichst jedes Sommersemester) 2 SWS<br />
- Digestenexegese (Quelleninterpretation mit Examinatorium,<br />
möglichst jedes Semester) 2 SWS<br />
- Rechtsgeschichte der Neuzeit (Vertiefung, möglichst jedes Wintersemester) 2 SWS<br />
- Examinatorium <strong>zu</strong>r Neueren Rechtsgeschichte (möglichst jedes<br />
Sommersemester) 2 SWS.<br />
5. Römisches Recht<br />
a) Schwerpunkte 4<br />
des römischen Privatrechts<br />
Gewaltabhängige, Altersgruppen, Irrtum, „stellvertretendes Handeln", Anweisung, Kauf, „Kauf bricht<br />
Miete“, Auftrag, Darlehen (mit Sonderformen), Zinsen, Stundung und Verzicht, Bürgschaft (und Verbot<br />
der Frauenbürgschaft), Stipulation, unerlaubte Handlung, Haftung für Gewaltabhängige, Besitz und Besitzschutz,<br />
Übereignung, ursprünglicher Eigentumserwerb, Ersit<strong>zu</strong>ng, Grundzüge des Vermächtnisrechts, Klage<br />
und Einrede der Arglist.<br />
b) Überset<strong>zu</strong>ng<br />
O. Behrends, R. Knütel, B. Kupisch, H. H. Seiler, Corpus Iuris Civilis, Die Institutionen, Text<br />
4<br />
Zusatz <strong>Benöhr</strong>: Die Aufzählung der Schwerpunkte kann andere Institutionen des römischen Privatrechts als<br />
Prüfungsgegenstände nicht ganz ausschließen.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
10
und Überset<strong>zu</strong>ng, utb-Taschenbuch, Heidelberg 1993.<br />
c) Einführungsliteratur und Quellensammlungen (mit Überset<strong>zu</strong>ng)<br />
Benke-Meissel, Hausmaninger (Casebooks), Hausmaninger-Selb, Honsell, Liebs, Mayer-Maly, Stein.<br />
d) Römische Rechtsgeschichte, Einführungsliteratur<br />
Kaser, Kunkel.<br />
e) Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, Einführungsliteratur<br />
Eisenhardt, Schlosser.<br />
<strong>Benöhr</strong> Ebel Paulus Schröder Wesel.<br />
KAPITEL 3. HILFSMITTEL FÜR DIE EXAMENSKLAUSUREN<br />
Als Hilfsmittel für die Klausuren sind für speziell für das römische Recht vom JPA <strong>zu</strong>gelassen:<br />
- Corpus Iuris Civilis, Bd. 1, Institutiones und Digesta, hrsg. v. Krüger und Mommsen.<br />
- O. Behrends, R. Knütel, B. Kupisch, H. H. Seiler, Corpus Iuris Civilis, Die Institutionen,<br />
Text und Überset<strong>zu</strong>ng, utb, C. F. Müller Verlag, Heidelberg.<br />
KAPITEL 4. KEIN SCHWERPUNKTBEREICH AN DER HUMBOLDT-UNIVERSITÄT<br />
Römisches Recht zählt nicht <strong>zu</strong> den neuen Schwerpunktbereichen an der <strong>Humboldt</strong>-<strong>Universität</strong>. Politik, <strong>Universität</strong>,<br />
Fakultät und einzelne <strong>Prof</strong>essoren haben das von Savigny bei der Gründung der Friedrich-Wilhelms-<br />
<strong>Universität</strong> <strong>zu</strong> Weltruhm gebrachte Fach abgemeldet und grundsätzlich Grundlagenfächer kleingeschrieben.<br />
DRITTER TEIL<br />
ANTIKE RECHTSGESCHICHTE<br />
IN VOR-RÖMISCHER ZEIT<br />
KAPITEL 1. PERIODEN UND GEBIETE DER ANTIKEN RECHTSGESCHICHTE INS-<br />
GESAMT<br />
Sie können sich die zeitlichen und räumlichen Abschnitte der Rechtsgeschichte in der Antike bis <strong>zu</strong>m Beginn<br />
des Mittelalters etwa folgendermaßen vorstellen:<br />
1. Orientalische Rechte, insbes.<br />
1. Keilschriftrechte, am bekanntesten Codex Hammurabi von Babylon um 1700 v. Chr.<br />
2. Hebräisches Recht, enthalten in dem von den Christen so genannten Alten Testament,<br />
am wichtigsten: die Zehn Gebote<br />
2. Griechische Rechte,<br />
30. September 2011<br />
11
1. Gesetzesreformen <strong>Dr</strong>akons und Solons in Athen um 620 v. Chr.,<br />
2. Rechts- und Staatsphilosophie Platons und Aristoteles' im 5. und 4. Jh.v. Chr.<br />
3. Römisches Recht<br />
Lit.: W. Selb, Antike Rechte im Mittelmeerraum, Wien u. a. 1993.<br />
KAPITEL 2. GESETZGEBUNG DER BABYLONIER<br />
Die konventionelle Unterscheidung zwischen Vorgeschichte und Geschichte mit der Schrift als Unterscheidungskriterium<br />
ist fraglich. Aber durch Schriftzeugnisse sind wir über das Denken und Handeln der früher lebenden<br />
Menschen und damit auch über ihr Recht sicherer informiert. Die Wiege unserer Zivilisation, im Nahen<br />
Osten, enthielt auch Kodifikationen, auf die im folgenden hingewiesen werden soll.<br />
1. Allgemeine Geschichte<br />
Der Reichtum des Landes “zwischen den Strömen“ (daher griechisch: Mesopotamien), nämlich zwischen Euphrat<br />
und Tigris, beruhte auf der jährlichen Hochflut, für die Dämme und Kanäle angelegt und unterhalten werden<br />
mußten. Es wurden Städte mit großen Tempelanlagen (daher die Geschichte des Turmbaus <strong>zu</strong> Babel [d.h. Babylon])<br />
gebaut. Kunst und, nach der “Erfindung“ der Schrift im 3. Jtsd., Literatur blühten. Es bildeten sich die Reiche<br />
von Sumer und Akkad, assyrische Reiche und das vorübergehende Reich König Hammurabis von Babylon.<br />
Großstädte und Großreiche, Wirtschaftsorganisation und Kriegsführung, Götter und Könige waren in einer hoch<br />
differenzierten Gesellschaft mit Beamtentum, Heer und Proestern, mit Freien, Halbfreien und Sklaven miteinander<br />
verbunden.<br />
2. Rechtsgeschichte<br />
Das Recht wurde seit der Mitte des dritten Jahrtausends vor Christi aufgezeichnet. Das erste vollständig erhaltene<br />
(aber nicht das früheste) Gesetz ist der sogenannte Codex des Königs Hammurabi. Er ist in Keilschrift auf einer<br />
Säule in rund 300 Paragraphen erhalten und befindet sich heute in Paris im Louvre. Der Codex betrifft<br />
Verbrechen (Falschanklage, -aussage und -entscheidung, Diebstahl und Raub, Un<strong>zu</strong>cht, Körperverlet<strong>zu</strong>ng und<br />
Tötung), Lehen, Grundstücke, Handel und Gewerbe, Sklaven-, Familien- und Erbrecht. Wahrscheinlich hat von<br />
hier aus die Gesetzgebungskunst überhaupt ihren Ausgang genommen.<br />
Zur allgemeinen Bedeutung der Kodifikation s. u. das letzte Kapitel.<br />
3. Quelle<br />
R. Haase, Die keilschriftlichen Rechtssammlungen in deutscher Überset<strong>zu</strong>ng, Wiesbaden 1963.<br />
4. Literatur<br />
R. Haase, Einführung in das Studium keilschriftlicher Rechtsquellen, Wiesbaden 1965; R. Haase, Zur Einführung:<br />
Keilschriftrechte, JuS 1966, S. 176-179; R. Herzog, Staaten der Frühzeit, Ursprünge und Herrschaftsformen,<br />
München 1988. Ferner einige Werke <strong>zu</strong> den antiken Rechten (s. das allgemeine Litaratur-Verzeichnis).<br />
5. Textbeispiel. Codex Hammurabi 5<br />
Diese wörtliche Überset<strong>zu</strong>ng ist nicht ohne weiteres verständlich - lesen Sie den Text ruhig langsam und mehrmals,<br />
um sich im Aufnehmen und Verfassen juristischer Texte <strong>zu</strong> trainieren.<br />
§ 9. Wenn ein Bürger, dem seine Sache verlorengegangen ist, seine verlorengegangene Sache in der Hand eines<br />
(anderen) Bürgers ergreift (und) der Bürger, in dessen Hand das Verlorengegangene ergriffen wird "Ein (gewisser)<br />
Verkäufer hat sie mir verkauft, vor Zeugen habe ich (sie) gekauft" sagt, und (wenn darauf) der Herr des Ver-<br />
5<br />
Haase, Die keilschriftl. Rechtssammlungen.<br />
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12
lorengegangenen "Zeugen, kundig des (mir) Verlorenen, bringe ich bei" sagt, (wenn jetzt) der Käufer den Verkäufer,<br />
welcher ihm (die Sache) verkauft hat, und Zeugen, in deren Gegenwart er (sie) gekauft hat, beibringt,<br />
und auch der Herr des Verlorengegangenen Zeugen, (die) kundig (sind) seines Verlorengegangenen, beibringt,<br />
(so) werden die Richter ihre Worte prüfen. Dann werden die Zeugen, vor denen der Kauf gekauft worden ist, und<br />
die Zeugen, kundig des Verlorengegangenen, vor dem Gotte aussagen. Wenn (sich dann) der Verkäufer (als)<br />
Dieb (erweist), wird er getötet. Der Herr des Verlorengegangenen wird sein Verlorengegangenes (an sich) nehmen.<br />
Der Käufer wird aus dem Hause des Verkäufers das Silber, das er (diesem) (dar)gewogen hat, nehmen.<br />
6. Fragen <strong>zu</strong>m Textbeispiel<br />
1. Was fällt Ihnen auf? Welche Bemerkungen können Sie <strong>zu</strong> dem Text machen?<br />
2. Welche ist die Quelle des Textes, wer ist ihr Autor, von wann stammt der Text, welchen Umfang hat er,<br />
was regelt er, wo befindet er sich jetzt?<br />
3. Berichten Sie langsam den Tatbestand.<br />
4. Welche Personen sind betroffen?<br />
5. Welches Verfahren ist vorgesehen?<br />
6. Welche Rechtsfolgen werden angeordnet?<br />
7. Schildern Sie die dabei als selbstverständlich vorausgesetzte Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung,<br />
Staats- und Gerichtsverfassung.<br />
8. Welchen heutigen Rechtsgebieten kann man Tatbestand und Rechtsfolgen <strong>zu</strong>ordnen?<br />
9. Nennen Sie die entsprechenden Normen des StGB<br />
10. ... und des BGB.<br />
11. Halten Sie die Regelung für angemessen oder für unangemessen?<br />
12. Ist die Vorschrift eher kasuistisch oder eher abstrakt formuliert?<br />
13. Sehen Sie es als einen Vor- oder einen Nachteil an, daß die von uns heute getrennten straf- und zivilrechtlichen<br />
Tatbestände in den alten Rechten gar nicht oder jedenfalls nicht so scharf getrennt waren wie heute?<br />
7. Jahreszahlen<br />
Um 3000 Hochkulturen in Ägypten und Mesopotamien (heute: Irak) Hieroglyphen und Keilschrift<br />
Um 1700 König Hammurabi von Babylon, Codex Hammurabi<br />
KAPITEL 3. BIBLISCHES RECHT<br />
Der Beitrag, den das antike Judentum, vermittelt durch das Christentum, für das moderne Recht geleistet hat, ist<br />
neben all' den anderen Einflüssen, aus denen sich die Menschen die heutige Rechtsordnung gebildet haben,<br />
schwer für sich <strong>zu</strong> erfassen, kann aber im folgenden nachgewiesen werden. Deswegen wird auf das Recht des<br />
Alten Testaments ziemlich ausführlich eingegangen. Dieses wirkte dann in zwei verschiedenen Richtungen weiter,<br />
indem es <strong>zu</strong>m einen das mittelalterliche und moderne jüdische Recht und <strong>zu</strong>m anderen das Recht des Christentums,<br />
welches wiederum eine der Wurzeln der modernen westlichen Rechtsordnungen ist, hervorgebracht hat.<br />
1. Recht der Thora<br />
Die Thora (der Juden) umfasst den wichtigsten Teil des Alten Testaments (der Christen), nämlich die fünf Bücher<br />
Moses, den (griechisch) sogenannten Pentateuch. Das Recht der Thora hat seine unmittelbare Bedeutung für<br />
die Juden in aller Welt und schließlich auch im heutigen Staat Israel (neben anderen Gesetzen) behalten. Es hat<br />
<strong>zu</strong>dem über mehrere Wege im Mittelalter, insbesondere über die Theologie und das kanonische Recht, auf das<br />
europäische Recht eingewirkt.<br />
1. Allgemeine Geschichte<br />
Um 1200 ziehen Hirtenstämme aus Ägypten unter Moses nach Palästina. Sie verehren einen einzigen Gott, Jahwe<br />
(der Seiende), von dem sie sich noch nicht einmal ein Bild machen, ja, dessen Namen sie noch nicht einmal<br />
30. September 2011<br />
13
aussprechen dürfen. Sie erleben Gottes Offenbarung auf dem Berge Sinai, wo Gott seinen Bund mit ihnen<br />
schließt und ihnen die Zehn Gebote gibt. Palästina, ein kleiner Landstreifen zwischen dem Mittelmeer im Westen<br />
und den Steppen im Osten, ist ein wichtiger Weg des kulturellen und wirtschaftlichen Austauschs. Das Land<br />
ist nur während kurzer Zeit selbständig und ungeteilt. Seinen Höhepunkt erlebt das Königreich Israel um 900 unter<br />
König David und seinem Sohn Salomon. Der erste Tempel wird in Jerusalem gebaut. Danach zerbricht das<br />
Reich in zwei Teile, Israel im Norden, um 720 von den Assyrern besetzt, und Juda im Süden mit der Hauptstadt<br />
Jerusalem. 586 v. Chr. zerstört Nebukadnezar II. von Babylon Jerusalem mitsamt seinem Tempel und führt die<br />
Juden in die "babylonische Gefangenschaft". Als jedoch die Perser im Jahre 539 Babylon erobert hatten, erlaubten<br />
sie den Juden die Rückkehr, die daraufhin den zweiten Tempel in Jerusalem errichteten. Ptolemäus I. siedelt<br />
größere Bevölkerungsteile in Alexandria an. Zahlreiche Aufstände verlaufen oft erfolglos; die Bevölkerung wird<br />
immer wieder vertrieben oder verschleppt, so daß sich große Judenkolonien außerhalb Palästinas bilden. Zuletzt<br />
werden die Juden nach der römischen Eroberung im Jahre 70 n. Chr., bis nach Persien, Indien, China und Japan<br />
vertrieben. Die von den Römern nach Spanien gebrachten Juden erhalten sich teilweise in der gotischen, arabischen<br />
und wiederum christlichen Zeit bis <strong>zu</strong> ihrer Ausweisung im Jahr 1492. Auch im späteren Deutschland finden<br />
sich Juden schon <strong>zu</strong>r Römerzeit.<br />
2. Wortgebrauch<br />
Hebräer Hebräer wurde <strong>zu</strong>r Bezeichnung aller Israeliten bzw. Juden. Hebräische Sprache,<br />
Schrift und Literatur sowie hebräisches Recht ist weitgehend identisch mit der Thora,<br />
d. h. mit dem Alten Testament.<br />
Israel hebr. Gotteskämpfer (1. Mos., 32, 29), Beiname des Patriarchen Jakob, übertragen auf seine Nachkommen,<br />
das Volk Israel, <strong>zu</strong>erst die semitischen Stämme, die vom 15. bis 13. Jh. v. Chr. in Palästina<br />
eindringen. Später werden die Israeliten Juden genannt.<br />
Juda hebr. Yehudi, Gottlob, der vierte Sohn Jakobs von der Lea, Stammvater des wichtigsten israelitischen<br />
Stammes, dann Königreich Juda im Süden.<br />
Juden der ursprünglich in der Landschaft Juda beheimatete Stamm. Seit dem babylonischen<br />
Exil der Name für alle Anhänger des jüdischen Glaubens und für den über die Welt<br />
zerstreuten Rest des ehemaligen Volkes Israel.<br />
Palästina Land der Philister.<br />
3. Rechtsperioden und -bereiche<br />
Die Terminologie ist fließend. Hier werden die folgenden Ausdrücke verwandt:<br />
Biblisches Recht Die Regeln, die sich aus dem Alten Testament ergeben.<br />
Jüdisches Recht<br />
= Recht des Talmud<br />
Die Regeln, die sich im Wesentlichen aus dem Talmud ergeben, vor allem gebildet<br />
aus den Regeln des Alten Testaments und den mündlich überlieferten Bestimmungen<br />
sowie aus der späteren Rechtsauslegung und -fortbildung.<br />
Israelisches Recht Recht des heutigen Staates Israel, nur <strong>zu</strong> einem geringen Teil gebildet aus jüdischem<br />
Recht.<br />
Recht des Neuen Testaments Rechtsvorstellungen und -regeln, die sich aus der Bibel, vor allem aus dem<br />
Neuen Testament ergeben und für die Christen von Anfang an mehr oder minder<br />
verbindlich waren. Daraus folgt u. a.<br />
Kirchenrecht<br />
= kanonisches Recht<br />
Recht, das von der Kirche gesetzt wurde und im Mittelalter für große Bereiche<br />
verbindlich war, die heute, aber nicht damals, dem staatlichen Recht unterliegen.<br />
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4. Rechtsquellen<br />
Gott ist die Quelle des Rechts und richtet über jedes Verhalten. Recht, Moral und Religion sind unlösbar miteinander<br />
verschmolzen. Da das Recht von Gott selbst gegeben wurde, kann das Recht von Menschen nicht verändert,<br />
sondern nur durch Auslegung an neue Gegebenheiten angepaßt werden.<br />
Zu den ältesten Rechtsschichten gehören die Zehn Gebote (griech. Dekalog), vielleicht in der Periode der Landnahme<br />
in Palästina entstanden. Die Zusammenfassung der zehn wichtigsten Grundgedanken allen Rechts in der<br />
Form der Zehn Gebote ist eine Abstraktion weit fortgeschrittenen Grades.<br />
Die wichtigste geschriebene Rechtsquelle ist die Thora (d. h. das geschriebene Gesetz), das sind die fünf Bücher<br />
Mosis (griech. Pentateuch), der Hauptteil des Alten Testaments der Christen, entstanden um 400 v. Chr.<br />
Die hebräischen Rechtsregeln sind verwandt mit babylonischen Texten.<br />
Sie haben ihrerseits über das Christentum und das mittelalterliche Kirchenrecht die europäische Zivilisation, vor<br />
allem das Recht, in nicht unerheblicher Weise beeinflußt.<br />
5. Einzelne rechtliche Vorstellungen und Regeln<br />
(1) Am wichtigsten ist die außerordentlich große Bedeutung, die schon im Alten Testament der Gerechtigkeit<br />
und dem Gesetz <strong>zu</strong>gewiesen wird: Gott ist der Gott der Gerechtigkeit, das unerreichbare Vorbild für den<br />
Menschen. Seine Hauptfunktion ist die des Gesetzgebers, Richters und Vollstreckers seiner Gesetze. Die<br />
letzte Manifestation der fürchterlichen Gerechtigkeit ist das Jüngste Gericht.<br />
DaDamit hängt der strenge Gehorsam <strong>zu</strong>sammen, den der Mensch Gottes Geboten schuldet. Denn man ist allgemein<br />
der Überzeugung, daß dasVolk Israel nur dann überleben wird, wenn es Gottes Gebote bis ins einzelne<br />
befolgt.<br />
Die Orientierung an Gesetz und Gerechtigkeit führt aber auch <strong>zu</strong> einem außerordentlichen Gesetzesvertrauen.<br />
Daraus erklärt sich wiederum das unermüdliche Studium des göttlichen Gesetzes, um seine Anweisung<br />
genau <strong>zu</strong> verstehen und daraufhin <strong>zu</strong> beachten.<br />
(2) Der Umstand, daß Gott den Menschen nach seinem Bilde schuf, wie es in der Bibel heißt, begründet die<br />
menschliche Würde.<br />
(3) Derselbe Umstand, ebenso wie die Einheit der Menschheit bis <strong>zu</strong>m sagenhaften Turmbau <strong>zu</strong> Babel und wie<br />
das alle Menschen treffende Jüngste Gericht, begründen die Gleichheit aller Menschen<br />
(4) Die Vorstellungen von Gesetzesgehorsam und Gesetzesvertrauen begründen die individuelle Verantwortung.<br />
Mit dieser hängt auch die Bedeutung subjektiver Faktoren im Recht wie Vorsatz und Fahrlässigkeit,<br />
guter Glaube und Irrtum <strong>zu</strong>sammen.<br />
(5) Infolgedessen ist das Alte Testament voller Regeln, die wir heute dem Strafrecht <strong>zu</strong>ordnen würden, und voller<br />
Geschichten über den Verstoß gegen derartige Regeln und deren Bestrafung - beginnend mit dem Sündenfall<br />
und dem Brudermord von Kain und Abel.<br />
(6) Andererseits schließt Gott mit den Menschen wiederholt einen Vertrag - in den Überset<strong>zu</strong>ngen häufig<br />
„Bund“ oder eben auch „Testament“genannt, dessen Erfüllung von beiden Seiten erwartet wird. Außerdem<br />
enthalten die Geschichten des Alten Testaments eine Fülle von Verträgen in der Art von Kauf, Pacht, Arbeit,<br />
Darlehen und Bürgschaft.<br />
(7) Eigentum wird als eine wichtige Rechtseinrichtung vorausgesetzt. Eigentum und Wohlstand als solche werden<br />
im Alten Testament nicht abgelehnt und werden gegen Diebstahl und Raum durch Strafandrohung gesichert.<br />
Salomons Sprüche verbieten den Neid. Sie sind die materielle Grundlage für die individuelle Existenz.<br />
Der Wohlstand ist Zeichen des göttlichen Segens eines frommen Lebenswandels. Wohlstand ist die<br />
30. September 2011<br />
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notwendige Grundlage für Hilfeleistung für Bedürftige. Infolgedessen wird Armut nicht positiv,sondern eher<br />
als ein Zeichen für Gottes’ Mißfallen gedeutet.<br />
(8) Das Alte Testament lobt und fordert die Arbeit, schon beginnend im Paradies.<br />
(9) Im Alten Testament wird wiederholt <strong>zu</strong> sozialem Verhalten - altmodisch formuliert: <strong>zu</strong>r Nächstenliebe -<br />
aufgerufen. Sie ist gerade<strong>zu</strong> eine der Rechtfertigungen für den Wohlstand einzelner. Zum Alten Testament<br />
gehört etwa das Verbot, von dem Stammesbruder Zins <strong>zu</strong> nehmen (wenn auch verbunden mit der Erlaubnis,<br />
von Ausländern Zinsen <strong>zu</strong> verlangen) 6<br />
. Eine soziale Absicht liegt auch dem Sabbat und dem Jubeljahr, in<br />
dem die israelischen Schuldsklaven freigelassen wurden, <strong>zu</strong> Grunde.<br />
(10) Wie gesagt, veranlaßt der geschuldete Gesetzesgehorsam das lebenslange Studium und dann auch die Diskussion<br />
der Gesetze.<br />
6. Heutige Bedeutung<br />
Die Zehn Gebote haben die Vorstellung einer Rechtskodifikation gestärkt. Besonders wichtig sind die hohe Bedeutung<br />
der Gerechtigkeit mit dem Vertrauen auf den gerechten Gott, die <strong>zu</strong>m modernen Rechtsstaat (Art. 19 IV<br />
und 20 III GG), <strong>zu</strong>r gegenwärtigen Verrechtlichungstendenz und gerade<strong>zu</strong> <strong>zu</strong> einer Rechtsgläubigkeit führt. Die<br />
in der Schöpfungsgeschichte beschriebene Gottähnlichkeit des Menschen begründet seine Würde (Art. 1 I und<br />
79 III GG). Weitere Bedeutung haben die im Christentum befindlichen subjektiven Elemente für das Recht erlangt.<br />
Nicht <strong>zu</strong>letzt hat das Arbeitsethos, das bereits in der Schöpfungsgeschichte und danach mehrfach <strong>zu</strong>m<br />
Ausdruck kommt, über das Christentum in die vormoderne und moderne Zeit hineingewirkt. Wichtig ist außerdem<br />
das im Alten Testament angelegte und im Neuen Testament voll entfaltete Liebesgebot, das <strong>zu</strong> den Wurzeln<br />
des modernen Sozialstaates (Art. 20 I GG) gehört. Damit verbunden ist das Friedensgebot, das sich heute als<br />
Verbot des Angriffskrieges im Völkerrecht wiederfindet (vgl. Art. 26 GG). Außerdem sind viele Einzelregeln in<br />
das mittelalterliche Recht übernommen worden. Obwohl alle diese Gedanken oft mißachtet oder pervertiert wurden,<br />
ist es wahrscheinlich, wenn auch nicht sicher, daß ohne hebräisches und christliches Recht sich das moderne<br />
Recht und die moderne Gesellschaft anders entwickelt hätten.<br />
7. Textbeispiel. Zehn Gebote<br />
2. Mos. 20, 2 - 17. 13. Du sollst nicht morden. 14. Du sollst nicht ehebrechen. 15. Du sollst nicht stehlen.<br />
16. Du sollst kein falsches Zeugnis ablegen gegen deinen Nächsten.<br />
8. Fragen <strong>zu</strong>m Textbeispiel<br />
1. Wer hat - der Bibel <strong>zu</strong>folge - diese Regeln aufgestellt?<br />
2. Handelt es sich um religiöse oder um juristische Regeln oder ist diese Unterscheidung hier un<strong>zu</strong>treffend?<br />
3. Würde man diese Regeln dem Strafrecht oder eher dem Zivilrecht <strong>zu</strong>ordnen, was spricht hier gegen diese<br />
Unterscheidung ?<br />
4. Ist der Tatbestand genau? Suchen Sie die Parallelen im geltenden Recht auf.<br />
5. Mit welcher Sanktion ist <strong>zu</strong> rechnen?<br />
6. Charakterisieren Sie den Sprachstil.<br />
9. Jahreszahlen<br />
Ab 1500 v. Chr. Eindringen der israelitischen Stämme in Palästina<br />
um 1200 Aus<strong>zu</strong>g von Teilen der Stämme aus Ägypten unter Mose, 10 Gebote<br />
um 900 König David, Nachfolger sein Sohn Salomo, Höhepunkt hebräischer Macht,<br />
erster Tempel<br />
danach Zerfall in Südreich (Juda, Hauptstadt Jerusalem)<br />
und Nordreich (Israel, wechselnde Hauptstädte).<br />
6<br />
Ex. 22, 24; Deut. 23,20 - 21; Lev. 25, 35 - 38.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
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586 Zerstörung Jerusalems und des Tempels durch Nebukadnezar II. von Babylon<br />
"Babylonische Gefangenschaft" der Juden.<br />
539 Perser erobern Babylon, erlauben den Juden die Rückkehr,<br />
Errichtung des zweitenTempels,<br />
aber persische Herrschaft über Palästina,<br />
dann makedonische, syrische, römische Herrschaft (63)<br />
Um 33 n. Chr. Kreuzigung Jesu.<br />
70 Zerstörung Jerusalems durch die Römer.<br />
KAPITEL 4. JÜDISCHES RECHT, INSBES. TALMUD, MITTELALTER<br />
1. Allgemeine Geschichte<br />
Schon in der Antike wurden die Juden mehrfach aus ihrem Land vertrieben, und teilweise verließen sie es freiwillig,<br />
um andernorts ihren Lebensunterhalt <strong>zu</strong> suchen. So gelangten sie in verschiedene Teile des römischen<br />
Reichs. Sie erlitten schon damals Judenfeindschaft und, vor allem <strong>zu</strong>r Zeit des Sieges<strong>zu</strong>ges des Christentums, -<br />
verfolgungen. Kaiser Justinians Corpus Juris Civilis von 533 n. Chr. sah Sonderregeln ihnen gegenüber vor.<br />
Dennoch war im Wesentlichen das Zusammenleben ungestört.<br />
Anfang des Mittelalters war das Zusammenleben von Juden und Christen für beide Seiten vorteilhaft und friedlich.<br />
Besonders früh hatten sich viele im Rheinland niedergelassen. Sie unterlagen nur wenigen Beschränkungen<br />
und konnten auch Landwirtschaft und Handwerk betreiben. Sie leisteten einen ganz wesentlichen Beitrag <strong>zu</strong>r<br />
Ausbildung der Stadt-, Wirtschafts- und Handelsstruktur. Vor allem durch Kreditvergabe, durch Kreditaufnahmen<br />
und Zinszahlungen und durch Abgabenleistungen stellten sie einen erheblichen Finanzfaktor dar. Von den<br />
deutschen Territorien aus zog ein Teil von ihnen nach Osteuropa (Aschkenasim), andere verbreiteten sich von<br />
Spanien und Portugal aus in den Mittelmeerraum (Sephardim).<br />
2. Verfolgungen<br />
Große Judenverfolgungen insbesondere im Kaiserreich, in Frankreich und England beginnen mit den Kreuzzügen<br />
(1096) und gelangen <strong>zu</strong> einem Höhepunkt mit der Pestseuche, dem Schwarzen Tod (1348 - 1350).<br />
Die Motive für die Verfolgungen seit dem Mittelalter sind Vorurteile, gezieltes Ablenken politisch-sozialer Un<strong>zu</strong>friedenheit<br />
auf diese Minderheit und die „Habgier der Christen“ (so ein christlicher Chronist des Mittelalters).<br />
Die Vorurteile sind <strong>zu</strong> einem Teil theologisch begründet, da ihr Volk als das der Mörder Christi gilt und da sie<br />
den Messias nicht anerkennen wollen. Dann werden ihnen der Mord unschuldiger Christenkinder (Ritualmord),<br />
die Schändung des christlichen Abendmahls (Hostienfrevel) und Brunnenvergiften angedichtet. Wucher wird ihnen<br />
vorgeworfen. Schließlich heißt es an vielen Orten, sie würden mit dem jeweiligen Feind <strong>zu</strong>sammenwirken.<br />
Wenig verändert hört man derartige Vorurteile noch im zwanzigsten Jahrhundert.<br />
3. Rechtliche Stellung<br />
Das mittelalterliche Recht verlangte vor allem die strikte Trennung von Juden und Christen durch das Verbot der<br />
Mischehe, die Anordnung besonderer Kleidung der Juden und die Einrichtung von Ghettos. Kirche und Kaiser<br />
lehnten jedoch Verfolgungen und Zwangstaufen ab, wenn sich auch diese immer wieder ereigneten. Die Kaiser<br />
versahen die Juden mit besonderen Privilegien und Schutzbriefen, für die sie eine Gebühr verlangten, woraus<br />
sich im Laufe der Jahrhunderte das sogenannte Judenregal, besonders große Steuerbelastungen und der Leibzoll<br />
für Juden entwickelten. Die Juden unterlagen nur in eingeschränkter Weise dem mittelalterlichen Zinsverbot, sie<br />
genossen sogar besondere juristische Vorrechte bei Pfandgeschäften. Eines der Hauptprobleme bestand darin,<br />
daß sie in vielen Gebieten gar nicht oder nur in beschränkter Zahl <strong>zu</strong>gelassen waren. Sehr viele Städte und Territorien<br />
(z. B. auch Brandenburg-Preußen) erließen bis in das 18. Jahrhundert besondere Judenordnungen.<br />
30. September 2011<br />
17
4. Rechtsgeschichte allgemein<br />
Die Juden halten an ihrem Recht wie an ihrem Glauben immer und überall fest. Die intensive Beschäftigung mit<br />
ihrem Recht in nahe<strong>zu</strong> allen Schichten und Gruppen während ihrer ganzen Geschichte ist gerade<strong>zu</strong> ein Charakteristikum<br />
der Juden.<br />
Nach jüdischer Auffassung enthalten die Zehn Gebote und überhaupt die Thora nur einen Teil des von Gott gegebenen<br />
Rechts. Ein weiterer Teil soll in der ungeschriebenen, mündlichen Überlieferung enthalten sein. Thora<br />
und mündliche Überlieferung wurden besonders in den Jahrhunderten um die Zeitenwende überall, vor allem in<br />
Lehrhäusern, diskutiert und später im Talmud aufgezeichnet.<br />
An den Talmud knüpfen wiederum religiöse, ethische und juristische Werke des Mittelalters an. Die frommen<br />
Juden richten ihr Leben nach den Lehren, die sie im Talmud und in diesen Werken finden. In Zweifelsfällen erteilen<br />
seit dem Mittelalter und bis heute besonders angesehene Lehrer Rechtsgutachten.<br />
In vielem sind jüdisches und westlich-modernes Recht ähnlich, vor allem in der Berufung auf das geschriebene<br />
Recht, in dem Erfordernis eines intensiven Studiums des Rechts und - wie schon gezeigt wurde - in vielen<br />
Punkten der ethischen und rechtlichen Grundlagen der Zivilisation. In wesentlichen Punkten unterscheiden sie<br />
sich jedoch. Vor allem ist bemerkenswert, daß nach jüdischer Auffassung Religion, Ethik, Recht und einfache<br />
Sitte nicht <strong>zu</strong> scheiden sind, während für das westlich-moderne Recht die Trennungen erheblich sind.<br />
5. Insbesondere der Talmud<br />
Die mündliche Überlieferung und die an Überlieferung und Thora anknüpfende Lehre wurden um 500 n. Chr. im<br />
Talmud (d. h. die Belehrung und das Lernen) gesammelt. Da die jüdischen Lehrhäuser in Babylon und in Palästina<br />
besonders angesehen waren, wurde der Talmud in zwei Fassungen erstellt, als Babylonischer und als Jerusalemer<br />
Talmud. Umfassender ist der Babylonische Talmud, er wird heute als verbindlich angesehen.<br />
Der Talmud ist kein abstrakt-systematisches Lehrwerk, sondern eine Sammlung von religiösen, ethischen und<br />
rechtlichen Anordnungen und ausführlichen Diskussionsberichten, historischen und medizinischen Ausführungen,<br />
erbaulichen Betrachtungen, Gleichnissen und Legenden. Der Talmud ist also kein Religionsbuch oder Gesetzeskodex,<br />
sondern eher eine Enzyklopädie des jüdischen Wissens und Denkens der ersten Jahrhunderte n. Z.<br />
6. Textbeispiel. Talmud 7<br />
Auch dieser Rechtstext erschließt sich nicht ohne weiteres, sondern verlangt eingehendes Studium. Versuchen<br />
Sie es!<br />
Talmud. Bawa Kamma 83 b/84 a. Gemara. Wie kann das sein? "Auge um Auge"<br />
sprach doch der Allbarmherzige. Sollte ich da nicht sagen: Wirklich das Auge? Das komme dir ja nicht in den<br />
Sinn; denn es wird gelehrt: Man könnte meinen: Wer ein Auge geblendet hat, dem blendet man ein Auge, wer<br />
eine Hand abgehauen hat, dem haut man eine Hand ab, wer einen Fuß zerbrochen hat, dem zerbricht man einen<br />
Fuß, so besagt doch der Text: "Wer einen Menschen schlägt" und: "Wer ein Tier erschlägt". Wie derjenige, "der<br />
ein Tier erschlägt", <strong>zu</strong> Ersatzleistungen verpflichtet ist, so ist auch derjenige, "der einen Menschen schlägt", <strong>zu</strong><br />
Ersatzleistungen verpflichtet. Wenn du aber etwas dagegen sagen wolltest, siehe, so sagt doch die Schrift:<br />
"Nehmt kein Lösegeld für das Leben eines Mörders, der schuldig ist <strong>zu</strong> sterben!" Für das Leben eines Mörders<br />
also darfst du kein Lösegeld nehmen, wohl aber sollst du Lösegeld nehmen sogar für die hauptsächlichen Gliedmaßen,<br />
die nicht wiederher<strong>zu</strong>stellen sind.<br />
[...] Es wird gelehrt: Rabbi Dostai, Jehudas Sohn, sagt: "Auge um Auge" bezieht sich auf Geldentschädigung. Du<br />
sagst: Es bezieht sich auf Geldentschädigung? Aber vielleicht ist es nicht so, sondern es bezieht sich wirklich<br />
auf das Auge? Aber siehe, was willst du sagen, wenn das Auge des einen groß war und das Auge des andern<br />
klein ist? Wie soll ich in diesem Fall das "Auge um Auge" anwenden?<br />
7<br />
Aus: Ebel-Thielmann, Rechtsgeschichte, Bd. 1, S. 18 - 20.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
18
[...] Es wird gelehrt: [...] Aber siehe, was willst du sagen, wenn da ein Blinder war, der blendete, ein Verstümmelter,<br />
der verstümmelte, ein Lahmer, der lähmte? Wie soll ich in diesem Fall das "Auge um Auge" aufrechterhalten,<br />
da doch die Weisung sagt: "Ein einziges Recht soll für euch gelten", das gleiche Recht soll für euch alle<br />
gelten?<br />
[...] Es wird gelehrt: Rabbi Elieser sagt: "Auge um Auge" - das ist wirklich gemeint. Ist das wirklich gemeint?<br />
Was kommt dir in den Sinn! Sollte sich Rabbi Elieser gegen alle diese Mischnalehrer stellen? Rabba sagte: Das<br />
besagt, daß man ihn nicht als Sklaven einschätzen soll. Abbaje sagte <strong>zu</strong> ihm: Wie soll man diesen sonst einschätzen?<br />
Etwa als Freien? Ein Freier hat doch keinen Geldwert. Nein, Raw Aschi sagte: Das besagt, daß man es<br />
nicht beim Geschädigten einschätzen soll, sondern beim Schädiger.<br />
7. Fragen <strong>zu</strong>m Textbeispiel<br />
1. Welcher Text ist der Ausgangspunkt der Überlegungen?<br />
2. Welches Ergebnis wird von den Interpreten gesucht? Warum?<br />
3. Welcher Name wird Gott in diesem Text gegeben, warum?<br />
4. Zeigen Sie an diesem Text die wörtliche Auslegung, die Auslegung contra legem, das argumentum e<br />
contrario und das argumtentum ad absurdum.<br />
5. Wie wird in diesem Text mit dem Prinzip umgegangen, das auch dem römischen Recht bekannt ist, daß ein<br />
Freier keinen Geldwert hat, corpus liberi non habet pretium?<br />
6. Welche Bedeutung hat in diesem Text der Gleichheitssatz?<br />
7. Welche Tendenzen des jüdischen Rechts liegen diesem Text <strong>zu</strong> Grunde?<br />
8. Welche entsprechenden Regelungen kennt das moderne Zivilrecht?<br />
8. Die großen Lehrer: Raschi und Maimonides<br />
Raschi wurde 1040 in Troyes (Nordfrankreich) geboren und starb dort im Jahre 1105 und hatte anfangs auch in<br />
Worms Talmudstudien betrieben. Er gehört <strong>zu</strong> den berühmtesten Erklärern der Bibel und des Talmud. Sein<br />
Kommentar wird auch heute noch in den üblichen Talmudausgaben mitabgedruckt.<br />
Maimonides (abgekürzt RaMBaM), geboren 1135 in Cordoba (Spanien), mußte in islamischer Zeit mehrfach emigrieren<br />
und ließ sich schließlich in Ägypten nieder, wo er Leibarzt des Sultans Saladin und seines Sohnes<br />
wurde. Er verfaßte einen großen Kommentar („Sirag“, Mischna-Kommentar), einen weiteren Religionskodex<br />
(„Mischne tora“), in dem er den gesamten Stoff des Talmuds systematisch ordnete, <strong>zu</strong>sammenfaßte und erläuterte,<br />
noch ein religionsphilosophisches Werk („Führer der Schwankenden“), das wesentlich auf den Werken des<br />
Aristoteles fußt. Er starb 1204 (sein Grabmal steht noch heute in Tiberias). Seine Schriften haben auch die christlichen<br />
Denker seiner Zeit, vor allem Thomas von Aquin, beeinflußt und gehören <strong>zu</strong> den Grundlagen heutiger jüdischer<br />
Anschauungen.<br />
KAPITEL 5. RECHT DES NEUEN TESTAMENTS<br />
Das Denken, Rechtsbewußtsein und Handeln der frühen Christen wird in den meisten historischen Darstellungen<br />
nicht besonders thematisiert, obwohl von christlichem Abendland und christlichen Parteien ständig die Rede ist.<br />
Trotz Kriegen und Bürgerkriegen, Kapitalismus und Ausbeutung der <strong>Dr</strong>itten Welt ist das Christentum in seinen<br />
verschiedenen Erscheinungen ein wesentlicher Faktor der europäischen Gesellschaft. Wichtige Vermittler zwischen<br />
Christentum und Gesellschaft waren im Mittelalter die in jeder Hinsicht große christliche Kirche, die<br />
Theologie und das damals für alle (ausgenommen die Juden und die, von ihnen unterschiedenen, Ungläubigen)<br />
verbindliche Kirchenrecht, das kanonische Recht.<br />
1. Allgemeine Geschichte<br />
Das Christentum erhebt sich auf dem Boden der jüdischen Religion als Erfüllung der dort gegebenen Weissagungen.<br />
In der Auseinanderset<strong>zu</strong>ng mit vielen heidnischen Religionen und Philosophien hält es den Monotheismus<br />
und den Glauben an einen unsichtbaren Gott, an den bereits in Menschengestalt erschienenen Messias und<br />
30. September 2011<br />
19
die leibliche Auferstehung aufrecht. Nach den Christenverfolgungen, insbesondere unter Diokletian, und dem<br />
Toleranzedikt Konstantins wird es als Staatsreligion anerkannt, während die anderen Kulte verfolgt werden.<br />
2. Rechtsgeschichte und Bedeutung für das moderne Recht<br />
Die beiden Grundlagen des Christentums sind das jüdische Recht und die Lehren Christi. Charakteristisch sind<br />
Gottes Liebe <strong>zu</strong> den Menschen und die Vergebung der Sünden, verbunden mit dem Gebot der Nächstenliebe unter<br />
den Menschen. Die Nächstenliebe spielt in den Lehren (insbesondere in der Bergpredigt) und Gleichnissen<br />
(die Arbeiter im Weinberg, der barmherzige Samariter, Lazarus) eine hervorgehobene Rolle. Die Kirche mußte<br />
sich als praktisch notwendig erweisen und die Bedürfnisse des Alltags in einer für jedermann einsichtigen Weise<br />
befriedigen. Zu den von ihr betriebenen Einrichtungen gehörten mithin nicht nur Kultgebäude, sondern, wie es<br />
ein Kaisergesetz beispielhaft aufzählte: "Kirchen, Klöster, Krankenhäuser, Hospitäler und Waisenhäuser 8<br />
." Der<br />
Kirche fielen die ihrer Barmherzigkeitspredigt entsprechenden Aufgaben <strong>zu</strong>. Deshalb übernahm die Kirche entsprechende<br />
Staatsfunktionen, wie Preiskontrolle und Konsumentenschutz. Ihr stand in diesen Rechtsfragen nicht<br />
nur die Rolle einer geduldeten Fürsprecherin <strong>zu</strong>. Sie hatte vielmehr feste Rechte im Staat und verfügte, im doppelten<br />
Sinne des Wortes, über das notwendige Vermögen, um ihre Aufgaben <strong>zu</strong> erfüllen 9<br />
. Das Humanitätsideal<br />
mit der Achtung vor Wert und Würde des Menschen wirkten sich also vielfältig in der Praxis des Alltags aus.<br />
Damit verbunden ist die christliche Suche nach Frieden. Die Christen predigten, daß der Frieden weder auf jüdische<br />
Weise (strenge Erfüllung aller Gesetzesvorschriften), noch auf römische (durch militärische und juristische<br />
Befriedung) endgültig <strong>zu</strong> erreichen sei. Frieden sei nur <strong>zu</strong> haben, wenn jemand erlittenes Unrecht als sinnvoll ertrage,<br />
den eigenen Rechtsstandpunkt opfere und Unrecht nicht erwidere 10<br />
.<br />
Der Gemeinde der einfachen Leute entspricht das Gleichheitsprinzip, gesteigert <strong>zu</strong> dem Satz, daß die Letzten die<br />
Ersten sein werden. Da die Kirche ihre Anhänger unter den einfachen Leuten suchte, machte sie, ebenfalls gestützt<br />
auf die Bibel, aus der Arbeit eine Tugend mit der Maxime, "wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen".<br />
Wichtig ist <strong>zu</strong>m einen der Gedanke, daß Gott in die Herzen sieht und daß weder die nur äußerliche Vornahme<br />
der Zeremonien, noch die guten Werke allein ausreichen. Daher stammen die Bedeutung des individuellen Gewissens<br />
und psychologischer Elemente im Recht, z. B. Treu und Glauben (hier wird aber auch arabischer Einfluß<br />
eine Rolle gespielt haben), Absicht, Vorsatz, Fahrlässigkeit, Irrtum etc.<br />
Andererseits führen die Ausbreitung der Religion unter der römischen Beset<strong>zu</strong>ng und die Mission unter anderen<br />
Völkern <strong>zu</strong> der Trennung von Kirche und Staat bzw. Recht: "Gebt dem Kaiser was des Kaisers ist und Gottes<br />
was Gottes ist", dies im Gegensatz <strong>zu</strong>r jüdischen Religion. Die Abspaltung des Christentums vom Judentum ist<br />
eine der Ursachen für die Judenfeindschaft der Christen.<br />
7. Jahreszahlen<br />
1. Jh. Kreuzigung Jesu; Missionsreisen des Paulus<br />
284 - 305 Kaiser Diokletian, Christenverfolgungen<br />
313 Kaiser Konstantin, Toleranzedikt von Mailand<br />
391 Christentum wird Staatsreligion.<br />
KAPITEL 6. DEMOKRATIE UND RECHTSDENKEN DER GRIECHEN<br />
Die Griechen gaben die Leistungen des Orients an den Westen weiter. Vor allem kann der eigentlich griechische<br />
Einfluß auf die römische Zivilisation nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die griechische Logik und Rechts-<br />
8<br />
9<br />
10<br />
Codex Iust. 1, 2, 17.<br />
H. Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, 2. Aufl., Heidelberg 1992, S. 115.<br />
Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 106 f.<br />
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20
philosophie wirkten in der Antike auf das Denken der Römer (vor allem Cicero), im Mittelalter auf die Scholastik<br />
(vor allem Thomas von Aquin) und in der Neuzeit auf die Naturrechtslehren des 17. und 18. Jahrhunderts<br />
(vor allem Grotius und Pufendorf). Der heutige Gebrauch von Wörtern griechischer Herkunft im Staatsrecht, in<br />
der Politik, in der Soziologie und Philosophie zeigt die Fortdauer des griechischen Einflusses bis heute.<br />
1. Allgemeine Geschichte und Verfassungsgeschichte<br />
In Athen sind die "drakonischen" Gesetze <strong>Dr</strong>akons und die Rechtsreform Solons um 600 v. Chr. von Bedeutung.<br />
Sie schränken die Macht des Adels ein, heben die Leibeigenschaft an griechischen Schuldnern auf (die Sklaverei,<br />
insbes. an Kriegsgefangenen, bleibt) und fördern die Wirtschaft.<br />
2. Griechische Demokratie<br />
Aristoteles beschreibt in seiner Schrift über den "Staat der Athener" die Entwicklung der athenischen Verfassung<br />
bis <strong>zu</strong> den Verhältnissen seiner eigenen Zeit: Im 7. Jh. wird es erforderlich, daß in Kriegen nicht mehr allein die<br />
Adligen, sondern das ganze Volk geschlossen kämpft. Neben die Landwirtschaft treten Gewerbe und Handel<br />
(Münzprägung um 650) mit einem gewerblichen Mittelstand. Eine allgemeine Rechtspflege, unterstützt durch<br />
Rechtskodifikationen (namentlich <strong>Dr</strong>akon und Solon), beseitigt adlige Fehde und Rechtswillkür. Für Kriegsdienst<br />
und Steuern, Wahlen und Gesetzesbeschlüsse in der Volksversammlung (Ecclesia) und Geschworenengerichte<br />
sowie für die Staatsämter teilt Solon die Bürger nach ihrem Grundbesitz und mobilen Vermögen in vier<br />
Klassen mit unterschiedlichen Rechten und Pflichten ein. Minderbemittelten Bürgern wird unter Perikles die<br />
Teilnahme am politischen Leben durch Tagegelder und Amtsbesoldung ermöglicht. Ein Rat (Boulé) von 400,<br />
später 500 Mitgliedern leitet die Verwaltung und entwirft die Gesetze. Der Areopag, besetzt mit früheren Oberbeamten<br />
(Archonten), übt die Verfassungsaufsicht und die Mordgerichtsbarkeit aus. Überhaupt ist die vielfältige<br />
Differenzierung der Gerichtsbarkeit auffällig. Volksvertreter, Beamte und Richter werden durch das Los bestimmt<br />
oder gewählt. Mißliebige Bürger werden durch das Scherbengericht (Ostrakismus) verbannt. Aber Sklaven,<br />
Halbfreie und Fremde, Frauen und Kinder sind von den politischen Entscheidungen ausgeschlossen.<br />
3. Kann man überhaupt von "Staaten" in der Antike und im Mittelalter sprechen?<br />
Was macht den "Staat" aus?<br />
Es ist heute kontrovers, ob man von einem "Staat" in vormoderner Zeit sprechen darf. <strong>Dr</strong>ei Haupt-Theorien <strong>zu</strong>m<br />
modernen "Staat":<br />
1. "Organisation der hoheitlichen Macht eines Volkes".<br />
2. <strong>Dr</strong>ei-Elemente-Lehre: "Staatsvolk, Staatsgebiet, Staatsgewalt".<br />
"Der Staat ist<br />
1. die politische Einheit einer Gemeinschaft von Menschen<br />
(nicht identisch mit Volk oder Nation schlechthin),<br />
2. die in einem bestimmten Gebiet (mit festen Grenzen) seßhaft sind,<br />
3. unter einer obersten Gewalt, ausgestattet mit Kontinuität,<br />
<strong>zu</strong>r Erfüllung des Staatszwecks organisiert sind".<br />
3. Verschiedene Integrationslehren, insbes. von Rudolf Smend (1882 - 1975, 1928).<br />
Staat als "geistige" Realität der Bürger und Staatsorgane,<br />
in einem längeren Prozeß der Integration entwickelt,<br />
in ständigem Prozeß der Erneuerung am Leben gehalten.<br />
4. Rechtsdenker und Rechtsdenken im Athen des 5. und 4. Jh. v. Chr.<br />
Die griechischen Philosophen suchen nach der Erkenntnis des richtigen Rechts und nach dem Zusammenhang<br />
zwischen Recht und Macht. Sokrates (470 - 399) gilt als der Begründer der attischen Philosophie, hat keine<br />
Schriften hinterlassen, sondern belehrte seine Mitbürger auf Straßen und Plätzen. Er unterwarf die überlieferten<br />
Meinungen eindringlichen Fragen und meinte, die individuelle Einsicht bringe das rechte Handeln hervor. Den-<br />
30. September 2011<br />
21
noch müsse der Bürger auch ungerechte Gesetze und Richtersprüche befolgen. Wegen angeblicher Gotteslästerung<br />
und Verführung der Jugend wurde er <strong>zu</strong>m Tode (durch Trinken des Giftbechers) verurteilt.<br />
Im 4. Jh. v. Chr. entwirft Platon Pläne für den idealen Staat, und Aristoteles stellt Beobachtungen über Staatsfunktionen<br />
und -formen sowie deren Veränderungen an. Nach seiner Auffassung ist der Mensch von Natur aus<br />
auf das Zusammenleben mit anderen angewiesen. Seine Lehren gehören <strong>zu</strong> den Fundamenten des neuzeitlichen<br />
Naturrechts (16. - 18. Jh. n. Chr.), auf dem das moderne Verfassungsrecht und die moderne Rechtsphilosophie<br />
aufbauen.<br />
Platon (428/427 - 349/348), Verfasser der Dialoge u. a. über den "Staat" (Politeia), den "Staatsmann" (Politikos)<br />
und die "Gesetze" (Nomoi), leitet das Wesen des Staates aus dem Wesen des Menschen ab, "weil jeder von uns<br />
... vieler bedürftig ist", kommt damit (in der Politeia) <strong>zu</strong>r Arbeitsteilung und schließlich <strong>zu</strong>r Gliederung des Staates<br />
in den Erwerbsstand , sowie in den Krieger- und Herrscherstand, diese beiden bei völliger Gleichberechtigung<br />
der Frauen und mit Güter-, Frauen- und Kindergemeinschaft. Platon sieht jedoch in seinen späteren Nomoi<br />
die Wahl der Regierung durch die Volksversammlung und die Herrschaft im Rahmen von Grundgesetzen vor.<br />
Wenn die Wesensprinzipien des Staates verletzt werden, zerfällt er durch Revolution oder durch äußeren Anstoß,<br />
wie in der Zyklentheorie dargelegt 11<br />
.<br />
Aristoteles (384 - 322), hat seine Rechts- und Staatsphilosophie vor allem in der Nikomachischen Ethik, der Politik<br />
und dem Verfassungenvergleich (darunter der "Staat der Athener") niedergelegt, weitere Schriften betreffen<br />
Metaphysik, Logik und Rhetorik sowie Naturwissenschaften. Da der Mensch ein geselliges Wesen (Zoon politikón)<br />
sei, erreiche er seine vollkommene Entfaltung erst im Staat. Infolgedessen sind nur solche Staatsformen gerecht,<br />
die auf den gemeinsamen Nutzen aller Bürger hinzielen. Das staatliche Recht sei entweder "natürlich", d.<br />
h. von der Natur des Menschen vorgegeben, daher allen Menschen gemeinsam und überall gültig. Oder das staatliche<br />
Recht sei "gesetzlich", indem es allein auf den positiven Gesetzen eines bestimmten Staates beruhe.<br />
Die Gerechtigkeit sei austeilend, "distributiv", geometrisch, indem sie jedem gerade soviel an Ehren <strong>zu</strong>teilt, wie<br />
er im Rahmen des Staates <strong>zu</strong> beanspruchen hat. Oder die Gerechtigkeit sei ausgleichend, arithmetisch, indem sie<br />
allen das Gleiche <strong>zu</strong>teilt, insbesondere beim Austausch im Geschäftsverkehr, bei der Wiedergutmachung von<br />
unerlaubten Schädigungen und im Strafrecht, da der Richter alle Personen gleichbehandeln muß. Im Dienste der<br />
Gerechtigkeit steht auch die Billigkeit. Aristoteles hatte eine überragende Bedeutung in der griechischen und<br />
römischen Antike, im arabischen und christlichen Mittelalter und in der Neuzeit.<br />
5. Textbeispiel I. Zweck des Staates nach Aristoteles<br />
Aristoteles, Politik, III 9 - 10, 1280 b 29 - 1281 a 16 12<br />
. [...] Offensichtlich ist also der Staat nicht bloß eine Gemeinschaft<br />
des Ortes und um einander nicht <strong>zu</strong> schädigen und um des Handels willen. Sondern dies sind nur<br />
notwendige Vorausset<strong>zu</strong>ngen, wenn es einen Staat geben soll; aber auch wenn all das vorhanden ist, ist noch<br />
kein Staat vorhanden, sondern dieser beruht auf der Gemeinschaft des edlen Lebens in Häusern und Familien um<br />
eines vollkommenen und selbständigen Lebens willen.<br />
Freilich kann dies nicht <strong>zu</strong>stande kommen, wo man nicht an demselben Orte wohnt und keine Ehegemeinschaft<br />
hat. Und so gibt es in den Staaten Verschwägerungen und Brüderschaften und Opferfeste und Formen des geselligen<br />
Lebens. Das ist das Werk der Freundschaft. Denn der Wille, <strong>zu</strong>sammen<strong>zu</strong>leben, ist Freundschaft.<br />
Ziel des Staates ist also das edle Leben, und jenes andere ist um dieses Zieles willen da. Und der Staat ist die<br />
Gemeinschaft der Geschlechter und Dorfgemeinden um des vollkommenen und selbständigen Lebens willen.<br />
Dieses endlich ist, wie wir betonen, das glückselige und edle Leben. Man muß also die politischen Gemeinschaften<br />
auf die edlen Handlungen hin einrichten und nicht bloß auf das Beisammenleben. Wer darum <strong>zu</strong> einer solchen<br />
Gemeinschaft am meisten beiträgt, der hat auch einen größern Anteil an dem Staate als jene, die an Freiheit<br />
und Abkunft gleich oder sogar überlegen sind, aber an politischer Tugend weniger besitzen, oder jene, die an<br />
11<br />
12<br />
K.R. Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 1, Der Zauber Platons, utb/München 1977.<br />
Aristoteles, Politik, übersetzt und hersg. von O. Gigon, dtv/München 1973.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
22
Reichtum hervorragen, an Tugend aber <strong>zu</strong>rückstehen. Offensichtlich haben also jene, die über die Verfassungsformen<br />
diskutieren, nur einen Teil der Gerechtigkeit im Auge.<br />
10. Gefragt wird nun, was das Entscheidende im Staate sein soll: die Menge, die Reichen, die Anständigen, der<br />
Eine, der der beste von allen wäre, oder der Tyrann? All das scheint Schwierigkeiten <strong>zu</strong> haben. Denn wenn die<br />
Armen <strong>zu</strong>folge ihrer Mehrzahl den Besitz der Reichen aufteilen, ist dies nicht ungerecht? Und doch schien es<br />
dem entscheidenden Teile in der Tat gerecht. [...]<br />
6. Ergän<strong>zu</strong>ng <strong>zu</strong>m Textbeispiel I. Staatszwecke<br />
1. Zweck. Sicherheit<br />
2. Zweck. Wohlfahrt, Daseinsvorsorge<br />
3. Zweck. Rechtsstaat<br />
4. Zweck. Vollkommenheit<br />
7. Textbeispiel II. Billigkeit nach Aristoteles<br />
Aristoteles, Nikomachische Ethik, V 14, 1137 b 10 - 1138 b 28 13<br />
. Die Schwierigkeit kommt daher, daß das Billige<br />
zwar ein Recht ist, aber nicht dem Gesetze nach, sondern als eine Korrektur des gesetzlich Gerechten. Die Ursache<br />
ist, daß jedes Gesetz allgemein ist, in einigen Dingen aber in allgemeiner Weise nicht korrekt gesprochen<br />
werden kann. Wo man allgemein reden muß, dies aber nicht angemessen tun kann, da berücksichtigt das Gesetz<br />
die Mehrzahl der Fälle, ohne über diesen Mangel im unklaren <strong>zu</strong> sein. Dennoch geht es richtig vor. Denn der<br />
Fehler liegt weder im Gesetz noch beim Gesetzgeber, sondern in der Natur der Sache. Die Materie des Handelns<br />
ist nämlich von vornherein von dieser Art.<br />
Wenn also nun das Gesetz allgemein spricht, dabei ein Fall eintritt, der dem Allgemeinen widerspricht, so ist es,<br />
soweit der Gesetzgeber allgemein formulierend eine Lücke läßt, richtig, dies <strong>zu</strong> verbessern, wie es ja auch der<br />
Gesetzgeber selbst getan hätte, wenn er dabei gewesen wäre; und wenn er diesen Fall gewußt hätte, hätte er ihn<br />
ins Gesetz aufgenommen. Daher ist das Billige ein Recht und besser als ein gewisses Recht, nicht als das Recht<br />
im allgemeinen, sondern als der Mangel, der entsteht, weil das Gesetz allgemein spricht.<br />
Dies ist also die Natur des Billigen, eine Korrektur des Gesetzes, soweit es auf Grund seiner Allgemeinheit mangelhaft<br />
ist. Dies ist auch die Ursache davon, daß nicht alles gesetzlich geregelt wird, da man über einige Dinge<br />
unmöglich Gesetze geben kann; da bedarf es denn besonderer Beschlüsse.<br />
8. Jahreszahlen<br />
Um 600 Bürgerkriegssituation in Athen,<br />
darum Gesetzgebungen <strong>Dr</strong>akons (621) und Solons (594)<br />
mit bedeutenden Rechtsreformen<br />
5. und 4. Jh. am Anfang die Kriege gegen die Perser (480 - 470)<br />
Philosophie: Sokrates (470- 399), Platon (427 - 347) und Aristoteles (384 - 322/21)<br />
Klassische Kunst: Tempelbau und Bildhauerei;<br />
Tragödien: Aischylos, Sophokles, Euripides;<br />
Geschichtsschreibung: Herodot und Thukydides;<br />
am Ende der Peloponnesische Krieg zwischen den griech. Staaten (431 - 404)<br />
Alexander d. Gr. (Herrscher 336 - 323)<br />
215 Übergreifen Roms nach Griechenland.<br />
13<br />
Aristoteles, Die Nikomachische Ethik, übersetzt von O. Gigon, dtv/München 1972.<br />
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VIERTER TEIL<br />
RÖMISCHE GESCHICHTE UND VERFASSUNG<br />
KAPITEL 1. PERIODEN DER RÖMISCHEN RECHTSGESCHICHTE<br />
Man kommt in etwa <strong>zu</strong> folgender Einteilung für die Perioden des römischen Rechts:<br />
1. Altrömisches und vorklassisches Recht<br />
1. Königszeit, 753 bis 510 v. Chr., Gewohnheitsrecht und Königsgesetze, leges regiae.<br />
2. Republik, 510 v. Chr. bis 27 v. Chr.<br />
Bis 3. Jh. v. Chr. Zwölf Tafeln und weitere Gesetze und Plebiszite,<br />
später auch Senatusconsulte.<br />
Jüngere Republik, ab 3. Jh. bis 27 v. Chr. bis um Chr. Vorklassisches Recht.<br />
Jetzt werden die Grundlagen des römischen Privatrechtssystems gelegt. Im letzten Jahrhundert v.<br />
Chr., das ist das letzte Jahrhundert der Republik, erscheinen die Juristen Q. Mucius Scaevola 14<br />
und<br />
Publius Alfenus Varus sowie der vielseitige Politiker und Schriftsteller Marcus Tullius Cicero. Die<br />
vorklassische Rechtsperiode geht über in die frühklassische.<br />
2. Klassisches Recht, Prinzipat, 0 bis 200 n. Chr.<br />
1. Frühklassisches Recht<br />
Zu Beginn des Prinzipats setzt sich die Rechtsentwicklung im frühklassischen Recht fort.<br />
2. Hochklassisches Recht<br />
Die hochklassische Periode wird etwa mit Celsus und Iulian erreicht.<br />
3. Spätklassik<br />
Die Spätklassik endet im Wesentlichen mit Papinian, Paulus und Ulpian.<br />
3. Nachklassische Entwicklungen, etwa 200 n. Chr. bis 533<br />
Die klaren Differenzierungen des klassischen Rechts (z. B. zwischen Verpflichtung und Verfügung, Eigentum<br />
und Besitz) und die scharfsinnigen Lösungen der klassischen Juristen werden abgebaut. Einflüsse aus<br />
den nicht-römischen Rechten, insbesondere aus dem griechisch-sprachigen Bereich, und vielleicht auch aus<br />
dem Christentum werden in das römische Recht übernommen.<br />
Manche Rechtswissenschaftler sprechen heute von einem Vulgarrecht, das sich dann breitgemacht habe.<br />
4. Justiniansches Recht, 533 n. Chr.<br />
Charakterisiert durch die von Kaiser Justinian angeordnete und von seinem „Minister“ Tribonian durchgeführte<br />
Kodifizierung.<br />
5. Byzantinisches Recht, aber 1453 Eroberung Konstantinopels durch die Türken.<br />
14<br />
Behrends, in: Juristen, hrsg. v. M. Stolleis, S. 444, s. v. Mucius.<br />
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24
6. Wiederentdeckung und Bearbeitung des römischen Rechts seit etwa 1050 n. Chr., Irnerius, Bologna,<br />
Verbreitung, sogenannte Rezeption, des römischen Rechts nördlich der Alpen,<br />
vor allem im Hl. Römischen Reich Deutscher Nation, etwa 12. - 16. Jh.<br />
KAPITEL 2. GESCHICHTE UND VERFASSUNG ROMS<br />
Die römische Verfassung der Republik und dann die des Prinzipats diente wiederholt im europäischen Mittelalter<br />
und in der Neuzeit als Orientierung: Das heilige römische Reich deutscher Nation mit dem Kaiser an der<br />
Spitze sah sich als Nachfolge der römischen Institutionen. Kleine und große Fürsten nahmen seit dem Mittelalter<br />
für sich in Anspruch, wie der römische Princeps nicht an die Gesetze gebunden <strong>zu</strong> sein, legibus solutus. Napoleon<br />
erklärte sich <strong>zu</strong>erst wie ein Römer der Republik <strong>zu</strong>m Ersten Konsul und dann, in der mittelbaren Nachfolge<br />
der römischen Kaiser, selbst <strong>zu</strong>m Kaiser, Imperator / Empereur.<br />
1. Königszeit<br />
Aus Sagen, archäologischen Funden und Rückschlüssen aus späteren Einrichtungen weiß man mit einer gewissen<br />
Sicherheit folgendes: Seit etwa 1000 v. Chr. ist das Gebiet der späteren Stadt auf den (sieben) Hügeln und<br />
bald auch in dem dazwischen liegenden Gelände besiedelt. Es werden Landwirtschaft und Handel am Übergang<br />
über den Tiber-Fluß betrieben. Die Einzelsiedlungen werden nach sagenhafter Überlieferung durch Romulus und<br />
Remus im Jahre 753 <strong>zu</strong> einem Gemeinwesen verbunden und dann von sieben etruskischen Königen beherrscht.<br />
Mit der Stadtgründung, ab urbe condita, a. u. c., beginnt eine der römischen Jahresrechnungen.<br />
Zu den Verfassungseinrichtungen gehört, wie vielerorts in der Antike, ein von den Familien-Ältesten (senex<br />
- alt) gebildetes Gremium, der Senat. Neben ungeschriebenem Recht gab es Gesetze der Königszeit, leges<br />
regiae. 510 v. Chr. werden die Könige gestürzt und die Republik wird errichtet.<br />
2. Republik<br />
Die Römer sprechen von ihrem Staat als der öffentlichen Angelegenheit, Res publica. Sie sehen Senat und Volk<br />
Roms, Senatus Populusque Romanus, SPQR, für entscheidend an.<br />
Die Mitglieder des Senats werden vom Zensor berufen, ursprünglich nur Patrizier, später auch Plebejer. Bei der<br />
Berufung werden vor allem die gewesenen Konsuln und Praetoren sowie die übrigen Magistrate berücksichtigt.<br />
Eine eigentliche „Gesetzgebungskompetenz“ im engen Sinne steht dem Senat zwar nicht <strong>zu</strong>. Aber für bestimmte<br />
Wahl- und Gesetzesbeschlüsse der Volksversammlung 15<br />
ist die Zustimmung des Senats, die auctoritas patrum,<br />
erforderlich. Vor allem hat der Senat die Aufgabe, die Beamten (so wie vorher den König) <strong>zu</strong> beraten, consilium<br />
<strong>zu</strong> erteilen; in der Praxis hatten diese „Ratschläge“ oder „Gutachten“ verbindliche Kraft, ähnlich wie ein Gesetz<br />
oder eine Verordnung. Das waren die Senatus consulta, z. B. Sc. Macedonianum oder Sc. Vellaeanum. Daher<br />
werden in den Rechtsquellenkatalogen der Kaiserzeit, z. B. des Gaius, die Senatus consulta als Rechtsquellen<br />
aufgeführt. Das ist gerade für das Zivilrecht besonders wichtig. Der Senat ist weiter <strong>zu</strong>ständig für die Außenpolitik,<br />
die Kriegsführung und die Finanzen. Allmählich erhält der Senat auch eine Zuständigkeit für die Strafgerichtsbarkeit.<br />
In der Kaiserzeit jedoch wird ein Teil seiner Bedeutung vom Princeps übernommen.<br />
Die Volksversammlung (in der Formation von Comitia) beschließt die Gesetze und wählt die Beamten.<br />
An der Spitze stehen als die höchsten Beamten, Magistratus (vgl. magis - mehr), die Konsuln, sie sind auch<br />
die obersten Heerführer. In der Ämterhierarchie folgen die vor allem für die Rechtsprechung <strong>zu</strong>ständigen Praetoren.<br />
Danach kommen die Aedilen, die für die allgemeine "Polizei", für Straßen und Märkte, und damit auch für<br />
die Marktpolizei und Marktgerichtsbarkeit <strong>zu</strong>ständig sind. In ihrem Edikt, dem Aedilen-Edikt, ordnen sie u. a.<br />
die Sachmängelhaftung für Sklaven- und Zugtiere an. Eine Stufe tiefer stehen die für Geldangelegenheiten <strong>zu</strong>ständigen<br />
Quaestoren.<br />
15<br />
Comitia centuriata, anscheinend nicht für Tributkomitien, sicher nicht für Plebsversammlungen.<br />
30. September 2011<br />
25
Volkszählung, Zusammenset<strong>zu</strong>ng des Senats und Sittenaufsicht sind Angelegenheiten der Zensoren, die gewissermaßen<br />
außerhalb der normalen Ämterhierarchie stehen.<br />
Zwischen dem Adel, den Patriziern, und dem Rest der Bevölkerung, den Plebejern, bricht nach der Vertreibung<br />
der Könige, <strong>zu</strong> Beginn der Republik, der Ständekampf aus, vor allem weil die Plebejer für den Kriegsdienst unentbehrlich<br />
sind und wahrscheinlich auch, weil sie durch Gewerbe und Handel eine erhebliche Wirtschaftmacht<br />
erlangt haben. Die Plebejer schließen sich in eigenen Versammlungen, in den Concilia plebis (beachten Sie den<br />
Unterschied <strong>zu</strong>m consilium, pl. consilia, Beratungsgremium), <strong>zu</strong>sammen, fassen eigene verbindliche Beschlüsse,<br />
die Plebis scita, und wählen eigene Beamte, die Tribuni plebis und die Aediles plebis. Das Concilium plebis hatte<br />
also die gleichen Funktionen wie die Comitia.<br />
Die Volkstribunen nehmen gegen jede Handlung eines Beamten das Recht des Einschreitens, intercessio, in Anspruch<br />
(Veto - ich verbiete). Der Ausgleich zwischen Patriziern und Plebejern erfolgt im Laufe von zwei<br />
Jahrhunderten: Das Zwölf-Tafel-Gesetz etwa von 449 bringt Rechtssicherheit, Rechtsgleichheit und Rechtshumanisierung.<br />
Die Leges Liciniae Sextiae von 367/366 ermäßigen die Schuldenlast, legen (<strong>zu</strong>r Beschränkung adliger<br />
Macht und zwecks wirtschaftlicher Gleichheit) eine Höchstgrenze für den Besitz an erobertem Feindesland<br />
(Ager publicus) fest und eröffnen den Plebejern den Zugang <strong>zu</strong> den höchsten Staatsämtern.<br />
Die Macht der römischen Oberbeamten ist erheblich, wie durch die Rutenbündel (fasces für die Prügelstrafe) mit<br />
dem Beil (für die Todesstrafe, außerhalb der Stadt Rom) demonstriert wird. Die Macht ist dadurch begrenzt, dass<br />
die Beamten von Wahlen abhängig sind, jede Funktion mehrfach besetzt ist, gleichrangige und höhere Beamte<br />
sowie die Volkstribunen das Widerspruchsrecht, intercessio, haben, ihre Amtszeit nur ein Jahr dauert, Wiederwahl<br />
erst nach einem bestimmten zeitlichen Intervall möglich ist, gegen gewisse Entscheidungen die Volksversammlung<br />
angerufen werden kann, Provocatio ad populum, sie vor Gericht <strong>zu</strong>r Verantwortung gezogen werden<br />
können und weil sie einer Kontrolle durch den Senat unterliegen.<br />
Die Römer befolgen die Maxime: Wenn du den Frieden willst, rüste dich für den Krieg - Si vis pacem,<br />
para bellum. Sie unterwerfen <strong>zu</strong>erst Italien. Seit dem 3. Jh. v. Chr. greifen sie nach Spanien, Nordafrika, Griechenland,<br />
Kleinasien und großen Teilen des Nahen Ostens einschließlich Palästinas und Ägyptens aus. Die Bewohner<br />
nördlich der Alpen, Germanen und Gallier, werden von den Römern, endgültig von Caesar, in schweren<br />
Kämpfen seit dem 2. Jh. v. Chr. unterworfen. So kommt es zwar tatsächlich <strong>zu</strong>m Imperium Romanum, das in<br />
Provinzen eingeteilt wird, aber verfassungsrechtlich bleibt es vorerst bei den alten Einrichtungen der städtischen<br />
Republik.<br />
Die Stadt Rom wird <strong>zu</strong> einer Großstadt. In der Landwirtschaft, im Gewerbe und Handel nehmen Großbetriebe<br />
überhand und verdrängen mit ihrer Sklavenarbeit den freien bäuerlichen und gewerblichen Mittelstand.<br />
Dem besitzlosen Proletariat stehen die wohlhabenden Nobiles der alten Familien und die neureichen Equites gegenüber.<br />
Reformversuche der Brüder Tiberius Sempronius Gracchus und Gaius Sempronius Gracchus scheitern.<br />
Das Jahrhundert vor Christi ist weiterhin durch Kriege innerhalb und außerhalb Italiens bestimmt und <strong>zu</strong>dem<br />
durch Bürgerkriege zwischen römischen Gruppen erschüttert. Die Republik geht mit Gaius Iulius Caesar, ermordet<br />
44 v. Chr., unter.<br />
3. Prinzipat<br />
Oktavian beendet die Bürgerkriege. Vom Senat mit dem Ehrennamen "Erhabener", Augustus, ausgezeichnet,<br />
stellt er die Verfassung der Republik wieder her, so dass ihre Einrichtungen, insbes. Senat und republikanische<br />
Magistrate wie z. B. das Konsulat immer erhalten bleiben, wenn sie auch an Bedeutung verlieren. Er erreicht mit<br />
verfassungsrechtlichen Besonderheiten (z. B. Übernahme der Funktionen des Konsuls (Imperium consulare),<br />
Prokonsuls (Imperium proconsulare) und Volkstribuns (Tribunicia potestas) die Herrschaft eines einzigen Her-<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
26
vorragenden, des Princeps, und begründet damit das Kaiserreich. Seitdem bestehen die alten, allmählich inhaltsleeren<br />
republikanischen Einrichtungen und die moderne kaiserliche Verwaltung nebeneinander.<br />
Um die großen Juristen in die politische Geschichte ein<strong>zu</strong>ordnen, mag eine chronologische Liste der Kaiser und<br />
der Juristen von Nutzen sein:<br />
Augustus 27 v. Chr. Labeo<br />
bis 14 n. Chr. Capito<br />
Tiberius 14 - 37 Proculus; Sabinus, Cassius<br />
Gaius Caligula<br />
Claudius<br />
Nero<br />
Vespasian<br />
Titus<br />
Domitian<br />
Nerva<br />
Trajan 98 - 117 Celsus (bis unter Hadrian)<br />
Hadrian 117 – 138 Iulian<br />
Antoninus Pius 138 - 161 Pomponius; Gaius<br />
Mark Aurel<br />
L. Verus<br />
Commodus<br />
Septimius Severus 193 - 198 Papinian<br />
Antoninus Caracalla 198 - 217 Paulus, Ulpian<br />
Die Privatrechtswissenschaft erlebt in den beiden ersten Jahrhunderten n. Chr. ihre höchste Entfaltung, so dass<br />
man heute vom „klassischen römischen Recht“ spricht.<br />
Die Kaiser dehnen das Reich weiter aus. Doch bald setzt der Zerfall ein, der vor allem durch Diokletian (284 -<br />
305) und Konstantin d. Gr. (324 - 337) aufgehalten wird. Das Reich spaltet sich (395) in Westrom und Ostrom<br />
auf. Das früher verfolgte Christentum wird <strong>zu</strong>r Staatsreligion. Germanen dringen in das Reich ein, plündern im<br />
5. Jh. die Stadt Rom und setzen 476 den letzten weströmischen Kaiser ab. Der byzantinische Kaiser Justinian I.<br />
führt in erfolgreichen Kriegen rings um das Mittelmeer noch einmal das ganze römische Reich <strong>zu</strong>sammen. Teil<br />
seiner Restaurationspolitik ist 533 die Kodifikation des römischen Rechts. 1453 wird Byzanz/Konstantinopel<br />
von den Mohammedanern erobert.<br />
4. Wissenschaftsgeschichte: Theodor Mommsen<br />
Theodor Mommsen hat das römische Verfassungsrecht aus den verstreuten Bemerkungen der römischen Schriftsteller<br />
gewissermaßen erst rekonstruiert. Er war überhaupt der bedeutendste deutsche Historiker, geb. 1817 in<br />
der Nähe von Schleswig, gest. 1903 in Charlottenburg. <strong>Prof</strong>essor in <strong>Berlin</strong>.<br />
Abgeordneter der Nationalliberalen Partei im preußischen Landtag und im Reichstag. Herausgeber des Corpus<br />
Iuris Civilis. Sein berühmtestes, mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnetes Werk ist die "Römische Geschichte".<br />
Nach wie vor unersetzt ist auch sein "Römisches Strafrecht".<br />
5. Was ist eigentlich eine Verfassung?<br />
30. September 2011<br />
27
1. Bedeutung: Tatsächliche Daseinsweise eines Staates.<br />
2. Bedeutung: System der höchsten Normen des Staates.<br />
3. Bedeutung: Wertordnung.<br />
4. "Formeller Verfassungsbegriff", das einzelne Verfassungsgesetz,<br />
einfach <strong>zu</strong> bestimmen nach formalen Merkmalen.<br />
5. M. E. heute Kombinations-Theorien für moderne Verfassungen1.<br />
6. Rechtsmaximen<br />
Auctoritas, non veritas facit legem. Macht, nicht Wahrheit macht das Gesetz.<br />
Salus publica suprema lex esto. Das Wohl des Staates sei höchstes Gesetz.<br />
Suum cuique. Jedem das Seine.<br />
Ubi ius, ibi remedium. Wo ein Recht ist, da ist ein Mittel.<br />
Ubi societas, ibi ius. Wo Gesellschaft, dort Recht.<br />
Videant consules, Die Konsuln sollen sehen, dass der Staat keinen Schaden nehme.<br />
ne quid res publica (Wortlaut der Notstandsermächtigung des Senats<br />
detrimenti capiat. für die Höchstbeamten, äußerster Senatsbeschluß =<br />
senatus consultum ultimum - letzter Senatsbeschluß).<br />
7. Ausdrücke (z. T. griechischer Herkunft)<br />
adsessor Berater eines hohen Beamten<br />
Anarchie Herrschaftslosigkeit<br />
Aristokratie Adelsherrschaft<br />
Asyl Freistatt<br />
Autarkie wirtschaftliche Unabhängigkeit<br />
Autonomie Unabhängigkeit<br />
bellum iustum, iniustum der gerechte, der ungerechte Krieg<br />
bellum omnium contra omnes Krieg aller gegen alle (Th. Hobbes)<br />
civilis bürgerlich<br />
civis Bürger<br />
classis Volksabteilung, Flottenabteilung<br />
mare liberum das freie Meer<br />
modus vivendi die Art des Zusammenlebens<br />
natio Volksstamm, Abstammung<br />
officium Pflicht, Amtspflicht<br />
pax Friede<br />
plebs, -bis (f.) Volk (ohne die Patrizier)<br />
populus Staatsvolk (mit Patriziern und Plebejern)<br />
praeses oberster Provinzstatthalter; daher: Präsident<br />
privilegium Vorrecht<br />
publicus, -a, -um öffentlich<br />
universalis weltumfassend, allgemein<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
28
Inst. 1, 2, pr.; I. 1, 2, 1; I. 1, 2, 2 am Anfang.<br />
Naturrecht Inst. Iust. 1, 2 pr. + 11<br />
FÜNFTER TEIL<br />
RECHTSQUELLEN 16<br />
KAPITEL 1. NATURRECHT = IUS NATURALE<br />
KAPITEL 2. ZIVILRECHT = IUS CIVILE<br />
ius civile Inst. Iust. 1, 2, 1 + 2 + 10 + 11<br />
Der Begriff des ius civile hat verschiedene Bedeutungen, entsprechend verschiedenen Entwicklungsschichten:<br />
- Recht nur für Römer / im Gegensatz <strong>zu</strong>m ius gentium, das auch für Nichtrömer, peregrini, galt,<br />
weil die römischen Bürger sich auch Quirites nannten, sprachen sie auch von ius Quiritium;<br />
- altes Recht / im Gegensatz <strong>zu</strong>m ius honorarium, das vom Praetor in seinem Edikt gesetzt wurde,<br />
daher auch ius praetorium.<br />
Zum ius civile in beiden Bedeutungen gehören<br />
- die Formalakte, die ausdrücklich das Bürgerrecht anrufen, ex iure Quiritium,<br />
z. B. mancipatio und in iure cessio,<br />
- Rechtsgeschäfte mit sakralem Be<strong>zu</strong>g, wie die sponsio (deswegen für Nichtrömer die stipulatio),<br />
- Ehe, matrimonium, und<br />
Erbschaft, hereditas.<br />
Quellen des ius civile<br />
- alte Gesetze, vor allem die XII-Tafeln, und Plebiszite, z. B. die lex Aquilia<br />
(NICHT: Senatusconsulta, Edikte, Kaisererlasse, Rechtswissenschaft),<br />
- sonstiges altes Recht.<br />
- Zum ius civile rechneten die Römer in der klassischen Zeit<br />
auch die Konsensualkontrakte (Kauf, locatio conductio, Gesellschaft und Auftrag),<br />
obwohl diese schon sehr lange sowohl für Römer als auch für Ausländer benutzbar waren.<br />
Rechtswissenschaftliche Behandlung des ius civile<br />
- Quintus Mucius Scaevola, einer der bedeutendsten Juristen der republikanischen Zeit,<br />
und Massurius Sabinus, einer der bedeutendsten Juristen der frühklassischen Periode,<br />
verfassten die ersten Werke <strong>zu</strong>m ius civile.<br />
16<br />
Spätere Juristen verfassten auf der Grundlage dieser Werke ihre Bücher <strong>zu</strong>m ius civile.<br />
Daher kommt es, dass libri ad Quintum Mucium oder ad Sabinum<br />
die Institutionen des ius civile behandeln. Autoren u. a. Pomponius, Paulus und Ulpian<br />
Zum „Aufbau der Rechtsordnung“: Dulckeit/Schwarz/Waldstein, RRG, 9. A., § 22.<br />
30. September 2011<br />
29
KAPITEL 3. RECHT FÜR RÖMER UND NICHTRÖMER<br />
1. Weitgehend in Antike und MA "Personalitätsprinzip".<br />
Da "Personalitätsprinzip": das römische Recht<br />
1. für römische Bürger in der Stadt Rom.<br />
2. Ganz Italien nach dem Bundesgenossenkrieg (90 - 88 v. Chr.) römisches Bürgerrecht.<br />
3. Schließlich im gesamten Imperium Romanum nach einem Edikt des Kaisers Antoninus Caracalla von<br />
212 n. Chr. Diese constitutio Antoniniana verlieh allen freien Reichsangehörigen das Bürgerrecht und<br />
erstreckte damit theoretisch die Anwendung des ius civile und überhaupt des gesamten römischen<br />
Rechts auf diese alle.<br />
2. Der Nichtrömer, peregrinus,<br />
1. konnte am eigentlichen ius civile nicht teilhaben<br />
(Ausnahmen:<br />
- er war als Römer aufgenommen worden, d. h. er hatte das römische Bürgerrecht erlangt,<br />
- oder ihm war das commercium, d. h. die Gleichordnung mit römischen Bürgern<br />
für Privatrechtsgeschäfte, verliehen worden,<br />
- und/oder ihm war das conubium, d. h. das Recht einer Ehe nach römischem Recht,<br />
<strong>zu</strong>gestanden worden.)<br />
2. Unter Nichtbürgern galt im Wesentlichen deren Recht,<br />
unter den Angehörigen verschiedener Rechtsgemeinschaften römisches ius gentium.<br />
3. Einzelne Rechtsbereiche des römischen Rechts (außerhalb des ius civile) auch für Nichtrömer<br />
1. ius gentium Inst. Iust. 1, 2, 1: dieses galt, nach römischer Auffassung, gleichzeitig<br />
sowohl für römische Bürger als auch für peregrini, Inst. 1, 2, 1 a. E.<br />
(Ein besonderes „Fremdenrecht“, ausschließlich für Ausländer, gab es eigentlich nicht.).<br />
2. Einrichtungen, institutiones, des den Römern vorbehaltenen ius civile<br />
wurden Ausländern im Prozess eröffnet durch die Fiktion in der Formel,<br />
„wenn er römischer Bürger wäre“, si civis esset,<br />
z. B. bei der Diebstahlsklage, a. furti, oder der Klage wegen Sachbeschädigung aus der lex Aquilia.<br />
3. Es wurde ein Praetor speziell für Rechtsstreitigkeiten mit Ausländern eingesetzt,<br />
der Praetor peregrinus (im Jahre 242).<br />
4. In Provinzen<br />
weitgehend Fortgeltung des ursprglichen Rechts,<br />
insbes. hellenistisches Recht im Osten (Ägypten), "Volksrechte" (Mitteis).<br />
Römisches Recht ("Reichsrecht") wurde nicht aufgezwungen.<br />
Dennoch bestand eine "verfassungsrechtliche"<br />
"Normenhoheit" der römischen Staatsgewalt für die Provinzen,<br />
z. B. leges provinciae f einzelne Provinzen,<br />
edictum provinciale für jeweils bestimmte einzelne Provinz 17<br />
.<br />
5. Einige Rechtsregeln ausdrückl nur auf Italien beschränkt, z. B. <strong>zu</strong>r Bürgschaft.<br />
Hinsichtl Grundstücken: quiritisches Grundeigentum (mancipatio):<br />
beschränkt im Wesentl auf fundus Italicus.<br />
17<br />
Zum edictum provinciale ein Kommentar des Gaius in den justinianischen Digesten; außerdem Briefe Ciceros.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
30
Name "Italia" ganz ursprüngl nur Südspitze des heutigen Kalabriens,<br />
allmähl ausgedehnt, ganze Halbinsel wohl bei Plautus (3. Jh., um 250 v. Chr. geb.).<br />
Im Norden bis <strong>zu</strong> Caesar Rubico als Grenze;<br />
Einbeziehung Gallia Transpadana als letzte der 11 Regionen Italiens durch Caesar (41 v. Chr.).<br />
KAPITEL 4. AMTSRECHT = IUS HONORARIUM 18<br />
Honor = Ehre, Ehrenamt.<br />
Daher ius honorarium = das von den Amtsträgern, Praetoren oder Aedilen, geschaffene Recht,<br />
daher auch ius praetorium; besonders das Ediktsrecht.<br />
Vor allem die Praetoren haben das Recht weiter entwickelt, in dem sie neue Klagansprüche, actiones, einführten,<br />
Einreden, exceptiones, schufen oder schutzbedürftige Parteien durch Wiedereinset<strong>zu</strong>ng in den vorigen<br />
Stand, restitutio in integrum, schützten. Derartige Einrichtugen ergänzten oder änderten sogar das ius civile, nach<br />
den Worten Papinians<br />
D. 1, 1, 7, 1. Praetorisches Recht ist das Recht, das die Praetoren im öffentlichen Interesse zwecks Unterstüt<strong>zu</strong>ng<br />
oder Ergän<strong>zu</strong>ng oder Verbesserung des ius civile eingeführt haben.<br />
Die Erörterung des Amtsrechts erfolgt in den Kommentaren <strong>zu</strong>m Edikt, ad edictum,<br />
ebenfalls von Pomponius und Gaius, Paulus und Ulpian.<br />
KAPITEL 5. GEWOHNHEITSRECHT UND POSITIVES RECHT<br />
Inst. Iust. 1, 2, 3 + 9.<br />
Von Anfang an sind Religion und Recht scharf geschieden. Das älteste Recht ist Gewohnheitsrecht, z. B. die<br />
Macht des Hausvaters, Pater familias, über Ehefrau, Abkömmlinge und Sklaven.<br />
Rechtsquellenkatalog I. 1, 2, 3.<br />
KAPITEL 6. POSITIVES RECHT<br />
Inst. Iust. 1, 2, 4.<br />
Das Gesamtvolk, der Populus romanus, beschließt in Volksversammlungen, Comitia, in sehr förmlichen Verfahren<br />
Gesetze, leges, z. B. das Zwölftafelgesetz (449), die schon genannten leges Liciniae Sextiae (367, benannt<br />
nach den Antragstellern), die lex Laetoria (oder: Plaetoria) <strong>zu</strong>m Schutz der Minderjährigen zwischen der<br />
pubertas und 25 Jahren und viele, aber weitgehend erfolglose Bodenreformgesetze, leges agrariae.<br />
Inst. Iust. 1, 2, 5<br />
Das Volk ohne die Patrizier, ist die Plebs. Sie erläßt Plebiszite, die später, im Zuge des Ausgleichs zwischen<br />
Patriziern und Plebejern, dieselbe Rechtswirkung wie Leges im eigentlichen Sinne erhalten. Z. B. ist die Regelung<br />
des Schadenersatzrechts, die lex Aquilia, ein Plebiszit, das von dem Volkstribunen Aquilius in Vorschlag<br />
gebracht worden war.<br />
Inst. Iust. 1, 2, 5.<br />
Der Senat faßt seine Senatsbeschlüsse, senatus consulta. Einige Senatusconsulta betreffen das Vermögensrecht.<br />
Wichtige Beispiele sind das Sc. Macedonianum, das bei Darlehen an Haussöhne eine Einrede, Exceptio, begründete,<br />
und das Sc. Vellaeanum, das den Frauen gegen die Klage aus Kreditsicherungsgeschäften im Interesse eines<br />
anderen eine Exceptio gewährte (<strong>zu</strong> beiden Senatsbeschlüssen s. u.).<br />
18<br />
K I § 51.<br />
30. September 2011<br />
31
Inst.Iust. 1, 2, 6.<br />
Später erlangt auch der Kaiser die Rechtsset<strong>zu</strong>ngsbefugnis nach der Rechtsmaxime: Was der princeps beschlossen<br />
hat, hat Gesetzeskraft - Quod principi placuit, legis habet vigorem. Der Oberbegriff für die kaiserlichen<br />
Rechtsakte ist der der constitutiones. Am wichtigsten sind die kaiserlichen Bescheide <strong>zu</strong> Anfragen, die Rescripta.<br />
Die Anfragen von Beamten und Körperschaften werden in Briefform, als epistula, beantwortet und in der<br />
Kanzlei ab epistulis entworfen. Im Unterschied da<strong>zu</strong> wird die Antwort auf Anfragen von Privatleuten, die libelli,<br />
auf die Anfrage selbst gesetzt. Die meisten Konstitutionen sind im Codex überliefert. Umgekehrt mochte man<br />
die Rechtsmaxime aufstellen: der Princeps sei vom Gesetz entbunden - Princeps legibus solutus, und daher<br />
wurde im Mittelalter der Ausdruck Absolutismus gebildet.<br />
I. 1, 2, 7.<br />
Die Magistrate erlassen Edikte. Besondere Bedeutung hatte das Rechtsprechungsedikt des Praetors mit Listen<br />
und Musterformeln der Klagansprüche und Einreden. Für Marktkäufe war das Aedilen-Edikt, in dem u. a. Wandlung<br />
und Minderung angekündigt wurden, relevant. Es war üblich, dass der folgende Praetor oder Aedil das Edikt<br />
seines Vorgängers übernahm und nur wenig änderte. Endgültig wurde es im 2. Jh. n. Chr. unter Kaiser Hadrian<br />
von dem großen Juristen Iulian redigiert. Seitdem kann man vom immerwährenden Edikt, dem edictum perpetuum,<br />
sprechen. Das Edikt ist nicht direkt überliefert, wird aber sehr oft in den Digesten zitiert, so dass es von<br />
Otto Lenel rekonstruiert werden konnte.<br />
Der praetor, gewiss von kundigen Juristen unterstützt, hat das Recht in seinem Edikt in wesentlichen Punkten<br />
fortgebildet. Insbesondere hat er die Eigentumsübertragung durch einfache traditio rechtlich anerkannt (insbesondere:<br />
actio Publiciana) und auch sowohl das testamentarische Erbrecht als auch die Intestaterbfolge umgestaltet<br />
(insbesondere: bonorum possessio), obwohl ihm nach dem Verfassungsrecht nicht die Kompetenz <strong>zu</strong>r Änderung<br />
des überlieferten ius civile <strong>zu</strong>stand. Deswegen konnte er statt zivilen Eigentums nur das Imvermögensein,<br />
in bonis esse, und statt der hereditas nur den Vermögensbesitz, die bonorum possessio, gewähren oder schützen.<br />
Inst. 1, 2, 8.<br />
Übrigens behaupteten die Juristen, dass auch die Rechtsgutachten anerkannter Rechtslehrer, die responsa prudentium,<br />
eine Rechtsquelle darstellten. Das mag übertrieben sein.<br />
Aber richtig ist, dass System und Feinwerk des Privatrechts von den nicht beamteten Juristen stammten, da das<br />
prätorische Edikt viel <strong>zu</strong> grobmaschig und die eigentlichen Rechtsset<strong>zu</strong>ngsakte auch <strong>zu</strong> punktuell waren. Von<br />
den Juristen stammen nicht nur System und Definitionen, sondern auch die weitaus meisten Einzelregeln, die im<br />
modernen Recht z. B. in Allgemeinen Teilen niedergelegt sind.<br />
Rechtsmaximen<br />
Abusus non tollit usum. Mißbrauch hebt ein Recht nicht auf.<br />
Dura lex, sed lex. Ein hartes Gesetz, aber ein Gesetz.<br />
Fiat iustitia, (et) pereat mundus. Es walte die Gerechtigkeit, und sollte die Welt untergehen.<br />
Iustitia est constans et perpetua voluntas, Gerechtigkeit ist die ständige und ewige Suche danach,<br />
ius suum cuique tribuendum jedem das ihm Gebührende <strong>zu</strong> gewähren.<br />
Lex moneat, non doceat. Das Gesetz soll befehlen, nicht belehren.<br />
Lex posterior dérogat (legi) priori. Das spätere Gesetz geht dem früheren vor.<br />
Lex specialis dérogat legi generali. Das spezielle Gesetz geht dem generellen vor.<br />
Locus regit actum. Die Regeln des maßgebenden Orts<br />
sind maßgeblich für das Rechtsgeschäft (IPR).<br />
Quod omnes tangit, Was alle angeht, muß von allen gebilligt werden.<br />
debet ab omnibus approbari.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
32
Silent leges inter arma. Die Gesetze schweigen, wo die Waffen (sprechen).<br />
Tempus regit actum. Die Zeit beherrscht den Rechtsakt<br />
(sogenanntes intertemporales Recht).<br />
Ausdrücke<br />
constitutio kaiserliche Anordnung, Rechtsvorschrift<br />
de lege ferenda im Hinblick auf ein <strong>zu</strong> erlassendes Gesetz<br />
de lege lata nach dem jetzt bestehenden Recht<br />
derogieren (ein Gesetz) aufheben<br />
ius Recht<br />
ius honorarium Amtsrecht, vom Praetor gesetztes Recht<br />
lex Gesetz<br />
positives Recht schriftlich niedergelegtes (positus), geltendes Recht.<br />
KAPITEL 7. ÖFFENTLICHES RECHT UND PRIVATRECHT<br />
Ius privatum ist das Privatrecht /im Gegensatz <strong>zu</strong>m öffentlichen Recht, ius publicum 19<br />
.<br />
Der große römische Jurist Ulpian lehrt um 200 n. Chr., D. 1, 1, 1, 2: Öffentliches Recht ist das, was den Zustand<br />
des römischen Staats betrifft, Privatrecht das, was das Interesse der einzelnen angeht...<br />
Publicum ius est quod ad statum rei Romanae spectat, privatum quod ad singulorem utilitatem...<br />
Das öffentliche Recht spielt selbstverständlich eine große Rolle, ist aber nicht in einem System oder gar einer<br />
Art geschriebener Verfassung <strong>zu</strong>sammengefaßt.<br />
Inst. Iust. 1, 2, 12.<br />
KAPITEL 8. SYSTEM DES PRIVATRECHTS (INSTITUTIONENSYSTEM)<br />
KAPITEL 9. ÜBERLIEFERUNG<br />
Nur wenige Rechtsquellen wurden über die fast zweieinhalb Jahrtausende zwischen den 12-Tafeln und der Gegenwart<br />
direkt überliefert, manche indirekt, manche teilweise rekonstruiert:<br />
Die wichtigste aus der Antike stammende Textsammlung ist das Corpus Iuris Civilis Kaiser Justinians, bestehend<br />
aus einem Einführungstext, den Institutionen, einer Auswahl aus klassischen Juristenschriften, d. h. den<br />
Digesten, einer Sammlung von Kaisererlassen, dem Codex, und einer Sammlung neuerer Kaisergesetze, den Novellen.<br />
Weiteres da<strong>zu</strong> s. u.<br />
Das ius civile ergibt sich im Wesentlichen aus den Juristenschriften, die in den Digesten enthalten sind. Da die<br />
Juristen Quintus Mucius Scaevola, Konsul im 1. Jh. v. Chr., und Massurius Sabinus im 1. Jh. nach Chr. Werke<br />
<strong>zu</strong>m ius civile geschrieben hatte, bedeuten die Bücher späterer Juristen, die diese Werke kommentieren, Darstellungen<br />
des ius civile.<br />
Eine offizielle antike Sammlung der Leges existiert nicht 20<br />
. Auch die Plebi scita und Senatus consulta sind in ihrer<br />
Gesamtheit verschollen. Diese Rechtsset<strong>zu</strong>ngsakte sind allenfalls durch die Digesten oder durch Historikerschriften<br />
(etwa Tacitus) bekannt.<br />
19<br />
Ulp. D. 1, 1, 1, 2.<br />
30. September 2011<br />
33
Dasselbe gilt von den Edikten des Praetors und Aedils. Diese wurden aber ausgiebig von den Juristen<br />
kommentiert. An Hand der zahlreichen Libri ad edictum hat Otto Lenel eine allgemein anerkannte<br />
Rekonstruktion vorgenommen: O. Lenel, Das Edictum Perpetuum, 3. Aufl., 1927.<br />
Ein Teil der kaiserlichen Rechtsset<strong>zu</strong>ngakte ist, wie gesagt, im Codex und in den Novellen aufbewahrt und ein<br />
Teil der Gutachten der Juristen in den Digesten.<br />
Trotz der großen Zahl der verschiedenen Rechtsset<strong>zu</strong>ngsakte neben dem ius civile - von den Leges bis <strong>zu</strong> den<br />
kaiserlichern Konstitutionen - wurde das System des römischen Rechts mit seinen Begriffen, Unterscheidungen,<br />
Regeln etc. nicht von Gesetzgebern, sondern von privaten Juristen geschaffen.<br />
KAPITEL 10. DIE ZWÖLF TAFELN<br />
Das älteste Recht des römischen Volkes lebte gewissermaßen im Bewusstsein des Volkes und wurde im Rechtsstreit<br />
gefunden. Die spätere römische Literatur schrieb die ältesten elementaren Rechtseinrichtungen (Ehe, väterliche<br />
Gewalt, Gentilverband, Komitien, Senat) teils den Königen <strong>zu</strong> und spricht von leges regiae, teils nimmt sie<br />
sakrale Sat<strong>zu</strong>ngen (betreffend Opfer, Begräbnisse und sakrale Vergehen) an, die ein Oberpriester, pontifex maximus,<br />
namens Papirius schriftlich festgehalten habe und spricht vom ius Papirianum 21<br />
.<br />
Das von den Römern besonders verehrte, von den Schulkindern jahrhundertelang auswendiggelernte "Grundgesetz"<br />
bilden die Zwölf Tafeln, auch wenn diese rasch überholt wurden. Daher findet man noch in mittelalterlichen<br />
Darstellungen als Symbol für weltliches Recht die Zwölf Tafeln (neben den Zehn Geboten als Symbol für<br />
göttliches oder kirchliches Recht). Übrigens zeigt die Entstehung des Zwölf-Tafel-Gesetzes wiederum die Verbindung<br />
zwischen Politik (hier, wie öfter: Revolution) und Privatrechtsgesetzgebung.<br />
1. Entstehung<br />
Nach der Vertreibung der Könige im Jahre 510 lagen die Rechtsanwendung in den Händen der Patrizier und die<br />
Rechtsberatung in denen der Priester. Daher waren die Plebejer leicht der rechtlichen Willkür ausgesetzt. Sie<br />
forderten deswegen wiederholt die schriftliche Festlegung und Veröffentlichung des Rechts, um damit auch die<br />
Rechtsgleichheit her<strong>zu</strong>stellen und die Rechtsanwendung <strong>zu</strong> kontrollieren. Die Patrizier weigerten sich lange.<br />
Dann wurden zehn Patrizier gewählt, die Decemviri, um das Gesetz <strong>zu</strong> entwerfen und außerdem statt aller anderer<br />
Magistrate die oberste Macht im Gemeinwesen aus<strong>zu</strong>üben. Der Entwurf von zehn Tafeln wurde von der<br />
Volksversammlung, den Comitia, angenommen. Das Gesetz wurde sodann auf Tafeln öffentlich aufgestellt.<br />
Darauf habe man, so berichten die römischen Historiker, nochmals zehn Männer gewählt, die im Jahre 449 zwei<br />
weitere Gesetzestafeln verfasst, diese aber nicht der Volksversammlung vorgelegt hätten. Wegen Verfassungsbrüchen<br />
und Gewalttaten seien diese (neuen) Zehnmänner gestürzt, ihre Gesetzestafeln aber trotzdem in Kraft<br />
gesetzt worden.<br />
Funktionenteilung: das Gesetz wird entworfen von den Zehnmännern, Decemviri, beschlossen von der Volksversammlung,<br />
den Comitia, angewandt von weltlichen Beamten und Richtern, aber ausgelegt von Priestern. Das<br />
„Monopol“ der Priester wurde erst später gebrochen.<br />
20<br />
21<br />
2. Inhalt, Form und fremder Einfluss<br />
Der italienische Gelehrte G. Rotondi hat die Leges publicae populi Romani 1912 <strong>zu</strong>sammengestellt (s. unten<br />
Lit.-Verz.).<br />
K, RRG, S. 63 ff.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
34
Die Zwölf Tafeln betreffen alle Rechtsgebiete, vor allem Verfahrens- und Privatrecht, daneben Strafrecht und<br />
Polizeirecht, außerdem den religiösen Bereich.<br />
Die Gesetzgebungtechnik ist abstrakt, nicht kasuistisch. Die Sprache ist knapp.<br />
Die Zwölf Tafeln regeln die einzigen Materien nicht umfassend, sondern setzen die meisten Rechtseinrichtungen<br />
als gegeben voraus und regeln nur besonders wichtige Einzelfragen.<br />
Hauptsächlich wird man sich mit der Aufzeichnung des bestehenden Rechts begnügt und nur in verhältnismäßig<br />
wenigen Punkten Neuerungen eingeführt haben.<br />
Form und Inhalt der Kodifikation wurden wahrscheinlich vom griechischen Recht beeinflußt. Denn die römischen<br />
Historiker berichten, drei Bürger hätten in Athen die Gesetze Solons abschreiben und die Einrichtungen<br />
anderer griechischen Stadtstaaten erkunden sollen.<br />
3. Beispiele für inhaltliche Regelungen<br />
Die Zwölf Tafeln betreffen Regeln aller Rechtsgebiete, vor allem Verfahrens- und Privatrecht, daneben Strafrecht<br />
und Polizeirecht.<br />
1) Die Zwölf Tafeln beginnen mit dem Verfahrensrecht: „Wenn man jemanden vor Gericht lädt, dann muss er<br />
gehen. – Si in ius vocat, ito“ (Tafeln I und II).<br />
2) Zwangsvollstreckung (Tafel III, s. sogleich).<br />
3) Patria potestas (Tafel IV):<br />
- „Schnell ums Leben gebracht wie ein besonders missgestalteter Knabe nach den XII-T“ (Cicero).<br />
- „Wenn ein Vater seinen Sohn dreimal verkauft, soll der Sohn vom Vater frei sein - Si pater filium ter venum<br />
duit, filius a patre liber esto“.<br />
- Er befahl ihr gemäß den XII-T, ihre Sachen <strong>zu</strong> packen, nahm ihr die Schlüssel ab und wies sie aus dem<br />
Hause – Illam suam suas res sibi habere iussit“ (Cicero).<br />
4) Erbrecht etc (Tafel V):<br />
- Frauen-Tutel.<br />
- Testament / Vermächtnis: „Wie jemand hinsichtlich seines Vermögens und der Vormundschaft seiner Sache<br />
bestimmt hat, so soll es Recht sein – Uti legassit super pecunia tutelave suae rei, ita ius esto“.<br />
- Gesetzliches Erbrecht: „Wenn jemand ohne Testament stirbt und keinen Abkömmling hat, dann soll der<br />
nächste Agnat das Familiengut haben. Wenn ein Agnat nicht lebt, sollen die Mitglieder der Gens das Familienvermögen<br />
haben. - Si intestato moritur, cui suus heres nex escit, adgnatus proximus familiam habeto.<br />
Si adgnatus non escit, gentiles familiam habento“.<br />
- Forderungen und Schulden werden von Gesetzes wegen geteilt. – Nomina ipso iure divisa.<br />
5) Vermögensgeschäfte (Tafel VI)<br />
- „Wenn jemand ein Darlehens- oder Kaufgeschäft abschließt, wie er es mündlich vereinbart, so soll es gelten.<br />
- Cum nexum faciet mancipiumque, uti lingua nuncupassit, ita ius esto“.<br />
- Ersit<strong>zu</strong>ng 2 bzw 1 Jahr.<br />
- Trinoctium der Frauen.<br />
- „Eingebauten Balken ... darf man nicht losmachen. - Tignum iunctum ... ne solvito“. Stattdessen a. de<br />
tigno iuncto (schon in XII-T.).<br />
6) Nachbarrecht (Tafel VII)<br />
- Grenzregulierungsklage – a. finium regundorum.<br />
- Grenzabstände angeblich nach Solons Beispiel in Athen.<br />
- Grenzmauern, -bäume. Überfall.<br />
7) Strafrecht (Tafel VIII)<br />
- Beleidigung<br />
- Körperverlet<strong>zu</strong>ng – membrum ruptum:<br />
30. September 2011<br />
35
-- wenn keine friedlich Einigung, dann Gleiche Behandlung<br />
ni cum eo pacit, talio esto.<br />
Für die friedliche Einigung vorgesehen 300 As, wegen Sklaven 150 As.<br />
- Tierschaden - A. de pauperie.<br />
- Todesstrafe wegen nächtlichen Felddiebstahls und wegen Brandstiftung.<br />
- Sonstiger Diebstahl. Ersit<strong>zu</strong>ngsverbot einer res furtiva.<br />
- Höchstzinsen 1/12 (pro Monat? pro Jahr?)<br />
- Aber Milderung: „Wenn die Waffe der Hand mehr entflohen ist als dass der Täter sie geworfen hätte, dann wird ein Sündenbock gestellt.<br />
- Si telum manu fugit magis quam iecit, aries subicitur“.<br />
8) Beerdigung (Tafel X).<br />
4. Zweifel der heutigen Historiker<br />
Ob die Zwölf Tafeln in der Weise entstanden sind, wie vor allem Livius es berichtet, ist sehr zweifelhaft: Einerseits<br />
ist <strong>zu</strong> fragen: wie weit waren wirklich um 449 v. Chr. Verfassungsordnung, Rechtstechnik, Streitverfahren,<br />
Schrift, Geld etc so weit entwickelt, wie es später in römischer Zeit geglaubt wurde? Andererseits sprechen der<br />
Verkauf des zahlungsunfähigen Schuldners trans Tiberim, das Nachbarrecht und die strengen Strafvorschriften<br />
gegen Feldfrevel für eine bäuerliche Wirtschaftsordnung.<br />
5. Textbeispiel: Zwangsvollstreckung<br />
XII-T. 3. Satz 3. Wenn der Schuldner das Urteil nicht erfüllt oder niemand für ihn vor Gericht bürgt, soll der<br />
Gläubiger ihn mit sich führen. Er soll ihn fesseln, entweder mit einem Strick oder mit Fußfesseln von 15 Pfund,<br />
nicht mit schwereren, doch wenn er will, mit leichteren.<br />
Satz 4. Wenn der Schuldner es will, soll er sich selbst verpflegen. Geschieht das nicht, soll ihn der Gläubiger, der<br />
ihn gefesselt hält, täglich mit einem Pfund Brei versorgen. Wenn er will, soll er mehr geben.<br />
Satz 5. Es bestand jedoch das Recht, in der Zwischenzeit die Sache gütlich bei<strong>zu</strong>legen. Kam es aber nicht da<strong>zu</strong>,<br />
wurden die Schuldner 60 Tage in Haft gehalten. Innerhalb dieser Tage wurden sie an drei aufeinanderfolgenden<br />
Markttagen <strong>zu</strong>m Praetor ins Comitium gebracht und es wurde ausgerufen, <strong>zu</strong> welcher Geldschuldhöhe sie verurteilt<br />
waren. Am dritten Markttag wurden die Schuldner entweder getötet oder jenseits des Tiber ins Ausland verkauft.<br />
Satz 6. Am dritten Markttag sollen sie (gemeint: die Gläubiger) ihn in Teile schneiden. Wenn sie mehr oder weniger<br />
abgeschnitten haben, soll das ohne Nachteil sein.<br />
6. Fragen <strong>zu</strong>m Textbeispiel<br />
1. Was zeigt das Beispiel hinsichtlich der Gesetzgebungstechnik?<br />
2. Inwiefern wird hier die Forderung nach bestimmten Rechtsnormen erfüllt?<br />
3. Lassen sich hier soziale Aspekte der Legislation entdecken?<br />
4. Welche Rechtsmaterie (nach moderner Systematik) wird hier geregelt?<br />
5. Welche Zwecke haben die Haft beim Gläubiger,<br />
6. ... die Ausstellung auf dem Markt,<br />
7. ... der Verkauf ins Ausland?<br />
7. Bemerkung <strong>zu</strong>m Textbeispiel<br />
Schon den Römern aus der Zeit der späten Republik (um Christi Geburt) war kein einziger Fall bekannt, dass ein<br />
insolventer Schuldner wirklich getötet worden wäre.<br />
8. Geltung in Rom<br />
Das Recht der XII-Tafeln wurde nie formell aufgehoben. Es wurde sogar kommentiert, insbesondere von Labeo<br />
und Gaius. Aber tatsächlich regelten das prätorische Plebiszite (z. B. lex Aquilia), Edikte (vor allem <strong>zu</strong>m<br />
Erbrecht), Senatusconsulta und andere Rechtsbestimmungen Rechtsprobleme in Abweichung von den XII-<br />
Tafeln, und nur diese neueren Bestimmungen wurden tatsächlich angewandt.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
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9. Überlieferung<br />
Die ausgestellten Tafeln wurden schon bei dem Galliereinfall in Rom zerstört (387/6). Am Ende der römischen<br />
Republik, <strong>zu</strong> Beginn der Kaiserzeit waren die Texte noch bekannt. Verschiedene Zitate finden sich in Juristenschriften<br />
(z. B. in den Kommentaren hier<strong>zu</strong> von Labeo und Gaius) und anderen Schriften (Cicero, Gellius,<br />
Festus).<br />
Bis in die Gegenwart sind sie aber nicht direkt überliefert, sondern sie werden aus den verschiedenen überlieferten<br />
Zitaten behelfsartik rekonstruiert.<br />
10. Moderne Ausgabe und Überset<strong>zu</strong>ng<br />
Ausgabe einer Rekonstruktion mit Überset<strong>zu</strong>ng: R. Düll, Das Zwölftafelgesetz, 4. Aufl., München 1971.<br />
Iustitia Inst. Iust. 1, 1 pr.<br />
Iuris praecepta Inst. Iust. 1, 1, 3.<br />
KAPITEL 11. HAUPTPRINZIPIEN DES RECHTS<br />
SECHSTER TEIL<br />
JURISTENRECHT<br />
KAPITEL 1A. RECHTSWISSENSCHAFT<br />
Iuris prudentia Inst. Iust. 1, 1, 1.<br />
Die Rechtsset<strong>zu</strong>ng lag in Rom, wie gezeigt, in den Händen bestimmter Funktionsträger. Die Rechtsprechung war<br />
in Rom Sache des Praetors, Aedils oder anderer weltlicher Hoheitsräger. Die Kenntnis und Fortentwicklung des<br />
Rechts gehörte jahrhundertelang <strong>zu</strong>m Geheimwissen der Priester. Aber schon seit vorklassischer Zeit wurden<br />
Rechtsberatung und Rechtswissenschaft von weltlichen, nichtbeamteten Juristen ausgeübt.<br />
Die Juristen erteilten Rechtsgutachten, responsa, von denen eine größere Zahl in den justinianischen Digesten<br />
überliefert sind. Ein Indiz hierfür ist das Wort respondere, das "Gutachten erteilen" bedeuten kann.<br />
Gelegentlich wird die Gutachtenanfrage wörtlich mitgeteilt, z. B. „Ferner frage ich“, item quaero, und es folgt,<br />
ebenfalls wörtlich, das Rechtsgutachten: „Ich habe das Gutachten gegeben, weder könne er verklagt werden,<br />
noch hafteten seine Sachen als Pfänder“, respondi neque conveniri posse neque res obligatas esse 22<br />
. Bei der Digestenexegese<br />
ist es interessant, wenn man Überlegungen da<strong>zu</strong> liefern kann, ob es sich um einen Fall handelt,<br />
der sich wirklich ereignet hat, oder um einen "Schulfall".<br />
Als Ratgeber standen die Juristen als Einzelpersonen oder in Beratungsgremien, consilia (beachten Sie den Unterschied<br />
<strong>zu</strong> dem concilium, pl. concilia, nämlich Versammlung, insbes. concilium plebis), anderen Privatleuten,<br />
den Beamten und sogar dem Kaiser <strong>zu</strong>r Verfügung.<br />
Augustus und die späteren Kaiser erteilten hervorragenden Juristen das Vorrecht der öffentlichen Gutachtenerteilung,<br />
ius publice respondendi oder auch ius respondendi ex auctoritate principis 23<br />
, so dass sie im Namen des<br />
22<br />
23<br />
Scaev. D.17.1.60, 4.<br />
Einzelheiten in der neueren Rechtsgeschichte umstritten.<br />
30. September 2011<br />
37
Kaisers Gutachten erteilen und das Recht auslegen durften. Ihre Gutachten erhielten damit dieselbe Bedeutung,<br />
als hätte der Kaiser selbst gesprochen. Augustus hatte dieses Vorrecht nur Juristen des Senatorenstandes verliehen.<br />
Tiberius erteilte dieses Recht <strong>zu</strong>m erstenmal auch einem Juristen aus dem Ritterstand, dem berühtem Juristen<br />
Massurius Sabinus. Der rechtspolitische Zweck dieser Einrichtung ist heute nicht mehr klar erkennbar; vielleicht:<br />
dem Recht selbst wieder <strong>zu</strong> höherem Ansehen <strong>zu</strong> verhelfen, dem Kaiser Einfluss auf die Rechtsfortbildung<br />
und –praxis <strong>zu</strong> schaffen, die maßgebenden Juristen an die kaiserliche Herrschaft <strong>zu</strong> binden, dem Senatorenstand<br />
ein Vorrecht <strong>zu</strong> sichern. Tatsächlich fühlte sich der Richter an ein derartiges Gutachten sicherlich gebunden.<br />
Übereinstimmende Gutachten mehrerer Respondierjuristen galten als rechtlich verbindlich. Später wurde<br />
diesen Gutachten echte Gesetzeskraft <strong>zu</strong>geschrieben, so dass sie <strong>zu</strong> den Rechtsquellen gezählt wurden. Das<br />
ius respondendi hatte gewiss Sabinus<br />
Das ius respondendi hatten nicht Labeo, Gaius, Pomponius. Aber auch die Rechtsansichten der Juristen, welche<br />
nicht dieses Vorrecht genossen, blieben erlaubt und genossen Beachtung bei Gericht.<br />
Die Juristen verfassten ihre Werke als Privatleute. Die Begriffe und Regeln des Vermögensrechts, das Rechtssystem<br />
und die allgemeinen Rechtssprichwörter wurden von Rechtskennern aus der höchsten Gesellschaftsschicht<br />
geschaffen, die sich aus persönlicher Neigung mit Rechtsproblemen und tatsächlichen Fällen befaßten,<br />
diese diskutierten und darüber Bücher schrieben. Es ist Juristenrecht. Insofern ist das Privatrecht nicht das Ergebnis<br />
des Gewohnheitsrechts, der Gesetzgebung, der Rechtsprechung oder der staatlichen <strong>Universität</strong>slehre.<br />
Dadurch unterscheidet sich das römische Recht ganz erheblich von den modernen Rechten. In der römischen<br />
Rechtsfortbildung ist die systematisch-dogmatische Erörterung nicht unwichtig, z. B. in dem Lehrbuch über die<br />
Rechtseinrichtungen, die Institutiones, des Juristen Gaius, ebenso in den Institutiones Kaiser Justinians im Corpus<br />
Iuris Civilis. Aber eigentlich charakteristisch ist die Diskussion einzelner Fälle.<br />
Die Privatrechtswissenschaft erlebt in den beiden ersten Jahrhunderten n. Chr. ihre höchste Entfaltung, so dass<br />
man heute vom „klassischen römischen Recht“ spricht. Die Namen und Schriften der römischen Juristen sind<br />
nicht direkt überliefert, sondern nur im zweiten Teil des Corpus Iuris Civilis, den Digesten, erhalten.<br />
Verzeichnisse ihrer Werke finden sich im Anhang der gängigen Digesten-Ausgabe, die man in der schriftlichen<br />
Prüfung benutzen darf. Die Rekonstruktion der römischen Juristenschriften ist dem schon genannten Otto Lenel<br />
<strong>zu</strong> verdanken: O. Lenel, Palingenesia iuris civilis, 2 Bde., Leipzig u. a. 1889 (Nachdruck). Das Wenige, was im<br />
übrigen über sie in Erfahrung <strong>zu</strong> bringen ist, bei: W. Kunkel, Herkunft und soziale Stellung der römischen Juristen,<br />
2. Aufl., Graz u. a. 1967.<br />
Rechtsmaximen<br />
Iura vigilantibus scripta. Das Recht ist für die Wachsamen geschrieben 24<br />
.<br />
Ius est ars boni et aequi. Das Recht ist „ars“ (d. h. Handwerk, Kunst und Theorie)<br />
des Guten und Angemessenen.<br />
Omnis definitio in iure civili Jede Definition im Zivilrecht<br />
periculosa est. ist gefährlich.<br />
Quot homines, tot sententiae. Wieviele Menschen, soviele Stimmen (oder: Meinungen).<br />
Tertium non datur. Ein <strong>Dr</strong>ittes gibt es nicht (bei einer Alternative,<br />
in Fragen der Logik).<br />
Ausdrücke<br />
Analogie Übertragung der Rechtsfolge eines geregelten Tatbestandes auf<br />
einen mit diesem wertungsgleichen, aber ungeregelten Tatbestand<br />
24<br />
D. 42, 8, 24 – nach Liebs J 179 betreffend Priorität in der Zwangsvollstreckung.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
38
argumentum e maiore Folgerung vom Größeren<br />
ad minus auf das Kleinere<br />
argumentum e minore Folgerung vom Kleineren<br />
ad maius auf das Größere<br />
argumentum e contrario Folgerung auf das Gegenteil, Umkehrschluß<br />
causa Ursache, Rechtsgrund; Rechtssache<br />
ceteris paribus unter sonst gleichen Umständen („das übrige gleichbleibend“)<br />
contra legem im Widerspruch <strong>zu</strong>m (gesetzten) Recht<br />
Cui bono? Wem kommt es <strong>zu</strong>gute?<br />
de facto tatsächlich<br />
de iure von Rechts wegen, rechtlich<br />
expressis verbis mit ausdrücklichen Worten<br />
Fiktion Annahme eines Umstandes als wahr, der in Wahrheit nicht gegeben sein kann<br />
lege artis nach den Regeln der Kunst<br />
opinio Auffassung, Meinung<br />
petitio principii Zirkelschluß<br />
praesumptio Vermutung<br />
praeter legem neben dem (gesetzten) Recht<br />
quasi gleichsam<br />
quaestio - facti, iuris Frage, Untersuchung - über eine Tatsache, über das Recht<br />
Quid iuris? Was ist rechtens?<br />
Quod erat demonstrandum. Was <strong>zu</strong> beweisen war.<br />
ratio legis Sinn des Gesetzes<br />
KAPITEL 1B. FALLBEHANDLUNG IN DER EXEGESE<br />
In den heutigen Exegesen-Aufgaben sind häufig, entsprechend der Paragraphen-Einteilung in Justinians Digesten,<br />
mehrere Juristenäußerungen <strong>zu</strong> behandeln. Es ist elegant, wenn der Bearbeiter herausarbeiten kann, ob<br />
die Meinungen übereinstimmen oder sich widersprechen oder einander ergänzen. Bei mehreren Sachverhalten<br />
sollte man ihre Verknüpfung (Regel / Einschränkung / Erweiterung / Ausnahme, Ähnlichkeit, Differenzierungen,<br />
Gegensätze, argumentum ad absurdum, Verdeutlichung) klarmachen.<br />
KAPITEL 2. DIE BERÜHMTESTEN JURISTEN 25<br />
Am Anfang Ihrer Digestenexegese werden einige Hinweise <strong>zu</strong> Person und Werk des Autors des <strong>zu</strong> erörternden<br />
Fragments erwartet. Besonders viele Fragmente in Justinians Digesten stammen von:<br />
Domitius Ulpian, über 2 400,<br />
Iulius Paulus, 2080<br />
Sex. Pomponius, fast 600,<br />
Aemilius Papinianus, 600,<br />
Gaius, mehr als 500,<br />
P. Salvius Iulian,450,<br />
P. Iuventius Celsus, 140 Fragmente.<br />
Die hierfür erforderliche Information liefern die folgenden Kurzbiographien:<br />
25<br />
Da<strong>zu</strong> in allen Werken <strong>zu</strong>r römischen Rechtsgeschichte. Neue wissenschaftliches Standardwerk ist: W. Kunkel,<br />
Herkunft und soziale Stellung der römischen Juristen.<br />
30. September 2011<br />
39
Der bedeutendste Jurist der Frühklassik war Labeo (gestorben kurz nach der Zeitwende), ein politisch und dogmatisch<br />
selbständiger Mann. An ihn knüpft die Rechtsschule der Proculianer an, <strong>zu</strong> der schließlich auch Celsus<br />
gehörte.<br />
Zu den berühmten Frühklassikern (1. Jh. n. Chr.) rechnen Proculus und Sabinus; dieser Leitfigur der Rechtsschule<br />
der Prokulianer, jener der Sabinianer.<br />
Massurius Sabinus (1. Jh. n. Chr.) gehört <strong>zu</strong> den wenigen Juristen, die vom Kaiser das ius publice respondendi<br />
und zwar ex auctoritate principis erhielten. Er ist Autor des später von Pomponius, Paulus und Ulpian kommentierten<br />
Grundlagenwerkes <strong>zu</strong>m ius civile. D.h. wenn das klassische Werk den Namen trägt „ad Sabinum“, stellt<br />
es ein Lehrbuch <strong>zu</strong>m ius civile dar.<br />
Iavolenus Priscus (um 100 n. Chr.), Konsul, Statthalter von Germania superior, Syria und Africa, pontifex, Mitglied<br />
des consilium der Kaiser Trajan und Hadrian, war Schulhaupt der Sabinianer und Lehrer des Iulians, hinterließ<br />
eigene "epistulae" und Bearbeitungen der Schriften älterer Juristen.<br />
Als die größten Juristen unter den Hochklassikern (erste Hälfte des 2. Jh. n. Chr. ) gelten Celsus und Iulian, die<br />
man durchaus als "Konkurrenten" ansehen kann: beide Konsuln, hohe kaiserliche Beamte, Provinzstatthalter,<br />
Mitglieder des Rates, consilium, Kaiser Hadrians.<br />
P. Iuventius Celsus, Schulhaupt der Prokulianer, sein Hauptwerk, "Digesten", zeigt Scharfsinn und Originalität,<br />
bisweilen mit polemischer Schärfe vorgetragen, mit 140 Fragmenten in Justinians Digesten vertreten.<br />
P. Salvius Iulian (etwa 100 - 150 n. Chr.), Inhaber hoher Ämter unter den Kaisern Hadrian, Antoninus Pius und<br />
Marc Aurel: u. a. Konsul, Pontifex, Mitglied des kaiserlichen consilium, Statthalter in Germania inferior und anderen<br />
Provinzen. Kaiser Hadrian verdoppelte sein Gehalt als kaiserlicher Beamter. Vor allem wurde ihm die abschließende<br />
Redaktion des praetorischen Edikts übertragen. Schulhaupt der Sabinianer. Iulian gilt seit der Antike<br />
als einer der größten Juristen, vielleicht überhaupt der größte; dementsprechend wurde er am häufigsten von den<br />
Spätklassikern (aber nicht am häufigsten von Justinian) zitiert. Iulian war Schüler Javolens und Lehrer Africans.<br />
Sein Hauptwerk sind Digesta in 90 Büchern. Mehr als 450 Fragmente aus seinen Schriften finden sich in den<br />
Digesten Justinians.<br />
Iulians Fallentscheidungen, "Quaestiones", wurden von seinem Schüler African herausgegeben. Wenn African<br />
einen Juristen mit Pronomen bezeichnet -"er" wurde gefragt oder "er" sagte -, dann meint African damit so gut<br />
wie immer seinen Lehrer Iulian.<br />
Einer der fruchtbarsten Schriftsteller, vertrreten mit fast 600 Fragmenten, ist der bekannte Rechtslehrer Sextus<br />
Pomponius (Mitte des 2. Jh. n. Chr.), auch von anderen häufig zitiert, gilt als Anhänger der sabinianischen<br />
Rechtsschule, vor allem hervor<strong>zu</strong>heben wegen seines Handbuchs, Enchiridium, <strong>zu</strong>r römischen Rechtsgeschichte,<br />
mit breiten Kommentaren <strong>zu</strong>m ius civile und ad edictum, außerdem Schriften de senatus consultis, de stipulationibus,<br />
de fidei commissis; Epistolae, variae lectiones, hat anscheinend keine Staatsämter bekleidet.<br />
Gaius 26<br />
(mit Werken zwischen 150 und 180 n. Chr.)<br />
ist Verfasser eines Lehrbuchs über die Rechtseinrichtungen, Institutiones.<br />
Dieses ist 1. in der ganzen römischen Welt verbreitet.<br />
Es ist 2. kurz und leicht verständlich,<br />
3. systematisch und abstrakt, weniger fallbezogen.<br />
4. Das Lehrbuch behandelt im 1. Buch die Personae, im 2. und 3. Buch unter den Gegenständen, res, Schuldund<br />
Sachenrecht, im 4. Buch das Prozessrecht, die Klagen, actiones.<br />
5. Die Institutionen gewähren einen ziemlich <strong>zu</strong>verlässigen Einblick in das klassische Recht, z. B. in das Prozessrecht<br />
(4. Buch der Institutionen). Gaius informiert auch häufig über Gegensätze zwischen den Rechtsschulen<br />
26<br />
Behrends, in: Juristen, hrsg. v. M. Stolleis, S. 221, shv.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
40
der Sabinianer und Prokulianer. Im materiellen Recht liefert Gaius z. B. die beste Information über die mancipatio,<br />
die ja von Justinian aus den Digesten und aus seinen Instituionen elimeniert worden ist.<br />
6. Das Werk ist eines der ganz seltenen, die fast vollständig in einer antiken Handschrift<br />
außerhalb des Corpus iuris erhalten sind.<br />
7. Wegen seiner Vorzüge übernahm Kaiser Justinian diese gaianischen Institutiones, nur wenig modernisiert,<br />
als die Institutiones, den ersten Teil seines Corpus iuris civilis.<br />
8. Vergleich der gaianischen Institutionen mit denen Justinians gewährt einen Einblick in die Rechtsveränderungen<br />
zwischen der Klassik und Justinian.<br />
9. Es wurde 1816 von dem deutschen Historiker G. Niebuhr unter der Beschriftung eines Pergaments entdeckt, sogen. Palimpsest, aufbewahrt<br />
in der Stiftsbibliothek in Verona.<br />
10. Gaius tritt noch als eifriger Sabinianer auf. Er ist Verfasser einer Vielzahl von Werken, unter anderen <strong>zu</strong> den<br />
Zwölf Tafeln und <strong>zu</strong>m Provinzialedikt.<br />
11. Seine Herkunft ist unbekannt. Wegen der Hinweise auf Rechtsfragen der Provinzen wird von einigen die<br />
Herkunft außerhalb der Stadt Roms vermutet 27<br />
.<br />
12. Gaius wird als einziger Jurist aus der früh- und hochklassischen Periode im Zitiergesetz von 426 n. Chr. anerkannt;<br />
die anderen Zitierjuristen stammen aus spätklassischer Zeit (Papinian, Paulus und Ulpian, Modestin).<br />
13. Gaius ist mit mehr als 500 Fragmenten, auch aus anderen seiner Werke, in den Digesten vertreten.<br />
Q. Cervidius Scaevola (unter Marc Aurel, 169 - 177), Inhaber hoher kaiserlicher Ämter, Mitglied des kaiserlichen<br />
consilium, charakterisiert durch reiche Gutachterpraxis und kasuistische Arbeitsrichtung, daher Verfasser<br />
von "Quaestiones" und "Responsa", außerdem von "Digesta", Lehrer des Juristen Paulus.<br />
Weitaus am meisten werden die drei spätklassischen Juristen Papinian und seine Adsessores und Schüler Paulus<br />
und Ulpian aus dem Ende des 2., Anfang des 3. Jh. n. Chr. zitiert, alle drei nacheinander Inhaber des damals<br />
höchsten kaiserlichen Amtes, das des Chefs der Prätorianergarde, Praefectus praetorio, alle drei (neben Gaius)<br />
im Zitiergesetz von 426 anerkannt.<br />
Der größte Jurist der spätklassischen Periode, vielleicht sogar der gesamten Antike, war Aemilius Papinianus<br />
aus Syrien (wirkte schon unter Mark Aurel, 161 - 180, starb 212), angeblich Schwager des Septimius Severus,<br />
umgebracht 212 von Caracalla, weil er sich geweigert haben soll, den Mord Caracallas an seinem Mitkaiser Geta<br />
<strong>zu</strong> rechtfertigen. Papinian war Magister libellorum und stieg bis <strong>zu</strong>m Praeafectus praetorio auf. Er hinterließ vor<br />
allem "Quaestiones" und "Responsa". Auf Pergamentblättern aus Fayum, jetzt in <strong>Berlin</strong> und Paris, finden sich<br />
weitere Stücke aus seinen Responsa. Er gilt als "in der Knappheit der Form unübertroffen, in der Schärfe seiner<br />
Logik ein Meister". Seine Assessoren waren Paulus und Ulpian. Seine Stimme war ausschlaggebend nach dem<br />
Zitiergesetz von 426. Von ihm sind 600 Fragmente direkt überliefert.<br />
Iulius Paulus (Ende des 2., Anfang des 3. Jh.), Schüler des Cervidius Scaevola, Assessor Papinians, dann an der<br />
Spitze des Amtes a memoria, Mitglied des Staatsrats Kaiser Septimius Severus', unter Alexander Severus Praefectus<br />
praetorio, verfasste Kommentare <strong>zu</strong>m Edikt in 80 Büchern, <strong>zu</strong>m Sabinus in 16 Büchern sowie <strong>zu</strong> einzelnen<br />
Gesetzen und Senatsbeschlüssen, außerdem verwaltungsrechtliche Schriften, Bearbeitungen der Schriften<br />
verschiedener Juristen, schließlich Einführungsschriften, insgesamt etwa 90 Schriften aus denen 2080 Fragmente<br />
in die Digesten gelangten.<br />
Domitius Ulpian (Ende 2., Anfang 3. Jh.) schreibt selbst, dass er aus Tyrus in Phönizien stammt, <strong>zu</strong>sammen mit<br />
Paulus Assessor Papinians. Ulpian war später selbst Magister libellorum, und Mitglied des Staatsrats des Kaisers<br />
Alexander Severus, dessen besonderes Vertrauen er genoss, schließlich Praefectus praetorio. Aber um 228 wurde<br />
er von den Prätorianern ermordet. Er hinterließ einen Kommentar <strong>zu</strong>m Edikt in 81 Büchern, einen unvollendeten<br />
Kommentar <strong>zu</strong>m ius civile des Sabinus in 51 Büchern, weitere Monographien, Gesetzeskommentare und<br />
verwaltungsrechtliche Schriften. Fast ein <strong>Dr</strong>ittel der Digesten-Fragmente stammen von ihm, über 2 400. Unter<br />
seinem Namen sind auch Schriften außerhalb des Corpus Iuris überliefert.<br />
In den Digesten und außerhalb wird noch eine große Zahl weiterer Juristen genannt, und noch mehr sind uns unbekannt<br />
geblieben. Aber für die Prüfung ist es mehr als ausreichend, wenn Sie die in diesem Kapitel genannten<br />
Juristen kennen.<br />
27<br />
Tätigkeit in der Provinz vermutet von Behrends aaO.<br />
30. September 2011<br />
41
Noch eine Bemerkung allgemein <strong>zu</strong> den vor- und frühklassischen Juristen: Von den meisten wurden keine<br />
Fragmente in Justinians Digesten übernommen. Aber gelegentlich werden sie von späteren zitiert. Es kann eigentlich<br />
nicht erwartet werden, dass Sie diese kennen. Innerhalb und außerhalb des Examens kann aber ein Blick<br />
in D. 1, 2, 2, 35 ff., das Handbuch, Enchiridion, des Pomponius helfen. Pomponius liefert den ausführlichen Bericht,<br />
„damit deutlich wird, was das für Männer waren, von denen dieses Recht geschaffen und überliefert worden<br />
ist.“.<br />
KAPITEL 3. ARGUMENTATIONSFORMELN<br />
Die Entwicklung des römischen Rechts während eines Jahrtausends unter wechselnden Wirtschafts-, Gesellschafts-,<br />
Staats- und Religionsverhältnissen <strong>zu</strong>m einen und das Juristenrecht als solches <strong>zu</strong>m anderen bringen,<br />
nicht anders als heute, erhebliche Widersprüche in der Rechtsordnung hervor. Einander widersprechende Regeln<br />
im Corpus Iuris nennt man „Antinomien“. Die Juristen verändern das Recht, fechten ihre Meinungen aus und<br />
versehen diese mit Argumenten. Diese Ausdrücke sind <strong>zu</strong>m Verständnis, etwa bei einer Digestenexegese, nicht<br />
unwichtig, z. B. 28<br />
acceptum est es ist allgemein anerkannte Meinung<br />
(umgekehrt: früher war das einmal kontrovers)<br />
sic acceptum est „ein bestimmtes Wort (oder eine bestimmte Regel)<br />
ist in der folgenden Weise aus<strong>zu</strong>legen“,<br />
„wird in der folgenden Weise verstanden“<br />
accipiendum est man müßte als allgemeine Meinung anerkennen<br />
(umgekehrt: es gibt auch jetzt noch eine Gegenansicht)<br />
aequitas Billigkeit, Fairness, Gerechtigkeit<br />
(Korrektiv eines als <strong>zu</strong> erstarrt empfundenen ius civile,<br />
aber mit Zweifeln hinsichtlich der Übereinstimmung mit dem ius civile);<br />
Gleichwertigkeit, Gleichbehandlung, Ausgewogenheit 29<br />
aequum angemessen<br />
argumentum ad absurdum „das würde ja dahin führten, dass“ (umgekehrt: Gründe der Logik<br />
und des gesunden Menschenverstandes sprechen für die Gegenansicht)<br />
benignitas, benigna interpretatio, Wohlwollen, wohlwollende Auslegung<br />
benignius est (<strong>zu</strong> Gunsten einer Partei, die oft schutzbedürftig sein wird;<br />
umgekehrt: subtilitas iuris, d. h. Gründe der Logik könnten für die<br />
Gegenansicht sprechen)<br />
bonus (vir / iudex / paterfamilias) sorgfältig abwägend, vorbildlich, redlich<br />
certum est es ist gesichert, unangefochtene Meinung (keine Gegenansicht)<br />
constat es steht fest, unangefochtene Meinung (keine Gegenansicht)<br />
convenit es gilt als ausgemacht (wie constat)<br />
28<br />
Hausmaninger, Casebook Sachenrecht, S. 282; Hausmaninger-Selb, 7. Aufl., S. 74.<br />
29<br />
Hausmaninger, Casebook Sachenrecht, ad D. 21, 3, 2.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
42
dubius, dubitatio Zweifel<br />
sehr oft negativ, z. B. sine dubio etc. zweifelsohne etc., ganz unstritt. Meinung,<br />
dieselbe Bedeutung wie positiv „constat“<br />
eo iure utimur wörtl. „dieses Recht wenden wir an“,<br />
allgemeine Ansicht, etabliertes Juristenrecht<br />
existimare meinen, vorsichtig für richtig halten trotz Bedenken<br />
favor (negotii / testamenti) (wörtl.: Begünstigung eines Rechtsgeschäfts / Testaments)<br />
Aufrechterhaltung, Umdeutung eines an sich fehlerhaften Vorgangs<br />
finge man stelle sich vor, Beispielsfall<br />
id quod actum est wie es sich aus dem Sachverhalt ergibt,<br />
was die Parteien gewollt haben,<br />
sei es im konkreten Einzelfall,<br />
sei es generell, typischerweise<br />
intellegi es wird so angesehen als ob (oft: Auslegungsergebnis;<br />
sehr oft Fiktion, manchmal Vermutung)<br />
magis est es ist besser (ähnlich wie melius)<br />
melius est es ist besser (überwiegende Gründe für diese Ansicht,<br />
es gibt aber auch sehr gute Gründe für Gegenmeinung)<br />
placet es ist jetzt anerkannte Meinung<br />
(früher auch Gegenansicht)<br />
plerique überwiegende Ansicht (wörtlich: die meisten; daraus folgt<br />
umgekehrt: es gibt wohlfundierte Mindermeinung)<br />
probare eine Meinung billigen<br />
puta stelle dir vor; <strong>zu</strong>m Beispiel<br />
puto ich bin der Ansicht (trotz gewissen Zweifeln, wie existimare)<br />
quaeritur, quaesitum est 1. es ist kontrovers oder<br />
2. es wird/wurde die Gutachten-Anfrage gestellt<br />
(wörtlich: fraglich)<br />
quaestiones Schrift <strong>zu</strong> kontroversen Rechtsfragen<br />
quid tamen dicemus,si wörtlich: was soll man aber sagen,wenn<br />
receptum est es ist anerkannt und vernünftig<br />
(obwohl Gründe der Logik dagegen sprechen mögen)<br />
recipiendum est man müßte jetzt auch allgemein anerkennen<br />
(aber die Ansicht hat sich bisher noch nicht ganz durchgesetzt)<br />
30. September 2011<br />
43
ectius es ist richtiger<br />
respondit, responsum (wörtlich: er hat geantwortet, die Antwort)<br />
der Jurist hat das Rechtsgutachten erteilt<br />
(oft <strong>zu</strong> einem wirklichen, nicht bloß konstruierten) Fall<br />
solere, solent pflegen i. S. für gewöhnlich, es ist üblich<br />
subtilitas Feinheit<br />
(oft abwertend gemeint: übertrieben buchstabengenau)<br />
utilitas Zweckmäßigkeit, Angemessenheit<br />
(auch wenn nicht ganz der juristischen Logik entsprechend)<br />
utilis, utiliter (wörtlich:) nützlich,<br />
(sehr oft:) rechtswirksam, erfolgreich (Klage oder Einrede)<br />
verius est es ist <strong>zu</strong>treffender (Entscheidung in einer kontroversen Frage,<br />
ähnlich wie: rectius;<br />
es gibt also wichtige Gründe für die Anhänger der Gegenmeinung)<br />
verum est es ist richtig<br />
videamus, videndum essse es ist <strong>zu</strong> erwägen<br />
videri es wird so angesehen als ob<br />
(Ergebnis einer Auslegung, Vermutung, sogar Fiktion)<br />
vulgo dictum Gemeinplatz, allgemeine juristische Ansicht<br />
Es ist wichtig, bei der Digestenexegese auf derartige Indizien von klassischen Kontroversen und Entwicklungen<br />
<strong>zu</strong> achten und, wenn möglich, <strong>zu</strong> überlegen, welche Begründung für die unterlegene Gegenmeinung, die vielleicht<br />
gar nicht ausdrücklich überliefert ist, sprechen könnten.<br />
Weitere Indizien für klassische Kontroversen ist die Anführung von den anerkannten Schulhäuptern wie Sabinus<br />
und Cassius (für die Sabinianer) oder Proculus (für die Gegenschule).<br />
Überhaupt kann jede Zitierung eines anderen Juristen einen Hinweis auf die Komplexität der juristischen Frage<br />
und die Umstrittenheit der Lösung darstellen.<br />
Schließlich gibt es gewisse Literaturgattungen, die eher der theoretischen Behandlung kontroverser oder schwieriger<br />
Rechtsprobleme gewidmet sind (s. da<strong>zu</strong> das Kapitel über „Litteraturgattungen“).<br />
(Nicht auswendig lernen!)<br />
KAPITEL 4. RECHTSSCHULEN<br />
1. Es gibt meinungsbildende Schulen, die Schola oder Secta der auf den Juristen Sabinus <strong>zu</strong>rückgehenden Sabinianer<br />
und die Schola oder Secta der sich auf Proculus beziehenden Proculianer.<br />
Den wichtigsten Bericht hier<strong>zu</strong> liefert Pomponius in seinem „Handbuch“, Enchiridion, D. 1, 2, 2.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
44
Der Jurist Gaius schreibt beispielsweise über eine Kontroverse (Gai. 3, 103 30<br />
):<br />
„Unde illud quaesitum est – Daher war kontrovers...“<br />
„Nostri praeceptores putant – Unsere Lehrer vertreten die Ansicht...“<br />
„Sed diversae scholae auctores...existimant - Aber die Lehrer der anderen Rechtsschule meinen...“<br />
2. Pomponius zählt <strong>zu</strong> den Sabinianern:<br />
Capito,<br />
Massurius Sabinus,<br />
Cassius,<br />
Iavolenus Priscus,<br />
Iulian.<br />
Auch Gaius tritt als eifriger Sabinianer auf.<br />
Pomponius zählt <strong>zu</strong> den Prokulianern:<br />
Labeo,<br />
Nerva pater,<br />
Proculus,<br />
Pegasus,<br />
Celsus pater, Celsus filius,<br />
Neratius Priscus.<br />
3. Das Corpus iuris und Gaius bewahren verschiedene Beispiele der Schulengegensätze auf, z. B.:<br />
- Den Übergang vom Zustand des Pupillus / Impubes in den des Pubes / Minor 25 annis<br />
wollten die Sabinianer von dem konkreten körperlichen Zustand des Betroffenen abhängig machen,<br />
die Prokulianer vom 14. Lebensjahr.<br />
- Ob der Kaufpreis auch in anderen Gegenständen als in Geld bestehen könnte,<br />
wurde von den Sabinianern bejaht, von den Prokulianern verneint.<br />
Beispiel für Bericht über Schulenkontroverse:<br />
D. 18, 1, 1, 1. Paulus 33 ad ed. Sed an sine nummis venditio dici hodieque possit, dubitatur, veluti si ego togam dedi, ut tunicam acciperem.<br />
Sabinus et Cassius esse emptionem et venditionem putant: Nerva et Proculus permutationem, non emptionem hoc esse. Sabinus<br />
Homero teste utitur, qui exercitum graecorum aere ferro hominibusque vinum emere refert ... sed verior est Nervae et Proculi sententia:<br />
nam ut aliud est vendere, aliud emere, alius emptor, alius venditor, sic aliud est pretium, aliud merx: quod in permutatione discerni<br />
non potest, uter emptor, uter venditor sit.<br />
Ob aber man heut<strong>zu</strong>tage von einem Kaufvertrag ohne Geld sprechen kann, ist zweifelhaft,wenn beispielsweise ich eine Toga hingebe,<br />
um eine Tunica <strong>zu</strong> erhalten. Sabinus und Cassius glauben, das sei ein Kauf. Nerva und Proculus nehmen an, dies sei ein Tausch und<br />
nicht ein Kauf. Sabinus nimmt Homer <strong>zu</strong>m Zeugen, der berichtet, dass das Heer der Griechen Wein mit Erz, Eisen und Sklaven gekauft<br />
habe... Aber richtiger ist die Meinung von Nerva und Proculus, dass nämlich Verkaufen und Kaufen, Käufer und Verkäufer,<br />
Preis und Ware jeweils Verschiedenes seien, während man beim Tausch nicht unterscheiden könne, wer Käufer und wer Verkäufer<br />
sei.<br />
- Bei der Stipulation <strong>zu</strong> Gunsten des Versprechensempfängers und eines <strong>Dr</strong>itten,<br />
Sabinianer: volle Forderung für den Versprechensempfänger,<br />
Proculianer: nur halbe Forderung für den Versprechensempfänger, anderer Teil unwirksam 31<br />
.<br />
- Bei Vertragsunwirksamkeit wurden die Klagen auf Rückabwicklung oder Schadenersatz<br />
von den Sabinianern auf Grund des eigentlich unwirksamen Vertrages,<br />
von den Prokulianern hingegen als analoge Klagen,<br />
Bereicherungsklagen oder Arglistklagen gewährt.<br />
Das galt auch für Rückabwicklung infolge einer der drei Rücktrittsklauseln 32<br />
.<br />
30<br />
31<br />
Vgl. Inst. Iust. 3, 19, 4.<br />
Gai. 3, 103 = Inst. Iust. 3, 19, 4.<br />
30. September 2011<br />
45
- Bei Auftragsüberschreitung bei Erwerbsauftrag oder Verbürgung, Schulenstreit, Inst. 3, 26, 8<br />
gar keine Aufwendungsklage (Sabinianer)<br />
Auftragsgegenklage aber nur bis <strong>zu</strong>r Höhe des Auftrages (Prokulianer).<br />
- Leistung an Erfüllungs Statt, datio in solutum, mit Zustimmung des Gläubigers<br />
befreit den Schuldner ipso iure (S.) oder nur auf Grund exceptio doli (P.).<br />
- Das Eigentum an der neuen Sache infolge von Verarbeitung eines anderen Stoffes<br />
sprachen die Sabinianer dem Stoff-Eigentümer, die Prokulianer dem Produzenten <strong>zu</strong> (ebenso BGB);<br />
den Ausgleich bildete später eine vermittelnde Meinung, die media sententia (s. u.).<br />
- Zeitpunkt für Eigentumsverlust an derelinquierten Sachen:<br />
S. und spätere Juristen: bei Preisgabe,<br />
P: erst mit der Ergreifung durch Okkupanten 33<br />
.<br />
- Wegen Haftung des beklagten Besitzers für Schäden der Sache nach dem Beginn der Klage (litis contestatio)<br />
Wahrscheinlich Schulenstreit: Sabinianer nur für Haftung bei dolus oder wohl auch bei culpa, Proculianer für Zufallshaftung 34<br />
.<br />
4. Ober der Schulengegensatz nur ein persönlicher oder auch ein grundsätzlich-sachlicher gewesen ist,<br />
ist seit langem streitig 35<br />
. Einige meinen:<br />
- Sabinianar für ius gentium, Proculianer für ius civile,<br />
- S seit Capito: antikisierend, P mit Labeo: modernisierend,<br />
- S pragmatisch orientiert, P für logische Ableitungen,<br />
- S: Anhänger der Anomalie, P Verteidiger der Analogie.<br />
KAPITEL 5. LITERATURGATTUNGEN<br />
1. Institutiones: Lehrbücher f Anfänger, besonders starke systematische Durchbildung.<br />
2. Regulae, sententiae, definitiones: knappe Rechtsregeln und Definitionen.<br />
3. Responsa, epistulae: Gutachten, meistens <strong>zu</strong> tatsächlich gestellten Anfragen.<br />
4. Quaestiones: Rechtsfragen, vorwiegend theoretischer Art, oft Kontroversen.<br />
5. Digesta: Zusammengefasste Ausführungen <strong>zu</strong>m ius honorarium und ius civile.<br />
6. Ad Sabinum, ad Q. Mucium: Gesamtdarstellungen des ius civile.<br />
7. Ad edictum: Kommentare <strong>zu</strong>m Edikt des Praetors, seltener auch <strong>zu</strong> dem des Aedils,<br />
von Gaius auch <strong>zu</strong>m Provizialedikt,<br />
oft beginnend mit dem Wortlaut des kommentierten Textes und mit dessen Zweck,<br />
Erläuterungen ähnlich wie heut<strong>zu</strong>tage Satz für Satz, oft Wort für Wort,<br />
bei Ulpian und Paulus enzyklopädische Gesamtdarstellungen.<br />
8. Weitere Schriften und Kommentare, insbes. <strong>zu</strong> einzelnen Gesetzen.<br />
32<br />
33<br />
34<br />
35<br />
Kaser-Knütel § 41.50.<br />
K-K § 26/4.<br />
K I § 103 I 5, S. 436.<br />
Nachweise z. B. bei B. Kübler, Gesch., 1925, S. 261. Hausmaniger-Selb, 9. Aufl., 35.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
46
KAPITEL 6. ZUERST RECHTSERFAHRUNG, SPÄTER RECHTSUNTERRICHT<br />
Einen systematischen Rechtsunterricht hat es in klassicher Zeit nur ansatzweise gegeben. Man darf z. B. annehmen,<br />
dass die Institutiones des Gaius aus dem 2. Jh. n. Chr. ein Lehrbuch gewesen seien und dass die Rechtsschulen<br />
der Sabinianer und Prokulianer etwas mit dem Unterricht <strong>zu</strong> tun gehabt hätten. Wichtiger jedoch war für<br />
die Ausbildung, dass der junge Mann einen angesehenen Juristen bei seiner Gutachtenerteilung und seinen Diskussionen<br />
mit anderen Juristen begleitete.<br />
Einen professionellen Rechtsunterricht gab es jedenfalls <strong>zu</strong>r Zeit Justinians. Justinian wendet sich in der Einleitungskonstitution<br />
<strong>zu</strong> seinen Institutionen ausdrücklich „an die nach Rechtskenntnis verlangende Jugend“, beruft<br />
<strong>zu</strong> Autoren der Institutionen <strong>Universität</strong>sprofessoren und geht mit den Institutionen von pädagogischen Gesichtspunkten<br />
aus.<br />
Allgemeine Lebensmaximen und Ausdrücke<br />
Bis dat qui cito dat. Doppelt gibt, wer schnell gibt.<br />
Carpe diém. Nutze den Tag.<br />
Multum, non multa. Viel, aber nicht vielerlei (leisten).<br />
Mundus vult decipi. Die Welt will betrogen werden.<br />
Nomen est omen . Name ist Vorbedeutung.<br />
Ora et labora. Bete und arbeite (aus dem Mittelalter).<br />
Panem et circenses. Brot und Spiele (für das Volk).<br />
Principiis obsta. Wehret den (schlechten) Anfängen.<br />
Qualis rex, talis grex. Wörtlich: wie der König, so die Herde.<br />
Quod bonum faustum felix Dass es gut und günstig,<br />
fortunatumque sit. glücklich und gedeihlich sei.<br />
Repetitio est mater studiorum. Wiederholung ist die Mutter des Studiums.<br />
Tempora mutantur Die Zeiten ändern sich<br />
(et nos mutamur in illis). (und wir ändern uns in ihnen).<br />
SIEBENTER TEIL<br />
CORPUS IURIS CIVILIS<br />
KAPITEL 1. ZITIERGESETZE UND CODEX THEODOSIANUS<br />
1. Seit Kaiser Konstantin d. Gr. (307 - 327)<br />
verschiedene Gesetze <strong>zu</strong>r Regelung, welche klassischen juristischen Werke<br />
in einem Prozess maßgeblich sein sollten.<br />
Am bekanntesten ist das Zitiergesetz des Kaisers Theodosius II. von 426:<br />
1. Zugelassen waren nur Schriften der 5 sogen. Zitierjuristen<br />
1. Gaius, und die Spätklassiker<br />
2. Papinian,<br />
3. Ulpian,<br />
4. Paulus und<br />
5. Modestin.<br />
30. September 2011<br />
47
2. Bei Meinungsverschiedenheiten waren die Stimmen <strong>zu</strong> "zählen" 36<br />
.<br />
3. Bei Stimmengleichheit sollte die Ansicht Papinians den Ausschlag geben 37<br />
.<br />
2. Sammlung der kaiserlichen Konstitutionen, ebenfalls durch Theodosius II.: Codex Theodosianus,<br />
wichtiger Vorläufer für Justinian.<br />
KAPITEL 2. CORPUS IURIS CIVILIS VON 533 N. CHR.<br />
Unsere Kenntnis des römischen Rechts beruht auf einer Quelle, die erst fast ein halbes Jahrtausend nach der Entstehung<br />
der wichtigsten Juristenschriften geschaffen wurde, auf dem Corpus Iuris Civilis. Dieses wiederum galt<br />
dann Jahrhunderte lang als geltendes Recht in den völlig anderen geographischen, gesellschaftlichen und politischen<br />
Verhältnissen des Mittelalters und der Neuzeit, in Teilen Deutschlands bis 1900.<br />
1. Kodifikationen<br />
Anfang und Ende der römischen Rechtsgeschichte sind durch Rechtsaufzeichnungen markiert, nämlich durch<br />
das Zwölftafel-Gesetz um 449 v. Chr. und das Corpus Iuris Civilis. Dieses hat der byzantinische Kaiser Justinian<br />
I. in der Zeit um 533 n. Chr. von dem Juristen Tribonian <strong>zu</strong>sammenstellen lassen. Näheres <strong>zu</strong> Kodifikationen in<br />
der allgemeinen Rechtsgeschichte.<br />
2. Aufbau des Corpus Iuris Civilis<br />
Das (neutrum!) Corpus Iuris Civilis besteht aus 4 Teilen.<br />
- Der 1. Teil, Institutiones, gibt einen lehrbuchartigen Überblick über die Rechtseinrichtungen, abgekürzt I;<br />
zitiert in der Reihenfolge: Buch, Titel, Paragraph.<br />
- Der 2. Teil, Digesta oder Pandectae, enthält Ausschnitte aus den Schriften der klassischen Juristen,<br />
abgekürzt meistens D; zitiert: Buch, Titel, Fragment, Paragraph.<br />
In den Digesten werden für jedes einzelne Fragment der Autor, das Werk und sogar die Nummer des Bandes,<br />
dem das einzelne Fragment entnommen wurde, angegeben.<br />
Zitat und Herkunftsangabe bezeichnet man als die Inskription einer Stelle.<br />
Die Digesten sind in 50 Blücher eingeteilt. Sie bilden den weitaus umfangreichsten, qualitätvollsten und<br />
historisch wirkungsvollsten Teil des Corpus Iuris.<br />
- Der 3. Teil, der Codex (nicht <strong>zu</strong> verwechseln mit dem Gesamtwerk, dem Corpus),<br />
überliefert einzelne Kaisergesetze, abgekürzt C. Just., oder C., oder, meistens, C;<br />
wiederum zitiert: Buch, Titel, Gesetz, Paragraph.<br />
Manche Kaisergesetze sind so berühmt, dass sie nach ihren Anfangsworten zitiert werden<br />
(s. u. <strong>zu</strong> den Einleitungskonstitutionen).<br />
Zur Inskription der Kaisergesetze gehören der Name des Kaisers, von dem die Äußerung stammt,<br />
und der Name des Adressaten, an den das Schreiben gerichtet war.<br />
Außerdem werden in der Subskription das Datum und oft auch der Ort der Ausfertigung festgehalten.<br />
- Im 4. Teil des Corpus iuris sind später erlassene, also neuere Gesetze, Novellae, gesammelt,<br />
abgekürzt Nov. oder einfach N.<br />
36<br />
37<br />
Dagegen gilt die Maxime: der Richter zählt nicht die Autoren, sondern wägt die Rechtsansichten gegeneinander<br />
ab - iudex non calculat. Andere Erklärung für "iudex non calculat" bei Liebs, Röm. Rechtsregeln, J 150.<br />
K, RRG S. 230 f.: C. Th. 1, 4, 3: Kaiser Theodosius II. und Valentian III.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
48
3. Einführungskonstitutionen im allgemeinen<br />
Die heutigen drei ersten Teile des Corpus iuris, Institutionen, Digesten und Codex,<br />
wurden jeweils durch große kaiserliche Konstitutionen, heute zitiert nach ihren Anfangsworten, eingeführt:<br />
Die Institutionen wurden durch die const. Imperatoriam verkündet.<br />
Die Digestenkommission wurde durch die const. Deo auctore eingesetzt, und die Digesten wurden mit der const.<br />
Tanta / Dedoken auf lateinisch und griechisch verkündet.<br />
Der ersten, nicht überlieferten Fassung des Codex dienten die Konstitutionen Haec und Summa, die zweite, endgültige<br />
Fassung des Codex wurde mit der const. Cordi verkündet.<br />
KAPITEL 3. INSTITUTIONEN JUSTINIANS<br />
Constitutio Imperatoriam, Einleitung Kaiser Justinians <strong>zu</strong> den Institutionen<br />
Die folgenden Begleitblätter beziehen sich häufig auf die Institutionen Justinians. Schauen Sie sich deswegen die<br />
Einleitungskonstitution Kaiser Justinians <strong>zu</strong> seinen Institutionen an:<br />
1. Welcher Kaiser?<br />
2. Was zeigen die Hinweise auf die besiegten Völkerschaften in der Inskription<br />
und die ersten beiden Absätze der Konstitution?<br />
3. Welche Religion wird hier angesprochen?<br />
4. Wer ist der Empfänger der Konstitution?<br />
5. Gerade<strong>zu</strong> sprichwörtlich ist der erste Satz: „Imperatoriam – armatum“.<br />
5b. Was ist mit § 2 gemeint?<br />
5c. Wer sind gemäß § 3 die drei Bearbeiter der Institutionen, wer von ihnen ist der wichtigste?<br />
6. Erörtern Sie Ziele und Maßnahmen der Studienreform gemäß §§ 3 und 7.<br />
6b. Welche beiden anderen Gesetzgebungswerke sind den Institutionen vorangegangen?<br />
7. Welche sind gemäß §§ 5 und 6 die Grundlagen der justinianischen Institutionen?<br />
KAPITEL 4. DIGESTEN<br />
1. Constitutio Deo auctore, Einset<strong>zu</strong>ng der Digestenkommission<br />
Codex Justinians 1. Buch, 17. Titel, Gesetz 1, Anfang und Paragraphen 3 bis 5. (C. 1, 17, 1 pr. und §§ 3 - 5)<br />
Kaiser Justinian, immer Mehrer des Reiches, an Tribonian, Exzellenz, Justizminister.<br />
(pr.) Mit Gottes Hilfe regiere ich mein Reich, das mir von der himmlischen Majestät übergeben ist.<br />
(3) Auf die trefflichen Dienste deiner klaren und rechtschaffenen Persönlichkeit haben Wir hierbei gerechnet. ...<br />
Wir haben dich dabei <strong>zu</strong>gleich angewiesen, nach deinem Ermessen sprachgewandte <strong>Prof</strong>essoren der Rechtswissenschaft<br />
wie auch beredte Anwälte beim Gericht vom höchsten Range <strong>zu</strong>r Mitarbeit aus<strong>zu</strong>wählen.<br />
(4) So befehlen Wir euch also, die das römische Recht betreffenden Schriften der alten Rechtsgelehrten, denen<br />
die verewigten Kaiser die Befugnis <strong>zu</strong>r Schaffung von Juristenrecht und <strong>zu</strong> seiner Erläuterung verliehen haben,<br />
<strong>zu</strong> sammeln und <strong>zu</strong> sichten, damit aus diesen der gesamte Rechtsstoff <strong>zu</strong>sammengetragen wird und man dabei,<br />
soweit möglich, keine ähnliche und keine widersprechende Stelle stehen läßt. Vielmehr soll aus diesen Schriften<br />
das Ergebnis gesammelt werden, das als einheitliche Bestimmung für alle gesetzt wird...<br />
(5) ... Das ganze Recht soll man dann in 50 Bücher und in bestimmte Titel ordnen, und zwar entsprechend dem<br />
Vorbild Unserer Sammlung der kaiserlichen Verordnungen (codex constitutionum) wie gemäß dem der immerwährenden<br />
Ediktsammlung (edictum perpetuum), je nachdem dies euch zweckmäßiger erscheint. Dabei soll<br />
nichts außerhalb der erwähnten Zusammenfassung übrigbleiben können, vielmehr soll das ganze alte Recht, das<br />
30. September 2011<br />
49
durch einen fast 1400-jährigen Zeitraum unübersichtlich geworden und von uns nun gesichtet ist, durch diese 50<br />
Bücher wie durch eine Mauer umgeben sein und nichts mehr außerhalb dieser lassen... Konstantinopel, den 15.<br />
Dezember 530.<br />
Fragen <strong>zu</strong>r const. Deo auctore<br />
1. Wer wird in der Konstitution angesprochen? Wer sollte die Digesten <strong>zu</strong>sammenstellen?<br />
2. Welcher ist der Inhalt der Digesten?<br />
3. Welche Vorgaben machte der Kaiser hinsichtlich des Systems der Digesten?<br />
4. Charakterisieren Sie knapp den Inhalt der Teile des Corpus Iuris Civilis.<br />
5. Zeichnen Sie den Weg der Kodifikation in der Antike nach.<br />
2. Constitutio Tanta, Inkraftset<strong>zu</strong>ng der Digesten 533 n. Chr.<br />
Constitutio Tanta. § 12. Nachdem auf diese Weise die gesamte Ordnung des römischen Rechts <strong>zu</strong>sammengestellt<br />
worden ist ... haben wir auch dieses Werk, das der Sicherung des menschlichen Lebens dient, dem allmächtigen<br />
Gott dargebracht...<br />
§ 13. Wir haben daher als notwendig erkannt, allen Menschen diese Gesetzgebung vor Augen <strong>zu</strong> führen, damit<br />
ihnen bekannt werde (erstens), wie groß die Verwirrung und Weitläufigkeit waren, von der sie befreit worden<br />
sind und wie wohlgeformt und innerlich wahr die Rechtsordnung ist, <strong>zu</strong> der sie jetzt gelangt sind, und (zweitens)<br />
dass sie in Zukunft Gesetze haben, die ebenso sachnah wie knapp sind und die für alle <strong>zu</strong> Tage liegen, und (drittens)<br />
dass ... Reichen wie Armen der Erwerb der Rechtsbücher offensteht...<br />
§ 19... Diese Gesetze sollt ihr also verehren und befolgen, während alles ältere Recht <strong>zu</strong> verstummen hat... Denn<br />
wir verfügen, dass einzig und allein das befolgt werden soll, was wir hiermit als Recht gesetzt haben...<br />
Fragen <strong>zu</strong>r const. Tanta<br />
1. Aus welchem Grund wurde die const. Tanta erlassen?<br />
2. Welche Merkmale des Kodifikationsprinzips sind ihr <strong>zu</strong> entnehmen?<br />
3. Welches weitere Merkmal halten Sie für eine Kodifikation für wesentlich?<br />
3. Überlieferung<br />
Am weitaus besten sind die Digesten überliefert, nämlich in einer Handschrift, die aus dem 6. oder 7. Jahrhundert,<br />
also noch fast aus der Zeit der Kodifizierung stammt. Die Handschrift befindet sich heute in Florenz, daher<br />
Florentina. Überall auf der Welt gebräuchlich ist die von Theodor Mommsen und Paul Krüger hergestellte Ausgabe.<br />
Institutionen, Codex und Novellen sind weniger sicher überliefert.<br />
KAPITEL 5. KODIFIKATION<br />
Stellen der Codex Hammurabi und die Zehn Gebote im Vorderen Orient, die Zwölf Tafeln, das Edikt des Praetors<br />
oder das Corpus Iuris Civilis „Kodifikationen“ dar? Die meisten modernen Wissenschaftler verneinen die<br />
Frage. Was ist eigentlich eine „Kodifikation“?<br />
1. Begriff<br />
Kodifikation ist die Zusammenfassung eines Rechtsgebietes.<br />
2. Eigenschaften<br />
Typischerweise hat eine Kodifikation die folgenden Eigenschaften:<br />
1. Sie umfaßt ein größeres Rechtsgebiet oder mehrere Rechtsgebiete oder sogar die gesamte Rechtsordnung.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
50
(Z. B. regelte das preußische Allgemeine Landrecht von 1794 mit seinen rund 20 000 Paragraphen fast das<br />
ganze Recht von der Verfassung über das Privatrecht und Strafrecht bis <strong>zu</strong>m Beamtenrecht; es war trotzdem<br />
nicht vollständig.)<br />
Schon dadurch unterscheidet sie sich von Einzelgesetzen, die nur einzelne Rechtsverhältnisse regeln.<br />
(Deswegen ist das BGB eine Kodifikation, das Verbraucherkreditgesetz aber nicht.)<br />
Die Kodifikation bezweckt eine gewisse Vollständigkeit.<br />
Ob man trotz Unvollständigkeit von einer Kodifikation sprechen darf, ist zweifelhaft (m.E. <strong>zu</strong> bejahen).<br />
(Deswegen zweifelhaft in be<strong>zu</strong>g auf die römischen Zwölf Tafeln von 499.<br />
Aber selbst das BGB ist nicht vollständig, z. B. keine Definition der zentralen Begriffe “Willenserklärung“<br />
und “Rechtsgeschäft“, viele nicht geregelte Materien aufgezählt im EG BGB.)<br />
2. Die Kodifikation bezweckt die Ordnung des überlieferten Rechtsstoffes und Rechtsreformen. Damit strebt<br />
sie Rechtssicherheit und Gerechtigkeit an. Deswegen wird der Stoff in einer systematischen Weise geordnet,<br />
wobei die Systeme im Laufe der Jahrtausende selbstverständlich verändert werden.<br />
(Selbstverständlich liegt z. B. dem preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 eine andere Systematik<br />
<strong>zu</strong> Grunde als etwa dem BGB von 1896.).<br />
3a) Autor der Kodifikation ist oft ein Herrscher<br />
(Z. B. Hammurabi, Moses, Justinian, Napoleon. Selbst Solon und die Deacem viri übten, neben der Gesetzgebung,<br />
Herrscherfunktion aus.).<br />
Ob man die Arbeiten von Privatleuten als “Kodifikation“ anerkennen soll, kann bezweifelt werden<br />
(aber m.E. <strong>zu</strong> bejahen).<br />
(Deswegen z. B. zweifelhaft der 1. Teil des Corpus Iuris Canonici, das Decretum Gratiani; Eike von<br />
Repgows Sachenspiegel und viele andere mittelalterliche Arbeiten in England, Frankreich und Spanien.)<br />
3b) Selbstverständlich bedient sich der Herrscher <strong>zu</strong> diesem Werk kompetenter Mitarbeiter, z. B. Tribonian,<br />
„Justizminister“ Justinians.<br />
. Häufig wird mit Kodifikationen die Rechtsvereinheitlichung, <strong>zu</strong> politischen und wirtschaftlichen<br />
Zwecken,bezweckt.<br />
(Hammurabi und Justinian nach ihren Eroberungen, Napoleon <strong>zu</strong>r Stärkung der Nation; Deutschland im<br />
19. Jh. <strong>zu</strong>r Vorbereitung oder Fortführung des einheitlichen Wirtschaftsmarkts und der Reichseinheit.)<br />
5. Erfahrungsgemäß werden mit Kodifikationen nur geringe materielle Veränderungen, d. h. Reformen,<br />
des geltenden Rechts beabsichtigt oder erreicht.<br />
(Das war 1896 der Hauptgrund für die Enttäuschung über das BGB.)<br />
6. Den Anlaß bilden häufig Staatsumwäl<strong>zu</strong>ngen. Häufig wird die Kodifikation auch als Propagandamittel<br />
eingesetzt.<br />
(z. B. durch Kaiser Iustinian, 533 n. Chr.; Napoleon, 1804; für den Glanz des Reiches 1896).<br />
7. Die neueren Kodifikationen sollten als "staatliches Recht" unmittelbare Geltung haben. Ob das auch für die<br />
alten Rechtsaufzeichnungen gilt und ob man sie auch ohnedies als Kodifikationen ansehen darf, ist<br />
zweifelhaft (m. E. ja).<br />
(Deswegen z. B. Bedenken in be<strong>zu</strong>g auf Codex Hammurabi und Zehn Gebote oder Sachsenspiegel.)<br />
8. Das Wort ist abgeleitet vom lateinischen Codex, insbesondere Codex Iustiniani (um 533 n. Chr.).<br />
9. Sehr oft benutzen einzelne Rechtshistoriker engere Kodifikationsbegriffe, mit denen sie allein die<br />
modernen Gesetzbücher erfassen.<br />
10. Besonders wichtig der "Kodifikationsstreit" in Deutschland 1814 zwischen Thibaut (für eine gesamtdeutsche<br />
Kodifikation) und Savigny (dagegen) und der Kodifikationsvorgang seit 1873.<br />
30. September 2011<br />
51
3. Große „Kodifikationen“ (Gesetzeswerke) in der Antike<br />
Um 1700 Codex Hammurabi, Babylon<br />
um 1200 Dekalog Moses, Israel<br />
um 600 <strong>Dr</strong>akon und Solon, Athen<br />
Mitte 5. Jhdt. v. Chr. Gortyn, Zwölf Tafeln, Rom<br />
533 n. Chr. Corpus Iuris Civilis, Kaiser Iustinian, Byzanz.<br />
8. Große „Kodifikationen“ (Gesetzeswerke) im Mittelalter und in der frühen Neuzeit<br />
Um 500 - 800 Germanenrechte (leges Barbarorum)<br />
Um 1140 Corpus iuris canonici<br />
um 1230 Sachsenspiegel Eikes von Repgow<br />
1532 Carolina, Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V.<br />
9. Zivilrechtskodifikationen in der Neuzeit<br />
1756 Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis von Kreittmayr<br />
Die drei Naturrechtskodifikationen:<br />
1794 Preußisches Allgemeines Landrecht von Suarez (nicht nur Zivilrecht)<br />
1804 Code Civil = Code Napoléon<br />
1811 Österreich. Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB).<br />
1896 BGB.<br />
10. Geltendes Recht<br />
Die deutschen Juristen denken bei dem Stichwort “Kodifikation“ sofort an das BGB. Das Handelsgesetzbuch<br />
und das Strafgesetzbuch sind bestimmt Kodifikationen. Sehr viele andere Gesetzeswerke haben die Eigenschaften<br />
von Kodifikationen, werden aber kaum je als solche bezeichnet, z.B. die vier Reichsjustizgesetze von 1877<br />
(GVG, ZPO, StPO, KO) oder das jetzt geltende Baugesetzbuch oder das im Entstehen begriffene Sozialgesetzbuch.<br />
Verfassungen passen unter die Bezeichnung „Kodifikation“, werden aber wegen ihrer besonderen Charakteristika<br />
kaum als solche angesehen).<br />
Frankreich ist mit der Bezeichnung „Code“ sehr viel großzügiger und kennt z. B. einen Code de la consommation<br />
38<br />
.<br />
KAPITEL 6. GELTUNG DES CORPUS IURIS UND DES RÖMISCHEN RECHTS<br />
Tatsächlich war das römische Recht im Westen stärker verbreitet als im Osten. Zwischen beiden Reichsteilen<br />
hatten schon immer erhebliche wirtschaftliche, kulturelle und sprachliche Unterschiede bestanden.<br />
Kaiser Diokletian (284 – 305) gliederte das Reich in vier Teilgebiete, um die Verwaltung <strong>zu</strong> vereinfachen, Kaiser Konstantin d. Gr. (325 –<br />
337) erwählte Byzantium unter dem Namen Constantinopolis <strong>zu</strong>r Hauptstadt, damit Verstärkung der schon vorher begonnenen Spaltung des<br />
Reichs, danach Doppelreich seiner Söhne, wiederholte Wiederherstellung der Reichseinheit, nach dem Tode Theodosius’ I. (395) wird die<br />
Teilung endgültig. 476 Abset<strong>zu</strong>ng Kaiser Romulus’ Augustulus im Westen, damit Ende des römischen Reichs im Westen. Erst 1453 Eroberung<br />
Konstantinopels durch die Türken.<br />
1. Geltung in Ostrom<br />
1. Im hellenistischen Bereich, vor allem in Ägypten, hatten einheimische Rechte, nämlich hochentwickelte<br />
„Volksrechte“, auch in den römischen Provinzen weiter gegolten.<br />
2. Dennoch war das Corpus Iuris Civilis in erster Linie für Ostrom / Byzanz bestimmt worden. Aber bald<br />
wurde die Handhabung des umfangreichen Textes in lateinischer Sprache <strong>zu</strong> schwierig. Es wurden grie-<br />
38<br />
Große Diskussion über Begriff etc jetzt bei Vogel u. a. anlässlich Code-civil-Jubiläum.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
52
chisch-sprachige Auszüge für die Praxis hergestellt und auf der Grundlage des römischen Rechts vom Kaiser,<br />
Basileus, neue Gesetze erlassen, daher Basiliken genannt.<br />
2. Geltung im Westen<br />
1. Im Westen hatte römisches Recht die vorher bestandenen einheimischen Rechte weitgehend verdrängt.<br />
2. Es hatte aber nicht das hohe fachliche Niveau wie in der Stadt Rom selbst, sondern war stärker durch einfachere<br />
Volksanschauungen 39<br />
geprägt. Man (als erster Ernst Levy) sprach daher in der zweiten Hälfte des<br />
20. Jh. in der romanistischen Forschung von weströmischem Vulgarrecht. Auf diesem einfacheren Niveau<br />
und mit einheimischen Anschauungen durchsetzt lebte das römische Recht in den weströmischen Provinzen<br />
fort.<br />
3. Als mit derVölkerwanderung Germanen auf dem Boden der weströmischen Provinzen ihre Königreiche errichteten,<br />
brachten sie ihre eigenen Rechte mit.<br />
Aber die germanischen Könige<br />
- ließen nicht allein, entsprechend dem Personalitätsprinzip, das römische Recht für die<br />
römischen Bürger fortbestehen, so dass auf demselben Gebiet zwei Rechtsordnungen<br />
nebeneinander bestanden,<br />
- sondern sie zeichneten, im 5. Jahrhundert n. Chr., also noch vor Justinian, das römische Recht für die<br />
römischen Bewohner auf 40<br />
.<br />
4. Zum Teil wurde römisches Recht auch in die germanischen Volksrechte, leges barbarorum, übernommen,<br />
die zwischen 500 und 800 aufgezeichnet wurden 41<br />
, am wichtigsten der langobardische edictus Rothari und<br />
die lex Salica des fränkischen Königs Chlodwig.<br />
5. In Italien wurde das Corpus Iuris nach der Vernichtung des Ostgotenreiches eingeführt, 553/554 n. Chr. 42<br />
6. Die Digesten sind vor allem in jener Handschrift aus dem 6. Jahrhundert überliefert, die nach der Eroberung<br />
Pisas durch die Florentiner von dort nach Florenz überführt wurde, die sogenannte „Florentina“.<br />
KAPITEL 7. REZEPTION DES RÖMISCHEN RECHTS IM MITTELALTER<br />
Die Periodisierung „Mittelalter“ (etwa 400 43<br />
39<br />
40<br />
41<br />
42<br />
bis 1500 44<br />
) und „Neuzeit“ ist problematisch.<br />
Kaser, RRG 234, zählt nicht <strong>zu</strong>mVulgarrecht „die eindringenden Rechtsgedanken nichtrömischen, besonders<br />
hellenistischen Ursprungs“.<br />
Conrad I S. 365; Kaser, RRG S. 235 f.: Edictum Theodorici, Ende 5. Jh., entweder des Westgotenkönigs<br />
Theodorich II., oder des Ostgotenkönigs Theoderichs d. Gr.; Lex Romana Visigothorum, Alarich, Westgotenreich<br />
/ Spanien, 506, sogen. Breviarium Alaricianum; Lex Romana Burgundionum, um 500.<br />
Herausgegeben mit Überset<strong>zu</strong>ng von K. A. Eckhardt, Germanenrechte. - Conrad I S. 62 f., 131: lex Burgundionum,<br />
um 500; edictus Rothari der Langobarden, 643 („hervorragendste legislative Schöpfung aus der Zeit der<br />
Volksrechte“); lex Salica des fränkischen Königs Chlodwig (507 – 511); lex Ribuaria der ribuarischen Franken,<br />
7. Jh.; lex Baiuvariorum, 8. Jh.; pactus Alamannorum, 7.Jh.; lex Saxonum, wahrscheinlich auf Aachener<br />
RT, 802/803 etc. – Seit etwa 600 n. Chr. auch Gesetze der Angelsachsen (also in nach-römischer aber vornormannischer<br />
Zeit), bemerkenswerterweise in angelsächsischer Sprache.<br />
Kübler, Geschichte, S. 417: Pragmatische Sanktion Kaiser Justinians nach der Eroberung Roms durch Narses.<br />
30. September 2011<br />
53
1. Was ist „Rezeption des römischen Rechts“?<br />
Die Übernahme (recipere = empfangen) des Rechts, das im Wesentlichen im Corpus Iuris verkörpert und von<br />
den Glossatoren und ihren Nachfolgern wissenschaftlich erklärt worden ist, im mittelalterlich-neuzeitlichen Europa<br />
45<br />
.<br />
2. Wie? Wie aber nicht?<br />
Allmählich, durch immer häufigeren Gebrauch durch Juristen, <strong>zu</strong>erst in der Verwaltung, dann in der Rechtsprechung<br />
und als Grundlage für Rechtsreformen.<br />
Es ist wichtig, dass die Übernahme des römischen Rechts aber nicht durch einen Befehl von oben veranlasst<br />
worden ist. Kein Kaiser hat jemals befohlen: „Nun wird das römische Recht angewandt“.<br />
3. Wo?<br />
1. Vor allem im Heiligen römischen Reich deutscher Nation, wohin sich das römische Recht im Wesentlichen<br />
in der Antike oder im Frühmittelalter noch nicht durch römische Besat<strong>zu</strong>ng oder auf andere Weise<br />
ausgebreitet hatte.<br />
2. Hingegen musste das römische Recht in den Mittelmeerländern (Italien, Südfrankreich, Spanien)<br />
nicht neu eingeführt werden. Dort brauchte es nur wieder gewissermaßen aufgeweckt <strong>zu</strong> werden, weil es dort<br />
schon seit der Antike galt, wenn auch schließlich nur noch in sehr verminderter Weise. Das Ergebnis ist aber<br />
weitgehend das gleiche: Geltung des römischen Rechts in der Bearbeitung von Glossatoren und deren Nachfolgern.<br />
3. Von der Rezeption weniger berührt wurden England, Skandinavien und Osteuropa sowie jene deutschen<br />
Gebiete, in denen der Sachsenspiegel oder ein starkes Stadtrecht (z. B. Lübeck) galt (aber auch nicht etwa<br />
gänzlich unberührt).<br />
4. Wann? In drei Schritten.<br />
1. Entscheidend ist für die europäische Zivilisation, dass seit dem 11. Jh. das antike römische Recht in<br />
Bologna wiederentdeckt wurde. Die wichtigste Handschrift nämlich die der Digesten aus dem 6. Jahrhundert, befindet<br />
sich allerdings in Florenz, die Florentina. Der erste berühmte Rechtslehrer in Bologna war Irnerius. Er<br />
und seine Nachfolger versahen die einzelnen Fragmente mit Erklärungen, sogen. Glossen. Sie wurden deswegen<br />
Glossatoren genannt. „Die“ Glosse, nämlich die Glossa ordinaria, stammte von Accursius (um 1200). Das Ansehen<br />
der Glossa ordinaria war so groß, dass diejenigen Teile des römischen Rechts, die sie nicht behandelte,<br />
auch später von den Gerichten nicht berücksichtigt wurden, nach der Rechtsmaxime: Was die Glossa nicht anerkennt,<br />
erkennt auch das Gericht nicht an - Quidquid non agnoscit glossa, non agnoscit curia. Umgekehrt galt<br />
später in Deutschland vor Gericht die Vermutung, dass ein Text aus dem Corpus iuris, <strong>zu</strong> dem es eine Anmer-<br />
43<br />
44<br />
45<br />
Die meisten heutigen Schriftsteller lassen das Mittelalter mit dem Beginn der Völkerwanderung (375, Einfall<br />
der Hunnen in das Ostgotenreich am Dnjepr), dem Untergang des weströmischen Reiches (476, In demselben<br />
Jahr Romulus Augustulus eingesetzt und abgesetzt) oder den germanischen Reichsbildungen im 5.Jahrhundert<br />
(418 – 507 Tolosanisches Westgotenreich, 443 – 532/534 Burgunderreich, 493 – 553 Ostgotenreich in Italien,<br />
429 – 534 Vandalenreich in Afrika, ab 482 Frankreich Chlodwigs in Gallien) beginnen.<br />
Als Ende gelten „die großen Entdeckungen“ des 15. Jh. (1492 Kolumbus) oder die Reformation (1517 Luthers<br />
95 Thesen in Wittenberg).<br />
Vgl. G. Köbler, Lexikon der europäischen Rechtsgeschichte, shv.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
54
kung der Glossa ordinaria gab, rezipiert worden war, sogenannte fundata intentio 46<br />
. Die auf die Glossatoren folgenden<br />
Gelehrten, unter ihnen Bartolus 47<br />
und Baldus, werden schlicht „Postglossatoren“ oder „Kommentatoren“<br />
oder „Konsiliatoren“ genannt. Ihr in Italien gelehrter Stil ist als mos italicus bekannt.<br />
Das von den Glossatoren und ihren Nachfolgern praktisch für ganz Europa geschaffene Recht wurde als ein europäisches<br />
gemeinsames Recht angesehen, als das ius commune.<br />
Weitere <strong>Universität</strong>en werden gegründet (Paris, Oxford und Cambridge, Salamanca), im Heiligen Römischen<br />
Reich Deutscher Nation <strong>zu</strong>erst Prag (1348), bis Ende 14. Jh. noch Wien, Heidelberg, Köln und Erfurt. Überall<br />
wird römisches und kanonisches, d. h. kirchliches, Recht gelehrt und studiert. Auch juristische Werke werden<br />
<strong>zu</strong>nehmend verfasst und allgemein verbreitet. Überall wird das römische Recht als die Schrift gewordene Vernunft,<br />
ratio scripta, angesehen.<br />
2. Etwa seit dem 12. Jahrhundert zogen immer mehr Interessenten, auch aus dem späteren Deutschland, dem<br />
Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, nach Italien und in anderer <strong>Universität</strong>en, um dort das kanonische<br />
(d. h. kirchliche) und römische Recht <strong>zu</strong> studieren. Außerdem wandte die Kirche dort, wo das kanonische Recht<br />
Lücken aufwies, römisches Recht an, nach der Rechtsmaxime: Die Kirche lebt nach römischem Recht - Ecclesia<br />
vivit lege Romana. Diese ist die Periode der Frührezeption.<br />
3. Schließlich wurde das gesamte Rechtsleben von dem römischen Recht eingenommen (soweit nicht einheimisches<br />
Recht nach<strong>zu</strong>weisen war), das ist die Vollrezeption des 15. Jahrhunderts, endend mit der Reichskammergerichtsordnung<br />
von 1495, die die subsidiäre Anwendung des „Reichs gemeine Rechte“ (in der Bedeutung<br />
des römischen Rechts) anordnete. Es folgten im späteren Deutschland der „neuere Gebrauch der Digesten“ = usus<br />
modernus pandectarum 48<br />
(16. bis 18. Jahrhundert) 49<br />
, etwa gleichzeitig das Naturrecht (17. und 18. Jahrhundert),<br />
und im 19. Jahrhundert das „gemeine Recht“, die historische Rechtsschule und die Nachrezeption.<br />
5. Welcher Inhalt?<br />
1. Weitgehend Schuld- und Mobiliarsachenrecht. Teile und Anregungen aus sonstigem Privatrecht (z. B.<br />
Erbrecht), Verfahrensrecht, Staatsrecht und Strafrecht.<br />
2. Methode der römischen Juristen, modifiziert durch Methoden der Glossatoren und Kommentatoren.<br />
6. Aber nur subsidiäre Geltung<br />
Theoretisch nur subsidiäre Geltung, da Territorialrecht vorgeht. Praktisch wurde es jedenfalls vom Reichskammergericht,<br />
den meisten Obergerichten der Territorien und den <strong>Universität</strong>slehrern für ihre Rechtsgutachten bevor<strong>zu</strong>gt.<br />
7. Warum? Gründe für die Rezeption<br />
46<br />
47<br />
48<br />
49<br />
Wieacker, PRGNZ, 2. A., S. 203. Trotz dieser Geltung des römischen Rechts blieb es bei dessen Subsidiarität.<br />
– Ius romanum allegans fundatam habet intentionem (Köbler, Lexikon der europäischen RG, shv; Liebs shv).<br />
Goethe am 25. September 1786: „Ich war auf der Bibliothek, die Büste des berühmten Juristen Bartolius (!) <strong>zu</strong><br />
sehen, die aus Marmor gearbeitet oben steht. Es ist ein festes, freyes wackres, schönes Gesicht von trefflicher<br />
Bildung und freut mich auch diese Gestalt in der Seele <strong>zu</strong> besitzen“ (Goethe, Tagebuch der Italienischen Reise,<br />
itb 176, 1976, S. 86).<br />
Stryk, 1701.<br />
„Usus modernus, die wichtigsten Namen“ bei Wesel Nr. 247.<br />
30. September 2011<br />
55
1. Vorbild und fortdauernde Leistungen Roms in anderen Bereichen<br />
Im Mittelmeerraum und auch in Teilen des späteren Deutschland: römische Straßen, Brücken, Stadtanlagen und<br />
sonstige Bauwerke. Römisch-lateinische christliche und profane Literatur. Lateinische Schrift und Sprache (auch<br />
für die Rechtsaufzeichnung der Germanen). Römische Provinzialverwaltung (teilweise übernommen von den<br />
christlichen Bistümern). Römisches Urkundenwesen.<br />
2. Rechtseinheit<br />
Das Recht in Europa ist unvorstellbar stark zersplittert. Die Rechtszersplitterung nimmt später in Deutschland<br />
noch <strong>zu</strong>, da das Heilige Römische Reich Deutscher Nation (im Unterschied <strong>zu</strong> England und Frankreich) keine<br />
Einheit gewinnt. Das römische Recht hat demgegenüber den Vor<strong>zu</strong>g, überall mit demselben Text <strong>zu</strong> gelten. Übrigens<br />
ist damit der Gebrauch der überall identischen Sprache, des Lateinischen, verbunden. Da dieses römische<br />
Recht allgemein gilt, spricht man seit dem Mittelalter von ius commune (im Gegensatz <strong>zu</strong> den partikularen Rechten).<br />
3. Rechtssicherheit durch Schriftlichkeit<br />
Die einheimischen Rechte sind oft ungewiss, weil nur mündlich überliefert. Das römische Recht hingegen ist<br />
schriftlich aufgezeichnet.<br />
4. Wissenschaftlichkeit<br />
Im Hochmittelalter (etwa 900 bis 1250) 50<br />
wachsen überall die intellektuellen, politischen und wirtschaftlichen<br />
Anforderungen so sehr, dass allgemein die vorhandenen älteren Rechte den Bedürfnissen der gelehrten Welt, der<br />
Politik und der Städtewirtschaft nicht mehr genügen.<br />
Die im antiken Rom ausgebildeten Differenzierungen, Institutionen, Regeln, Rechtsmaximen und Argumentationen<br />
der Römer werden in ganz Europa aufgenommen, d. h. "rezipiert", und fast überall als das gemeinsame<br />
Recht, Ius commune, anerkannt.<br />
5. Autorität<br />
Damit ist das römische Recht ausgezeichnet durch ratio und auctoritas. Damit ist das Corpus Iuris vergleichbar<br />
der Bibel für die Religion, den Schriften des Aristoteles für die Philosophie und den Werken Galens für die Medizin.<br />
Das römische Recht gilt als Kaiserrecht. Da der deutsche König als Nachfolger der antiken Kaiser gilt, wird es<br />
infolge dieser „Romidee“ im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation angewandt.<br />
6. Juristenstand<br />
Sowohl Vorausset<strong>zu</strong>ng als auch Folge der Rezeption des römischen Rechts ist das Entstehen des Standes professioneller<br />
Juristen, die einheitlich und <strong>zu</strong>m großen Teil auf auswärigen <strong>Universität</strong>en ausgebildet waren, die einerseits<br />
in gewisser Weise selbst austauschbar waren und andererseits für austauschbare Angelegenheiten (Verwaltung<br />
der verschiedensten Art, Rechtsprechung und –beratung, Gesetzesvorbereitung) eingesetzt werden<br />
konnten.<br />
8. Kritik<br />
1. Nationalistische Kritik: „deutsches Recht für deutsche Männer“: das römische Recht habe das einheimische<br />
verdrängt.<br />
2. Inhaltlich politisch-soziale Kritik: Nutzen der römischen Rechtsregeln für Kaiser oder für Oberschicht,<br />
eingesetzt etwa gegen Bauern / Leibeigene.<br />
50<br />
Von Otto d. Gr. (936 – 973) bis Friedrich II. (1212 – 1250), danach Interregnum (1256 – 1273).<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
56
3. Gesellschaftlich: Erset<strong>zu</strong>ng der bisher ehrenamtlichen Verwaltung und Streitschlichtung durch professionelle,<br />
oft auswärtige Juristen.<br />
9. Wirkungen<br />
Infolge der Rezeption haben die Rechtsordnungen der europäischen Staaten (etwas weniger in England) denselben<br />
Ursprung und sind sich bis heute ziemlich ähnlich. Das römische Recht ist in Teilen Deutschlands bis <strong>zu</strong>r<br />
Einführung des BGB, also bis 1900 in Geltung. Das moderne deutsche Recht, besonders stark die ersten drei Bücher<br />
des BGB und große Teile des Erbrechts, ist noch heute durch das römische Recht geprägt. Vor allem die juristische<br />
Argumentationsweise und die in den Schriften der römischen Juristen sowie in den Rechtssprichwörtern<br />
<strong>zu</strong>m Ausdruck gelangende Rechtsgesinnung wirken weiter fort 51<br />
.<br />
10. Weltberühmtes Grundlagenwerk<br />
F. C. von Savigny (1779 – 1861), Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter, 2. Aufl., 7 Bde. Lesenswert:<br />
Paul Koschaker, Europa und das römische Recht, 1947. Seitdem viel und bedeutende neuere Literatur 52<br />
.<br />
11. Vokabular<br />
Die heute noch bekannten lateinischen Ausdrücke aus dem Unterrichtsleben und Wissenschaftsbetrieb stammen<br />
<strong>zu</strong>m Teil noch aus der Antike, <strong>zu</strong>m Teil jedoch erst aus dem Mittelalter, z. B.<br />
cf. (confer, conferatur) vergleiche<br />
communis opinio allgemeine Meinung<br />
cum laude mit Lob<br />
cum tempore mit Zwischenzeit, d. h. nach einer Viertelstunde Pause<br />
curriculum (vitae) Laufbahn (Lebenslauf)<br />
Definition Begriffsbestimmung<br />
doctor Lehrer, Exerziermeister<br />
Dozent Lehrender<br />
emeritus ausgedient (
ACHTER TEIL<br />
VERFAHREN<br />
KAPITEL 1. DAS AKTIONENSYSTEM UND SEINE ÜBERWINDUNG<br />
Im römischen Recht, wie wohl in allen alten Rechten, konnte eine Partei einen Anspruch nur geltend machen,<br />
wenn er vorher, abstrakt, in der Rechtsordnung anerkannt war. Die Klage musste sich im System der bereits vorhandenen<br />
Klagen, actiones, halten. Es bestand gewissermaßen ein numerus clausus der Klagmöglichkeiten.<br />
Auch in diesem Sinne kann man von einem "aktionenrechtlichen Denken" sprechen. Insbesondere konnte nicht<br />
auf Grund von Vereinbarungen geklagt werden, die der Rechtsordnung bis dahin unbekannt waren. Denn eine<br />
bloße, nicht durch die Rechtsordnung anerkannte, Vereinbarung, brachte keine Klage hervor: nudum pactum non<br />
parit actionem. Insofern herrschte keine Vertragsgestaltungsfreiheit.<br />
D. 2, 14, 7, 5; 2, 14, 7, 4 etc.<br />
Zu den weltgeschichtlichen Leistungen des römischen Rechts gehört nun die Überwindung dieses starren Systems<br />
auf ganz unterschiedlichen, teils prozessualen, teils rechtsgeschäftlichen Wegen:<br />
- Der praetor selbst verhieß in seinem Edikt, er werde einfache Vereinbarungen schützen,<br />
pacta conventa servabo,<br />
allerdings nicht durch die Gewährung einer Klage,<br />
sondern nur durch Berücksichtigung mittels Einrde, exceptio, daher: exceptio pacti,<br />
insbesondere formlose Stundung oder Erlass.<br />
- Anerkannt waren pacta adiecta, also Nebenabreden <strong>zu</strong> bekannten Verträgen, z. B. <strong>zu</strong> einem Kaufvertrag.<br />
- Der praetor sorgte durch actiones in factum, actiones ficticiae, actiones utiles, actiones ad exemplum und<br />
durch Klagen "quasi" statt der normalen Klage für die Erweiterung der Anspruchsmöglichkeiten,<br />
- die Juristen empfahlen vielfältig Analogien, insbesondere durch eine "nützliche" Klage, actio utilis,<br />
oder eine in erster Linie die Tatsachen berücksichtigende Klage, actio in factum,<br />
die praetor und iudex anerkannten; Beispiele aus dem Bereich der lex Aquilia in Inst. Iust. 4, 3, 16.<br />
- Später fanden sogar bestimmte unbenannte Verträge, Innominatkontrakte, Anerkennung.<br />
- Besonders wichtig war die Stipulation, die jeden erlaubten Inhalt aufnehmen konnte.<br />
Insbesondere konnten die Parteien durch Vertragsstrafevereinbarungen in der Form einer Stipulation<br />
indirekt die Erfüllung von Vereinbarungen erzwingen.<br />
KAPITEL 2. DER RÖMISCHE FORMALISMUS UND SEINE ÜBERWINDUNG<br />
Formalismus in dem Sinne der Abhängigkeit eines rechtlich erheblichen Vorganges von der Beachtung von Bestimmungen<br />
über die Vorgehensweise war in der Religion, im römischen Staatsrecht, bei der Rechtsset<strong>zu</strong>ng, im<br />
Prozess etc. selbstverständlich. Erforderlich war vor allem das Sprechen besonderer Formeln. Daher der "Ausspruch"<br />
- das edictum (vgl. dícere – sagen) - des Beamten (und nicht etwa: Vor-schrift) oder das "Spruchformel-<br />
Verfahren" für den altrömischen Prozess.<br />
Auch wichtige Privatrechtsakte waren formgebunden, insbesondere die Rechtsübertragung mittels in iure cessio<br />
oder mancipatio und das Schuldversprechen mittels sponsio (später: stipulatio). Die Jurisprudenz bildete auf<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
58
Grund der anerkannten Formalakte nachgeformete Rechtsgeschäfte aus 53<br />
, z. B. aus der mancipatio die emancipatio.<br />
Das hatte auch Bedeutung für die Auslegung eines entsprechenden Rechtsgeschäfts.<br />
Oft waren da<strong>zu</strong> Zeugen erforderlich, z. B. bei der mancipatio.<br />
Hingegen galt das Erfordernis der Schriftform im Wesentlichen nur für das Prozessrecht der klassischen Zeit,<br />
das daher sogenannte Schriftformel-Verfahren oder einfach Formularverfahren, sowie für das Testament und für<br />
die in klassischer Zeit kaum mehr benutzten Litteralkontrakte. Zu Beweiszwecken wurden aber, wie seit der Erfindung<br />
der Schrift bis heute, wichtige oder komplizierte Rechtsgeschäfte schriftlich festgehalten.<br />
Formfreie Rechtsgeschäfte wurden erst später anerkannt, so die Übereignung mittels traditio und die Schuldverträge<br />
mittels einfachen Konsenses, insbesondere Kauf, Miete etc. (locatio conductio), Gesellschaft und Auftrag.<br />
Auch diese Überwindung des Formalismus ist eine rechtshistorisch einzigartige Leistung des römischen Rechts.<br />
Da die actiones aus den Konsensualkontrakten ex fide bona gewährt werden, wird überhaupt ihre prinzipielle<br />
Klagbarkeit auf der römischen Treue, fides, beruhen, so insbesondere die Auffassung von Fritz Schulz, Prinzipien<br />
des römischen Rechts, 1934.<br />
Die Fragen der Formfreiheit und Formgebundenheit wurden auch später vielfach diskutiert,<br />
- im 19. Jahrhundert (Savigny und Ihering),<br />
- bei der Entstehung des BGB allgemein (§ 125)<br />
und des schriftlichen (nicht notariellen) Testaments,<br />
- im Konsumentenschutz am Ende des 20. Jh.<br />
KAPITEL 3. PROZESSRECHT IM KURZÜBERBLICK<br />
Inst. Iust. 4, 6 pass. (de actionibus), Inst. 4, 10 bis 17<br />
Recht Haben ist bekanntlich nicht dasselbe wie Recht Bekommen. Die heutigen <strong>Universität</strong>sjuristen machen sich<br />
<strong>zu</strong> wenig klar, wie eigentlich das Recht "funktioniert". Die römischen Juristen gingen vom Prozess, von der Klage,<br />
der Actio, aus. Ihr Denken war, wie es heißt, aktionenrechtlich bestimmt. Die scharfe Trennung von Prozessrecht<br />
und materiellem Recht gelang erst dem großen Juristen Bernhard Windscheid (1817 - 1892). Eine gewisse<br />
Parallele <strong>zu</strong>m aktionenrechtlichen Denken stellt die heutige Anspruchsmethode dar. Auch der moderne Rechtsanwalt<br />
zieht selbstverständlich prozessuale Gesichtspunkte in seine Überlegungen ein.<br />
Im Prozess stehen sich der Kläger, Actor, und der Beklagte, Reus, gegenüber. Es gibt eigentliche Prozessvertreter,<br />
vor allem procurator und cognitor, auch tutor und curator. Ihnen können Prozessbeistände wie Redner (oratores),<br />
Schutzherren (patroni) oder Anwälte (advocati) <strong>zu</strong>r Seite stehen, sie spielen aber in den Digesten kaum<br />
eine Rolle.<br />
Inst. Iust. 4, 13 + 14.<br />
Der Klage, Actio, des einen stellt der andere die Einrede, Exceptio, des Beklagten gegenüber. Gegenüber der Exceptio<br />
kann der Kläger eine Replicatio haben. Die meisten Actiones und Exceptiones sind im Edikt des Praetors<br />
oder Aedils aufgeführt.<br />
Der Prozess ist, wie immer und überall, stark formalisiert. In der Frühzeit müssen die Parteien bestimmte Formeln<br />
sprechen, daher sogen. Spruchformelverfahren oder auch Legisaktionenprozess, da im Grundsatz nur die<br />
im Gesetz, lex, vorgesehenen actiones geltend gemacht werden können.<br />
Einzelheiten für Verfahren und materielles Recht sind in der „allgemeinen Anordnung“, d. h. im Edictum, des<br />
Praetors oder Aedils niedergelegt. Zuständig für den Prozess sind erstens ein bestimmter Beamter, der Praetor<br />
53<br />
Da<strong>zu</strong> Ernst Rabel, s. u. bei mancipatio.<br />
30. September 2011<br />
59
oder Aedil, und zweitens der von diesen verschiedene Richter, Iudex, oder eine Köperschaft von Richtern, eine<br />
sogen. Richterbank (in wichtigen Angelegenheiten, z. B. in großen Erbprozessen, bis <strong>zu</strong> hundert, Centum viri),<br />
die typischerweise gerade nicht Beamte sind.<br />
Der Prozess der Frühzeit wie der klassischen Zeit ist nämlich zweigeteilt: er wird im Gericht, in iure, „eingeleitet“<br />
vor dem Praetor oder Aedil. Dieser Beamte, magistratus, kann bei einer aussichtslosen Klage diese sofort<br />
abweisen, denegare actionem. In den meisten Fällen jedoch erteilt er den Parteien eine Art Verfahrensprogramm<br />
in der schriftlichen Prozessformel. Daher nennt man das in klassischer Zeit übliche Verfahren das „Schriftformelverfahren“<br />
oder einfach „Formularprozess“. Die Schriftformel enthält eine höchst konzentrierte Zusammenfassung<br />
der Anspruchsvorausset<strong>zu</strong>ngen und den Befehl an den iudex, bei Vorliegen der Vorausset<strong>zu</strong>ngen der<br />
Klage statt<strong>zu</strong>geben und bei Fehlen der Vorausset<strong>zu</strong>ngen die Klage ab<strong>zu</strong>weisen..<br />
Der Prozess wird bei dem Richter, apud iudicem, entsprechend der Klagformel durchgeführt und abgeschlossen,<br />
hier werden auch Beweise erhoben, und der Iudex spricht schließlich das Urteil.<br />
Daneben entwickelte sich bereits in republikanischer Zeit eine „Untersuchung und Entscheidung außerordentlicher<br />
Art“, cognitio extra ordinem. Daher spricht man nun vom „Kognitionsprozess“. Dieser wurde ohne Zweiteilung<br />
des Prozesses von Anfang bis Ende durch einen einzigen Beamten oder Richter, den iudex unus, durchgeführt.<br />
Damit haben wir drei Perioden der Prozessrechtsgeschichte: Spruchformelverfahren, Schriftformelverfahren,<br />
Kognitionsverfahren.<br />
Rechtsmittel gab es anfangs nicht 54<br />
. Eine Überprüfung einer Entscheidung in der Art einer Berufung oder Revision<br />
war anfangs kaum möglich. Erst gegen Entscheidungen in der cognitio extra ordinem war ein Rechtsmittel<br />
an die höhere Instanz, in letzter Instanz an den Kaiser, gegeben.<br />
Dem antiken oder mittelalterlichen Verfahrens- und Beweisrecht entstammt eine Reihe wichtiger Rechtsmaximen:<br />
Actori incumbit probatio. Der Kläger trägt (normalerweise) die Beweislast.<br />
Actor sequitur forum rei. Der Kläger folgt dem Gerichtsstand des Beklagten (s. § 13 ZPO).<br />
Audiatur et altera pars. Man muß auch die Gegenseite anhören.<br />
Confessio est regina probationum. Das Geständnis ist die Königin der Beweise.<br />
Da mihi factum, dabo tibi ius. Gib du mir den Sachverhalt, so geb' ich dir das Recht.<br />
Die Parteien liefern die Tatsachen und das Gericht das Recht.<br />
Ei incumbit probatio Derjenige trägt die Beweislast, der behauptet,<br />
qui dicit, non qui negat. nicht derjenige, der bestreitet.<br />
Iudex non calculat. Der Richter rechnet nicht; er zählt nicht die Argumente,<br />
sondern wägt sie ab.<br />
Iura novit curia. Das Gericht kennt die Rechte,<br />
die Parteien brauchen das Recht nicht nach<strong>zu</strong>weisen.<br />
Minima non curat praetor. Der Gerichtsherr kümmert sich nicht um Kleinigkeiten.<br />
Ne bis in idem (ne sit actio). Nicht zweimal wegen derselben Angelegenheit prozessieren.<br />
Ne ultra petita. Genauer: Der Richter darf nicht über den Parteiantrag hinausgehen.<br />
Ne eat iudex ultra petita partium. § 308 Abs. 1 ZPO.<br />
54<br />
Dulckeit/Schwarz/Waldstein, RRG, 9. A., 1995, § 23 I 6, S. 162: In dem Verfahren, das vor die Vollstreckung<br />
geschaltet war, actio iudicati, konnte der Beklagte das vorangegangene Urteil als unrechtmälßig beanstanden,<br />
wurde aber im Falle des abermaligen Unterliegens auf das Doppelte verurteilt.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
60
Quod non est in actis, Was nicht in den Akten,<br />
non est in mundo. ist nicht in der Welt<br />
Res ipsa loquitur. Die Sache spricht für sich.<br />
Roma locuta, causa finita. Rom (d. h. der Papst) hat gesprochen, die Sache ist entschieden.<br />
M. Kaser, K. Hackl, Das römische ZivilProzessrecht, 2. Aufl., München 1997.<br />
Ausdrücke<br />
accusare anklagen<br />
actio Klage, Anspruch<br />
advocatus Gerichtsbeistand<br />
ágere klagen<br />
appelláre ansprechen; eine höhere Behörde anrufen<br />
exceptio Einrede, Einwendung<br />
ex officio von Amts wegen<br />
forum in Rom öffentlicher Platz für Versammlungen und Verhandlungen;<br />
daher allgemein Gerichtshof<br />
inter omnes zwischen allen Personen, für und gegen jedermann<br />
inter partes nur zwischen den Vertrags- oder Prozessparteien<br />
non liquet es ist unklar<br />
obiter dictum nebenher gesagt, kein tragender Entscheidungsgrund<br />
pétere bitten, verlangen, einklagen<br />
postulare verlangen<br />
praesumptio Vermutung<br />
provocare hervorrufen, aufrufen; aufreizen; Berufung einlegen<br />
pro domo für das eigene Haus, d. h. im eigenen Interesse argumentieren<br />
replicatio Erwiderung auf eine Klage oder eine Einrede<br />
KAPITEL 4. EINZELNE KLAGFORMELN UND RECHTSMITTEL<br />
Inst. Iust. 4, 6 pass.<br />
Zur Zeit der Zwölftafeln herrschte noch ein sehr altertümliches und höchst formales Verfahren, das durch das<br />
feierliche Sprechen bestimmter Spruchformeln eröffnet wurde, es handelte sich um Legis actiones, wörtlich:<br />
Klagansprüche nach dem Gesetz (gemeint ist das Zwölf-Tafel-Gesetz), daher Legisaktionenprozess oder Spruchformelverfahren<br />
genannt.<br />
Schon in republikanischer, also vorklassischer Zeit, wurde der "Formularprozess" eingeführt, in dem das Prozessprogramm<br />
durch weniger strenge, aber immer noch formalistische, meistens schriftlich erteilte Prozess-<br />
Formeln durchgeführt wurde, daher auch Schriftformelverfahren genannt.<br />
Im Prinzipat, am Ende der klassischen Periode, wurde der Formularprozess durch das Kognitionsverfahren,<br />
wörtlich: Untersuchungsverfahren, abgelöst, nämlich vor einem beamteten Richter (also nicht mehr der republikanische<br />
Praetor und iudex), und ohne Zweiteilung.<br />
Jede Actio hat ihre eigene Prozessformel, formula. Sie beginnt mit der Einset<strong>zu</strong>ng des Richters, z. B. Lucius Titius<br />
soll Richter sein.<br />
30. September 2011<br />
61
An der Spitze der Formel steht meistens die demonstratio, mit der der Sachverhalt umschrieben wird, z. B.<br />
Abschluß des Kaufvertrages. Es folgt meistens die intentio, mit der der Kläger sein Klagbegehren bekanntgibt, z.<br />
B. auf Zahlung des Preises.<br />
Am Ende steht die condemnatio, mit der der Praetor den iudex anweist, je nach dem Ergebnis des Verfahrens der<br />
Klage statt<strong>zu</strong>geben oder sie ab<strong>zu</strong>weisen. Es heißt: verurteile - condemna; wenn es nicht so scheint, sprich frei -<br />
si non paret, absolve.<br />
Zivilrechtliche oder honorarrechtliche Klagen Inst. Iust. 4, 6, 1 + 3.<br />
Auf Grund ihrer rechtlichen Grundlage beruhen die Klagansprüche bald auf dem ius civile, das sind die actiones<br />
civiles, bald auf dem Amtsrecht, ius honorarium, des Praetors oder Aedils, daher actiones honorariae. Die Klagansprüche<br />
auf Grund ius civile nennen das oportére, verpflichtet sein. Für die meisten actiones honorariae lieferte<br />
der Praetor eine ausdrückliche Rechtsschutzverheißung im Edikt: ich werde eine Klage <strong>zu</strong>lassen - iudicium<br />
dabo. Zivile Klagen sind die wichtigsten, z. B. condictio, Klagen mit der bona-fides-Klausel, Klagen auf Grund<br />
der lex Aquilia, Eigentumsherausgabeklage (rei vindicatio). Praetorische Klagen sind aber z. B. die a. Publiciana<br />
und die adjektizischen Klagen.<br />
Persönliche oder dingliche Klagen Inst. Iust. 4, 6, 1.<br />
Eine weitere Unterscheidung hat Ähnlichkeit mit der heutigen Trennung zwischen Schuld- und Sachenrecht,<br />
Verpflichtung und Verfügung, nämlich actio in personam (gegen die Person) und actio in rem (wörtlich: gegen<br />
die Sache). Zwar richtet sich eine Klage immer gegen eine Person, im ersten Fall wird aber ein persönliches<br />
Recht (z. B. Anspruch auf Lieferung der Kaufsache) geltend gemacht, und im zweiten ein dingliches Recht (z. B.<br />
Herausgabe auf Grund Eigentums); Inst. 4, 17, 2.<br />
Actiones bonae fidei oder stricti iuris Inst. 4, 6, 28 und 30.<br />
Besonders wichtige, aber wohl erst nach den Zwölf Tafeln <strong>zu</strong>gelassene Klagen enthielten in ihrer formlula den<br />
Hinweis auf Treu und Glauben, bona fides; so Kauf, locatio conductio (Miete, Dienstvertrag und Werkvertrag),<br />
Gesellschaft und Auftrag. Im Gegensatz hier<strong>zu</strong> fehlte dieser Hinweis in den der Rechtsentwicklung nach älteren<br />
Klagen des strengen Rechts, der stricti iuris iudicia, insbesondere condictio und a. ex stipulatu.<br />
Inst. Iust. 4, 15 pass.<br />
Interdikte waren Befehle des Praetors, vor allem <strong>zu</strong>m Besitzschutz (heute sogenannte possessorische Klagen),<br />
wenden sich aber häufig an beide Streitteile, dann ein interdictum duplex.<br />
In integrum restitutio - Wiedereinset<strong>zu</strong>ng in den vorigen Stand. Aufhebung einer Rechtsfolge durch den Praetor,<br />
z. B. Aufhebung einer Vertragspflicht oder einer erfolgten Verfügung, insbes. wenn der Verpflichtete oder Verfügende<br />
infolge einer <strong>Dr</strong>ohung gehandelt hat oder wenn er als Minor benachteiligt worden ist. Der Praetor gewährte<br />
nach Bedarf Klagen, um die bereits eingetretenen Rechtswirkungen <strong>zu</strong> beseitigen. Das konnte meistens<br />
mit fiktizischen Klagen erfolgen, damit der Beklagte den Kläger so stellte, wie der Kläger stünde, wenn sich der<br />
fragliche Sachverhalt (z. B. die <strong>Dr</strong>ohung oder die Benachteiligung) nicht ereignet hätte.<br />
KAPITEL 5. CONDICTIO 55<br />
Condictio Inst. Iust. 4, 6, 15.<br />
Die condictio ist eine Klage aus der Zwölf-Tafel-Zeit, aus der Zeit der legis actiones, die aber auch noch im<br />
Formularprozess und im klassischen materiellen Recht eine sehr große Rolle spielte.<br />
55<br />
Kaser I S. 593.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
62
Für die Condictio genügen die intentio und die condemnatio:<br />
"wenn es sich ergibt, dass der Beklagte dem Kläger z. B. 10 000 Sesterzen <strong>zu</strong> zahlen verpflichtet ist,<br />
dann verurteile" etc.;<br />
"si paret ... decem milia dare oportere, ... condemna."<br />
Die condictio hatte also keine demonstratio <strong>zu</strong>r Umschreibung des <strong>zu</strong> Grunde liegenden Rechtsverhältnisses.<br />
Es ist eine actio in personam darauf,<br />
- dass eine bestimmte Geldsumme gegeben werde, certam pecuniam dari, oder<br />
- dass eine bestimmte Sache geleistet werde, certam rem dari.<br />
Die condictio gilt als "abstrakt", weil sie den Verpflichtungsgrund nicht nennt.<br />
Eingesetzt für<br />
- Rückzahlung eines Darlehens = Klage wegen bestimmten dargeliehenen Geldes,<br />
actio certae creditae pecuniae, wegen Darlehens, mutuum,<br />
- Litteralkontrakt 56<br />
,<br />
- Klage auf Grund Stipulationsversprechens einer bestimmten Geldleistung oder Sache<br />
(bei Versprechen eines incertum statt deren: actio ex stipulatu [incerti]),<br />
- Diebstahl, condictio furtiva,<br />
- sonstige Bereicherung, condictio indebiti 57<br />
.<br />
KAPITEL 6. RECHTSSCHÖPFUNGEN DES PRAETORS, ANALOGIE<br />
1. Actio in factum. Wenn Zivilrecht und Edikt für einen Fall nicht ausreichten, der Praetor aber Klage und<br />
gegebenenfalls Verurteilung für erforderlich ansah, konnte er eine Klage auf Grund des vorgetragenen<br />
Sachverhalts gewähren, eine actio in factum; z. B. im Fall des Tauschs.<br />
Diese actio in factum ist nicht <strong>zu</strong> verwechseln mit der formula in factum. Bei der formula in factum handelt es sich um die intentio<br />
einer Formel, die im Edikt steht, aber nicht auf ius civile, sondern ius honorarium beruht. Die formula in factum verweist nicht auf das<br />
ius civile (mit dare oportere), sondern umschreibt den ganzen Sachverhalt, das factum, z. B. umschreibt sie bei der älteren honorarrechtlichen<br />
Verwahrung, actio depositi, die Hinterlegung und die böswillige Nichtrückgabe.<br />
2. Wenn der Sachverhalt der Klage vorangestellt wurde, konnte man auch von einer Klage mit vorangestellten<br />
Worten, actio praescriptis verbis, sprechen, insbesondere in Gebrauch für atypische Rechtsverhältnisse<br />
58<br />
.<br />
3. Actiones ficticiae - Klagen mit einer Fiktion („Fiktion“ bedeutet im Wesentlichen die Annahme eines<br />
Umstandes, der nicht wahr sein kann). Z. B. bei der actio Publiciana unterstellt der Praetor, die Ersit<strong>zu</strong>ng<br />
sei vollendet, so dass der Kläger ziviler Eigentümer geworden sei, obwohl die Ersit<strong>zu</strong>ng in Wahrheit gerade<br />
nicht vollendet ist.<br />
4. Actio utilis. Analoge Klage für andere Fälle, die das ius civile nicht vorgesehen hatte. Z. B. die Klage des<br />
Zedenten (Abtretenden) für den Zessionar (Abtretungsempfänger) gegen den Schuldner; oder Schutz des<br />
56<br />
57<br />
58<br />
Kaser I S. 543 f.<br />
Zu den Bereicherungsklagen im einzelnen unten.<br />
Inst. 3, 24, 2.<br />
30. September 2011<br />
63
Pfandrechts durch die lex Aquilia; oder vindicatio utilis, nämlich Anspruch des früheren Eigentümers gegen<br />
den neuen, der infolge gutgläubiger Verbindung oder Verarbeitung Eigentum erlangt hatte. Utilis bedeutet<br />
sehr oft nicht bloß "nützlich", sondern im Verfahren auch "erfolgreich".<br />
5. Actio ad exemplum. Klage nach Art, z. B. in Anlehnung an die lex Aquilia, wenn die eng verstandene Kausalität<br />
des "Töten - occidere" verneint wurde, das Opfer aber trotzdem gestorben war.<br />
6. Actio quasi institoria, actio quasi Serviana etc.: in Fällen, in denen der eigentliche Ediktstatbestand nicht<br />
gegeben war, gewährte man "gewissermaßen" eine Geschäftsführer- oder eine Pfandrechtsklage etc.<br />
Analogie - Übertragung der Rechtsfolge eines geregelten Tatbestandes auf einen mit diesem<br />
wesensgleichen, aber ungeregelten Tatbestand.<br />
KAPITEL 7. EINREDEN = EXCEPTIONES, GEGENEINREDEN = REPLICATIONES<br />
Inst. Iust. 4, 13 pass.<br />
Exceptio - Ausnahme von dem Verurteilungsbefehl, wenn nämlich der Beklagte ein Gegenrecht gegenüber dem<br />
Kläger hatte. Auch die Exzeptionen waren im Edikt aufgeführt und wurden im Einzelfall in der Prozessformel<br />
vom Praetor genannt.<br />
Inst. Iust. 4, 14 pass.<br />
Die replicatio ist die Gegeneinrede des Klägers gegen die Einrede des Beklagten.<br />
Die exceptiones konnten auf einer lex beruhen, z. B. exceptio legis (P)Laetoriae <strong>zu</strong>m Schutz eines Minor gegen<br />
ein nachteiliges Geschäft,<br />
oder auf einem Senatusconsultum, z. B. exceptio Scti Macedoniani, <strong>zu</strong>r Abwehr der Klage auf Rückzahlung eines<br />
Darlehens, das einem Haussohn gewährt worden war,<br />
oder exceptio Scti Vellaeani, <strong>zu</strong>r Abwehr der Klage auf Erfüllung einer Sicherheit, die eine Frau für einen anderen<br />
bestellt hatte.<br />
Inst. Iust. 4, 13, 1. Rein praetorische Schöpfungen sind die Einrede der <strong>Dr</strong>ohung = e. metus causa und die Einrede<br />
der Arglist, exceptio doli.<br />
Inst. Iust. 4, 13, 3. Die exceptio pacti bedeutet wörtlich nur die Einrede der Vereinbarung. Sie hatte aber ihre<br />
Hauptbedeutung in der Stundung oder dem Erlass einer Forderung. Aus der Ediktsverheißung des Praetors, er<br />
werde vereinbarte Übereinkommen schützen, pacta conventa servabo, folgt die berühmte Maxime: Pacta (sunt)<br />
servanda - Verträge müssen gehalten werden.<br />
Inst. Iust. 4, 13, 5. Das Verbot der mehrmaligen Klage mit demselben Anspruch auf Grund desselben Sachverhalts<br />
(„nicht zweimal wegen desselben = ne bis in idem) wurde mit der Einrede der entschiedenen Angelegenheit,<br />
exceptio rei iudicatae, verwirklicht.<br />
Einrede des Bürgen / Akzessorietätsprinzip Inst. 4, 14, 4. „Die Einreden aber, mit denen der Schuldner geschützt<br />
geschützt wird, pflegen meistens (!) auch den Bürgen erteilt <strong>zu</strong> werden...“<br />
KAPITEL 8. EINREDE DER ARGLIST = EXCEPTIO DOLI, UND ÄHNLICHE FÄLLE<br />
Die weitaus größte Bedeutung hatte die Einrede der Arglist, exceptio doli. Sie lautete: "wenn in dieser Angelegenheit<br />
nichts durch böse List des Klägers geschehen ist oder geschieht" - si in ea re nihil dolo malo Ai. Ai. factum<br />
sit neque fiat.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
64
Bereits ihre Formel zeigt, dass sie zwei große Anwendungsbereiche hatte:<br />
Erstens kann die Klage des Klägers arglistig sein, weil er von Anfang an dolos gehandelt hat, exc. doli praeteriti<br />
= exc. doli specialis "durch böse List ... geschehen ist - factum sit". Diese Arglisteinrede wurde vor allem bei<br />
wirklicher Bösartigkeit des Klägers gewährt (s. unten <strong>zu</strong> „Treu und Glauben“).<br />
Zweitens, und das ist fast der wichtigere Fall, kann in der Vergangenheit alles in Ordnung gewesen, jetzt aber die<br />
einschränkungslose Geltendmachung eines Rechts unangemessen sein, exc. doli praesentis, wegen ihrer generellen<br />
Bedeutung ist diese die exc. doli generalis: "durch böse List ... geschieht - fiat".<br />
Für sie wurden auch Fallgruppen gebildet wie etwa das noch im modernen Recht <strong>zu</strong> beachtende Verbot, eine Sache<br />
ein<strong>zu</strong>klagen, die man gleich wieder <strong>zu</strong>rückgeben muss: dolo petit qui petit quod statim redditurus est. Ebenso<br />
war damals und ist heute das widersprüchliche Verhalten treuwidrig, venire contra factum proprium.<br />
Gegenüber der Klage aus einer Stipulation, konnte gegebenenfalls eingewendet werden, dass der eingeklagte Betrag<br />
von dem Kläger an den Beklagten gar nicht ausbezahlt worden war, exceptio non numeratae pecuniae.<br />
Wenn aus einer Stipulation <strong>zu</strong>r Sicherung einer Kaufpreisforderung geklagt wurde, konnte der Beklagte die Einrede<br />
der nichtgelieferten Ware erheben, exceptio mercis non traditae, erheben.<br />
Wurde aus einer nicht-titulierten (= abstrakten) Novationsstipulation geklagt, obwohl die ursprüngliche Schuld<br />
nicht bestanden hatte, dann hatte der beklagte Schuldner ebenfalls die exceptio doli.<br />
Für besondere Fallgruppen wurden statt der exceptio oder replicatio doli besondere Einreden formuliert, z. B. in<br />
Fällen der actio Publiciana.<br />
Klagte der wirkliche Grundeigentümer auf Herausgabe des Grundstücks gegen den nichtberechtigten Besitzer,<br />
der gutgläubig ein Bauwerk errichtet hatte, so hatte der Besitzer möglicherweise die exceptio doli, wenn ihm<br />
nicht die Aufwendungen erstattet wurden (D. 6, 1, 38).<br />
KAPITEL 9. SANKTIONEN<br />
1. Die Verurteilung durch den iudex im klassischen Formularprozess ergeht immer in Geld<br />
nach der Rechtsmaxime: Omnis condemnatio pecuniaria.<br />
2. Man darf wohl annehmen, dass der verurteilte Schuldner im allgemeinen den Urteilsspruch erfüllte.<br />
3. Die Zwangsvollstreckung begann mit einem zweiten Gerichtsverfahren, der Klage des Urteilsspruches,<br />
actio iudicati.<br />
4. Die Zwangsvollstreckung ist furchtbar: zwar nicht mehr Tötung oder Verkauf,<br />
wie angeblich nach den Zwölf Tafeln.<br />
5. Aber nach wie vor „Personalexekution“, d. h. zeitweilige Schuldhaft <strong>zu</strong>m Abarbeiten der Schuld.<br />
6. Daneben tritt die Vermögensexekution, indem der Praetor den siegreichen Kläger in das gesamte Vermögen des Beklagten einweist,<br />
missio in bona (also nicht, wie heute, Einzelzwangsvollstreckung in einen bestimmten Gegenstand). Im allgemeinen wird dann das Gesamtvermögen<br />
an einen Vermögenskäufer, den bonorum emptor, verkauft. Dieser übernimmt dann die Befriedigung der Gläubiger des<br />
Verurteilten. Damit ist der wirtschaftliche und gesellschaftliche Ruin des Verurteilten besiegelt. Dieser „Konkurs“ hat auch die Infamie<br />
<strong>zu</strong>r Folge.<br />
30. September 2011<br />
65
7. Infamia<br />
1. als Folge bestimmten ehrlosen Verhaltens, z. B. Konkurs, Prostitution, Doppelehe,<br />
2. Verurteilung wegen bestimmter Verbrechen, crimina,<br />
3. Verurteilung im Zivilverfahren wegen<br />
- Delikten (furtum, iniuria, dolus malus)<br />
- Treueverhältnissen (societas, tutela mandatum u. a.) 59<br />
.<br />
Folgen der Infamie:<br />
- keine öffentlichen Ämter<br />
- keine Prozesse führen, auch nicht durch andere.<br />
NEUNTER TEIL<br />
PERSON UND FAMILIE<br />
KAPITEL 1. CAPUT - BEGRIFFE UND SYSTEM DES PERSONENRECHTS<br />
Allgemein Inst. Iust. 1, 2, 12: Alles Recht aber, das wir anwenden, bezieht sich auf Personen, auf Gegenstände<br />
oder auf Klagen. Und <strong>zu</strong>erst wollen wir die Personen betrachten. Denn man hat wenig vom Recht erfaßt, solange<br />
man nicht über die Personen unterrichtet ist, für die es geschaffen ist.<br />
Die modernen Begriffe der Rechtsfähigkeit (Träger von Rechten und Pflichten <strong>zu</strong> sein) und Handlungsfähigkeit<br />
(durch eigenes Handeln Rechtsfolgen hervorrufen) mit ihren Unterbegriffen (Geschäftsfähigkeit, Deliktsfähigkeit<br />
etc.) stammen nicht aus der Antike, sondern aus dem Naturrecht und dem 19. Jahrhundert; noch verwirrender<br />
ist die Vorstellung der Vermögensfähigkeit. Kaser spricht von der "Vermögensunfähigkeit" der Hauskinder<br />
und Sklaven. Aber wenn diese Ausdrücke für die Antike gebraucht werden, stiften sie mehr Unheil als Klarheit.<br />
Für die Römer war anderes entscheidend, nämlich<br />
der status einer Person, d. h. ihr Stand, ihre Stellung, schulmäßig unterteilt in<br />
status libertatis - Freiheit oder Sklaverei<br />
liber - frei, oder: servus - Sklave<br />
status civitatis - Bürgerstand, nämlich Römer oder Fremder (peregrinus)<br />
status familiae - Familienstand, aber in dem Sinne: gewaltfrei, sui iuris<br />
insbes. paterfamilias,<br />
oder gewaltunterworfen, alieni iuris (wörtlich: fremden Rechts, d. h.)<br />
als Haussohn, filius familias, oder Ehefrau in manu (wenn manus-Ehe).<br />
Gewissermaßen auf der anderen Seite steht die status-Veränderung, die capitis deminutio.<br />
Inst. 1, 16 60<br />
.<br />
Capitis deminutio maxima: Verlust des Bürgerrechts und der Freiheit<br />
(Sonderregeln für römische Kriegsgefangene - ius postliminii).<br />
Capitis deminutio minor vel media: Verlust des Bürgerrechts, aber Bewahrung der Freiheit.<br />
59<br />
60<br />
K I 274.<br />
Gai. 1, 159 - 163; K I S. 271.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
66
Capitis deminutio minima: sonstige Statusveränderungen, insbes. infolge<br />
Adoption, coemptio, emancipatio, noxae deditio<br />
(hieran zeigt sich, dass capitis deminutio nicht immer status-Minderung bedeutet).<br />
Weiterhin Institutionen 1, 8 pr.<br />
Alieni iuris sind:<br />
1. Hauskinder (solange nicht emanzipiert; da<strong>zu</strong> u.),<br />
2. ausnahmsweise Ehefrau (wenn manus-Ehe; da<strong>zu</strong> u.) und<br />
3. immer Sklaven.<br />
Ausdrücke<br />
alieni iuris gewaltunterworfen<br />
caput (Gen. capitis) das Haupt (auch oft übertragen: die Person)<br />
civitas Bürgerschaft<br />
libertas Freiheit<br />
KAPITEL 2. FAMILIE; AGNATEN, GENS; PERSONENNAME; COGNATES<br />
Das Wort familia hat viele Bedeutungen 61<br />
. Familia bedeutet in der Rechtssprache vor allem den Hausverband als<br />
Ganzes mit seinen Personen und seinen Sachgütern oder den Personenkreis der Kleinfamilie, der dem paterfamilias<br />
untergeordnet ist.<br />
Der Agnatenverband wird aus den Kleinfamilien gebildet, die durch den Tod eines paterfamilias entstehen.<br />
Agnaten sind diejenigen Personen, die unter derselben patria potestas stehen würden, wenn dieser pater familias<br />
noch leben würde. Kurz: Verwandte über den Mannes-(genauer: Männer-)Stamm; also "über" Vater, Großvater<br />
etc.; z. B. Bruder oder Schwester, wenn derselbe Vater (auch wenn mit anderer Ehefrau) (Vorsicht: hingegen<br />
dann nicht Bruder oder Schwester, wenn nur dieselbe Mutter, aber mit anderem Ehemann); z. B. Onkel oder<br />
Tante, wenn Bruder oder Schwester des Vaters (hingegen nicht, wenn Bruder der Mutter); Vetter oder Cousine,<br />
wenn vom Bruder des Vaters abstammt oder vom Sohn des Bruders des Großvaters. Der nächste Agnat, adgnatus<br />
proximus, ist gesetzlicher Erbe, wenn Erblasser ohne Hauskind oder Ehefrau in manu verstirbt.<br />
Gens ist ein Verband mehrerer Großfamilien mit demselben nomen gentile, die sich auf denselben Stammvater<br />
(pater gentis) <strong>zu</strong>rückführen, z. B. die gens Iulia, <strong>zu</strong> der sich Caesar rechnete. In diesem Bereich findet das gesetzliche<br />
Erbrecht nach den XII-Tafeln statt, wenn keine Hauserben oder Agnaten vorhanden sind.<br />
Das Namenwesen ist nicht rechtlich geregelt. Herkömmlicherweise erhielt das Kind seinen Namen bald nach<br />
seiner Geburt vom Vater oder Onkel. Wichtig ist die Vererblichkeit des nomen gentilicium. Seit Kaiser Mark<br />
Aurel wurden offizielle Geburtslisten geführt. Die offizielle Bezeichnung des römischen Bürgers bestand am<br />
Ende der Republik (Beispiele: Cicero und Caesar) aus<br />
(1) Praenomen, bezeichnet das Individuum innerhalb der Familie, z. B. Marcus / Gaius (fehlt bei Frauen)<br />
(2) Gentile, gibt die Familien<strong>zu</strong>gehörigkeit an, z. B. Tullius / Iulius<br />
[(3) Angabe des Vaters]<br />
[(4) Tribus-Zugehörigkeit]<br />
(5) Cognomen, zweiter Individualname, z. B. Cicero / Caesar.<br />
61<br />
Ulp. D. 50, 16, 195.<br />
30. September 2011<br />
67
Im allgemeinen benutzte man nur zwei Namen. Frauen führen meistens nur das nomen gentilicium (z. B. Tullia,<br />
die Tochter von Marcus Tullius Cicero) und verändern den Namen nicht durch die Eheschließung 62<br />
.<br />
Kognaten sind die Blutsverwandten, nach Gaius "die durch Personen weiblichen Geschlechts verwandtschaftlich<br />
Verbundenen", die anfangs fast ohne rechtliche Bedeutung waren, dann aber vom Praetor <strong>zu</strong>r praetorischen<br />
"Erbschaft", bonorum possessio, berufen wurden 63<br />
.<br />
KAPITEL 3. ANFANG UND ENDE DER PATRIA POTESTAS<br />
Inst. Iust. 1, 9 pr. + 3; Inst. Iust. 1, 10, 12.<br />
Die Hauskinder hatten ihren wirtschaftlich und gesellschaftlich gesicherten Platz in der Kleinfamilie, deshalb<br />
war ihr Streben, emanzipiert <strong>zu</strong> werden, relativ gering. In ihrer rechtlichen Eigenschaft als Gewaltunterworfene<br />
waren sie an der wirtschaftlichen Entfaltung ihrer Kleinfamilie beteiligt, daher auch das Interesse der Kleinfamilie<br />
an ihnen. Starb der pater familias, so erbten sie von Gesetzes wegen, d. h. falls kein wirksames Testament<br />
vorhanden war, den ihnen entsprechenden Teil des Gesamtvermögens. Die Eigenschaft als Haussohn oder Haustochter<br />
dauerte grundsätzlich solange, wie der Hausvater lebte, konnte aber ausnahmsweise auch schon vorher<br />
enden, insbesondere durch Freilassung (emancipatio) oder bestimmte Formen der Eheschließung für eine Frau<br />
(manus-Ehe) oder Adoption. Wenn der paterfamilias starb, wurden sie ohne weiteres und ohne Rücksicht auf ihr<br />
Alter gewaltfrei, sui iuris, hatten selbst den Status des pater familias und bildeten mit ihrer eigenen Ehefrau<br />
(falls manus-Ehe) und jedenfalls mit ihren Kindern eine neue familia.<br />
Institutionen 1, 9; 1, 12 pr.; 1, 12, 6; 1, 12, 10.<br />
Einzelheiten<br />
Für Haussöhne und Haustöchter gelten weitgehend (mit geringen Ausnahmen) dieselben Regeln.<br />
Entstehung der patria potestas durch eheliche Geburt<br />
oder durch Adoption eines Gewaltunterworfenen oder adrogatio eines Gewaltunterworfenen.<br />
Keine patria potestas an außerehelichem Kind, Mutter hat keine väterliche Gewalt,<br />
außereheliches Kind ist von Anfang an gewaltfrei.<br />
Verhältnismäßig wenige Texte hier<strong>zu</strong>.<br />
Falls Vater stirbt, Mutter aber schwanger ist, kann <strong>zu</strong>r Sicherung der Rechte des erwarteten Kindes,<br />
der heute sogenannte nasciturus, wenn das Kind geboren ist: der postumus,<br />
der curator ventris bestellt werden 64<br />
; vor allem im Hinblick auf das Erbrecht 65<br />
.<br />
Das ungeborene Kind wird im Rechtssinne nicht als Mensch angesehen.<br />
Die Abtreibung würde den Ehemann berechtigen, sich von der Ehefrau <strong>zu</strong> trennen,<br />
wird als schwere Unsittlichkeit angesehen,<br />
war aber <strong>zu</strong>nächst kein strafrechtliches crimen, erst seit den Severern,<br />
d. h. am Ende des klassischen Zeitalters bestraft 66<br />
.<br />
62<br />
63<br />
64<br />
65<br />
66<br />
DTV-Lexikon der Antike, Kulturgeschichte, s. v. Personennamen.<br />
Gai. 3, 24 und 30.<br />
K I S. 272 f.<br />
Unten Erbrecht.<br />
Th. Mommsen, Röm. Strafrecht, 1899, S. 636.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
68
Rechtsmaximen<br />
Mater semper certa est. Wer die Mutter ist, steht immer fest.<br />
Pater semper incertus est. Der Vater ist immer unbekannt.<br />
Pater est quem nuptiae demonstrant. Vater ist, wen die Ehe ausweist.<br />
Wichtiger Unterschied <strong>zu</strong>m modernen Recht: Väterliche Gewalt endet in Rom nicht durch Alter des Haussohns.<br />
Sondern Hauptfall für Ende der väterlichen Gewalt: Tod des Hausvaters.<br />
Außerdem Entlassung aus patria potestas mittels emancipatio, in klassischer Zeit mittels dreimaligen Scheinverkaufs<br />
durch den pater familias, in Anwendung des XII-Tafel-Satzes 4, 2: Wenn ein Vater seinen Sohn dreimal<br />
<strong>zu</strong>m Verkauf gegeben hat, soll der Sohn von der väterlichen Gewalt frei sein. (Die Freilassung eines Sklaven<br />
hingegen wurde anders bezeichnet, nämlich als manumissio, und erfolgte in verschiedenen anderen Formen.).<br />
Kein Recht auf Emanzipation Inst. 1, 12, 10.<br />
Wenn die filia familias durch manus-Ehe eine uxor in manu wird (s. u.), dann endet<br />
dann mit ihrem Übertritt in die manus-Gewalt ihres Ehemanns die patria potestas ihres eigenen Vaters.<br />
Ausdrücke<br />
alieni iuris (wörtlich: unter fremdem Recht) gewaltunterworfen<br />
filia familias Haustochter<br />
filiusfamilias Haussohn<br />
emancipáre Haussohn aus der väterlichen Gewalt entlassen<br />
manumissio Freilassung eines Sklaven<br />
paterfamilias Hausvater<br />
patria potestas väterliche Gewalt<br />
sui iuris (wörtl.: eigenen Rechts) gewaltfrei<br />
KAPITEL 4. VÄTERLICHE UNTERHALTSPFLICHT<br />
Codex Iustiniani, Buch 5, Titel 25 (Die Unterhaltspflicht gegenüber Kindern und Eltern), Konstitution 3 = C. 5, 25, 3. Die Kaiser Marc Aurel<br />
und Lucius Verus an Tatiana. Wenn du dem <strong>zu</strong>ständigen Richter beweist, dass der Knabe, den du nach Deiner Behauptung von Claudius<br />
geboren hast, wirklich dessen Kind ist, dann wird der Richter dem Claudius befehlen, nach Maßgabe seines Vermögens dem Kinde Alimente<br />
<strong>zu</strong> gewähren. Der Richter wird auch nach seinem Ermessen entscheiden, ob das Kind bei Claudius erzogen werden soll. Rom, den 17. Februar<br />
162.<br />
Rechtsmaxime: In praeteritum non vivitur.<br />
In der Vergangenheit lebt man nicht; kein Unterhaltsanspruch für abgelebte Zeiten.<br />
KAPITEL 5. HAUSKINDER ALS TEILNEHMER AM RECHTSVERKEHR<br />
1. Haussohn“ und „Haustochter“ sind nur solche Personen,<br />
die noch unter der patria potestas ihres Vaters, Großvaters oder Urgroßvaters stehen.<br />
2. Wenn die patria potestas beendet ist<br />
(insbesondere durch Tod des pater familias oder durch emancipatio des Hauskindes),<br />
sind sie zwar noch Abkömmlinge und Blutsverwandte, auch Söhne oder Töchter,<br />
aber nicht mehr im juristischen Sinne fililus familias oder filia familias.<br />
3. Wir würden mit den modernen Begriffen zwar sagen, der Haussohn sei rechtsfähig;<br />
30. September 2011<br />
69
aber derartige Begriffe entsprechen nicht dem römischen Recht.<br />
Entscheidend ist der status des filiusfamilias.<br />
4. Rechtsstellung des filius familias:<br />
status libertatis: frei, liber,<br />
status civitatis: römischer Bürger, civis Romanus,<br />
status familiae: aber gewaltunterworfen, alieni iuris (nicht eigenen Rechts = sui iuris).<br />
5. Damit gelten für ihn weitgehend (aber mit Ausnahmen) dieselben Regeln wie für Sklaven:<br />
Er kann am Rechtsverkehr teilnehmen 67<br />
, aber meistens nicht für sich.<br />
Die Wirkungen seiner Handlungen treffen in den meisten Fällen seinen paterfamilias.<br />
6. Erwerb<br />
Haussohn kann durch Rechtsgeschäfte erwerben, auch durch förmliche, wie mancipatio oder stipulatio,<br />
mit Ausnahme der in iure cessio (da Scheinprozess für sich selbst)<br />
ebenso wie Sklave.<br />
7. Aber Haussohn kann von Rechts wegen nicht Inhaber von Rechten sein,<br />
noch nicht einmal eigener Besitz, ebensowenig wie ein Sklave<br />
(insofern mag man von Vermögensunfähigkeit sprechen).<br />
Also kein Erwerb des Haussohns für sich selbst, sondern aller Erwerb für paterfamilias,<br />
ebenso wie Sklave.<br />
8. Verpflichtungen<br />
67<br />
68<br />
69<br />
70<br />
71<br />
Haussohn verpflichtet sich selbst 68<br />
,<br />
damit Gegensatz <strong>zu</strong> Sklaven;<br />
auch keine eigene Verpflichtung der Haustochter 69<br />
.<br />
Aber er kann sich dann nicht selbst verpflichten, wenn es auch ein Gewaltfreier in seinem Alter<br />
nicht ohne auctorias tutoris könnte 70<br />
.<br />
Seine Verbindlichkeit gilt als Naturalobligation, als naturalis obligatio 71<br />
, das bedeutet:<br />
- wenn sie erfüllt wird, kann Leistung nicht kondiziert werden,<br />
- sie kann wirksam durch Bürgschaft, Pfand und andere Rechte gesichert werden.<br />
Aber er hat kein eigenes Vermögen, ist "vermögensunfähig" (Kaser),<br />
er kann also, solange er Haussohn ist, seine Verpflichtungen nicht erfüllen.<br />
Haussohn kann sich sogar rechtswirksam für seinen Hausvater verbürgen: D. 46, 1, 10, 2 (aber nicht klausurgeeignet).<br />
Gai. D. 44, 7, 39; Ulp. D. 5, 1, 57.<br />
K I S. 343 / 16.<br />
D. 45, 1, 141, 2.<br />
K I 481 / 18 ff.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
70
9. Der Haussohn kann sogar im Zivilprozess verklagt und verurteilt werden 72<br />
.<br />
Jedoch ist die Zwangsvollstreckung gegen ihn auch aus Rechtsgründen ausgeschlossen,<br />
außer in Militärerwerb, peculium castrense.<br />
10. Sonderregel des Sc. Macedonianum: Wenn Haussohn ohne Erlaubnis Darlehen aufgenommen hat,<br />
steht ihm gegen den Gläubiger eine Einrede, exceptio, <strong>zu</strong> (s. u.).<br />
11. Nur ausnahmsweise verpflichtet der Haussohn außer sich selbst auch den paterfamilias<br />
1. durch Rechtsgeschäft (mit Weiterhaftung des pater familias<br />
sogar nach der Emanzipation des Haussohns, s. u. <strong>zu</strong> adjektizischen Klagen)<br />
2. oder Delikt (s. u. <strong>zu</strong>r Noxalhaftung).<br />
12. Verfügungen<br />
Er (dasselbe gilt für Haustochter 73<br />
) kann<br />
1. über Rechte seines Vaters verfügen (aber nicht mittels mancipatio oder in iure cessio),<br />
soweit Vater ihn hier<strong>zu</strong> ermächtigt hat 74<br />
.<br />
2. Kann Pekulium haben und in dessen Rahmen ebenfalls formfreie Verfügungen treffen,<br />
beides wie auch ein Sklave (s. u.).<br />
Aber kann nicht über eigene Gegenstände verfügen, weil er ja keine eigenen Rechte haben kann.<br />
13. Wenn filius gewaltfrei wird<br />
Schicksal der von ihm begründeten Rechte und Pflichten, wenn er gewaltfrei wird:<br />
1. Rechte hat ja bereits der pater familias erlangt, der behält sie, oder sie gehen auf Erben über.<br />
2. Verbindlichkeiten<br />
1. Es bleibt bei Haftung des p. f. (z. T. auf 1 Jahr beschränkt, actio annalis),<br />
aber nur soweit sich diese Haftung etwa aus adjektizischen Klagen ergibt 75<br />
.<br />
2. Haftung geht auf Erben des p. f., und aus diesem Grunde evtl auf Haussohn, über;<br />
wenn mehrere Erben: nomina divisa 76<br />
;<br />
3. Sohn haftet (<strong>zu</strong>mindest nach seiner emancipatio)<br />
für die von ihm unter patria potestas begründeten Geschäftsschulden selbst 77<br />
72<br />
73<br />
74<br />
75<br />
76<br />
77<br />
D. 5, 1, 57; Gai. D. 44, 7, 39. Ungeschmälerte Verurteilung des Haussohns, D. 14, 5, 5, pr.; s. auch D. 15, 1,<br />
44 und 45; nach Emanzipation oder Tod (wessen, des p. f.?) dann, wie immer für die ZV: actio iudicati.<br />
Beispiele für peculium der filia:D. 15, 4, 2, 1; D. 23, 3, 24.<br />
K I S. 267.<br />
Z. B. Paul. D. 17, 1, 61 am Anfang.<br />
Vgl. D. 14,5, 2, 4, und D. 14, 5, 7: aber nomina divisa.<br />
K I 481 / 20 und andere: Afr. D. 12, 6, 38 pr.-2.; Paul. D. 14, 6, 5; Paul. D. 17, 1, 61 a. E.; vgl. auch D. 17, 1,<br />
12, 6. - Nach prätorischem Recht, Edikt "Quod cum eo, qui in aliena potestate est", Dig. 14, 5. Nach richterlicher<br />
Voruntersuchung, causa cognita, entsprechend seiner Leistungsfähigkeit, in id quod facere potest; D. 14,<br />
5, 2 pr. Im Edikt werden entweder iussum oder Vermögensvermehrung des Vaters oder des Pekuliums, sowie<br />
Emanzipation oder Enterbung vorausgesetzt. Auch im Erbfall nach dem Vater volle, nicht anteilige Haftung: D.<br />
14, 5, 4 pr.; 14, 5, 7. Id quod facere kann m. E. <strong>zu</strong> ungeschmälerter Haftung führen, wenn Sohn genügend<br />
wohlhabend ist. K I S. 343.<br />
D. 17, 1, 61. Paulus 2 ad Nerat. Quod filio familias ut peteret mandavi, emancipatus exegit: de peculio intra annum<br />
utiliter agam. Paulus: sed et cum filio agendum est.<br />
30. September 2011<br />
71
(anders: freigelassener Sklave, dieser haftet gar nicht),<br />
aber nur im Maße des Möglichen, in id quod facere potest.<br />
4. wegen Delikten haftet er ebenfalls selbst, sobald er frei ist, unbeschränkt 78<br />
,<br />
da das Delikt der Person folgt, noxa caput sequitur 79<br />
(ebenso Sklave).<br />
14. Familienrecht<br />
Eheschließung des Hauskindes nur mit Erlaubnis des Vaters<br />
(aber nicht etwa: durch den Vater).<br />
Gründung eines eigenen Hausstandes macht Hauskinder in Rom nicht etwa gewaltfrei.<br />
15. Die Kinder des filiusfamilias stehen dann in der patria potestas des paterfamilias, d. h. ihres Großvaters.<br />
Die Kinder der verheirateten Tochter stehen in der patria potestas ihres Ehemanns oder dessen Vaters.<br />
16. Erbrecht<br />
Die Kinder können <strong>zu</strong> Erben eingesetzt werden.<br />
Nach den Zwölf Tafeln sind die Hauskinder und die Ehefrau in manu,<br />
die also erst durch seinen Tod gewaltfrei werden, gesetzliche Erben des Hausvaters,<br />
„Hauserben“, sui heredes,<br />
falls er kein Testament hinterlassen hat.<br />
Erst in späterer Zeit erteilt der Praetor auch den bereits vorher emanzipierten Hauskindern<br />
die erbrechtliche Stellung eines Vermögensbesitzers, bonorum possessio (<strong>zu</strong>m Erbrecht s. u.).<br />
KAPITEL 6. ALTERSSTUFEN: INFANS, PUPILLUS, MINOR<br />
Die Altersstufen spielen vor allem für Rechtsgeschäfte durch Gewaltfreie<br />
und für die deliktische Haftung eine Rolle,<br />
aber auch für Handlungen eines filius oder einer filiafamilias 80<br />
, also auch Frauen 81<br />
.<br />
Alter hat, wie gesagt, in Rom nichts damit <strong>zu</strong> tun, ob eine Person gewaltfrei ist oder nicht.<br />
Keine Begriffsbildung der Römer i. S. "Geschäftsfähigkeit".<br />
Wenn kein pater familias:<br />
für Infans und Pupillus: Tutor,<br />
für Minor: Curator.<br />
1. Infans gehört <strong>zu</strong> den Impuberes,<br />
bis <strong>zu</strong> 7 Jahren,<br />
78<br />
79<br />
80<br />
81<br />
Ich hatte einen Haussohn beauftragt, eine Forderung für mich ein<strong>zu</strong>klagen. Er hat die Forderung eingezogen,<br />
nachdem er aus der väterlichen Gewalt emanzipiert worden war. Ich kann ein Jahr lang erfolgreich ,die actio de<br />
peculio (gegen den Vater) erheben. – Paulus: Aber man kann auch gegen den Sohn klagen.<br />
D. 14, 5, 4, 1 und 2.<br />
I. 4, 8, 5 = Gai. 4, 77.<br />
D. 4, 4, 3, 4 und D. 45, 1, 141, 2!<br />
D. 4, 4, 9, 1.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
72
geschäftsunfähig, dafür Tutor;<br />
wohl auch deliktsunfähig;<br />
Fähigkeit <strong>zu</strong> Besitzerwerb war in klassischer Zeit kontrovers.<br />
2. Pupillus = impubes infantia maior<br />
von 7 Jahren bis <strong>zu</strong>r pubertas (s. sogleich)<br />
können rechtsgeschäftlich allein für den Erwerb eigener Rechte oder Ansprüche handeln.<br />
Für Verpflichtungen oder Belastungen benötigen sie „Vollwort“, auctoritas, des Tutors (s. u.).<br />
3. Minor = Minor viginti quinque annis, jünger als 25 Jahre = pubes, d. h.<br />
Frauen: ab 12 Jahren,<br />
Männer: ab Geschlechtsreife (so die Sabinianer) bzw. 14 Jahren (Prokulianer).<br />
Erhalten auf Antrag Curator.<br />
Werden durch lex Laetoria und Praeator gegen Nachteilige Vorgänge geschützt.<br />
Können dennoch Rechtsgeschäfte aller Art wirksam selbst abschließen.<br />
4. Maior, Großjährig, ab 25 Jahren: kein Schutz, keine Beschränkung.<br />
"Deliktsfähigkeit" als "Zurechnungsfähigkeit" je nach Einzelfall, Frage der Schuld, Culpa.<br />
KAPITEL 7. IMPUBERES = PUPILLI<br />
Impuberes = pupilli, aber nach der infantia und vor der pubertas,<br />
stehen entweder in der patria potestas<br />
oder sind gewaltfrei, unterstehen dann aber der Tutela eines Tutors.<br />
D. 50, 16, 239 pr. „Pupillus“ ist eine Person, die noch nicht pubes ist [,aber nicht mehr in der patria potestas<br />
steht, infolge Todes des Vaters oder Emanzipation].<br />
Hinsichtlich der Rechtsgeschäfte der Impuberes ist <strong>zu</strong> unterscheiden:<br />
0. Besitzerwerb ohnehin, weil Besitz factum ist und nicht ius.<br />
1. Wirksam ist jedes Rechtsgeschäft, das ihre Rechtslage verbessert,<br />
etwa Geschenkannahme, sonstiger Erwerb (ebenso noch BGB)<br />
und jeglicher Forderungserwerb,<br />
z. B. Kaufpreisforderung aus Verkauf<br />
oder Warenforderung aus Kauf (insofern also anders als BGB).<br />
2. Wirksam ist auch jedes Rechtsgeschäft auf Anordnung, iussum, des Vaters<br />
(wenn noch unter patria potestas),<br />
oder mit Zustimmung, auctoritas, des Tutors (ebenso BGB).<br />
3. Grundsatz: Rechtsgeschäfte, die ihre Rechtslage nicht nur verbessern<br />
und ohne Anordnung oder Zustimmung vorgenommen wurden,<br />
wirken nur <strong>zu</strong> ihren Gunsten, nicht <strong>zu</strong> ihrem Nachteil (insofern anders BGB).<br />
Z. B. Kaufvertrag begründet nur für sie, nicht für ihren Geschäftsgegner<br />
klagbare Forderung auf Preis oder Ware;<br />
insofern „hinkendes Geschäft“, negotium claudicans.<br />
Sie können nicht wirksam: über eigene Sache verfügen,<br />
30. September 2011<br />
73
Sklaven freilassen, Schulderfüllung annehmen.<br />
Ihre Verbindlichkeit gilt als naturalis obligatio 82<br />
.<br />
4. Begren<strong>zu</strong>ngen des Grundsatzes<br />
1. Sie können ihren Anspruch nur geltendmachen,<br />
wenn sie Gegenleistung erbringen;<br />
andernfalls handeln sie gegen bona fides, Gegner hat exceptio doli<br />
(s. u.).<br />
2. Gegner hat gegen sie besondere Klage (rescriptum divi Pii)<br />
auf Herausgabe einer Bereicherung aus nichtautorisiertem Geschäft 83<br />
.<br />
5. Schulderfüllung<br />
1. Zahlung an den Mündel ohne Zustimmung des Tutor macht den Mündel zwar <strong>zu</strong>m Eigentümer, befreit<br />
nicht den Schuldner, gibt aber dem Schuldner eine exceptio doli.<br />
2. Zahlung durch den Mündel ohne Zustimmung des Tutor überträgt <strong>zu</strong>nächst kein Eigentum am Geld<br />
und befreit den Mündel nicht, befreit aber, sobald der Gläubiger den Wert durch Vermengung, Ersit<strong>zu</strong>ng<br />
etc erlangt hat.<br />
KAPITEL 8. TUTOR 84<br />
tutor impuberis Minderjährigenvormund<br />
tutor mulieris Frauenvormund = Geschlechtsvormund<br />
1. Die Ausdrücke, tutela, Vormundschaft, und tutor, Vormund, leiten sich ab von tueri, schützen.<br />
2. Es ist der rechtliche Schutz für bestimmte Personen, die schutzbedürftig sind, weil kein Familienvater oder<br />
Ehegatte rechtlich für sie handelt; Inst. Iust. 1, 13, 1.<br />
Einen tutor erhalten, falls sie gewaltfrei sind,<br />
1. impuberes, also freie Männer (Hauptfall: Vater und Großvater gestorben),<br />
die noch nicht volljährig sind (geschlechtsreif bzw. 14 Jahre), „Altersvormundschaft“,<br />
Inst. 1, 13, 3 Satz 1, sowie<br />
2. Frauen, mulieres, während ihres ganzen Lebens<br />
(aber schon in klassischer Zeit eingeschränkte Regel).<br />
3. Bestellt durch Testament des pater familias<br />
oder kraft XII-Tafel-Gesetz (tutela legitima, ähnlich wie „gesetzliche“ Erbfolge nach den XII-Tafeln)<br />
oder durch Beamten (magistratus).<br />
4. Nur Mann kann Vormund sein.<br />
5. Geschäftsabschluss 85<br />
1. Entweder: tutor schließt Rechtsgeschäft statt Mündels und mit Wirkung für und gegen Mündel ab,<br />
Inst. Iust. 2, 8, 2.<br />
82<br />
83<br />
84<br />
85<br />
K I S. 481.<br />
K I S. 276.<br />
K I §§ 20 f., S. 83 ff.; §§ 85 ff., S. 352 ff.<br />
D.19, 1, 13, 29: Mündelgeschäft.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
74
Tutor impuberis verfügt wirksam über das Vermögen des impubes im eigenen Namen,<br />
erwirbt aber Besitz und Eigentum für den impubes;<br />
tutor selbst hat nur die Stellung wie ein Eigentümer und steht domini loco.<br />
2. Oder Mündel handelt selbst, wenn Tutor seine Zustimmung, auctoritas, erteilt,<br />
bei der Vornahme des Geschäfts, Inst. 1, 21 pr. + 2.<br />
6. Im Prozess kann tutor für den impubes klagen und verklagt werden.<br />
7. Aus Schuldverträgen des Tutors mit <strong>Dr</strong>itten erwachsen nach beendeter Tutel<br />
Verpflichtungen und Rechte des impubes, die mittels analoger Klage, actio utilis,<br />
gegen und durch den (früheren) impubes geltend <strong>zu</strong> machen sind 86<br />
.<br />
8. Haftung des tutor impuberis gegenüber dem pupillus auf Grund besonderer Bestimmungen bei Schädigung des Mündels 87<br />
.<br />
9. Wenn hingegen eine Person in der patria potestas oder in manu mariti steht,<br />
ist neben dem pater familias oder dem Ehemann für einen Tutor kein Platz.<br />
KAPITEL 9A. MINOR<br />
1. Minor = Minor viginti quinque annis, jünger als 25 Jahre = pubes, d. h.<br />
Frauen: ab 12 Jahren,<br />
Männer: ab Geschlechtsreife (so die Sabinianer) bzw. 14 Jahren (Prokulianer),<br />
bis <strong>zu</strong> 25 Jahren.<br />
86<br />
87<br />
88<br />
89<br />
90<br />
Erhalten auf Antrag einen Curator; curator erteilt consensus.<br />
Aber <strong>zu</strong>mindest anfangs hing Gültigkeit des Geschäfts nicht vom Konsens ab<br />
und Minor behielt trotz Konsens den rechtlichen Schutz, falls Minor dennoch übervorteilt war.<br />
Jedoch bildete Konsens des Curator wahrscheinlich in tatsächlicher Weise eine Sicherstellung des Geschäftspartners.<br />
Können Rechtsgeschäfte aller Art wirksam abschließen,<br />
sind aber geschützt, wenn sie übervorteilt wurden, circumscríbere.<br />
Rechtsbehelfe:<br />
1. Lex Plaetoria (oder: Laetoria) 88<br />
begründet bei Übervorteilung eine poenale Popularklage.<br />
2. Daher gewährt Praetor dem Minor gegen eine Actio aus dem Geschäft,<br />
bei dem er übervorteilt worden ist, eine exceptio legis Laetoria.<br />
3. Außerdem verheißt der Praetor in seinem Edikt.<br />
er werde nach seinem Ermessen, also auch ohne Übervorteilung durch den Gegner 89<br />
,<br />
dem Minor die Wiedereinset<strong>zu</strong>ng in den vorigen Stand, in integrum restitutio, gewähren,<br />
D. 4, 4, 1, 1. Bei einem Geschäft, das angeblich mit einem Minderjährigen unter 25 Jahren durchgeführt worden ist,<br />
werde ich prüfen, wie sich die Sache verhält. - Quod cum minore quam viginti quinque annis natu gestum esse dicetur,<br />
uti quaeque res erit, animadvertam.<br />
Nach überwiegender Meinung der römischen Juristen auch <strong>zu</strong> Gunsten von Haussöhnen<br />
(weil diese ja verklagt werden können und nach Selbständigkeit selbst haften) und Haustöchtern,<br />
zweifelhaft bei gewaltfreien Frauen, da diese ja Tutor haben, nicht für Sklaven unter 25 Jahren etc. 90<br />
K I § 62, S. 266 f.; § 87, S. 360 ff.<br />
K I § 88, S. 363 ff. Aber keine Haftung des tutor mulieris; K I § 89 I, S. 368.<br />
Um 200 v. Chr.<br />
Ulp. D. 4,4, 7, 2, z. B. auch nach Zahlung an den Minor, wenn dieser das empfangene Geld verloren hat.<br />
Umfangreiche Kommentierung in <strong>Dr</strong>. 4, 4.<br />
30. September 2011<br />
75
KAPITEL 9B. CURATOR 91<br />
Inst. 1, 23, 1 – 4<br />
curator furiosi oder prodigi Pfleger für Geisteskranken oder Verschwender<br />
curator minoris Pfleger für noch nicht 25 Jährigen<br />
Die Pflege, cura, betrifft den freien, mündigen Mann, der nicht in patria potestas steht, und zwar<br />
1. den Geisteskranken, furiosus, und den Verschwender, prodigus,<br />
2. vor allem den pubes, zwischen 14 Jahren bzw. Geschlechtsreife, und 25 Jahren.<br />
Nur wenige rechtliche Unterschiede gegenüber der Tutela 92<br />
.<br />
Curator minoris erteilt formlosen consensus <strong>zu</strong> Rechtsgeschäften des minor<br />
(nicht auctoritas, nicht erforderlich Gleichzeitigkeit und Anwesenheit).<br />
Verschwender, prodigus im technischen Sinne bleibt geschäfts- und deliktsfähig.<br />
Aber kann durch Magistrat entmündigt werden, interdictio (nicht: interdictum wie bei Besitz),<br />
kann dann keine ws. Verpflichtungen oder Verfügungen treffen,<br />
nur pure Bereicherung kommt ihm <strong>zu</strong> Gute,<br />
erhält dann Curator prodigi (nicht: tutor).<br />
Haftung des Curator <strong>zu</strong>meist auf Grund Geschäftsführung (ohne Auftrag), negotiorum gestio.<br />
KAPITEL 10. FRAUEN 93<br />
1. Frauen stehen ebenso wie Männer unter der patria potestas ihres Vaters oder Großvaters,<br />
werden gewaltfrei mit dessen Tod und können emanzipiert werden.<br />
2. Emanzipation durch nur einmaligen Scheinverkauf (nicht dreimal wie Männer).<br />
3. Wenn sie gewaltfrei sind<br />
sind sie fast in der gleichen Weise vermögens- und geschäftsfähig wie Männer.<br />
Sie sind z. B. gesetzliche Erben <strong>zu</strong>m selben Anteil wie ihre Brüder etc.<br />
4. Aber in gewissen Fällen sind sie doch anders gestellt als Männer:<br />
Zu vielen Rechtsakten brauchen sie die Zustimmung, auctoritas, eines besonderen Tutors,<br />
tutela mulierum.<br />
91<br />
92<br />
93<br />
94<br />
1. Der Tutor wird bestimmt durch Gesetz,<br />
durch Testament des paterfamilias oder des Ehegatten (wenn uxor in manu) oder durch Magistrat.<br />
Wenn von Gesetzes wegen, dann bei verwitweter uxor in manu der eigene Sohn 94<br />
.<br />
2. Auctoritas tutoris erforderlich bei Eingehung von Schulden, Veräußerung von res mancipi,<br />
K I § 20 V; § 22, S. 90 f.; § 65 V; §§ 85 und 90, S. 352 ff.<br />
Z. B. keine testamentarische Bestellung, keine auctoritas des curator.<br />
Lesenswert, wenn Sie historisches Interesse und gelegentlich Zeit haben: W. Schuller, Frauen in der griechischen<br />
Geschichte, Konstanz; W. Schuller, Frauen in der römischen Geschichte, Konstanz 1987.<br />
K I § 89 II 1, S. 368.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
76
Erbschaftsannahme, Errichtung eigenen Testaments, coemptio;<br />
aber nicht für formfreie Geschäfte, Veräußerung von res nec mancipi, Formularprozess.<br />
3. Einengung der Frau durch ihren Tutor schon in klassischer Zeit erleichtert:<br />
1. Sie können Tutor selbst wählen oder leicht wechseln.<br />
2. Ius (trium) liberorum, (<strong>Dr</strong>ei-)-Kinderrecht nach den Ehegesetzen des Augustus: Frauen,<br />
die mind. drei Kinder geboren haben, sind von Geschlechtsvormundschaft (d. h. Tutor) frei.<br />
3. Praetor kann widerstrebenden Tutor auf Antrag der Frau <strong>zu</strong> einer Zustimmung zwingen.<br />
4. Im klassischen Recht der Digesten praktisch verschwunden.<br />
5. Klausurwichtig! Alle gewaltfreien Frauen (irrelevant, wenn gewaltunterworfen, z. B. als uxor in manu)<br />
genießen die Einrede aus dem Sc. Vellaeanum bei Sicherungsgeschäften <strong>zu</strong> Gunsten eines <strong>Dr</strong>itten<br />
(gleich, ob Ehemann oder nicht), nicht nur Ehefrauen, (dieses hat nichts mit der Frauen-Tutel <strong>zu</strong> tun).<br />
6. Sie haben aber keine rechtliche Gewalt über ihre Kinder.<br />
7. Sie verlieren ihre rechtliche Selbständigkeit im Falle der manus-Ehe,<br />
d. h. wenn sie durch Eheschließung in feierlicher Form oder durch Gewohnheit (usus)<br />
in die Hand (manus) ihres Ehemannes (maritus) gelangen.<br />
Als uxor in manu haben sie im positiven (Erbrecht!) wie negativen Sinne die Stellung einer Tochter,<br />
sie stehen filiae loco.<br />
Im klassischen Recht der Digesten praktisch verschwunden (s. unten).<br />
8. Erbrecht s. u.<br />
9. Keine öffentlich-rechtlichen Funktionen für Frauen.<br />
Mittelalterliche Formulierung: Die Frau schweige in der Öffentlichkeit. Mulier taceat in ecclesia [= Volksversammlung].<br />
Obwohl im mittelalterlichen Kirchenrecht:<br />
Una lex de mulieribus et viris - Dasselbe Recht für Frauen wie für Männer 95<br />
).<br />
10. Neuere Rechtsgeschichte<br />
(Suffragetten: Frauen die für das Suffragium, Wahlrecht, kämpften)<br />
Erst 1919 Wahlrecht <strong>zu</strong>r deutschen Nationalversammlung<br />
1922 Zulassung <strong>zu</strong> richterlichen Funktionen.<br />
Ausdrücke<br />
ancilla, serva Sklavin<br />
filiafamilias Tochter in patria potestas<br />
manus mariti ehemännliche Gewalt im Rechtssinne (in klass. Zeit selten)<br />
mater Mutter<br />
mulier Frau<br />
tutela Vormundschaft<br />
uxor Ehefrau.<br />
KAPITEL 11. ABSCHLUSS UND INHALT DER EHE<br />
Man überlege: was ist heute die Funktion der Ehe, welche kann ihre Funktion in Rom gewesen sein?<br />
95<br />
Hattenhauer 157.<br />
30. September 2011<br />
77
Inst. 1, 10 pr.: Begriff der Ehe.<br />
Besteht eine wirksame Ehe zwischen einem Römer und einer nicht römischen Frau?<br />
Inst. Iust. 1, 2 pr.<br />
Auf welche theoretische Rechtsgrundlage stellen hier die justinianischen Institutionen die Ehe?<br />
Eheschließung<br />
Der Abschluß der Ehe war im römischen Recht<br />
1. kein Vertrag, nicht formalisiert, keine erforderliche Mitwirkung einer Behörde oder eines Priesters,<br />
2. hing aber auch nicht vom Voll<strong>zu</strong>g der Ehe (d. h. vom Beischlaf) ab.<br />
Ulp. D. 50, 17, 30. Nicht die Beiwohnung, concubitus, sondern die Übereinstimmung, consensus,<br />
macht die Ehe aus.<br />
Rechtsmaxime<br />
Consensus facit nuptias. Einigung allein macht die Eheschließung<br />
(nicht etwa Zwang, Zeremonien oder Beischlaf).<br />
"Die Ehe, matrimonium, ist kein Rechtsverhältnis, sondern eine soziale Tatsache, die freilich schon früh mit juristischen<br />
Wirkungen ausgestattet wurde.<br />
Sie ist 'verwirklichte Lebensgemeinschaft' von Mann und Frau, getragen von der affectio maritalis, dem dauernden<br />
Willen beider Gatten...<br />
(Sie) umfaßt die während der ganzen Ehe im gesamten Verhalten betätigte eheliche Gesinnung, gerichtet auf eine<br />
lebenslange, monogamische, mit Hausgemeinschaft verbundene Lebensgemeinschaft <strong>zu</strong>m Zwecke der Kindererzeugung"<br />
(Kaser).<br />
Inst. Iust. 1, 10 pr.<br />
1. Welche Erfordernisse werden für eine gültige Ehe aufgestellt?<br />
2. Beachten Sie das conubium<br />
1. nur unter römischen Bürgern, also Eherecht als Teil des ius civile,<br />
2. nach den XII-Tafeln kein conubium zwischen Plebejern und Patriziern,<br />
bald aufgehobene Diskriminierung.<br />
I. 1, 10, 12: Rechtsfolgen einer nicht gültigen Ehe.<br />
Ehegesetze des Augustus<br />
1. Ehe-Verbote mit anrüchigen Frauen, z. B. Prostituierten.<br />
2. Ehe-Pflicht für Männer und Frauen bestimmten Alters, zwecks Kindererzeugung.<br />
Wer die Ehepflicht nicht erfüllt, hat Nachteile beim Erbschaftserwerb.<br />
3. (<strong>Dr</strong>ei-)-Kinderrecht - Ius (trium) liberorum: Vorteile für Frauen und Männer,<br />
die drei oder mehr Kinder hatten.<br />
Aber Fehlschlag dieser Gesetzgebung.<br />
Frage der Rechtsgewalt des Ehemannes, manus mariti.<br />
Wichtig ist die Unterscheidung zwischen der eigentlichen Eheschließung und Ehe einerseits<br />
und dem Übertritt der Frau in den Hausverband des Mannes andererseits.<br />
Vor der Eheschließung<br />
1. stand die Frau in der patria potestas ihres eigenen Vaters oder<br />
2. sie war gewaltfrei, etwa nach dem Tode ihres Vaters oder nach Emanzipation.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
78
Neben der Eheschließung<br />
1. konnte sie in die Rechtsgewalt des Ehemannes, in die manus mariti, eintreten.<br />
Übertritt in die manus mariti durch conventio in manum<br />
1. entweder durch den feierlichen sakralen Akt der confarreatio, oder<br />
2. durch die Manzipation an den Ehegatten nach dem Vorbild des Kaufs, coemptio, oder<br />
3. durch Leben im Haus des Ehemannes während eines Jahres, usus.<br />
2. Aber schon gegen Ende der Republik, in der vorklassischen Zeit, wird die manus-Ehe selten,<br />
die manus-freie Ehe wird die Regel.<br />
D. h. Ehefrau ist gewaltfrei.<br />
Freie, formlose, einseitig erklärte Ehescheidung, auch bei manus-Ehe,<br />
seitens des Mannes wie seitens der Frau möglich.<br />
KAPITEL 12A. VERMÖGENSRECHTLICHE WIRKUNGEN DER EHE, ALLGEMEIN 96<br />
1. Unterschiedlich, ob manus-Ehe (cum manu) oder manus-freie Ehe (sine manu).<br />
- Cum manu ist Ehefrau ohnehin vermögensunfähig, wie eine Haustochter, filiafamilias.<br />
- Eigenes Vermögen etc hat Ehefrau nur, wenn sie gewaltfrei ist.<br />
2. Häufig Geschenke von Mann an Frau und umgekehrt,<br />
- vor Ehe voll wirksam: donatio ante (vorher) oder propter (wegen) nuptias,<br />
ebenso wirksam nach der Ehescheidung.<br />
- während Ehe immer nichtig,<br />
sowohl bei Ehe cum manu wie sine manu.<br />
Quelle dieses streng beachteten Verbots ist unbekannt,<br />
D. 24, 1.<br />
muss von der Dos unterschieden werden,<br />
3. Sehr wichtig ebenfalls (s. schon oben):<br />
Jede Frau (nicht nur Ehefrau) hat exceptio aus Sc. Vellaeanum, wenn sie<br />
für irgendjemanden, z. B. für Ehemann oder für anderen Mann,<br />
in fremdem Interesse interzediert hatte, d. h. im Wesentlichen: Kreditsicherung übernommen hatte.<br />
4. Keine rechtlich sanktionierte Unterhaltspflicht unter Ehegatten während Ehe<br />
(aber natürlich sittliche Verpflichtung), erst recht nicht nach Scheidung.<br />
Erbrecht (s. u.).<br />
Zur neueren Rechtsentwicklung: Hattenhauer, Grundbegriffe § 8.<br />
Ausdrücke<br />
adgnatus (pl. -i) diejenigen Blutsverwandten, die unter derselben Hausgewalt stehen<br />
oder stünden, wenn der gemeinsame pater familias noch lebte,<br />
aber nur vermittelt durch eheliche Abstammung von der Vaterseite,<br />
nicht vermittelt durch Frauen (wichtiger Unterschied <strong>zu</strong> Cognaten)<br />
96<br />
K I § 79.<br />
30. September 2011<br />
79
adoptio, adrogatio Adoption<br />
cognatus Blutsverwandter<br />
cura Sorge, Fürsorge, Sorgfalt, Pflegschaft<br />
dos Mitgift von der Familie oder Freunden der Frau an den Ehemann<br />
gens Geschlechtsverband, Sippe; Volk<br />
matrimonium Ehestand<br />
nasci geboren werden<br />
nuptiae Eheschließung<br />
tutela Schutz, Fürsorge, Vormundschaft.<br />
KAPITEL 12B. MITIGFT = DOS<br />
1. Üblicherweise gewährt der Vater der Ehefrau oder andere, meistens der Ehefrau nahestehende Person<br />
oder sogar (künftige) Ehefrau selbst<br />
ihrem Ehemann bei der Eheschließung eine Mitgift, dos.<br />
2. Damit<br />
1. trägt die Familie der Frau <strong>zu</strong>m Familienunterhalt bei und<br />
2. wird die Frau bei Beendigung der Ehe durch Tod oder Scheidung materiell gesichert,<br />
denn bei Beendigung der Ehe muß der Ehemann der Frau die dos wieder herausgeben,<br />
3. Es wird aber auch die Frau hinsichtlich des gesetzlichen Erbrechts<br />
nach ihrem eigenen Vater abgefunden,<br />
denn nach XII-Tafeln kein gesetzliches Erbrecht für Personen außerhalb der patria potestas,<br />
filia familias verläßt jedoch meistens die patria potestas ihres eigenen Vaters mit Eheschließung.<br />
3. Große Bedeutung der Dos in vielfacher Hinsicht im Recht,<br />
z. B. auch Ersit<strong>zu</strong>ng einer fremden Sache, die Ehemann „pro dote“ empfangen hatte.<br />
4. Von der Dos <strong>zu</strong> unterscheiden: Schenkung von Mann an Frau oder umgekehrt.<br />
5. Bestellung der dos<br />
1. Durch Vater der Ehefrau (sogen. dos profecticia)<br />
oder durch Ehefrau selbst (vor allem, wenn sie schon gewaltfrei war)<br />
oder durch <strong>Dr</strong>itte, Verwandte oder Freunde (sogen. dos adventicia).<br />
2. Verpflichtung <strong>zu</strong>r Bestellung der dos durch förmliche dotis promissio wie eine Stipulation<br />
oder ein besonderes Rechtsgeschäft, die dotis dictio,<br />
oder auch durch Vermächtnis.<br />
6. Dotis datio ist die Bestellung der dos, gewissermaßen das Bargeschäft.<br />
Dos ist wirksame causa für traditio, usucapio.<br />
Leistung der Dos durch Übereignung, Zession, Forderungserlass etc.<br />
7. An Ehemann. Er wird Eigentümer, Rechtsinhaber etc.<br />
8. Dos wird faktisch ein besonderer Teil des Mannesvermögens;<br />
dos ist "Frauengut - res uxoria".<br />
9. Veräußerungsverbot für Dotalgrundstücke, <strong>zu</strong>mindest in Italien.<br />
10. Kam die Ehe nicht <strong>zu</strong>stande, dann Herausgabepflicht auf Grund condictio causa data causa non secuta.<br />
11. Rückgabe der dos<br />
1. Besondere Vereinbarungen über Schicksal der dos nach Ende der Ehe weit verbreitet,<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
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meistens in Form der Stipulation.<br />
2. Wenn keine Vereinbarung, dann nach Ende der Ehe durch Ehescheidung oder<br />
durch Tod des Ehemannes, Rückgabe der dos an Ehefrau.<br />
3. Wenn Frau <strong>zu</strong>erst stirbt, behält Ehemann die dos endgültig,<br />
wenn nicht früher besondere Rückgabevereinbarung getroffen wurde (dos recepticia)<br />
oder wenn nicht dos vom pater familias der Frau bestellt und dieser noch lebt (dos profecticia).<br />
4. Wer ist Schuldner der Rückgabepflicht?<br />
Ehemann im Fall der Scheidung, Erbe des Ehemanns im Falle seines Todes vor der Ehefrau.<br />
12. Besondere Klage auf Rückgabe, nämlich Klage wegen der Frauensache:<br />
actio rei uxoriae. Andernfalls actio ex stipulatu.<br />
13. Haftung des Mannes in gewissen Grenzen für Beschädigung oder Verlust von Dotalgegenständen.<br />
14. Abzüge von der dos <strong>zu</strong> Gunsten des Ehemannes (Zurückbehaltung = retentio),<br />
wenn Ehescheidung von Frau verschuldet, Zurückbehaltung aus Gründen der Sitte, propter mores,<br />
oder <strong>zu</strong>r Versorgung von Kindern (propter liberos).<br />
KAPITEL 13. EHESCHEIDUNG = DIVORTIUM<br />
1. Scheidung 97<br />
nur ein faktischer TB des sozialen Lebens,<br />
kein Rechtsakt, nicht im Privatrecht geregelt, wohl aber vorausgesetzt,<br />
sondern ein sozialer Vorgang, von Sozialordnung, Sitte und Sakralordnung geregelt.<br />
Dort auch Beschränkungen, z. B. bei grundloser Scheidung.<br />
Später Scheidungsbeschränkung nach Ehegesetzen des Augustus<br />
(insofern wie Ehe).<br />
2. Grundsätzlich "Scheidungsfreiheit", C. 8, 38, 2:<br />
„Unsere Vorfahren wollten, dass die Ehe frei sei - Libera matrimonia esse antiquitus placuit“.<br />
Daher keine wirksame Vereinbarung unter Eheleuten zwecks Beschränkung Scheidung.<br />
3. Vielleicht einmal in Urzeit unscheidbar.<br />
Ursprünglich in manus-Ehe nur von Seiten Mann.<br />
Schon in der Republik auch Scheidung von Seiten Ehefrau.<br />
4. Scheidungserklärung: repudium.<br />
Formeln, aber nicht verbindlich: Wegnahme der Schlüssel<br />
oder "Nimm Deine Sachen mit - Res tuas tibi habeto"<br />
oder über Scheidungsboten, nuntius.<br />
5. Bei manus-Ehe neben der Scheidung: Aufhebung der manus-Gewalt, insbes. durch remancipatio,<br />
meistens mit manumissio.<br />
6. Pflicht des Mannes <strong>zu</strong>r Rückgabe der dos 98<br />
, actio rei uxoriae,<br />
da ja Scheidung die Ehe beendet.<br />
Aber Zurückbehaltungsrechte des Mannes, wenn Frau Scheidung verschuldet hat,<br />
97<br />
98<br />
K I § 19, S. 81 ff., und § 77, S. 325 ff.<br />
K I § 81, insbes. S. 338 ff.<br />
30. September 2011<br />
81
- in Anbetracht der Kinder (die ja beim Ehemann blieben) - propter liberos oder<br />
- aus Gründen der Moral - propter mores (bei Ehebruch der Frau).<br />
7. Nicht selten, dass sich nach der Scheidung dieselben Ehegatten<br />
erneut mit einander verheiraten, dann Frage des Fortbestandes der ursprünglichen dos 99<br />
.<br />
KAPITEL 14. ENTSTEHUNG DER SKLAVEREI<br />
Inst. Iust. 1, 3 pr. + 1 + 2 + 4.<br />
Entstehung der Sklaverei: Inst. Iust. 1, 3, 4.<br />
Auch das Kind, das ein freier Römer mit einer Sklavin gezeugt hat, ist Sklave.<br />
KAPITEL 15. BEENDIGUNG DER SKLAVEREI<br />
Freilassung, manumissio: Inst. 1, 5 pr. etc. Motive der Freilassung u. a.<br />
- Eigenes (natürliches) Kind des Freilassenden<br />
- Anordnung des Erblassers von Todes wegen<br />
- Freikauf durch <strong>Dr</strong>itte oder durch Sklaven selbst (evtl. aus Pekulium)<br />
- Versprechen künftiger Dienste durch freigelassenen Sklaven.<br />
Vertragsklausel bei Sklavenverkauf kann die Freilassung sein 100<br />
.<br />
Iusta manumissio nach ius civile in bestimmten Formen<br />
(vindicta [Berührung durch Stab, Mitwirkung eines Liktors],beim Zensus = censu, oder durch Testament = testamento),<br />
oder formlose = prätorische Freilassung<br />
(unter Freunden = inter amicos,durch Brief = per epistulam oder auf andere Weise)<br />
(ganz andere Formen und Wirkungen für die emancipatio eines [freien] Hauskindes) 101<br />
.<br />
Eigentlich keine auflösend bedingte Freiheit 102<br />
.<br />
Der Freigelassene ist libertus, libertinus.<br />
Rechtsfolge nach iusta manumissio: Freiheit und römisches Bürgerrecht.<br />
Nach prätorischer Freilassung sind sie (nach einer lex Iunia) nur Latini Iuniani,<br />
genießen nur eine beschränkte Freiheit, kein Bürgerrecht.<br />
Der Freilasser behält als patronus eine gewisse Gewalt über Freigelassenen,<br />
insbesondere Bevorrechtigung des patronus als Erbe des Freigelassenen,<br />
lässt sich regelmäßig bei Freilassung Dienste, operae, versprechen.<br />
Gesetzliche Freilassungsbeschränkungen.<br />
99<br />
100<br />
K I § 77 / 23; § 80 / 43; z. B. D. 23, 24, 29, 1 (WS 2003-04). Dos tacita.<br />
K I S. 293: Wird ein Sklave verkauft oder fid<strong>zu</strong>iarisch manzipiert mit der Auflage, ut intra tempus manumitteretur,<br />
wird er nach den Erlassen der Kaiser mit Zeitablauf frei; z. B. D. 40, 1, 23: lex venditionis. Freiheit auch,<br />
wenn der Erbe die testamentarische Freilassung vereitelt oder wenn Sklave sich selbst suis nummis, d. h. aus<br />
seinem Peculium, freigekauft hat.<br />
101<br />
102<br />
S. auch K-K § 15 / 19.<br />
K I S. 257. Aber wohl aufschiebend bedingt oder aufschiebend befristet.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
82
KAPITEL 16. SKLAVEN ALS OBJEKTE<br />
Stellung der Sklaven Inst. 1, 8, 1 und 2.<br />
Die Sklaverei hat in der Gesellschaft und dementsprechend in der Rechtsordnung<br />
eine sehr große Bedeutung.<br />
Viele Sachverhalte in den Digesten handeln von Sklaven als bloßen Objekten des Handelns,<br />
z. B. von deren Verkauf oder Übereignung.<br />
Andere Rechtsfälle erörtern die Wirkungen von Rechtsgeschäften<br />
und unerlaubten Handlungen der Sklaven, sehen diese also insofern als Rechtssubjekte an.<br />
Institutionen Buch 1, Titel 3 (Recht der Personen), Anfang = I. 1, 3 pr.<br />
Die oberste Einteilung des Rechts der Personen ist nun die,<br />
dass alle Menschen entweder Freie oder Sklaven sind.<br />
Inst. 1, 3, 1. Und die Freiheit, libertas, nach der man auch von freien Menschen, liberi, spricht,<br />
ist die natürliche Fähigkeit, das <strong>zu</strong> tun, was einem jeden <strong>zu</strong> tun beliebt,<br />
sofern es nicht durch Gewalt oder Recht verhindert wird.<br />
Inst. 1, 3, 2. Dagegen ist die Sklaverei eine Einrichtung des Völkergemeinrechts,<br />
durch die jemand entgegen dem Natur<strong>zu</strong>stand dem Eigentum eines anderen unterworfen wird.<br />
S. auch Institutionen 1, 3, 3.<br />
Viele schwere Sklavenaufstände, sogenannte Sklavenkriege 103<br />
.<br />
Sc. Silanianum ordnet Folter und Tötung sämtlicher Sklaven an, wenn dominus ermordet wird.<br />
Vertragsklauseln, lex (leges) venditionis, bei Sklavenverkäufen z. B.<br />
Exportanordnung,<br />
aber auch z. B. Exportverbot oder Prostitutionsverbot,<br />
oder Bedingung der Freilassung 104<br />
.<br />
Sklave ist alieni iuris (s. o.), in Gewalt des Herrn, dominica potestas.<br />
Herr hat Gewalt über Leben und Tod über den Sklaven,<br />
jedoch früh durch den Zensor, später durch die Gesetzgebung begrenzt.<br />
Verlet<strong>zu</strong>ng oder Tötung eines Sklaven durch einen <strong>Dr</strong>itten<br />
begründet privatrechtlichen Ersatzanspruch<br />
des Herrn nach XII-Tafeln und vor allem nach der lex Aquilia (<strong>zu</strong> dieser s. u.).<br />
Sklave kann verkauft werden.<br />
Besondere Regeln des Aedils über Sachmängelhaftung<br />
beim Verkauf von Sklaven auf dem Markt.<br />
Auch alle anderen schuldrechtlichen Geschäfte betreffend Sklaven sind möglich.<br />
Textbeispiel<br />
Gai. I. 3, 146. Desgleichen ist kontrovers, ob Kauf oder Miete vorliegt, wenn ich dir Gladiatoren mit der<br />
Abrede übergebe, dass du für die einzelnen, die gesund bleiben, für deren Schweiß, zwanzig Denare bezahlst,<br />
für die einzelnen hingegen, die getötet oder verstümmelt wurden, tausend Denare ...<br />
103<br />
104<br />
136 - 132, 104 - 100, 73 - 71 (Spartakus) v. Chr.<br />
K I S. 562 mwN: dingliches Zugriffsrecht des Veräußerers auf Grund lex dicta in mancipio (nuncupatio).<br />
30. September 2011<br />
83
Übereignung von Sklaven durch mancipatio, traditio oder in iure cessio (s. u. Sachenrecht).<br />
Miteigentum an Sklaven weit verbreitet.<br />
Auch Verpfändung, Nießbrauch etc.<br />
Sklavenkind, partus 105<br />
ancillae, ist zwar nach h. M. der Römer im juristischen Sinne keine Frucht der Sache,<br />
wird aber rechtlich weitgehend wie eine solche behandelt.<br />
Da Sklave völlig rechtlos ist, kann er im Rechtssinne keine Vermögensrechte haben.<br />
Tatsächlich war es weit verbreitet,<br />
dass der Dominus einzelnen Sklaven ein Sondervermögen <strong>zu</strong>r Verfügung stellte, das sogenannte Pekulium;<br />
aber dieses gehörte dem Sklaven nur bei einer tatsächlichen Betrachtungsweise;<br />
im Rechtssinne gehörte das Pekulium nicht dem Sklaven, sondern weiterhin dem Dominus.<br />
Da Sklave völlig rechtlos ist, tritt er auch nicht in familienrechtliche Beziehungen:<br />
im Rechtssinne keine Sklavenehe (contubernium), keine Eltern-Kind-Beziehung etc.,<br />
wohl aber in verschiedener Hinsicht außerrechtlich anerkannt.<br />
Freiheitsprozess 106<br />
darum, ob eine Person frei oder unfrei ist;<br />
die Person, um die es geht, ist in diesem Prozess gewissermaßen Objekt,<br />
um das sich der angebliche dominus und, <strong>zu</strong> Gusten der umstrittenen Person,<br />
der Freiheitsbehauptende, der adsertor in libertatem, streiten 107<br />
.<br />
Wenn in dem Prozess die Frage, ob eine bestimmte Person ein Freier oder ein Sklave sei,<br />
nicht <strong>zu</strong> klären war,<br />
gab die Vermutung <strong>zu</strong> Gunsten der Freiheit der betreffenden Person den Ausschlag<br />
nach der Rechtsmaxime: In dubio pro libertate. - Im Zweifel für die Freiheit.<br />
Neuere Rechtsgeschichte<br />
Das ausgedehnteste private Sklavensystem in Nord- und Südamerika.<br />
„Gutsuntertänigkeit“, früher Leibeigenschaft, galt nicht als Sklaverei.<br />
Naturrechtskodifikationen ALR, Code civil und ABGB erkannten Sklaverei nicht an.<br />
Im 19. Jahrhundert Kampf gegen die Sklaverei in der ganzen Welt,<br />
England Abolition 1807, Frankreich (nach Zwischenakt 1789) 1848,<br />
USA Sezessionskrieg 1861-1865; völkerrechtliche Antisklaverei-Akte 1926.<br />
Zum heutigen § 1 BGB s. Motive I, 25.<br />
Zur neueren Rechtsentwicklung: Hattenhauer, Grundbegriffe § 1.<br />
Ausdrücke<br />
ancilla Sklavin, Sklavenmutter<br />
dominus Herr<br />
homo, mancipium, Sklave<br />
puer, servus<br />
105<br />
106<br />
107<br />
Liberalis causa, status quaestio. Da<strong>zu</strong> Digesten-Titel 40, 12 “De liberali causa”.<br />
Bei der vindicatio in libertatem einer in Sklaverei gehaltenen Person tritt als Kläger der adsertor in libertatem<br />
auf, der die Freiheit der umstrittenen Person behauptet; Beklagter ist derjenige, der die Person als Sklaven in<br />
Anspruch nimmt. Dieselbe Form für Freilassung, vgl.Knütel. Bei der vindicatio in servitutem sind die Parteirollen<br />
umgekehrt.<br />
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84
homo liber bona fide serviens Scheinsklave (in Wahrheit: freier Mensch)<br />
libertas Freiheit<br />
libertinus, libertus Freigelassener<br />
mancipium Sklave<br />
manumittere freilassen, aus der Sklaverei entlassen<br />
partus (m.) ancillae Sklavenkind<br />
peculium Sondervermögen,<br />
das Herr dem Sklaven (oder Haussohn) <strong>zu</strong>r Verfügung stellt<br />
(s. u. <strong>zu</strong> Handeln für andere)<br />
serva, ancilla Sklavin<br />
servitus Sklaverei (personenrechtlich); Dienstbarkeit (sachenrechtl.)<br />
servus Sklave<br />
(seltener homo oder puer).<br />
KAPITEL 17. SKLAVEN ALS TEILNEHMER AM RECHTSVERKEHR<br />
1. Sklaven können am Rechtsverkehr teilnehmen. Sie können z. B. durch Stipulationen<br />
1. Verpflichtungen 108<br />
2. oder Rechte 109<br />
begründen.<br />
2. Mancipatio<br />
1. Die Verfügung durch mancipatio ist ihnen verschlossen (bei der sie schweigen müssten)<br />
2. nicht jedoch der Erwerb (bei dem sie Formelworte sprechen müssen).<br />
3. Aber die rechtlichen Wirkungen ihrer Handlungen können im Rechtssinne<br />
1. nie sie selbst (ausgenommen Delikte nach ihrer Freilassung),<br />
2. allenfalls ihren Herrn treffen.<br />
4. (Vermögensunfähigkeit) Sklave kann von Rechts wegen nicht Inhaber von Rechten sein,<br />
noch nicht einmal selbst Besitzer sein.<br />
5. Aller Erwerb erfolgt für Dominus, ohne Rücksicht auf Kenntnis oder Willen<br />
des Sklaven, des Herrn oder des Veräußerers, betrifft<br />
1. schuldrechtliche Forderungen, z. B. durch Stipulation oder Kaufvertrag,<br />
2. dingliche Rechte, z. B. Erwerb durch mancipatio (nicht: Verfügung durch m.) oder traditio,<br />
3. sowie Besitz 110<br />
.<br />
Erwerb also auch durch Formalgeschäfte wie Stipulation und Manzipation<br />
(kein „Offenheitsprinzip“ i. S. BGB-Stellvertretung).<br />
6. Sklave kann sich selbst nicht verpflichten 111<br />
(hier also Unterschied <strong>zu</strong>m Haussohn).<br />
108<br />
109<br />
Vgl. D. 45, 1, 1 pr.; 45, 1, 38, 6; 45, 1, 118 pr.<br />
K I S. 286; ausdrückl Dig. 45, Tit. 3, De stipulatione servorum; Beispiele auch D. 45, 1, 38, 6 und 8; 45, 1, 45<br />
pr.; 45, 1, 62 etc. Auch mancipatio-Erwerb durch Sklaven.<br />
110<br />
111<br />
Zum Besitzerwerb durch Gewaltabhängige s. u. <strong>zu</strong>m Besitz.<br />
Gai. 3, 104; D. 15, 1, 41 pr.; 46, 1, 20; 50, 17, 32. Vgl. K I 287/43.<br />
30. September 2011<br />
85
7. Er haftet für eigene frühere<br />
1. rechtsgeschäftliche Schulden auch dann nicht, wenn er freigelassen ist<br />
(Fortdauer der Haftung des dominus auf Grund einer actio annalis, falls dominus bis dahin haftete) 112<br />
.<br />
2. Wegen seiner Delikte haftet er aber selbst, sobald er frei ist,<br />
da das Delikt der Person folgt, noxa caput sequitur 113<br />
(ebenso Haussohn).<br />
8. Ausnahmsweise verpflichtet Sklave den dominus durch Rechtsgeschäft oder Delikt<br />
(s. u. <strong>zu</strong> adjektizischen Klagen und <strong>zu</strong>r Noxalhaftung).<br />
Deswegen gelten die Verpflichtungen eines Sklaven als Naturalobligationen.<br />
9. Da Sklave keine eigenen Rechte hat, kann er auch nicht über eigene Rechte verfügen.<br />
Er kann über Rechte des Dominus verfügen,<br />
soweit ihm der Dominus hier<strong>zu</strong> die Ermächtigung, iussum, erteilt 114<br />
.<br />
10. Ergebnis: obwohl Sklave selbst rechtsunfähig ist,<br />
kann er doch für seinen Herrn im Rechtsverkehr tätig werden.<br />
11. „Forderungen des Sklaven“<br />
1. Gegen einen <strong>Dr</strong>itten, extraneus: Anspruch, actio, des dominus gegen extraneus 115<br />
.<br />
2. " Forderungen des Sklaven“ gegen seinen dominus:<br />
1. keinerlei Anspruch des Sklaven (oder des dominus),<br />
2. sondern bloße Verrechnungsposten für Pekulium;<br />
sie erhöhen Wert des Pekuliums, wenn <strong>Dr</strong>itter a. de peculio gegen Dominus erhebt 116<br />
.<br />
12. „Rechtsgeschäftliche Schulden des Sklaven“<br />
1. Wenn Schulden gegenüber <strong>Dr</strong>itten:<br />
adjektizische Klagen (falls deren Vorausset<strong>zu</strong>ngen gegeben sind) des <strong>Dr</strong>itten gegen Dominus.<br />
2. Wenn „Schulden des Sklaven“ gegenüber dominus:<br />
kann dominus den Betrag für sich einbehalten gegenüber a. de peculio <strong>Dr</strong>itter,<br />
das heißt: Haftungswert des Pekuliums verringert sich.<br />
Actio de peculio und a. de in rem verso eines <strong>Dr</strong>itten gegen Dominus<br />
kommen nebeinander in Betracht 117<br />
.<br />
13. Unerlaubte Handlungen des Sklaven<br />
begründen Noxalhaftung des dominus; wenn Sklave freigelassen ist, haftet er selbst.<br />
112<br />
113<br />
114<br />
Pomp. D. 46, 3, 83: Zahlung des früheren Sklaven nach seiner Freilassung an den Gläubiger.<br />
I. 4, 8, 5 = Gai. 4, 77.<br />
Aber Nichteigentümer kann auch mit Ermächtigung nicht ws manzipieren wohl aber formfrei tradieren, K I<br />
267.<br />
115<br />
116<br />
117<br />
D. 15, 1, 41 u. ö.<br />
D. 15, 1, 7, 6 u. ö.<br />
D. 15, 3, 1.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
86
KAPITEL 18. ADJEKTIZISCHE KLAGEN, ÜBERBLICK / GRUNDLAGEN<br />
Inst. Iust. 4, 7 pass.<br />
Hauskinder und Sklaven als Gewaltunterworfene Inst. 4, 7 pr. + Inst. 4, 7, 6.<br />
1. Besonders wichtiges, typisch römisches Hilfsmittel,<br />
ausgehend von Geschäften der Gewaltunterworfenen<br />
später auch teilweise angewandt auf Geschäfte von Gewaltfreien.<br />
2. Bis auf 1 Punkt war die rechtliche Regelung einfach:<br />
1. Jeder Erwerb (Forderungen, dingliche Rechte und Besitz)<br />
durch Gewaltunterworfene<br />
gehörte ohnehin von Rechts wegen dem Gewalthaber,<br />
auch wenn dieser den Erwerb tatsächlich dem Gewaltunterworfenen beließ.<br />
2. Jede Verfügung durch den Gewaltunterworfenen<br />
betraf im Rechtssinne einen Gegenstand des Gewalthabers<br />
und war wirksam, wenn der Gewalthaber der Verfügung <strong>zu</strong>stimmte.<br />
3. Problematisch war aber als einziger Punkt der der rechtsgeschäftlichen Verpflichtungen.<br />
Denn Schuldverträge<br />
1. konnten einen Sklaven überhaupt nicht verpflichten.<br />
Sklave konnte in einem Prozess nicht verklagt werden.<br />
2. Die Verpflichtungen konnten bei einem Haussohn<br />
1. zwar <strong>zu</strong> dessen Verpflichtung und <strong>zu</strong> dessen Verurteilung führen,<br />
2. aber nicht <strong>zu</strong>r Zwangsvollstreckung gegen ihn.<br />
3. Aber ein anderer würde mit einem Gewaltunterworfenen keine Geschäfte abschließen,<br />
wenn für diese Geschäfte nicht irgendjemand mit seinem Vermögen haftete.<br />
Wenn nicht der Gewaltunterworfene haftete,<br />
mussten in der Rechtsordnung Mittel gefunden werden,<br />
dass der Gewaltunterworfene den Gewalthaber verpflichten konnte.<br />
Im Rechtssinne mußte also der Gewalthaber verpflichtet werden.<br />
Zu diesem Zweck gewährte der Praetor die adjektizischen Klagen.<br />
4. Die fünf adjektizischen Klagen setzen stets voraus<br />
1. rechtsgeschäftliche Verpflichtung, z. B. Kauf oder Stipulation<br />
2. eines gewaltunterworfenen Haussohns oder Sklaven,<br />
ausnahmsweise eines Gewaltfreien (a. institoria oder a. exercitoria)<br />
3. unter den besonderen Vorausset<strong>zu</strong>ngen des Handelns<br />
1. für das Pekulium,<br />
daher actio de peculio des <strong>Dr</strong>itten gegen paterfamilias bzw. Dominus, oder<br />
2. wegen Verwendung des Gewaltunterworfenen<br />
<strong>zu</strong> Gunsten des Vermögens des Gewalthabers,<br />
daher actio de in rem verso, oder<br />
3. auf Anordnung, iussum, des Gewalthabers,<br />
30. September 2011<br />
87
daher actio quod iussu, oder<br />
4. sogar wegen Handelns eines Freien oder auch eines Gewaltunterworfenen<br />
als Schiffsführer, magister navis,<br />
so kommt es <strong>zu</strong> der Klage des <strong>Dr</strong>itten gegen den Schiffseigentümer, exercitor,<br />
daher actio exercitoria, oder<br />
5. wegen Handelns eines Freien oder auch eines Gewaltunterworfenen<br />
als Geschäftsleiter, institor,<br />
daher actio institoria.<br />
5. Rechtsfolge:<br />
1. Anspruch = Klage, actio, des <strong>Dr</strong>itten<br />
gegen den Geschäftsherrn. Dieser wird also verpflichtet.<br />
2. Ist der Handelnde ein Haussohn oder gewaltfrei,<br />
kommt auch Klage gegen ihn in Betracht.<br />
6. Das bedeutet prozessual:<br />
verklagt wird der Gewalthaber,<br />
er erscheint in der Prozessformel (condemnatio) als Beklagter,<br />
er soll schließlich <strong>zu</strong>r Leistung verurteilt werden.<br />
Das Rechtsgeschäft wurde aber abgeschlossen vom Gewaltunterworfenen,<br />
und auf diesen weist die Prozessformel (in der intentio) hin.<br />
Daher Klagen mit Subjektsumstellung.<br />
Wenn der Gewalthaber verurteilt wird,<br />
wird er tatsächlich meistens die Streitsache aus dem Pekulium nehmen.<br />
7. Bezeichnung dieser Klagen nach ihrer Konstruktion.<br />
Die Klagen des <strong>Dr</strong>itten gegen den Geschäfts-Herrn sind so konstruiert,<br />
als lehnten sie sich an die Klagen gegen den, meistens gewaltunterworfenen Geschäfts-Führer an;<br />
daher angelehnte Klagen - actiones adiecticiae.<br />
8. Daher also die fünf adjektizischen Klagen (in der Reihenfolge der Institutionen Justinians)<br />
1. a. quod iussu Inst. Iust. 4, 7, 1<br />
2. a. exercitoria Inst. 4, 7, 2 + 2 a<br />
3. a. institoria Inst. 4, 7, 2 + 2 a<br />
4. a. de peculio Inst. 4, 7, 4 – 4 c<br />
5. a. de in rem verso Inst. 4, 7, 4 – 4 c,<br />
da<strong>zu</strong> „Verteilungsklage = a. tributoria“, Inst. 4, 7, 3,<br />
Wenn ein Haussohn oder Sklave mit Einverständnis seines Gewalthabers sein Peculium für einen kaufmännischen oder gewerblichen<br />
Betrieb verwendet und dann das Betriebsvermögen überschuldet, wird das Betriebsvermögen anteilig auf die Gläubiger<br />
verteilt. Die Gläubiger verlieren also, ähnlich wie im modernen Konkurs, ihre Forderungen anteilig, werden aber nicht, wie<br />
üblich, nach dem Prioritätsprinzip befriedigt, so dass der frühere möglicherweise ganz, der spätere aber überhaupt nicht befriedigt<br />
wird 118<br />
.<br />
9. Die actiones<br />
quod iussu,<br />
a. de peculio,<br />
118<br />
K I § 141 II 5, S. 609.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
88
a. de in rem verso,<br />
nur wegen Handlungen von Gewaltunterworfenen.<br />
Aber die actiones<br />
actiones exercitoriae und<br />
actiones institoriae<br />
werden auch gewährt, wenn der Geschäftsführer gewaltfrei ist.<br />
10. Würde der Geschäftspartner stattdessen gegen denjenigen, der das Geschäft geführt hat,<br />
klagen können?<br />
1. Keine Klagen gegen Sklaven,<br />
2. keine Klage gegen Haustochter (wohl auch nicht gegen uxor in manu),<br />
3. Klagen gegen Haussöhne, aber keine Vollstreckung,<br />
Klage gegen Haussohn nach Emanzipation auf Überrest, in id quod facere potest 119<br />
,<br />
4. Klagen gegen Gewaltfreie, also gegebenenfalls gegen Kapitän oder Geschäftsleiter.<br />
Vorstellung der naturalis obligatio des Gewaltunterworfenen.<br />
11. Damit führen viele,<br />
aber längst nicht alle Schulden, die von Gewaltunterworfenen begründet wurden,<br />
<strong>zu</strong> einem Anspruch gegen den Gewalthaber.<br />
Es gab etliche Fälle, in denen die Kontrahenten eines Gewaltunterworfenen keinerlei Anspruch erlangten.<br />
12. Welche Rechtsfolge tritt ein, wenn das Gewaltverhältnis beendet ist?<br />
Hier ist <strong>zu</strong> differenzieren nach<br />
1. Art des Rechtsverhältnisses: Delikt oder Rechtsgeschäft?<br />
2. Umstand, durch den Gewaltverhältnis beendet oder übertragen wurde:<br />
- Tod des bisherigen Gewalthabers,<br />
- Emanzipation oder Freilassung,<br />
- Veräußerung oder Erbgang?<br />
3. Status libertatis: Bisheriger Haussohn oder Sklave?<br />
13. Für Delikte gilt Noxalhaftung, d. h.<br />
- im Falle der Freiheitserlangung durch<br />
Tod des bisherigen pater familias, durch Emanzipation oder Freilassung<br />
haftet bisheriger Gewaltunterworfener;<br />
- im Falle der Veräußerung oder des Erbgangs haftet neuer Gewalthaber,<br />
denn der Schaden folgt dem Kopf – Noxa caput sequitur.<br />
14. Rechtsgeschäft<br />
119<br />
120<br />
121<br />
1. bei Tod des bisherigen Gewalthabers tritt Erbfolge mit Erbenhaftung ein 120<br />
Vorsicht: falls und soweit Erblasser haftete,<br />
wenn also Vorausset<strong>zu</strong>ngen einer adjektizischen Klage geben war,<br />
sowohl für Rechtsgeschäftsschulden des Haussohns wie des Sklaven.<br />
2. Veräußerung des Sklaven (in klassischer Zeit nicht mehr des Haussohns)<br />
ändert an ursprünglicher Haftung nichts:<br />
K I S. 343.<br />
Vgl. D. 14,5, 2, 4, und D. 14, 5, 7: aber nomina divisa.<br />
Falls diese schon vorher hafteten. - K I § 141, S. 607.<br />
30. September 2011<br />
/ 121<br />
,<br />
89
Falls bisheriger Gewalthaber haftete, haftet dieser weiter 122<br />
.<br />
Erwerber haftet von Gesetzes wegen nicht (allenfalls vertragliche Schuldübernahme).<br />
3. Entlassung aus dem Gewaltverhältnis<br />
1. Bisherige Gewaltunterworfene<br />
1. Haussohn haftete ja schon vorher, haftet jetzt auch weiter 123<br />
.<br />
2. Sklave haftete vor Freilassung nicht, und haftet jetzt auch nicht.<br />
2. Bisheriger Gewalthaber haftet noch 1 Jahr lang, actio annalis,<br />
falls ihn vorher adjektizische Haftung getroffen hatte.<br />
a. quod iussu Inst. 4, 7, 1<br />
1. Verpflichtung durch Haussohn oder Sklaven<br />
auf Anordnung 124<br />
, iussum, des Gewalthabers,<br />
falls<br />
KAPITEL 19. ACTIO QUOD IUSSU<br />
- dem <strong>Dr</strong>itten oder in dessen Gegenwart erklärt 125<br />
- oder nachträgliche Zustimmung, ratihabitio.<br />
Daher a. quod iussu gegen p. f. bzw. Dominus; I. 4, 7, 1.<br />
2. Sedes materiae Dig. 15, 4 (nicht lernen).<br />
3. Weitere Bedeutungen von iussum s. unten.<br />
KAPITEL 20. REEDERKLAGE = ACTIO EXERCITORIA<br />
a. exercitoria Inst. 4, 7, 2 + 2 a<br />
1. Wegen Handelns eines Freien oder auch eines Gewaltunterworfenen<br />
als Schiffsführer = Kapitän, magister navis;<br />
Klage des <strong>Dr</strong>itten gegen den Schiffseigentümer (Reeder), exercitor,<br />
actio exercitoria.<br />
122<br />
123<br />
Z. B. Paul. D. 17, 1, 61 am Anfang.<br />
K I 481 / 20: Afr. D. 12, 6, 38 pr.-2. Paul. D. 17, 1, 61 a. E.; vgl. auch D. 17, 1, 12, 6. - Nach prätorischem<br />
Recht, Edikt "Quod cum eo, qui in aliena potestate est", Dig. 14, 5. Nach richterlicher Voruntersuchung, causa<br />
cognita, entsprechend seiner Leistungsfähigkeit, in id quod facere potest; D. 14, 5, 2 pr. Im Edikt werden entweder<br />
iussum oder Vermögensvermehrung des Vaters oder des Pekuliums, sowie Emanzipation oder Enterbung<br />
vorausgesetzt. Auch im Erbfall nach dem Vater volle, nicht anteilige Haftung: D. 14, 5, 4 pr.; 14, 5, 7. Id<br />
quod facere kann m. E. <strong>zu</strong> ungeschmälerter Haftung führen, wenn Sohn genügend wohlhabend ist. K I S. 343.<br />
D. 17, 1, 61. Paulus 2 ad Nerat. Quod filio familias ut peteret mandavi, emancipatus exegit: de peculio intra annum<br />
utiliter agam. Paulus: sed et cum filio agendum est.<br />
Ich hatte einen Haussohn beauftragt, eine Forderung für mich ein<strong>zu</strong>klagen. Er hat die Forderung eingezogen,<br />
nachdem er aus der väterlichen Gewalt emanzipiert worden war. Ich kann ein Jahr lang erfolgreich ,die actio de<br />
peculio (gegen den Vater) erheben. – Paulus: Aber man kann auch gegen den Sohn klagen.<br />
124<br />
125<br />
Widerruf bis <strong>zu</strong>m Beginn der Ausführung, Ulp. D. 15, 4, 1, 2.<br />
K I 608. - Aber das Erfordernis der Erklärung an <strong>Dr</strong>itten oder in dessen Gegenwart wird fraglich sein und<br />
dürfte m. E. wohl nicht für andere Fälle der Ermächtigung verallgemeinert werden.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
90
2. Inst. 4, 7, 1. Wenn also ein Geschäft mit Ermächtigung des Eigentümers abgeschlossen worden ist, verheißt der Praetor gegen den Eigentümer<br />
eine Klage auf das Ganze, weil nämlich, wer so kontrahiert, sich auf das Wort des Eigentümers verlässt.<br />
§ 2. Aus demselben Grund verheißt der Praetor zwei andere Klagen auf das Ganze, von denen die eine Reederklage genannt wird, die<br />
andere Geschäftsleiterklage. Die Reederklage findet dann statt, wenn jemand seinen Sklaven <strong>zu</strong>m Kapitän bestellt und wenn it diesem<br />
um der Aufgabae willen, für die er bestellt ist, kontrahiert wird...<br />
2a. Jene beiden Klagen erteilt der Praetor aber auch, wenn jemand einen Freien oder einen fremden Sklaven <strong>zu</strong>r Führung eines Schiffes<br />
oder eines Ladens oder eines beliebigen anderen Erwerbsgeschäfts bestellt, weil nämllich auch in diesen Fällen derselbe Gerechtigkeitsgedanke<br />
gegeben ist 126<br />
.<br />
3. Umfangreiche Erörterung bei Ulpian, 28. ad ed. = D. 14, 1, 1 pr. über Ediktszweck. Dann Kommentierung <strong>zu</strong>m magister navis (§§ 1<br />
ff.), navis (§ 6), praepositio (§§ 7, 12 ff.), gesicherte Darlehen (§§ 8 ff.) etc.<br />
4. Wichtig: Magister navis kann auch ein Gewaltfreier oder ein fremder Sklave sein.<br />
5. Daneben eigene Haftung des magister navis, falls gewaltfrei 127<br />
.<br />
6. Ausnahmsweise Anspruch des Schiffseigners<br />
aus Getreidekäufen des Schiffsführers gegen Lieferanten 128<br />
.<br />
7. Rechtsverhältnis exercitor – magister navis (falls gewaltfrei): locatio conductio oder Auftrag 129<br />
.<br />
8. Sedes materiae: Inst. 4, 7, 2 und 2 a; Dig. 14, 1, 7 pr.<br />
KAPITEL 21. GESCHÄFTSHERRENKLAGE = ACTIO INSTITORIA<br />
1. Anspruch gegen einen Geschäftsherrn, Dominus,<br />
wegen Handelns eines Freien oder auch eines Gewaltunterworfenen<br />
als Leiter eines Ladens (taberna) oder sonstigen Gewerbebetriebes (negotiatio), Institor.<br />
2. Inst. 4, 7, 1. Wenn also ein Geschäft mit Ermächtigung des Eigentümers abgeschlossen worden ist, verheißt der Praetor gegen den Eigentümer<br />
eine Klage auf das Ganze, weil nämlich, wer so kontrahiert, sich auf das Wort des Eigentümers verlässt.<br />
§ 2. Aus demselben Grund verheißt der Praetor zwei andere Klagen auf das Ganze, von denen die eine Reederklage genannt wird, die<br />
andere Geschäftsleiterklage... Die Geschäftsleiterklage findet dann statt, wenn jemand einen Sklaven etwa <strong>zu</strong>rFührung eines Ladens<br />
oder eines beliebigen anderen Erwerbsgeschäfts bestellt und wenn mit diesem um der Aufgabe willen, für die er bestellt ist, kontrahiert<br />
wird...<br />
2a. Jene beiden Klagen erteilt der Praetor aber auch, wenn jemand einen Freien oder einen fremden Sklaven <strong>zu</strong>r Führung eines Schiffes<br />
oder eines Ladens oder eines beliebigen anderen Erwerbsgeschäfts bestellt, weil nämllich auch in diesen Fällen derselbe Gerechtigkeitsgedanke<br />
gegeben ist 130<br />
.<br />
3. Beispielstext D. 15, 1, 47 pr. (Fall „Allgemeiner Geschäftsbedingungen“).<br />
4. Rechtserwerb für den Dominus<br />
1. Wenn der Institor sein eigener Sklave oder Haussohn ist, in der üblichen Weise,<br />
126<br />
127<br />
128<br />
129<br />
130<br />
Überset<strong>zu</strong>ng von Behrends u. a.<br />
D. 14, 1, 1, §§ 17, 24 u. ö.<br />
K I S. 263.<br />
Vgl. D. 14, 1, 1, 18 (verderbt?).<br />
Überset<strong>zu</strong>ng von Behrends u. a.<br />
30. September 2011<br />
91
denn aller Erwerb gehört dann ohnehin dem Gewalthaber.<br />
2. Falls Institor gewaltfrei oder fremder Sklave ist,<br />
1. nicht ohne weiteres Erwerb <strong>zu</strong> Gunsten des Geschäftsherrn, sondern<br />
Erwerb des Institor in sein eigenes Vermögen oder in das des fremden Dominus.<br />
2. Aber<br />
1. Auftrags- oder Geschäftsführungsklage (negotiorum gestio)<br />
des Geschäftsherrn gegen gewaltfreien Institor oder dessen Dominus<br />
auf Herausgabe des Erlangten 131<br />
.<br />
2. Oder actio utilis (für Geschäftsherrn gegen Geschäftspartner) 132<br />
.<br />
5. Sedes materiae: Inst. 4, 7, 2 und 2 a; D. 14, 3.<br />
KAPITEL 22. PECULIUM UND ACTIO DE PECULIO 133<br />
a. de peculio Inst. 4, 7, 4 – 4 c und Inst. 4, 6, 10.<br />
1. Pekulium.<br />
Es war weit verbreitet, dass der Paterfamilias oder Dominus einzelnen Hauskindern oder Sklaven ein Sondervermögen<br />
<strong>zu</strong>r Verfügung stellte, das sogenannte Peculium. Dieses konnte Vermögensgegenstände aller<br />
Art umfassen, Sachen und Rechte, Besitz, auch andere Sklaven, servus vicarius 134<br />
, sogar Forderungegen<br />
gegen den Gewalthaber. Dieses gehörte dem Sklaven oder Hauskind zwar bei tatsächlicher Betrachtungsweise<br />
(in diesem Sinne spricht Kaser von der „faktischen Vermögensfähigkeit“ des Gewaltunterworfenen.).<br />
Das ging so weit, dass zwischen Gewalthaber und Gewaltunterworfenem Rechtsgeschäfte abgeschlossen,<br />
erfüllt und abgerechnet wurden. Diese Rechtsgeschäfte waren bei rechtlicher Betrachtungsweise nicht<br />
wirksam, bildeten aber Rechnungsposten bei der Berechnung der Aktiva und Passiva des Pekuliums (insbesondere<br />
im Hinblick auf die a. de peculio durch außenstehenden <strong>Dr</strong>itten gegen den Gewalthaber).<br />
Aber im Rechtssinne gehörte das Pekulium nicht dem Hauskind oder Sklaven, sondern weiterhin dem<br />
Hausvater oder Herrn.<br />
Daher konnte der dominus das Pekulium in jedem Augenblick einziehen, allerdings nicht in einer arglistigen<br />
Weise, um den Gläubiger <strong>zu</strong> benachteiligen.<br />
Zweck des Pekuliums war es, dass der damit ausgestattete Haussohn bzw. die Haustochter oder der Sklave<br />
selbstständig wirtschaftete, ohne wegen aller Einzelheiten den Vater oder Herrn fragen <strong>zu</strong> müssen. Unter<br />
wirtschaftlichen Gesichtspunkten traten hier keine Probleme auf, wohl aber in rechtlicher Hinsicht.<br />
2. Auch Haustöchter oder Sklavinnen konnten Pekulium haben 135<br />
.<br />
3. Pekulium konnte nur ein Gewaltunterworfener haben.<br />
Keine actio de peculio, auch nicht analog, utilis, wegen Handlungen eines Gewaltfreien,<br />
allenfalls wegen Handlungen eines Scheinsklaven, der in Wirklichkeit gewaltfrei war, bona fide serviens.<br />
131<br />
132<br />
133<br />
134<br />
135<br />
Ulp. D. 14, 3, 1.<br />
K I S. 263 und 267; vgl. Ulp.-Marcell. D. 14, 3, 1 a. E.<br />
K I § 141 II, S. 606.<br />
K I S. 287.<br />
Vgl. D.15, 1, 27.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
92
4. Erklärung in den Institutionen: I. 4, 6, 10 und 4, 7, pr. und 4.<br />
5. Actio de peculio - Haftungsumfang. „Die actio de peculio setzt voraus,<br />
dass der Gewalthaber seinem Haussohn oder Sklaven ein Pekulium ... überlassen hat.<br />
Der Gewalthaber haftet dann aus allen Geschäftsschulden des Unterworfenen,<br />
gleichgültig ob sie mit dem Pekulium <strong>zu</strong>sammenhängen oder nicht,<br />
bis <strong>zu</strong> dem Wertbetrag, den das Pekulium im Augenblick der Verurteilung hat“ (Kaser).<br />
Die Klagformel enthielt die ausdrückliche Einschränkung:<br />
„bis <strong>zu</strong>m Pekulium - dumtaxat de peculio“.<br />
Haftungsminderung oder Wegfall der Haftung des Gewalthabers,<br />
wenn Pekulium verringert oder weggefallen ist,<br />
- weil es etwa der Gewalthaber ohne Arglist eingezogen hat,<br />
- oder weil andere Gläubiger bereits früher ihre Forderungen durchgesetzt haben,<br />
- oder weil Sklave „Schulden“ bei dominus hat.<br />
Haftung, soweit die Aktiva des Pekuliums reichen. Zu diesen Aktiva gehört<br />
- Bestand an Sachen, Rechten, Forderungen<br />
(obwohl diese alle im Rechtssinne dem dominus <strong>zu</strong>stehen),<br />
- „Forderungen“ des Sklaven gegen den dominus,<br />
- arglistig vom dominus eingezogene Gegenstände aus dem Pekulium.<br />
6. Wichtig, dass es nicht darauf ankam, welche Sachen sich tatsächlich im Pekulium befanden,<br />
sondern welchen Wert das Pekulium hatte.<br />
Dabei werden alle Forderungen dem Wert des Pekuliums hin<strong>zu</strong>gerechnet<br />
und dabei auch "Forderungen" gegen den Gewalthaber selbst<br />
(d. h. was der Gewalthaber dem Pekulium schuldet),<br />
als Aktiva des Pekuliums.<br />
Und von dem Wert des Pekuliums werden die Verbindlichkeit abgezogen<br />
und dabei auch "Verbindlichkeiten" gegenüber dem Gewalthaber<br />
(d. h. was das Pekulium dem Gewalthaber schuldet),<br />
als Passivposten des Pekuliums.<br />
7. Im allgemeinen irrelevant, ob Gewaltunterworfener<br />
subjektiv für das Pekulium gehandelt hat oder nicht, oder in wessen Namen,<br />
peculii nomine oder patris (domini) nomine,<br />
in den weitaus meisten Fällen griff die a. de peculio ein.<br />
Aber erheblich oft,<br />
ob ein Erwerb, eine Verfügung oder Verpflichtung durch den Gewaltunterworfenen<br />
das Pekulium oder das Herrenvermögen direkt betreffen sollte 136<br />
.<br />
8. Wenn die actio de peculio versagt,<br />
136<br />
kann die actio de in rem verso in Betracht kommen 137<br />
.<br />
Vgl. K I S. 262.<br />
30. September 2011<br />
93
Beide Klagen waren in einer einzigen Formel <strong>zu</strong>sammengefasst. Danach haftete der dominus<br />
sowohl, wenn die Vorausset<strong>zu</strong>ngen der a. de peculio gegeben waren,<br />
als auch, wenn die Vorausset<strong>zu</strong>ngen der a. de in rem verso <strong>zu</strong> bejahen waren (da<strong>zu</strong> sogleich).<br />
Beide Klagen sind ihrem Inhalt nach begrenzt:<br />
die actio de peculio beschränkt auf den Wert des Pekuliums,<br />
die actio de in rem verso auf die Bereicherung im Vemögen des Geschäftsherrn.<br />
9. Sedes materiae: Digesten Titel 15, 1.<br />
10. Textbeispiel. D. 15, 1, 47 pr. (Paulus im vierten Buch <strong>zu</strong> Plautius).<br />
Wenn in einem Verkaufslokal angeschrieben worden ist: „Ich verbiete, mit meinem Sklaven Januarius Geschäfte<br />
ab<strong>zu</strong>schließen“, so steht fest, dass der Dominus nur erreicht hat, dass er nicht aus der Geschäftsherrnklage,<br />
actio institoria, hafte, nicht auch, dass die actio de peculio ausgeschlossen ist.<br />
D. 15, 1, 47 pr. (Paulus libro quarto ad Plautium). Quotiens in taberna ita scriptum fuisset, cum Ianuario<br />
servo meo geri negotium veto, hoc solum consecutum esse dominum constat, ne institoria teneatur, non etiam<br />
de peculio.<br />
Unterschied: Haftung als Geschäftsherr unbeschränkt, als Dominus wegen Pekuliums auf dessen Wert beschränkt.<br />
11. Peculium castrense<br />
Seit Augustus gewähren Kaiser den Haussöhnen im Soldatenstand das Recht,<br />
über das im Heeresdienst erworbene Vermögen, in castris adquisitum, <strong>zu</strong> verfügen 138<br />
.<br />
12. Wenn Gewaltunterworfener<br />
- nicht mehr lebt,<br />
- emanzipiert oder manumittiert worden ist<br />
- oder veräußert (keine Haftung des neuen Gewalthabers) worden ist:<br />
dann a. de peculio annalis gegen bisherigen Gewalthaber 139<br />
, 140<br />
.<br />
13. A. de peculio und a. de in rem verso waren in einer einzigen Klagformel mit einander verbunden 141<br />
.<br />
KAPITEL 23. VERWENDUNGSKLAGE = VERSIONSKLAGE = A. DE IN REM VERSO<br />
a. de in rem verso Inst. 4, 7, 4 – 4 c<br />
1. Die Klage eines <strong>Dr</strong>itten gegen Gewalthaber<br />
wegen Verwendung des Gewaltunterworfenen aus dem Vermögen des <strong>Dr</strong>itten<br />
137<br />
138<br />
Beispiel: D. 15, 3, 16.<br />
K I S. 344: Anfangs nur vTw, dann auch durch Rechtsgeschäfte unter Lebenden. Ob gerichtliche Geltendmachung<br />
von Ansprüchen, die sich auf das peculium castrense beziehen, zwischen Vater und Sohn wenigstens in<br />
Ansätzen schon in klassischer Zeit anerkannt war, ist heute nicht mehr deutlich <strong>zu</strong> erkennen.<br />
139<br />
140<br />
Digestentitel D. 15, 2.<br />
Ob ausnahmsweise Gewalthaber aus Schulden vor Begründung des Gewaltverhältnisses haftete, war kontrovers.<br />
M. E. spricht für Verneinung, dass neuer Gewalthaber gegen früheren Gewalthaber keinen Anspruch aus<br />
Kauf , also keinen Regress, hat (anders bei Noxalhaftung als noxa non solutus). K I S. 607: D.15, 1, 42<br />
betr.Arrogation.<br />
141<br />
Hausmaninger-Selb, RPR, 9. Aufl., S. 323.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
94
<strong>zu</strong> Gunsten des Vermögens des Gewalthabers.<br />
2. Beispiel: Sklave nimmt Darlehen auf, um Schulden des Gewalthabers <strong>zu</strong> bezahlen, oder er<br />
kauft Lebensmittel für die Familie des Gewalthabers. Dann Klage des Darlehensgebers oder Lebensmittelverkäufers<br />
gegen Dominus. Weitere treffende Beispiele bei Ulp. D. 15, 3, 3, 1.<br />
3. Wörtlich: Klage wegen verwendeten Wertes in das Vermögen, actio de in rem verso<br />
(Vorsicht: darf keineswegs mit actio in rem verwechselt werden;<br />
ist auch anders als Geschäftsführungsklage, negotiorum gestio, wenn auch vergleichbar).<br />
4. Setzt voraus,<br />
1. dass der Haussohn oder Sklave<br />
2. ohne Zustimmung des Gewalthabers (gleich, ob ein Pekulium vorhanden war oder nicht)<br />
3. mit einem <strong>Dr</strong>itten ein Verpflichtungsgeschäft abgeschlossen hat;<br />
4. dass der Gewaltunterworfene auf Grund dieses Geschäfts etwas erlangt und<br />
5. dieses <strong>zu</strong>r Vermehrung des Vermögens des Gewalthabers verwandt hat.<br />
5. Aber kein Grundsatz, dass die Haftung des Gewalthabers fortdauere,<br />
auch wenn die Vermögensvermehrung weggefallen wäre.<br />
6. Rechtsfolge:<br />
Dann hat der <strong>Dr</strong>itte die Klage aus dem Verpflichtungsgeschäft gegen den Gewalthaber.<br />
7. Ähnlich wie ein Anspruch wegen Geschäftsführung ohne Auftrag oder wie eine Bereicherungsklage.<br />
Ulpian (D. 15, 3, 3, 2) sagt sogar als "Regel, dass die actio de in rem verso immer dann gegeben ist,<br />
wenn ein Prokurator die Auftragsklage oder der Geschäftsführer die actio der negotiorum gestio hätte".<br />
8. Höchstwerte für die Klage 142<br />
:<br />
- Wert der Auslagen und<br />
- Wert der Bereicherung des Vermögens des Gewalthabers im Urteilszeitpunkt.<br />
9. Die Prozessformel der Klage, die de peculio gegen den Gewalthaber gegeben wurde,<br />
enthielt neben der Klausel dumtaxat de peculio (soweit das Peculium reicht)<br />
als <strong>zu</strong>sätzliche Anspruchsgrundlage den Hinweis auf die Vermögensvermehrung des Gewalthabers:<br />
„oder wenn durch das Geschäft etwas in das Vermögen des Beklagten gelangt ist“ 143<br />
.<br />
10. Siehe Inst. Iust. 4, 7, 4a.<br />
Sedes materiae: Digesten Titel 15, 3<br />
11. Beispielsfall D. 15, 3, 16.<br />
1. Procurator 144<br />
142<br />
143<br />
144<br />
ist ein Gewaltfreier,<br />
KAPITEL 24. PROCURATOR<br />
der meistens ganz allgemein die Vermögensangelegenheiten für einen anderen erledigt 145<br />
,<br />
Da<strong>zu</strong> ganz klar: Gai. D. 15, 3, 12.<br />
Also Ergän<strong>zu</strong>ng der beiden alternativen Formelteile; Ulp. D. 15, 3 1.<br />
Genauer hierfür: procurator omnium bonorum.<br />
30. September 2011<br />
95
ein Mann, den ein reicher Römer <strong>zu</strong>r Verwaltung seines Vermögens eingesetzt hat, etwa deshalb, weil er wegen des sehr großen Umfangs<br />
seines Vermögens oder wegen Abwesenheit, z. B. im Ausland oder im Heer, Hilfe benötigte,<br />
meistens ein besonders befähigter Freigelassener dieses Römers.<br />
Heute vergleichbar einem modernen angestellten Generalbevollmächtigten für einen Privatmann.<br />
2. Da Geschäftsherr, Dominus, seinen Procurator gerade für Verwaltung eingesetzt hat,<br />
kann Procurator auch ohne speziellen Auftrag Gegenstände seines Geschäftsherrn veräußern,<br />
Gedanke der Ermächtigung.<br />
3. Aber aus den Handlungen des Prokurators entstehen gegen den Geschäftsherrn<br />
- weder adjektizische Klagen (Ausnahme: a. institoria utilis = Analogie <strong>zu</strong>r a. institoria)<br />
- noch Noxalklagen.<br />
4. Daher haftet Geschäftsherr aus Verpflichtungen des Procurator nur ausnahmsweise in einzelnen Fällen:<br />
1. wohl vor allem mittels actiones utiles 146<br />
2. oder actio quasi institoria gegen Geschäftsherrn.<br />
3. Darlehen an Prokurator begründet Anspruch des Darlehensgebers gegen Geschäftsherrn 147<br />
.<br />
5. Procurator kann, obwohl er Freier ist, ohne Zwischenerwerb für den Geschäftsherrn<br />
Besitz und Eigentum erwerben. D. h. traditio an Pocurator für Geschäftsherrn<br />
bewirkt unmittelbaren Besitz- und Eigentumserwerb des Geschäftsherrn 148<br />
.<br />
6. Infolgedessen bewirken Zahlungen an Procurator Schuldtilgung gegenüber dem Geschäftsherrn.<br />
7. Aber Forderungen, die Procurator begründet,<br />
1. kann Dominus nicht ohne weiteres geltend machen,<br />
2. sondern allenfalls mittels analoger Klage, actio utilis, einklagen 149<br />
.<br />
8. Rechtsprobleme und klassische Kontroversen, wenn jemand als Procurator auftrat,<br />
in Wirklichkeit aber kein Procurator war, sogenannter falsus procurator 150<br />
.<br />
9. Das Innenverhältnis Geschäftsherr - Procurator wurde <strong>zu</strong>nächst als negotiorum gestio aufgefasst,<br />
später 151<br />
aber als Mandat.<br />
10. Eine andere Funktion 152<br />
145<br />
hatte der Prozess-Vertreter, procurator ad litem 153<br />
.<br />
H. H. Seiler, Der TB der negotiorum gestio, 1968; Kaser, SZ 91 (1974), 146 ff., insbes. 186 – 192; Quellen<br />
bei M. A.Ligios, zit. bei Bürge, TR 68 (2000), 573 ff.<br />
146<br />
147<br />
148<br />
149<br />
150<br />
151<br />
152<br />
153<br />
Vgl. K I S. 264 - 266.<br />
K I § 62 / 33; S. 264.<br />
K I § 62 / 32 und § 95 II 4.<br />
K I S. 263 und 265: Ulp.-Pap. D. 19, 1, 13, 25.<br />
Schutz guter Glaube an Prokurator 46, 3, 28, 3; 46, 3, 34, 3; 46, 3, 51; falsus procurator 46, 3, 28, 4.<br />
Seit Iul.-Afr. D. 15, 3, 17 pr. und D. 21, 1, 51, 1.<br />
Unklar ist die Figur des procurator unius rei.<br />
Gai. 4, 84.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
96
KAPITEL 25. GRUNDSATZ: AUSSCHLUSS DER STELLVERTRETUNG<br />
Grundsätzlich keine Stellvertretung in Rom 154<br />
:<br />
1. Zurückhaltung in der Rechtsordnung gegenüber Einbeziehung <strong>Dr</strong>itter in Rechtsgeschäft 155<br />
(abgesehen von eigenen Gewaltunterworfenen).<br />
1. Das galt für Verpflichtungen aus Schuldverträgen,<br />
da<strong>zu</strong> Rechtsmaxime und Quelle:<br />
Keiner kann sich etwas <strong>zu</strong> Gunsten eines <strong>Dr</strong>itten stipulationsweise versprechen lassen -<br />
Alteri stipulari nemo potest, Inst. 3, 19, 19 156<br />
.<br />
2. Das galt aber auch für den Erwerb<br />
von Forderungen oder dinglichen Rechten (insbesondere Eigentum),<br />
da<strong>zu</strong> Rechtsmaxime und Quelle:<br />
Durch eine hausfremde Person kann man nichts erwerben 157<br />
–<br />
Per extraneam personam nihil adquiri posse, Inst. 2, 9, 5.<br />
2. Gründe für diese Beschränkung<br />
1. Die Forderung sei ein persönliches Rechtsband, vinculum iuris.<br />
2. Vielleicht eine "ideologische Sperre": "Selbst ist der Mann"?<br />
3. Die Rechte hingen an den Knochen des Berechtigten, "iura ossibus inhaerent"<br />
(so sagte man im Mittelalter) 158<br />
.<br />
4. Schließlich ausreichende sonstige juristische Möglichkeiten.<br />
5. Stipulationen seien nur dafür eingeführt worden, damit jeder das erwirbt, woran er ein eigenes Interesse<br />
hat. Man habe aber kein Interesse daran, dass an einen anderen geleistet wird 159<br />
.<br />
3. Daher grundsätzlich im römischen Recht<br />
im modernen Sinne<br />
1. keine direkte Stellvertretung,<br />
2. keine eigentliche Abtretung durch Vertrag Altgläubiger – Neugläubiger,<br />
3. kein Vertrag <strong>zu</strong> Gunsten <strong>Dr</strong>itter (s. u.).<br />
Aber andere klassische Konstruktionen, um dieselben Zwecke <strong>zu</strong> erreichen.<br />
KAPITEL 26. AUSNAHMEN: WIRKSAMKEIT DES HANDELNS FÜR ANDERE<br />
1. Aber ein entwickeltes Wirtschaftssystem ist arbeitsteilig und kommt deswegen ohne Regeln darüber,<br />
154<br />
Anders jedoch außerhalb: M.Cohn, Die Stellvertretung im jüdischen Recht, Zeitschr. f. Vgl. Rechtswissenschaft<br />
36 (1920), S. 124 ff., 354 ff.<br />
155<br />
156<br />
D. 44, 7, 11; 45, 1, 38, 17; C. 5, 12, 19; C. 8, 38 [39], 3.<br />
So schon Gai. 3, 103; Ulp. D. 45, 1, 38, 17; allgemein auch Scaev. D. 50, 17 (de diversis regulis iuris antiqui),<br />
73, 4.<br />
157<br />
158<br />
159<br />
Gai. 2,95 a. E. Ausführlicher vorher in § 95; ähnlich Inst. 2, 9, 5.<br />
Andere Interpretation bei Liebs J 168: Personalitätsprinzip.<br />
Ulp. D. 45, 1, 38, 17; Inst. 3, 19, 19.<br />
30. September 2011<br />
97
wie das rechtsgeschäftliche und außerrechtsgeschäftliche Handeln einer Person<br />
einer anderen <strong>zu</strong>gerechnet werden soll, nicht aus.<br />
2. Deswegen im römischen Recht als Ausnahmen eine lange Reihe von Einrichtungen,<br />
die das rechtsgeschäftliche Handeln<br />
einer Person mit Wirkung für eine andere Person ermöglichen:<br />
1. Wie im modernen Recht: mittelbare Stellvertretung unter Freien<br />
2. Besonders wichtiges, typisch römisches Hilfsmittel: adjektizische Klagen<br />
3. Sonderstellung des procurator<br />
4. Die wirksame Verfügung über Sachen eines anderen mit dessen Zustimmung<br />
5. Erwerb durch Gewaltunterworfene<br />
6. Bote <strong>zu</strong>r Überbringung von Erklärungen (aber nicht für stipulatio oder mancipatio)<br />
7. Haftung des Gewalthabers für Delikte des Gewaltunterworfenen mittels Noxalklage<br />
8. Darlehensvertrag 160<br />
oder -auszahlung in fremdem Namen<br />
9. Spezielle Einrichtungen (z. T. griechischer Herkunft), insbesondere für Bankgeschäfte<br />
10. Rechtshandlung des Tutor oder Curator etc.<br />
(Zu den meisten dieser Regelungen s. besondere Kapitel).<br />
3. Aber, wie gesagt: diese bunte Sammlung von Institutionen führt keineswegs da<strong>zu</strong>,<br />
dass die römischen Juristen <strong>zu</strong> dem einheitlichen Begriff der „Stellvertretung“ des BGB<br />
gekommen wären.<br />
4. Mittelalterliche und neuzeitliche Entwicklungen<br />
1. Entwicklung im Mittelalter vorangetrieben<br />
160<br />
161<br />
1. durch kanonisches Recht, erstaunlicherweise Eheschließung durch Stellvertreter 161<br />
,<br />
2. in den Statuten der italienischen Seestädte seit dem 12. Jh. für den Handel.<br />
Mittelalterliche Rechtsmaximen:<br />
Qui facit per alium, facit per se. - Wer durch einen anderen handelt, handelt selbst.<br />
Potest quis per alium, quod potest facere par se ipsum - Man kann durch andere das tun, was man selbst tun kann.<br />
2. Dogmatische Trennung zwischen Vertretung und Auftrag erst im 19. Jh. durch Laband,<br />
eine "juristische Entdeckung".<br />
3. Im gemeinen Recht des 19. Jahrhunderts<br />
1. Repräsentationstheorie Windscheids, heute § 166 I,<br />
2. dagegen Geschäftsherrntheorie Savignys, heute §§ 165 und 166 II.<br />
4. Im BGB anscheinend wenig systematische Ordnung der Beteiligung <strong>Dr</strong>itter an Rechtsgeschäften, z. B.<br />
1. (direkte) Stellvertretung (wiederholen Sie Vorausset<strong>zu</strong>ngen und Rechtsfolgen)<br />
2. mittelbare Stellvertretung<br />
3. Einwilligung, Genehmigung, Zustimmung<br />
4. Vertrag <strong>zu</strong> Gunsten <strong>Dr</strong>itter<br />
5. Abtretung<br />
6. Schuldübernahme<br />
7. Leistung durch <strong>Dr</strong>itte<br />
8. Haftung für Erfüllungsgehilfen<br />
9. Haftung für Verrichtungsgehilfen<br />
10. Besitzdiener, Besitzmittler<br />
11. Auftrag, Geschäftsführung ohne Auftrag etc.<br />
(Wiederholen Sie im Hinblick auf das moderne Recht die entsprechenden Regeln des BGB)<br />
Jedenfalls sind Kategorien des BGB ganz andere als die des römischen Rechts.<br />
Nachweise bei K I § 62 Anm. 27.<br />
Angeblich noch modernes brasilianisches und italienisches Recht.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
98
5. Der wichtigste Fall im BGB: (direkte) Stellvertretung, § 164. Lesen und Wiederholen:<br />
1. Zwei Vorausset<strong>zu</strong>ngen,<br />
1. Handeln namens des Vertretener<br />
2. mit Vertretungsmacht,<br />
2. mit der doppelten Wirkung<br />
1. für und gegen den Vertretenen,<br />
2. aber nicht für und gegen den Vertreter.<br />
Ausdrücke<br />
Alter ego Zweites Ich (d. h. Vertreter)<br />
falsus procurator Vertreter ohne Vertretungsmacht<br />
procurator Vermögensverwalter<br />
KAPITEL 27. ZUSTIMMUNGEN<br />
1. Allgemein anerkannt<br />
war die Wirksamkeit der Verfügung über fremde Rechte<br />
mit der<br />
- vorherigen oder<br />
- nachträglichen<br />
Zustimmung des Berechtigten,<br />
Übereignung durch einen anderen, z. B. einen Procrator, Inst. 2, 1, 42 + 43<br />
2. Geschäfte<br />
1. wie: Übereignung / traditio, Verpfändung, Annahme als Schulderfülung,<br />
2. aber nicht förmliche Geschäfte wie mancipatio oder in iure cessio.<br />
3. Der Verfügende konnte<br />
- ein Gewaltfreier oder<br />
- ein Gewaltutnerworfener (Haussohn oder Sklave) sein,<br />
dabei konnte er in eigenem wie in fremdem Namen handeln.<br />
4. Im übrigen kennt das römische Recht<br />
die Zustimmung in dem weiten Anwendungsbereich wie noch das moderne,<br />
als auctoritas, Zustimmung einer Autoritätsperson <strong>zu</strong> den Rechtsgeschäften eines anderen<br />
in Be<strong>zu</strong>g auf Rechte des anderen, tutor (pupillus oder mulier), curator (mino XXV annis).<br />
5. Bedeutung des "iussum"<br />
1. Zustimmung <strong>zu</strong> einer Verfügung eines anderen (s. soeben).<br />
Vorher Einwilligung, iussum; hinterher Genehmigung, ratihabitio.<br />
2. Befehl des Gewalthabers, der <strong>zu</strong>r actio quod iussu führt.<br />
3. Auftrag des Auftraggebers an den Beauftragten, mandatum,<br />
mit der Folge der actio mandati directa oder contraria.<br />
4. Anweisung des Deleganten an Delegaten,<br />
an den Delegatar <strong>zu</strong> leisten oder ihm <strong>zu</strong> versprechen<br />
(s. u. <strong>zu</strong>r Anweisung).<br />
30. September 2011<br />
99
5. Überhaupt ganz generell: Anordnung.<br />
1. Betrifft Eigentum und Forderungsrechte.<br />
KAPITEL 28. ERWERB DURCH ANDERE<br />
2. 2 Grundsätze<br />
1. „Negativ“: Grundsätzlich kein Erwerb durch Gewaltfreie,<br />
also nicht durch Vertreter oder Beauftragte im modernen Sinne,<br />
aber Ausnahmen <strong>zu</strong> dem Grundsatz,<br />
2. aber „positiv“: Jeglichen Erwerb durch Gewaltunterworfene erlangt der Gewalthaber 162<br />
.<br />
3. Wichtigste Hauptregel<br />
Jeglichen Erwerb durch Gewaltunterworfene erlangt der Gewalthaber<br />
(Grundsatz Inst. 2, 9 pr.; s. auch Inst. 3, 28 pass.)<br />
- also durch Ehefrau in manus-Gewalt,<br />
- Haussohn oder Haustochter, Inst. Iust. 2, 9, 1 am Anfang,<br />
- Sklaven, Inst. 2, 9, 3<br />
(die Gewaltunterworfenen selbst können weder eigene Rechte noch Besitz haben),<br />
4. Ohne<br />
- Kenntnis des Gewalthabers<br />
(jedoch Besitzerwerb nur bei Anordnung des Gewalthabers oder bei Erwerb für das Peculium, str.),<br />
- ohne Zwischenerwerb des Gewaltunterworfenen<br />
also ohne besonderes Rechtsgeschäft zwischen Gewaltunterworfenem und Gewalthaber, und<br />
- ohne Handeln im Namen des Gewalthabers, ohne Kenntnis des Geschäftspartners.<br />
5. Gewalthaber erlangt auf diese Weise<br />
1. Forderungen, Eigentum und sonstige Rechte,<br />
z. B. auch mittels stipulatio oder mancipatio<br />
2. Besitz.<br />
6. Ausnahmsweise 163<br />
162<br />
163<br />
164<br />
- Forderungserwerb durch Gewaltfreie:<br />
procurator (Inst. 2, 9, 5), magister navis, institor,<br />
dann actiones utiles für den Geschäftsherrn.<br />
- Eigentumserwerb mittels traditio durch Procurator für Geschäftsherrn<br />
und durch Tutor (Inst. 2, 8, 2) für das Mündel 164<br />
.<br />
Inst. 3, 28 initio.<br />
K I S. 263.<br />
K I S. 263.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
100
1. Wie im modernen Recht,<br />
in Rom unter Gewaltfreien.<br />
KAPITEL 29. MITTELBARE STELLVERTRETUNG<br />
2. Beispielsfall Bronzeskulptur. A läßt seine Bronzeskulptur durch seinen Freund B an den C verkaufen und<br />
übereignen<br />
und lässt den Kaufpreis von C über B an sich auszahlen.<br />
3. <strong>Dr</strong>ei Personen<br />
1. Auftraggeber = Geschäftsherr = mittelbar Vertretener (hier: A)<br />
2. Beauftragter = Ausführender = mittelbarer Vertreter (hier: B)<br />
3. Außenstehender = Geschäftspartner (hier: C)<br />
(Vermeiden Sie hier wie auch sonst den missverständlichen Ausdruck: "<strong>Dr</strong>itter").<br />
4. Im Innenverhältnis zwischen dem mittelbaren Vertreter und dem mittelbar Vertretenen<br />
ein Auftrag, mandatum (heute oft entgeltlicher Geschäftsbesorgungsvertrag).<br />
1. Mit den beiden wichtigen Pflichten des Beauftragten,<br />
1. den Auftrag aus<strong>zu</strong>führen (falls er den Auftrag angenommen hat) und<br />
2. das Erlangte an den Auftraggeber heraus<strong>zu</strong>geben.<br />
2. Pflicht des Auftraggebers vor allem,<br />
dem Beauftragten die Aufwendungen <strong>zu</strong> ersetzen.<br />
5. Abwicklung ist unterschiedlich für Verfügungen, Schuldverträge und Erwerb.<br />
6. Verfügung über Sache des Auftraggebers an den außenstehenden Geschäftspartner<br />
typischerweise durch Beauftragten<br />
auf Grund Ermächtigung (heute auch: direkte Stellvertretung), iussum,<br />
ohne Zwischenerwerb des Beauftragten.<br />
7. Schuldrechtlich wird gegenüber dem außenstehenden Geschäftspartner<br />
allein der Beauftragte (= mb. Stellvertreter)<br />
berechtigt und verpflichtet, z. B. hinsichtlich<br />
- Besitz- und Eigentumsverschaffung<br />
- oder bei Vertragsstörungen oder Mängeln,<br />
- sowie hinsichtlich Kaufpreisforderung.<br />
8. Erwerb des Geldes oder anderer Sachen für einen anderen, hier für den mb. Vertretenen = Auftraggeber,<br />
prinzipiell durch zwei Übereignungen:<br />
- vom Außenstehenden an den Beauftragten, dann<br />
- vom Beauftragten an Auftraggeber.<br />
ZEHNTER TEIL<br />
RECHTSGESCHÄFTE<br />
30. September 2011<br />
101
KAPITEL 1. BEGRIFFE DES SCHULDRECHTS<br />
Nach den wissenschaftlichen Fortschritten im Naturrecht (17. und 18. Jh.) und in der historischen Rechtsschule<br />
(19. Jh.) hat das BGB die Begriffe der Willenserklärung und des daraus gebildeten Rechtsgeschäfts verwandt.<br />
Soweit ist das römische Recht nicht gekommen. Es hat jedoch eine Reihe allgemein gebräuchlicher Ausdrücke<br />
und gemeinsamer Regeln für alle Schuldverhältnisse gebildet.<br />
Rechtsmaximen (wichtig auch noch für moderne Rechte im In- und Ausland)<br />
Dies interpellat pro homine. Der Tag mahnt statt des Gläubigers (§ 286 II Nr. 1 BGB n. F.).<br />
Genus perire non potest. Eine Gattung kann nicht untergehen (einschränkend § 279 BGB a. F.).<br />
Ausdrücke<br />
Actio Anspruch, Klage<br />
bonae fidei iudicium Urteil (Klage, Anspruch) auf Grund einer Prozessformel<br />
mit der bona-fides-Klausel (Kauf, Miete etc., Auftrag, Gesellschaft)<br />
bona fides (wörtlich: gute Treue) Treu und Glauben<br />
(eigentlich: gute Treue, im Gegensatz <strong>zu</strong> mala fides - bösgläubig)<br />
contractus Vertrag<br />
contrahere (wörtl.: <strong>zu</strong>sammenziehen) Vertrag abschließen<br />
creditor Gläubiger<br />
culpa Schuld allgemein; Fahrlässigkeit<br />
culpa in contrahendo Verschulden beim Vertragsschließen (R. von Ihering)<br />
culpa in eligendo Auswahlverschulden<br />
datio in solutum Leistung an Erfüllungs Statt<br />
debitor Schuldner (debere = schulden)<br />
diligens pater familias ordentlicher Hausvater<br />
diligentia Sorgfalt<br />
diligentia quam in suis diejenige Sorgfalt, die jemand in eigenen<br />
(rebus adhibere solet) (Angelegenheiten an<strong>zu</strong>wenden pflegt)<br />
do, ut des Ich gebe, damit du gibst; Leistung und Gegenleistung<br />
Exkulpation Entschuldigung (culpa - die Schuld)<br />
fides Vertrauen, Redlichkeit, Treue<br />
genus Gattung<br />
lex dicta, lex contractus Vertragsklausel<br />
naturalis obligatio Verbindlichkeiten mit gewissen Rechtswirkungen,<br />
aus denen aber nicht geklagt oder <strong>zu</strong>mindest nicht vollstreckt werden kann<br />
negotium Geschäft<br />
nomen Namen; Forderungsrecht<br />
novatio Novation, Schuldumschaffung<br />
Obligation Verbindlichkeit, Schuldverhältnis<br />
pactum (s. pax - Frieden) Vereinbarung<br />
res Gegenstand, Angelegenheit<br />
solutio / solvere Erfüllung / erfüllen<br />
species Stück<br />
sui generis von eigener Art<br />
Synallagma (griech.) (heute:) Gegenseitigkeit im Schuldrecht.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
102
KAPITEL 2. SYSTEM DES SCHULDRECHTS<br />
Einteilung in Personen und Sachen, res, Inst. 1, 2, 12,<br />
dingliche und persönliche Ansprüche bzw. Klagen, Inst. 4, 6, 1.<br />
Lehrerartige und schulbuchgemäße Überleitung Inst. 3, 13, pr. Satz 1: Jetzt wollen wir <strong>zu</strong> den Schuldverhältnissen<br />
übergehen.<br />
Definition der obligatio Inst. 3, 13 pr. Satz 2: Das Schuldverhältnis ist ein rechtliches Band, durch das uns nach<br />
dem Recht unseres Gemeinwesens der Zwang auferlegt wird, einen bestimmten Gegenstand <strong>zu</strong> leisten.<br />
Einteilung der Schuldverhältnisse nach der Art der Entstehung, Inst. 3, 13, 2, Satz 1. Die weitere Einteilung ergibt<br />
vier Arten. Denn entweder beruhen die Schuldverhältnisse auf Vertrag oder Quasivertrag oder auf Delikt<br />
oder Quasidelikt.<br />
Einteilung der Verträge nach der Art der Begründung Inst. 3, 13, 2 letzter Satz.<br />
Beispiele aus dem römischen Recht<br />
Realkontrakt: Darlehen<br />
Verbalkontrakt: Stipulation<br />
Litteralkontrakt: Korrespondierende Eintragungen in den Geschäftsbüchern des Gläubigers und des Schuldners,<br />
schon in klassischer Zeit kaum mehr in Gebrauch<br />
Konsensualkontrakt: Kauf.<br />
Rechtsmaxime<br />
Pacta (sunt) servanda. Verträge muß man halten.<br />
Ausdrücke<br />
do ut des Ich gebe, damit du gibst ; Gedanke von Leistung und Gegenleistung<br />
Synallagma Gegenseitigkeit des Vertrages;<br />
gegenseitige Abhängigkeit der Vertragsverpflichtungen und -leistungen<br />
(genetisches, funktionelles, konditionelles S.)<br />
BGB Motive I, 126 f. und II, 2 f.<br />
Wiederholung BGB:<br />
Im geltenden Recht werden die Rechtsgeschäfte unterschieden<br />
nach dem betroffenen Gebiet: Personen-, Schuld-, Sachenrecht etc.<br />
Nach der Art des Abschlusses: einseitige (selten, z. B. Stiftung, Auslobung, Testament) und mehrseitige.<br />
Nach der Art der Verpflichtung: einseitig, unvollkommen zweiseitig, gegenseitig.<br />
KAPITEL 3. NATURALIS OBLIGATIO 165<br />
1. Naturalis bedeutet in derartigen Zusammenhängen den Gegensatz <strong>zu</strong> „voll anerkannt vom Recht“:<br />
das betroffene Objekt ist gar nicht oder nicht voll vom Recht anerkannt.<br />
165<br />
Natürliche Verbindlichkeiten haben zwar gewisse Rechtswirkungen,<br />
P. L. Landoldt, Naturalis obligatio, Köln etc. 2000 (FU B. VII K 65).<br />
30. September 2011<br />
103
aus denen aber nicht geklagt oder jedenfalls nicht vollstreckt werden kann.<br />
Gegensatz: obligatio civilis.<br />
2. D. 44.7.10. Ulpianus 47 ad Sab. Naturales obligationes non eo solo aestimantur, si actio aliqua eorum nomine<br />
competit, verum etiam eo, si soluta pecunia repeti non possit.<br />
3. Hauptfälle:<br />
- Geschäftsschulden von Gewaltunterworfenen<br />
- Forderungen von Gewaltunterworfenen<br />
- sogar Forderungen und Schulden zwischen Gewalthaber und Gewaltunterworfenem<br />
- Verbindlichkeiten des Mündels, wenn ohne auctoritas tutoris<br />
- gewisse einredebehaftete Obligationen 166<br />
(z. B. Sc. Macedonianum).<br />
4. Hauptbedeutung<br />
- kann häufig wirksam durch Bürgschaft oder Pfand gesichert werden,<br />
aber je nachdem: z. B. hat auch Bürge exceptio 167<br />
aus dem Sc. Macedonianum 168<br />
.<br />
- vor allem ist Erfüllung wirksam; Leistung kann nicht kondiziert werden,<br />
- vorausgesetzt, die Verfügung (oder sonstige Leistung) als solche war wirksam<br />
(z. B. <strong>zu</strong> verneinen, wenn Gewaltunterworfener oder Mündel ohne Einwilligung zahlen),<br />
- aber schwankend, je nachdem, ob Leistender<br />
Unwirksamkeit oder Einredemöglichkeit kannte oder nicht.<br />
Vorsicht: hier wie in anderen Fällen war die Begrifflichkeit in Rom nicht fest.<br />
5. Im heutigen Privatrecht Forderungen,<br />
- die im Klagweg nicht durchgesetzt werden können, insbes<br />
verjährte Forderung, für die ja Pfandrecht oder Hypothek weiter haftet, § 216 n. F.,<br />
- aus Spiel, Wette, Ehemäklervertrag: hierfür auch keine Sicherung,<br />
aber Geleistetes kann nicht <strong>zu</strong>rückgefordert werden (d. h. wirksame bzw verlorene Vorauszahlung).<br />
KAPITEL 4A. UNWIRKSAMKEIT<br />
„Über unwirksame Stipulationen“ ausdrücklich Inst. Iust. Titel 3, 19.<br />
Dasselbe Problem (aber möglicherweise andere Lösungen)<br />
bei allen Rechtsgeschäften, z. B. bei Kauf und Testamenten.<br />
Unwirksamkeit eines Rechtsgeschäfts infolge von<br />
- Fehlen der Geschäftsfähigkeit,<br />
- Irrtum oder Dissens,<br />
- Formmangel (z. B. bei stipulatio, mancipatio, Testament),<br />
- anfängliche objektive Unmöglichkeit 169<br />
,<br />
- Rechtsgeschäft über res extra commercium (im einzelnen vielleicht kontrovers 170<br />
),<br />
166<br />
167<br />
K I S. 481, 533. K sagt an dser Stelle nichts über Sc. Vell.<br />
Einrede des Bürgen auf Grund Sc. Vellaeanum D. 16, 1, 8, 4; aber kein Textzeugnis, dass die Frauenverbindlichkeit<br />
selbst als naturalis obligatio galt; vgl. K I 481.<br />
168<br />
169<br />
170<br />
Ulp. D. 14, 6, 7, 1; 14, 6, 9, 3 und 4.<br />
S. <strong>zu</strong>m Kaufvertrag.<br />
S. <strong>zu</strong>m Kaufvertrag.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
104
- Gesetzwidrigkeit, wenn Gesetz selbst Unwirksamkeit anordnet, lex perfecta,<br />
Beispiel: auf Grund ungeschriebenen Rechts Unwirksamkeit der Ehegatten- Schenkung<br />
(bei Verstoß gegen Gesetz,<br />
das Strafe, aber nicht Unwirksamkeit androht, daher lex minus quam perfecta<br />
oder gegen Gesetz ohne Sanktion, lex imperfecta:<br />
exceptio), z. B. lex Plaetoria.<br />
Desgleichen exceptiones bei Verstoß gegen Scta, z. B. Macedonianum und Vellaeanum 171<br />
.<br />
Gesetzesumgehung, fraus legi facta,<br />
- Sittenwidrigkeit, contra bonos mores,<br />
- weiteren Regelungen, z. B. verbotene Schenkung unter Ehegatten,<br />
Versprechen <strong>zu</strong> Gunsten oder Lasten <strong>Dr</strong>itter usw.<br />
Ausdrücke für ein unwirksames Rechtsgeschäft, aber ohne scharfe Definitionen:<br />
nullum, nullius momenti, non esse, invalidum (non valere), nihil agere, inutile, imperfectum, vitiosum.<br />
Sanktion der Rechtsordnung insbesondere<br />
- völlige Unwirksamkeit, oder<br />
- Erklärung einer Klausel als nicht geschrieben, pro non scripto, oder<br />
- Klagverweigerung durch praetor, denegatio actionis, oder<br />
- Einrede des Beklagten, exceptio<br />
(z. B. Verstoß gegen Sc. Macedonianum oder Vellaeanum), oder<br />
- Wiedereinset<strong>zu</strong>ng in den vorigen Stand, in integrum restitutio.<br />
Beachten Sie, dass römische Juristen scharf unterscheiden, ob völlige Unwirksamkeit oder ob nur exceptio.<br />
KAPITEL 4B. BEDINGUNG = CONDICIO<br />
1. „Bedingung“, condicio oder conditio, im eigentlichen Sinn, d. h.<br />
(nach römischem wie noch nach heutigem Recht) ein künftiges, ungewisses Ereignis,<br />
von dessen Eintritt die Wirkung des abgeschlossenen Rechtsgeschäfts abhängig gemacht ist.<br />
(Vorsicht: Vokabel nicht verwechseln mit condictio).<br />
„Condicio“ manchmal auch untechnisch i. S. Vertragsklausel gebraucht.<br />
Wichtiges Mittel, um durch gegenwärtiges Rechtsgeschäft<br />
in der Zukunft die Sachlage veränderten Umständen an<strong>zu</strong>passen.<br />
Außerdem ein Instrument der Spekulation.<br />
2. Zufall oder auch Willensabhängigkeit? Bedingendes Ereignis kann<br />
1. vom Willen des Berechtigten unabhängig (und in diesem Sinne <strong>zu</strong>fällig) sein,<br />
casualis,<br />
Standardbeispiel in den Quellen: wenn das Schiff aus Asien (nicht) kommt,<br />
oder<br />
171<br />
172<br />
2. oder vom Willen des Berechtigten abhängig sein, condicio potestativa,<br />
Willkürbedingung 172<br />
, z. B. bei Kauf auf Probe, oder<br />
K I 249/38: Si quid contra legem senatusve consultum factum esse dicetur.<br />
(In Rom und) Heut<strong>zu</strong>tage nicht unwirksam, s. z. B. Medicus, AT, Rdnr. 830.<br />
30. September 2011<br />
105
3. teilweise abhängig, condicio mixta.<br />
3. Art des bedingenden Ereignisses. Das Ereignis kann<br />
1. positiv sein (Eintreten eines Ereignisses),<br />
z. B. wenn das Schiff aus Asien eintrifft, si navis ex Asia venerit, oder<br />
2. oder negativ (Nichteintreten eines Ereignisses),<br />
si navis ex Asia non venerit.<br />
4. Arten der Wirkungen. Mit diesem Ereignis können bestimmte Rechtswirkungen bei Bedingungseintritt,<br />
- entweder eintreten, d. h. aufschiebend, suspensiv,<br />
- oder endigen, auflösend, resolutiv (zwar klassisch, aber seltener).<br />
1. Aufschiebende Bedingung = Suspensivbedingung, allgemein anerkannt.<br />
2. Aber auflösende Bedingung = Resolutivbedingung im römischen Recht<br />
ist in der heutigen Forschung umstr. 173<br />
. Beispiele für derart fragliche auflösende Bedingungen: Rücktrittsvorbehalte beim Kauf,<br />
s. dort.<br />
Wahrscheinlich römische Denkweise:<br />
1. unbedingtes Rechtsgeschäft, verbunden mit einem zweiten Rechtsgeschäft, nämlich<br />
2. Vereinbarung der Vertragsaufhebung (ähnlich wie pactum de non petendo),<br />
welche aber aufschiebend bedingt war 174<br />
.<br />
5. Zeitpunkt der Wirkungen<br />
1. im allgemeinen ex nunc (so auch BGB),<br />
2. fraglich, ob stattdessen auch ex tunc (d. h. rückwirkend).<br />
6. Bei den meisten Rechtsgeschäften möglich: Schuldrecht, Sachenrecht, Erbrecht.<br />
173<br />
174<br />
175<br />
Beispiele: Rücktrittsvorbehalte bei Kaufvertrag (da<strong>zu</strong> besonderes Kapitel)<br />
Stipulationen <strong>zu</strong>r Gewährleistung, Vertragsstrafe in Stipulationsform.<br />
Es konnte auch die Übereignung mittels traditio aufschiebend bedingt vorgenommen werden.<br />
Beispiel: Verkauf, Übergabe und Vermietung der Ware von Verkäufer an Käufer, bis dieser den Kaufpreis gezahlt hat.<br />
Versprechen einer dos unter der Bedingung der Eheschließung.<br />
Vermächtnisse unter aufschiebender Bedingung,<br />
Erbeinset<strong>zu</strong>ng unter aufschiebender Bedingung wirksam, Inst. 2, 15 pr. und 16 pr.,<br />
daher Substitution - Einset<strong>zu</strong>ng eines zweiten Erben.<br />
Vulgarsubstitution - Ersatzerbschaft: Erblasser setzt eine Person für den Fall ein<br />
(juristisch: unter der aufschiebenden Bedingung),<br />
dass der ursprünglich Eingesetzte gar nicht Erbe wird<br />
(weil er noch gar nicht gezeugt ist, weil er schon wieder gestorben ist oder weil er ausschlägt).<br />
„A soll mein Erbe sein. Wenn A nicht mein Erbe wird, soll B mein Erbe sein“ 175<br />
. Ersatzerbe Inst. 2, 15 pr.<br />
Kaser-Knütel § 10/11 ff.<br />
K/K § 10/11 ff.<br />
K/K § 68 Rdnr. 9.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
106
Pupillarsubstitution - Einset<strong>zu</strong>ng eines zweiten Erben für den Fall,<br />
dass der Testator einen unmündigen Hauserben, pupillus, einsetzt,<br />
so dass dieser wirklich Erbe wird,<br />
dass er aber danach stirbt und zwar noch als Unmündiger<br />
(so dass er noch kein wirksames Testament hat machen können):<br />
für diesen Fall kann der Testator (der erste Erblasser) einen zweiten Erben einsetzen 176<br />
(ähnlich wie moderne Nacherbschaft, aber nur ähnlich):<br />
„Mein Sohn Titius soll mein Erbe sein. Wenn er mein Erbe wird,<br />
aber stirbt, bevor er mündig wird, dann soll Seius Erbe sein“; Inst. 2, 16 pr.<br />
7. Bedingungsfeindlich waren die actus legitimi, insbesondere emancipatio, acceptilatio<br />
und der förmliche Erbschaftsantritt der cretio.<br />
KAPITEL 5A. TREU UND GLAUBEN<br />
Die Beobachtung der guten Sitten allgemein und von Treu und Glauben gegenüber dem Geschäftspartner und<br />
die Zurückdrängung von Arglist gehörten <strong>zu</strong> den Zielen des römischen Rechts.<br />
Der Praetor bzw. Iudex berücksichtigte Treu und Glauben bzw. Arglist im Prozess. Der Praetor konnte von vorneherein<br />
es ablehnen, dem Kläger die erforderliche Klagformel <strong>zu</strong> erteilen – in diesem Sinne Anspruchsablehnung,<br />
denegatio actionis, insbesondere, wenn der Sittenverstoß offensichtlich war.<br />
Der iudex berücksichtigte einen Sittenverstoß entweder von Amts wegen, wenn die Klagformel die Klausel enthielt<br />
„ex fide bona“, so die Klagen aus den Konsensualkontrakten Kauf, Miete, Auftrag, Gesellschaft. Oder er<br />
berücksichtigte dies auf Antrag einer Partei, wenn diese die exceptio doli geltend machte. Daher wurde die Klage<br />
abgewiesen, wenn der Kläger die bona fides verletzt hatte.<br />
Das galt insbesondere, wenn der Kläger gegen die guten Sitten verstoßen hatte, contra bonos mores 177<br />
.<br />
Wenn hingegen der Beklagte etwa Nebenpflichten nicht erfüllt hatte, die sich aus der bona fides ergeben, wurde<br />
er <strong>zu</strong>m Schadenersatz verpflichtet. Wenn die böswillige Schädigung einer Partei besonders stark war, konnte der<br />
Geschädigte auf Grund der actio doli auf Schadensersatz klagen.<br />
Rechtsmaximen<br />
Dolo facit, qui petit, Arglistig handelt, wer fordert,<br />
quod (statim) redditurus est. was er gleich <strong>zu</strong>rückgeben muß.<br />
Malitiis non est indulgendum. Schikanen braucht man nicht hin<strong>zu</strong>nehmen.<br />
Venire contra factum proprium Handeln entgegen einer selbst gesetzten Tatsache<br />
(nulli conceditur). (wird niemandem <strong>zu</strong>gestanden).<br />
Ausdrücke<br />
aequitas Billigkeit<br />
actio doli = actio de dolo Arglistklage (vgl. § 826 BGB)<br />
bona fides guter Glaube<br />
boni mores gute Sitten<br />
exceptio doli Einrede der Arglist<br />
176<br />
177<br />
K/K § 68 Rdnr. 10: in erster Linie als Erbe des Testators, nach klassischer Lehre auch als Erbe des pupillus.<br />
K I § 60/63: denegatio oder auf Grund b. f. oder exceptio. Aber keine besondere exc. mali moris.<br />
30. September 2011<br />
107
fides Glauben, Treue, Redlichkeit<br />
mala fides böser Glauben.<br />
KAPITEL 5B. GEWALT ODER FURCHT = VIS ODER METUS<br />
Das unter <strong>Dr</strong>ohung <strong>zu</strong>standegekommene Geschäft 178<br />
- ist zwar nach ius civile wirksam:<br />
„Obgleich gezwungen, so habe ich doch gewollt = Tamen coactus, volui“.<br />
- Aber gegenüber der Leistungsklage auf Grund eines solchen erpresserischen Geschäfts<br />
- exc. metus causa des beklagten Erpressungsopfers,<br />
- bei b. f. iudicia, wie z. B. Kauf, Berücksichtigung von Amts wegen auf Grund b. f. – Klausel.<br />
- Oder Wiedereinset<strong>zu</strong>ng in den vorigen Stand, restitutio in integrum,<br />
z. B. nach Übereignung vom Opfer an einen anderen.<br />
- Strafklage wegen Furcht, a. quod metus causa.<br />
1. Erfüllung durch <strong>Dr</strong>itte wirksam 179<br />
.<br />
KAPITEL 6. ERFÜLLUNG = SOLUTIO, INST. 3, 29 PR.<br />
2. Leistung an <strong>Dr</strong>itte mit vorheriger oder nachträglicher Zustimmung des Gläubigers 180<br />
,<br />
generell ermächtigt ist der Prokurator 181<br />
.<br />
3. Leistung an Erfüllungs Statt mit Zustimmung des Gläubigers 182<br />
.<br />
KAPITEL 7. AUFRECHNUNG = COMPENSATIO 183<br />
1 Bei den b. f. i. (Kauf, Miete, Auftrag, Gesellschaft)<br />
kann der Richter Gegenforderungen des Beklagten<br />
von der Klagforderung abziehen.<br />
2 Einverständliches pactum zwischen Gläubiger und Schuldner.<br />
3 In besonderen Fällen exc. doli des Beklagten.<br />
4. Sonderregel (nicht für Examen):Bankier, argentarius, kann gegen Bankkunden nur auf Saldo klagen.<br />
178<br />
179<br />
180<br />
181<br />
182<br />
183<br />
Gute Zusammstellg bei Knütel § 8 IV.<br />
D. 3, 5, 58; 46, 3, 23; 46, 3, 49; 46, 3, 53.<br />
D. 46, 3, 12, 4.<br />
D. 46, 3, 12 pr./2.<br />
D. 46, 3, 46.<br />
K I Seite 644 ff.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
108
KAPITEL 8. ERLASS, STUNDUNG<br />
Zwei Formen für Erlass<br />
1. Förmlich, Frage des bisherigen Schuldners und Antwort des bisherigen Gläubigers,<br />
Inst. Iust. 3, 29, 1: acceptilatio.<br />
Sch fragt: "Was ich dir versprochen (!) habe, hast du das erhalten"? Gl antwortet mit: "Ja".<br />
Gilt wegen des Wortlauts nur für Stipulation.<br />
Forderungen aus anderen Gründen müssen als Stipulation neu begründet werden,<br />
d. h. noviert werden; das gilt insbesondere für Forderung aus Darlehen oder aus Kauf.<br />
2. Eine formlose Abrede wird als Vereinbarung mit dem Gläubiger angesehen,<br />
dass er die Forderung nicht mehr geltend machen wird, pactum de non petendo.<br />
Wirkung:<br />
1. Das pactum begründet eine besondere exceptio pacti oder exceptio doli<br />
gegenüber der actio des Klägers, z. B. aus Stipulation oder Darlehen.<br />
2. Bei bonae fidei iudicia, insbes. Kauf, locatio conductio, Mandat, Gesellschaft,<br />
wirkt das pactum ohne besondere exceptio,<br />
wird gewissermaßen von Amts wegen vom iudex berücksichtigt.<br />
Pactum de non petendo konnte auch für eine bestimmte Zeit als Stundung vereinbart werden.<br />
Ausdrücke<br />
Moratorium Zahlungsaufschub.<br />
KAPITEL 9. ABTRETUNG<br />
Häufiger Gebrauch der Abtretung, cessio, aber keine eigentliche dogmatische Herausbildung,<br />
sondern Hilfsmittel:<br />
1. Delegation, oder<br />
2. analoge Klage, actio utilis, oder<br />
3. oder durch Prozessvertretung<br />
KAPITEL 10. LITTERALKONTRAKTE ALLGEMEIN, GAI. 3, 128 FF.<br />
Gai. 3, 128, Satz 1. Der Littealkontrakt erfolgt vor allem durch die Eintragung von Forderungen.<br />
Gai. 3, 129. Die Eintragung „vom Gegenstand <strong>zu</strong>r Person“ erfolgt, z. B. wenn ich das, was Du mir wegen Kaufs oder Miete oder Gesellschaft<br />
schuldest, als deine Belastung eintrage.<br />
Gai. 3, 130. Die Eintragung „von Person <strong>zu</strong> Person“ erfolgt, wenn ich z. B. das, was mir Titius schuldet, als Deine Belastung eintrage, das<br />
heißt, wenn Titius Dich an mich delegiert hat.<br />
S. auch Inst. Iust. 3, 21.<br />
In den Digesten kaum noch als Spuren <strong>zu</strong> erkennen (nicht relevant für Examensexegesen).<br />
KAPITEL 11. KONSENSUALKONTRAKTE ALLGEMEIN, INST. 3, 22 PASS.<br />
Zustandekommen Inst. 3, 22 pr. – 2<br />
Unterschied <strong>zu</strong> anderen Vertragstypen Inst. 3, 22, 1 – 3<br />
4 Verträge Inst. 3, 22 pr.<br />
Mehrseitigkeit der Verpflichtungen Inst. 3, 22, 3<br />
Hinweis auf die bona-fides-Klausel Inst. 3, 22, 3.<br />
30. September 2011<br />
109
KAPITEL 12. KAUFVERTRAG = EMPTIO VENDITIO, INST. 3, 23 PASS.<br />
Preis Inst. 3, 23, 1.<br />
Beispiel für sogenannten Schulenstreit Inst. 3, 23, 2<br />
Gefahrtagung = periculum emptoris Inst. 3, 23, 3<br />
custodia-Haftung des Verkäufers Inst. 3, 23, 3a<br />
Bedingung Inst. 3, 23, 4<br />
anfängliche objektive rechtliche Unmöglichkeit<br />
Kenntnis des Käufers Inst. 3, 23, 5 (allgemein 3, 19, 2)<br />
Täuschung durch Verkäufer 3, 23, 5<br />
KAPITEL 13. ABSCHLUSS UND INHALT DES KAUFVERTRAGES<br />
I. 3, 23 pr., Satz 1<br />
1. Wodurch kommt ein Kaufvertrag <strong>zu</strong>stande?<br />
2. Welche zwei essentialia negotii müssen von den Parteien für den Kaufvertrag vereinbart sein?<br />
Die Vereinbarung von accidentalia negotii kann hin<strong>zu</strong>kommen, Beispiele:<br />
Verschärfung oder Milderung der Haftung,<br />
Zusicherung von bestimmten Eigenschaften oder von Lastenfreiheit,<br />
besondere Bedingungen für Sklavenverkauf 184<br />
,<br />
Rücktrittsvorbehalte 185<br />
,<br />
Verkauf mit Rückkaufsabrede (Wiederkauf),<br />
Verkauf mit Vorkaufsabrede,<br />
Wohnbefugnis für Mieter,<br />
und andere formlose Nebenabreden 186<br />
, pacta adiecta (pl.),<br />
oder Geschäftsklauseln, lex venditionis (= lex contractus = lex privata = lex dicta) 187<br />
,<br />
auch für locatio conductio.<br />
Diese werden bei der Kauf- oder Verkaufsklage vom iudex mitberücksichtigt,<br />
ihre schuldhafte Verlet<strong>zu</strong>ng kann einen Schadenersatzanspruch begründen.<br />
Der Kaufpreis wird frei ausgehandelt, <strong>zu</strong> den Grenzen wegen Wuchers s. dort.<br />
Gegenstände des Kaufvertrages können Dinge aller Art sein, wenn überhaupt die Leistung objektiv möglich ist,<br />
auch z. B. existierende Erbschaft.<br />
Hinsichtlich künftiger Sachen wird unterschieden:<br />
- Hoffnungskauf, emptio spei, wörtlich: Kauf einer Chance 188<br />
.<br />
Kaufvertrag ist ws, K muss Prs bezahlen,<br />
auch wenn Sache später nicht entsteht und wenn V deswegen Sache später nicht liefern kann.<br />
„Reine Spekulation“, gesellschaftsvertragsähnlich, Risikoübernahme oder –beteiligung des K.<br />
184<br />
185<br />
186<br />
187<br />
188<br />
K I Seite 562.<br />
K I S. 561 f. Da<strong>zu</strong> u.<br />
K I S. 47, 229, 487, 554, 556/26, 561/73,<br />
K I Seite 229.<br />
D.19, 1, 12 emptio spei.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
110
Bsp Pomponius: Fischfang, Vogelfang, Münzwurf.<br />
M. E. wohl auch Bergbau und andere riskante Investitionen.<br />
- Im Unterschied da<strong>zu</strong> der Kauf einer künftigen Sache, emptio rei speratae.<br />
Kaufvertrag soll nur gelten, wenn Sache wirklich entsteht.<br />
Aufschiebend bedingter Kauf.<br />
Nur dann sollen V und K die versprochenen Leistungen erbringen.<br />
K und V können vereinbaren, dass Kfprs abhängig von der Ware<br />
(z. B. ein bestimmter Preis je Tonne der Ernte).<br />
(Bsp. Ernte, Tierjunges).<br />
- Kauf einer erwarteten Erbschaft war kontrovers 189<br />
.<br />
I. 3, 22, 3. Gegenseitig verpflichtender Vertrag, Synallagma.<br />
Die Verpflichtungen sind nach Treu und Glauben <strong>zu</strong> erfüllen, s. schon Inst. 3, 22, 3.<br />
Arglist wird von Amts wegen berücksichtigt.<br />
Denn die Prozessformel enthält die Klausel „ex fide bona“, daher bonae fidei iudicium.<br />
Die Klagformel für den Käufer für den Kauf eines Sklaven lautete beispielsweise 190<br />
:<br />
Demonstratio: Wenn der Kläger von dem Beklagten den Sklaven, um den es hier geht, gekauft hat<br />
Quod Aulus Agerius (Blankettnamen für den Kläger) de Numerio Negidio (Blankettnamen für den Beklagten)<br />
hominem quo de agitur emit,<br />
Intentio: was deswegen der Beklagte dem Kläger geben und machen muss nach guter Treue,<br />
quidquid ob eam rem Numerium Negidium Aulo Agerio dare facere oportet ex fide bona,<br />
Condemnatio: da<strong>zu</strong>, Richter, verurteile den Numerius Negidius <strong>zu</strong> Gunsten des Aulus Agerius,<br />
eius, iudex, Nm. Nm. Ao. Ao. condemna,<br />
andernfalls sprich ihn frei,<br />
si non paret, absolve.<br />
Die Klagformel für den Verkäufer lautete ähnlich, nur heißt es am Anfang "verkauft hat" - vendidit.<br />
Haupttitel:<br />
D. 18, 1: De contrahenda emptione = über den Abschluss des Kaufvertrages.<br />
D. 19, 1: De actionibus emplti venditi = Über die Klagen aus Kauf und Verkauf.<br />
Ausdrücke<br />
accidentalia negotii nicht wesentliche Teile eines Rechtsgeschäfts<br />
actio em(p)ti Kaufklage, Anspruch des Käufers<br />
actio venditi Verkaufsklage, Anspruch des Verkäufers<br />
consentire übereinstimmen, <strong>zu</strong>stimmen<br />
émere kaufen<br />
emptio venditio Kauf- und Verkaufsvertrag<br />
emptor Käufer<br />
essentialis wesentlich<br />
essentialia negotii unverzichtbare Vertragsbedingungen<br />
merx Ware<br />
189<br />
190<br />
K 548 f./ 27 + 35: D. 18, 4, 1; D. 18, 4, 7; D. 18, 4, 11.<br />
Vgl. Gai.4, 41. KK § 83/5.<br />
30. September 2011<br />
111
pecunia Geld<br />
pretium Preis, Kaufpreis<br />
res Sache, Gegenstand<br />
véndere verkaufen<br />
vénditor Verkäufer<br />
ven-ire verkauft werden (nicht verwechseln mit: veníre = kommen).<br />
KAPITEL 14. AUSLEGUNG<br />
Wenn Unklarheiten über den Inhalt oder die beabsichtigte Abwicklung eines Rechtsgeschäftes auftraten, kam es<br />
den Parteien wie den Juristen in erster Linie darauf an, heraus<strong>zu</strong>finden, was die Parteien gewollt haben.<br />
id quod actum est das, was die Parteien im konkreten Einzelfall<br />
oder auch generell, typischerweise gewollt haben 191<br />
Auslegungsmaximen<br />
Ambiguitas (oder: In dubio) Bei Unklarheiten (oder: Im Zweifel) (von Geschäftsbedingungen)<br />
contra venditorem (Auslegung) <strong>zu</strong>m Nachteil des Verkäufers, heute § 305 c II BGB n. F.<br />
in maiore minus inest Bei Regelung einer größeren Angelegenheit<br />
gilt die kleinere erst recht als geregelt 192<br />
.<br />
Qui tacet, consentire videtur Schweigen gilt als Zustimmung, aber nur dann,<br />
ubi loqui potuit et debuit. wenn man sich hätte äußern können und müssen<br />
(Vorsicht: nur beide Satzteile <strong>zu</strong>sammen).<br />
Heute beachten: Auslegung geht vor Irrtumsanfechtung (wichtig auch im Erbrecht).<br />
KAPITEL 15. KONSENS UND IRRTUM<br />
In jeder entwickelten Rechtsordnung wird vorausgesetzt, dass im Normalfall die Rechtsfolgen eines Rechtsgeschäfts<br />
der Vorstellung aller Geschäftsbeteiligter entsprechen, und es werden Regeln geschaffen für die Ausnahmefälle,<br />
in denen dieses Ziel verfehlt wird. Die Regeln für diese Ausnahmefälle sind immer komplex. Sie<br />
sind für das römische Recht nicht mehr sicher <strong>zu</strong> erkennen. Denn im römischen Recht wurden derartige Regeln<br />
allein durch die Juristen (und nicht die Gesetzgebung oder Rechtsprechung) entwickelt, sie waren kontrovers und<br />
wurden im Lauf der Zeit verändert, sie waren für die verschiedenen Rechtsgeschäfte und tatsächlichen Sachverhalte<br />
unterschiedlich und sind in der justinianischen Kodifikation in ungeschickter Weise überliefert worden. Die<br />
römischen Juristen hatten noch nicht so scharfe Begriffe wie die, die seit der mittelalterlichen Scholastik und den<br />
Glossatoren, weiter im Naturrecht und dann im 19. und 20. Jh. nochmals entwickelt wurden (Wille / Erklärung,<br />
einseitig / beidseitig, Irrtum / offener oder versteckter Dissens / Geschäftsgrundlage etc.). Infolgedessen sind die<br />
Darstellungen in den modernen Werken <strong>zu</strong>m römischen Recht nicht klar und übereinstimmend.<br />
Irrtum als "Demonstrationsobjekt"<br />
Lösung von Interessenwidersprüchen, nämlich zwischen<br />
191<br />
192<br />
Pringsheim, SZ 78, 1961, 49 ff.<br />
Hausmaninger, Sachenrecht, Case 71: D. 32, 29, 1; 50, 17, 110 pr,; Proc.-Paul. D. 30, 15 pr.; Pomp. D. 19,<br />
2, 52; s. auch D. 12, 1, 18 pr.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
112
- dem Erklärenden, der sich geirrt hat,<br />
- dem Erklärungsempfänger, der auf die Wirksamkeit der Erklärung vertraut hat,<br />
- eventuell archaisch-formalistischen Vorstellungen über die endgültige Wirkung eines Formalaktes,<br />
- eventuell der Öffentlichkeit, die das Rechtsgeschäft für wirksam hält.<br />
Hauptquelle<br />
Digesta Iustiniani, Buch 18, Titel 1 (Abschluß des Kaufvertrages), Fragment 9; Ulpian im 28. Band seines<br />
Kommentars <strong>zu</strong>m Zivilrecht des Sabinus = D. 18, 1, 9 (Ulp. 28 ad Sab.) pr.: Es ist offensichtlich, dass beim<br />
Kauf Willensübereinstimmung (consensus) gegeben sein muß. Wenn die Parteien bezüglich des Kaufes selbst<br />
oder des Preises (in pretio) oder eines anderen Aspektes uneinig sind, ist kein Kauf <strong>zu</strong>standegekommen. Wenn<br />
ich also glaube, das Landgut Cornelianus <strong>zu</strong> kaufen, du jedoch geglaubt hast, das Landgut Sempronianus <strong>zu</strong><br />
verkaufen, ist der Kauf unwirksam, weil wir uns über den Kaufgegenstand (in corpore) nicht geeinigt haben (dissentire)...<br />
Ausgangspunkt: Kauf und die anderen drei Konsensualkontrakte (Miete, Auftrag, Gesellschaft)<br />
erfordern Willensübereinstimmung, consensus.<br />
Daraus folgt, dass kein wirksamer Kaufvertrag, wenn Konsens fehlt.<br />
Fest steht:<br />
Immer erheblich nach Ulp. D. 18, 1, 9 pr. 193<br />
:<br />
- Irrtum oder Dissens bezüglich der Identität des Gegenstandes,<br />
Error in obiecto = error in corpore; Beispiele<br />
Landgut S statt Landgut C, abwesender Sklave S statt abwesenden Sklaven P.<br />
- Irrtum über den Preis, error in pretio,<br />
- Irrtum über den Vertragstyp (der eine Teil will verkaufen, der anderen will nur mieten).<br />
Nie erheblich, ebenfalls nach Ulpian D. 18, 1, 9 § 1:<br />
- Irrtümliche Falschbezeichnung = error in nomine;<br />
Beispiel ist der Verkauf eines ganz bestimmten Sklaven,<br />
den die eine Partei als Stichus, die andere als Pamphilus bezeichnet,<br />
„Falschbezeichnung schadet nicht“ - „falsa demonstratio non nocet“.<br />
Quellen<br />
Konsens, I. 3, 22<br />
Treu und Glauben, I. 4, 6, 28 + 30<br />
Irrtum, D. 18, 1, 9; 18, 1, 14; Iul. D. 18, 1, 41, 1 (massiv silbern oder versilbert).<br />
KAPITEL 16. IRRTUM ÜBER WESENTLICHE EIGENSCHAFTEN 194<br />
1. Eigenschafts- oder Qualitätsirrtum 195<br />
, error in materia, substantia, qualitate.<br />
2. Klassische Kontroversen, Differenzierungen, Überlieferungsstörungen<br />
„quaeritur“ (Ulp. D. 18, 1, 9, 2); „quid dicemus“ (Ulp. D. 18, 1, 14); „puto“ (Ulp. D. 18, 1, 9, 2).<br />
193<br />
194<br />
195<br />
Paul. D. 45, 1, 83, 1 [Stipulation].<br />
Noch heute erhebliches Problem im deutschen wie im französischen Recht.<br />
Alles heute noch heftig umstritten, s. K I § 58; K/K § 8 Rdnr. 20.<br />
30. September 2011<br />
113
3. Beispiele (nicht auswendig lernen!)<br />
1. Blei statt Silber<br />
error in substantia = materia, nullam venditionem (Ulp. D. 18, 1, 9, 2),<br />
aber emptionem esse (Marcell. bei Ulp. D. 18, 1, 9, 2)<br />
versilbert statt Silber, nulla est emptio (Iul. D. 18, 1, 41, 1).<br />
2. Bronze statt Gold,<br />
error in substantia = materia, nullam venditionem (Ulp. D. 18, 1, 9, 2; Ulp. D. 18, 1, 14)<br />
aber emptionem esse (Marcell. bei Ulp. D. 18, 1, 9, 2; Iul.-Marcian.D. 18, 1, 45)<br />
Vergoldete Bronze statt Gold, Kaufvertrag wirksam (Ulp. D. 18, 1, 14).<br />
3. Tische aus Zitrusholz, sind es aber nicht, Kaufvertrag wirksam Haftung des V<br />
(Paul. D. 19, 1, 21, 2).<br />
4. Essig statt Wein<br />
differenzierend Ulpian (Ulp. D. 18, 1, 9, 2),<br />
aber wirksamer Vertrag nach Marcellus (Marcell. bei Ulp. D. 18, 1, 9, 2).<br />
5. Frau statt Knabe, nulla emptio (Ulp. D. 18, 1, 11, 1).<br />
6. Frau statt Jungfrau, Kaufvertrag wirksam (Ulp. D. 18, 1, 11, 1; Ulp. D. 19, 1, 11, 5).<br />
7. Generalisierend: bei Einigkeit über den Gegenstand,<br />
aber Uneinigkeit über die Eigenschaft, gilt der Kauf<br />
(Marcellus bei Ulpian D. 18, 1, 9, 2; Paul. D. 19, 1, 21, 2).<br />
4. Im römischen Recht nur Alternative: wirksam oder unwirksam,<br />
keine „Anfechtung“ wie nach BGB.<br />
5. Einzelne Juristen (nicht auswendig lernen!)<br />
1. Irrtum anerkannt und erheblich, Vertrag unwirksam<br />
- Iulian, versilbert statt Silber, V und K irren sich:<br />
nulla est emptio, condictio des Preises (Iul. D. 18, 1, 41, 1)<br />
- Ulpian, Bronze statt Gold, Blei statt Silber<br />
nullam esse venditionem puto, quotiens in materia erratur (Ulp. D. 18, 1, 9, 2)<br />
- Ulpian, Frau statt Knabe, in sexu error, nulla emptio, nulla venditio (Ulp. D. 18, 1, 11, 1).<br />
2. Irrtum unerheblich, Vertrag wirksam, allenfalls Sachmangel<br />
- Marcellus, Bronze statt Gold, Blei statt Silber, Essig statt Wein,<br />
mit generalisierender Begründung<br />
emptionem esse et venditionem, quia in corpus consensum est,<br />
etsi in materia ist erratum (bei Ulp. D. 18, 1, 9, 2)<br />
- Iulian-Marcian, unwissentl Verkf eines Gefäßes aus Messing für Gold,<br />
dann Haftung des V, tenetur ut aurum quod vendidit praestet (Iul.-Marcian.D. 18, 1, 45 a. E.)<br />
- Paulus, Tische aus Zitrusholz, sind es aber nicht,<br />
auch bei beiderseitigem Irrtum, Haftung des V,<br />
mit generalisierender Begründung: bei Einigkeit über den Gegenstand,<br />
aber Uneinigkeit über die Eigenschaft, gilt der Kauf,<br />
cum in corpore consentiamus, de qualitate autem dissentiamus,<br />
emptionem esse (Paul. D. 19, 1, 21, 2)<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
114
- Ulpian, Frau statt Jungfrau, emptio valebit, in sexu non est erratum, aber SM<br />
(Ulp. D. 18, 1, 11, 1), bei Kenntnis des Verkäufers (Ulp. D. 19, 1, 11, 5)<br />
3. Differenzierende Lösungen bei Ulpian<br />
- Bronze statt Gold, gleicher Irrtum von V und K,<br />
- wenn vergoldet ist, venditionem esse, denn etwas Gold sei enthalten,<br />
- aber wenn gar kein Gold, non valet (Ulp. D. 18, 1, 14)<br />
- Essig statt Wein,<br />
- wenn Wein sauer geworden ist, dann liegt dieselbe Substanz vor,<br />
also Kf ws, aber SM<br />
- wenn von vorneherein, dann aliud pro alio venisse, deswegen unws (Ulp. D. 18, 1, 9, 2)<br />
(<strong>zu</strong>r Gefahrtragg bei Wein Gai. D. 18, 6, 16 (15)).<br />
6. Haupttext: D. 18, 1, 9, 2. Ulp. 28 ad Sab. § 2. Daher ist kontrovers, ob Kauf und Verkauf wirksam sind,<br />
wenn man sich über den Gegenstand selbst nicht geirrt hat (in ipso corpore non erratur), wenn jedoch ein<br />
Irrtum über die Substanz eingetreten ist (in substantia error sit), z. B. wenn Essig statt Wein verkauft wird,<br />
Kupfer statt Gold, Blei (oder etwas anderes Silberähnliches) für Silber. Marcellus hat im sechsten Buch der<br />
Digesten geschrieben, ein Kauf und Verkauf sei gegeben, weil in Be<strong>zu</strong>g auf den Gegenstand Übereinstimmung<br />
bestehe (in corpus consensum est), auch wenn über die Substanz geirrt worden sei (in materia sit erratum).<br />
Ich stimme bezüglich des Weines <strong>zu</strong>, wenn der Wein erst sauer geworden ist, weil es beinahe derselbe<br />
Stoff ist.<br />
Wenn aber der Wein nicht erst sauer geworden ist, sondern von Anfang an Essig war, etwa eine Essiglauge,<br />
dann muß man annehmen, dass die eine Sache statt der anderen verkauft wurde.<br />
In den übrigen Fällen glaube ich, dass der Verkauf nichtig ist, wenn über die Substanz geirrt wird (in materia<br />
erratur).<br />
7. Exkurs Privatrechtsgeschichte der Neuzeit / Entstehung des BGB / Regelung des BGB<br />
Bei der BGB-Entstehung<br />
1. Umgang mit dem historischen Material<br />
1. Bei Irrtum kein Rechtsgeschäft, Errantis voluntas nulla est, nach römischem Recht,<br />
2. aber: Ein Mann, ein Wort. Augen auf, Kauf ist Kauf, nach älterem deutschen Recht,<br />
3. sehr umstritten im Naturrecht 16. bis 18. Jh.<br />
2. Verschiedene Lösungsansätze im gemeinen Recht<br />
1. Erklärungstheorie, den Erklärenden an seiner Erklärung festhalten,<br />
auch wegen der Verantwortlichkeit für eigene Handlungen,<br />
2. Vertrauenstheorie, wegen des hervorgerufenen Vertrauens.<br />
3. Veränderung der Regelung vom Entwurf des ersten Redaktors und dem I. Entwurf über den Beschluß der Vorkommission des Reichsjustizamts<br />
bis <strong>zu</strong>m Beschluß der II. Kommission.<br />
4. Raffinierte Lösung des BGB<br />
Vor Irrtumsanfechtung ist Auslegung <strong>zu</strong> prüfen.<br />
1. Grundsätzlich ist Rechtsgeschäft wirksam, trotz Irrtum; also nicht ohne weiteres unwirksam.<br />
2. Irrender kann Nichtigkeit herbeiführen durch Anfechtung seiner eigenen Willenserklärung.<br />
3. Ganz enger Begriff des erheblichen Irrtums, beschränkt auf 4 Fälle<br />
1. Inhaltsirrtum, § 119 I Alt.1,<br />
2. Erklärungsirrtum, § 119 I Alt. 2 ,<br />
3. Eigenschaftsirrtum, § 119 II,<br />
4. Übermittlungsirrtum, § 120.<br />
Ausschluß der irrelevanten Fälle, insbes. Motiv-Irrtum.<br />
30. September 2011<br />
115
4. Ohne Rücksicht darauf, ob Irrtum <strong>zu</strong>rechenbar ist oder nicht,<br />
Irrtumsanfechtung auch bei eigenem Verschulden des Anfechtenden.<br />
5. Willenserklärung und Rechtsgeschäft werden durch Anfechtung vernichtet,<br />
aber ohne dass das ursprünglich Gewollte wirksam würde.<br />
6. Schadenersatzpflicht des Anfechtenden (d. h. des Irrenden), § 122,<br />
dem Grunde nach wiederum ohne Rücksicht auf Verschulden,<br />
Höhe begrenzt auf Vertrauensschaden (= negatives Interesse) des Anfechtungsgegners.<br />
7. Weitere tatsächliche Begren<strong>zu</strong>ng der Irrtumsanfechtung: Beweis des eigenen Irrtums.<br />
8. Unterscheidung zwischen Dissens und Irrtum.<br />
Beispiel für den Gang der Gesetzgebungsarbeiten:<br />
Zuerst Vorlage Gebhards, des Redaktors für den Allgemeinen Teil, in der I. Kommission.<br />
Dann die verkürzte Wiedergabe dieser Erörterungen und der Diskussionen<br />
innerhalb der I. Kommission<br />
in Motive I, 190 f.<br />
Das Ergebnis waren §§ 98 f. E I.<br />
Man sieht weiter die Beratung in dem diskreten Zirkel der Vorkommission des Reichsjustizamts<br />
(bei Jakobs-Schubert).<br />
Das Resultat dieser Vorkommisison wurde in der II. Kommission<br />
als eigener Vorschlag eines Mitglieds eingebracht<br />
und dort verhandelt, Protokolle (der II. Kommission),<br />
- in der sogenannten metallographierten Form für die Mitglieder, später<br />
- in der gedruckten Fassung, Prot. I 94 ff.,<br />
- heute meistens in der Ausgabe von Mugdan.<br />
So entstand der zweite BGB-Entwurf.<br />
Den Abschluß bildet die Denkschrift des Reichsjustizamts,<br />
die den BGB-Entwurf an den Reichstag begleitete, S. 32.<br />
Ausdrücke<br />
animus Wille, Absicht<br />
consensus (Willens-)-Übereinstimmung<br />
credere glauben, meinen<br />
creditor Gläubiger<br />
debére schulden<br />
debitor Schuldner<br />
dissentire uneinig sein, verschiedener Meinung sein<br />
errare irren<br />
error Irrtum<br />
- in obiecto, - über Gegenstand,<br />
- in persona, - über die Person,<br />
- iuris - über die Rechtslage<br />
existimare glauben<br />
id quod actum est entsprechend dem wirklichen oder üblichen Parteiwillen<br />
ignorantia Unwissenheit<br />
ignorare nicht wissen<br />
metus Furcht<br />
nullus keiner; nichtig<br />
opinio Meinung<br />
putare glauben<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
116
(Vorsicht: bedeutet in den juristischen Texten)<br />
a) wenn es sich um Sachverhalte [Tatbestände] handelt,<br />
dass in der Wirklichkeit die Angelegenheit anders ist,<br />
b) wenn es sich um juristische Lösungen handelt,<br />
dass die geäußerte Rechtsansicht nicht bedenkenfrei ist.<br />
scire wissen<br />
sentire meinen (s. soeben <strong>zu</strong> "putare")<br />
voluntas Wille.<br />
Rechtsmaximen<br />
Errare humanum est. Irren ist menschlich (allgemein, aber nicht rechtlich).<br />
Errantis voluntas nulla est. Die Willenserklärung ist bei Irrtum nichtig.<br />
Error iuris (non) nocet. Rechtsirrtum schadet (nicht).<br />
Falsa demonstratio non nocet. Falsche Bezeichnung schadet nicht.<br />
KAPITEL 17. KAUFPREIS UND WUCHER<br />
1. Gegenleistungsfreiheit. D. 19, 2, 22, 3 (Paulus im 34. Buch seines Ediktskommentars). Ebenso wie beim Kauf natürlicherweise erlaubt<br />
ist, eine Sache von höherem Wert um einen geringeren Preis <strong>zu</strong> kaufen, eine Sache geringeren Wertes um einen höheren Preis<br />
<strong>zu</strong> verkaufen und einander auf diese Weise <strong>zu</strong> übervorteilen, ist dies auch bei der locatio conductio rechtens.<br />
D. 19, 2, 22, 3 (Paulus libro trigesimo quarto ad edictum). Quemadmodum in emendo et vendendo naturaliter concessum est quod<br />
pluris sit minoris emere, quod minoris sit pluris vendere et ita invicem se circumseribere, ita in locationibus quoque et conductionibus<br />
iuris est.<br />
2. Pretium certum, Inst. Iust. 3, 23, 1; Gai. Inst. 3, 140<br />
3. Pretium verum. D. 18, 1, 36 (Ulpian im siebenten Buch seiner Streitgespräche). Wenn jemand schenkungshalber<br />
<strong>zu</strong> einem geringeren Preis verkauft, ist der Verkauf gültig. Nur wenn der Verkauf <strong>zu</strong>r Gänze schenkungshalber<br />
stattfindet, entscheiden wir, dass der Verkauf völlig ungültig ist. Wenn jedoch eine Sache<br />
schenkungshalber <strong>zu</strong> einem niedrigeren Preis verkauft wird, besteht kein Zweifel, dass der Verkauf gültig<br />
ist. Dies gilt normalerweise; unter Ehegatten ist jedoch ein Verkauf, der schenkungshalber <strong>zu</strong> einem niedrigeren<br />
Preis stattfindet, nicht rechtswirksam.<br />
D. 18, 1, 36 (Ulpianus). Si quis donationis causa minoris vendat, venditio valet: totiens enim dicimus in totum<br />
venditionem non valere, quotiens universa venditio donationis causa facta est: quotiens vero viliore<br />
pretio res donationis causa distrahitur, dubium non est venditionem valere. hoc inter ceteros: inter virum<br />
vero et uxorem donationis causa venditio facta pretio viliore nullius momenti est.<br />
4. Pretium iustum: verschiedene Erwähnungen in den Digesten; aber selten relevant für Exegese.<br />
5. Dann Höchstpreisedikt Kaiser Diokletians (284 - 305); damals praktisch sehr wichtig, auch historisch interessant (aber ebenfalls selten<br />
relevant für Exegese, allenfalls für mündliches Examen).<br />
6. Am wichtigsten für Mittelalter und Neuzeit:<br />
Sogenannte Laesio enormis (wörtlich: übermäßige Schädigung), C. 4, 44, 2.<br />
Ausdruck: laesio, -nis f. (enormis) - Verlet<strong>zu</strong>ng, rechtlicher Nachteil (übermäßig)<br />
Ausdruck im 19. Jh.: "Verlet<strong>zu</strong>ng über die Hälfte".<br />
C. 4, 44, 2 (Kaiser Diokletian und Maximian an Aurelius Lupus) Wenn du oder dein Vater eine Sache höheren Wertes um einen geringeren<br />
Preis verkauft hast, ist es menschlich, dass du kraft richterlichen Einschreitens entweder bei Rückzahlung des Kaufpreises an<br />
die Käufer das Grundstück <strong>zu</strong>rückerhalten sollst, oder, wenn der Käufer das vorzieht, eine Aufzahlung dessen, was auf den gerechten<br />
Preis fehlt, erhalten sollst. Ein geringerer Preis liegt dann vor, wenn nicht einmal die Hälfte eines echten Preises gezahlt worden ist.<br />
(285 n. Chr.).<br />
30. September 2011<br />
117
C. 4, 44, 2 (Impp. Diocletianus et Mamimianus AA. Aurelio Lupo). Rem maioris pretii si tu vel pate uus minoris pretii distraxit, humanum<br />
est, ut vel pretium te restituente emptoribus fundum vendicum recipias auctoritate intercedente iudicis, vel, si emptor elegerit,<br />
quod deest iusto pretio recipies. minus autem pretium esse videtur, si nec dimidia pars veri pretii soluta sit.(a. 285)<br />
Im Laufe der Jahrhundert das "Spiel" in Rechtswissenschaft und Rechtspolitik mit der Laesio enormis:<br />
1. Auch <strong>zu</strong> Gunsten Käufer?<br />
2. Auch andere Gegenstände als Land?<br />
3. Auch andere Verträge als Kauf?<br />
4. Ergän<strong>zu</strong>ngsrecht des Übervorteilenden?<br />
5. Verzicht auf die Geltendmachung durch Übervorteilten?<br />
6. Einschränkungen des Verbots?<br />
7. Warum nicht im BGB übernommen?<br />
Hier<strong>zu</strong> meinte F. C. von Savigny, Juristische Methodenlehre 196<br />
: „Wenn ein Verkauf so geschlossen ist, dass viel weniger bezahlt wurde, als<br />
der wahre Preis ist, so soll der Verkauf ungültig sein oder das übrige nachbezahlt werden. Der Kaiser führt als allgemeinen Grund dieser<br />
Vorschrift die Billigkeit an (humanum est). Hieraus hat man gefolgert, das Gesetz sei auf alle onerose (= belastende) Geschäfte, namentlich<br />
Kauf und Pacht und so fort, auch an<strong>zu</strong>wenden. Hier ist also von einer interpretatio extensiva (= ausdehnende Anwendung) die Rede... Der<br />
angegebenen Regel der Billigkeit steht also eine andere, weit wichtigere Regel, die der Heiligkeit der Verträge, entgegen, sie hebt also jene<br />
auf. Soll die Aufhebung nicht statthaben, so muss sich ein besonderer Grund da<strong>zu</strong> finden. Dieser findet sich beim Verkauf oft. Nämlich häufig<br />
wird der Verkäufer aus Not, um nur Geld <strong>zu</strong> bekommen, gezwungen sein, eine Sache <strong>zu</strong> verkaufen, ohne dass ein dolus dabei <strong>zu</strong> Grunde<br />
liegt. Eine solche Not lässt sich bei anderen Rechtsgeschäften wohl nicht denken. Das Gesetz ist also sehr einfach, geht bloß auf den Verkauf“.<br />
Aber modifizierte Regelung der laesio enormis in den Naturrechtskodifikationen<br />
1. ALR (von 1794) I 11 §§ 58 - 69 und 250 - 256 sowie § 876<br />
2. Code civil (von 1804) Art. 1674<br />
3. ABGB (von 1811) § 934.<br />
Ausdrücklich abgelehnt in den BGB-Kommissionen.<br />
Wucherproblem vor allem bei Darlehenszinsen.<br />
KAPITEL 18A. RÜCKTRITTSVORBEHALTE ALLGEMEIN 197<br />
1. Käufer und Verkäufer vereinbarten oft bei Abschluss des Kaufvertrages<br />
als Nebenabrede, pactum adiectum, eine spezielle Rücktrittsklausel.<br />
2. Gelten als Vertragsinhalt, wenn bei Abschluss des Hauptvertrages vereinbart,<br />
in continenti; nicht wenn hinterher, ex intervallo 198<br />
.<br />
Aber Haupttext Ulp. D. 2, 14, 7, 5 und 6 ist undeutlich<br />
und lässt in einigen Fällen spätere Abreden <strong>zu</strong>.<br />
Pap.-Paul. D. 18, 1, 72 lassen formlose Abreden postea facta <strong>zu</strong>,<br />
wenn sie Leistung abbedingen, das könnte man vielleicht hier annehmen,<br />
nicht aber, wenn sie Leistungsinhalt erhöhen.<br />
3. Falls der Kaufpreis bereits gezahlt, wohl meistens Eigentum des Verkäufers am Preis,<br />
dieser muss das empfangene Geld gegebenenfalls an Käufer <strong>zu</strong>rück übereignen 199<br />
.<br />
196<br />
<strong>Universität</strong> Marburg, WS 1802-1803, nach der Ausarbeitung des Jakob Grimm (!), hrsg. v. G. Wesenberg,<br />
Stuttgart 1951, S. 39 f. und 44.<br />
197<br />
198<br />
199<br />
(Mein) F. <strong>Peter</strong>s, Die Rücktrittsvorbehalte, 1973! Kaser-Knütel § 10/11 ff., 41/49 ff.<br />
K I § 114 / 29 und 31.<br />
Frank <strong>Peter</strong>s, Die Rücktrittsvorbehalte, 1973, S. 254 ff.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
118
4. Besonders häufig und gewissermaßen standardisiert waren die folgenden drei:<br />
- in diem addictio Vorbehalt des Verkäufers für den Fall eines besseren Verkaufs<br />
- lex commissoria Vorbehalt des Verkäufers für den Fall der Nichtzahlung des Preises<br />
- pactum displicentiae Vorbehalt des Käufers für den Fall der Nicht<strong>zu</strong>friedenheit.<br />
5. (Weiteres s. oben im Kapitel Bedingung = Condicio).<br />
KAPITEL 18B. BESSERGEBOTSKLAUSEL = IN DIEM ADDICTIO 200<br />
1. In diem addictio<br />
Falls Verkäufer binnen einer bestimmten Frist einen anderen Käufer findet,<br />
der einen höheren Preis zahlt als jetzt vereinbart ist<br />
oder sonst bessere Vertragsbedingungen gewährt,<br />
kann Verkäufer von dem Kaufvertrag <strong>zu</strong>rücktreten.<br />
2. Je nach Parteivereinbarung 201<br />
1. aufschiebend bedingter Kaufvertrag 202<br />
,<br />
2. oder auflösend, d. h. wirksamer Vertrag mit aufschiebender Aufhebungsabrede 203<br />
.<br />
3. In den meisten Fällen der Kaufvertragsklausel<br />
tritt die Vertragsbeendigung nicht schon durch den genannten Umstand ein,<br />
z. B. durch das bessere Gebot eines <strong>Dr</strong>itten oder durch die Nichtzahlung durch den Käufer,<br />
sondern erst dann, wenn der Berechtigte den Rücktritt wegen des Umstandes erklärt.<br />
Damit ist dem Berechtigten die Entscheidung darüber offengehalten,<br />
ob er bei Eintritt der Bedingung von seinem Rücktrittsrecht Gebrauch machen<br />
und damit das Geschäft auflösen will oder nicht.<br />
Das Ende des Kaufvertrages steht damit unter einer doppelten Bedingung:<br />
1. Eintritt des vereinbarten Umstandes und<br />
2. Erklärung des Berechtigten.<br />
4. Rückgewährklage, nach Ausübung des Rechts durch Verkäufer 204<br />
1. schuldrechtlich<br />
1. Sabinianer (z. B. Pomponius): Vertragsklage, also a. venditi.<br />
2. Prokulianer: a. in factum.<br />
200<br />
201<br />
202<br />
2. Bedingung kann auch dingliche Wirkung haben, also rei vindicatio des Verkäufers 205<br />
auf Rückgewähr der Ware<br />
Sedes materiae: D. 18, 2.<br />
Ulp. D. 18, 2, 2.<br />
Ulp. D. 18, 2, 2 pr. – Schiemann, Pendenz, S. 20 f.: Sabinianus, vielleicht in älterer Zeit die allgemeine Ansicht<br />
unter römischen Juristen.<br />
203<br />
204<br />
205<br />
Schiemann, Pendenz, S. 21: bei Ulpian (D. 18, 3, 1) herrschende Ansicht; K/K § 41 / 50.<br />
<strong>Peter</strong>s, Rücktrittsvorbehalte, S. 262 ff.<br />
Ulp. D. 6, 1, 41 pr.<br />
30. September 2011<br />
119
(s. da<strong>zu</strong> im Kapitel „Auflösungsvorbehalt = Lex commissoria“).<br />
KAPITEL 18C. AUFLÖSUNGSVORBEHALT = LEX COMMISSORIA 206<br />
1. Rücktrittsrecht des Verkäufers, wenn der Kaufpreis nicht innerhalb bestimmter Zeit bezahlt wird.<br />
Muss also zwischen Verkäufer und Käufer vereinbart werden, nicht von Gesetzes wegen<br />
(vgl. hingegen §§ 323 ff. BGB n. F.).<br />
Am ehesten als auf-lösende Bedingung ex nunc <strong>zu</strong> verstehen.<br />
2. Nach überwiegender Ansicht der römischen Juristen:<br />
1. auflösend 207<br />
, d. h. wirksamer Vertrag mit aufschiebender Aufhebungsabrede,<br />
d. h. Recht des Verkäufers <strong>zu</strong>r Auflösung steht unter der aufschiebenden Bedingung der Nichtzahlung 208<br />
,<br />
2. nicht aufschiebend bedingter Kaufvertrag 209<br />
.<br />
3. Schuldrechtliche Wirkung<br />
1. Pomponius (Sabinianer) und damals h. M.: a. venditi 210<br />
.<br />
2. Aber es gab auch Gegenansicht.<br />
Keine exc. rei venditae et traditae, weil ja Sache nicht mehr vendita ist.<br />
4. Hinsichtlich der dinglichen Rechtslage des Kaufgegenstandes<br />
206<br />
207<br />
208<br />
209<br />
210<br />
211<br />
gibt es für den Eigentumsrückfall zwei verschiedene Lösungen 211<br />
,<br />
falls der Kaufvertrag auflösend bedingt war,<br />
vielleicht unter den klassischen Juristen kontrovers, jedenfalls heute streitig:<br />
1. entweder muss bei Bedingungseintritt die Sache vom Käufer an den Verkäufer<br />
mittels besonderen Rechtsgeschäfts (ausdrücklich) <strong>zu</strong>rückübereignet werden,<br />
darauf kann Verkäufer<br />
1. entweder mit einer actio in factum<br />
2. oder mit der actio venditi klagen.<br />
3. Kein Quellenbelegt für condictio 212<br />
.<br />
2. Interessanter ist aber Folgendes:<br />
Nch wirksamem Rücktritt bei auflösend bedingtem Kauf<br />
ist mehrfach in den Quellen bezeugt,<br />
dass Eigentum an dem Kaufgegenstand von dem Käufer an den Verkäufer <strong>zu</strong>rückfällt,<br />
ohne besonderen Übertragungsak 213<br />
,<br />
dagegen jedoch Itp.-Verdacht wegen Wesens des absoluten Rechts im römischen Recht,<br />
infolgedessen werden dem Verkäufer gegen Käufer rei vindicatio oder a. in rem<br />
ausdrücklich <strong>zu</strong>gesprochen.<br />
Sedes materiae: D. 18, 3. Vgl. Pomp. D. 18, 3, 2.<br />
Ulp. D. 18, 2, 2 pr.<br />
<strong>Peter</strong>s, Rücktrittsvorbehalte, S. 95.<br />
Ulp. D. 18, 3, 1.<br />
K/K § 41 / 49: D. 18, 3, 2; 18, 3, 4, pr.; 18, 1, 6, 1.<br />
Schiemann, Pendenz, S. 21, <strong>zu</strong>r lex commissoria: keine dingliche Wirkung nach C. 4, 54, 3; aber Vindikation<br />
nach C. 4, 54, 4, und a. in rem nach D. 6, 1, 41 pr.<br />
212<br />
213<br />
<strong>Peter</strong>s, Rücktrittsvorbehalte, S. 272.<br />
<strong>Peter</strong>s, Rücktrittsvorbehalte, S. 164 ff., mwN.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
120
Konstruktion:<br />
Der nachträgliche Wegfall des Kaufvertrages,<br />
also des Rechtsgrundes (causa) für die Übereignung mittels traditio,<br />
bewirkt, dass der Eigentumsübergang auf den Käufer entfällt,<br />
so dass die Sache dem Verkäufer wieder gehört, mit der Folge<br />
dass er gegen Käufer die Eigentumsherausgabeklage hat, rei vindicatio;<br />
vgl. Ulp. D. 6, 1, 41 pr. <strong>zu</strong>r in diem addictio 214<br />
.<br />
3. Wahrscheinlich wird eine auf-lösende Bedingung für die Übereignung<br />
als eine Bedingung, die der traditio oder mancipatio direkt beigefügt worden wäre,<br />
nicht anerkannt gewesen sein.<br />
4. Zweifelhaft, ob emptor überhaupt Eigen- und Interdiktenbesitzer<br />
und damit passiv legitimiert gegenüber reil vindicatio war 215<br />
5. Hauptprobleme in Digesten-Titel 18,3<br />
1. Gefahrtragung<br />
2. Früchte<br />
3. Vereinbarung der Zahlung der Preisdifferenz.<br />
6. (Andere Bedeutung des Ausdrucks lex commissoria im Pfandrecht).<br />
7. Wirtschaftliche Bedeutung der Sicherung des Verkäufers gegen Nichtzahlung des Kaufpreises,<br />
wirtschaftlich (aber nicht rechtstechnisch) entsprechend<br />
- dem modernen Eigentumsvorbehalt<br />
(letzterer heute aufschiebend konstruiert, nicht wie die meistens auflösend wirkende lex commissoria in Rom),<br />
214<br />
215<br />
- sowie dem Rücktritt von Gesetzes wegen wegen Nichterfüllung, § 323 n. F.<br />
KAPITEL 18D. MISSBILLIGUNGSABREDE = PACTUM DISPLICENTIAE<br />
1. Rücktrittsrecht des Käufers binnen bestimmter Frist, falls ihm die Ware nicht gefällt 216<br />
.<br />
Meistens Kaufvertrag konstruiert als auflösend bedingt 217<br />
:<br />
D. 18, 1, 3. Ulpianus 28 ad Sab. Si res ita distracta sit, ut si displicuisset inempta esset, constat non esse sub condicione distractam,<br />
sed resolvi emptionem sub condicione.<br />
2. Etwas anderes ist: Kauf „auf“ Probe i. e. S., nämlich Kauf unter der aufschiebenden Bedingung,<br />
dass dem Käufer die Sache innerhalb einer bestimmten Frist gefällt (Inst. Iust. 3, 23, 4).<br />
3. Nicht <strong>zu</strong> verwechseln mit Kauf „<strong>zu</strong>r“ Probe oder mit<br />
4. Kauf „nach“ Probe.<br />
Schiemann, Pendenz, S. 22, mit Wesel, SZ 85 (1968), 97 ff.<br />
<strong>Peter</strong>s, Rücktrittsvorbehalte, S. 271: meistens in dieser Situation bloß Detentor und deswegen nicht passivlegitimiert.<br />
216<br />
Ulp. D. 18, 1, 3: "si displicuisset inempta" bedeute nicht aufschiebende, sondern auflösende Bedingung, resolvi<br />
emptionem sub condicione.<br />
217<br />
D. 18, 1, 3; D. 18, 5, 6.<br />
30. September 2011<br />
121
KAPITEL 19A. ANFÄNGLICHE TATSÄCHLICHE OBJEKTIVE UNMÖGLICHKEIT<br />
1. Im römischen Recht nicht grundsätzlich / abstrakt behandelt (wie heute im Allgemeinen Schuldrecht),<br />
sondern jeweils gesondert für Stipulationen, Kaufvertrag, Vermächtnis etc.<br />
2. Das Rechtsgeschäft ist nach heute überwiegender Ansicht unwirksam 218<br />
,<br />
wenn die Leistung von Anfang an tatsächlich objektiv unmöglich ist 219<br />
,<br />
emptionem non videri contractam 220<br />
, nec emptio nec venditio 221<br />
, nulla emptio est 222<br />
,<br />
nihil esse acti 223<br />
.<br />
3. Hauptfälle der gewissermaßen physischen = tatsächlichen = natürlichen Unmöglichkeit:<br />
- Die versprochene Sache, z. B. der Pferdmensch, Hippocentaurus, kann gar nicht existieren 224<br />
.<br />
- Die verkaufte Sache war bereits vollständig verbrannt (D. 18, 1, 57 pr. Anfang; vgl. D. 18, 1, 58).<br />
- Der verkaufte Sklave war schon verstorben 225<br />
.<br />
- Die verkaufte Erbschaft existiert nicht 226<br />
(hingegen wirksam:<br />
-- die verkaufte Erbschaft existiert, aber gehört nicht dem V, sondern dem X 227<br />
,<br />
-- veräußerte Forderung existiert überhaupt nicht 228<br />
).<br />
4. Ebenso unwirksam, wenn die verkaufte Sache schon dem Käufer<br />
oder Stipulationsgläubiger selbst gehört 229<br />
(anders BGB).<br />
5. Rückforderung des Kaufpreises durch Käufer<br />
- Condictio 230<br />
.<br />
6. Aber dem Käufer „nützt“ seine unverschuldete Unkenntnis, jedenfalls wenn sie unverschuldet ist 231<br />
,<br />
<strong>zu</strong>mindest dann, wenn der Verkäufer Kenntnis der Unmöglichkeit hatte,<br />
218<br />
219<br />
220<br />
221<br />
222<br />
223<br />
224<br />
225<br />
226<br />
227<br />
228<br />
229<br />
K I S. 549; ansprechende Zusammenfassung bei Benke-Meissel, SchuldR, 4. A., S. 99 ff.<br />
Generalisierende Regel: Paul. D. 18, 1, 15 pr.<br />
Pap. D. 18, 1, 58 initio (Olivenhain).<br />
Generalisierend: Pomp. D. 18, 1, 8 pr.<br />
Generalisierende Regel: Paul. D. 18, 1, 15 pr.<br />
Pomp. D. 18, 4, 1.<br />
Inst. Iust. 3, 19, 1 (<strong>zu</strong>r Stipulation).<br />
Inst. Iust. 3, 19, 1 (<strong>zu</strong>r Stipulation).<br />
Pomp. D. 18, 4, 1 (in rerum natura non sit); Paul D. 18, 4, 7; Iav. D. 18, 4, 8.<br />
Iav. D. 18, 4, 8; Paul. D. 18, 4, 13.<br />
Cels.-Ulp. D. 18, 4, 4: Einstandspflicht des Veräußerers.<br />
Iul. D. 12, 6, 37; generalisierend Pomp. D. 18, 1, 16 pr.; Gai. D. 44, 7, 1, 10 (Stipulation); Ulp. D. 45, 1, 82<br />
pr.; generalisierend Ulp. D. 50, 17, 45 pr.; Sonderfall Paul. D. 18, 1, 34, 4; Gai. 3, 99; Inst. 3, 19l, 2/22. – Hier<strong>zu</strong><br />
gibt es neuere Untersuchung.<br />
230<br />
231<br />
D. 18, 1, 57 pr. a. A.<br />
Generalisierend Paul. D. 18, 1, 15, 1: Ignorantia emptori prodest...<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
122
- vielleicht Ersatzanspruch mittels a. in factum,<br />
- Rückzahlungsanspruch mittels Bereicherungsklage, condictio 232<br />
indebiti oder sine causa.<br />
7. Tatsächliche Teil-Unmöglichkeit, z. B. villa combusta oder umgeworfene Bäume 233<br />
:<br />
Je nach Fallgestaltung und Kontroverse 234<br />
.<br />
8. Zur res extra commercium s. sogleich. Auch weitere Sonderfälle 235<br />
.<br />
9. Rechtsmaximen (haben aber nur den Wert von bloßen Faustregeln):<br />
Impossibilium nulla obligatio. Zu Unmöglichem ist man nicht verpflichtet.<br />
Ultra posse nemo obligatur. Niemand wird über sein Können hinaus verpflichtet<br />
(differenzierend BGB).<br />
KAPITEL 19B. ERGÄNZUNG: UNMÖGLICHKEIT<br />
1. Im römischen Recht nicht grundsätzlich / abstrakt behandelt (wie heute im Allgemeinen Schuldrecht),<br />
Die römischen Juristen wissen noch nichts von Allgemeinen Teil, weder allgemein <strong>zu</strong>m Zivilrecht, noch allgemein<br />
<strong>zu</strong>m Schuldrecht. Nur gelegentlich stellen sie uns die Systeme vor, in denen sie sich bewegen, nur <strong>zu</strong>rückhaltend<br />
formulieren sie allgemeine Maximen, die von den Späteren dann mit Begierde aufgenommen wurden,<br />
relativ selten sind ausgesprochene Definitionen. Sie erörtern vielmehr in lose aneinander angefügten Fällen und<br />
keineswegs flächendeckend für jeden Kontraktstyp neu das Zustandekommen, die Vertragspflichten und ihre Erfüllung<br />
oder Verlet<strong>zu</strong>ng.<br />
a. Schuldinhalte<br />
Wo<strong>zu</strong> Schuldner verpflichtet war, ergab sich aus der intentio der formula für die jeweilige actio: bei der abstrakten<br />
Geldschuldklage, der condictio certae creditae pecuniae, auf Geldhingabe, nummos dare; bei der condictio<br />
certae rei auf certam rem dare; bei der actio ex stipulatu auf ein incertum, nämlich ein facere; bei den bonae fidei<br />
iudicia auf ein dare facere ex fide bona 236<br />
.<br />
1. Stipulation<br />
a) Anfängliche (objektive) Unmöglichkeit<br />
Die klarsten Äußerungen der römischen Juristen betreffen das einseitige Schuldversprechen, die Stipulation.<br />
Diese kam <strong>zu</strong>stande, indem der künftige Gläubiger an den künftigen Schuldner die Frage stellte: "Wirst Du mir<br />
die - näher bestimmte - Sache übereignen?" Oder: "Wirst Du eine bestimmte Handlung vornehmen?" Oder:<br />
"etwas bestimmtes leisten?" 237<br />
, und indem der Schuldner einfach antwortete: "Ja".<br />
232<br />
233<br />
234<br />
235<br />
236<br />
Iul. D. 12, 6, 37: puto.<br />
Paul. und andere Juristen: D. 18, 1, 57 pr. - § 3; Pap. D. 18, 1, 58.<br />
Vielleicht nachklassisch überarbeitet oder itp? S. Kaser I S. 549 Anm. 38.<br />
Paul. D. 19, 1, 21 pr. (Leibesfrucht einer unfruchtbaren Sklavin, m. E. Sonderfall / Sachmangel o. ä.).<br />
Franz Wieacker, Leistungshandlung und Leistungserfolg im Bürgerlichen Schuldrecht, in Festschrift für <strong>Hans</strong><br />
Carl Nipperdey <strong>zu</strong>m 70. Geburtstag,e hrsg. v. R. Diletz und H. Hübner, München und <strong>Berlin</strong> 1965, S. 783 ff.,<br />
abgredruckt in F. Wieacker, Kleine juristische Schriften, Göttingen 1988, S. 171 bis 195, S. 176.<br />
237<br />
Dare, facere, praestare.<br />
30. September 2011<br />
123
Mit diesem Vertragstyp wurden Verpflichtungen über beliebige Leistungen begründet, <strong>zu</strong>m Beispiel: Versprechen<br />
der Sachübereignung auf Grund Gattungskaufs, Darlehens, Schenkung oder Mitgift; Rechts- oder Sachmängelgarantien;<br />
Bürgschaften oder Vertragsstrafen, Abtretungen oder Schuldübernahmen 238<br />
.<br />
Aber was sollte der Schuldner tun, wenn die versprochene Leistung gar nicht erbracht werden konnte? Und wenn<br />
es <strong>zu</strong>m Prozess kam: wie sollte der Richter den Wert der etwa gar nicht existierenden Sache schätzen?<br />
Die römischen Juristen beriefen sich dafür auf die rerum natura 239<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
und auf die impossibilitas 240<br />
.<br />
Auch wenn es <strong>zu</strong>treffen sollte, dass die Ausdrücke possibilis und impossibilis erst im ersten oder zweiten Jahrhundert<br />
unserer Zeitrechung aus der griechischen in die lateinische Sprache übernommen sein sollten 241<br />
. Allgemeine<br />
Interpolation diesbezüglich nicht nachgewiesen 242<br />
. In den Digesten 40 mal impossibilis oder inpossibilis<br />
sowie acht mal possibilis 243<br />
,überwiegend <strong>zu</strong>r Bedingung, nur elf Texte <strong>zu</strong> unserem Hauptproblem 244<br />
.<br />
Die allgemeine Meinung gibt ein römischer Jurist so wieder:<br />
"Wenn das, was jemand sich hat versprechen lassen, gar nicht gegeben werden kann, dari non possit,<br />
dann ist die Stipulation ungültig, inutilis est stipulatio 245<br />
.<br />
Stipulation auf ein facere, was natura fieri non concedit, ist nichtig, genauso wie Stipulation auf dare, das dari<br />
non potest 246<br />
.<br />
Ebenso Bedingung und Stipulation mit Bedingung, quae natura impossibilis est, ist unwirksam 247<br />
.<br />
Versprechen einer Sache, quae in rerum natura non est aut esse non potest, oder qui esse non possit unwirksam<br />
248<br />
.<br />
Sache aus nicht vorhandener Gattung 249<br />
Ebenso ungültig ist die Stipulation einer Sache, die gar nicht existieren kann, z. B. eines Pferdmenschen,<br />
Hippocentaurus 250<br />
".<br />
238<br />
239<br />
Kaser, RPR I, S. 538 ff.<br />
Ernst Rabel, Mélanges Gérardin, Paris 1907, S. 473 - 512: Origine de la règle: "Impossibilium nulla obligatio",<br />
insbes. S. 478 ff.<br />
240<br />
241<br />
242<br />
243<br />
244<br />
245<br />
Rabel, Origine, insbes. S. 488 ff.<br />
Rabel, Origine, S. 488 f., mit Hinweis auf Scialoja und Wölfflin sowie auf Cicero und Quintilian.<br />
Rabel, Origine, S. 488 ff.<br />
Rabel, Origine, S. 491.<br />
Rabel, Origine, S. 491.<br />
Gai. 3, 97 und 97a; vgl. Inst. Iust. 3, 19, 1 und 2. Ähnliche Aufzählungen bei Gai. D. 44, 7, 1, 9 und 10; Paul.<br />
D. 45, 1, 83, 5; liber homo oder mortuus auch Mod. D. 45, 1, 103. Weitere Fälle sind der Anspruch auf eine<br />
Sache, die dem scheinbaren Gläubiger schon gehört (Gai. 3, 99); ein unsterblicher Sklave (C. 8, 37, 8; a. 294;<br />
kann aber Sonderfall sein); (anfänglich) verbrannte Gebäude (Gai. D. 44, 7, 1, 9.).<br />
246<br />
247<br />
248<br />
249<br />
250<br />
D. 45, 1, 35 pr.<br />
D. 45, 1, 137, 6.<br />
Inst. Iust. 3, 19, 1.<br />
Darauf macht Rabel, Origine, S. 482, <strong>zu</strong> D. 33, 6, 7, 1, aufmerksam.<br />
Gai. 3, 97 und 97a; vgl. Inst. Iust. 3, 19, 1 und 2. Ähnliche Aufzählungen bei Gai. D. 44, 7, 1, 9 und 10; Paul.<br />
D. 45, 1, 83, 5; liber homo oder mortuus auch Mod. D. 45, 1, 103. Weitere Fälle sind der Anspruch auf eine<br />
124
Nichtig ist auch das stipulationsartige Versprechen des Schuldners, einen freien Menschen <strong>zu</strong> übereignen 251<br />
, den<br />
der Gläubiger für einen Sklaven hielt 252<br />
.<br />
Dieselbe Folge hat das Versprechen einer res extra commercium: eine sakrale oder religiöse Sache oder eine<br />
dem Gemeingebrauch gewidmete Sache 253<br />
. Unwirksam und verboten ist des weiteren die Veräußerung einer<br />
streitbefangenen Sache 254<br />
. Ganz generell sagen die Kaiser Theodosius und Valentianus: nullum enim pactum,<br />
nullam conventionem, nullum contractum inter eos videri volumus subsecutum, qui contrahunt lege contrahere<br />
prohibente. 255<br />
Auch die eigene Sache kann man sich nicht wirksam versprechen lassen 256<br />
. Anfängl R-Mgel bei<br />
Stip unbeachtl 257<br />
.<br />
Dieselben Regeln für Bedingung und Vermächtnisse.<br />
Zusammenstellung der Stellen bei Rabel, Origine 258<br />
.<br />
Warum sind derartige Stipulationen ungültig 259<br />
? Die römischen Juristen sagen es nicht.<br />
- Die römischen Juristen sagen gelegentlich, die versprochene Sache, die nicht existiere,<br />
gehöre gar nicht <strong>zu</strong>r Welt der materiellen Dinge, sei nicht in rerum natura 260<br />
, und das Versprechen sei deswegen<br />
gewissermaßen widernatürlich 261<br />
.<br />
- Sicherlich hatte der Schuldner keine Pflicht, z. B. diesen versprochenen Sklaven<br />
<strong>zu</strong> übereignen, der gar nicht als Sklave existiert, weil er ein Freier ist, oder der überhaupt nicht mehr existiert,<br />
weil er gestorben ist 262<br />
. In diesem Sinne mag man von natürlicher Gegebenheit, naturali ratione, sprechen<br />
263<br />
. Der iudex konnte wegen eines dare opportere gar nicht verurteilen, wenn die geschuldete Sache im<br />
Urteilszeitpunkt gar nicht existierte 264<br />
.<br />
- Unvernunft, Scherz, mangelnde Ernstlichkeit, Schenkung, Irrtum, Betrug,<br />
Sache, die dem scheinbaren Gläubiger schon gehört (Gai. 3, 99); ein unsterblicher Sklave (C. 8, 37, 8; a. 294;<br />
kann aber Sonderfall sein); (anfänglich) verbrannte Gebäude (Gai. D. 44, 7, 1, 9.).<br />
251<br />
252<br />
253<br />
254<br />
255<br />
256<br />
257<br />
258<br />
D. 45, 1, 83, 5.<br />
Inst. Iust. 3, 19, 2; D. 18, 1, 34, 2;<br />
Inst. Iust. 3, 19, 2.<br />
Papinianus 35, 4.<br />
C. 1, 14, 5 (a. 439).<br />
Inst. Iust. 3, 19, 2.<br />
Jakobs, S. 132: D. 45, 1, 34; 42, 3, 15, 31 i. f.<br />
Ernst Rabel, Mélanges Gérardin, Paris 1907, S. 473 - 512: Origine de la règle: "Impossibilium nulla obligatio".<br />
259<br />
260<br />
261<br />
262<br />
263<br />
264<br />
Wohl vollständige Stellen-Sammlung bei Dilcher 260/145.<br />
Fehlt noch Stellen-Zitat.<br />
Constantin, S. 428 f. unter Anführung von Rabel, Origine 473 ff., 509, und Unmöglichkeit 174 ff., 194 - 198.<br />
Wollschläger, S. 10 f.; a. A. Medicus, SZ 86, 69; aber dort Anm. 6 die neuere Lit.<br />
Gai. D. 44, 7, 1, 9 (itp.?).<br />
Wieacker, S. 185 f.<br />
30. September 2011<br />
125
Sittenverstoß, kein Schaden 265<br />
. Diese Komponenten werden durch die Hinweise der römischen Juristen auf<br />
die Unkenntnis des Gläubigers betont 266<br />
.<br />
- Fehlendes Vermögensinteresse des Gläubigers 267<br />
.<br />
- Besonderheiten des römischen Verfahrensrechts werden eine Rolle gespielt haben 268<br />
.<br />
- Vielleicht wirkten sich auch Einflüsse der griechischen Philosophie aus 269<br />
.<br />
Auf Kenntnis oder Unkenntnis der Parteien scheint es hierbei, entgegen dem Wortlaut in den Fallgeschichten,<br />
nicht angekommen <strong>zu</strong> sein 270<br />
.<br />
265<br />
266<br />
Rabel, RPR; Rabel, Origine, S. 504 ff.; Rabel, Unmöglichkeit, S. 56 f.; Medicus, SZ 86, 81 mit Quellen.<br />
Auffälligerweise verbinden die Juristen (Gai. Inst. u. ö.) die Unwirksamkeit teilweise mit der Vorausset<strong>zu</strong>ng,<br />
dass der scheinbare Gläubiger vernünftigerweise die Leistungsmöglichkeit annimmt, weil er den verkauften<br />
Menschen für einen Sklaven, der noch lebt, hält (ebenso Paul. D. 18, 1, 34, 2) oder weil er das Grundstück als<br />
eine verkehrsfähige Sache ansieht, oder weil er nicht weiß, dass die versprochene Sache ihm schon gehört. Sogar<br />
beiderseitige Unkenntnis, stipulatio inter eos qui ignoraverint (Gai. D. 44, 7, 1, 9.).<br />
Die Unwirksamkeit tritt auch ein, wenn der Gläubiger die Unmöglichkeit nicht kennt, aber kennen muss: so bei<br />
der Forderung eines Hippozentaurus oder eines unsterblichen Sklaven, die gar nicht existieren können.<br />
Wie ist es, wenn der Gläubiger die anfängliche Unmöglichkeit kennt, ist dann die Stipulation wirksam? Wahrscheinlich<br />
erst recht nicht.<br />
Paul. D. 45, 1, 35 pr.; Paul. D. 45, 1, 83, 5; Mod. D. 45, 1, 103; Cels. D. 50, 17, 185, sagen allerdings nichts über<br />
die Fehlvorstellung des scheinbaren Gläubigers (liber homo oder mortuus u. a.).<br />
Da<strong>zu</strong> nichts Erhebliches bei Medicus, SZ 86, 1969, 67 ff., "Zur Funktion der Leistungsunmöglichkeit im römischen<br />
Recht".<br />
267<br />
Vgl. G. F. Puchta, Cursus der Institutionen, 9. Aufl., hersg. v. P. Krüger, Bd. 2, Leipzig 1881, § 258, S. 299,<br />
Anm.d; S. 302, Anm. q.<br />
268<br />
Medicus, SZ 86, 70 ff.: Wäre es in Rom, wie heute, direkt Verurteilung auf Leistung gewesen: weil keine<br />
Vollstreckung, wenn Objekt nicht übereignet werden kann. Da aber in Rom Verurteilung in Geld, omnis condemnatio,<br />
weil Schät<strong>zu</strong>ng des Marktwerts schwer möglich; so Medicus, gestützt auf D. 45, 1, 103 "nec aestimatio<br />
eius praestari potest".<br />
269<br />
270<br />
Rabel, Origine, S. 494 ff.; Annahme aber reduziert von Medicus, SZ 86, 82 ff.<br />
Auffälligerweise verbinden die Juristen (Gai. Inst. u. ö.) die Unwirksamkeit teilweise mit der Vorausset<strong>zu</strong>ng,<br />
dass der scheinbare Gläubiger vernünftigerweise die Leistungsmöglichkeit annimmt, weil er den verkauften<br />
Menschen für einen Sklaven, der noch lebt, hält (ebenso Paul. D. 18, 1, 34, 2) oder weil er das Grundstück als<br />
eine verkehrsfähige Sache ansieht, oder weil er nicht weiß, dass die versprochene Sache ihm schon gehört. Sogar<br />
beiderseitige Unkenntnis, stipulatio inter eos qui ignoraverint (Gai. D. 44, 7, 1, 9.).<br />
Die Unwirksamkeit tritt auch ein, wenn der Gläubiger die Unmöglichkeit nicht kennt, aber kennen muss: so bei<br />
der Forderung eines Hippozentaurus oder eines unsterblichen Sklaven, die gar nicht existieren können.<br />
Wie ist es, wenn der Gläubiger die anfängliche Unmöglichkeit kennt, ist dann die Stipulation wirksam? Wahrscheinlich<br />
erst recht nicht.<br />
Paul. D. 45, 1, 35 pr.; Paul. D. 45, 1, 83, 5; Mod. D. 45, 1, 103; Cels. D. 50, 17, 185, sagen allerdings nichts über<br />
die Fehlvorstellung des scheinbaren Gläubigers (liber homo oder mortuus u. a.).<br />
Da<strong>zu</strong> nichts Erhebliches bei Medicus, SZ 86, 1969, 67 ff., "Zur Funktion der Leistungsunmöglichkeit im römischen<br />
Recht".<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
126
Bemerken wir, dass in diesen Zusammenhängen die Juristen kaum jemals von "unmöglich", impossibilis 271<br />
, oder<br />
von "nicht können", non possit" 272<br />
, sprechen, sondern dass sie sich mit der Darstellung des Sachverhalts begnügen.<br />
Außerhalb des Corpus Iuris erklärt das Breviar: Possibilis est, quae per rerum naturam admitti potest: impossibilis,<br />
quae non potest 273<br />
.<br />
Litis aestimatio ist nicht möglich für liber homo oder mortuum hominem odaer fundum hostium 274<br />
.<br />
Im Ergebnis also ist (in heutiger Terminologie) das stipulationsmäßige Versprechen einer von Anfang an objektiv<br />
physisch oder rechtlich unmöglichen Leistung unwirksam.<br />
b) Unvermögen (anfgl Stip)<br />
In einer spätklassischen Monographie über die Stipulation heißt es weiter:<br />
Wenn ich mir etwas habe von jemandem versprechen lassen, stipulatus sim, der die Leistung nicht<br />
erbringen kann, efficere non possit, die jedoch einem anderen möglich ist, alio possibile sit, dann ist die<br />
Verbindlichkeit richtig begründet worden, iure factam obligationem... 275<br />
Erklärung, dass ja bei subjektivem Unvermögen die Sache durchaus in rerum natura ist. Zusammenstellung bei<br />
Rabel 276<br />
.<br />
Vgl. Ven. 45, 1, 137, 4 und 5.<br />
Also das heute sogenannte anfängliche Unvermögen 277<br />
entlastet den Stipulationsschuldner auch in Rom nicht 278<br />
.<br />
Wirksam ist die Stipulation, obwohl die versprochene Sache einem <strong>Dr</strong>itten gehört oder obwohl der Schuldner<br />
wegen Geldmangels die Leistung nicht <strong>zu</strong> erbringen vermag 279<br />
. Auf diese Äußerung 280<br />
werden fast 2000 Jahre<br />
271<br />
"impossibile" (Ulp. D. 50, 17, 31); "impossibilis promissio" (C. 8, 37, 8); possibilis (Ven. D. 45, 1, 137, 5). Zu<br />
"impossibilis" Wollschläger, S. 15 f.<br />
272<br />
273<br />
274<br />
275<br />
"dari non possit/ potest" (Gai. 3, 97/ 99; Gai. D. 47, 7, 1, 9; Ven. D. 45, 1, 137, 5).<br />
PS 3, 6, 7.<br />
D. 45, 1, 103.<br />
Ven. D. 45, 1, 137, 5, Sabinus scribit. Da<strong>zu</strong> Medicus, SZ 86, 83 und 100; Wollschläger, S. 9 f. Kann vielleicht<br />
kontrovers gewesen sein, vielleicht <strong>zu</strong> einer bestimmten Zeit.<br />
276<br />
277<br />
Rabel, Origine, S. 508 ff.<br />
Medicus, SZ 86, 82 ff.: In den überlieferten Beispielsfällen kann niemand die versprochene Leistung erbringen.<br />
Der Fall, dass der Schuldner hier<strong>zu</strong> unfähig ist, andere aber das Versprechen erfüllen könnten, wird kaum<br />
erörtert.<br />
278<br />
Paul. D. 45, 1,35 pr.: Wenn ich mir etwas stipuliere, das geschehen werde, was die Natur als Ereignis nicht erlaubt,<br />
dann ist die Verbindlichkeit ebensowenig beständig... Es sei denn, es liege an dem Schuldner, dass er das<br />
Versprochene nicht machen kann.<br />
279<br />
Ven. D. 45 (!), 1, 137: § 4. Es ist nunmehr <strong>zu</strong> untersuchen, ob derjenige, welcher hundert Goldstücke <strong>zu</strong> geben<br />
versprochen hat, sogleich gehalten ist... Wie aber, wenn er das Geld weder <strong>zu</strong> Hause hat, noch sogleich einen<br />
Geldgeber findet? Doch sind dies nicht in der Natur der Sache liegende Hindernisse, sondern sie beziehen sich<br />
auf die persönliche Fähigkeit <strong>zu</strong>m Geben. Es ist aber die persönliche Fähigkeit ein Vorteil oder Nachteil für die<br />
Person und geht hingegen nicht die versprochene Sachen selbst an... Und im allgemeinen gehört die Ursache der<br />
Schwierigkeit <strong>zu</strong> dem Nachteile in der Person des Versprechenden, nicht <strong>zu</strong> den Hindernissen in der Person des<br />
Stipulationsgläubigers. Denn sonst könnte man ja so weit gehen <strong>zu</strong> behaupten, auch der könne nicht geben, welcher<br />
einen fremden Sklaven, den der Herr nicht verkaufen mag, <strong>zu</strong> geben versprochen hat.<br />
280<br />
Isbesondere D. 45, 1, 137, §§ 4 und 5.<br />
30. September 2011<br />
127
später <strong>zu</strong>erst Savigny, dann auch Friedrich Mommsen <strong>zu</strong>rückgreifen und damit den Boden für § 306 BGB vorbereiten<br />
281<br />
.<br />
c) Difficultas<br />
Verkaufter Sklave in hostium potestate: Verkauf zwar ws, aber solange keine Verurteilung des V 282<br />
.<br />
2. Kauf<br />
a) Anfängliche Unmöglichkeit (Kauf)<br />
So klar das Bild der Stipulation war - anfängliche Unmöglichkeit bedeutet Nichtigkeit -, so widesprüchlich ist<br />
die Darstellung des Kaufs:<br />
Zum Kauf-Vertrag über eine Sache, die gar nicht existiert, weil es sie nie gegeben hat oder weil sie bei Vertragsschluss<br />
bereits wieder untergegangen ist, gibt es die generalisierende Äußerung<br />
Wenn eine Einigung über den Kaufgegenstand vorgelegen hat, dieser jedoch vor Vertragsschluss untergegangen<br />
ist, ist der Kauf ungültig, nulla emptio est 283<br />
.<br />
Ausführlich wird das Ganze am Beispiel eines Hauses durchgespielt, das vor Verkauf abgebrannt ist, die domus<br />
combusta: ist es ganz abgebrannt, ist der Kauf unwirksam, ist es<br />
nur halb oder noch weniger abgebrannt, ist der Kauf wirksam etc., außerdem kommt es für Wirksamkeit,<br />
Leistungs- und Ersatzpflichten auf die Kenntnis des Verkäufers oder Käufers an 284<br />
. Ähnlich sind die klassischen<br />
Ausführungen <strong>zu</strong>m Verkauf eines Olivenhains 285<br />
.<br />
Der Verkauf einer hereditas inexistens ist unwirksam 286<br />
, während der Verkauf einer Erbschaft, die zwar existiert,<br />
aber einem <strong>Dr</strong>itten <strong>zu</strong>steht, wirksam ist, aber die Haftung des Verkäufers auslöst 287<br />
. Wohingegen der Verkauf einer<br />
nicht existenten Forderung wirksam sein soll 288<br />
.<br />
Als Erklärung für die Unwirksamkeit wegen Unmöglichkeit wird heut<strong>zu</strong>tage angeführt, dass, vielleicht ausgehend<br />
vom Barkauf, Kaufgegenstand 289<br />
und Kaufpreisvereinbarung <strong>zu</strong> den unverzichtbaren Essentialia negotii<br />
gehörten.<br />
Befand sich der verkaufte Sklave in Feindesgewalt, so war die Leistung bis <strong>zu</strong> seiner Rückkehr ausgesetzt 290<br />
.<br />
KAPITEL 20. VERKEHRSUNFÄHIGE SACHEN = RES EXTRA COMMERCIUM<br />
1. Inst. Iust. 2, 1: „außerhalb der einzelnen Vermögen<br />
= extra nostrum patrimonium“, Inst. Iust. 2, 1 pr.<br />
281<br />
282<br />
Wollschläger, S. 130.<br />
Pomp. D. 19, 1, 55; wahrscheinlich itp., aber wirkungsgeschichtlich bis Ende 19. Jh. ws.; Jakobs, S. 132 Anm.<br />
57.<br />
283<br />
Paul. D. 18, 1, 15 pr.<br />
284<br />
Paul. D. 18, 1, 57.<br />
285<br />
286<br />
287<br />
288<br />
289<br />
290<br />
Pap. D. 18, 1, 58.<br />
D. 18, 4, 8; 18, 4, 1; 18, 4, 7.<br />
Tit. D. 18, 4, 7 + 8 + 9, sowie fr. 10 - 13.<br />
D. 18, 4, 4 und 5; Medicus, Id quod interest, S. 167 f.<br />
D. 18, 1, 8 pr.: ohne Kaufgegenstand kein Kaufvertrag. Medicus, SZ 86, 95 f.; Wollschläger, S. 12.<br />
D. 19, 1, 55.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
128
2. Einzelfälle nach Gaius / Iustinian:<br />
- Inst. 2, 1, 1: allen gemeinsame Sachen, wie Luft,fließendes Wasser, Meer<br />
- Inst. 2, 1, 6: Einrichtungen in Städten, wie Theater<br />
- Inst. 2, 1, 7: Res sacrae, res religiosae, res sanctae, nämlich<br />
sakrale = geheiligte Sachen - res sacrae, insbes. Tempel, später Kirchen<br />
religiose Sachen – res religiosae, insbes. Grabstätte<br />
(wichtig in vielen Digesten-Fragmenten)<br />
sakrosankte Sachen - res sanctae, insbes. Stadtmauern und –tore.<br />
3. Die Übereignung dieser Sachen<br />
- ist nach römischem Recht unmöglich und<br />
- kann wohl nicht verlangt werden.<br />
4. Stipulation über res extra commercium war wahrscheinlich unwirksam.<br />
Die Hauptzeugnisse sind aber nicht völlig eindeutig:<br />
291<br />
292<br />
1. Dig. 44.7.1.9. Gaius 2 aur. Si id, quod dari stipulemur, tale sit, ut dari non possit, palam est naturali<br />
ratione inutilem esse stipulationem, veluti si de homine libero vel iam mortuo vel aedibus deustis facta<br />
sit stipulatio inter eos, qui ignoraverint eum hominem liberum esse vel mortuum esse vel aedes<br />
deustas esse. idem iuris est, si quis locum sacrum aut religiosum dari sibi stipulatus fuerit.<br />
Wenn eine Sache <strong>zu</strong> geben (dari) stipuliert worden ist, die nicht gegeben werden kann, dann ist aufgrund naturgemäßer Vernunft<br />
die Stipulation ohne Zweifel rechtsunwirksam. So ist es <strong>zu</strong>m Beispiel, wenn eine Stipulation über einen freien Menschen,<br />
über einen bereits verstorbenen Sklaven oder ein abgebranntes Haus abgeschlossen worden ist, falls die Beteiligen nicht<br />
gewusst haben, dass der Mensch frei, der Sklave bereits tot, das Haus abgebrannt ist. Dasselbe ist Rechtens, wenn jemand einen<br />
Tempelplatz oder einen Begräbnisplatz stipuliert hat. 291<br />
Zu bemerken, dass Gaius<br />
einschränkend schreibt, „Kenntnis der Stipulationsparteien = inter eos, qui ignoraverint eum<br />
hominem liberum esse vel mortuum esse vel aedes deustas (verbrannt) esse.“<br />
Wahrscheinlich <strong>zu</strong> argumentieren: wenn sogar Stipulation für gutgläubigen Gläubiger unwirksam ist,<br />
dann erst recht für bösgläubigen.<br />
Gaius’ Begründung: offensichtlich – nach naturgemäßer Vernunft.<br />
2. Dig. 45.1.103. Modestinus 5 pand. Liber homo in stipulatum deduci non potest, quia nec dari oportere<br />
intendi nec aestimatio eius praestari potest, non magis quam si quis dari stipulatus fuerit mortuum<br />
hominem aut fundum hostium.<br />
Zu bemerken, dass Modestin<br />
1. nur „Scheinsklaven = homo liber“ nennt, und<br />
2. dass seine beiden anderen Fälle sich der tatsächlichen Unmöglichkeit nähern,<br />
3. während die wichtigen Fälle der res publica und der res religiosa fehlen.<br />
Aber Modestin gibt Begründungen:<br />
1. Diese Stipulation betreffe keine wirkliche Verbindlichkeit,<br />
2. eine Wertschät<strong>zu</strong>ng (für den Prozess) sei nicht möglich.<br />
3. Inst. Iust. 3, 19, 1. At si quis rem quae in rerum natura non est aut esse non potest dari stipulatus<br />
fuerit, veluti Stichum, qui mortuus sit, quem vivere credebat, aut hippocentaurum, qui esse non<br />
possit, inutilis erit stipulatio.<br />
Inst. Iust. 3, 19, 2. Idem iuris est, si rem sacram aut religiosam, quam humani iuris esse credebat, vel<br />
publicam, quae usibus populi perpetuo eita sit, ut forum vel theatrum, vel liberum hominem, quem<br />
servum esse credebat, vel rem cuius commercium non habuit, vel rem suam, dari quis stipuletur... 292<br />
Nicht in Casebooks.<br />
Vgl. Gai. 3, 97 – 99.<br />
30. September 2011<br />
129
Inst. 3, 19, 1. Auch wenn jemand stipuliert hat, dass eine Sache, die in der Natur nicht existiert oder gar nicht existieren kann,<br />
gegeben werde, z. B. den Sklaven Stichus, der schon gestorben ist, den er aber für noch lebend hielt, oder einen Pferdmenschen,<br />
der gar nicht existieren kann, ist die Stipulation unwirksam.<br />
2. Dasselbe gilt, wenn jemand stipuliert, dass ihm eine geweihte Sache oder eine Begräbnisstätte, die der Stipulationsgläubiger<br />
als weltlich ansah, oder wenn eine öffentliche Sache, die auf immer dem Volksgebrauch gewidmet ist, wie der<br />
Marktplatz oder das Theater, oder wenn ein freier Mensch, den jemand für einen Sklaven hielt, oder eine Sache, deren Verwendung<br />
ihm nicht <strong>zu</strong>stand, oder seine eigene Sache, gegeben werde...<br />
Auch die Institutionen erwähnen, dass der Gläubiger gutgläubig ist.,<br />
so dass man auf das Argument angewiesen ist,<br />
dass bösgläubiger Gläubiger (d. h. welcher Kenntnis hatte)<br />
erst recht nicht wirksam stipulieren kann 293<br />
.<br />
5. Heute ist hinsichtlich Kaufvertrages unklar,<br />
- ob der Kaufvertrag unwirksam war<br />
- und/oder ob eine der Parteien gegen die andere<br />
irgendwelche Geld- oder Rückgewähransprüche hatte,<br />
- und ob es hierfür auf Kenntnis oder Unkenntnis der Parteien ankam.<br />
6. Die überlieferten Texte sprechen<br />
1. entweder generalisierend<br />
2. oder behandeln nur einen Scheinsklaven, liber homo,<br />
3. oder ein Grundstück, das in Wirklichkeit ein Begräbnisplatz ist,<br />
locus religiosus 294<br />
.<br />
7. Die heutige Unklarheit mag vielleicht<br />
aus der Entwicklung des Rechts in klassischer Zeit, aus klassischen Kontroversen<br />
oder aus nachklassischen oder byzantinischen Veränderungen (u. a. Interpolationen)<br />
<strong>zu</strong> erklären sein 295<br />
.<br />
8. Folgende Hauptstellen:<br />
1. Dig. 18, 1, 4. Pomponius 9 ad Sab. Et liberi hominis et loci sacri et religiosi, qui haberi non potest,<br />
emptio intellegitur, si ab ignorante emitur,<br />
293<br />
294<br />
D. 18, 1, 4. Auch der Kauf eines freien Menschen und eines geweihten Ortes und einer Begräbnisstätte, die man nicht besitzen<br />
kann, ist anerkannt, wenn der Käufer es nicht weiß,<br />
Dig. 18, 1, 5. Paulus 5 ad Sab. Quia difficile dinosci potest liber homo a servo.<br />
Weil ein freier Mann von einem Sklaven nur schwer unterschieden werden kann.<br />
2. Dig. 18, 1, 6 pr. Pomponius 9 ad Sab. Sed Celsus filius ait hominem liberum scientem te emere non<br />
posse nec cuiuscumque rei si scias alienationem esse: ut sacra et religiosa loca aut quorum commercium<br />
non sit, ut publica, quae non in pecunia populi, sed in publico usu habeatur, ut est campus Martius.<br />
D. 18, 1, 6 pr. Aber Celsus der Sohn sagt, dass du wissentlich einen freien Menschen nicht kaufen kannst und dass auch die<br />
Veräußerung einer anderen Sache nicht an<strong>zu</strong>erkennen sei, wenn du es weißt...<br />
Wie ist es hinsichtlich Kenntnis des Schuldners?<br />
Cels.-Pomp. D. 18, 1, 6 pr. (Umkehrschluss?); Mod. D. 18, 1, 62, 1 (emptio non teneat - ex empto tamen); Licinnius<br />
Rufinus D. 18, 1, 70 (wirksam); Iul. D. 21, 2, 39, 3 (Rechtsmangel wegen homo liber); Ulp. D. 11, 7,<br />
8, 1: a. in factum; Inst. Iust. 3, 23, 5 (frustra emit - actionem ex empto).<br />
295<br />
Heute sehr str., für Unwirksamkeit von Stipulation und Kaufvertrag, wenn auch differenzierend: Kaser I S.<br />
490, S. 549 m. Anm. 40 und 41.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
130
3. Dig. 18.1.70. Licinnius Rufinus 8 reg. Liberi hominis emptionem contrahi posse plerique existimaverunt,<br />
si modo inter ignorantes id fiat.<br />
quod idem placet etiam, si venditor sciat, emptor autem ignoret.<br />
quod si emptor sciens liberum esse emerit, nulla emptio contrahitur.<br />
Dass der Kauf eines freien Menschen gültig sein kann, war die Meinung der meisten Juristen, sofern freilich die Vertragspartner<br />
seinen Status nicht kennen. Das ist auch dann herrschende Lehre, wenn der Verkäufer davon Kenntnis hat, der Käufer sich<br />
jedoch in Unkenntnis befindet. Wenn allerdings der Käufer wusste, dass er einen Freien kaufte, kommt kein Kaufvertrag <strong>zu</strong>stande.<br />
4. Dig. 18.1.62.1. Modestinus 5 reg. Qui nesciens loca sacra vel religiosa vel publica pro privatis comparavit,<br />
licet emptio non teneat, ex empto tamen adversus venditorem experietur, ut consequatur quod<br />
interfuit eius, ne deciperetur.<br />
D. 18, 1, 62, 1. Wer unwissentlich geweihte Orte oder Begräbnisstätten oder öffentliche Plätze an Stelle von privaten gekauft<br />
hat, hat eine Kaufklage gegen den Verkäufer, obwohl der Kauf nicht wirksam ist, um Ersatz für das Interesse <strong>zu</strong> erlangen, dass<br />
er nicht getäuscht werde.<br />
5. Inst. Iust. 3, 23, 5. Loca sacra vel religiosa, item publica, veluti forum, basilicam, frustra quis sciens<br />
emit, quas tamen si pro privatis vel profanis, deceptus a venditore, emerit, habebit actionem ex<br />
empto, quod non habere ei liceat ut consequatur quod sua interest deceptum eum non esse. idem iuris<br />
est, si hominem liberum pro servo emerit.<br />
9. M. E. liefern die überlieferten Fragmente das folgende Bild 296<br />
:<br />
Gewiss für alle Varianten:<br />
keine Übereignung möglich (fraglich, ob Besitzverschaffung möglich),<br />
Gegenleistung Preis ist aber möglich,<br />
Schadenersatzpflicht des V ist auch möglich.<br />
Über Zahlungsanspruch des V gegen K wird nichts gesagt.<br />
296<br />
1. Nach Theorie I: immer unwirksam; arg. 18, 1, 70 Satz 1: „plerique ... placet“.<br />
2. Nach Theorie II kommt es auf Kenntnis von V und K an:<br />
1. Wenn es V nicht weiß und wenn K nicht weiß: wirksam; 18, 1, 70 Satz 1.<br />
(2. Wenn es V nicht weiß und K weiß, unwirksam).<br />
3. Wenn es V weiß und wenn K weiß: unwirksam; 18, 1, 70 Satz 3.<br />
4. Ohne Hinweis auf Unkenntnis oder Kenntnis des V, aber wenn K weiß,<br />
unwirksam: 18, 1, 6 pr.; Inst. Iust. 3,23, 5.<br />
5. Wenn es V weiß und wenn K nicht weiß: wirksam; 18, 1, 70 Satz 2;<br />
6. Ohne Hinweis auf Unkenntnis oder Kenntnis des V, aber wenn K nicht weiß,<br />
wirksam: 18, 1, 4 und 5.<br />
Einfacher:<br />
1., 5., 6. Wenn K nicht weiß: wirksam,<br />
2., 3., 4. Wenn K weiß: unwirksam.<br />
3. Nach „vermittelnder“, III., Theorie:<br />
Kaufvertrag ist in jedem Fall unwirksam.<br />
Aber trotzdem a. empti K gegen V, wenn V weiß und K nicht weiß; 18, 1, 62, 1;<br />
s. auch Inst. Iust. 3, 23, 5: frustra...emit.<br />
Damit weitgehend übereinstimmend: Kauf einer gestohlenen Sache, Pomp.-Paul. D. 18, 1, 34, 3: (a) wenn nur<br />
Verkäufer Kenntnis hatte, ist wirksam. (b) Wenn beide Kenntnis haben, ist unwirksam. (c) Wenn nur Käufer<br />
Kenntnis hatte, im Ergebnis ebenfalls unwirksam.<br />
30. September 2011<br />
131
10. Anspruch des Käufers gegen den Verkäufer auf<br />
- negatives Interesse oder<br />
- positives Interesse oder<br />
- Rückgewähr schon gezahlten Kaufpreises,<br />
je nach Kenntnis oder Unkenntnis des Käufers oder Verkäufers.<br />
11. Anspruch des Verkäufers eventuell auf Rückgewähr der Sache?<br />
12. Es gibt eine Reihe von Texten,<br />
die anscheinend die Abwicklung meinen, falls V an K bereits übertragen hatte:<br />
1. Dig.21.2.39.3. Iulianus 57 dig. Pater sciens filium suum quem in potestate habebat ignoranti emptori<br />
vendidit: quaesitum est, an evictionis nomine teneatur. respondit: qui liberum hominem sciens vel<br />
ignorans tamquam servum vendat, evictionis nomine tenetur: quare etiam pater, si filium suum tamquam<br />
servum vendiderit, evictionis nomine obligatur.<br />
D. 21, 2, 39, 3. Iul. 57 dig. Ein Vater hat wissentlich seinen Sohn, den er in seiner Gewalt hat, an einen Käufer, der dies nicht<br />
wusste, verkauft. Es fragt sich, ob er wegen Rechtsmangels (evictionis nomine) hafte. Der Jurist antwortete, wer wissentlich<br />
oder unwissentlich einen freien Menschen als Sklaven verkauft, hafte wegen Rechtsmangels. Daher werde der Vater, wenn er<br />
seinen Sohn als Sklaven verkauft hat, auf Grund Rechtsmangels verpflichtet.<br />
Rechtsmängelhaftung des V bei Unkenntnis des K.<br />
6. Dig. 11.7.8.1. Ulpianus 25 ad ed. Si locus religiosus pro puro venisse dicetur, praetor in factum actionem<br />
in eum dat ei ad quem ea res pertinet: quae actio et in heredem competit, cum quasi ex empto<br />
actionem contineat.<br />
Actio in factum, anscheinend für den Käufer gegen den Verkäufer.<br />
13. Im modernen Recht und in modernen Lehrbüchern <strong>zu</strong>m römischen Recht 297<br />
meistens abgehandelt unter<br />
Gesichtspunkt der „(anfänglichen) rechtlichen Unmöglichkeit“.<br />
Aber anscheinend hatten römische Juristen nicht diesen hohen Abstraktionsgrad.<br />
KAPITEL 21. ANFÄNGLICHES SUBJEKTIVES UNVERMÖGEN<br />
Das Rechtsgeschäft ist wirksam, selbst wenn Verkäufer nicht Eigentümer der Sache ist<br />
oder wenn er persönlich sie nicht liefern kann 298<br />
.<br />
KAPITEL 22. NACHTRÄGLICHE UNMÖGLICHKEIT<br />
Welche Rechtsfolge, wenn nach Vertragsschluss z. B. der verkaufte Sklave nicht mehr geliefert werden kann?<br />
Muss Verkäufer Schadenersatz leisten? Oder muss Käufer zahlen, ohne Sache <strong>zu</strong> erhalten?<br />
1. Frage stellt sich nur, wenn Kaufvertrag wirklich "perfekt" ist,<br />
nicht z. B. bei aufschiebend bedingtem Kauf (wohl aber bei auf-lösender Bedingung).<br />
2. Maßgeblich in erster Linie Parteivereinbarung<br />
oder besondere Handelsbräuche, z. B. beim Weinverkauf.<br />
297<br />
298<br />
Kaser/Knütel § 34.2.<br />
K I S. 549: Ulp. D. 18, 1, 28; Paul. D. 19, 1, 46. Zur gestohlenen Sache aber Paul. D. 18, 1, 34, 3.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
132
3. Wenn keine spezielle Vereinbarung, dann in Rom:<br />
Keine Haftung des Verkäufers für höhere Gewalt nach römischem Recht, vis maior, nämlich<br />
Schiffbruch, Feuer, bewaffnete Banden, natürlicher Tod des verkauften Sklaven.<br />
Verkäufer braucht nicht mehr <strong>zu</strong> leisten, wird von Leistungspflicht frei, keine Ersatzpflicht,<br />
also trägt Käufer die Leistungsgefahr (wie heute).<br />
4. Der Käufer muss trotzdem zahlen,<br />
er trägt außerdem die Preisgefahr = Gegenleistungsgefahr.<br />
Insoweit gilt die Regel:<br />
Die Gefahr trägt in Rom der Käufer, periculum emptoris. Wichtige Maxime des römischen Rechts,<br />
sehr wichtiger Unterschied <strong>zu</strong>m BGB (§ 446 a. F.).<br />
5. Anders als das moderne Recht,<br />
und wesentliche Einschränkung der Gefahrtragungslast des Käufers,<br />
ist die weitere Regel in Rom, dass der Verkäufer für "Wachsamkeit", custodia, haftet,<br />
genauer wohl: dass dem Verkäufer die Garantie für den Erfolg der Wachsamkeit obliegt 299<br />
.<br />
Es müsste eine derartige Sorgfalt ... wie sie ein allersorgfältigster Familienvater<br />
für seine Sachen anwendet, beachtet werden,<br />
talis diligentia,.. quam quisque diligentissimus paterfamilias<br />
suis rebus adhibet.<br />
Das bedeutet nicht, dass wirklich geprüft wird, ob der Verkäufer die Sache nicht genügend bewacht hätte.<br />
Sondern Haftung des Verkäufers für typische Risiken, wie<br />
- Diebstahl der verkauften Sache, oder<br />
- Flucht des verkauften Sklaven.<br />
Umgekehrt ist keine custodia-Haftung gegeben z. B. bei Feuersbrunst, Aufruhr, Räuberbanden<br />
oder Feinden 300<br />
.<br />
Wenn aber die Unmöglichkeit der Leistung nach Vertragsschluss<br />
auf custodia-Mangel in diesem Sinne beruht,<br />
dann gilt NICHT periculum emptoris, sondern:<br />
Käufer braucht nicht <strong>zu</strong> zahlen, aber auch keine Ersatzpflicht des Verkäufers.<br />
Aber Eintritt der custodia-Haftung des Verkäufers führt nur da<strong>zu</strong>,<br />
dass Verkäufer keinen Kaufpreis erhält,<br />
führt nicht etwa <strong>zu</strong> einer Schadenersatzpflicht des Verkäufers wegen Verlet<strong>zu</strong>ng der custodia.<br />
6. Nachträglich vom Verkäufer verschuldete Unmöglichkeit,<br />
d. h. mit Vorsatz, dolus, oder Fahrlässigkeit, culpa (im engeren Sinne):<br />
Schadenersatzpflicht des Verkäufers 301<br />
(wie §§ 280 ff. n. F.),<br />
im einzelnen – wie nicht anders <strong>zu</strong> erwarten - kontrovers 302<br />
.<br />
299<br />
300<br />
301<br />
302<br />
K I 506 ff., 508/39, 551: D. 18, 6, 3 und 4 etc.<br />
K I S. 508/31: Gai. D. 13, 6, 18 pr.<br />
D. 19, 1, 1 pr.<br />
Vgl. z. B. D. 19, 1, 54 pr.<br />
30. September 2011<br />
133
6. Also in diesem Zusammenhang Probleme der<br />
- Unmöglichkeit, und zwar der nachträglichen,<br />
- Gefahrtragung, periculum emptoris,<br />
Leistungsgefahr / Preisgefahr,<br />
- custodia-Haftung des Verkäufers<br />
- "Vertretenmüssen".<br />
7. Lesen Sie Inst. 3, 23, 3<br />
1. Was verstehen die Institutionen unter dem periculum rei venditae?<br />
2. Wen trifft dieses periculum?<br />
3. Wann geht die Gefahr über?<br />
4. Welche Regel ist <strong>zu</strong> vermuten, falls den Verkäufer Vorsatz oder Fahrlässigkeit,<br />
dolus oder culpa, an der Verschlechterung oder dem Untergang der Kaufsache trifft?<br />
5. Was gilt vor dem Gefahrübergang?<br />
6. Was versteht das BGB unter Gefahrtragung?<br />
7. Wie regelt das BGB die Gefahrtragung? Warum?<br />
Ausdrücke<br />
Casus Zufall, Fall, Ereignis<br />
culpa Schuld allgemein, Fahrlässigkeit<br />
custodia Bewachung, besondere Haftung<br />
diligentia Sorgfalt<br />
diligentia quam suis rebus adhibere solet Sorgfalt in eigenen Angelegenheit<br />
dolus Arglist, Vorsatz<br />
periculum Gefahr.<br />
KAPITEL 23. KAUFKLAGE = ACTIO EMPTI<br />
1. Klage des Käufers gegen Verkäufer hauptsächlich auf Lieferung, a. empti.<br />
Musterformel im prätorischen Edikt: „Weil der Kläger Aulus Agerius von dem Beklagten Numerius Negidius<br />
den Sklaven Stichus gekauft hat, was deswegen Numerius Negidius dem Aulus Agerius geben und tun<br />
muss nach guter Treue, da<strong>zu</strong>, Richter, verurteile den Numerius Negidius <strong>zu</strong> Gunsten des Aulus Agerius,<br />
andernfalls sprich ihn frei“.<br />
Quod Aulus Agerius de Numerio Negidio hominem Stichum emit, quidquid ob eam rem Numerium Negidium<br />
Aulo Agerio dare facere opertet ex fide bona, eius iudex Nm. Nm. Ao. Ao. condemnato, si non paret,<br />
absolvito 303<br />
.<br />
2. Vor allem gerichtet auf Lieferung der Ware.<br />
KAPITEL 24. RECHTSMÄNGEL<br />
1. Käufer hat Anspruch gegen Verkäufer auf Besitzverschaffung an der verkauften Sache,<br />
actio empti,aber keinen Anspruch auf Eigentumsverschaffung 304<br />
.<br />
303<br />
K I 551/48.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
134
2. Kaufvertrag über fremde Sache ist grundsätzlich (schuldrechtlich) wirksam.<br />
3. Wenn der Verkäufer dem Käufer den Besitz an der Sache nicht beschafft<br />
oder auch nicht beschaffen kann, weil sie einem anderen gehört oder weil er sie nicht in Besitz hat,<br />
schuldet er Schadenersatz<br />
- wegen anfänglichen Unvermögens<br />
- oder gegebenenfalls wegen nachträglicher Unmöglichkeit in den Fällen des Verschuldens<br />
- oder auch wegen Schuldnerver<strong>zu</strong>ges, mora.<br />
4. Kein sogenanntes Verschaffungsprinzip.<br />
Infolgedessen kein Anspruch des Käufers mit der bloßen Begründung,<br />
dass der Käufer nicht Eigentümer geworden sei.<br />
5. Aber umgekehrt ist Haftung wegen Rechtsmängeln im römischen Recht besonders wichtig,<br />
weil kein gutgläubiger Erwerb (sondern nur Ersit<strong>zu</strong>ng, aber diese gerade nicht an gestohlenen Sachen).<br />
304<br />
305<br />
306<br />
307<br />
308<br />
309<br />
310<br />
Wenn dem Käufer der ungestörte Besitz und Genuß auf Grund dinglichen Rechts<br />
mittels dinglicher Klage, actio in rem, entzogen wurde, „evictus fuerit“,<br />
z. B. auf Grund Eigentums oder Pfandrechts eines <strong>Dr</strong>itten,<br />
dann Rechte aus verschiedenen Wurzeln, sogenanntes Eviktionsprinzip.<br />
1. Actio auctoritatis (nicht mehr in den Digesten) auf den doppelten Preis, duplum,<br />
wenn res mancipi verkauft und manzipiert und Preis bezahlt oder kreditiert wurde 305<br />
.<br />
2. Stipulationsklage in Form der condictio, wenn Verkäufer bei Kaufvertrag<br />
besonderes Haftungsversprechen mittels Stipulation abgegeben hat.<br />
Dabei aber sorgfältig auf den Inhalt der Stipulation achten:<br />
1. entweder stipulatio duplae, der a. auctoritatis nachgestaltet,<br />
2. oder Stipulation der erlaubten Innehabung, stipulatio habére licére,<br />
ursprüngliches Anwendungsgebiet vielleicht res nec mancipi,<br />
3. oder Stipulation 306<br />
, dass Verkäufer dem Käufer das Eigentum verschaffen werde 307<br />
.<br />
Praktischer Vorteil der Stipulationen: ausdrückliche und ziemlich genau umschriebene<br />
Haftung des V,<br />
praktischer Nachteil: erfordert ausdrückliches Rechtsgeschäft.<br />
3. Auf Grund der bona-fides-Klausel der actio empti 308<br />
, und zwar<br />
1. man könnte sagen als "Nachholeklage" in bestimmten Fällen 309<br />
Klage auf Abschluss der stipulatio duplae oder der stipulatio habere licere 310<br />
.<br />
2. Direkt auf Schadenersatz 311<br />
K I S. 550: D. 18, 1, 25, 1; 19, 1, 11 pr. - 2; 19, 1, 30, 1; 19, 4, 1 pr.<br />
K I § 131 I 2.<br />
Dieses ist wohl Rabels "stipulatio simpla".<br />
Ulp. D. 18, 1, 25, 1.<br />
Iul. D. 21, 2, 8; Iul.-Afr. D. 19, 1, 30, 1; Iav. D. 21, 2, 60.<br />
Ulpl. D. 21, 2, 37, 1 (res pretiosiores); Gai. D. 21, 2, 6 (Grundstücksgeschäfte je nach Region).<br />
Quellen bei Honsell, S. 21 f.<br />
30. September 2011<br />
135
1. immer bei Arglist des Verkäufers bei Vertragsschluß,<br />
insbesondere wenn er wissentlich fremde oder belastete Sache verkauft hat 312<br />
,<br />
2. bei formloser Zusicherung der Freiheit von Rechtsmängeln,<br />
auch wenn hierfür nicht die Form der Stipulation,<br />
3. seit Iulian (etwa 150 n. Chr.) in allen Eviktionsfällen,<br />
auch ohne Arglist, Stipulation oder Zusicherung.<br />
6. Parteien können Rechtsmängelhaftung vertraglich ausschließen 313<br />
.<br />
Keine Haftung des Verkäufers, wenn Käufer Mangel kannte.<br />
7. Digesten Buch 21, Titel 2, Fragment 8. Iulian im 15. Buch der Digesten. Der Verkäufer eines Sklaven muß<br />
dem Käufer soviel Ersatz leisten, wie sein Interesse daran beträgt, dass der Sklave im Eigentum des Verkäufers<br />
gestanden hat. Deswegen kann man auf Grund des Kaufvertrages klagen, wenn ein Sklavenkind<br />
oder eine Erbschaft, die der Sklave auf Anordnung des Käufers angetreten hat, evinziert worden ist. Und<br />
ebenso wie der Verkäufer verpflichtet ist, für den ungestörten Besitz an dem Sklaven, den er verkauft hat,<br />
ein<strong>zu</strong>stehen, so muß er dem Käufer auch für den Besitz jener Sachen einstehen, die durch jenen erworben<br />
werden konnten.<br />
D. 21, 2, 8 (Iulianus libro quinto decimo digestorum). Venditor hominis emptori praestare debet, quanti<br />
eius interest hominem venditoris fuisse. quare sive partus ancillae sive hereditas, quam servus iussu emptoris<br />
adierit, evicta fuerit, agi ex empto potest: et sicut obligatus est venditor, ut praestet licere habere<br />
hominem quem vendidit, ita ea quoque quae per eum adquiri potuerunt praestare debet emptori, ut habeat.<br />
Zur Erklärung: der partus ancillae ist ein Sklavenkind.<br />
Besondere Fragen <strong>zu</strong> dieser Stelle<br />
1. In wessen Eigentum muß der verkaufte Sklave gestanden haben, in welchem Zeitpunkt?<br />
2. In wessen Eigentum steht nach Ihrer Ansicht ein Sklavenkind?<br />
3. Wofür muß der Verkäufer einstehen, wofür nicht?<br />
4. Was bedeutet es, dass der Verkäufer für einen bestimmten Umstand einstehen muß, praestare debet?<br />
KAPITEL 25. SACHMÄNGEL<br />
Rechtsgrundlagen für die römische Sachmängelhaftung 314<br />
1. Ursprünglich Haftung für <strong>zu</strong>gesicherte Grundstücksgröße, actio de modo agri;<br />
in den Digesten geringere Bedeutung.<br />
2. Stipulationsklage auf Grund besonderen Haftungsversprechens des Verkäufers<br />
für Fehlerfreiheit der Sache 315<br />
.<br />
3. Auf Grund des Edikts der kurulischen Ädilen 316<br />
, beim Marktkauf von Sklaven oder Zugtieren,<br />
311<br />
312<br />
313<br />
314<br />
315<br />
316<br />
"Interessefunktion" der a. empti, nach Rabel.<br />
Iul.-Afr. D. 19, 1, 30, 1.<br />
S. auch D. 21, 2, 37 pr.<br />
K I S. 557 ff.; K, Ausgewählte Schriften II, 313ff.<br />
Ulp. D. 21, 2, 31.<br />
D. 21, 1, 1, 1: Aiunt aediles: Qui mancipia vendunt certiores faciant emptores quid morbi vitiive cuique sit,<br />
quis fugitivus errove sit noxave solutus non sit....sive adversus quod dictum promissumve fuerit cum veniret,<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
136
sogen. ädilizische Rechtsbehelfe,<br />
mit Alternative nach Wahl des Käufers<br />
1. Klage des Käufers auf Abschluss einer Garantiestipulation,<br />
mittels deren Verkäufer für Abwesenheit von Mängeln garantiert 317<br />
.<br />
Falls sich dann später entegegen Garantie Mangel zeigt,<br />
hat K Stipulationsklage gegen V.<br />
2. Auch ohne Garantiestipulation,<br />
falls sich nach Kauf Mangel zeigt,<br />
steht dem K wiederum Alternative offen, K kann klagen entweder auf<br />
1. Wandlung, actio redhibitoria, oder auf<br />
2. Minderung, actio quanti minoris,<br />
und zwar<br />
1. wegen Nichtanzeige bestimmter Mängel,<br />
z. B. Kankheiten des verkauften Sklaven oder Tieres, oder<br />
2. unrichtiger Erklärungen 318<br />
oder<br />
3. sonstiger Arglist des Verkäufers.<br />
4. Actio empti auf Schadenersatz, und zwar<br />
1. immer bei Arglist des Verkäufers bei Vertragsschluß,<br />
insbesondere wenn er wissentlich fehlerhafte Sache verkauft hat,<br />
2. bei formloser Zusicherung<br />
- der Fehlerfreiheit der Ware oder<br />
- sonstiger Umstände 319<br />
,<br />
5. Seit Iulian (etwa 150 n. Chr.) a. empti zwecks Wandlung oder Minderung ohne Verschulden,<br />
auch auf Grund Kaufes anderer Sachen als Sklaven oder Zugtiere, auch außerhalb Marktes.<br />
Als Sachmangel (!) eines Sklaven gilt u. a. die Belastung mit einer Noxalhaftung wegen unerlaubter Handlung<br />
(s. u.).<br />
Digesten Buch D. 19, Titel 1, Fragment 13, am Anfang. Ulpian im 32. Buch des Kommentars <strong>zu</strong>m Edikt. Iulian<br />
unterscheidet im 15. Buch bezüglich der Verurteilung aus der Kaufklage zwischen demjenigen, der wissentlich,<br />
und demjenigen, der unwissentlich eine mangelhafte Sache verkauft hat. Er sagt nämlich, wenn jemand ein<br />
krankes Tier oder einen faulen Balken verkauft und dieses unwissentlich getan hat, müsse er nur soviel auf<br />
Grund der Kaufklage leisten, wie ich weniger bezahlt hätte, wenn ich die Sachlage gekannt hätte. Wenn aber der<br />
Verkäufer wissentlich geschwiegen und den Käufer getäuscht hat, müsse er alle Schäden ersetzen, die der Käufer<br />
auf Grund des Kaufes erlitten hat: Wenn also ein Haus wegen des Fehlers des Balken eingestürzt ist, muß der<br />
Schätzwert des Hauses gezahlt werden, oder wenn Vieh durch Ansteckung mit dem kranken Tier gestorben ist,<br />
muß das gezahlt werden, was es wert gewesen wäre, dass gesunde Tiere verkauft werden.<br />
fuisset, quod eius praestari opportere dicetur, emptori ... iudicium dabimus ... hoc amplius si quis adversus ea<br />
sciens dolo malo vendidisse dicetur..."<br />
317<br />
318<br />
319<br />
Weitere Einzelheiten Kaser-Knütel § 41 Rdnr. 43.<br />
D. 21, 1, 19, 2: Dicta et promissa. Dieses dictum in venditione <strong>zu</strong> unterscheiden vom dictum in mancipio.<br />
ZB D. 19, 1, 53 pr.: Erklärung des Grundstücksverkäufers über Mietzinseinnahmen.<br />
30. September 2011<br />
137
D 19, 1, 13 pr. (Ulpianus libro trigesimo secundo ad edictum). Iulianus libro quinto decimo inter eum, qui sciens<br />
quid aut ignorans vendidit, differentiam facit in condemnatione ex empto: ait enim, qui pecus morbosum aut tignum<br />
vitiosum vendidit, si quidem ignorans fecit, id tantum ex empto actione praestaturum, quanto minoris essem<br />
empturus, si id ita esse scissem: si vero sciens reticuit et emptorem decepit, omnia detrimenta, quae ex ea<br />
emptione emptor traxerit, praestaturum ei: sive igitur aedes vitio tigni corruerunt, aedium aestimationem, sive<br />
pecora contagione morbosi pecoris perierunt, quod interfuit idonea venisse erit praestandum.<br />
Text: D. 19, 1, 13 pr.<br />
Ausdrücke<br />
Actio quanti minoris Minderungs-klage und -anspruch<br />
a. redhibitoria Wandlungs-klage und -anspruch.<br />
KAPITEL 26. EXKURS: SCHENKUNG = DONATIO 320<br />
1. Die Schenkung ist in allen Rechtsordnungen einerseits besonders wichtig;<br />
andererseits leicht verdächtig, weil scheinbar ohne Gegenleistung;<br />
und schließlich gefährlich wegen der Gefahr der später bereuten Augenblicksentscheidung.<br />
2. Im klassischen römischen Recht kein eigentlicher Vertragstyp 321<br />
,<br />
häufiger Fehler der Studierenden, die Schenkung in einem Digestenfragment als „Vertrag“ <strong>zu</strong> behandeln,<br />
sondern eine „Zuwendung“ (Kaser).<br />
1. Ausgangsfall für die „Zuwendung“ ist die Übereignung einer Sache.<br />
2. Zuwendung kann auch Vorgang des Obligationenrechts sein wie<br />
Leistungsversprechen in Stipulationsform,<br />
Abtretung einer Forderung (meistens im Wege der Delegation),<br />
Erlass, Zahlung einer fremden Schuld,<br />
3. oder sonstiger rechtlicher Vorgang wie Ausschlagung einer Erbschaft,<br />
4. oder tatsächlicher Vorgang wie Bewirtschaftung eines Landguts, Gebäudeerichtung.<br />
3. Zuwendung muss unentgeltlich sein, da<strong>zu</strong> animus donandi des Schenkers 322<br />
.<br />
4. Aber wichtig als Rechtsgrund<br />
1. für das Behaltendürften einer Leistung,<br />
gewissermaßen <strong>zu</strong>r Abwehr einer condictio indebiti.<br />
2. Wichtig auch als Rechtsgrund im Sachenrecht<br />
- für die traditio und<br />
- für die Ersit<strong>zu</strong>ng „pro donato“ (s. u.).<br />
- Auch mancipatio 323<br />
und in iure cessio 324<br />
konnten von früher Zeit an auch <strong>zu</strong>m Zwecke einer Schenkung erfolgen.<br />
5. Sehr streng beachtetes Schenkungsverbot unter Ehegatten<br />
320<br />
321<br />
K I § 140, S. 601 ff.<br />
Kaser-Knütel § 47/3 – 5: Daher fraglich die Einordnung in das System. Bei Justinian das Schenkungsversprechen<br />
als selbständig obligierender, durch Konsens begründeter contracatus, pactum legitimum. – M. E. könnte<br />
man vielleicht bei Konstantin einen Realakt annehmen, vielleicht.<br />
322<br />
323<br />
324<br />
K I § 58 I 4,S. 237; § 140 I 1, S. 601.<br />
K I § 9 III 1, S. 46; § 33 I 2, S. 133.<br />
K I § 10, S. 49.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
138
(an uxor in manu ohnehin praktisch unwirksam).<br />
6. Strenge Formvorschriften in nachklassischer Zeit durch Konstantin 325<br />
.<br />
7. Schenkung konnt mit einer Auflage an den Beschenkten verbunden werden 326<br />
.<br />
8. Schenkungs-Versprechen in klassischer Zeit nur als Stipulation wirksam.<br />
Ausdruck<br />
donare schenken.<br />
KAPITEL 27. LOCATIO CONDUCTIO 327<br />
1. Zustandekommen der locatio conductio, Inst. Iust. 3, 24 pr. Daher welcher Kontraktstyp?<br />
2. Gegenstände der locatio conductio.<br />
3. Worin stimmen Mietvertrag und Dienstvertrag (im modernen Sinne) überein?<br />
Worin unterscheiden sie sich?<br />
4. Worin stimmen Dienstvertrag und Werkvertrag (im modernen Sinne) überein?<br />
Worin unterscheiden sie sich?<br />
5. In Rom kein begrifflicher Unterschied zwischen Miete und Pacht.<br />
6. Der Vermieter stellt die Sache <strong>zu</strong>r Verfügung, daher locator und actio locati.<br />
7. Der Mieter führt die Mietsache mit sich fort, daher conductor und actio conducti.<br />
8. Begründet die locatio conductio ein dingliches Recht?<br />
9. Haftung des Vermieters / locataor für Sach- und Rechtsmängel.<br />
1 einheitlicher Vertragstyp, vereinigt in sich<br />
Miete und Pacht,<br />
Werkvertrag<br />
Dstvertrag.<br />
Locare = Hinstellen, conducere = mit sich mitführen,<br />
daher: Vermieter = locator, Mieter = conductor;<br />
Wohnungsmieter = inquilinus;<br />
Mietshaus = insula.<br />
Verpflichtung des locator, dem conductor die Sache für die Vertragszeit <strong>zu</strong>m Gebrauch und ggf. <strong>zu</strong>r Nut<strong>zu</strong>ng <strong>zu</strong><br />
überlassen und sie in dem dafür tauglichen Zustand erhalten. Bei schuldhafter Nichterfüllung: Schadenersatz,<br />
insbesondere, wenn <strong>Dr</strong>itter die Sache vom conductor evinziert.<br />
Werkbesteller = locator, W.-Unternehmer = conductor,<br />
Dienstleistender = locator, Dienstherr = conductor,<br />
325<br />
Kaser-Knütel § 7/28: wohl 323 n. Chr.: Beurkundung, Registrierung der Urkunde, Übergabe der Sache vor<br />
Nachbarzeugen.<br />
326<br />
Kaser I § 61 III, S. 259: Eine Schenkung kann mit einer Auflage verbunden werden, manchmal als condicio<br />
oder modus bezeichnet, etwa durch eine Abrede bei der mancipatio oder durch besondere stipulatio. Bei Verstoß<br />
gegen die Auflage manchmal condictio ob rem dati auf Rückgewähr der Schenkung. Gelegentlich actio utilis für<br />
Begünstigten gegen Beschenkten.<br />
327<br />
K I S. 563.<br />
30. September 2011<br />
139
se locare, operas suas locare = sich verdingen.<br />
Entgelt schuldet der conductor aus Miet- oder Dienstvertrag,<br />
der locator aus Werkvertrag.<br />
Entsprechende Klagen:<br />
a. locati des Vermieters, Dienstleistenden oder W.-Bestellers,<br />
a. conducti des Mieters, Dienstherrn, W.-Unternehmers.<br />
Mieter und Pächter sind in Rom nicht Besitzer i. e. S., also nicht possessor.<br />
Sie haben die Sache bloß inne, detenire, detentor.<br />
Infolgedessen kein Besitzschutz des Mieters oder Pächters durch Interdikte in Rom<br />
(umgekehrt werden gegen sie bei unberechtigter Besitzanmaßung Interdikte gewährt).<br />
"Logischerweise" folgt daraus Antwort auf die folgenden Fragen:<br />
1. Kann locator als Eigentümer wirksam verkaufen?<br />
2. ... übereignen?<br />
3. ... verpfänden (kein Unterschied in Rom zwischen Verpfändung bewegliche Sachen und Grundstücke)?<br />
4. Kann das conductor gegenüber locator verhindern?<br />
5. ... gegenüber <strong>Dr</strong>itten als neuem Eigentümer oder Pfandgläubiger?<br />
6. Zwischen wem ist ursprünglich die locatio conductio vereinbart worden?<br />
7. Ändern sich die Parteien der locatio conductio infolge Rechtsgeschäfts des Eigentümers mit <strong>Dr</strong>itten?<br />
8. Welche Rechte hat <strong>Dr</strong>itter als neuer Eigentümer oder Pfandgläubiger gegenüber condcutor?<br />
9. Jedenfalls hat conductor kein Verteidigungsrecht, z. B. keine exceptio, gegenüber <strong>Dr</strong>itten.<br />
10. Anspruch conductor gegenüber locator?<br />
In welchem Sinne kann man sagen: „Kauf bricht Miete“ in Rom?<br />
Übereignung des Mietobjekts vom Vermieter=Verkäufer führt da<strong>zu</strong>, dass neuer Eigentümer auf Grund seines<br />
Eigentums dem Mieter das Mietobjekt entziehen kann, weil neuer Eigentümer nicht durch Mietvertrag gegenüber<br />
dem Mieter verpflichtet ist.<br />
Aber ist Mieter völlig rechtlos?<br />
Digesten Buch 19, Titel 2, Fragment 25, Paragraph 1. Gaius im zehnten Buch des Kommentars <strong>zu</strong>m Provinzialedikt.<br />
Wer einem anderen ein Grundstück <strong>zu</strong>r Fruchtziehung verpachtet oder eine Wohnung vermietet hat und später<br />
aus irgendeinem Grund das Grundstück oder Gebäude (an einen <strong>Dr</strong>itten) verkauft, muß dafür sorgen, dass auch<br />
beim Käufer <strong>zu</strong> derselben Vereinbarung dem Pächter die Fruchtziehung und dem Mieter das Wohnen erlaubt ist.<br />
Andernfalls, wenn dem Pächter oder Mieter dieses (von dem Käufer) verboten wird, klagt er gegen den (ursprünglichen)<br />
Vermieter auf Grund des Pacht- oder Mietvertrages.<br />
Fragen <strong>zu</strong> D. 19, 2, 25, 1<br />
1. Meint hier Gaius nur den Verkauf oder auch die Übereignung an den emptor?<br />
2. Von wem könnte dem Pächter oder Mieter etwas verboten werden?<br />
3. Müßten Pächter oder Mieter dem Verbot gehorchen?<br />
4. Wieso könnten diese ex conducto gegen den locator klagen?<br />
5. Welche Rat gibt deswegen der Jurist?<br />
Privatrechtsgeschichte der Neuzeit<br />
1. Älteres deutsches Recht teilweise: "Heuer (im Sinne von Miete) geht vor Kauf",<br />
d. h. "Kauf bricht nicht Miete".<br />
2. Ähnlich wie älteres deutsches Recht: ALR.<br />
3. BGB I. Entwurf (mit Motiven) wie römisches Recht; dann Kritik, vor allem Gierke;<br />
daraufhin II. Entwurf <strong>zu</strong> § 571 BGB a. F. = § 566 n. F.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
140
colonus Pächter<br />
inquilinus Mieter<br />
insula Mietshaus<br />
KAPITEL 28. PERSONENVERBINDUNGEN, INSB. GESELLSCHAFT = SOCIETAS<br />
Societas Inst. 3, 25.<br />
Rechtsmaximen<br />
Communio mater rixarum. Gemeinschaft ist die Mutter von Streit.<br />
Tres faciunt collegium. <strong>Dr</strong>ei Leute bilden einen Verein (heute: fünf).<br />
Ausdrücke<br />
Actio communi dividundo Teilungsklage<br />
actio pro socio Gesellschafterklage<br />
collegium Verein<br />
communio Gemeinschaft, Miteigentum<br />
publicanus Staatspächter, meistens in Gesellschaften, societas publicanorum<br />
societas Gesellschaft<br />
universitas Personengesamtheit; Sachgesamtheit, Vermögen.<br />
KAPITEL 29. AUFTRAG = MANDATUM<br />
1. Auch der Auftrag hat im römischen Recht schon weitgehend dieselbe Ausgestaltung wie noch im BGB<br />
(außerdem Funktion der modernen Geschäftsbesorgungsverträge,<br />
auch diese in Rom ohne Gegenleistung).<br />
2. Auftrag ist Konsensualkontrakt 328<br />
; Institutionen 3, 22 pr.; unentgeltlich:<br />
Mandatum nisi gratuitum nullum est. Ein Auftrag, der nicht unentgeltlich ist, ist unwirksam.<br />
3. Tätigkeiten aller Art, s. Anwendungs- und Beispielsfälle Inst. 3, 26, 1 – 5. Häufig<br />
- sogenannte mittelbare Stellvertretung,<br />
- Eintritt des Beauftragten als Bürge für Auftraggeber,<br />
- Kreditgewährung des Beauftragten an <strong>Dr</strong>itte,<br />
- Einziehung einer Forderung durch Beauftragten für Auftraggeber.<br />
4. Nicht als Auftrag sind anerkannt:<br />
- unverbindlicher Rat, consilium, oder<br />
- Maßnahme im alleinigen Interesse des scheinbar Beauftragten, tua gratia,<br />
- oder Versprechen der Gegenleistung.<br />
5. Keine Mandatsverpflichtung, wenn gegen gute Sitten, contra bonos mores; Inst. 3, 26, 7 329<br />
.<br />
Kein rechtswirksamer Auftrag bei Sittenwidrigkeit, rei turpis nullum mandatum est 330<br />
.<br />
328<br />
329<br />
330<br />
Widerruf durch Mandanten bis <strong>zu</strong>m Beginn der Ausführung, u. a. Ulp. D. 15, 4, 1, 2; u. ö.<br />
Inst. 3, 26, 7; vgl. 3, 19, 24; Gai. 3, 157.<br />
Dig.17, 1, 63.<br />
30. September 2011<br />
141
6. Rechtslagen bei Auftragsüberschreitung?<br />
1. bei Erwerbsauftrag oder Verbürgung, Schulenstreit, Inst. 3, 26, 8<br />
ob gar keine Aufwendungsklage (Sabinianer)<br />
oder nur bis <strong>zu</strong>r Höhe des Auftrages (Prokulianer),<br />
2. bei Verfügung: diese ist schlicht unwirksam 331<br />
.<br />
7. Auftraggeber hat actio mandati (directa) auf Ausführung,<br />
und evtl Schadenersatz wegen Schlechtausführung.<br />
8. Wortlaut der Klagformel des Auftraggebers: Weil der Kläger dem Beklagten beauftragt hat, dass..., was deswegen der Beklagte dem<br />
Kläger <strong>zu</strong> geben und <strong>zu</strong> tun verpflichtet ist nach guter Treue, da<strong>zu</strong>, Richter, verurteile den Beklagten gegenüber dem Kläger, wenn es<br />
sich nicht erweist, sprich ihn frei.<br />
Actio mandati: quod Aulus Agerius Numerio Negidio mandavit, ut ..., quidquid ob eam rem Numerium Negidium Aulo Agerio dare<br />
facere oportet ex fide bona, eius iudex Numerum Negidium Aulo Agerio condemna, si non paret absolve 332<br />
.<br />
9. Beauftragter hat actio mandati (contaria) auf Aufwendungsersatz.<br />
10. Wortlaut der Klagformel des Beauftragten: Weil der Beklagte den Kläger beauftragt hat, dass..., was deswegen der Beklagte dem<br />
Kläger <strong>zu</strong> geben und <strong>zu</strong> tun verpflichtet ist nach guter Treue, da<strong>zu</strong>, Richter, verurteile den Beklagten gegenüber dem Kläger, wenn es<br />
sich nicht erweist, sprich ihn frei.<br />
Actio mandati contraria: quod Numerius Negidius Aulo Agerio mandavit, ut ..., quidquid ob eam rem Numerium Negidium Aulo Agerio<br />
dare facere oportet ex fide bona, eius iudex Numeriumo Negidium Aulo Agerio condemna, si non paret absolve 333<br />
.<br />
11. Die actiones mandati enthalten die Klausel ex fide bona<br />
(wie Kauf, locatio conductio und Gesellschaft (societas).<br />
12. Institutionen 3, 26 pass.; Digesten 17, 1 pass.<br />
Ausdrücke<br />
actio mandati Auftragsklage<br />
iussum Auftragserteilung<br />
mandare Auftrag erteilen<br />
mandatarius Beauftragter, Auftragnehmer<br />
mandator Auftraggeber, Mandant<br />
mandatum Auftrag i. S. Auftragsvertrag und i. S. Auftragserteilung.<br />
KAPITEL 30. REALKONTRAKTE ALLGEMEIN, INST. 3, 14 PASS.<br />
Die Institutionen zählen auf:<br />
- Darlehen, mutuum<br />
- Empfang einer Nichtschuld, non debitum<br />
- Leihe, commodatum<br />
- Hinterlegung/Verwahrung, depositum<br />
- Faustpfand, pignus.<br />
331<br />
332<br />
333<br />
D. 21, 3, 1, 3 (WS03).<br />
K/K § 83 Rdnr. 11, 15, 16.<br />
K/K § 83 Rdnr. 11, 15, 16.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
142
KAPITEL 31. GELD 334<br />
In Frühzeiten „Geld“ in verschiedenen Substanzen und Formen. Z.B. als Tauschmittel und Wertmaßstab in Italien in Frühzeit Vieh, pecus;<br />
daher Geld = pecunia (und Sklavenvermögen = peculium).<br />
Dann in einzelnen Regionen Metalle von einheitlicher, gleicher Substanz und einheitlichem, gleichen Wert; z. B. in Troja Goldbarren von<br />
ziemlich einheitlichem Gewichtstyp. Diese dann mit Zeichen versehen; z. B. auf Kreta und Zypern Gold- und Silberkügelchen mit Schriftzeichen<br />
in Linear-B.<br />
Münzgeld wurde etwa 600 v. Chr. im Westen Kleinasiens, in Lydien, erfunden. Dadurch Erleichterung des kleinen Marktverkehrs und des<br />
Fernhandels, dadurch erhebliche Wirtschaftsförderung.<br />
Schekel ist im Nahen Orient ursprünglich Silbergewicht von 180 Getreidekörnern = 8,4 gSilber.<br />
<strong>Dr</strong>achme ist Silbermünze auf dem Peloponnes. Um 600 hat Solon in Athen eine Münzreform durchgeführt. Weitere Verbreitung des Münzwesens<br />
durch Alexander d. Gr.<br />
Auf der italischen Halbinsel vor allem Rohkupfer in oft pfundschweren Metallbrocken, Aes rude. In Mittelitalien im 5. bis 4. Jh. v. Chr. teilweise<br />
regelmäßig geformte und gemusterte und mit “Romanom” bezeichnete Bronzebarren, Aes signatum. So allmählich <strong>zu</strong> Münzen, als<br />
Tauschmittel mit staatlich garantiertem Wert und als Wertmesser, insofern unabhängig von seinem wirklichen Metallwert, also schon gezählt<br />
und nicht mehr gewogen.<br />
Römisches Münzwesen eigentlich erst entwickelt unter dem Einfluss der hochentwickelten griechischen Münzgeldwirtschaft in Süditalien,<br />
Magna Graecia. Beginn der Münzprägung in Rom wahrscheinlich erst um 300 v. Chr.; da<strong>zu</strong> Münzmeister, tresviri monetales, als besonderes<br />
Amt der Republik. Kult der Iuno Moneta 335<br />
, da Münzprägung in der Nähe ihres Tempels (heute: Sta Maria in Aracoeli) auf der Arx 336<br />
(Kapitol);<br />
daher die Ausdrücke „Münze“ und „Moneten“, money und monaie..<br />
1 As unterteilt in 12/12 = Uncia(e). Denarius (= Zehner) römische Silbermünze im Betrag von 10, später 16 As. Ein Vierteldenar ist ein<br />
Sestertius. 25 Denare sind 1 Goldstück, Aureus (vgl. „Gulden“). Konstantin d. Gr. führte als Goldstück das sogenannte „massive Goldstück“,<br />
den Solidus, ein, blieb in Geltung bis <strong>zu</strong>m Unterang von Byzanz = Ostrom 1453.<br />
12/12 Uncia(e) = 10, später 16 As = 4 Sesterti = 1 Denarius. 25 Denare sind 1 Goldstück, Aureus (vgl. „Gulden“). Konstantin d. Gr. führte<br />
als Goldstück das sogenannte „massive Goldstück“, den Solidus, ein, blieb in Geltung bis <strong>zu</strong>m Unterang von Byzanz = Ostrom 1453.<br />
„Papiergeld“ / „Banknoten“ in China seit 1000 n. Chr.<br />
In den englischen Kolonien Nordamerikas seit 1690 Papiergeldemissionen.<br />
In Europa Banknoten ausgegeben von John Law in Frankreich seit 1716.<br />
1789 bis 1796 Assignaten in Frankreich,<br />
d. h. angeblich durch Hypotheken auf konfiszierte Güter gesichertes staatliches Papiergeld.<br />
Etymologische Herkunft des deutschen „Pfennigs“ ist noch ungeklärt.<br />
„Mark“ wegen „Markierung = Zeichen“ auf dem Geldstück.<br />
„Taler“ nach Silberprägung in Joachimstal / Böhmen, daher „Dollar“.<br />
In Rom konnte der Eigentümer sein Geld (falls es nicht inzwischen Eigentum eines anderen geworden war) mittels rei vindicatio von einem<br />
nichtberechtigten Besitzers herausverlangen, vindicatio nummorum; das war um so leichter, als häufig Geld in Beuteln, identifizierbar, übergeben<br />
wurde 337<br />
. Übereignung von Geld erfolgte mittels traditio, vielleicht mit geringeren Anforderungen als üblich an die erforderliche causa<br />
traditionis 338<br />
.<br />
334<br />
DTV-Lexikon der Antike, “Geld” etc. Kl. Pauly, „Iuno“; „Uncia“ etc. W. Pfeifer, Etymolog. Wörterbuch,<br />
DTV, 1997, “Münze”; Handwörterbuch der Staatswissenschaften, „Assignaten“, „Banken“, „Papiergeld“. Weitere<br />
Nachweise unten bei „Banken“.<br />
335<br />
336<br />
337<br />
338<br />
Unbekannt heute, in welcher Beziehung „monere“ (ermahnen, erinnern).<br />
Kl. Pauly II Sp. 1566 und „Moneta“ shv.<br />
ZB. D. 46, 1, 19.<br />
S. unten <strong>zu</strong>r traditio im Sachenrecht.<br />
30. September 2011<br />
143
Wurde Geld des einen Eigentümers in nicht unterscheidbarer Weise mit dem Geld eines anderen Eigentümers vermischt, so fiel es in das Alleineigentum<br />
des Besitzers des gesamten Betrages, das galt auch bei gestohlenem 339<br />
Geld.<br />
Sonderregel für gutgläubigen Verbrauch fremden Geldes 340<br />
.<br />
Redewendungen<br />
(Pecunia) non olet. Geld stinkt nicht.<br />
Ausdrücke<br />
aes Kupfer, Kupfergeld, Geld<br />
aes alienum Schulden<br />
argentarius Kleinbankier, Geldwechsler<br />
argentum Silber<br />
as Kupfermünze<br />
aurum Gold<br />
nervus rerum heute: der Nerv der Dinge, gemeint ist Geld<br />
nummi (pl. m.) Geldstücke, Münzen<br />
pecunia Geld<br />
KAPITEL 32. DARLEHEN = MUTUUM<br />
1. Inst. 3, 14 pr. Re contrahitur obligatio veluti mutui datione. mutui autem obligatio in his rebus consistit<br />
quae pondere, numero mensurave constant, veluti vino, oleo, frumento, pecunia numerata, aere, argento,<br />
auro, quas res aut numerando aut metiendo aut adpendendo in hoc damus ut accipientium fiant, et<br />
quandoque nobis non eaedem res, sed aliae eiusdem naturae et qualitatis reddantur. unde etiam mutuum<br />
appellatum sit, quia ita a me tibi datur, ut ex meo tuum fiat. ex eo contractu nascitur actio quae vocatur<br />
condictio.<br />
2. Interpretation<br />
1. Wie kommt ein Darlehen nach römischem Recht <strong>zu</strong>stande 341<br />
,<br />
2. ... wie nach geltendem?<br />
3. Zu welcher Art Kontrakten gehört das Darlehen nach römischen Recht?<br />
4. Wer wird Eigentümer der Darlehenssache?<br />
5. Welche Unterschiede bestehen zwischen Darlehen und Miete oder Leihe?<br />
3. Erforderlich die Einigung über das Darlehensgeschäft, conventio.<br />
4. Erforderlich neben der "conventio" die "datio",<br />
1. Hauptfall: Besitz- und Eigentumsübertragung, mittels traditio, an den Geldstücken<br />
vom Darlehensgeber (Gläubiger, creditor)<br />
direkt an den Darlehensnehmer (Schuldner, debitor).<br />
Dieses war auch das ursprüngliche Erfordernis.<br />
339<br />
340<br />
Aber keine eigentliche usucapio gestohlenen Geldes.<br />
Vor allem da<strong>zu</strong> Kaser, Geld, TR 29 (1961), S. 169 ff. Offengelassen bei Kunkel-Mayer-Maly § 63, S. 169<br />
f./66.<br />
341<br />
Erforderlich: datio und conventio.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
144
In klassischer Zeit genügten jedoch 342<br />
, nach z. T. sehr str. Ansicht unter den Klassikern 343<br />
,<br />
vereinfachende Formen:<br />
Dabei konnte man sich meistens vorstellen (oder mochte vielleicht fingieren), dass<br />
die Münzen <strong>zu</strong>erst an den Darlehensgeber und dann von diesem an den Darlehensnehmer gingen,<br />
dass man sich aber diese Umwege sparte und die Übereinstimmung genügen ließ,<br />
dass das Geld sogleich, ohne Hin und Her, beim Darlehensnehmer blieb.<br />
2. Anweisungsdarlehen (s. u.),<br />
3. Vereinbarungsdarlehen,<br />
d. h. ursprüngliche Schuld z. B. aus mandatum, aber nun vereinbart 344<br />
30. September 2011<br />
mutuum 345<br />
.<br />
4. Depositum irregulare, verstanden als Hinterlegung mit Gebrauchserlaubnis 346<br />
.<br />
1. sei es von Anfang an 347<br />
,<br />
2. sei es nachträglich 348<br />
.<br />
5. Hingabe einer bestimmten Sache des Darlehensgebers, die Darlehensnehmer verwerten darf,<br />
um Erlös als Darlehen <strong>zu</strong> behalten, sogenannter "contractus mohatrae" 349<br />
.<br />
6. Darlehensgeber gibt fremdes Geld als Darlehen,<br />
Darlehensnehmer verbraucht gutgläubig 350<br />
,<br />
Condictio de bene depensis nach Verbrauch durch Geldempfänger;<br />
die Condictio hat der Geld-Geber, in praktisch derselben Weise,<br />
als wenn Darlehen völlig in Ordnung gewesen wäre.<br />
Keine condictio des Eigentümers<br />
gegen den gutgläubigen Darlehensemfänger 351<br />
, sobald dieser verbraucht hat.<br />
5. Von diesen (wenn auch z. T. umstrittenen) Darlehensfällen ist <strong>zu</strong> unterscheiden:<br />
342<br />
343<br />
Ulp. D. 12, 1, 15 Satz 1 [Case 2]: Singularia quaedam recepta sunt circa pecuniam creditam.<br />
Die folgenden "Cases" bei Hausmaniger, Casebook Vertrag. Nachweise <strong>zu</strong> Fällen "indirekter Eigentumsverschaffung"<br />
als datio zwecks Darlehens erwartungsgemäß bei Windscheid-Kipp, 9. A., § 370 Anm. 10.<br />
344<br />
Aus D. 2, 14, 7, 5 folgt gerade das Bedenken gegen nachträgliche Vertragsveränderung.<br />
345<br />
Ulp. D. 12, 1, 15 [Case 2] mit Konstruktion, gegen Iul. D. 17, 1, 34 pr. Anfang und Ende [Case 4, ablehnend]<br />
und gegen Ulp.(!) D. 17, 1, 10, 3; da<strong>zu</strong> K 531/13<br />
346<br />
Iul. D. 17, 1, 34 pr. [Case 4]; Paul., Coll. 10, 7, 9 [Case 19]: mutua magis videtur quam deposita; [K I 536 /<br />
15].<br />
347<br />
348<br />
Ulp. D. 12, 1, 4 pr. Anfang; Ulp. D. 12, 1, 10 [Case 17].<br />
Nerva-Proculus-Marcellus-Ulp. D. 12, 1, 9, 9 [Case 16].<br />
349<br />
Ulp. D. 12, 1, 11 pr. [Case 3]; 19, 5, 19pr.[Case 210]: Darlehen anscheinend erst, wenn Darlehensnehmner Valuta<br />
von Verkäufer empfangen hat; bis dahin a. praescriptis verbis. - Iul. 17, 1, 34 pr. [Case 4] unklar, ob und,<br />
bejahendenfalls, ab welchem Zeitpunkt Iul. hier Darlehen annimmt. - Diocl. C. 4, 2, 8..<br />
350<br />
K I § 124, S. 530 f., Anm. 16; TR 29, 1961, S. 204 ff.; Windscheid-Kipp, 9. A., § 370 Anm. 8: Pap.-Ulp. D.<br />
12, 1, 13 pr./1; Iul. eod. 19, 1; Paul. D. 46, 1, 56, 2: condictio de bene depensis (aber erst ab Verbrauch), und<br />
zwar condictio durch Darlehensgeber, nicht etwa durch bisherigen Eigentümer des Geldes. Bei Bösgläubigkeit<br />
des Darlehensnehmers: Diebstahlsklagen des bisherigen Eigentümers.<br />
351<br />
Vgl. K, Studien I 531 / 16.<br />
145
1. Verwahrung (mit b.-f.-Klausel) und daher mit Zins-Verpflichtung<br />
1. mit Verwendungserlaubnis 352<br />
2. Eigentumsübergang von Verwahrer auf Hinterlegung,<br />
aber ohne ausdrückliche Verwendungserlaubnis 353<br />
.<br />
2. Auftrag, mandatum, des Auftraggebers (z. B. A) an einen anderen (z. B. B),<br />
dass der andere (B) einem Darlehensnehmer (C) ein Darlehen gewähre.<br />
Dann besteht Darlehen zwischen dem anderen (B) und dem Darlehensnehmer (C).<br />
Auftrag mit Bürgen-Effekt zwischen Auftraggeber (A wie ein Bürge)<br />
und dem anderen Darlehensgeber (B wie ein Gläubiger).<br />
Rechtsverhältnis zwischen Auftraggeber (A) und Darlehensnehmer (C) je nach Vereinbarung.<br />
3. Trödelvertrag = aestimatum: Hingabe einer Sache <strong>zu</strong>m Verkauf durch Empfänger<br />
(insoweit gleich mit contractus mohatrae);<br />
aber da<strong>zu</strong> Abreden: sofort Abrechnung;<br />
Rückgabe der Sache, falls bestimmter Preis nicht erreicht wird;<br />
wenn teurer verkauft, verbleibt Gewinn bei Empfänger;<br />
Verlustrisiko trägt Auftraggeber 354<br />
.<br />
Im Unterschied <strong>zu</strong>m contractus mohatrae ist hier das Wesentliche die Veräußerung der Sache<br />
mit den Besonderheiten von Chance und Risko,<br />
keine Bedeutung hat hier die zeitweilige Nut<strong>zu</strong>ng des Erlöses durch den Empfänger.<br />
Actio in factum, a. praescriptis verbis 355<br />
.<br />
Noch im gemeinen Recht. Im modernen Recht ähnlich wie Kommission.<br />
6. Klassische Kontroversen:<br />
Unwirksame Zahlung durch impubes 356<br />
oder furiosus 357<br />
.<br />
7. Die Frage, ob Darlehen vorliegt oder nicht, ist wichtig u. a. in folgenden Situationen:<br />
1. Welche ist die richtige Klageart, Quae sit actio? Bei falscher Klage Prozessverlust in Rom.<br />
2. Zinsen nur bei stipulatio oder b.-f.iudicia, z. B. Mandat oder Hinterlegung mit Verwendung 358<br />
.<br />
3. Gefahrtragung 359<br />
.<br />
8. Manchmal wohl Spaltung, sei es<br />
1. nach Parteiinteressen,<br />
352<br />
353<br />
354<br />
355<br />
Paul. D. 16, 3, 29, 1 (2 sent.)[Case 18]; K I 536 / 17.<br />
Pap. D. 16, 3, 25, 1 [Case 20]; Pap. D. 16, 3, 24 [Case 20a].<br />
Ulp. D. 19, 5, 17, 1 [Case 209].<br />
Ulp. D. 19, 5, 17, 1 [Case 209]; 19, 5, 19, 5 pr.[Case 210]: a. praescriptis verbis; Darlehen anscheinend erst,<br />
wenn Darlehensnehmner Valuta von Verkäufer empfangen hat.<br />
356<br />
357<br />
358<br />
K I 531 / 17: Iul. D. 12, 1, 19, 1; Gai. D. 26, 8, 9, 2; Ulp. D. 46, 3, 14, 8; gegen Ulp. (!) D. 12, 6, 29.<br />
K I 531 / 18: Pomp. D. 12, 1, 12 mit 44, 7, 24 pr.<br />
Pap. D. 16, 3, 25, 1 [Case 20]; Pap. D. 16, 3, 24 [Case 20a]; Scaev. D. 16, 3, 28 [Case 20 b]: ex bonae fidei iudicio<br />
usuras.<br />
359<br />
Paul. Coll. 10, 7, 9 [Case 19]: da Darlehen, deswegen Gefahr des Schuldners.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
146
2. sei es zeitlich 360<br />
.<br />
9. Auf Grund Darlehens: Klage des Gläubigers gegen Schuldner wegen bestimmten dargeliehenen Geldes,<br />
actio certae creditae pecuniae = condictio 361<br />
.<br />
10. Bisweilen wurde die Forderung des Gläubigers gegen den Schuldner auf Rückzahlung<br />
verstärkt durch eine Stipulation zwischen denselben Parteien 362<br />
,<br />
in diese Stipulation konnten auch die Zinsen hineingenommen werden.<br />
Dann hat der Gläubiger sowohl Klage aus Darlehenshingabe wie auch Stipulation,<br />
aber er hat nur Anspruch auf eine einmalige Leistung.<br />
Diese parallel laufende Stipulation wohl abstrakt gefasst.<br />
Wenn daraus geklagt wurde,obwohl G Darlehen gar nicht an S ausgezahlt hatte, hatte S exceptio non numeratae pecuniae.<br />
11. In bestimmten Fällen können Gewaltunterworfene oder sogar Gewaltfreie<br />
Darlehen in der Weise aufnehmen, dass der Geschäftsherr auf Rückzahlung haftet, s. o.<br />
12. Wegen Zinsen s. u.<br />
13. Unterschied <strong>zu</strong>r Leihe Inst. 3, 14, 2.<br />
14. Inst. 3, 13, 2; 3, 14 pr.; 3, 27 pr. und 1.<br />
Ausdrücke<br />
aes alienum Schulden<br />
creditor Gläubiger, Darlehensgeber<br />
debitor Schuldner, Darlehensnehmer<br />
mutuum Darlehen<br />
nomen Forderung, Namen<br />
nummi Münzen<br />
pecunia Geld.<br />
KAPITEL 33. DARLEHEN MIT WIRKUNG FÜR ANDERE<br />
1. Zahlung 363<br />
durch einen <strong>Dr</strong>itten 364<br />
, sogen. Anweisungsdarlehen,<br />
a) nämlich typischerweise durch Schuldner (B) des Darlehensgebers (A) 365<br />
an Darlehensnehmer (C ).<br />
360<br />
Dahinter steht der Gedanke,<br />
19, 5, 19, 5 pr.[Case 210]: a. praescriptis verbis; Darlehen anscheinend erst, wenn Darlehensnehmner Valuta<br />
von Verkäufer empfangen hat.<br />
361<br />
362<br />
363<br />
S. oben verschiedene Anwendungsbereiche der condictio.<br />
Darlehen gedoppelt m Stip 46, 2, 6, 1.<br />
K I S. 531: Ulp. D. 12, 1, 15 (Hausmaninger-Case); Iul.-Afr. D. 17, 1, 34pr. (Hausmaninger-Case); Pap.-Ulp.<br />
D. 17, 1, 10, 4. Bloß Stipulation und Irrtum Cels. D. 12, 1, 32 (Hausmaninger-Case). S.auch Iul. D. 46, 1, 18.<br />
Anderer SV aber D. 17, 1, 10, 5 (Hausmaninger-Case).<br />
364<br />
K I S. 531: Ulp. D. 12, 1, 15 (Hausmaninger-Case); Iul.-Afr. D. 17, 1, 34pr. (Hausmaninger-Case); Pap.-Ulp.<br />
D. 17, 1, 10, 4. S.auch Iul. D. 46, 1, 18. Anderer SV aber D. 17, 1, 10, 5 (Hausmaninger-Case).<br />
365<br />
S. auch Pap.-Ulp. D. 17, 1, 10, 4, und Iul. D. 46, 1, 18 [da<strong>zu</strong> K I 531/11].<br />
30. September 2011<br />
147
dass Schuldner (B) <strong>zu</strong>erst solvendi causa an Gl (A) zahlt<br />
und dieser dann, nach einer logischen Sekunde, als Darlehensgeber,<br />
wiederum <strong>zu</strong>rück an Schuldner<br />
und Schuldner weiter (zwecks datio des Darlehensgebers)<br />
an den Darlehensnehmer (C) 366<br />
,<br />
Celsinische „Durchgangstheorie“ 367<br />
.<br />
aa) wegen (vorherigen) iussum des Darlehensgebers<br />
an den künftigen Darlehensnehmer 368<br />
/ 369<br />
,<br />
bb) auf Grund iussum des Darlehensgebers an seinen bisherigen Schuldner 370<br />
.<br />
b) Durch <strong>Dr</strong>itten mit Münzen des <strong>Dr</strong>itten, aber namens des Darlehensgebers an Darlehensnehmer<br />
aa) mit Willen des Darlehensgebers 371<br />
,<br />
bb) sogar ohne Wissen des Darlehensgebers 372<br />
;<br />
D. 12, 1, 9, 8: Wenn ich in deiner Abwesenheit und ohne dein Wissen meine Münzen in deinem Namen gleichsam als deine<br />
gebe, erwirbst du ... eine Kondiktion....<br />
(c M.E. Stip.-Versprechen durch <strong>Dr</strong>itten auf Anweisung des Gl<br />
begründet anscheinend schon Darlehen, ohne dass Münzen gezahlt wurden; aber unklarer SV. 373<br />
).<br />
Im <strong>Dr</strong>eiecksverhältnis: Darlehensschuldner irrt sich über Person des Darlehensgebers, Cels. D. 12, 1, 32 374<br />
.<br />
2. Darlehen an den Prokurator begründet Anspruch des Darlehensgebers<br />
gegen Geschäftsherrn.<br />
KAPITEL 34. DARLEHENSZINSEN UND WUCHER<br />
1. Wichtig, dass Darlehenszinsen nicht ohne weiteres geschuldet werden.<br />
(ebenso § 488 I 2 n. F.).<br />
2. Sie müssen besonders vereinbart werden.<br />
- Es genügt in Rom aber beim Darlehen i. e. S. nicht formfreie Zinsabrede,<br />
sondern notwendig ist für Zinsen im Zusammenhang mit Darlehen i. e. S. immer Stipulation<br />
366<br />
367<br />
368<br />
369<br />
370<br />
- bei Auftrag 375<br />
, bei der Verwahrung und anderen bonae fidei iudicia jedoch formlos.<br />
Vgl. K, Rquell 279.<br />
Endemann 30 und 37; K.<br />
Iul. 17, 1, 34 pr. [Case 4]: benigne receptum est; Pap.-Ulp. D. 17, 1, 10, 4.<br />
Vgl. K, Rquell 279.<br />
Ulp. D. 12, 1, 15 Anfang [Case 2]: recipitur; Cels. D. 12, 1, 32.<br />
371<br />
Iul.-Ulp. D. 12, 1, 9, 8 am Ende [Hausmaniger, Case 5]: voluntate tua.<br />
372<br />
Aristo-Ulp. D. 12, 1, 9, 8 Anfang [Hausmaniger, Case 5]: absente te et ignorante;<br />
373<br />
374<br />
Irrtumsfall Cels. D. 12, 1, 32 (condictio Iuventiana); K I 531/11 und § 152 / 44.<br />
Case 236; K I 531 / 11.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
148
3. Beschränkung der Zinshöhe, Kampf gegen den Wucher. Hierbei handelt es sich um ein soziales und wirtschaftliches<br />
Problem, das sich in allen Gesellschaftssystemen stellt, sobald es Rechtsgeschäfte gibt. Die<br />
römische Lösung ist nicht einheitlich, sondern richtet sich nach dem betroffenen Geschäft. Die Regeln für<br />
das Darlehen und für den Kaufvertrag sind ganz unterschiedlich.<br />
1. Altes Problem in allen Rechtsordnungen, schon in vorchristlicher Zeit, dann kanonisches Zinsverbot,<br />
allgemeinen verbindlich im Mittelalter innerhalb der Christenheit, ebenso Fortbestand des jüdischen<br />
Zinsverbots innerhalb der jüdischen Gemeinschaft, aber immer umstritten und in der Praxis umgangen,<br />
vor allem seit Aufklärung und Individualismus des 18. Jahrhunderts, wechselnde Gesetzgebung<br />
im 19. Jahrhundert, Lösung teils über Strafrecht (Wirtschaftsstrafrecht), teils über Verwaltungsrecht<br />
(Höchstpreise), teils über Zivilrecht (heute § 138 II).<br />
2. Oberbegriff des Wuchers erst im BGB. Bis dahin Trennung zwischen übermäßigem Preis für Geldüberlassung<br />
(= Zins) und Preis für Ware.<br />
3. Als Hauptgegenstand der Digestenexegese nicht häufig. Kann aber einmal Antwort auf eine Zusatzfrage<br />
bilden.<br />
4. Es gab gesetzliche Zinsverbote und Zinsbeschränkungen, z. B.<br />
1. XII-T. 18 a und b. Durch die Zwölf Tafeln wurde festgesetzt, dass niemand mehr als ein Zwölftel<br />
des Kapitals an Zinsen nehmen sollte. Unsere Vorfahren legten in den Gesetzen fest, dass<br />
der Dieb <strong>zu</strong>m doppelten Wertersatz verurteilt werde, der Wucherer <strong>zu</strong>m vierfachen.<br />
2. Zinsgesetze dürfte es auch in der klassischen Zeit gegeben haben, spielen aber in der Überlieferung<br />
der Digesten keine Rolle 376<br />
.<br />
5. Naturrechtskodifikationen<br />
1. ALR I 11 §§ 803 - 852 (Vorschriften über Darlehenszinsen)<br />
2. ABGB § 993 - 1000 (Zinsbeschränkung<br />
und Hinweis auf das „besonders bestehende Wuchergesetz“).<br />
KAPITEL 35. SC. MACEDONIANUM 377<br />
1. Ausgangssituation: Ein Haussohn, filius familias, schuldet zwar persönlich.<br />
Aber solange er in väterlicher Gewalt ist, ist die Zwangsvollstreckung gegen ihn ausgeschlossen,<br />
und sein Vater haftet nur ausnahmsweise (insbes. auf Grund adjektizischer Klagen)<br />
für Schulden, die der Haussohn kontrahiert hatte.<br />
Nach Emanzipation haftet bisheriger Haussohn für bisherige Schulden<br />
entsprechend seinen Vermögensverhältnissen, in id quod facere potest.<br />
2. All’ dieses und das Folgende gilt aber nur für den Haussohn i. e. S., der also noch unter patria potestas steht.<br />
Dieselben Regeln gelten nicht, sobald der Sohn emanzipiert ist. Der emanzipierte ist selbst pater familias.<br />
Es handelt sich um Sonderrecht des filius familia; für Schulden durch Sklaven gilt nichts Vergleichbares.<br />
375<br />
376<br />
377<br />
Iul. D. 17, 1, 34 pr.<br />
Höchstzinsen D. 19, 1, 13, 26 .<br />
Wacke, SZ 112 (1995), 239 – 329.<br />
30. September 2011<br />
149
3. Aber Sonderregel für Darlehen:<br />
Nachdem ein Haussohn namens Macedo soviele Schulden gemacht hatte<br />
und danach so sehr von seinem Gläubiger bedrängt wurde, dass er seinen Vater umbrachte,<br />
um mit der Erbschaft seine Schulden <strong>zu</strong> bezahlen, erging das Senatusconsultum Macedonianum 378<br />
.<br />
1. Auf Grund des Senatusconsultum<br />
verweigert entweder schon der Praetor die Darlehensklage gegen den Haussohn, denegatio actionis,<br />
oder er gewährt dem Haussohn eine besondere Einrede, exceptio, gegen die Darlehensklage,<br />
um von Anfang an eventuelle Interessenten von der Darlehensgewährung an Haussöhne ab<strong>zu</strong>halten.<br />
2. Früherer Haussohn hat die Einrede auch<br />
nach der Emanzipation oder nach dem Tod des Hausvaters. Das ist sogar der Hauptfall.<br />
3. Ob dieselbe Einrede dem pater <strong>zu</strong>stehen würde, wird aus den Quellen nicht ganz klar 379<br />
.<br />
4. Dieselbe Einrede hat Bürge 380<br />
,<br />
a) auf Grund Akzessorietät der Bürgschaft,<br />
b) vor allem: um den Haussohn vor einem Rückgriff durch Bürgen <strong>zu</strong> schützen.<br />
4. Dennoch: "Naturalobligation" 381<br />
.<br />
5. Einverständnis<br />
1. des Hausvaters:<br />
- vorher, i. S. Einwilligung, sogar bloßes, stillschweigendes Wissen, oder<br />
- nachträgliche, i. S. Genehmigung 382<br />
oder<br />
2. Zustimmung des Haussohns, nachdem dieser gewaltfrei geworden ist 383<br />
,<br />
macht Darlehen vollwirksam.<br />
6. Außerdem weitere Einschränkungen der Anwendbarkeit des Sc., je nach Interessenlage,<br />
Tit. D. 14, 6, z. B. (nicht auswendiglernen!)<br />
1. In vielen Fällen der adjektizischen Klagen, wie<br />
- a. institoria gegen p. f. 384<br />
378<br />
379<br />
380<br />
381<br />
382<br />
- a. de in rem verso 385<br />
- a. quod iussu 386<br />
2. Ausgaben des Sohns für eigene auswärtige Studien<br />
3. Darlehensgeber hielt Schuldner für gewaltfrei (aber strenge Prüfung) 387<br />
.<br />
Inst. 4, 7, 7. Ebenso Bericht in D. 14, 6, 1 pr.<br />
S. <strong>zu</strong> den adjektizischen Klagen.<br />
Ulp. D. 14, 6, 9, 3 und 4.<br />
Ausdrückl D.12, 6, 19 pr., und Paul. D. 14, 6, 10; D. 14, 6, 18.<br />
Wacke, SZ 112 (1995) 287 f.: Z. B. D. 14, 6, 7, §§ 11, 12, 15; 14, 6, 9, 3; 14, 6, 12; 14, 6, 16; u. ö. Just. C.<br />
4, 28, 7 pr.- Gelegentlich mit Hinweis auf Rechtslage zZt der Darlehensgewährung; Widerrufbarkeit bis <strong>zu</strong>r<br />
Auszahlung.<br />
383<br />
384<br />
385<br />
386<br />
387<br />
D. 12, 6, 40 pr.; 14, 6, 7, 16.<br />
D. 14, 6, 7, 11.<br />
D. 14, 6, 7, 12.<br />
Vgl. D. 14, 6, 16.<br />
Ulp. D. 46, 3, pr.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
150
7. Einige Fälle sind noch fraglich, z. B.<br />
a. de peculio gegen den Hausvater 388<br />
wegen des Darlehens 389<br />
.<br />
8. Rückzahlung trotz Sc. Macedonianum<br />
1. durch pater familias: gilt als Genehmigung 390<br />
; infolgedessen keine condictio indebiti,<br />
sogar Pflicht <strong>zu</strong>r Rückzahlung des Restes, wenn Vater mit Teilzahlung begonnen hat 391<br />
.<br />
2. Durch früheren Haussohn, nachdem er gewaltfrei geworden ist 392<br />
, desgleichen,<br />
sogar bei irrtümlicher Zahlung 393<br />
. Erklärungen für Haussohn versuchsweise:<br />
- Genehmigung,<br />
- Zweck des Sc. sei die Bestrafung der Darlehensgläubiger 394<br />
,<br />
- Naturalobligation 395<br />
.<br />
Ob Haussohn bei eigener Teilzahlung <strong>zu</strong> Restzahlung verpflichtet ist, ergibt sich nicht aus Quellen, ist heute str.<br />
3. Aber wenn Hss <strong>zu</strong>rückzahlt, wenn er noch gewaltunterworfen ist und<br />
ohne Genehmigung p. f., dann<br />
a) keine Interpretation als Genehmigung und<br />
b) unberechtigte Verfügung des Hss über Vermögen des Hsvaters,<br />
also r. v 396<br />
oder cond. ind. 397<br />
.<br />
9. Digesten 14, 6,<br />
dort insbesondere Ulpians Kommentar, ganz ähnlich wie noch heute Gesetzeskommentare,<br />
beginnend mit dem Text des Sc.: "Verba senatus consulti haec sunt:.."<br />
10. Berühmter Aufsatz von David Daube (emigriert in der NS-Zeit, <strong>Prof</strong>essor in Oxford und in Berkeley),<br />
Savigny-Zeitschrift für Rechtsgeschichte 1947: "Did Macedo murder his father?" 398<br />
388<br />
389<br />
390<br />
391<br />
392<br />
Vgl. D. 14, 6, 9, 2 und 3.<br />
D. 14, 6, 18 a. E.; D. 46, 1, 12.<br />
D. 14, 6, 7, 15: quasi ratum habuerit.<br />
D. 14, 6, 7, 15.<br />
Marcian. D. 12, 6, 40 pr. a. E. („pater familias factus“); D. 14, 6, 7, 16; D. 14, 6, 9, pr.; D. 14,6, 9, 1 am<br />
Anfang. - In dieser Hinsicht unklar D. 12, 1, 14 am Ende; D. 14, 6, 9, 4 am Ende bis D. 14, 6, 11.<br />
393<br />
394<br />
395<br />
396<br />
D. 12, 6, 19 pr.; D. 12, 6, 40 pr.; D. 14, 6, 9, 4.<br />
Ulp. D. 14, 6, 9, 4, hier<strong>zu</strong> besondere Itpretation von Wacke, SZ 112, S. 301 f.<br />
K I S. 481/33: Paul. D. 14, 6, 10.<br />
D. 12, 1, 14 am Anfang, aber anscheinend keine condictio (da<strong>zu</strong> Windscheid-Kipp II § 373.5, S. 588, Anm.<br />
16).<br />
397<br />
398<br />
D. 14, 6, 9, 1 a. E.<br />
Neuer: Wacke, SZ 112, 1995.<br />
30. September 2011<br />
151
KAPITEL 36. BANKEN 399<br />
Seit dem 3. Jh. v. Chr. in Ägypten, seit dem 2. Jh. v. Chr. in Rom soll man “Schreibgeld” mit “Inhaberpapieren”<br />
benutzt haben. „Bankwesen“ für die Hinterlegung und das Ausleihen von Gegenständen schon um 7000 v. Chr.<br />
Um 2000 habe man angeblich sogar schon „Inhaberpapiere“ gekannt. Alsbald auch „Geldüberweisungen“.<br />
Anfangs wurden diese Geschäfte in Tempeln und Adelshäusern betrieben, später auch von Privatleuten. Bankgeschäfte<br />
wurden besonders entwickelt in Mesopotamien, in Griechenland, später auch im griechischen und römischen<br />
Ägypten, desgleichen in Rom von der republikanischen Zeit an.<br />
Argentarius ist ein kleiner Bankier, Geldwechsler, dieselbe Bezeichnung wie für Kaufleute, Handwerker und<br />
Sklaven, die mit Silbergerät <strong>zu</strong> tun haben.<br />
KAPITEL 37. BÜRGSCHAFT<br />
1. Notwendigkeit von Kreditsicherungen sowohl in rudimentären als auch in hochentwickelten Wirtschaftssystemen.<br />
In Rom eine wichtige Funktion, officium, eines Standesgenossen, amicus, für einen anderen. Die<br />
Bürgschaft ist auch heute eines der wichtigsten Sicherungsgeschäfte, in Rom noch wichtiger. Deswegen<br />
schöne Digestenfälle.<br />
Inst. Iust. 3, 20, pr. Für denjenigen, der eine Leistung verspricht, werden üblicherweise noch andere, welche Bürgen, Fideiussores,<br />
heißen, verpflichtet. Diese Bürgen nimmt man üblicherweise an, wenn man dafür sorgen will, dass man besonders gut gesichert sei.<br />
Inst. Iust. 3, 20, pr. Pro eo qui promittit solent alii obligari, qui fideiussores appellantur, quos homines accipere solent dum curant ut<br />
diligentius sibi cautum sit.<br />
2. In den Digesten-Fällen um die Bürgschaft geht es sehr oft<br />
- entweder um Anspruch des Gläubigers gegen den Bürgen oder<br />
- um Rückgriff des Bürgen gegen den Hauptschuldner.<br />
3. Abschluss der Bürgschaft<br />
1. Nur zwischen dem Bürgen und dem Gläubiger<br />
2. mittels Stipulation<br />
1. älteste Zeit durch Gebrauch des Wortes „spondére“, feierlich geloben,<br />
Gläubiger fragte Bürgen: „Versprichst du an Eides statt, dass dasselbe gegeben wird?“<br />
„Idem dari spondesne?“, daher: sponsio<br />
399<br />
2. später: fidepromissio<br />
Gläubiger fragt: „Versprichst du auf deine Treue, dass dasselbe gegeben wird?“, „Idem dari fide promittisne?“<br />
3. schließlich allgemeinüblich: fideiussio, so im Corpus Iuris.<br />
3. Bürgschaft setzt aber immer voraus, dass Hauptschuld existiert,<br />
das ergibt sich schon aus Stipulationsformular.<br />
4. Wortlaut der Bürgschaftsstipulation, fideiussio:<br />
Gläubiger Ego fragt den Bürgen Tu wegen Hauptschuld des Maevius:<br />
„Was Maevius mir schuldet, bestimmst du, dass das auf deine Treue genommen sein soll?-<br />
Quod Maevius mihi debet, id fide tua esse iubesne?“<br />
Darauf bejahende Antwort des Bürgen Tu: „Ich bestimme es. – Iubeo.“<br />
Kl. Pauly, “Bankwesen”; DTV-Lexikon der Antike, „Bankwesen“; Kl. Pauly, „Argentarius“. Weitere Nachweise<br />
s. o. bei „Geld“.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
152
Aus diesem Formular ergibt sich: wenn Forderung Ego gegen Maevius gar nicht besteht,<br />
dann kann der scheinbare Bürge Tu „logischerweise“ dem Ego auch nicht das schulden,<br />
was Maevius dem Ego angeblich schuldet.<br />
4. Durch fideiussio-Bürgschaft gesichert werden können Forderungen aller Art,<br />
auch Naturalobligationen, d. h. gewisse Verbindlichkeiten,<br />
aus denen nicht geklagt oder jedenfalls nicht vollstreckt werden kann,<br />
insbesondere Geschäftsschulden von Gewaltunterworfenen 400<br />
,<br />
die aber gesichert und erfüllt werden können<br />
(insofern ist also Akzessorietätsprinzip eingeschränkt).<br />
Inst. 3, 20, 1. In omnibus autem obligationibus adsumi possunt, id est sive re sive verbis sive litteris sive consensu contractae fuerint.<br />
ac ne illud quidem interest, utrum civilis an naturalis sit obligatio cui adiciatur fideiussor, adeo quidem ut pro servo quoque obligetur,<br />
sive extraneus sit qui fideiussorem a servo accipiat, sive ipse dominus in id quod sibi naturaliter debetur.<br />
5. Damit können auch Forderungen des Gläubigers gegen Gewaltunterworfene<br />
durch Bürgschaft gesichert werden.<br />
6. Inhalt<br />
Der Bürge haftet dem Gläubiger in derselben Weise wie der (Haupt-)-Schuldner,<br />
sowohl auf Erfüllung der Hauptschuld als auch wegen Nebenpflichten und Schadenersatz.<br />
7. Rechtsfolge: Gläubiger erhält<br />
nach der Entstehung der Hauptforderung und der Bürgschaftsforderung zwei Ansprüche<br />
1. Gegen (Haupt-)Schuldner und<br />
2. gegen Bürgen oder dessen Erben 401<br />
.<br />
8. Rechte des Gläubigers gegen den Bürgen: auf Zahlung<br />
9. Actio des Gläubigers gegen den Bürgen auf Grund der Stipulation: a. ex stipulatu<br />
auch wenn andersartige actio des Gläubigers gegen den Hauptschuldner (z. B. aus Kauf).<br />
10. Dagegen Schutz des Bürgen...<br />
vor allem durch heute sogenannte Akzessorietät<br />
d. h. Bürge haftet nicht für mehr als Hauptschuldner.<br />
In heutiger Wissenschaft kontrovers, ob man von „Akzessorietät“ im römischen Recht sprechen soll.<br />
400<br />
401<br />
Inst. 3, 20, 5. Fideiussores ita obligari non possunt ut plus debeant quam debet is pro quo obligantur: nam eorum obligatio accessio<br />
est principalis obligationis nec plus in accessione esse potest quam in principali re. at ex diverso, ut minus debeant, obligari possunt.<br />
itaque si reus decem aureos promiserit, fideiussor in quinque recta obligatur: contra vero non potest obligari...<br />
1. Bei Entstehung der Hauptforderung entsteht Bürgschaftsforderung,<br />
solange Hauptforderung nicht entstanden, auch keine Bürgschaftsforderung.<br />
2. bei Untergang der Hauptforderung geht auch Bürgschaftsforderung unter.<br />
3. Einreden des Hauptschuldners stehen grundsätzlich auch dem Bürgen <strong>zu</strong> 402<br />
,<br />
K I S. 481.<br />
Gai. 3, 121 = Inst. Iust. 3, 20, 2. "Fideiussoris autem etiam heres tenetur" (anders für ältere Bürgschaftsformen).<br />
402<br />
K I § 155 II 4 a, S. 664, insbes. Anm. 42 ff., insbes. Ulp. D. 46, 1, 32; Marcian. D. 44, 1, 19; differenzierend<br />
Paul. D. 44, 1, 7 pr. und 1. Aber "personengebundene" Einreden hat allein Sch, nicht der Bürge, z. B. Haftung<br />
30. September 2011<br />
153
Inst. Iust. 4, 14, 4,<br />
- z. B. auf Grund Sc. Macedonianum 403<br />
- wohl auch auf Grund Sc. Vellaeanum 404<br />
,<br />
- <strong>zu</strong> differenzieren bei Erlass-pactum 405<br />
.<br />
Aber für Naturalobligationen der Gewaltunterworfenen ist Bürgschaft voll wirksam.<br />
11. Prüfungspunkte für Anspruch Gläubiger gegen Bürgen<br />
- Ist Bürgschaftsstipulation zwischen G und B wirksam abgeschlossen worden,<br />
- ist auch Anspruch des Gläubigers gegen Hauptschuldner entstanden<br />
und noch nicht erloschen,<br />
- hat Bürge Einreden?<br />
12. Frage: Bürge hat <strong>zu</strong> Unrecht an Gläubiger gezahlt,<br />
z. B. weil Hauptschuld nicht wirksam entstanden war<br />
oder weil Hauptschuldner schon an Gläubiger geleistet hatte,<br />
welche Rechte hat Bürge?<br />
1. meistens Bereicherungsklage (condictio indebiti)<br />
Bürge gegen Gläubiger 406<br />
,<br />
2. falls Bürge nicht wusste, dass Hauptschuld nicht existierte,<br />
und falls ohne Fahrlässigkeit des Bürgen,<br />
dann kann sich Bürge auch gegen Hauptschuldner wenden,<br />
auf Grund a. mandati contraria.<br />
13. Durch Klage des Gläubigers gegen Schuldner<br />
erlischt Klage des Gläubigers gegen Bürgen<br />
und umgekehrt,<br />
wegen prozessualen Verbots „ne bis in idem“<br />
(aber im klass. Recht keine eigentl Einrede der Vorausklage;<br />
beneficium excussionis personalis bei Bürgschaft stammt erst von Justinian).<br />
14. Digestentitel insbesondere D. 46, 1 (Fideiussio und Mandat); 17, 1 (Mandat); 16, 1 (Sc. Vellaeanum).<br />
Ausdrücke<br />
Akzessorietät Abhängigkeit der Wirksamkeit eines Sicherungsrechts<br />
von der Wirksamkeit der gesicherten Forderung<br />
Creditor Gläubiger<br />
debitor (Haupt-)-Schuldner<br />
fideiussio Bürgschaft<br />
fideiussor Bürge mittels fideiussio<br />
interecessio (wörtlich: Dazwischentreten, daher:)<br />
des Sch beschränkt auf id quod facere potest; vgl. K I S. 664 m. Anm. 42 und 43; K I S. 482: Aszendent, Patron,<br />
Ehemann, Dos-Versprechender, Schenkungs-Versprechender, Gesellschafter.<br />
403<br />
404<br />
405<br />
Ulp. D. 14, 6, 9, 3 und 4; D. 20, 3, 2.<br />
Iul. D. 16, 1, 16, 1; vgl. D. 20, 3, 2; 44, 1, 7, 1.<br />
K I § 155 II 4 a, S. 664, insbes. Anm. 42: Ulp., Paul. D. 2, 14, 7, 8; 2, 14, 21, 5; 2, 14, 22;"unpersönl" (d.h.<br />
überhaupt keine actio); hingegen "persönl" (nur gegen 1 bestimmte Person keine actio); Paul. D. 2, 14, 23 pr.<br />
(Erlass mögl nur für Hauptschuldner, nicht für Bürgen); etc.<br />
406<br />
D.12, 6, 25 = Hausmaninger, Casebook Vertragsrecht, Nr. 51e.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
154
a) im Privatrecht: Sicherungs- und Darlehensgeschäft im Interesse eines <strong>Dr</strong>itten,<br />
u. a. Bürgschaft und Pfandbestellung,<br />
b) im öffentlichen Recht: Eintreten eines höheren Amtsträgers<br />
oder eines gleichgestellten oder eines Volkstribuns<br />
gegen die Maßnahme eines Beamten, Veto.<br />
KAPITEL 38. FRAUENBÜRGSCHAFT, SC. VELLAEANUM 407<br />
1. Das Senatusconsultum Vellaeanum verbot den Frauen Interzessionsgeschäfte,<br />
insbes. Bürgschaft, Pfandrecht, Schuldübernahme, Schuldbeitritt<br />
(also nicht etwa allein Bürgschaft ist verboten),<br />
wenn sie diese Geschäfte im Interesse eines <strong>Dr</strong>itten (Ehemann oder sonstige <strong>Dr</strong>itte)<br />
vorgenommen hatten.<br />
Mitte des 1. Jh. n. Chr., nach Vorläufern.<br />
2. Zum Schutz gewalt-freier Frauen<br />
(denn solange noch unter patria potestas oder wenn in manus-Gewalt des Hausvaters,<br />
können sie sich nicht rechtsgeschäftlich verpflichten [im Gegensatz <strong>zu</strong>m Haussohn]).<br />
3. Wortlaut und Begründung sowie Vorgeschichte des Sc. in D. 16, 1, 1.<br />
4. Das Interzessionsverbot greift nicht ein, u. a.<br />
- wenn Interzessionsgeschäft im eigenen wirtschaftlichen Interesse der Frau,<br />
- wenn Frau keinen Schaden erleidet, z. B. weil sie Deckung erhielt,<br />
- wenn Gläubiger entschuldbarer Weise nicht wusste, dass Frau interzedierte,<br />
- wenn Frau nicht interzediert, sondern endgültig die Schuld beseitigt 408<br />
, etwa schenkungshalber an Gläubiger zahlt.<br />
5. Die Interzessionsgeschäfte sind nicht nichtig 409<br />
,<br />
- aber Frau hat gegenüber Klage des Gläubigers die exceptio Senatusconsulti Vellaeani,<br />
meistens auch die Bürgen für die Frauen 410<br />
.<br />
- Frau kann kondizieren, wenn sie aus Irrtum über die Verbindlichkeit der Interzession<br />
gezahlt hatte 411<br />
,<br />
wenn aber Frau wissentlich <strong>zu</strong>rückgezahlt hat, kein Bereicherungsanspruch.<br />
6. Zum Ausgleich erhält Gläubiger gegen den begünstigten ursprünglichen Schuldner<br />
1. eine actio restituioria, wenn Schuldner durch Eintreten der Frau freigeworden war, oder<br />
2. eine sogenannte actio institutoria, wenn das Geschäft von Anfang an gar nicht mit dem begünstigten Schuldner,<br />
sondern von Anfang an nur mit der Frau abgeschlossen worden war.<br />
7. Sedes materiae, mit Rechtspolitik, Inhaltsangabe, historischen Vorläufern und Einzelkommentierung: D. 16, 1.<br />
(8. „Intercédere“ bedeutet im römischen Verfassungsrecht die Ausübung des Verbotsrechts, veto = ich verbiete,<br />
des höheren oder gleichrangigen Magistrats oder des Volkstribunen, tribunus plebis).<br />
407<br />
408<br />
409<br />
410<br />
411<br />
Dig.-Titel 16,1. Sehr knapp Kaser, Knütel & Co. Sehr einsichtig: Dernburg II § 83.<br />
D. 16, ,1, 4, 1; D. 16, 1, 5.<br />
Kein direktes Textzeugnis über Naturalobligation, vgl. K I 481.<br />
Iul. D. 16, 1, 16, 1; vgl. D. 20, 3, 2; 44, 1, 7, 1.<br />
D. 12, 6, 40 pr.; D. 16, 1, 8, 3.<br />
30. September 2011<br />
155
KAPITEL 39. MITBÜRGEN<br />
Mitbürgen<br />
1. Gegenüber Gläubiger<br />
1. Haften aus fideiussio gegenüber Gläubiger als Gesamtschuldner,<br />
jeder einzelne Bürge kann also auf die volle Hauptschuld in Anspruch genommen werden 412<br />
(in der Republik hingegen für beide älteren Formen der Bürgschaft<br />
Haftungsbeschränkungen <strong>zu</strong> Gunsten Mitbürgen).<br />
2. Aber „Rechtswohltat der Teilung“, beneficium divisionis<br />
nach einem Brief des Kaisers Hadrian, epistula Hadriani:<br />
Jeder Mitbürge kann sich auf diesen kaiserlichen Erlass berufen<br />
und braucht nur Anteil <strong>zu</strong> zahlen 413<br />
.<br />
2. Mitbürgen untereinander<br />
kein Ausgleich von Gesetzes wegen (anders: § 774 II, 426 BGB),<br />
wohl aber, wenn untereinander vereinbart.<br />
3. Rückgriff gegen Hauptschuldner: wie Alleinbürge.<br />
4. Inst. 3, 20, 4. Si plures sint fideiussores, quotquot erunt numero, singuli in solidum tenentur. itaque liberum est creditori, a quo velit<br />
solidum petere. sed ex epistula divi Hadriani compellitur creditor a singulis qui modo solvendo sint litis contestatae tempore partes<br />
petere. ideoque si quis ex fideiussoribus eo tempore solvendo non sit, hoc ceteros onerat. sed et si ab umo fideiussore creditor totum<br />
consecutus fuerit, huius solius detrimentum erit, si is pro quo fideiussit solvendo non sit: et sibi imputare debet, cum potuerit adiuvari<br />
ex epistula divi Hadriani, et desiderare ut pro parte in se detur actio.<br />
5. Zur Ergän<strong>zu</strong>ng D. 12, 6, 25 (Ulpian im 47. Buch seines Kommentars <strong>zu</strong>m ius civile des Sabinus). Wenn sich zwei Personen für einen<br />
Hauptschuldner in Höhe von zehn Goldstücken verbürgt haben, darauf der Hauptschuldner drei (an den Gläubiger) gezahlt hat und<br />
danach die Bürgen je fünf, so wird heute angenommen, dass derjenige (Bürge), der als letzter gezahlt hat, drei <strong>zu</strong>rückfordern kann.<br />
Das ist ganz richtig, weil nach der Zahlung von drei durch den Hauptschuldner nur noch sieben als geschuldet übrigblieben, so dass<br />
nach deren Bezahlung drei als Nichtschuld gezahlt worden sind.<br />
D. 12, 6, 25 (Ulpianus libro quadragensimo septimo ad Sabinum). Cum duo pro reo fideiussissent decem, deinde reus tria solvisset et<br />
postea fideiussores quina, placuit eum qui posterior solvit repetere tria posse: hoc merito, quia tribus a reo solutis septem sola debita<br />
supererant, quibus persolutis tria indebita soluta sunt.<br />
KAPITEL 40. RÜCKGRIFF, BÜRGENREGRESS<br />
Regress des Bürgen gegen Schuldner,<br />
wenn er an Gläubiger gezahlt hat,<br />
1. Nur ausnahmsweise besonderes Gesetz mit besonderem Anspruch<br />
(lex Publilia bei Sponsio eröffnete actio depensi; kaum in Digesten).<br />
2. Je nach Innenverhältnis Aufwendungsersatz aus<br />
1. Auftrag (a. mandati contraria) 414<br />
, sehr oft,<br />
Inst. 3, 20, 56. Si quid autem fideiussor pro reo solverit, eius reciperandi causa habet cum eo mandati indicium,<br />
2. seltener: Geschäftsführung ohne Auftrag (negotiorum gestio).<br />
3. Rechtswohltat der abgetretenen Klagen = beneficium cedendarum actionum,<br />
412<br />
Gai. 3, 121 = Inst. Iust. 3, 20, 4. "Quotquot erunt numero, singulo in solidum obligantur, itaque liberum est<br />
creditori a quo velit solidum petere".<br />
413<br />
"Sed nunc ex epistula divi Hadriani conpellitur creditor a singulis qui modo solvendi sint partes petere"; Gai.<br />
3, 121 = Inst. Iust. 3, 20, 4; K I 664 f.: Gai. 3, 121 a; da<strong>zu</strong> K I 664 f.<br />
414<br />
I. 3, 20, 6.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
156
d. h. Recht des Bürgen gegen Gläubiger,<br />
dass Gläubiger seine Forderung gegen Schuldner an Bürgen abtritt,<br />
daraus dann Klage Bürge gegen Schuldner<br />
(Vorsicht: in Rom noch kein „automatischer“ Forderungsübergang, d. h. cessio legis wie nach BGB).<br />
„Abtretung“, cessio, mittels<br />
- delegatio, oder<br />
- actio utilis, oder<br />
- Prozessvertretung (s. o.).<br />
4. Sonderfall Kreditauftrag 415<br />
Falls Auftraggeber dem Beauftragten Auftrag erteilt hatte,<br />
einem <strong>Dr</strong>itten ein Darlehen <strong>zu</strong> gewähren,<br />
dann meistens Auftragsklage des Beauftragten gegen Auftraggeber zwecks Regress,<br />
actio mandati contraria,<br />
falls der <strong>Dr</strong>itte Darlehen nicht <strong>zu</strong>rückzahlte (vgl. § 778 BGB n. F.).<br />
KAPITEL 41. SCHUTZ DES BÜRGEN<br />
1. Akzessorietät.<br />
2. Eine gesetzliche Höchstgrenze für Bürgschaften aller Art<br />
(Lex Cornelia, Weiteres aus Digesten nicht bekannt) 416<br />
.<br />
3. Anspruchskonkurrenz.<br />
4. Die Regreßmöglichkeiten, und zwar<br />
1. auf Grund Innenverhältnis Bürge - Schuldner, insbesondere Mandat,<br />
2. Recht auf Abtretung der Klage, die Gläubiger gegen Schuldner hatte, an den Bürgen,<br />
beneficium cedendarum actionum.<br />
5. Verschiedene gesetzliche Erleichterungen für Mitbürgen,<br />
insbes. beneficium divisionis durch die in den Institutionen genannte epistula Hadriani,<br />
d. h. Einrede der Teilhaftung.<br />
(6. Erst Justinian führte die „Einrede der Vorausklage“, das beneficium excussionis personalis 417<br />
, ein, nämlich die Eirede des Bürgen,<br />
dass sich der Gläubiger <strong>zu</strong>erst an den Hauptschuldner <strong>zu</strong> halten habe, so dass der Bürge nur noch subsidiär haftete; ganz anders das<br />
klassische Recht, welches mit der Klage gegen den einen von beiden die Klage gegen den anderen ausschloss 418<br />
.)<br />
KAPITEL 42. VERWAHRUNG – HINTERLEGUNG = DEPOSITUM<br />
(Nicht eigentliche Klausur-Materie)<br />
Ebenfalls heute noch so ähnlich wie im alten Rom; Inst. 3, 14, 3.<br />
Realkontrakt, Inst. 3, 13, 2, aber mit bona-fides-Klausel.<br />
Hinterleger – Verwahrer, depositar 419<br />
.<br />
Hinterleger behält Eigentum, Verwahrer hat noch nicht einmal possessio, sondern bloß Detention.<br />
Klage des Hinterlegers auf Rückgabe oder, bei dolus des Verwahrers, auf Schadenersatz,<br />
iudicium contrarium des Verwahrers auf Ersatz von Aufwendungen und Schäden.<br />
415<br />
416<br />
417<br />
K I 666 mit Quellen.<br />
Gai. 3, 124 f.; K I S. 664 Anm. 49.<br />
Im nachklassischen Pfandrecht: das beneficium excussionis „personalis“, d.h.Einrede des Besitzers der<br />
Pfandsache (wenn dieser Besitzer nicht der Hauptschuldner ist), dass sich Pfandgläubiger <strong>zu</strong>erst an den Hauptschuldner<br />
persönlich halten soll; K II 321.<br />
418<br />
419<br />
K II<br />
K I § 126, S. 534 ff.<br />
30. September 2011<br />
157
Geld kann so hinterlegt werden, dass Verwahrer Eigentum erlangt und Geld für sich verwenden darf,<br />
„uneigentliche Verwahrung“, depositum irregulare 420<br />
,<br />
dafür kann Zinszahlung durch Verwahrer vereinbart werden, formlos, da bonae fidei iudicium.<br />
KAPITEL 43. STIPULATION 421<br />
1. Wieder eine geniale römische Schöpfung!<br />
Die Stipulation ist aus fünf Gründen sehr wichtig:<br />
1. Eine besondere Art und Weise der Anspruchsbegründung zwischen zwei Personen.<br />
2. Nur streng einseitige Verpflichtung.<br />
3. Tausendfache Vielseitigkeit der Anwendung.<br />
4. Damit Öffnung für Vertragsfreiheit.<br />
5. Keine unmittelbare Nachfolge im modernen Recht.<br />
2. Abschluss<br />
Vertragsabschluß: Inst. 3, 15 pr. Satz 1 und 3, 15, 1 am Anfang<br />
pr. Satz 1.Verbis obligatio contrahitur ex interrogatione et responsione, cum quid dari fierive nobis<br />
stipulamur.<br />
§ 1. In hac re olim talia verba tradita fuerunt: SPONDES? SPONDEO, PROMITTIS? PROMITTO,<br />
FIDEPROMITTIS? FIDEPROMITTO, FIDEIUBES? FIDEIUBEO, DABIS? DABO, FACIES?<br />
FACIAM.<br />
... sufficit congruenter ad interrogatum respondere.<br />
1. Wer stellt die Frage? Mit welchem Wort?<br />
2. Wer gibt die Antwort? Mit welchem Wort?<br />
S. schon Inst. 3, 13, 2.<br />
3. Beteiligte<br />
Für das Zustandekommen sind zwei Parteien erforderlich.<br />
(Vorsicht: häufige Ausdrucksfehler der Studierenden, führt <strong>zu</strong> Missverständnissen und <strong>zu</strong> Fehlern)<br />
1. Versprechender, promissor,<br />
und Versprechensempfänger, stipulator.<br />
Versprechender wird Schuldner,<br />
Versprechensempfänger wird Gläubiger.<br />
2. Ausdrucksweise<br />
stipulari (Grammatikform: Deponens) - sich versprechen lassen,<br />
z. B. der Gläubiger stipuliert eine Leistung von dem Schuldner.<br />
Promíttere - versprechen, z. B. Schulder verspricht mittels Stipulation.<br />
4. Beteiligung von Gewaltunterworfenen<br />
420<br />
1. Auf Gläubigerseite: Wenn Sklave oder Haussohn stipuliert, wird der Gewalthaber berechtigt 422<br />
.<br />
Ulp. D. 12, 1, 4 pr. Anfang; Nerva-Proculus-Marcellus-Ulp. D. 12, 1, 9, 9 [Case 16] ; Ulp. D. 12, 1, 10<br />
[Case 17]; Iul. D. 17, 1, 34 pr. [Case 4] [K I 536 / 15]; Paul., Coll. 10, 7, 9 [Case 19]: mutua magis videtur<br />
quam deposita.<br />
421<br />
422<br />
K I § 128.<br />
Einzelheiten s. u.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
158
2. Auf Schuldnerseite: Wenn Sklave oder Haussohn stipulationsweise verspricht:<br />
1. Gewalthaber wird nur dann verpflichtet, wenn Vorausset<strong>zu</strong>ngen einer adjektizischen Klage.<br />
2. Hinsichtlich der Verpflichtung des Gewaltunterworfenen persönlich ist <strong>zu</strong> unterscheiden:<br />
1. Haussohn wird verpflichtet, gegen ihn kann aber nicht vollstreckt werden.<br />
2. Sklave wird überhaupt nicht selbst verpflichtet.<br />
5. Kein echter oder unechter Vertrag <strong>zu</strong> Gunsten <strong>Dr</strong>itter<br />
Berühmt ist die römische Rechtsmaxime (z. B. Inst. 3, 19, 4):<br />
Alteri stipulari nemo potest Niemand kann <strong>zu</strong> Gunsten eines <strong>Dr</strong>itten stipulieren,<br />
d. h. Unwirksamkeit des Vertrages <strong>zu</strong> Gunsten <strong>Dr</strong>itter. Denn<br />
6. Gegenwärtige Anwesenheit der beiden Parteien<br />
Begründung dieses Verbalkontrakts verlangt Anwesenheit aller Beteiligter 423<br />
(nicht: Brief oder Bote).<br />
Aber verschiedene Aushilfsmittel 424<br />
.<br />
7. „Über unwirksame Stipulationen“ 425<br />
Inst. Iust. 3, 19<br />
- Anfängliche objektive sachliche Unmöglichkeit Inst. 3, 19, 1,<br />
z. B. versprochener Sklave ist bereits verstorben, oder Pferdmensch, hippocentaurus,<br />
- Objektive rechtliche Unmöglichkeit Inst. 3, 19, 2,<br />
insbesondere verkehrsunfähige Sache, res extra commercium,<br />
- Versprochene Sache gehört bereits dem Versprechensempfänger.<br />
8. Tausendfache Vielseitigkeit der Anwendung.<br />
Die Bedeutung der Stipulation liegt darin, dass jegliche Verpflichtung in die Form der Stipulation gebracht<br />
werden konnte: Prozesshandlungen wie sonstige Rechtsgeschäfte, betreffend Handlungen, Sachleistungen,<br />
Geldleistungen, seien sie bedingt, seien sie unbedingt. Damit konnten Vertragsstrafen, Forderungsabtretungen,<br />
Schuldbeitritte und -übernahmen, Geldanweisungen und Spekulationsgeschäfte, Rechts- und<br />
Sachmängelgewährleistungen, Gattungsschulden, Versprechen einer Schenkung, Darlehenszinsen, Bürgschaften<br />
und sonstige Forderungen begründet werden. Bestehende Forderungen, etwa auf Kaufpreiszahlung<br />
oder auf Darlehensrückzahlung, konnten durch eine Stipulation zwischen denselben Geschäftsparteien<br />
entweder ergänzt oder ersetzt (d. h. „noviert“) werden.<br />
Der Inhalt der Stipulation wurde allein durch die Parteien bestimmt.<br />
9. Öffnung für Vertragsfreiheit<br />
1. Da immer die Klage, actio, aus der Stipulation als solcher erhoben wurde,<br />
kam es auf den numerus clausus der klagbaren Ansprüche nicht an.<br />
2. Außerdem konnte mittels Strafversprechens, insbesondere durch aufschiebende Bedingung, mittelbar<br />
ein andernfalls nicht geschützter Anspruch durchgesetzt werden, nach dem Muster: "Wirst Du mir<br />
100 000 Sesterzen bezahlen, wenn Du nicht bis dann und dann das und das getan haben wirst?".<br />
10. Inhaltliche Ausgestaltung<br />
423<br />
424<br />
425<br />
Weitere Begründungen s. u., Ausschluss der Stellvertretung.<br />
Da<strong>zu</strong> unten.<br />
S. auch Gai. D. 44, 7, 1, 9 bis 13.<br />
30. September 2011<br />
159
1. Die Stipulation kann ausdrücklich auf eine andere Rechtsbeziehung Be<strong>zu</strong>g nehmen,<br />
1. etwa auf den Zweck des Versprechens, causa,<br />
z. B. Kaufpreiszahlung, Schenkung, Darlehensrückzahlung,<br />
dann kann man von einer kausalen Stipulation sprechen,<br />
2. oder auf die Beziehung <strong>zu</strong> einer anderen Person,<br />
- z. B. was der promissor dem Titius schuldet oder<br />
- was der Titius dem stipulator schuldet<br />
dann kann man von einer titulierten Stipulation sprechen.<br />
2. Oder die Stipulation kann die sonstige Rechtsbeziehung verschweigen<br />
völlig abstrakt gefasst sein<br />
und sich auf das alleinige Versprechen einer bestimmten Leistung beschränken 426<br />
.<br />
11. Auslegungsmaxime<br />
Ambiguitas (oder: In dubio) Bei Zweideutigkeit (von Geschäftsbedingungen):<br />
contra stipulatorem. Auslegung gegen den Versprechensempfänger (Gläubiger).<br />
12. Streng einseitige Verpflichtung<br />
1. Die Stipulation kann nur eine streng einseitige Verpflichtung allein des Promissors begründen.<br />
2. Es ist möglich, dass auch die andere Vertragspartei sich im Wege einer Stipulation verpflichtet,<br />
so dass es zwar <strong>zu</strong> zwei einander gegenüberstehenden,<br />
aber nicht synallagmatischen, nich <strong>zu</strong> von einander abhängigen, Verpflichtungen kommt.<br />
Z. B. kann eine Partei eine Getreidelieferung versprechen, die andere eine Geldzahlung.<br />
3. Aber Einrede der nicht gelieferten Ware, exceptio mercis non traditae,<br />
oder Arglisteinrede, exceptio doli,<br />
wenn Stipulation für eine Ware versprochen wurde, welche noch nicht geliefert worden war.<br />
4. Auch kann eine Stipulation unter die aufschiebende Bedingung gestellt werden,<br />
dass der Stipulator eine Leistung erbringt.<br />
13. Klagen 427<br />
Die Klagen aus Stipulation sind strengrechtlich = iudicium stricti iuris.<br />
Zwei unterschiedliche Klagen aus Stipulation:<br />
1. 1 bestimmter Gegenstand, insbes. bestimmte Geldsumme, bestimmte Sache, Gattungsschuld:<br />
condictio.<br />
2. Unbestimmter Gegenstand = incertum, z. B. eine Handlung, facere: actio ex stipulatu.<br />
14. Haftung wegen Obligationenverlet<strong>zu</strong>ngen 428<br />
426<br />
427<br />
428<br />
1. Wenn bestimmte Menge Geld (certa pecunia) oder Gattungssache geschuldet wird,<br />
ist Erfüllung immer möglich,<br />
also keine Frage von Unmöglichkeit, sei sie verschuldet oder nicht verschuldet.<br />
K I 541.<br />
K I 542 und 492.<br />
Knütel § 37 I.<br />
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160
2. Wenn<br />
1. individuell bestimmte Sache geschuldet wird<br />
(entweder Übereignung, dare, oder Rückgabe, reddere),<br />
2. aber unmöglich wird,<br />
3. weil Schuldner daran „schuld“ ist, si per eum stat, oder quotiens culpa intervenit,<br />
weil Schuldner<br />
- Untergang verschuldet hat oder<br />
- im Schuldnerver<strong>zu</strong>g war,<br />
4. dann wird „Verewigung des Schuldverhältnisses“, perpetuatio obligationis, fingiert,<br />
als ob die Sache <strong>zu</strong>r Zeit der Prozessbegründung noch existierte,<br />
so dass der Schuldner in den Sachwert verurteilt wird.<br />
14. Regelungsort - sedes materiae<br />
Ausführlich: Inst. 3, 15 – 3,19<br />
D. 45, 1 (De verborum obligationibus) und D. 45, 3 (De stipulatione servorum).<br />
15. Andere Verbalkontrakte<br />
Die Stipulation stellt den wichtigsten der Verbalkontrakte dar<br />
(weitere: sponsio als ältere Versprechensform, das Mitgiftversprechen dotis dictio,<br />
das Versprechen künftiger Leistungen durch Freigelassenen, die promissio operarum;<br />
außerdem votum gegenüber der Gottheit, pollicitatio gegenüber der Gemeinde).<br />
16. Zur neueren Rechtsentwicklung<br />
Hattenhauer, Grundbegriffe, §§ 4 und 5<br />
S. da<strong>zu</strong> auch §§ 780 f. BGB.<br />
17. Ausdrücke<br />
Promissor Versprechender, Schuldner<br />
promittere förmlich versprechen<br />
stipulári sich in bestimmter, feierlicher Form versprechen lassen<br />
stipulatio förmliches Versprechen<br />
stipulator Versprechensempfänger.<br />
KAPITEL 44. STIPULATION, REGELUNG IN INST. 3, 15 – 3, 20<br />
Abschluss Inst. Iust. 3, 15<br />
Klagen Inst. 3, 15 pr.<br />
Zustandekommen Inst. 3, 15, 1<br />
absolute formale Deckung von Frage und Antwort Inst. 3, 19, 4<br />
keine Stipulation mit Stummen oder Tauben Inst. 3, 19, 7.<br />
Befristung Inst. 3, 15, 2<br />
Bedingung Inst. 3, 15, 4<br />
Stipulation einer Handlung Inst. 3, 15, 7<br />
Vertragsstrafe Inst. 3, 15, 7.<br />
„Über die Stipulation der Sklaven“ Inst. Iust. 3, 17<br />
Stipulationsforderung durch einen Gewaltunterworfenen für Gewalthaber Inst. 3, 17, 1.<br />
„Über unwirksame Stipulationen“ Inst. Iust. 3, 19<br />
Anfängliche objektive sachliche Unmöglichkeit Inst. 3, 19, 1<br />
Objektive rechtliche Unmöglichkeit Inst. 3, 19, 2.<br />
Kein ws Versprechen der Leistung eines <strong>Dr</strong>itten Inst. 3, 19, 3 und 21<br />
Kein ws Versprechen <strong>zu</strong> Gunsten eines <strong>Dr</strong>itten Inst. 3, 19, 4<br />
aber ws Versprechen für <strong>Dr</strong>itten als Zahlstelle, solutionis causa adiectus Inst. 3, 19, 4<br />
und Hilfsmittel der Vertragsstrafe Inst. 3, 19, 19.<br />
30. September 2011<br />
161
Beschränkungen in der Person der Parteien Inst. 3, 19, 6 – 10.<br />
Dissens Inst. 3, 19, 23<br />
Sittenwidrigkeit Inst. 3, 19, 24<br />
Bürgschaft (mittels Stipulation) Inst. 3, 20 pass.<br />
KAPITEL 45. KEIN VERTRAG ZU GUNSTEN DRITTER,<br />
1. Grundsatz: Alteri stipulari nemo potest.<br />
- Weder echter Vertrag <strong>zu</strong> Gunsten <strong>Dr</strong>itter,<br />
- meistens auch nicht „unechter“:<br />
ABER WICHTIGE EINSCHRÄNKUNGEN<br />
kein Anspruch des Gläubigers gegen Schuldner auf Leistung an <strong>Dr</strong>itten 429<br />
.<br />
- Bei der Stipulation <strong>zu</strong> Gunsten des Versprechensempfängers und eines <strong>Dr</strong>itten,<br />
Sabinianer: volle Forderung für den Versprechensempfänger,<br />
P.: nur halbe Forderung für den Versprechensempfänger, anderer Teil unwirksam 430<br />
.<br />
2. Aber wichtige Aushilfsmittel 431<br />
. Wirksam ist<br />
1. Gesamtgläubiger oder Gesamtschuldner,<br />
wenn mehrere Anwesende sich versprechen lassen oder Versprechen abgeben 432<br />
.<br />
429<br />
2. Bei Gegenwart des <strong>Dr</strong>itten: als Mitgläubiger <strong>zu</strong> Gunsten des Hauptgläubigers,<br />
adstipulator, mit eigener Klagbefugnis 433<br />
.<br />
3. <strong>Dr</strong>itter als Zahlstelle, solutionis causa adiectus 434<br />
,<br />
z. B. Stipulationstext „mir oder Seius“, mihi aut Seio,<br />
aber ohne eigene Klagbefugnis des <strong>Dr</strong>itten.<br />
Danach Gl gegen diesen <strong>Dr</strong>itten: Auftragsklage 435<br />
.<br />
4. Vielleicht 436<br />
Procurator 437<br />
.<br />
Kaser II S. 339 Anm. 30: „...Aus Verträgen auf incertum (dare oder facere) kann dagegen geklagt werden,<br />
wenn der Stipulant an der Leistung an den <strong>Dr</strong>itten ein eigenes geldwertes Interesse hat..., wenn der Gläubiger für<br />
die Leistung, die der Schuldner erbringen soll, dem <strong>Dr</strong>itten haftet...“.<br />
430<br />
431<br />
Gai. 3, 103.<br />
Wesenberg, Verträge <strong>zu</strong> Gunsten <strong>Dr</strong>itter, 1949, pass., <strong>zu</strong> Sonderfällen, ebenso K I 491/32 („spätklassisches<br />
Kaiserrecht“ etc.).<br />
432<br />
433<br />
434<br />
435<br />
436<br />
437<br />
Inst. 3, 16, pass.; Dig. Tit. 45, 2 (De duobus reis constituendis).<br />
Gai. 3, 110 f.: a. mandati des Gl gegen den adstipulator.<br />
Solutionis causa adiectus etc. D. 46, 3, 28, 2; 46, 3, 10.<br />
Inst. 3, 19, 4; Scaev. D. 45, 1, 131, 1; Gai. D. 45, 1, 141, 3.<br />
Hat Procurator Klagrecht?<br />
Ulp. D. 45, 1, 38, 23, und 45, 1, 79.<br />
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162
5. Selten und ausnahmsweise Stipulationen <strong>zu</strong> Gunsten <strong>Dr</strong>itter<br />
als „unechter Vertrag <strong>zu</strong> Gunsten <strong>Dr</strong>itter“<br />
in bestimmten Interessensituationen (teilweise nachklassisch?) 438<br />
.<br />
D. h. Stipulationsgläubiger hat Klage gegen Schuldner,<br />
falls Schuldner nicht an <strong>Dr</strong>itten leistet.<br />
Auch „Sorge“ des Verkäufers eines Grundstücks für Pächter oder Mieter 439<br />
.<br />
6. Wichtiges Aushilfsmittel: Vertragsstrafe.<br />
„Wenn jemand sich daher versprechen lässt, dass dem Titius gegeben werde, bewirkt er nichts. Wenn<br />
er aber, um eine Vertragsstrafe <strong>zu</strong> vereinbaren, hin<strong>zu</strong>fügt: ‚Versprichst du mir soundsoviele Goldstücke<br />
<strong>zu</strong> geben, wenn du nicht (gemeint ist: an Titius) leistest’, dann kommt die Stipulation <strong>zu</strong>stande“(Inst.<br />
3, 19, 19 a. E. 440<br />
) 441<br />
.<br />
7. Wirksam ist Kreditauftrag 442<br />
(s. u.) u. ä.<br />
(8. Bei der Stipulation <strong>zu</strong> Gunsten des Versprechensempfängers und eines <strong>Dr</strong>itten,<br />
Sabinianer: volle Forderung für den Versprechensempfänger,<br />
Proculianer: halbe Forderung für den Versprechensempfänger, anderer Teil unwirksam 443<br />
).<br />
3. Gewaltunterworfener 444<br />
438<br />
439<br />
440<br />
441<br />
442<br />
443<br />
444<br />
445<br />
1. GU kann als Gläubiger 445<br />
stipulationsweise Versprechen annehmen 446<br />
1. ausdrücklich für seinen Gewalthaber 447<br />
2. und/oder für sich 448<br />
(das bedeutet im Ergebnis für GH),<br />
2. kann als Schuldner verpflichten 449<br />
ausdrücklich<br />
1. nur sich selbst (als Haussohn bzw. adjektizische Klagen 450<br />
),<br />
2. nicht seinen Gewalthaber (dieser haftet aber evtl auf Grund adjektizischer Klagen).<br />
K I 491 / 33, <strong>zu</strong> Fällen des sog. unechten Vertrages <strong>zu</strong> Gunsten <strong>Dr</strong>itter; Inst. 3, 19, 20.<br />
19, 2, 25, 1 (Echtheit str.).<br />
Zum inhaltsgleichen Fragment Ulp. D. 45, 1, 38, 7: Knütel, Stipulatio, 45 ff.<br />
Verschiedene Fälle: Paul. D. 46, 3, 98, 5.<br />
K I 666.<br />
Gai. 3, 103.<br />
Paul. D. 46, 1, 56, 1.<br />
Florent. D. 45, 3, 15; Pomp. D. 45, 3, 40; Iul. D. 45, 1, 62: wirksame Stipulationsforderung, sogar wenn gegen<br />
Verbot des Herrn.<br />
446<br />
447<br />
448<br />
449<br />
Tit. D. 45, 3, und Inst. 3, 16. De stipulatione servorum.<br />
Ulp. D. 45, 1, 38, 17; Paul. D. 45, 1, 130.<br />
D. 45, 3, 1 pr. und 15.<br />
Inst. 3, 19, 6 = Gai. 3, 104 (keine Stipulationsverpflichtung des Sklaven) meint m. E. lediglich, dass Sklave<br />
selbst nicht Stipulationsschuldner mit der Wirkung wird, dass er verklagt werden könnte. Wohl aber adjektizische<br />
Haftung in der üblichen Weise, wenn Vorausset<strong>zu</strong>ngen gegeben sind.<br />
450<br />
M. E. missverständlich Gai. 3, 104; Inst. 3, 19, 6: Sklave könne sich überhaupt nicht verpflichten. Gemeint ist<br />
m. E., dass Sklave gegen sich selbst, auch nicht mit Wirkung nach der Freilassung, keine Forderung begründen<br />
kann (wohl aber, wenn Vorausset<strong>zu</strong>ngen, adjektizische Forderung).<br />
30. September 2011<br />
163
4. GH kann ws für GU stipulieren 451<br />
.<br />
KAPITEL 46 A. SCHULDUMSCHAFFUNG = NOVATIO<br />
In Rom sehr verbreitet, dass eine bestehende Schuld in eine andere umgewandelt wird, Schulderneuerung, daher<br />
„novatio“, mittels Stipulation 452<br />
,<br />
vor allem zwecks Gläubigerwechsels, Schuldnerwechsels, sonstiger Inhaltsänderung.<br />
Es entstand damit eine neue Forderung, die alte erlosch und mit ihr auch alle Sicherungsrechte<br />
(anders heute § 401 BGB [lesen!]; aber ebenso heute § 418 BGB).<br />
In einigen Fällen erforderlich, z. B. für späteren förmlichen Erlasses mittels acceptilatio,<br />
und für die in klass. Zeit seltene Sponsionsbürgschaft (nicht für andere Bürgschaftsformen).<br />
Die novierende Stipulation konnte die alte nennen, "tituliert" sein,<br />
so die obigen Bsp, in denen<br />
- Tu die Schuld des Seius übernimmt oder<br />
- in denen Tu dem Ego verspricht, was er <strong>zu</strong>vor dem Titius geschuldet hatte.<br />
Ob die novierende Stipulation die alte verschweigen konnte<br />
und damit "abstrakt" sein konnte, ist heute ungewiss 453<br />
.<br />
Bei einem Mangel der alten Schuld: bei der titulierten Stipulation, also im ersten Fall,<br />
auch keine neue Forderung.<br />
Der neuen Obligation können auch dieselben Exzeptionen entgegengehalten werden wie der alten.<br />
Im zweiten Fall, bei untitulierter Stip, wegen Unwirksamkeit der alten Schuld<br />
exceptio doli des Schuldners erforderlich.<br />
KAPITEL 46 B. ANWEISUNG = DELEGATIO 454<br />
1. Beschreibung<br />
Die Anweisung, delegatio, ist in Rom die Aufforderung des Anweisenden (A) an den Angewiesenen (B),<br />
dem Anweisungsempfänger (C) etwas <strong>zu</strong><strong>zu</strong>wenden. Sie ist mit der Novation eng verbunden.<br />
2. Beispiel<br />
Beispielsweise bittet A den B,<br />
an C 100 Goldstücke <strong>zu</strong> bezahlen oder sie ihm <strong>zu</strong> versprechen.<br />
3. Beteiligte drei Personen<br />
<strong>Dr</strong>ei Personen:<br />
Anweisender = Delegant (hier: A)<br />
Angewiesener = Delegat(hier: B)<br />
(vielleicht kann man sich<br />
451<br />
Paul. D. 45, 1, 39; Paul. D. 45, 1, 130; Pap. D. 46, 3, 95, 5. Inst.3, 19, 4 a. E. S.auch Iul. D. 45,1, 56 § 2. Erklärungsbedürftig<br />
§ 3 „soli filio“.<br />
452<br />
453<br />
454<br />
D. 46, 2, 2; 46, 2, 1 pr.<br />
So etwa Feenstra. K I § 152/11 lehnt hingg Novation durch eine Stip ohne Be<strong>zu</strong>gnahme ab.<br />
Da<strong>zu</strong> auch K, Ausgewählte Schriften I, und Röm R.quellen. Zusammenfassung sogar bei Heumann-Seckel<br />
adhl.<br />
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164
- die deutsche Ausdrucksweise irgendwie merken:<br />
wem der Anweisende die Anweisung erteilt;<br />
- die lateinische Ausdrucksweise merken:<br />
–aat als die grammatikalische Endung für das Passiv/Objekt;<br />
Delegant gibt Befehl, Delegat kriegt Befehl.).<br />
Anweisungs-empfänger (Begünstigter) = Delegatar (hier: C)<br />
(<strong>zu</strong>m Merken: „Begünstigter = Empfänger“<br />
„Empfänger kriegt was“, sei es Zahlung, sei es Forderung!).<br />
4. Bezeichnung und Inhalt der drei Rechtsbeziehungen<br />
Deckungsverhältnis: Delegant - Delegat<br />
Valutaverhältnis: Delegant - Delegatar<br />
Zuwendungsverhältnis: Delegat - Delegatar.<br />
Dabei besteht häufig im Deckungsverhältnis<br />
eine Forderung des Deleganten gegen den Delegaten,<br />
während im Valutaverhältnis<br />
eine Forderung des Delegatar gegen den Deleganten besteht.<br />
Dann erfolgt die Delegation von Delegant an Delegat<br />
<strong>zu</strong>m Zweck der Erfüllung der Verpflichtung des Delegaten gegenüber Deleganten.<br />
Es kann aber auch darum gehen,<br />
ein neues Rechtsverhältnis überhaupt erst her<strong>zu</strong>stellen,<br />
z. B. um eine Schenkung des Delegaten an Deleganten <strong>zu</strong> bewirken<br />
oder um eine Mitgift (dos) des Delegaten für den Deleganten <strong>zu</strong> bestellen<br />
oder um ein Darlehen <strong>zu</strong> gewähren.<br />
5. Zahlungsanweisung oder Verpflichtungsanweisung<br />
- Zahlungs-Anweisung: Delegant A weist Delegat B an, an Delegatar C <strong>zu</strong> zahlen, oder<br />
- Verpflichtungs-Anweisung: B soll sich gegenüber C im Wege der Stipulation verpflichten;<br />
diese ist wichtiger.<br />
Bei der Zahlungsanweisung erteilte der Anweisende A dem Angewiesenen B die Anweisung, an den Anweisungsempfänger<br />
C <strong>zu</strong> Lasten des A <strong>zu</strong> zahlen. Mit der Zahlung des B an den C erbrachte (mittelbar) gleichzeitig<br />
der B eine „Leistung“ an den A (= Leistung an einen <strong>Dr</strong>itten) und der A eine „Leistung“ (durch einen <strong>Dr</strong>itten) an<br />
den C.<br />
6. Zwei unterschiedliche Funktionen der Verpflichtungsanweisung:<br />
Aktivdelegation oder Passivdelegation<br />
a) Aktivdelegation (Wirkung vergleichbar der Abtretung)<br />
In der ersten Alternative, der Aktivdelegation,<br />
wird im Deckungs-verhältnis<br />
eine Forderung des Deleganten gegen den Delegaten vorausgesetzt.<br />
Dann weist der Delegant A den Delegaten B in einem iussum an,<br />
dass der Delegat B dem Delegatar C<br />
genau das in einer Stipulation verspricht, was bisher B dem A schuldete.<br />
Wenn z. B. der Delegant (A) Seius hieß,<br />
dann stipulierte C von B: „Was du dem Seius schuldest, versprichst du das mir <strong>zu</strong> geben?“<br />
„Quod Seio debes, mihi dari spondesne?“<br />
30. September 2011<br />
165
Dann sehen die Parteien die Hauptbedeutung der Delegation darin,<br />
dass der Delegat einen neuen Gläubiger bekommt,<br />
so dass im Ergebnis der Delegatar gegenüber dem Delegaten<br />
die Forderung des Deleganten übernimmt<br />
= Gläubigerwechsel = Forderungsübernahme = Abtretung = Aktivdelegation.<br />
b) Passivdelegation (Wirkung vergleichbar der Schuldübernahme)<br />
In der zweiten Alternative, der Passivdelegation,<br />
wird im Valuta-verhältnis<br />
eine Forderung des Delegatars C gegen den Deleganten A vorausgesetzt.<br />
Im Deckungsverhältnis wird irgendeine Rechtsbeziehung<br />
zwischen dem Deleganten A und dem Delegaten B vorausgesetzt.<br />
Dann weist der Delegant A den Delegaten B in einem iussum an,<br />
dass der Delegat B dem Delegatar C<br />
genau das in einer Stipulation verspricht, was bisher der A dem C schuldete.<br />
Wenn z. B. der Delegant Titius hieß,<br />
dann stipulierte C von B: „Was mir der Titius schuldest, versprichst du das mir <strong>zu</strong> geben?“<br />
„Quod Titius mihi debet, id mihi dari spondesne?“<br />
Dann beabsichtigen die Parteien in erster Linie,<br />
dass der Delegatar einen neuen Schuldner bekommt, so dass im Ergebnis<br />
der Delegat gegenüber dem Delegatar die Schuld des Deleganten übernimmt.<br />
= Schuldnerwechsel = Schuldübernahme = Passivdelegation.<br />
In beiden Fällen scheidet der Delegant aus dem <strong>Dr</strong>eiecksverhältnis aus:<br />
Bei der Forderungsübernahme<br />
wird die Forderung des Deleganten von dem Delegatar übernommen.<br />
Bei der Schuldübernahme<br />
wird die Schuld des Deleganten von dem Delegaten übernommen.<br />
7. Funktionieren durch Iussum und Stipulation<br />
Wie funktionierte nun die Delegation in Rom?<br />
Ganz einfach: mittels Iussum und (Zahlung oder) Stipulation.<br />
- Immer erteilte der Delegant dem Delegaten das iussum,<br />
an den Delegatar <strong>zu</strong> zahlen oder <strong>zu</strong> versprechen,<br />
d. h. eine „Anordnung, Befehl“, gänzlich formlos,<br />
- und immer musste da<strong>zu</strong> der Delegat<br />
- an den Delegatar entweder zahlen oder<br />
- ihm stipulationsweise versprechen.<br />
Nach der Anweisung des Deleganten an den Delegaten<br />
wurde von dem Delegatar die Stipulation mit dem Delegaten abgeschlossen,<br />
indem der Delegatar den Delegaten fragte: "Versprichst Du mir ....".<br />
8. Art der Stipulation zwischen Delegatar und Delegat<br />
In der Stipulation zwischen Delegatar und Delegaten<br />
nahm der Delegatar immer, oder jedenfalls meistens,<br />
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166
auf die ursprüngliche Forderung Be<strong>zu</strong>g, also<br />
entweder: "versprichst Du mir die hundert, die mir Titius schuldete?" (Schuldübernahme),<br />
oder: "Versprichst Du mir die hundert, die du dem Seius schuldetest?" (Forderungsübernahme).<br />
Man sagt, die Stipulation sei tituliert gewesen und nicht abstrakt.<br />
Ob auch eine abstrakte Stipulation geeignet gewesen sei, ist heute fraglich.<br />
9. Wirkung der Delegation<br />
Rechtswirkung<br />
- von iussum des Deleganten,<br />
- verbunden mit Stipulation oder Zahlung im Verhältnis Delegatar – Delegat:<br />
sobald der Delegat an den Delegatar<br />
gezahlt oder versprochen hatte, trat die Wirkung ein,<br />
dass die beiden Forderungen Delegatar - Delegant 455<br />
und Delegant - Delegat erloschen.<br />
Denn der Delegatar hatte von dem Delegaten und damit mittelbar von dem Deleganten entweder Zahlung<br />
oder Stipulationsversprechen erhalten.<br />
Insofern konnten die Römer sagen:<br />
"Erfüllung erfolgt auch durch Anweisung = Solvit et qui delegat" 456<br />
.<br />
10. Fehlerhaftigkeit der ursprünglichen Forderung<br />
Welche Bedeutung hatte es,<br />
wenn eine der ursprünglichen Forderungen unwirksam oder einredebehaftet war?<br />
Das kann im römischen Recht differenziert oder kontrovers gesehen worden sein.<br />
Im Grundsatz ergibt sich die Antwort aus der Formulierung der Stipulation.<br />
- War sie abstrakt oder tituliert?<br />
- Handelte es sich um eine titulierte Stipulation<br />
- zwecks Forderungsübernahme (Aktivdelegation) oder<br />
- zwecks Schuldübernahme (Passivdelegation)?<br />
11. Fehlerhaftigkeit bei abstrakter Stipulation<br />
War die neue Stipulation, zwischen Delegatar (als neuem Gläubiger)<br />
und Delegatem (als neuem Schuldner) abstrakt formuliert,<br />
also ohne Hinweis auf eine andere, <strong>zu</strong> Grunde liegende Forderung,<br />
dann konnte der Delegat im allgemeinen<br />
nur solche Unwirksamkeitsgründe oder Einreden geltend machen,<br />
die sich gerade aus dem Verhältnis zwischen Delegatar und Delegaten ergaben.<br />
Im übrigen blieb die Möglichkeit, dass ein Ausgleich zwischen<br />
Delegat und Delegant, oder zwischen Delegatar und Delegant erfolgte.<br />
Aber Ausnahmen und Kontroversen.<br />
12. Fehlerhaftigkeit bei Aktivdelegation,<br />
wenn die Stipulation tituliert war.<br />
- Bei der Forderungsübernahme (Aktivdelegation) versprach der Delegat dasjenige <strong>zu</strong> leisten,<br />
was er bisher dem Deleganten (z. B. Seius) geschuldet hatte.<br />
455<br />
456<br />
Gai. 3, 176; K I § 152 m. Anm. 16 ff.<br />
K I § 152/43. So ausdrücklich z. B. D. 16, 1, 8, 3.<br />
30. September 2011<br />
167
- Wenn also die Forderung Delegant - Delegat fehlerhaft war,<br />
dann haftete derselbe Fehler der Stipulationsforderung Delegatar - Delegat an 457<br />
:<br />
die eine war also ebenso unwirksam wie die andere,<br />
oder die ein war so einredebehaftet wie die andere.<br />
- Wenn hingegen die Forderung Delegatar - Delegant fehlerhaft war,<br />
dann war diese Rechtsbeziehung im Verhältnis Delegatar - Delegat irrelevant<br />
und konnte von dem Delegaten gegenüber dem Delegatar nicht geltend gemacht werden.<br />
13. Fehlerhaftigkeit bei Passivdelegation,<br />
wenn die Stipulation tituliert war.<br />
- Bei der Schuldübernahme hingegen versprach der Delegat nur das <strong>zu</strong> leisten,<br />
was bisher der Delegant (z. B. Titius) dem Delegatar geschuldet hatte.<br />
- Wenn also die Forderung Delegatar - Delegant fehlerhaft war,<br />
dann haftete derselbe Fehler der Stipulationsforderung Delegatar - Delegat an 458<br />
.<br />
- Wenn hingegen die Forderung Delegant - Delegat fehlerhaft war,<br />
dann war das im Verhältnis Delegatar - Delegat irrelevant<br />
und konnte von dem Delegaten gegenüber dem Delegatar nicht geltend gemacht werden.<br />
14. Rückabwicklung wohl meistens in Rom wie noch heute<br />
in den „Leistungsbeziehungen“ (wie man heute wohl sagen würde)<br />
zwischen Delegat und Delegant<br />
oder zwischen Delegant und Delegatar<br />
Bei Doppelmangel häufig Durchgriff 459<br />
.<br />
15. Terminologische Warnung<br />
Vermeiden Sie hier (wie auch sonst!) den Ausdruck des "<strong>Dr</strong>itten":<br />
wer von den drei Personen soll denn der <strong>Dr</strong>itte sein?<br />
16. Vorsicht: BGB<br />
Hingegen §§ 783 ff. BGB besondere Vorausset<strong>zu</strong>ngen und Rechtsfolgen der Anweisung.<br />
457<br />
Digesten 46, 2, 19. Paulus im 69. Buch <strong>zu</strong>m Edikt. Die Einrede der Arglist, die dem Deleganten hatte entgegengesetzt<br />
werden können, entfällt gegenüber der Person des Gläubigers, an den jemand delegiert wurde. Dasselbe<br />
gilt auch für andere ähnliche Einreden, sogar für diejenige, die auf Grund des Senatsconsultum dem<br />
Haussohn gewährt wird. Denn gegenüber dem Gläubiger, an den der Haussohn von demjenigen, der ein Darlehen<br />
entgegen dem Senatusconsultum gegeben hatte, delegiert wurde, verwendet er die Einrede deswegen nicht,<br />
weil er mit seinem Versprechen nicht gegen das Senatusconsultum verstößt. Das gilt um so mehr, als dieser das<br />
Geleistete nicht <strong>zu</strong>rückverlagen kann. Anders ist es hinsichtlich einer Frau, die entgegen dem Senatusconsultum<br />
etwas versprochen hat. Denn auch in ihrem zweiten Versprechen liegt eine Interzession. Dasselbe gilt für<br />
den Minor, der übervorteilt worden ist und delegiert wird. Denn er wird wiederum übervorteilt, wenn er bei der<br />
Delegation noch ein Minor ist. Anders ist es, wenn er schon das Alter von 25 Jahren überschritten hat, obgleich<br />
er bis dahin gegenüber dem ersten Gläubiger wieder in den vorigen Stand eingesetzt werden konnte. Aber aus<br />
dem Grund werden die Einreden gegenüber dem zweiten Gläubiger verweigert, weil bei privaten Verträgen<br />
und Abmachungen der Kläger nicht ohne weiteres wissen kann, was zwischen demjenigen, der delegiert wurde,<br />
und dem Schuldner vorgegangen ist. Oder, selbst wenn er es weiß, muss er sein Wissen verbergen, um nicht als<br />
neugierig <strong>zu</strong> gelten. Und deswegen muss richtigerweise ihm gegenüber die Einrede aus der Person des Schuldners<br />
verweigert werden.<br />
458<br />
459<br />
K I § 152 / 13.<br />
Vgl. D. 12,4, 7 pr. (Case 234).<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
168
KAPITEL 47. DELEGATION STATT MODERNER ABTRETUNG<br />
Eigentlich keine Abtretung im Sinne des BGB,<br />
denn: „Forderungen hängen an den Knochen von Gl und Sch“ – nomina ossibus inhaerent.<br />
Abneigung im römischen Recht gegen Einbeziehung <strong>Dr</strong>itter in Vertrag<br />
wie bei Ausschluss der direkten Stellvertretung und bei Unwirksamkeit des Vertrages <strong>zu</strong> Gunsten <strong>Dr</strong>itter.<br />
Aber gewissermaßen Ersatz-Konstruktionen im römischen Recht für Ergebnis der Abtretung 460<br />
:<br />
1. Ausgangssituation für Abtretungserfolg mittels Delegation<br />
Es ist davon aus<strong>zu</strong>gehen, dass B (Delegat) der Schuldner des A (Delegant) war,<br />
im Deckungsverhältnis besteht also eine Forderung.<br />
A (Delegant) könnte vielleicht der Schuldner des C (Delegatar) sein,<br />
im Valutaverhältnis hätte dann ebenfalls eine Forderung bestanden;<br />
es könnte stattdessen sein, dass A dem C etwas schenken oder ihm eine Dos bestellen<br />
oder ihm ein Darlehen gewähren wollte.<br />
Im Zuwendungs- oder Abwicklungsverhältnis, d. h. zwischen B und C<br />
bestand bisher keine Rechtsbeziehung;<br />
diese wird nun erst das Zuwendungsverhältnis hergestellt.<br />
2. Herstellung des Abtretungsergebnisses<br />
Der Delegatar tritt nunmehr an die Stelle des ursprünglichen Gläubigers, des Deleganten<br />
(in Rom: Aktivdelegation),<br />
also Erfolg der modernen Abtretung. Wichtig, weil das römische Recht<br />
eine Abtretung als Vereinbarung zwischen dem bisherigen Gläubiger und dem Abtretungsempfänger,<br />
ohne Beteiligung des Schulders (§ 398 BGB), nicht kannte.<br />
In Rom mittels<br />
1. formloser Anordnung, iussum, des Deleganten an den Delegaten (B),<br />
der Delegat solle dem Delegatar etwas <strong>zu</strong>wenden, verbunden mit<br />
2. Stipulation des Delegatars (C) von dem Delegaten (B).<br />
Vorgehensweise in Rom. Wenn ursprünglich der A eine Forderung gegen B hatte und<br />
1. wenn der bisherige Gläubiger (A), der anweisende Delegant,<br />
seinen Schuldner (B), den angewiesenen Delegaten, anwies und damit das Iussum erteilte,<br />
an einen <strong>Dr</strong>itten, den Delegatar, <strong>zu</strong> leisten, und<br />
2. wenn der <strong>Dr</strong>itte (C), als Anweisungsempfänger (Delegatar) die Forderung,<br />
welche bisher dem Anweisenden <strong>zu</strong>stand, von dem Angewiesenen stipulierte,<br />
etwa mit den Worten: "Was Du dem Seius schuldest, versprichst Du es jetzt mir?",<br />
"Quod Seio debes, mihi dari spondesne?"<br />
3. Warum Delegation? Innenverhältnis zwischen Delegatar - Deleganten - Delegaten?<br />
Warum<br />
1. Erteilung der Anweisung durch den Anweisenden A an den Angewiesenen B?<br />
460<br />
Definition Delegation = Abtretung 46, 2, 11 pr.<br />
30. September 2011<br />
169
Frage des Valutaverhältnisses zwischen A und C:<br />
1. Häufig, damit der Delegant A seine eigene Schuld<br />
gegenüber dem Delegatar C erfüllt, entsprechend der Rechtsmaxime:<br />
Solvit qui delegat. Es erfüllt, wer anweist.<br />
(Auch umgekehrt: Qui delegat, solvit.).<br />
2. Oder<br />
- Darlehen oder<br />
- Schenkung oder Dosbestellung des A an C.<br />
2. Warum Annahme des Iussum durch den Angewiesenen B<br />
und Stipulationsversprechen des B gegenüber Anweisungsempfänger C?<br />
Frage des Deckungsverhältnisses zwischen B und A:<br />
1. Häufig wegen Schuld des Delegaten B gegenüber dem Deleganten A.<br />
2. Oder Darlehen, Schenkung, Dosbestellung etc. des B an den A.<br />
4. Nachteil<br />
Infolge neuer Stipulation zwischen Delegatar und Delegaten, d. h. Novation,<br />
erlöschen die Sicherheiten für ursprüngliche Forderung des Delegatars gegen Deleganten.<br />
5. Andere Möglichkeiten <strong>zu</strong>m Abtretungserfolg<br />
Nach römischem Recht gab es neben der<br />
- Delegation<br />
andere Möglichkeiten, um die Folgen einer heutigen Abtretung <strong>zu</strong> erzielen, insbesondere durch<br />
- eine analoge Klage, actio utilis,<br />
- oder durch Prozessvertretung.<br />
6. Unterschied römische Delegation / moderne Abtretung<br />
Beachten Sie Unterschied zwischen Weg <strong>zu</strong>m Erfolg des Gläubigerwechsels<br />
in Rom: Rechtsgeschäft im Wesentlichen zwischen Schuldner und Neugläubiger,<br />
nach BGB: Rechtsgeschäft zwischen Altgläubiger und Neugläubiger.<br />
KAPITEL 48. DELEGATION STATT MODERNER SCHULDÜBERNAHME<br />
Ähnlich wie die Delegation <strong>zu</strong>r Forderungsübertragung eingesetzt wurde,<br />
wurde sie <strong>zu</strong>r Schuldübernahme benutzt.<br />
Der Gläubiger (C) brauchte den Neuschuldner (B) lediglich stipulationsweise <strong>zu</strong> fragen:<br />
"Was mir der Altschuldner Titius (A) schuldet, versprichst jetzt Du es mir, dass das mir geleistet werde?",<br />
"Quod Titius mihi debet, mihi dari spondesne?" oder "Decem quae mihi Titius debet...?",<br />
und der Neuschuldner B musste die Frage bejahen, mit der Folge,<br />
dass der Altschuldner Titius (A) nunmehr von der Schuld gegenüber dem Gläubiger (C) befreit war.<br />
Also in Rom, ähnlich wie heute,<br />
Rechtsgeschäft zwischen Gläubiger (C) und Neuschuldner (B).<br />
Beim Schuldnerwechsel<br />
erlischt die ursprüngl Forderung des Gl gegen den Altschuldner,<br />
weil dies im allgemeinen dem Willen des Gläubigers und der beiden Schuldner entspricht.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
170
Kapitel 49. Schuldumschaffung. verschoben<br />
Kapitel 50. Bedingungen. verschoben<br />
11 A. TEIL<br />
VERTRAGSÄHNLICHE VERHÄLTNISSE<br />
KAPITEL 51. QUASIKONTRAKTE, INST. 3, 27 PASS.<br />
Lehrerartige und schulbuchgemäße Überleitung und Erläuterung Inst. 3, 27 pr.<br />
KAPITEL 52. GESCHÄFTSFÜHRUNG OHNE AUFTRAG = NEGOTIORUM GESTIO<br />
Inst. Iust. 3, 27 pr. + 1.<br />
Ebenfalls heute noch so ähnlich wie im alten Rom.<br />
KAPITEL 53. UNGERECHTFERTIGTE BEREICHERUNG = CONDICTIO INDEBITI 461<br />
1. Institutionen 3, 13, 2; 3, 14, 1; 3, 27 pr. und 6.<br />
2. Klage war die aus der XII-Tafel-Zeit stammende condictio 462<br />
.<br />
Diese war besonders gut als Bereicherungsklage geeignet wegen ihrer sogen. abstrakten Fassung,<br />
denn es genügten die folgende, sehr allgemein gehaltene intentio und die condemnatio:<br />
"wenn es sich ergibt, dass der Beklagte dem Kläger z. B. 10 000 Sesterzen <strong>zu</strong> zahlen verpflichtet ist,<br />
dann verurteile" etc.,<br />
ohne Nennung des Verpflichtungsgrundes.<br />
Auch eingesetzt für Ersatzforderung (nicht: Schadenersatz wegen Delikts) gegen Dieb,<br />
Rückzahlung eines Darlehens, Litteralkontrakt und Stipulation.<br />
3. Die condictio wegen Bereicherung setzte voraus<br />
1. eine Zuwendung, datio 463<br />
,<br />
1. Leistung, z. B. Geldzahlung 464<br />
oder Schuldenerlass,<br />
461<br />
462<br />
463<br />
K I § 139, S. 592. Jörs-Kunkel, 4. A., § 127.<br />
Kaser I S. 593.<br />
Deswegen z. B. nur Direkt-Kondiktion nach Mod. 12. 6. 49: Nur von demjenigen wird Geld kondiziert, an den<br />
es in irgendeiner Weise gezahlt worden ist, nicht von denjenigen, denen es <strong>zu</strong>gute kommt.<br />
464464<br />
Leistung mittels Anweisung genügt, K I § 139/9.<br />
30. September 2011<br />
171
2. Im römischen Recht einen rechtsgeschäftsähnlichen Vorgang, ein negotium contractum 465<br />
(deswegen z. B. keine condictio bei eigenem Bau auf fremdem Grund).<br />
2. Außerdem, wie bei der heutigen Bereicherungsklage,<br />
das Fehlen einer Zweckvereinbarung oder das Nichterreichen des beabsichtigten Zwecks,<br />
also Fehlen oder Mangelhaftigkeit einer causa 466<br />
(diese aber eine andere causa als für traditio oder usucapio).<br />
Z. B. infolge abstrakter Zuwendung (mancipatio)<br />
oder infolge Vermischen fremden Geldes mit eigenem;<br />
später auch wegen grundloser Stipulation.<br />
4. Bereicherungsfälle u. a.:<br />
- Häufig: angeblicher Schuldner zahlt Geld an angeblichen Gläubiger <strong>zu</strong>rück,<br />
obwohl er Darlehen gar nicht erhalten oder schon wieder <strong>zu</strong>rückgezahlt hat,<br />
oder Bürge zahlt an Gl <strong>zu</strong>rück, obwohl Haupschuldner schon gezahlt hat.<br />
- Auch wenn ohne Rechtsgrund ein Stipulationsversprechen abgegeben worden war,<br />
konnte dieses kondiziert werden.<br />
Kondfiktionsgrund auch, wenn einer Stipulationsforderung<br />
eine dauernde Einrede entgegenstand.<br />
- Sonderfall der Condictio de bene depensis,<br />
wenn Darlehensnehmer fremdes Geld gutgläubig verbraucht hatte.<br />
Dann konnte der Darlehens-Geber, nicht etwa der Eigentümer, die Condictio haben 467<br />
.<br />
5. Verschiedene Fallgruppen 468<br />
,<br />
wenn auch sehr schwer <strong>zu</strong> unterscheiden:<br />
- Condictio sine causa (Dig. 12, 7): sonstige Bereicherungsfälle 469<br />
465<br />
Bsp: Kleiderreiniger hat seinem Kunden verlorengegangene Kleider ersetzt,<br />
die aber wiedergefunden werden (D.12,7,2).<br />
- Condictio indebiti (Dig. 12, 6): Rückforderung einer in entschuldbarem Irrtum gezahlten Nichtschuld<br />
Bsp: Hauptschuldner zahlt Schuld an Gl <strong>zu</strong>rück, daraufhin zahlen Bürgen nochmals (D. 12,6, 25).<br />
- Condictio ob rem = Datio ob rem = condictio ob causam datorum = causa data causa non secuta:<br />
(Dig. 12, 4): in (fehlgeschlagener) Erwartung einer Gegenleistung oder eines Erfolges<br />
oder einer künftiger Eheschließung<br />
Bsp: Ego gibt dem Tu Geld, damit Tu seinen Sklaven Stichus freilässt; Tu tut es aber nicht (D. 12, 4,3, 2);<br />
Differenziert bei Mündel, pupillus: wenn pupillus Zahlung annimmt, anscheinend kein negotium, deswegen<br />
keine condicito. Wenn aber pupillus zahlt, dann negotium mit Folge der condictio des pupillus. K I 139/16 – 18.<br />
466<br />
Kontrovers: Wenn jemand etwas Geschuldetes erlangt, dennoch Rückforderung, wenn nicht der Leistende geschuldet<br />
hat; vgl. D. 12, 6, 19, 1; 46. 3. 38. 2; 5, 3, 31 pr.; 12, 6, 65, 9; C. 4, 5, 5; C. 3, 31, 5. - Aber nach a. A.<br />
keine Rückforderung gegen denjenigen, der das ihm Zustehende erhält, auch wenn von einem anderen als dem<br />
wahren Sch; D. 12, 6, 44; 2, 6, 8; 26; 53.<br />
467<br />
468<br />
469<br />
Vgl. K, Studien I 531 / 16.<br />
Vgl. K I § 139 III, S. 596 ff.; K II § 270 III 1, S. 422.<br />
Sonderfall der sogenannten condictio Iuventiana des Celsus, D. 12, 1, 32: Condctio des wirklichen Darlehensgebers<br />
gegen den Darlehensnehmer, wenn im Falle der Darlehensgewährung mittels Delegation Darlehensnehmer<br />
über Person des Darlehensgebers irrt; K I § 139 Anm. 20, § 152 Anm. 44.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
172
- Condictio ob causam finitam - Rückgabe wegen Erledigung,<br />
Bsp: Schuldschein nach Bezahlung.<br />
- Condictio ob turpem vel iniustam causam (Dig. 12, 5):<br />
Anspruch, wenn dem Empfänger Verstoß gegen gute Sitten oder gegen Rechtsordnung <strong>zu</strong>r Last fiel,<br />
Bsp: Ego gibt dem Tu Geld, damit Tu ein geplantes Verbrechen unterlässt (D. 12, 5, 2 pr.).<br />
Aber kein Anspruch, wenn auch der Leistende gegen gute Sitten gehandelt hatte (vgl. § 817 BGB),<br />
denn bei gleicher Untat ist die Sache des Besitzenden die bessere,<br />
in pari turpitudine melior est causa possidentis,<br />
- Condictio furtiva (Dig. 13, 1): Eigentümer gegen Dieb.<br />
6. Grundsätzl Haftung auf den ursprgl empfangenen Ggstd (also wie bei Darlehen)<br />
ohne modernrechtliche Entreicherungseinrede,<br />
bei Untergang der heraus<strong>zu</strong>gebenden Sache Fiktion des Fortbestandes der Bereicherungsschuld,<br />
„perpetuatio obligationis“,<br />
aber Einschränkungen / Ausnahmen 470<br />
.<br />
7. Digesten-Titel 12, 6 De condictione indebiti,<br />
12, 7 De condictione sine causa.<br />
8. Vgl. § 812 I 1 Alt. 1 BGB.<br />
9. Andere Möglichkeiten des Bereicherungsausgleichs, vor allem, wenn condictio nicht passt:<br />
- Geschäftsführung ohne Auftrag, a. negotiorum gestorum contraria,<br />
- a. in factum,<br />
- Zurückbehaltungsrecht des Entreicherten gegenüber Anspruch des Bereicherten, exc. doli,<br />
- Analogie <strong>zu</strong>r Eigentumsherausgabeklage, vindicatio utilis.<br />
Ausdrücke<br />
condictio Kondiktion<br />
(Vorsicht: condictio nicht verwechseln mit conditio = condicio, d. h. Bedingung)<br />
indebitum nicht geschuldet<br />
sine causa ohne Rechtsgrund.<br />
KAPITEL 54. GELDKONDIKTION<br />
1. Sachverhalt: Auf Grund Kaufvertrages zahlt K an V den Kaufpreis. Dann stellt sich heraus, dass der Kaufvertrag unwirksam ist, etwa<br />
wegen Irrtums 471<br />
oder wegen objektiv anfänglicher Unmöglichkeit 472<br />
. Deshalb fragt es sich, mit welcher actio der K den <strong>zu</strong> Unrecht<br />
gezahlten Kaufpreis von V <strong>zu</strong>rückbekommt. Die Juristen gewähren gelegentlich die condictio. Wie ist diese <strong>zu</strong> begründen?<br />
2. Eigentl Übereignung Geld von Kfer an Verkfer mittels traditio,<br />
diese verlangte ws causa traditionis wahrscheinl auch für Geldstücke, nummi 473<br />
.<br />
Aber keine ws emptio venditio.<br />
470<br />
In der intentio der condictio konnten auch Ansprüche auf gewisse Nebenleistungen geltend gemacht werden,<br />
z. B. auf Früchte; K I § 115, S. 493, Anm. 45.<br />
471<br />
472<br />
473<br />
D. 18, 1, 41, 1.<br />
D. 18, 4, 7.<br />
Sturm, in Schlosser, Sturm, Rechtsgeschichtl Ex, 2. A., S. 68, Anm. 32, verweist jedoch auf Bedenken bei Kaser,<br />
TR 29, 1961, 223.<br />
30. September 2011<br />
173
Deswegen kann man annehmen, dass die Geldübereignung von K an V unwirksam ist,<br />
so dass K Eigentümer des Geldes geblieben ist<br />
und dieses vindizieren kann.<br />
Dann scheidet aber condictio aus (abgesehen von dem wenig praktischen Fall der Besitzkondiktion).<br />
3. Condictio kommt nur in Betracht, wenn V Eigentümer des Geldes geworden ist.<br />
Vielleicht lässt sich argumentieren:<br />
- Verkauf (emptio) war in einzelnen anderen Fällen 474<br />
sogar dann ausreichende causa, wenn Kaufvertrag unwirksam war.<br />
- Vielleicht genügt causa solvendi,<br />
näml Zweckvereinbarung der Erfüllung einer Schuld,<br />
auch wenn diese Schuld in Wirklk nicht besteht 475<br />
.<br />
4. Wenn trotz Übergabe von K an V das Geld noch Eigentum des K blieb,<br />
weil es an Kfvertrag als causa fehlt, dann vielleicht <strong>zu</strong> unterstellen<br />
- entweder Vermischung Geld des Kfers mit Geld des Verkäufers,<br />
- oder: Geld des K wurde von V an <strong>Dr</strong>itten ausgegeben,<br />
so dass <strong>Dr</strong>itter Eigentümer wurde.<br />
5. Bereicherungs-Kondiktion verlangt außerdem negotium contractum,<br />
so hier Zweckvereinbarung K - V.<br />
6. Sine causa (gemeint: Fehlen der Bereicherungs-Causa,<br />
trotz Annahme einer traditio-causa): hier Unwsk des Kaufvertrages.<br />
7. Aber es gibt auch Fälle der Vindikation von Geld 476<br />
, so dass condictio entfiel.<br />
11 B. TEIL<br />
UNERLAUBTE HANDLUNGEN<br />
KAPITEL 1. DELIKTE 477<br />
1. Unterscheiden privatrechtliche unerlaubte Handlungen, delicta,<br />
und öffentlich verfolgte Straftaten, crimina (sing. crimen, n.).<br />
2. Systematik: Inst. 3, 13, 2 (Anfang) und Inst. 4, 1 pr.<br />
3. Beispiele für (privatrechtliche) Delikte in Inst. 3, 13, 2 (Ende):<br />
Diebstahl, Raub, Sachbeschädigung, Personenverlet<strong>zu</strong>ng 478<br />
.<br />
4. Wegen eines (privatarechtlichen) Delikts erwächst in Rom Strafklage, actio poenalis.<br />
(Eine solche Strafklage ist eine „richtige“ Strafverfolgung,<br />
allerdings erfolgt die Strafverfolgung nicht, wie heute, durch Staatsanwalt, oder wie in Rom durch Magistrat,<br />
sondern durch den geschädigten Privatmann.<br />
Die Strafsumme ging in Rom an den klagenden Privatmann, nicht wie heute an den Staat.).<br />
474<br />
475<br />
Kunkel/MM 159/26: Kauf vom Geschäftsunfähigen bei Gutgläubigkeit des Käufers.<br />
Sturm (oben Anm. 1); K I 417 m Anm 39: Gai. 3, 91; D. 44, 7, 5, 3. Das gilt nach Sturm vielleicht auch f Solutionen,<br />
die nicht Stipulation oder Damnationslegat betreffen (sondern wahrscheinl, wie hier, einen, in Wirklk<br />
nicht vorhandenen, Kfvertrag). Beste Übersicht <strong>zu</strong>r causa traditionis bei Kunkel/Mayer-Maly S. 156 ff.<br />
476<br />
477<br />
478<br />
ZB. D. 46, 1, 19.<br />
Kaser-Knütel §§ 35 und 50.<br />
Ebenso die „einzelnen Delikte“ bei Kaser-Knütel § 51.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
174
5. Actio poenalis ist in Rom Anspruch auf Grund Privatrechts,<br />
also Klagerhebung vor Praetor, Formelerteilung durch Praetor,<br />
Klagdurchführung und Urteil durch iudex.<br />
6. Ebenso wie im modernen Recht die „Strafe“ und der Anspruch wegen der betroffenen Sache<br />
auseinandergehalten werden, ebenso schon in Rom.<br />
Deswegen steht neben der sogenannten „reinen Poenalklage“, z. B. wegen Diebstahls, a. furti,<br />
die Klage bezüglich der betroffenen Sache, z. B. auf Rückgabe der gestohlenen Sache, rei vindicatio,<br />
oder auf Erstattung des Wertes der gestohlenen Sache, condictio furtiva.<br />
Die Klage auf Rückgabe oder Erstattung wegen der Sache<br />
nennt man in diesem Zusammenhang sachverfolgend, „reipersekutorisch“.<br />
Inst. Iust. 4, 6, 16. Es folgt jene Unterteilung, dass einige Klagen <strong>zu</strong>r Sachverfolgung gewährt sind und einige <strong>zu</strong>r Strafverfolgung...<br />
Inst. Iust. 4, 6, 16. Sequens illa divisio est, quod quaedam actiones rei persequendae gratia comparatae sunt, quaedam poenae<br />
persequendae...<br />
Inst. Iust. 4, 6, 17. Zur Sachverfolgung gewährt sind alle dinglichen Klagen. Von den Klagen aber, die gegen die Person gerichtet<br />
sind, sind fast alle Vertragsklagen <strong>zu</strong>r Sachverfolgung gewährt, z. B. auf Grund Darlehens oder Stipulation...<br />
Inst. Iust. 4, 6, 17. Rei persequendae causa comparatae sunt omnes in rem actiones. earum vero actionum quae in personam sunt, hae<br />
quidem quae ex contractu nascuntur fere omnes rei persequendae causa comparatae videntur: veluti quibus mutuam pecuniam vel in<br />
stipulatum deductam petit actor...<br />
Ebenso wie heute, so wurden schon in Rom beide Klagen,<br />
die Poenalklage und die sachverfolgende Klage, gehäuft gegen den Schädiger gegeben.<br />
Dieb muss daher Duplum oder Quadruplum als Strafe wegen des Diebstahls an Bestohlenen zahlen<br />
und außerdem gestohlene Sache oder deren Wert an Bestohlenen erstatten.<br />
Das gilt aber nur bei der sogenannten „reinen Poenalklage“.<br />
Inst. Iust. 4, 6, 18. Aus den Übeltaten werden die einen ausschließlich <strong>zu</strong>m Zwecke der Bestrafung gewährt ... Die Bestrafung erlangt<br />
jemand mit der Diebstahlsklage, actio furti; ob wegen offensichtlichen Diebstahls auf das Vierfache oder wegen nicht offensichtlichen<br />
Diebstahls auf das Doppelte geklagt wird, stets handelt es sich nur um die poena, Strafe. Denn man erlangt die Sache selbst<br />
durch die eigentliche Klage, indem man sein Eigentum geltend macht...<br />
Inst. Iust. 4, 6, 18. Ex maleficiis vero proditae actiones aliae tantum poenae persequendae causa comparatae sunt ... poenam tantum<br />
persequitur quis actione furti; sive enim manifesti agatur quadrupli sive nec manifesti dupli, de sola poena agitur: nam ipsam rem<br />
propria actione persequitur quis, id est suam esse petens...<br />
7. In anderen Fällen hat der Geschädigte aber allein die Poenalklage,<br />
er hat nicht außerdem eine weitere Klage auf Rückgabe, Erstattung oder Ersatz.<br />
Man nahm an, dass in derartigen Fällen die Poenalklage gleichzeitig die Funktion der sachverfolgenden Klage hatte.<br />
Diese waren die gemischten Poenalklagen.<br />
Hauptfall: Klage auf Grund der lex Aquilia wegen Sachbeschädigung.<br />
Der Geschädigte hatte wegen Sachbeschädigung nur einen einzigen Anspruch,<br />
dieser jedoch galt als Poenalklage.<br />
8. Strafklagen<br />
1. erlöschen stets mit dem Tod des Täters, richten sich also nicht gegen dessen Erben,<br />
sind daher passiv unvererblich,<br />
2. einige gehen auf den Erben des Geschädigten über, sind aktiv vererblich;<br />
andere sind aktiv unvererblich, so a. iniuriarum.<br />
9. Klagziel: privatrechtliche Bußzahlung als Vergeltung,<br />
Schadenersatz nicht in erster Linie.<br />
10. Einfacher oder mehrfacher Wert Inst. 4, 6, 21 – 23.<br />
1. Diebstahl,<br />
1. offenkundiger Diebstahl, a. furti manifesti, auf das Vierfache,<br />
2. nicht offenkundiger Diebstahl, a. furti nec manifesti,<br />
30. September 2011<br />
175
Buße auf den doppelten Wert, duplum,<br />
2. Sachbeschädigung, lex Aquilia,<br />
1. bei Anerkennung: einfacher Wert,<br />
2. bei Bestreiten der Tat: duplum.<br />
11. Bußberechnung durch richterliche Schät<strong>zu</strong>ng, litis aestimatio.<br />
entsprechend dem Vermögensobjekt, quanti ea res est / fuit / erit,<br />
und entsprechend dem Interesse des Geschädigten, id quod interest.<br />
12. Noxalhaftung wegen Taten durch Hauskinder oder Sklaven.<br />
Rechtsmaximen<br />
Casus a nullo praestantur. Zufallsschäden werden von niemandem ersetzt.<br />
Casum sentit Dominus. Den Zufall trägt der Eigentümer.<br />
Qui suo iure utitur, Wer nur von seinem Recht Gebrauch macht, schädigt niemanden.<br />
neminem laedit.<br />
Versari in re illicita Beim Handeln in verbotener Sache,<br />
imputantur omnia werden einem alle Folgen <strong>zu</strong>gerechnet,<br />
quae sequuntur ex delicto. die aus dem Delikt folgen 479<br />
.<br />
Vim vi repéllere naturaliter licet. Gewalt durch Gewalt ab<strong>zu</strong>wehren ist nach Naturrecht gestattet<br />
Volenti non fit iniuria. Wer einwilligt, dem geschieht keine Unrecht.<br />
KAPITEL 2. DIEBSTAHL = FURTUM<br />
1. Begriff. Inst. 4, 1, 1.Diebstahl ist die tückische (fraudulosus) Wegnahme einer Sache, sei es dieser selbst,<br />
sei es ihres Gebrauches oder Besitzes...<br />
Furtum est contrectatio rei fraudulosa vel ipsius rei vel etiam usus eius possessionisve...<br />
2. furtum umfaßt außer dem Diebstahl im heutigen Sinne einen weiten Bereich der unerlaubten Aneignung<br />
mit Fällen des Betruges (einschließlich der wissentlichen Annahme der irrtümlichen Leistung einer Nichtschuld),<br />
der Unterschlagung und Veruntreuung, des Gebrauchsdiebstahls und der Pfandkehr.<br />
Diese Klagen kommen auch als Ausgleichsklagen für den Eigentumsverlust infolge Verbindung, Vermischung, Verarbeitung in Betracht.<br />
3. Der rechte Kläger ist in erster Linie der Eigentümer,<br />
sowie derjenige, der das Interesse daran hat, dass die Sache unangetastet bleibe.<br />
Statt des Eigentümers ist derjenige klageberechtigt, der dem Eigentümer für custodia haftet<br />
und damit die Diebstahls-Gefahr trägt, aber hier<strong>zu</strong> klassische Kontroversen 480<br />
.<br />
4. Infolge Diebstahls kommen typischerweise zwei unterschiedliche Klagen nebeneinander, gehäuft,<br />
in Betracht<br />
1. die actio furti und<br />
2. die condictio furtiva.<br />
5. Betrag:<br />
1. Die eigentliche Diebstahlsklage, actio furti, geht auf den doppelten Wert, das duplum,<br />
479<br />
480<br />
Liebs V 16.<br />
K I § 143 II 2 b, S. 616 f.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
176
isweilen auf den vierfachen Wert.<br />
2. Die condictio furtiva erfasst hingegen lediglich die Bereicherung des Diebes.<br />
6. Für das furtum eines Gewaltunterworfenen haftet der Gewalthaber auf Grund der Noxalklage.<br />
7. Wichtig ist, dass an einer gestohlenen Sache Eigentumserwerb eines <strong>Dr</strong>itten<br />
durch Ersit<strong>zu</strong>ng ausgeschlossen war (vgl. § 935 BGB) 481<br />
.<br />
8. Inst. 4, 1 pass.<br />
KAPITEL 3. UNERLAUBTE VERMÖGENSSCHÄDIGUNG, LEX AQUILIA 482<br />
1. „Widerrechtlich <strong>zu</strong>gefügte Schädigung“ = damnum iniuria datum.<br />
2. Geschichte und System<br />
Digesten Buch 9, Titel 2, Fragment 1 pr. (Ulpian im 18. Buch des Ediktskommentars) Die lex Aquilia<br />
setzte alle Gesetze, die vorher von widerrechtlichem Schaden sprachen, außer Kraft: seien es die XII-<br />
Tafeln, seien es andere Gesetze.<br />
§ 1. Diese lex Aquilia ist ein Plebiszit, weil der Volkstribun Aquilius sie bei der Plebs beantragt hat 483<br />
.<br />
D. 9, 2, 1 pr. (Ulpianus libro octavo decimo ad edictum) Lex Aquilia omnibus legibus, quae ante se damno<br />
iniuria locutae sunt, derogavit, sive duodecim tabulis, sive alia quae fuit...<br />
§ 1. Quae lex Aquilia plebiscitum est, cum eam Aquilius tribunus plebis a plebe rogaverit.<br />
Fragen <strong>zu</strong> D. 9, 2, 1 pr. und § 1:<br />
1. Welche Regeln über unerlaubte Handlungen gab es vor der lex Aquilia?<br />
2. Was ist<br />
1. die Plebs,<br />
2. ein Plebiszit,<br />
3. ein Volkstribun?<br />
3. Welche allgemeine, noch heute weitgehend gültige Regel ist dem principium-Satz <strong>zu</strong> entnehmen?<br />
3. 286 v.Chr. (nach anderer heutiger Ansicht jüngere Datierung)<br />
Auf Grund der lex Hortensia auf alle römischen Bürger (also nicht allein auf Plebejer) erstreckt.<br />
.<br />
4. Inhalt des 1. Kapitels der lex Aquilia<br />
Digesten Buch 9, Titel 2 (lex Aquilia), Fragment 2, Anfang; Gaius im 7. Band seines Kommentars <strong>zu</strong>m<br />
Provinzialedikt = D. 9, 2, 2 pr. (Gai. 7 ad ed. prov.). In der lex Aquilia wird im ersten Kapitel bestimmt:<br />
"Wer einen fremden Sklaven oder eine fremde Sklavin oder ein vierfüßiges Herdentier widerrechtlich tötet,<br />
soll verpflichtet sein, dem Eigentümer den Höchstwert der Sache in diesem Jahr in Geld <strong>zu</strong> ersetzen".<br />
Übereinstimmend <strong>zu</strong>m 1. Kapitel der lex Aquilia Inst. Iust. 4, 3 pr.<br />
5. Inst. Iust. 4, 3 pr.<br />
1. Aufgabe: formulieren Sie präzise die Tatbestandsmerkmale und die Rechtsfolge.<br />
3. Wie hoch ist also die Buße?<br />
2. Zur Ergän<strong>zu</strong>ng: Beachten Sie die Aufzählung, das Enumerativsystem, in dieser Vorschrift,<br />
481<br />
482<br />
483<br />
Wenn bezahlt, dann ersitzbar?<br />
H. Hausmaninger, Das Schadenersatzrecht, 5. Aufl., Wien 1996; B. Winiger, La responsabilité, Basel 1997.<br />
286 v. Chr., im Gefolge einer secessio plebis.<br />
30. September 2011<br />
177
ebenso § 823 I BGB.<br />
Der franz. Code civil hingegen hatte sich für eine Generalklausel entschlossen.<br />
6. Inst Iust. 4, 3, 2<br />
1. Wie ist die entsprechende Regel nach dem BGB?<br />
2. Mit welchem heutigen Begriff ist iniuria insofern <strong>zu</strong> übersetzen?<br />
3. Welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang die Maxime:<br />
Qui suo iure utitur, neminem laedit (s. Überset<strong>zu</strong>ng)?<br />
4. Beispiel: Magistrat,.<br />
7. Inst Iust. 4, 3, 3<br />
1. Wie ist die entsprechende Regel nach dem BGB?<br />
2. Mit welchem heutigen Begriff ist iniuria jetzt <strong>zu</strong> übersetzen?<br />
- Culpa i. w. S. – Verschulden allgemein<br />
- culpa i. e. S., ähnlich neglegentia – Fahrlässigkeit.<br />
3. Beispiele: Zurechnungsunfähigkeit, bindender Befehl, Mitverschulden des Geschädigten;<br />
nach römischer Auffassung auch Notwehr und Notstand als culpa-ausschließend.<br />
4. Seit alters her bestraft man den Schadensverursacher wegen typisierten dolus malus.<br />
In den XII-T ist das Element des Vorsatzes vermutlich im Namen der Delikte enthalten.<br />
„Iniuria“ in der lex Aquilia mag ursprünglich vielleicht nur „Vorsatz“ (im modernen Sinne) gemeint haben.<br />
jedenfalls Sabinus zieht auch die „culpa“ in der Bedeutung von „Fahrlässigkeit“ (im modernen Sinne)<br />
in die iniuria ein 484<br />
.<br />
Nichtvorsätzliches (also auch bloß fahrlässiges) Handeln war vielleicht ursprünglich straffrei 485<br />
.<br />
Lesen Sie auch Inst. Iust. 4, 3, 3 bis 8, und Inst. Iust. 4, 3, 14.<br />
8. Gibt es eine Haftung ohne Verschulden<br />
1. nach römischem Recht,<br />
2. nach geltendem Recht?<br />
3. Wie könnte eine Haftung ohne Verschulden <strong>zu</strong> begründen sein?<br />
9. D. 9, 2, 27, 4. Das 2. Kapitel dieses Gesetzes ist außer Gebrauch gekommen.<br />
D. 9, 2, 27, 4. Ulpianus 18 ad ed. Huius legis secundum quidem capitulum in desuetudinem abiit. 486<br />
(Beachten Sie hier das Gegenstück <strong>zu</strong>m „Gewohnheitsrecht“ für die Begründung eines Rechtssatzes.)<br />
10. D. 9, 2, 27, 5. In ihrem 3. Kapitel jedoch erklärt dieselbe lex Aquilia: „Wenn jemand einem anderen einen<br />
Schaden an anderen Sachen als an einem Sklaven oder Herdentier, die getötet wurden, <strong>zu</strong>gefügt hat, weil er<br />
diese Sache <strong>zu</strong> Unrecht verbrannt, zerbrochen oder verletzt hat, soll er verpflichtet sein, dem Eigentümer<br />
soviel Geld <strong>zu</strong> zahlen, wie diese Sache in den nächsten 30 Tagen wert ist“.<br />
484<br />
485<br />
486<br />
D. 9, 2, 27, 5. Ulpianus 18 ad ed. Tertio autem capite ait eadem lex Aquilia: "ceterarum rerum praeter hominem<br />
et pecudem occisos si quis alteri damnum faxit, quod usserit fregerit ruperit 487<br />
iniuria, quanti ea res<br />
erit in diebus triginta proximis, tantum aes domino dare damnas esto".<br />
K/K § 36/9: Alf. D. 9, 2, 52, 3-4; Lab.-Iav.D. 9, 2, 57.<br />
Vgl. K I 155.<br />
Gai. 3, 215: Capite secundo adversus adstipulatorem, qui pecuniam in fraudem stipulatoris acceptam fecerit ...<br />
actio constituitur.<br />
487<br />
„Urere“ ist zweifelsohne „(Ver)-Brennen“. „Frangere“ ist „Brechen“. Aber „Rumpere“ ist: (Zer)-Reißen und<br />
(Zer)-Brechen, Verderben und Beschädigen, Verletzen. Gai.3,217 i. f. (= Inst.4, 3, 13) bezeichnet „Rumpere“<br />
als Oberbegriff, „non solum usta aut rupta aut fracta, sed etiam scissa et collisa et effusa et quoquo modo vitiata<br />
au perempta atque deteriora facta hoc verbo continentur“.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
178
Weite Auslegung von „Rumpere“, eigentlich: „brechen, zerbrechen“„zerreißen“, „sprengen“,<br />
aber auch: „verletzen“.<br />
Für „verbrennen“ = „urere“, und „frangere“ =zerbrechen“ bleibt kaum mehr Bedeutung.<br />
11. Inst. Iust. 4, 3, 13.<br />
Wie könnte der Befund <strong>zu</strong> erklären sein, dass das Plebiszit angeblich<br />
<strong>zu</strong>erst die enge Vorschrift des 1. Kapitels<br />
und dann die allgemeiner gefasste des 3. Kapitels enthielt?<br />
12. Kausalität Inst. 4, 3, 16. Ceterum placuit, ita demum ex hac lege actionem esse, si quis praecipue corpore<br />
suo damnum dederit. ideoque in eum qui alio modo damnum dederit, utiles actiones dari solent:<br />
Aber enge Kausalität sowohl für „occidere“ im 1. Kap.,<br />
als auch für urere, frangere, rumpere (verbrennen, zerbrechen, beschädigen) im 3. Kap.<br />
Schaden muss durch<br />
1. aktives Tun (ursprünglich genügt nicht: bloßes Unterlassen) und<br />
2. unmittelbare Verursachung des Erfolge (genügt nicht: bloß indirekte Einwirkung)<br />
herbeigeführt worden sein.<br />
Der Schaden muss von dem einen Körper an dem anderen Gegenstand <strong>zu</strong>gefügt worden sein,<br />
d. h. „durch den Körper an einem Körper = corpore corpori“.<br />
Wegen Schädigungen durch indirekte Einwirkung oder durch <strong>zu</strong>rechenbares Unterlassen:<br />
actiones utilies oder actiones in factum.<br />
Z. B. bei bloßem mortis causam praestare, dann bloß a. in factum.<br />
13. Berechnung der Haftungssumme Inst. 4, 3, 9 + 10 + 14 + 15.<br />
1. Wie hoch ist die Buße nach dem 3. Kapitel?<br />
2. Wie erfolgt die Geldschät<strong>zu</strong>ng, litis aestimatio? Im allgemeinen durch den iudex 488<br />
.<br />
14. Da die lex Aquilia <strong>zu</strong>r Bestrafung und <strong>zu</strong>m Ersatz wegen Sachbeschädigung (Sklaven, Tiere, sonstige Sachen)<br />
geschaffen wurde, kam sie ursprünglich nicht wegen Beleidigung, Verlet<strong>zu</strong>ng oder Tötung eines<br />
freien Römers in Betracht. Da<strong>zu</strong> die Rechtsmaximen:<br />
Corpus liberi non habet pretium. Der Körper eines Freien hat keinen Kaufpreis.<br />
Liberum corpus nullam recipit aestimationem. Ein freier Mensch kann nicht in Geld<br />
abgeschätzt werden.<br />
Wegen Beleidigung (actio iniuriarum) sowie wegen Verlet<strong>zu</strong>ng oder Tötung eines freien Römers gab es<br />
besondere Klagen und Verfahren.<br />
Aber anscheinend wurde schon im klassischen Recht die lex Aquilia in gewissen Fällen auch wegen der<br />
Verlet<strong>zu</strong>ng eines Freien gewährt.<br />
15. Materiell-rechtliche und prozessuale Besonderheiten der lex Aquilia<br />
1. Erkannte der Täter vor Gericht an, dann keine eigentliche a. legis Aquiliae,<br />
sondern a. confessoria bloß <strong>zu</strong>r Ermittlung der Bußsumme.<br />
488<br />
2. Erkannte Täter nicht an, a. legis Aquiliae,<br />
mit Verurteilung in duplum 489<br />
.<br />
Auch wegen iniuria-Delikts bemisst Richter die Geldbuße nach Umständen des Einzelfalls,<br />
(ausnahmsweise durch den Kläger, ius iurandum in litem, aber unter Aufsicht des iudex,<br />
vor allem bei actiones in rem.)<br />
489<br />
Ulp. D. 9, 2, 23, 10.<br />
30. September 2011<br />
179
16. Die aqulische Klage ist Strafklage/Pönalklage,<br />
mit sachverfolgender Funktion, daher „gemischte Strafklage“ 490<br />
.<br />
Gai.4, 6-9:<br />
- Sachverfolgende Klagen, gehen auf rem tantum, daher reipersekutorisch,<br />
z. B. rei vindicatio, condictio ex causa furtiva<br />
- Reine Strafklagen, z. B. actio furti,<br />
rein reipersekutorische Klagen und reine Strafklagen nebeneinander <strong>zu</strong>lässig,<br />
- Gemischte Strafklagen, z. B. aus lex Aqulia,<br />
umfassen sowohl Buße als auch Vermögensschaden,<br />
deswegen nicht kumulierbar mit anderen Klagen 491<br />
.<br />
17. Besonderheiten der Strafklage Inst. 4, 3, 9<br />
Unterschied <strong>zu</strong>m crimen Inst. 4, 3, 11.<br />
18. Textbeispiel I<br />
Digesten Buch 9, Titel 2, Fragment 27, Paragraph 29 (Ulpian im 18. Buch des Kommentars <strong>zu</strong>m Edikt).<br />
Wenn du ein Diatretglas (d. h. einen mehrfarbigen Glasblock <strong>zu</strong>m Herstellen eines Kelches) <strong>zu</strong>m Schleifen<br />
hingegeben hast und der Glasschleifer es aus Ungeschicklichkeit zerbrochen hat, so haftet er wegen unerlaubter<br />
Handlung. Wenn er es aber nicht aus Ungeschicklichkeit zerbrochen hat, sondern weil das Diatretglas<br />
Risse hatte, dann kann er entschuldigt sein: und daher pflegen meistens die Handwerker <strong>zu</strong> vereinbaren,<br />
dass sie das Risiko nicht übernehmen, wenn ihnen Material dieser Art hingegeben wird. Diese Vereinbarung<br />
schließt einen Anspruch auf Grund Werkvertrages und lex Aquilia aus.<br />
D. 9, 2, 27, 29 (Ulp. 18 ed.). Si calicem diatretum faciendum dedisti, si quidem imperitia fregit, damni iniuria<br />
tenebitur: si vero non imperitia fregit, sed rimas habebat vitiosas, potest esse excusatus: et ideo plerumque<br />
artifices convenire solent, cum eiusmodi materiae dantur, non periculo suo se facere, quae res ex locato<br />
tollit actionem et Aquiliae.<br />
Fragen <strong>zu</strong> D. 9, 2, 27, 29<br />
1. Welche 3 Sachverhaltsvarianten sind in der Stelle verborgen?<br />
2. Welche 2 actiones kommen in Betracht, wie wäre es nach heutigem Recht?<br />
3. Wäre eine Vereinbarung, wie sie hier angegeben wird, auch nach heutigem Recht wirksam?<br />
19. Textbeispiel II<br />
Digesten Buch 9, Titel 2, Fragment 39, Anfang. Pomponius im 17. Band seines Kommentars <strong>zu</strong> Quintus<br />
Mucius. Quintus Mucius schreibt: eine trächtige Stute, die auf fremder Weide graste, hatte eine Fehlgeburt,<br />
als sie vertrieben wurde: es wurde gefragt, ob der Eigentümer der Stute denjenigen aus der lex Aquilia verklagen<br />
könne, der sie vertrieben hatte, weil er sie durch das Schlagen verletzt hätte. Wenn er sie geschlagen<br />
oder absichtlich <strong>zu</strong> heftig verjagt hätte, ist entschieden worden, dass man klagen könne.<br />
490<br />
491<br />
D. 9, 2, 39 pr. Pomp. 17 ad Quintum Mucium. Quintus Mucius scribit: equa cum in alieno pasceretur, in<br />
cogendo quod praegnas erat eiecit: quaerebatur, Dominus eius possetne cum eo qui coegisset lege Aquilia<br />
agere, quia equam in iciendo ruperat. si percussisset aut consulto vehementius egisset, visum est agere posse1.<br />
Fragen <strong>zu</strong> D. 9, 2, 39 pr.<br />
1. Welche Personen kommen hier als Kläger bzw. als Beklagter in Betracht?<br />
K/K § 36/13.<br />
K/K § 35/11 ff.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
180
Wem gehört die Weide, wem die Stute?<br />
2. Wird von Quintus Mucius Scaevola selbst eine Begründung überliefert?<br />
3. Welche Argumente - wenn man eine Regelung ähnlich dem heutigen § 823 Abs. 1 BGB <strong>zu</strong> Grunde<br />
legt - können dafür gesprochen haben, den Eigentümer der Weide nicht haften <strong>zu</strong> lassen?<br />
4. Welche Gründe können dagegen, also für Schadenersatz, gesprochen haben?<br />
5. Werten Sie das Gutachten aus rechtspolitischer Sicht.<br />
6. Wie hätten Sie den Fall heute entschieden?<br />
20. Praetorische Erweiterungsklagen,<br />
- a. in factum oder<br />
- a. utilis (ad exemplum legis Aquiliae)<br />
wenn Schäden nicht direkt nach lex Aquilia verfolgt werden können, nämlich<br />
1. <strong>zu</strong>r Klagbarkeit von TB’en, die durch Wortlaut der lex Aquilia nicht erfasst waren:<br />
1. Töten ohne gewaltsame Verursachung,<br />
z. B. bloße Bereitstellung des Giftes; mittelbares Verursachen wie Verhungern lassen 492<br />
:<br />
2. Zum dritten Kapitel: mittelbare Einwirkung,<br />
Sachentziehung ohne Sachbeschädigung und ohne Diebstahl, Konsumtion, sowie<br />
2. Klageberechtigung für andere Personen neben dem Eigentümer,<br />
- z. B. für Nießbraucher und Pfandgläubiger 493<br />
,<br />
- für Pfandgläubiger und gutgläubigen Besitzer und Pächter 494<br />
.<br />
Die Formeln dieser actiones in factum und actiones utiles sind nicht überliefert 495<br />
.<br />
Sie waren jedenfalls eng an den Wortlaut der a. legis Aquliae angelehnt.<br />
Wahrscheinlich enthielt a. in factum teilweise Be<strong>zu</strong>gnahme auf tatsächlichen Sachverhalt,<br />
während a. utlilis eine Fiktion enthielt,z. B. „wie der Eigentümer = ac si dominus esset“<br />
Wahrscheinlich dieselben Ersatzbeträge, aber kein duplum wegen Leugnens.<br />
Scheinbar widersprüchliche Aussagen in den Quellen darüber,<br />
in welchen Fällen a. in factum, oder in welchen Fällen a.utilis 496<br />
.<br />
21. Noxalhaftung des Gewatlhabers wegen Schadens<strong>zu</strong>fügung durch Gewaltunterworfenen.<br />
492<br />
493<br />
494<br />
495<br />
496<br />
D. 9,2,7,6: „qui mortis causam praestitiit, non Aquilia, sed in factum actione tenetur“.<br />
a. utilis.<br />
a. in factum.<br />
fraglich ob sie im Edikt enthalten waren.<br />
Verschiedenartige Systematisierungen in den Quellen.<br />
Anscheinend<br />
- a. utilis<br />
wenn Schadens<strong>zu</strong>fügung nur mittelbar,<br />
d. h. wenn nicht corpore corpori (Gai. 3,219; Inst. Iust. 4, 3, 16)<br />
- a. in factum<br />
generell, wenn Schäden nicht direkt unter lex Aquilia fallen<br />
(Paul. D. 9, 2, 33, 1; Inst. Iust. 4, 3, 16; aber nicht falls mittelbarer Schaden).<br />
30. September 2011<br />
181
22. Sedes materiae: D. 9, 2 und Inst. 4, 3.<br />
23. Bedeutung der lex Aquilia in der weiteren Rechtsgeschichte<br />
1. Hauptregel für Sachbeschädigungen.<br />
2. Anwendung auch bei Körperverlet<strong>zu</strong>ng eines Freien und Ehrverlet<strong>zu</strong>ng.<br />
3. Nach dem BGB kein deliktischer Ersatz für bloßen Vermögensschaden.<br />
Da<strong>zu</strong> Fragen<br />
1. Woraus ergibt sich diese Einschränkung?<br />
2. Welcher war hierfür der entscheidende Grund?<br />
3. Welche Rechtsinstitute wurden erfunden, um dennoch <strong>zu</strong>m Ersatz derartiger Schäden <strong>zu</strong> gelangen?<br />
4. Generalklausel der Art. 1382 und 1383 im französischen Recht schützt auch gegen bloße Vermögensschäden.<br />
4. Ersatz immateriellen Schadens nach § 253 II BGB n. F.<br />
Zur neueren Rechtsentwicklung: Hattenhauer, Grundbegriffe § 6.<br />
Ausdrücke<br />
crimen Straftat, Verbrechen<br />
culpa Schuld allgemein; Fahrlässigkeit<br />
damnum Schaden<br />
damnum iniuria datum unrechtmäßige Schadens<strong>zu</strong>fügung<br />
delictum unerlaubte Handlung<br />
diligens paterfamilias ordentlicher Hausvater<br />
dolus Arglist; Vorsatz<br />
fraus, -dis (f.) betrügerisches Verhalten<br />
fraus legi facta Gesetzesumgehung<br />
iniuria Unrecht, Widerrechtlichkeit<br />
im Text der lex Aquilia „Rechtswidrigkeit + Verschulden“<br />
interesse Schadenersatz<br />
lucrum cessans entgehender Gewinn (vgl. § 252 BGB)<br />
mala fides böser Glaube, Unredlichkeit<br />
malus schlecht<br />
neglegentia, culpa Fahrlässigkeit<br />
vis Gewalt.<br />
D. 47, 10.<br />
KAPITEL 4A. VERLETZUNGEN DER PERSON = INIURIA, INST. 4, 4 PASS. 497<br />
KAPITEL 4B. ARGLIST = ACTIO DE DOLO<br />
Der Praetor gewährte wegen arglistiger Schädigung, dolus malus, eine Strafklage, die <strong>zu</strong>gleich sachverfolgend<br />
war. Die Klage wurde im Edikt nur für den Fall verheißen, dass eine andere nicht in Betracht kam, si alia actio<br />
non erit, war also subsidiär 498<br />
.<br />
D. 4, 3.<br />
497<br />
498<br />
M. Hagemann, Iniuria (= Forschungen <strong>zu</strong>m römischen Recht 43). Böhlau, Köln-Weimar Wien 1998.<br />
K I S. 627 f.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
182
KAPITEL 5. QUASIDELIKTE 499<br />
Inst. Iust. 4, 5 pass.<br />
Außervertragliche Haftung wegen typisierter Fahrlässigkeit<br />
oder ohne nach<strong>zu</strong>weisendes Verschulden<br />
Vielleicht erst nachklassische Schuldoktrin:<br />
der Richter, der das Recht falsch anwendet,iudex qui litem suam fecit,<br />
der Wohnungsinhaber wegen herausgeworfener oder -gegossener Sachen, de deiectis vel effusis,<br />
ebenfalls der Wohnungsinhaber wegen der Gefahr durch aufgestellte oder aufgehängte Sachen, de posito vel suspenso,<br />
Schiffer, Gastwirt oder Stallwirt, nauta, caupo, stabularius, wegen Schädigung durch ihre Leute).<br />
Einzelheiten des iudex qui litem suam fecit,sind heute kontrovers 500<br />
:<br />
Wahrscheinlich typisierte culpa wegen Judizierens ohne erforderliche Fähigkeit 501<br />
.<br />
Wegen dolus haftet iudex wahrscheinlich ohnehin 502<br />
.<br />
Inst. Iust. 4, 5 pr. und 1. Si iudex litem suam fecerit, non proprie ex maleficio obligatus videtur. sed quia neque ex contractu obligatus est et<br />
utique peccasse aliquid intellegitur, licet per imprudentiam: ideo videtur quasi ex maleficio teneri, et in quantum de ea re aequum religioni<br />
iudicantis videbitur, poenam sustinebit 503<br />
. (1.) Item is ex cuius coenaculo vel proprio ipsius vel conducto vel in quo gratis habitabat, deiectum<br />
effusumve aliquid est, ita ut alicui noceretur, quasi ex maleficio obligatus intellegitur: ideo autem non proprie ex maleficio obligatus<br />
intellegitur, quia plerumque ob alterius culpam tenetur aut servi aut liberi. cui similis est is qui ea parte qua vulgo iter fieri solet id positum<br />
aut suspensum habet quod potest, si ceciderit, alicui nocere: quo casu poena decem aureorum constituta est. de eo vero quod deiectum<br />
effusumve est, dupli quanti damnum datum sit, constituta est actio. ob hominem vero liberum occisum quinquaginta aureorum poena<br />
constituitur: si vero vivet nocitumque ei esse dicetur, quantum ob eam rem aequum iudici videtur, actio datur: iudex enim computare debet<br />
mercedes medicis praestitas ceteraque impendia quae in curatione facta sunt, praeterea operarum quibus caruit, aut cariturus est, ob id quod<br />
inutilis factus est.<br />
KAPITEL 6. HAFTUNG FÜR DELIKTE GEWALTUNTERWORFENER, NOXALKLAGE<br />
1. Vorausset<strong>zu</strong>ng und alternative Rechtsfolge:<br />
Inst. 4, 8, pr. Wegen der Delikte der Sklaven, beispielsweise wenn sie einen Diebstahl begangen, Sachen<br />
geraubt, eine Vermögensschädigung begangen oder eine persönliche Verlet<strong>zu</strong>ng (iniuria) vogenommen<br />
haben, sind Noxalklagen vorgesehen worden, mittels deren dem deswegen verurteilten Herrn erlaubt wird,<br />
entweder die Urteilssumme <strong>zu</strong> entrichten oder den Sklaven wegen seines Delikts aus<strong>zu</strong>liefern.<br />
Ex maleficiis servorum, veluti si furtum fecerint aut bona rapuerint aut damnum dederint aut iniuriam<br />
commiserint, noxales actiones proditae sunt, quibus domino damnato permittitur, aut litis aestimationem<br />
sufferre aut hominem noxae dedere.<br />
Ähnl. Inst. 4, 17, 1.<br />
2. In der klassischen Zeit galt diese Regel auch noch für unerlaubte Handlungen der Hauskinder.<br />
(Aber Inst. 4, 8, 7 erklärt die Änderung gegenüber dem klassischen Recht.).<br />
3. Inst. 4, 8, 1. Daher der allgemeine Ausdruck „Noxalhaftung“.<br />
4. Inst. 4, 8, 2. Begründung für diese Art Haftungsbefreiung des Gewalthabers.<br />
5. In der klassischen Zeit mußten die Hauskinder, vermutlich auch die Sklaven,<br />
nach Abarbeiten der Schuld <strong>zu</strong>rückübertragen werden. (Inst. 4, 8, 3, ist nicht klassisch.).<br />
499<br />
500<br />
K I 628; K II 428.<br />
Hackl/Kaser § 26 I 5, S. 196, Anm. 38 u. ö.<br />
501<br />
Hackl/Kaser § 26 I 5, S. 196, Anm. 38: Haftung wegen nicht ordnungsgemäßer Vertagung oder Urteilsfällung?<br />
502<br />
503<br />
S.jedoch Ulp. D. 5, 1, 15, 1: Vorsatz = litem suam facere.<br />
Hier<strong>zu</strong> Hackl/Kaser lt. Inh.-Verz.<br />
30. September 2011<br />
183
6. Inst. 4, 8, 4. Noxa caput sequitur. - Der Schaden folgt dem Kopf.<br />
7. Wird der gewaltunterworfene Täter gewaltfrei, haftet allein er selbst.<br />
8. Beim Verkauf eines Sklaven gilt die noch nicht beseitigte Noxalhaftung als Sachmangel.<br />
Der Käufer hat deswegen Sachmängel-Anspruch gegenüber dem Verkäufer.<br />
9. Die ausdrückliche Beseitigung der Auslieferung der Hauskinder durch Inst. 4, 8, 7,<br />
ist ein gutes Beispiel für Justinians Änderung der Gaius-Vorlage für seine Institutionen.<br />
10. Beachten Sie den Unterschied <strong>zu</strong>r Haftung aus Rechtsgeschäften.<br />
11. Frage: Mit welcher Regel des BGB wird das Problem der außervertraglichen<br />
Schadens<strong>zu</strong>fügung durch <strong>Dr</strong>itte gelöst?<br />
12. Digesten-Titel 9, 4; Inst.4, 8.<br />
12. TEIL<br />
SACHENRECHT<br />
KAPITEL 1. SACHENRECHT, SYSTEMATIK<br />
Inst. Iust. 4, 6, 1<br />
1. Vergleichen Sie die Einteilung der actiones mit der Einteilung im materiellen Recht.<br />
2. Gibt es eine ähnliche Unterscheidung im geltenden Recht?<br />
Institutionen Buch 2, Titel 2 (Unkörperliche Gegenstände) = I. 2, 2 pr. Im übrigen sind manche Gegenstände<br />
körperlich, manche unkörperlich.<br />
I. 2, 2, 1. Körperlich sind Gegenstände, die sich ihrer Natur nach anfassen lassen, <strong>zu</strong>m Beispiel ein Grundstück,<br />
ein Sklave, ein Kleid, Gold, Silber und weitere zahllose Sachen.<br />
I. 2, 2, 2. Unkörperlich sind dagegen Gegenstände, die man nicht anfassen kann; dieser Art sind Gegenstände,<br />
die nur rechtlich vorhanden sind, <strong>zu</strong>m Beispiel die Erbschaft, der Nießbrauch und Schuldverhältnisse jeder Art.<br />
(...).<br />
Institutionen 2, 1 pr. + 1 + 6 + 7<br />
1. Wie ist die Einteilung der Sachen unter dem Gesichtspunkt der Verkehrsfähigkeit der Sachen?<br />
2. Kaufvertrag ist nicht immer unwirksam, Stipulation ist immer unwirksam 504<br />
.<br />
3. Gibt es auch im geltenden deutschen Recht verkehrsunfähige Sachen, res extra commercium?<br />
Res sacrae, sanctae, religiosae Inst. 2, 1, 7 – 9.<br />
Max Weber, Agrarverhältnisse im Altertum, Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 1. Aufl. 1897 505<br />
, <strong>zu</strong>rückgehend auf seine Habilitationsschrift<br />
506<br />
. Max Weber, 1864 – 1920, Jurist, habilitiert in <strong>Berlin</strong> für Handelsrecht und deutsches Recht, Schüler Levin Goldschmidts (Handelsrecht)<br />
und Theodor Mommsens (Römische Geschichte, römisches Recht), Nationalökonom, der einflussreichste nicht-marxistische Soziologe.<br />
<strong>Prof</strong>essor in <strong>Berlin</strong>, Freiburg und Heidelberg und kurz in München. Hauptwerk: „Wirtschaft und Gesellschaft“, posth. 1922, mit ei-<br />
504<br />
505<br />
S. oben <strong>zu</strong>r res extra comercium.<br />
Bd. 1, 3. Aufl., 1909, S. 52 – 188 = ders., Gesammelter Aufsätze <strong>zu</strong>r Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Tübingen,<br />
2. Aufl., 1988.<br />
506<br />
Die Römische Agrargeschichte in ihrer Bedeutung für das Staats- und Privatrecht, 1891/92.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
184
nem selbständigen Kapitel <strong>zu</strong>r Rechtssoziologie. Begründer der Religionssoziologie, u. a. „Das antike Judentum“ 507<br />
und „Die protestantische<br />
Ethik und der Geist des Kapitalismus“. Weiterhin berühmt „Wissenschaft als Beruf“, „Politik als Beruf“. Gesammelte politische Schriften;<br />
Gesammelte Aufsätze <strong>zu</strong>r Religionssoziologie; <strong>zu</strong>r Wissenschaftslehre; <strong>zu</strong>r Soziologie und Sozialpolitik; <strong>zu</strong>r Sozial- und Wirtschaftsgeschichte;<br />
Wirtschaftsgeschichte. Max Webers berühmte Begriffe und Kategorien: Idealtypus; zweckrationales oder wertrationales Handeln<br />
des Individuums; Verantwortungsethik oder Gesinnungsethik; Herrschaft , und zwar traditionale oder rationale oder charismatische.<br />
KAPITEL 2. BESITZ = POSSESSIO<br />
1. Eigentum und Besitz haben nichts gemein: Nihil commune habet proprietas cum possessione.<br />
2. Besitz<br />
1. Besitzerwerb corpore et animo (s. u.).<br />
2. Besitzverlust im allgemeinen durch Verlust der tatsächlichen Sachherrschaft.<br />
3. Eine Fülle von Rechtstexten <strong>zu</strong> Besitzerwerb und -verlust.<br />
4. In vielen Fällen, in denen nur scheinbar „Besitz“ gegeben war,<br />
wurde dennoch „Besitz“ i. e. S., also „pssessio“, nicht angenommen (s. u.).<br />
3. Funktionen - vergleichbar dem geltenden deutschen Recht<br />
1. Schutzfunktion, dafür eigentlicher Besitzschutzanspruch, Interdictum (s. u.).<br />
2. Heute am wichtigsten: Publizitätsfunktion = Erwerbsfunktion des Besitzes.<br />
1. Übertragungwirkung bei der Übereignung in Rom und heute,<br />
2. Gutglaubenswirkung für Ersit<strong>zu</strong>ng, usucapio (<strong>zu</strong> beiden Punkten s. u.).<br />
4. Man unterscheidet<br />
- Unqualifizierte Innehabung (z. B. Sklave, Haussohn)<br />
- Detentio = naturalis possessio (insbes. Mieter)<br />
- Interdiktenbesitz<br />
- civilis possessio - Eigenbesitz, der <strong>zu</strong>r Ersit<strong>zu</strong>ng führen kann.<br />
Als „possessio“ im eigentlichen Sinne gelten meistens nur<br />
der Interdiktenbesitz und der Ersit<strong>zu</strong>ngsbesitz.<br />
5. Aus Rechtsgründen können Gewaltunterworfene (d. h. Hauskinder oder Sklaven)<br />
keinen eigenen Besitz für sich haben,<br />
(noch nicht einmal sogenannte detentio)<br />
statt ihrer kann ihr Gewalthaber possessio haben.<br />
6. Nicht als Besitz, possessio, i. e. S. angesehen<br />
(insbesondere nicht als durch Interdikte geschützte possessio)<br />
ist die Innehabung des (heute sogenannten) Fremdbesitzers oder Besitzmittlers<br />
507<br />
(Ausnahmen nicht auswendig lernen: Erbpächter, Pignorist, Prekarist, Sequester 508<br />
).<br />
Insbesondere keine eigentliche possessio des Mieters oder Pächters!<br />
ebenso wenig Beauftragter, Geschäftsführer o. A. 509<br />
, Verwahrer.<br />
Max Weber, Das antike Judentum, in: Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen, in: Gesammelte Aufsätze<br />
<strong>zu</strong>r Religionssoziologie, Bd. 3, Tübingen 1921, jetzt: 8. Aufl., Tübingen 1988, utb. Max Weber, Nachtrag, Die<br />
Pharisäer, in: Die Wirtschaftsethik etc.<br />
508<br />
K, RPR S. 390: „quasi possessio“ als günstigere besitzer-ähnliche Stellung jedoch des Usufruktuars, gewisser<br />
Servitutsberechtigter, Erbbauberechtigter.<br />
509<br />
K, RPR S. 389 f.<br />
30. September 2011<br />
185
(Vielleicht wegen Fehlens des Eigenbesitzes?).<br />
Unrömisch: Detentio.<br />
Römische Juristen sprechen eher von naturalis possessio oder in possessione esse.<br />
Der heute sogenannte „Besitzdiener“ (§ 855 BGB) war als solcher im römischen Recht unbekannt.<br />
7. Mitbesitz nach Bruchteilen,<br />
aber kein heute sogenannter und umstrittener 510<br />
Nebenbesitz 511<br />
.<br />
Rechtsmaximen<br />
Beati possidentes. Glücklich, wer besitzt. Denn...<br />
In pari causa/ In gleicher tatsächlicher Situation / bei gleicher Sittenwidrigkeit<br />
In pari turpitudine, ist der Besitzer in der besseren rechtlichen Situation.<br />
melior est conditio possidentis.<br />
Ausdrücke<br />
detentio Innehabung (kein eigentlicher Besitz im Rechtssinne)<br />
constitutum possessorium (unröm.) mittelbarer Besitz (§ 868 BGB)<br />
anticípere vorwegnehmen.<br />
KAPITEL 3. BESITZERWERB<br />
1. Besitzerwerb in Rom durch zwei Elemente:<br />
1. tatsächliches Ergreifen (das [!] corpus)<br />
2. mit Erwerbsabsicht (der animus),<br />
Wille, die Sache faktisch <strong>zu</strong> beherrschen<br />
(bedeutet aber nicht etwa: Sache als Eigentümer <strong>zu</strong> haben),<br />
also corpore et animo (gramm. Ablativ-Form); vgl. § 854 BGB.<br />
2. Keinen Besitz für sich können erwerben:<br />
1. Sklaven und Hauskinder.<br />
2. Geisteskranker, furiosus, ebenso wenig ein Schlafender<br />
3. Infans 512<br />
,<br />
- weil ein kleines Kind keinen rechtlich erheblichen Willen (animus) bilden kann,<br />
- wohl aber Besitz des gewaltfreien Infans<br />
- durch Tutor,<br />
- durch eigenen Pekuliarsklaven des Infans,<br />
- mit auctoritas tutoris (wohl kontrovers),<br />
- und Besitzerwerb des pupillus allein 513<br />
.<br />
3. Besitzerwerb ohne tatsächliches Ergreifen<br />
1. auch ohne tatsächliches Betreten des Grundstücks oder Ergreifen der Sache,<br />
wenn die Grundstücksgrenzen gezeigt.<br />
510<br />
511<br />
Lehrbücher modernes Sachenrecht.<br />
Siber, RR II, S. 133: Paul. D. 41, 2, 3, 5. Im Ergebnis auch abgelehnt Paul. D. 41, 2, 32, 1. Anders Trebat. bei<br />
Paul. D. 41, 2, 3, 5. Unklar Ulp. D. 41, 2, 17 pr. und D. 43, 17, 3 pr.<br />
512<br />
513<br />
K I 392/25: D. 41, 2, 32, 2 ; D. 41, 2, 1, 3 (Case 22) etc. Klassische Entwicklung bzw. Kontroverse.<br />
D. 41, 2, 32, 2. Allerdings in D. 41, 2, 1, 3 (Case 22) wird auch p. auf Tutor angewiesen.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
186
514<br />
Oder wenn bewegliche Sache in Machtbereich des Erwerbers gebracht wird:<br />
z. B. die Sache vor dem Erwerber niedergelegt 514<br />
oder in seinem Haus abgegeben wird<br />
oder wenn Speicherschlüssel für eingelagerte Waren vor dem Speicher übergeben werden etc. 515<br />
:<br />
„Übergabe mit langer Hand“ - longa manu traditio,<br />
hier sprechen römische Juristen ausdrücklich vom Erwerb animo 516<br />
(ähnlich § 854 II, beachten Sie aber die Unterschiede!).<br />
2. Keine Übergabe mehr erforderlich, wenn Erwerber Sache bereits tatsächlich innehat,<br />
z. B. Mieter oder anderer Detentor erwirbt Sache vom Vermieter oder sonstigem Eigentümer 517<br />
,<br />
„Übergabe kurzer Hand“ - brevi manu traditio (vgl. § 929 Satz 2),<br />
gelegentlich bezeichnet als Besitzerwerb „allein mit dem Willen“ = solo animo.<br />
Wenn der bisherige Besitzer seinen Eigenbesitzwillen aufgibt<br />
und damit dem bisherigen Detentor erlaubt,<br />
seinerseits rechtmäßig Eigenbesitzwillen <strong>zu</strong> begründen.<br />
Auch hier ist das körperliche Naheverhältnis des (neuen) Besitzers <strong>zu</strong> der Sache vorhanden,<br />
das corpus.<br />
Andernfalls wäre es oft erforderlich, dass Detentor Sache an Besitzer <strong>zu</strong>rückgibt<br />
und dann Besitzer dieselbe Sache wieder dem früheren Detentor übergibt 518<br />
.<br />
Nuda voluntas domini sufficit ad rem transferendam 519<br />
,<br />
Inst. Iust. 2, 1, 44: für Eigentumsübergang mittels traditio genügt hier die „voluntas“.<br />
3. Übergabe ist auch nicht erforderlich, wenn Veräußerer (und nicht Erwerber) Besitzer ist,<br />
wenn aber Veräußerer die Sache faktisch weiter innehaben soll<br />
und der Erwerber die possessio (und möglicherweise das Eigentum) bekommen soll,<br />
z. B. Veräußerer = bisheriger Eigentümer überträgt Sache an Erwerber und mietet gleich <strong>zu</strong>rück 520<br />
,<br />
heute sogen. constitutum possessorium - Besitzkonstitut 521<br />
(vgl. §§ 930, 868 BGB)<br />
(anders aber römische Kaufmiete: Veräußerer = bisheriger Eigentümer verkauft und übergibt und vermietet Sache an Käufer).<br />
In den Quellen nicht ausdrücklich als Fall des Besitzerwerbs solo animo angesprochen 522<br />
.<br />
Konstruktion dieses Verfahrens?<br />
Iavol. D. 46, 3, 79: quod a nullo corporaliter eius rei possessio detinetur, adquisita mihi et quodammodo manu<br />
longa tradita existimanda est. - Inst. Iust. 2, 1, 45 Schlüsselübergabe, ohne Hinweis auf Ortsnähe.<br />
515<br />
516<br />
Niederlegen im Erwerberhaus, Aufstellen Wächter: K I 391 f.<br />
Labeo-Iavol. D. 41, 2, 51. Trebatius bei Ulp. D. 18, 6, 1, 2 (gesiegeltes Weinfass „traditum videri“, aber a. A.<br />
Labeo-Ulp. an derselben Stelle).<br />
517<br />
518<br />
519<br />
520<br />
521<br />
522<br />
D. 41, 1, 9, 5, und 12, 1, 9, 9 (H 12 u 13).<br />
Hausmaninger-Selb, 181 f.<br />
Gai. D. 41, 1, 9, 5.<br />
Ähnlich auch D. 41, 2, 19 pr.<br />
A. Wacke, Das Besitzkonstitut, Köln 1974. K I 394 / 37.<br />
Hausmaninger, Casebook Sachenrecht, 8. A., S. 26, vor Case 12. H.-S., 9. A., S. 131 mit Hinweis auf Cases<br />
15 ff. bejahen Besitzerwerb solo animo bei Besitzkonstitut; aber m. E. zweifelhaft, weil Possessor das corpus<br />
über den neuen Detentor hält.<br />
30. September 2011<br />
187
- Entweder wie Besitzerwerb solo animo behandeln.<br />
Aber in den Quellen nicht ausdrücklich als Fall des Besitzerwerbs solo animo<br />
angesprochen 523<br />
.<br />
Zumal ja Nahebeziehung zwischen neuem possessor und Sache gegeben ist,<br />
wenn auch nur mittelbar über den Detentor.<br />
Oder die römischen Juristen haben vielleicht eine Art Durchgangserwerb fingiert wie bei der<br />
delegatio, nämlich (nach dem Erwerb der Hilfsperson von einem <strong>Dr</strong>itten) die Hingabe der Sache<br />
von der Hilfspersonen an den (künftigen) possessor und dann von diesem wieder Rückgabe<br />
derselben Sache an die Hilfsperson.<br />
- M. E. Vorhandensein des Corpus des Erwerber-Possessors dadurch <strong>zu</strong> erklären,<br />
- entweder dass der eigentl Possessor die Sache durch den Detentor beherrscht<br />
und jederzeit auf diese Sache <strong>zu</strong>greifen kann,<br />
- oder dass der Detentor für den Erwerber<br />
die faktische Gewalt ausübt 524<br />
.<br />
- M. E. jedenfalls der „animus“ i. t. S. stets beim Possessor nötig, nicht beim Detentor.<br />
Davon <strong>zu</strong> unterscheiden: m.E. muss Detentor für den Possessor besitzen wollen,<br />
natürliche voluntas des Detentors m. E. erforderlich;<br />
4. Bei ursprünglichem Besitzerwerb ist Betätigung des Besitzwillens erforderlich,<br />
insbesondere wenn Detentor sich <strong>zu</strong>m Besitzer aufschwingen will 525<br />
,<br />
sofern dem nicht ohnehin die Regel entgegensteht, nemo sibi ipse possessionem mutare potest.<br />
KAPITEL 4. ERWERB DES BESITZES DURCH ANDERE<br />
1. Besitzerwerb durch Gewaltunterworfene, d. h. durch Sklaven oder Hauskinder<br />
für Gewalthaber, bildlich<br />
1. als Werkzeug oder verlängerter Arm des Gewalthabers,<br />
2. oder Besitz des dominus am Sklaven<br />
bedeutet auch Besitz an den Sachen, die Sklave hat.<br />
3. Besitz des dominus mittels corpus und animus des Sklaven 526<br />
.<br />
Dieses ist eines der Mittel, damit infans Besitz erwerben kann.<br />
2. Vorausset<strong>zu</strong>ng, dass Gewaltunterworfener mit Wissen des Gewahlthabers oder für sein peculium gehandelt hat<br />
(aber in Quellen unklar und heute str.).<br />
3. Sogar Besitzerwerb durch Gewaltfreie in Ausnahmefällen anerkannt<br />
jedenfalls in Spätklassik:<br />
1. Erwerb des Tutors oder Curators für das Mündel<br />
wird ohne weiteres sofort dem Mündel <strong>zu</strong>gerechnet,<br />
523<br />
Hausmaninger, Casebook Sachenrecht, 8. A., S. 26, vor Case 12. H.-S., 9. A., S. 131 mit Hinweis auf Cases<br />
15 ff. bejahen Besitzerwerb solo animo bei Besitzkonstitut; aber m. E. zweifelhaft, weil Possessor das corpus<br />
über den neuen Detentor hält.<br />
524<br />
525<br />
K I 394: Cels. D. 41, 2, 18 pr.<br />
D. 47, 2, 1, 1 (Ableugnen der Innehabung genügt nicht, Detentor muss verstecken). D. 41, 2, 32, 1 (Weiterverkauf<br />
und Zurückmieten genügt nicht). D. 41, 2, 25, 1, und D. 41, 2, 30, 6 (Weitervermietung durch Mieter<br />
entzieht dem Vermieter nicht die possessio).<br />
526<br />
D. 41, 2, 3, 12 (Case 24).<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
188
2. ebenso Besitzergreifen des Procurator für Geschäftsherrn,<br />
3. heute sogen. constitutum possessorium - Besitzkonstitut,<br />
wenn aber Veräußerer die Sache faktisch weiter innehaben soll<br />
und der Erwerber die possessio (und möglicherweise das Eigentum) bekommen soll,<br />
z. B. Veräußerer = bisheriger Eigentümer überträgt Sache an Erwerber und mietet gleich <strong>zu</strong>rück .<br />
.<br />
Aber in den Augen der röm Juristen und Kasers hat ds Fall mit<br />
Besitzerwerb durch Freie nichts <strong>zu</strong> tun.<br />
Wichtige Folge: infolge Besitzerwerbs auch unmittelbarer Eigentumserwerb<br />
durch traditio, auch ohne ausdrücklichen Befehl des Mündels oder Geschäftsherrn.<br />
Aber: kein Besitz- und Eigentumserwerb unmittelbar ohne weiteres<br />
des Mandanten durch Mandatar.<br />
KAPITEL 5. ERHALTUNG DES BESITZES DURCH ANDERE<br />
Besitz bleibt erhalten<br />
1. Auch wenn Besitzer Sache an Gewaltunterworfenen gab.<br />
2. Ebenfalls Besitzbewahrung mittels Detentor.<br />
Die römischen Juristen sagen wenig Genaues in Be<strong>zu</strong>g auf a + c.<br />
M. E. wird in ds Zusammhang nicht mit Lehre von a + c operiert.<br />
- M. E. rechnet man mit animus des Possessor und<br />
- corpus ebenfalls des eigentlichen Possessor 527<br />
.<br />
Paul. D. 41, 2, 3, 8, Satz 2. quod si servus vel colonus, per quos corpore possidebam, decesserint discesserintve, animo retinebo possessionem.<br />
527<br />
M. E. sahen die römischen Juristen hier nichts dogmatisch Interessantes.<br />
Sie gebrauchen die Formeln (oft bei Frage des Besitz-Verlustes):<br />
- Fragmente: Possessor besitzt „per servum, colonum, nosmet ipsos, alios, eos“ 528<br />
.<br />
- nostro nomine 529<br />
.<br />
- Domino possidere 530<br />
, d. h. für den Possessor den Besitz ausüben.<br />
- ministerio des Detentors für Posessor, Detentor praestet ministerium 531<br />
.<br />
Inst. 4, 15, 5 (= Gai. 4, 153):<br />
- der Besitzer besitze „per“ 532<br />
Detentor,<br />
- der Detentor sei in possessione in Be<strong>zu</strong>g „eius nomine“:<br />
Possidere autem videtur quisque non solum si ipse possideat, sed et si eius nomine aliquis in possessione sit, licet is eius iuri subiectus<br />
non sit, qualis est colonus et inquilinus: per eos quoque apud quos deposuerit quis aut quibus commodaverit ipse possidere videtur: et<br />
hoc est quod dicitur, retinere possessionem posse aliquem per quemlibet qui eius nomine sit in possessione.<br />
Pap. D. 41, 2, 44, 2. „servi vel coloni corpore possideatur“. Paul. D. 41, 2, 3, 8: „servus vel colonus, per quos<br />
corpore possidebam“ (d. h. also bei Paulus: corpus des Possessor, nicht des Detentor).<br />
528<br />
K, RPR S. 395 / A 44: D. 4, 3, 31; Pomp. D. 41, 2, 25, 1; Afr. D. 41, 2, 40, 1; Pap. D. 41, 2, 44, 2; Ulp. D. 43,<br />
16, 1, 45.<br />
529<br />
530<br />
531<br />
532<br />
Gai. D. 41, 2, 9.<br />
Lab. D. 19, 2, 60, 1.<br />
Cels. D. 41, 2, 18 pr.<br />
So auch Ulp. D. 6, 1, 77; Pap. D. 41, 2, 48.<br />
30. September 2011<br />
189
1. Bedeutung von Besitzfortdauer oder -erwerb<br />
1. Wichtig f Ersit<strong>zu</strong>ng,<br />
2. Desgleichen für Interdiktenbesitz.<br />
2. Besitzverlust jedenfalls, wenn bisheriger Besitzer<br />
1. freiwillig tatsächliche Gewalt aufgibt<br />
KAPITEL 6. BESITZVERLUST<br />
3 Besitzverlust, wenn Possessor Sache durch anderen besaß<br />
Wenn bisheriger Detentor des bisherigen Possessors entsetzt wurde und wenn neuer Besitzer faktische<br />
Gewalt übernommen hat, dann verliert bisheriger Besitzer possessio 533<br />
.<br />
Aber wenn Detentor stirbt oder wenn er faktische Gewalt, die er für Besitzer ausübt, nicht mehr hat,<br />
oder wenn Mieter weitervermietet 534<br />
oder sogar weiterverkauft mit Besitzkonstitut 535<br />
,<br />
trotzdem Fortdauer der Possessio des bisherigen Besitzers 536<br />
.<br />
Zweck: möglichst lange Bewahrung der Besitzvorteile (Interdiktenschutz und Ersit<strong>zu</strong>ng),<br />
obwohl äußerliche Beziehung, „corpus“ scheinbar unterbrochen.<br />
KAPITEL 7. BESITZSCHUTZ, INTERDICTA<br />
1. Das interdictum, Plural: die interdicta,<br />
wörtlich: die „Untersagung“.<br />
Einzelanordnung des Praetors.<br />
Keine Beteiligung des iudex, kein zweiteiliges Verfahren.<br />
Nur im Ausnahmefall Geldverurteilung.<br />
Eigentlicher Besitzschutzanspruch. Hier zeigt sich „Schutzfunktion“ des Besitzes.<br />
2. Interdictum des Praetors<br />
wegen Entziehung oder auch nur Störung des Besitzes als solchen,<br />
also unabhängig<br />
- von dinglichem Recht (a. in rem)<br />
- oder von schuldrechtlichem Anspruch (a. in personam).<br />
3. Wegen Besitzentziehung oder -störung an einem Grundstück<br />
„Interdictum uti possidetis“ - „wie ihr besitzt“.<br />
4. Interdiktenschutz genießt<br />
- jeder Eigenbesitzer (auch der Dieb, Dieb aber nicht gegen Eigentümer),<br />
possessor suo nomine,<br />
533<br />
- nur wenige, bestimmte Fremdbesitzer (nämlich, nicht lernen:<br />
Pächter an Staatsland, ager publicus 537<br />
; außerdem: Prekarist, Pignorist, Sequester).<br />
Bei Eindringling anscheinend sofort, wenn Detentor vertrieben ist (Pap. D. 41, 2, 44, 2). Im übrigen kontrovers<br />
ob sofort (Labeo-Ulp. D. 41, 2, 6, 1) oder erst nach Scheitern des bisherigen Possessor (K, RPR S. 394:<br />
Paul. D. 41, 2, 3, 8; Cels. D. 41, 2, 18, 3 und 4; Pomp. D. 41, 2, 25, 1).<br />
534<br />
535<br />
536<br />
Pomp. D. 41, 2, 25, 1; Paul. D. 41, 2, 30, 6.<br />
D. 41, 2, 32, 1.<br />
K, RPR S. 395 / A 44: D. 4, 3, 31 (Sklave verlässt Besit<strong>zu</strong>ng); Afr. D. 41, 2, 40, 1 (Pächter stirbt; Pächter verlässt<br />
freiwillig Besitztum); Pap. 41, 2, 44, 2. Zweck: Fortdauer der Ersit<strong>zu</strong>ng des bisherigen Possessor). Extremformulierung,<br />
dass Possessor erst Besitz verliert, wenn animus und corpus des Possessor verloren sind.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
190
5. Interdiktenschutz genießen gerade nicht<br />
1. die anderen „Fremdbesitzer“, sogenannte Detentoren,<br />
vor allem nicht: Mieter und Pächter;<br />
2. auch nicht die Gewaltabhängigen.<br />
6. Interdiktenschutz gegenüber<br />
1. Eigenbesitzer<br />
oder bestimmte Fremdbesitzer (s. soeben), auch gegenüber Mieter oder Pächter<br />
2. wenn dieser den Besitz unmittelbar vom Anspruchsteller erlangt hat,<br />
oder den Besitz des Anspruchstellers gestört hat,<br />
und zwar<br />
3. - entweder mit Gewalt, vi;<br />
- oder heimlich, clam;<br />
- oder auf Grund von Leihe, precario;<br />
kurz: vi clam precario.<br />
7. Rechtsfolge<br />
1. Rückgabebefehl oder Störungsverbot an Anspruchsgegner<br />
(2. eigentl, nach Formel:<br />
Anspruchssteller darf nun gg Anspruchsgegner ungestört Gewalt üben,<br />
wenn Anspruchsgegner weiterhin vorenthält oder stört).<br />
Wenn der Anspruchsgegner den Rückgabebefehl („Restitution“) nicht erfüllt,<br />
dann Geldverurteilung.<br />
8. Ähnliche Interdikte<br />
1. wegen beweglicher Sachen<br />
interdictum utrubi („bei wem“)<br />
2. oder wegen gewaltsamer Verdrängung aus einem Grundstück<br />
interdictum unde vi („von wo mit Gewalt“)<br />
usw 538<br />
.<br />
9. Inst. 4, 15 pass.; vor allem in Dig. Buch 43.<br />
10. Heute spricht man von possessorischen Ansprüchen, §§ 858 ff.<br />
(im Gegensatz <strong>zu</strong> petitorischen Ansprüchen auf Grund eines Rechts, z. B. §§ 985, 1004; 1007).<br />
KAPITEL 8. EIGENTUMSERWERB, EIGENTUMSARTEN, ÜBERBLICK<br />
1. Nach römischem und geltendem Recht <strong>zu</strong> unterscheiden<br />
1. Originärer (= ursprünglicher = natürlicher) Eigentumserwerb,<br />
insbes. durch Verbindung, Vermischung, Verarbeitung,<br />
insbes. Inst. 2, 1 pr. – 39,<br />
537<br />
538<br />
2. derivativer (= von einem Voreigentümer abgeleiteter),<br />
im allgemeinen rechtsgeschäftlicher Erwerb,<br />
insbes. Inst. 2, 1, 40 – 46.<br />
Zur Erbpacht etc: K I 387 ff., 455.<br />
K I S. 396 ff.<br />
30. September 2011<br />
191
2. <strong>Dr</strong>ei Übereignungsformen bei derivativem Erwerb<br />
1. mancipatio nur für bestimmte Sachen, die res mancipi,<br />
(italische Grundstücke, Sklaven, einheimische Tiere, gewisse Dienstbarkeiten)<br />
2. in iure cessio für alle Gegenstände,<br />
3. traditio für alle Sachen, aber mit unterschiedlichen Rechtswirkungen für<br />
1. nicht manzipierbare Sachen, res nec mancipi, und für<br />
2. res mancipi<br />
3. Sachen vom nichtberechtigten Nichteigentümer.<br />
3. Eigentumsarten 539<br />
1. Normalerweise haben die römischen Bürger (= Quiriten) an ihren Sachen quiritisches<br />
(= ziviles) Eigentum, das nach altrömischem Recht, ius civile oder ius Quiritium,<br />
durch die rei vindicatio, geschützt ist.<br />
Das gilt für die Fälle, dass an einen römischen Bürger<br />
- eine res nec mancipi tradiert oder in iure zediert wurde, oder<br />
- dass eine res mancipi manzipiert oder in iure zediert wurde.<br />
2. In dem (sogleich <strong>zu</strong> behandelnden) Sonderfall,<br />
dass eine res mancipi nicht manzipiert oder in iure zediert, sondern nur tradiert wurde,<br />
wurde das Recht des Erwerbers nur nach Honorarrecht (= prätorischem Recht)<br />
durch die a. Publiciana geschützt.<br />
Man sagte, der Erwerber habe die Sache nur in seinem Vermögen, in bonis,<br />
und spricht deswegen von „bonitarischem Eigentum“.<br />
3. Der Jurist Gaius erklärt, in einem derartigen Sonderfall bestehe an derselben Sache<br />
ein doppeltes Eigentum, duplex dominium,<br />
nämlich das zivile Eigentum des Veräußerers und gleichzeitg<br />
das bonitarische Eigentum des Erwerbers 540<br />
.<br />
4. Hingegen im römischen Recht kaum Unterschied zwischen beweglichen Sachen<br />
und Grundstücken,<br />
dieser Unterschied besonders ausgeprägt im germanischen und deutschen Recht bis ins BGB.<br />
5. Inst. 2, 1, 11.<br />
Ausdrücke<br />
Dominium Eigentum, Herrschaft<br />
dominus Herr, Eigentümer, Geschäftsherr<br />
proprietas Eigentum<br />
KAPITEL 9. MANCIPATIO<br />
Wie funktionierte die mancipatio? Da<strong>zu</strong> Institutionen des Gaius 1. Buch, § 119: Die mancipatio ist, wie wir auch<br />
oben gesagt haben, eine Art symbolischen Verkaufs; sie ist auch eine Rechtsfigur, die den römischen Bürgern<br />
vorbehalten ist, die folgendermaßen vor sich geht: In Anwesenheit von mindestens 5 mündigen römischen Bür-<br />
539<br />
540<br />
K I S. 402 f.<br />
Gai. 1, 54; 2, 40 f.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
192
gern als Zeugen und außerdem in Anwesenheit eines anderen von gleicher Rechtsfähigkeit, der eine Waage aus<br />
Erz hält, des sogenannten Waaghalters (libripens), spricht der, welcher <strong>zu</strong> mancipium erwirbt, indem er ein<br />
Stück Erz mit der Hand erfaßt, so: ‘Ich erkläre, dass (z. B.) dieser Sklave nach dem Recht der römischen Bürger<br />
meiner ist, und dass er für mich durch dieses Erz und die Waage aus Erz gekauft sein soll’ (Hunc ego hominem<br />
ex iure Quiritium meum esse aio isque mihi emptus esto hoc aere aeneaque libra). Dann stößt er mit dem Erz an<br />
die Waage und gibt dieses Erz demjenigen, von dem er <strong>zu</strong> mancipium empfängt, gewissermaßen anstatt eines<br />
Kaufpreises.<br />
1. Wer war Gaius, welche Bedeutung haben seine Institutionen?<br />
2. Wie mußten Übereignungen vorgenommen werden, an denen Nichtrömer beteiligt waren?<br />
3. Wiederholen Sie den äußeren Vorgang der mancipatio.<br />
4. Wie verhält sich bei diesem Vorgang der Veräußerer?<br />
5. In welcher Weise werden bei der mancipatio<br />
1. das Publizitätserfordernis und<br />
2. das Abstraktionsprinzip beachtet?<br />
6. Warum fehlt dieser Abschnitt aus den Institutionen des Gaius in den Institutionen Justinians?<br />
2. Wegen der notwendig Benut<strong>zu</strong>ng einer Waage, libra, spricht man auch von Libralakten.<br />
3. Erklärung und Einschränkung des Publizitätserfordernisses, Gai. 1, 121. Nur darin unterscheidet sich die mancipatio<br />
der Grundstücke von der mancipatio der anderen Gegenstände ... dass diese, wenn sie nicht gegenwärtig<br />
sind, nicht manzipiert werden können ... Deswegen wird ja von mancipatio gesprochen, weil die Sache mit der<br />
Hand ergriffen wird, manu res capitur. Nur Grundstücke werden für gewöhnlich in Abwesenheit manzipiert.<br />
Frage: Wie erklärt also Gaius das Wort mancipatio?<br />
4. Zur historischen Erklärung der mancipatio, Gai. 1, 122. Deshalb aber werden Erz und Waage benutzt, weil<br />
früher Erzmünzen in Gebrauch waren ... wie wir aus dem XII-Tafel-Gesetz entnehmen können; und ihr Wert bestand<br />
nicht in einer Zahlenangabe, sondern im Gewicht... Wer früher Geld zahlte, zählte die Münzen nicht <strong>zu</strong>,<br />
sondern wog sie ab.<br />
5. Der mancipatio konnte wirksam mündlich eine Nebenabrede beigefügt werden,<br />
lex mancipio dicta,<br />
z. B. Grundstücksgröße (bei Unterschreitung: actio de modo agri),<br />
Zurückbehaltung einer Dienstbarkeit für bisherigen Eigentümer = Verkäufer.<br />
Oder bei Sklavenkäufen so, dass bei Verstoß gegen die Abrede die Übereignung unwirksam wurde,<br />
also auflösende Bedingung, insbesondere:<br />
- dass die manzipierte Sklavin nicht prostituiert werden soll, oder<br />
- dass der manzipierte Sklave freigelassen werde, oder<br />
- dass der Sklave nicht freigelassen werden darf, oder<br />
- dass er nicht <strong>zu</strong> exportieren sei, oder<br />
- ungekehrt, dass er gerade exportiert werden muss.<br />
Diese Bedingungen hatten dingliche Wirkung: wenn sie verletzt wurden,<br />
konnte der Veräußerer die Sklavin oder den Sklaven vindizieren.<br />
6. Preiszahlung ist nicht erforderlich für Wirksamkeit der mancipatio in klassischer Zeit,<br />
wohl aber für auctoritas-Haftung.<br />
7. Auf Grund der mancipatio muß der Verfügende, mancipium dans, dem Erwerber<br />
wegen Rechtsansprüchen <strong>Dr</strong>itter beistehen, auctoritatem praestare.<br />
Wenn ein <strong>Dr</strong>itter gegenüber dem Erwerber erfolgreich einen Rechtsanspruch durchsetzt<br />
und dem Erwerber damit die Sache entzieht,<br />
haftet der Veräußerer wegen des Rechtsmangels, auctoritas-Haftung<br />
(s. o. <strong>zu</strong>r Rechtsmängelhaftung des Verkäufers).<br />
30. September 2011<br />
193
8. "Nachgeformte Rechtsgeschäfte". Die mancipatio wurde alsbald auch <strong>zu</strong> anderen Zwecken<br />
als <strong>zu</strong> dem der Übereignung im Rahmen eines Kaufvertrages verwandt, insbesondere<br />
1. als Manzipation für nur 1 Geldstück, mancipatio nummo uno, <strong>zu</strong> anderen Geschäftszwecken,<br />
z. B. <strong>zu</strong>r Schenkung oder Mitgift, dos,<br />
2. als Brautkauf, coemptio, für eine feierliche Form der Begründung der ehemännlichen Gewalt<br />
für die manus-Ehe,<br />
3. <strong>zu</strong>r Entlassung aus der väterlichen Gewalt, emancipatio,<br />
4. für die adoptio,<br />
5. für das testamentum per aes et libram.<br />
Ernst Rabel sprach in derartigen Fällen von nachgeformten Rechtsgeschäften.<br />
Ernst Rabel (1874 - 1955), <strong>Prof</strong>essor in <strong>Berlin</strong> für Privatrecht und Rechtsgeschichte, Rechtsvergleichung und Internationales<br />
Privatrecht. Von manchen als der bedeutendste Jurist des Jahrhunderts angesehen. Stammte aus einer<br />
österreichischen Juristenfamilie. In der modernen und antiken Rechtsvergleichung suchte er danach, "welche<br />
Lösungen sich aus der Gesamtheit des ganzen vollen Rechtslebens in dem einen und dem anderen Staat in den<br />
gleichen Lebensfragen ergeben und warum und mit welchem Erfolg sie sich ergeben". Rechtspolitisch war er tätig<br />
für die Rechtsvereinheitlichung, deswegen sein Werk "Das Recht des Warenkaufs". Er gründete das Kaiser-<br />
Wilhelm-Institut, spätere Max-Planck-Institut für Rechtsvergleichung, (jetzt in Hamburg) und die maßgebende<br />
Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht (heute: RabelsZ). Als Jude mußte er 1937 in die<br />
USA emigrieren.<br />
9. Keine mancipatio (d. h. Verfügung) durch Sklaven, Haussohn oder Freien kraft Ermächtigung 541<br />
,<br />
wohl aber an (d. h. Erwerb mittels) Sklaven oder Haussohn für den Gewalthaber 542<br />
,<br />
d. h. merkwürdigerweise, dass Sklave oder Haussohn für Manzipationserwerb<br />
die Erwerbsformel ws sprechen konnte,<br />
dass er aber das für die Veräußerung mittels mancipatio erforderlich Schweigen<br />
nicht ws erbringen konnte. (s. u.).<br />
10. Das Ende der mancipatio: Codex Buch 7, Titel 31, Fragment 1, § 5 (C. 7, 31, 1, 5). Kaiser Justinian an Johannes.<br />
Da ja die Einteilung der Sachen in res mancipi und nec mancipi ziemlich veraltet ist, muß sie vernünftigerweise<br />
abgeschafft werden, so dass in Be<strong>zu</strong>g auf alle Sachen und alle Anwendungsorte dieselbe Regelung gilt und nutzlose<br />
Zweifel und Unterscheidungen aufgehoben sind (im Jahre 531).<br />
1. Infolgedessen wurde der Textabschnitt von Gai. 1, 19 bis 1, 123<br />
in den Institutionen Justinians ausgelassen.<br />
2. Außerdem wurden fast zahllose Stellen im Corpus Iuris, die ursprünglich von der mancipatio handelten,<br />
auf die traditio umgeschrieben, "interpoliert".<br />
Dieses ist das bekannteste Beispiel für justinianische Interpolationen.<br />
Eine Interpolation könnte auch die Erklärung für D. 41, 1, 36 sein (s. u.).<br />
3. Infolgedessen wird im Text für Ihre Digesten-Exegese nie ausdrücklich von der mancipatio die Rede sein.<br />
Es kann sich allenfalls die Frage stellen, ob<br />
- eine nicht näher beschriebene rechtsgeschäftliche Übereignung<br />
mittels mancipatio erfolgt sein kann, oder ob<br />
541<br />
542<br />
K I S. 267; anders bei form-freien Verfügungen.<br />
Wenn Gewalthaber in der Erwerbsformel genannt wurde: Gai. 3, 167.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
194
- ein Text, der in der überlieferten Gestalt von der traditio spricht, ursprünglich die mancipatio meinte.<br />
KAPITEL 10. IN IURE CESSIO<br />
Gai. 2, 24. Die in iure cessio erfolgt auf die folgende Weise: Derjenige, dem eine Sache vor Gericht übertragen<br />
werden soll, hält diese Sache fest<br />
und erklärt vor einem Amtsinhaber des römischen Volkes, etwa einem Praetor: ‘Ich erkläre, dass (beispielsweise)<br />
dieser Sklave nach dem Recht der Quiriten mir gehört, meum esse’. Damit klagt er die Sache<br />
ein,<br />
und der Praetor fragt denjenigen, der die Sache übertragen will, ob er die Gegenbehauptung aufstellt.<br />
Wenn dieser die Frage verneint oder schweigt, spricht der Praetor dem Kläger die Sache <strong>zu</strong>. Und dies wird<br />
eine Klage nach dem Gesetz, legis actio, genannt.<br />
Sie kann auch vor den Provinzstatthaltern durchgeführt werden.<br />
Zusatzfragen<br />
1. Wie steht es mit dem Publizitätsprinzip?<br />
2. Kommt es auf die causa, wegen der übereignet werden soll, an?<br />
Ergän<strong>zu</strong>ng<br />
Sowohl res mancipi, als auch res nec mancipi.<br />
Da in Form eines Prozesses, nur für Bürger (nicht Sklaven), die gewaltfrei sind (nicht Hauskinder).<br />
Gai 2, 25: Aber meistens und fast immer gebrauchen wir die mancipatio. Denn für das, was wir selbst im<br />
Kreis von Freunden erledigen können, ist es nicht nötig, es mit größerer Schwierigkeit bei dem Praetor oder<br />
dem Provinzstatthalter <strong>zu</strong> betreiben.<br />
Ergän<strong>zu</strong>ng: Auch die in iure cessio war in Justinians Zeit nicht mehr in Gebrauch,<br />
Justinian hat sie aus den Digesten getilgt 543<br />
.<br />
KAPITEL 11. TRADITIO 544<br />
1. In den Digesten fast die einzige Übereignungsform.<br />
2. Inst. 2, 1, 40, Satz 1 + 2. Per traditionem quoque iure naturali res nobis adquiruntur: nihil enim tam conveniens<br />
est naturali aequitati, quam voluntatem domini, volentis rem suam in alium transferre, ratam haberi.<br />
et ideo cuiuscumque generis sit corporalis res, tradi potest et a domino tradita alienatur.<br />
1. Beachten Sie die (nach heutigem Verständnis) doppelte Bedeutung von traditio, nämlich<br />
1. Eigentumsübertragung oder<br />
2. tatsächliche Übergabe des Sachbesitzes.<br />
2. Auf welche allgemeine Rechtsgrundlage stützen sich hier die Institutionen?<br />
3. Inst. 2, 1, 41. Sed si quidem ex causa donationis aut dotis aut qualibet alia ex causa tradantur, sine dubio<br />
transferentur: venditae vero et traditae non aliter emptori adquiruntur, quam si is venditori pretium solverit<br />
vel alio modo ei satisfecerit, veluti expromissore aut pignore dato. quod cavetur quidem etiam lege duodecim<br />
tabularum.<br />
1. Welche Erfordernisse werden in §§ 40 und 41<br />
543<br />
544<br />
K-K § 7/19.<br />
K I § 100 IV, S. 416.<br />
30. September 2011<br />
195
für eine wirksame Eigentumsübertragung aufgestellt? 545<br />
2. In welcher Weise werden diese Erfordernisse in Inst. 2, 1, 44 und 45 gemildert?<br />
3. Bestehen dieselben Erfordernisse bei der mancipatio und der in iure cessio?<br />
4. Erforderlich ist also für die Eigentums-traditio<br />
1. Formfreie Übergabe der Sache, also Besitz-traditio <strong>zu</strong>r Verschaffung der possessio,<br />
2. Eigentumsübertragungswille des bisherigen Eigentümers,<br />
3. wirksames Grundgeschäft, causa.<br />
5. 1. Die traditio bewirkte nur dann den Eigentumsübergang (an einer res nec mancipi),<br />
wenn ihr ein bestimmter Rechtsgrund <strong>zu</strong> Grunde lag,<br />
die sogenannte causa, später auch genannt titulus.<br />
545<br />
546<br />
547<br />
548<br />
2. Die häufigsten causae: Mitgift (dos), Schenkung (donatio),<br />
Darlehensgewährung (causa credendi).<br />
Der Verkauf (emptio, venditio) war in einzelnen Fällen 546<br />
sogar dann ausreichende causa,<br />
wenn Kaufvertrag unwirksam war.<br />
Erfüllung (solutio, solvendi causa) <strong>zu</strong>r Erfüllung einer Verbindlichkeit<br />
aus Stipulation oder Damnationslegat,<br />
Übereignung wirksam, selbst wenn diese Verbindlichkeit in Wirklichkeit nicht bestand 547<br />
.<br />
Ob diese causa solvendi auch in anderen Fällen anerkannt war, ist unklar.<br />
Weniger häufig eine sonstige Vereinbarung (pactum). 548<br />
3. Diese iusta causa traditionis ist ähnlich, aber nicht identisch mit<br />
- der iusta causa usucapionis = iustus titulus, für die Ersit<strong>zu</strong>ng, oder<br />
- derjenigen causa, wegen deren Fehlens die condictio in Betracht kommt.<br />
4. Es galt die Rechtsmaxime<br />
Numquam nuda traditio transfert dominium.<br />
Nie überträgt die einfache Übergabe das Eigentum.<br />
Grundsätzlich: Digesten Buch 41, Titel 1, Fragment 31, Anfangsparagraph (Paulus im 31. Buch des<br />
Kommentars <strong>zu</strong>m Edikt). Niemals überträgt die bloße Übergabe das Eigentum, sondern nur, wenn ein<br />
Verkauf oder ein anderer anerkannter Rechtsgrund vorangeht, wegen dessen die Übergabe folgt.<br />
D. 41, 1, 31 pr. (Paulus libro trigensimo primo ad edictum). Numquam nuda traditio transfert dominium,<br />
sed ita, si venditio aut ali[qu]a iusta causa praecesserit, propter quam traditio sequeretur.<br />
Dieses sogenannte Kausalitätsprinzip wurde in klassischer Zeit wohl nicht aufgegeben.<br />
5. Aber vielleicht wurde das Prinzip nicht sehr eng gesehen,<br />
Tatsächliche Übergabe, Rechtsgrund (causa = titulus), Preis-Zahlung oder -Kreditierung.<br />
Kunkel/MM 159/26: Kauf vom Geschäftsunfähigen bei Gutgläubigkeit des Käufers.<br />
Kaser I § 100 IV 2 Anm. 39; KK § 24 IV 2. Ebenso bei Ersit<strong>zu</strong>ng, usucapio, Kaser I § 101 I 3 Anm. 28.<br />
Gut informativ: Kunkel/MM 158 f.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
196
s. die berühmte Äußerung Iulians:<br />
Digesten Buch 41, Titel 1, Fragment 36 (Iulian im 13. Buch der Digesten). Wenn wir hinsichtlich<br />
des Gegenstandes, der übereignet werden soll (andere Überset<strong>zu</strong>ng: der übergeben wird), übereinstimmen,<br />
bezüglich der Rechtsgründe aber verschiedener Meinung sind, dann sehe ich nicht ein, warum<br />
die Übereignung unwirksam sein sollte.<br />
Etwa wenn ich glaube, ich sei dir auf Grund eines Testaments/Vermächtnisses verpflichtet, ein<br />
Grundstück <strong>zu</strong> übereignen, du jedoch glaubst, dass es dir auf Grund einer Stipulation geschuldet werde.<br />
Denn auch wenn ich dir abgezähltes Geld als Geschenk übereigne, du es aber gewissermaßen als Darlehen<br />
entgegennimmst, dann steht fest, dass das Eigentum auf Dich übergeht und dass es keinen Hinderungsgrund<br />
bildet, dass wir wegen des Rechtsgrundes des Gebens und Empfangens verschiedener<br />
Meinung sind.<br />
D.1, 1, 36 (Iul. 13 dig.). Cum in corpus quidem quod traditur consentiamus, in causis vero dissentiamus,<br />
non animadverto, cur inefficax sit traditio, veluti si ego credam me ex testamento tibi obligatum<br />
esse, ut fundum tradam, tu existimes ex stipulatu tibi eum deberi. nam et si pecuniam numeratam tibi<br />
tradam donandi gratia, tu eam quasi creditam accipias, constat proprietatem ad te transire nec impedimento<br />
esse, quod circa causam dandi atque accipiendi dissenserimus.<br />
Digesten Buch 12, Titel 1, Fragment 18, Anfangsparagraph (Ulpian im 7. Buch der Kontroversen).<br />
Wenn ich dir Geld gebe, gewissermaßen, um es dir <strong>zu</strong> schenken, du es aber gewissermaßen als Darlehen<br />
entgegennimmst, so schreibt Iulian, dass eine Schenkung nicht vorliege: ob aber ein Darlehen<br />
gegeben sei, müsse man prüfen.<br />
Und ich bin der Ansicht, dass auch kein Darlehen gegeben sei und dass auch mehr dafür spricht, dass<br />
die Geldstücke nicht Eigentum des Empfängers werden, wenn er sie in anderer Meinung angenommen<br />
hat (als der Geber sie hingegeben hat).<br />
Wenn er sie also verbraucht hat, würde er auf Grund der Bereicherungsklage haften, kann aber die<br />
Einrede der Arglist erheben, weil die Geldstücke entsprechend dem Willen des Gebers verbraucht<br />
worden sind.<br />
D. 12, 1, 18 pr. (Ulpian. 7 disp.). Si ego pecuniam tibi quasi donaturus dedero, tu quasi mutuam accipias,<br />
Iulianus scribit donationem non esse: sed an mutua sit, videndum. et puto nec mutuam esse magisque<br />
nummos accipientis non fieri, cum alia opinione acceperit. quare si eos consumpserit, licet<br />
condictione teneatur, tamen doli exceptione uti poterit, quia secundum voluntatem dantis nummi sunt<br />
consumpti.<br />
6. Das Preis- oder Kreditierungserfordernis war wohl klassisch,<br />
hatte aber in klassischer Zeit an Bedeutung verloren.<br />
7. Aufschiebende Bedingung wirksam; auflösende fraglich, wohl in seltenen Fällen klassisch.<br />
KAPITEL 12. WIRKUNGEN DER TRADITIO 549<br />
1. Traditio für alle Sachen, aber mit unterschiedlichen Rechtswirkungen für<br />
1. nicht manzipierbare Sachen, res nec mancipi, und für<br />
2. res mancipi, sowie für<br />
3. Sachen vom nichtberechtigten Nichteigentümer<br />
4. sowie in weiteren Fällen.<br />
549<br />
K I § 97, S. 402 ff.<br />
30. September 2011<br />
197
2. Die traditio einer res nec mancipi begründete volles, ziviles Eigentum<br />
für den Erwerber.<br />
3. Wenn aber in klassischer Zeit der zivile Eigentümer<br />
eine res mancipi nicht manzipierte, sondern nur tradierte,<br />
1. dann erlangte der Erwerber nicht sofort ziviles Eigentum.<br />
2. Eigentumserwerb erfolgte dann erst durch Ersit<strong>zu</strong>ng während 1 oder 2 Jahren,<br />
auch wenn Erwerber wußte, dass er <strong>zu</strong>nächst mittels traditio kein Eigentum erworben konnte.<br />
3. Während Ersit<strong>zu</strong>ngszeit war Erwerber bereits geschützt durch<br />
1. eigene Klage analog <strong>zu</strong>r Eigentumsherausgabeklage, actio Publiciana,<br />
2. und gegenüber Anspruch oder Einrede des Veräußerers<br />
durch besondere Einrede wegen der verkauften und übergebenen Sache,<br />
exceptio (oder replicatio) rei venditae et traditae.<br />
4. Faktisch hat also der Erwerber die Sache schon in seinem Vermögen, in bonis,<br />
daher "bonitarischer Eigentümer",<br />
5. während der Veräußerer nur ein inhaltsleeres Recht hat, nudum ius.<br />
6. Gaius spricht darum von einem doppelten Eigentum, duplex dominium.<br />
7. Ob auch in anderen Fällen bonitarisches Eigentum begründet wurde,<br />
etwa infolge Veräußerung durch den Nichteigentümer, der nachträglich ziviles Eigentum erwirbt,<br />
ist heute nicht mehr klar <strong>zu</strong> erkennen.<br />
4. Provinzialboden stand im allgemeinen im Staatseigentum<br />
privates Eigentum war an ihm nicht möglich,<br />
sondern nur eine Nut<strong>zu</strong>ngs-, Fruchtziehungs- und Besitzposition, das uti frui habere possidere.<br />
Ebenfalls durch traditio übertragen.<br />
KAPITEL 13. ÜBEREIGNUNGEN MITTELS HILFSPERSONEN<br />
1. Übereignung i. S. Verfügung, insbesondere mittels traditio,<br />
z. B. E ist Eigentümer einer Vase und bittet seinen Freund F, diese an K <strong>zu</strong> übereignen.<br />
Übereignung<br />
durch gewaltfreie Hilfsperson wie Bauftragten (Mandat) oder Prokurator,<br />
oder durch Gewaltunterworfenen, Haussohn oder Sklaven,<br />
2. Allgemein anerkannt<br />
war die Wirksamkeit der Verfügung über fremde Rechte<br />
mit der formlosen<br />
- vorherigen, untechnisch iussum oder mandatum, oder<br />
- nachträglichen, ratihabitio,<br />
Zustimmung des Berechtigten.<br />
Prinzip: Inst. 2, 1, 42 und 43.<br />
3. Geschäfte<br />
1. wie: Übereignung / traditio, Verpfändung, Annahme als Schulderfülung,<br />
2. aber nicht förmliche Geschäfte wie mancipatio oder in iure cessio.<br />
4. Der Verfügende konnte<br />
- ein Gewaltfreier oder<br />
- ein Gewaltutnerworfener (Haussohn oder Sklave) sein.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
198
5. D. h. wenn Eigentümer der Übereignung durch einen anderen an einen <strong>Dr</strong>itten <strong>zu</strong>stimmt,<br />
ist Übereignung wirksam und <strong>Dr</strong>itter wird Eigentümer.<br />
Dieses ist wichtiges Stück für die heute sogenannte mittelbare Stellvertretung.<br />
Aber wenn Hilfsperson die Ermächtigung überschreitet,<br />
z. B. Sache unter dem vorgegebenen Preis verkauft,<br />
dann nützt Ermächtigung nichts, Verfügung ist unwirksam 550<br />
.<br />
6. Einschränkung:<br />
Aber keine mancipatio (d. h. Verfügung) durch den Nichteigentümer,<br />
die Ermächtigung nützt hier<strong>zu</strong> nichts 551<br />
.<br />
Also Ermächtigung nützt im Wesentlichen nur etwas für traditio,<br />
<strong>zu</strong> deren Wirkungen s. o.<br />
Wenn jedoch res mancipi mit Ermächtigung des Eigentümers (z. B. E)<br />
durch den Nichteigentümer (z. B. F) an einen anderen (z. B. K) tradiert wird,<br />
dann erhält der andere, der Empfänger (K), bereits gesicherte Rechtsposition an der Sache,<br />
mittels a. Publiciana gegen einen neuen Besitzer (z. B. B)<br />
und exceptio gegen zivilen Eigentümer (E).<br />
7. Klarstellung:<br />
1. Diese Ermächtigung<br />
an eine gewalt-freie Hilfsperson kann nur Verfügung betreffen,<br />
begründet also keine Verpflichtung des Ermächtigenden<br />
gegenüber außenstehendem <strong>Dr</strong>itten.<br />
Vertragsbeziehungen werden nur zwischen Hilfsperson und <strong>Dr</strong>ittem begründet<br />
(evtl. gewisse Ausnahmen).<br />
2. Eine Verpflichtung des Geschäftsherrn kann nur begründet werden<br />
durch einen Gewaltunterworfenen,<br />
wenn TB einer adjektizischen Klage gegeben ist.<br />
4. Keine Unterscheidung je nachdem, ob Hilfsperson<br />
im eigenen (BGB: Zustimmung) oder fremden (BGB: Stellvertretung) Namen handelt.<br />
8. Aber, wie gesagt, grundsätzlich in Rom kein Erwerb durch einen Gewaltfreien.<br />
1. D. h.: wenn jemand (E) seine Sache an einen anderen (den A) übereignen will,<br />
indem er sie der gewaltfreien Hilfsperson (P) des anderen (A) übergibt,<br />
so erlangt der andere (A) in der Regel noch nicht das Eigentum.<br />
550<br />
551<br />
2. Ausnahme: Procurator, sowie Tutor oder Curator.<br />
D. h. in dem häufigen Fall, wenn der Schuldner des Geschäftsherrn<br />
dem Procurator des Geschäftsherrn die Schulden bezahlt,<br />
dann wird der Geschäftsherr Eigentümer des Geldes<br />
und der Schuldner wird damit von seiner Schuld befreit wird.<br />
D. 21, 3, 1, 3 (WS 03).<br />
K I S. 267; anders bei form-freien Verfügungen.<br />
30. September 2011<br />
199
3. Aushilfsmittel: doppelte Übereignung.<br />
D. h. es müssen zwei Übereignungen durchgeführt werden:<br />
vom Veräußerer an die Hilfsperson<br />
und von der Hilfsperson an den endgültigen Erwerber.<br />
4. Anerkannt ist aber der Erwerb mittels eines Gewaltunterworfenen<br />
für den Gewalthaber,<br />
und zwar sowohl im Wege der traditio wie im Wege der mancipatio 552<br />
,<br />
Besitzerwerb und traditio erfordern aber Wissen des Gewalthabers<br />
oder Handeln des Gewaltunterworfenen für sein Pekulium (str.).<br />
KAPITEL 14. ERSITZUNG = USUCAPIO<br />
Schon nach den XII-Tafeln 553<br />
. Ausführlich Inst. Iust. 2, 6.<br />
1. Erste Funktion: Erwerb vom Nichtberechtigten.<br />
D. h. die Römer erklärten den gutgläubigen Erwerber, der eine fremde Sache<br />
eine gewisse Zeit besessen hatte, <strong>zu</strong>m Eigentümer,<br />
weil er die Sache durch Gebrauch (usus) erlangt (cápere) habe.<br />
Anstelle der klassischen usucapio<br />
später die Einrede der langen Zeit, longi temporis praescriptio.<br />
2. Fünf Vorausset<strong>zu</strong>ngen:<br />
1. Ersit<strong>zu</strong>ngsfähige Sache - res habilis,<br />
ausgeschlossen: gestohlene Sache - res furtiva.<br />
552<br />
553<br />
554<br />
Wenn gestohlene Sache wieder <strong>zu</strong>m Eigentümer <strong>zu</strong>rückgekehrt ist,<br />
hat sie ihre Ersitzbarkeit <strong>zu</strong>rückgewonnen.<br />
An Grundstücken kein Diebstahl (nach durchgedrungener Ansicht),<br />
jedoch kaiserliches Ersit<strong>zu</strong>ngsverbot 554<br />
.<br />
2. Eigenbesitz - possessio civilis<br />
(nicht ausreichend sonstige Innehabung wie etwa sogenannte Detention),<br />
3. Ablauf der Ersit<strong>zu</strong>ngsfrist - tempus,<br />
- ein Jahr bei beweglichen Sachen,<br />
- zwei Jahre bei Grundstücken,<br />
4. Erwerbsgrund - iusta causa, titulus,<br />
wie bei Traditio, insbesondere<br />
„als Käufer“ - pro emptore, „auf Grund Schenkung“ - pro donato,<br />
Wenn Gewalthaber in der Erwerbsformel genannt wurde: Gai. 3, 167.<br />
XII-T. 6, 3.<br />
Inst. Iust. 2, 6, 7; C. 7, 31, 1. Wohl auch keine Ersit<strong>zu</strong>ng an gewaltsam entzogenem Grundstück.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
200
„als Heiratsmitgift“ – pro dote, „als Vindikationslegat“ – pro legato (per vindicationem),<br />
„<strong>zu</strong>r Erfüllung einer Stipulationsschuld“ - pro soluto.<br />
Sonderfälle: auf Grund wirklicher Dereliktion durch den Eigentümer – pro derelicto,<br />
auf Grund Erbfalls, sogar bei Kenntnis der Nichtberechtigung – pro herede.<br />
Subsidiär „als Eigenberechtigter“ – pro suo.<br />
Strittig, ob bei Fehlen einer causa der gute Glaube genügt, sogen. Putativtitel.<br />
Jedenfalls galt die Rechtsmaxime, dass ein bloßer Sachinhaber, sogenannter Detentor,<br />
sich nicht eigenmächtig eine Ersit<strong>zu</strong>ngs-causa schaffen könne:<br />
Nemo sibi ipse causam possessionis mutare potest.<br />
Niemand kann für sich selbst den Besitzgrund ändern.<br />
5. Guter Glaube - bona fides, <strong>zu</strong>r Zeit des Erwerbes.<br />
Wichtige Rechtsmaxime<br />
Mala fides superveniens non nocet - Spätere Bösgläubigkeit schadet nicht (in Rom)<br />
(anders im Mittelalter kanonisches Recht: mala fides superveniens nocet;<br />
superveniens nocet auch bei der seltenen Ersit<strong>zu</strong>ng beweglicher Sachen im BGB, § 937;<br />
aber gar kein guter Glaube bei Buchersit<strong>zu</strong>ng erforderlich, § 900.).<br />
Bona fides nicht erforderlich in Sonderfällen:<br />
- Eigentumserwerb vom Eigentümer (!) an res mancipi durch bloße traditio,<br />
- res (a domino !) derelicta,<br />
- an Erbschaftssache trotz Wissen nicht Erbe <strong>zu</strong> sein.<br />
3. Zweite Funktion der usucapio:<br />
Herstellung des vollen Eigentums römischer Bürger, sogenanntes quiritisches Eigentum,<br />
des Erwerbers, der eine res mancipi durch bloße traditio erlangt hatte.<br />
Hierfür kommt es auf b. f. des Erwerbers nicht an (es sei denn vom Nichtberechtigten).<br />
4. Außerdem Klage des bisherigen Ersit<strong>zu</strong>ngsbesitzers, der Besitz wieder verloren hat,<br />
gegen den neuen Besitzer analog <strong>zu</strong>r rei vindicatio: actio Publiciana (s. u.).<br />
5. Für den Fall des bonitarischen Erwerbs,<br />
d. h. wenn Eigentümer seine res mancipi an Käufer nur tradiert hatte:<br />
Zwar rei vindicatio des Eigentümers gegen Käufer nach ius civile,<br />
aber beklagter Käufer hat die Einrede der verkauften und übergebenen Sache,<br />
exceptio rei venditae et traditae, oder exceptio doli, gegen klagenden Eigentümer.<br />
Gilt aber selbstverständlich nicht, wenn Käufer von nichtberechtigtem <strong>Dr</strong>itten erworben hatte<br />
und nun wirklicher Eigentümer vor Vollendung der Ersit<strong>zu</strong>ng vom Käufer herausverlangt.<br />
6. Hingegen in Rom kein sofortiger gutgläubiger Erwerb.<br />
Denn niemand kann mehr an Rechten (auf einen anderen) übertragen,<br />
als er selbst hat; so der Jurist Paulus in D. 50, 17, 54.<br />
Nemo plus iuris transferre (ad alium) potest quam ipse haberet.<br />
7. Usucapio dürfte eine Mittelstellung zwischen ursprünglichem und abgeleitetem Erwerb einnehmen.<br />
8. Entwicklungen vom römischen und mittelalterlichen Recht bis <strong>zu</strong>r Neuzeit abgeschlossen<br />
30. September 2011<br />
201
1. durch §§ 932, 892 BGB,<br />
2. aber auch noch Ersit<strong>zu</strong>ng im BGB, §§ 937 ff. und 900.<br />
Ausdruck<br />
mala fides böser Glaube, Unredlichkeit.<br />
KAPITEL 15. TIERE<br />
Inst. 2, 1, 11 – 13 und 15 am Ende<br />
Tierjunge Inst. 2, 1, 19.<br />
Eigentumsverlust an Tieren, m. E. <strong>zu</strong> detailliert, nämlich:<br />
- wilde Tiere, wenn sie Freiheit wiedererlangen und Verfolgung ohne Aussicht ist,<br />
- gezähmtes Tier, wenn es den Willen <strong>zu</strong>r Rückkehr, animus revertendi, verliert,<br />
- Haustier bleibt im Eigentum, auch wenn es sich verläuft 555<br />
.<br />
KAPITEL 16. VERARBEITUNG<br />
Interessenkonflikt zwischen Materialeigentümer und Verarbeiter.<br />
I. 2, 1, 25.<br />
1. Es handelt sich hierbei um eine der berühmtesten Kontroversen zwischen der Rechtsschule der Sabinianer<br />
und der Rechtsschule der Prokulianer.<br />
2. Derselbe Text ist, ausführlicher, aber im übrigen nur wenig verändert, auch in den Digesten überliefert,<br />
Gaius D. 41, 1, 7, 7: Wenn jemand aus fremdem Material einen Gegenstand für sich hergestellt hat 556<br />
,<br />
meinen Nerva und Proculus, dass derjenige Eigentümer sei, der ihn hergestellt hat, weil das, was hergestellt<br />
worden ist, vorher niemandem gehört hat. Sabinus und Cassius meinen, dass die natürliche Vernunft (naturalis<br />
ratio) eher da<strong>zu</strong> führe, dass der Eigentümer des Materials auch Eigentümer der Sache werde, die aus<br />
diesem Material erzeugt wird, weil ohne Material kein Gegenstand hergestellt werden könne, so z. B.,<br />
wenn ich aus deinem Gold, Silber oder Kupfer irgendein Gefäß mache ... Es gibt jedoch auch eine mittlere<br />
Meinung (media sententia) derer, die <strong>zu</strong> Recht die Ansicht vertreten, wenn die bearbeitete Sache wieder in<br />
den ursprünglichen Roh<strong>zu</strong>stand <strong>zu</strong>rückgeführt werden könne, sei die Auffassung von Sabinus und Cassius<br />
richtiger, wenn das jedoch nicht möglich sei, dann die Auffassung von Nerva und Proculus. So kann z. B.<br />
das Gefäß eingeschmolzen und dadurch wieder <strong>zu</strong>m Rohmaterial Gold, Silber oder Kupfer gemacht werden;<br />
der Wein aber oder das Getreide kann nicht wieder <strong>zu</strong> Trauben oder Ähren gemacht werden ... 557<br />
.<br />
Fragen<br />
1. Welche Begründung führen<br />
1. die Prokulianer (= Produktionsprinzip)<br />
2. die Sabinianer (= Sacheigentümer = Substanzprinzip) für ihre Ergebnisse an?<br />
2. Was spricht schließlich für die media sententia?<br />
Die media sententia war auch im gemeinen Recht die herrschende.<br />
Das ALR folgte den Prokulianern, wenn der Hersteller gutgläubig war.<br />
Der Code civil übernahm die Ansicht der Sabinianer.<br />
555<br />
Kaser/Knütel § 26 Rdnr. 2,<br />
556<br />
Speciem ... fecerit, daher nennen Juristen die Verarbeitung auch Spezifikation.<br />
557<br />
Überset<strong>zu</strong>ng nach Hausmaniger, Casebook <strong>zu</strong>m römischen Sachenrecht, Fall 120.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
202
Was sagt BGB?<br />
Heute vor allem Konflikt zwischen den Kreditgebern = Sicherungsnehmern<br />
des Materialeigentümers und denen des Verarbeiters.<br />
Wie ist die Lösung des § 950 BGB ein<strong>zu</strong>ordnen?<br />
Warum Entscheidung des BGB für den Hersteller?<br />
"Die Würde der menschlichen Arbeit, in welcher der Geist mittels der von ihm beherrschten und in Geschicklichkeit<br />
umgewandelten Körperkraft aus Gegebenem neue Mittel für bessere Befriedigung menschlicher Bedürfnisse<br />
schafft, überwiegt bei der Abwägung der beteiligten Interessen das Gewicht des Stoffes weitaus" 558<br />
.<br />
Vorausset<strong>zu</strong>ngen für § 950 BGB<br />
1. "Verarbeitung oder Umbildung"<br />
2. "Neue bewegliche Sache", nach Verkehrsanschauung, neue Bezeichnung kann Indiz sein.<br />
3. Durch den Hersteller.<br />
4. Berechnung, § 950 I 1, Halbs. 2, d. h.<br />
1. Wert der neuen Sache,<br />
2. abzüglich "Wert des Stoffes",<br />
3. ergibt "Wert der Verarbeitung".<br />
4. Dieser "Wert der Verarbeitung" (Punkt 3.)<br />
darf nicht "erheblich geringer sein" als "Wert des Stoffes" (Punkt 2.).<br />
Rechtsfolgen der Verarbeitung nach BGB (ebenso wie bei § 946, 947 II und 948 BGB)<br />
1. Eigentumsverlust der bisherigen Eigentümer der einzelnen Stoffe.<br />
2. Hersteller wird Eigentümer der neuen Sache.<br />
3. Obligatorische Ausgleichspflicht, §§ 951, 812.<br />
Rechtsfolgen aber nicht: Miteigentum, sondern "Alles oder Nichts".<br />
KAPITEL 17. VERMISCHUNG, INST. 2, 1, 27 + 28<br />
KAPITEL 18. SACHVERBINDUNG VON BEWEGLICHEN SACHEN<br />
1. Bei untrennbarer Verbindung beweglicher Sachen miteinander<br />
ist entscheidend, ob sie <strong>zu</strong> einer einheitlichen Sache verbunden wurden. Dann kam es darauf an,<br />
welche Sache generell als die Hauptsache angesehen wird, z. B.<br />
- Purpur folgte der Wolle, Inst. 2, 1, 26,<br />
- Schrift der Schreibtafel, Inst. 2, 1, 33,<br />
- die Bemalung einer fremden Tafel ist kontrovers, Inst. 2, 1, 34,<br />
- der angeschweißte Arm folgt der Statue<br />
(anders bei angelöteten Teilen, adplumbare);<br />
diese Fälle nicht auswendiglernen!<br />
Verkehrsanschauung, vielleicht auch philosophische Lehren sind wichtiger als bloße Wertverhältnisse.<br />
Ergebnis: Eigentum an der Hauptsache erstreckt sich auf Nebensache, denn<br />
Accessio cedit principali - Das Recht an der Nebensache folgt dem Recht an der Hauptsache<br />
(res principalis).<br />
558<br />
Johow, Sachenrecht (s. o.), Bd. 1, S. 949.<br />
30. September 2011<br />
203
2. Ausgleichsanspruch des "enteigneten" bisherigen Eigentümers der Nebensache<br />
a. utilis, a. in factum; evtl. Zurückbehaltungsrecht mittels exc. doli<br />
(aber nicht eigentliche condictio wegen Bereicherung).<br />
Außerdem, bei Diebstahl: actio furti oder condictio furtiva, Insdt. 2, 1, 26.<br />
3. Bei Verbindung von beweglichen Sachen <strong>zu</strong> einem Schiff oder Statue (durch Anlöten)<br />
oder anderer <strong>zu</strong>sammengesetzter Sache<br />
- blieb das Eigentum an den Einzelsachen bestehen,<br />
deren Eigentümer können deswegen mit actio ad exhibendum Lostrennung verlangen<br />
und dann vindizieren.<br />
- Gleichzeitig entstand <strong>zu</strong>sammengesetzte Sache,<br />
die als solche dem Eigentümer der Hauptsache gehörte<br />
und die dieser vindizieren konnte.<br />
Ebenso bei Viehherde, grex.<br />
KAPITEL 19. SACHVERBINDUNG MIT GRUNDSTÜCK<br />
Bau auf fremdem Boden Inst. 2, 1, 29 – 32.<br />
1. In dem Konflikt, dass Grundstück und bewegliche Sache verschiedenen Eigentümern gehören 559<br />
,<br />
ist das Grundstück die Hauptsache. Wenn also eine bewegliche Sache<br />
fest mit einem Grundstück verbunden ist, dann hat ihr bisheriger Eigentümer<br />
keinen Herausgabeanspruch gegen den Grundstückseigentümer.<br />
Das gilt etwa für Balken oder Mauersteine, aber auch für Fenster und Türen.<br />
Er kann von dem Grundstückseigentümer auch nicht die Herauslösung der Sache verlangen,<br />
also in diesem Fall keine actio ad exhibendum 560<br />
.<br />
Die dogmatische Erklärung liegt darin,<br />
1. dass sich das Eigentumsrecht an dem Grundstück vorerst auf die bewegliche Sache erstreckt,<br />
so dass der bisherige Eigentümer der beweglichen Sache damit vorerst sein eigenes Recht verliert,<br />
auch wenn das Eigentum an der beweglichen Sache<br />
nach einer Lösung von beweglicher Sache und Grundstück wieder aufleben sollte,<br />
2. oder dass das bisherige Eigentum an der beweglichen Sache bis <strong>zu</strong> ihrer Trennung ruht.<br />
2. Das meinen die Rechtsmaximen<br />
Superficies solo cedit. Das Recht an dem Bau auf dem Boden<br />
weicht dem Recht an dem Boden.<br />
Accessio cedit principali. Die Nebensache weicht der Hauptsache.<br />
3. Das gilt für den Bau mit fremdem Baumaterial auf dem eigenen Grundstück, Inst. Iust. 2, 1, 29.<br />
559<br />
560<br />
Hausmaninger, Casebook Sachenrecht, Cases 105 ff.<br />
Der Pächter oder Mieter hat ausnahmsweise ein Wegnahmerecht, ius tollendi, durch<strong>zu</strong>setzen mittels Mieterklage,<br />
a. conducti, D. 19, 2, 19, 4.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
204
4. Aber der bisherige Materialeigentümer, dem das Material abhanden 561<br />
gekommen war,<br />
hat gegen den Grundstückseigentümer die Klage wegen des eingebauten Balkens,<br />
actio de tigno iuncto,<br />
auch wenn es sich nicht um "Balken", sondern um sonstiges Material handelt,<br />
auf den doppelten Wert des abhanden gekommenen Materials,<br />
so schon die XII-Tafeln.<br />
5. Ebensowenig Eigentumsrecht und Herausgabeanspruch des bisherigen Materialeigentümers<br />
bei Bau mit eigenem Material auf fremdem Grundstück,<br />
insbesondere nach gutgläubigem Erwerb, vor Vollendung der Grundstücksersit<strong>zu</strong>ng.<br />
D. h. der wirkliche Grundstückseigentümer kann Grundstück mit Gebäude<br />
von dem bisherigen Besitzer herausverlangen, Inst. 2, 1, 30.<br />
6. Aber der bisherige Eigentümer der eingebauten Sache oder der Pflanzen<br />
hat Zurückbehaltungsrecht, <strong>zu</strong>mindest exceptio doli, Inst. 2, 1, 30,<br />
wenn Grundstückseigentümer Grundstück herausverlangt,<br />
so dass dieser Wert des Einbaus oder der Pflanzen erstatten muß.<br />
7. Sobald jedoch das Gebäude <strong>zu</strong>sammengefallen ist,<br />
etwa nach Abbruch oder Erdbeben,<br />
lebt das Eigentum des ursprünglichen Eigentümers an den verbauten Sachen wieder auf,<br />
oder: fällt das Eigentum an den verbauten Sachen an den ursprünglichen Eigentümer wieder <strong>zu</strong>rück;<br />
jedenfalls „wenn jemand auf eigenem Grundstück mit fremdem Material gebaut hat“, Inst. 2, 1, 29.<br />
8. Ebenso Eigentumswechsel bei fremder Saat und fremden Pflanzen, Inst. 2, 1, 31 + 32.<br />
9. Kein eigentlicher Bereicherungsanspruch des bisherigen Eigentümers der beweglichen Sache,<br />
1. abgesehen von der actio de tigno iuncto<br />
2. und abgesehen von mittelbarem Zwang mittels Zurückbehaltungsrechts kraft exc. doli,<br />
3. außerdem in gewissen Fällen rei vindicatio utilis.<br />
KAPITEL 20. FRÜCHTE = FRUCTUS 562<br />
1. Früchte, z. B. Feld- und Baumfrüchte, Holz, Tierjunge. Mineralien (kontrovers).<br />
2. Keine Früchte sind die Kinder einer Sklavin 563<br />
;<br />
denn Sklavinnen würden eigentlich nicht <strong>zu</strong> dem Zweck angeschafft, dass sie gebären sollen;<br />
die Natur habe doch alle Sachfrüchte um des Menschen willen geschaffen.<br />
Doch gehört das Sklavenkind dem Eigentümer der Sklavin-Mutter.<br />
3. Vor der Trennung sind Früchte unselbständige Teile der Muttersache,<br />
stehen also im Eigentum des Eigentümers der Muttersache.<br />
561<br />
562<br />
563<br />
Es war wohl nicht notwendig so, dass das Material wirklich gestohlen worden war.<br />
K I § 93 IV, S. 384 und § 102 II, S. 427.<br />
K I 284: Ulp. D. 5, 3, 27 pr.; D. 7, 1, 68 pr.; Gai. D. 22, 1, 28, 1 = I. 2, 1, 37. Einzelheiten K, SZ 75 (1958)<br />
156 ff.<br />
30. September 2011<br />
205
4. Natürliche Früchte fallen<br />
1. mit der Trennung<br />
1. an den Eigentümer der Muttersache, sogen. Substantialprinzip,<br />
2. bei gutem Glauben eines Nichteigentümers fallen sie an diesen, an den bonae fidei possessor 564<br />
(vgl. §§ 953, 955 BGB),<br />
2. erst mit dem Ergreifen<br />
an den Nießbraucher (usufructuar) oder den Pächter (conductor)<br />
(in der Zeit zwischen Trennung und Ergreifen also zwischenzeitlich an den Eigentümer).<br />
5. Fruchtziehung Inst. 2, 1, 35 – 37<br />
KAPITEL 21. SCHATZ = THESAURUS<br />
Schatzfund Inst. 2, 1, 39.<br />
Schatz, thesaurus 565<br />
, eine Wertsache, die solange verborgen geblieben ist,<br />
dass ihr Eigentümer nicht mehr fest<strong>zu</strong>stellen ist.<br />
Res nullius, daher ist occupatio durch Besitzergreifung<br />
zwecks Eigentumserwerbs möglich und nötig 566<br />
.<br />
Aber Kaiser Hadrian sprach Hälfte des Schatzes dem Grundstückseigentümer <strong>zu</strong><br />
und die Hälfte dem Entdecker 567<br />
(vgl. § 984 BGB).<br />
Wichtiger Unterschied, sowohl nach römischem Recht wie nach BGB,<br />
zwischen Schatz und verlorener Sache.<br />
An verlorener Sache kein Eigentumsverlust (nur Besitzverlust) des Verlierers,<br />
kein Eigentumserwerb des Finders, kein Ersit<strong>zu</strong>ngserwerb (oder gutgläubiger Erwerb) eines <strong>Dr</strong>itten.<br />
KAPITEL 22. ANEIGNUNG = OCCUPATIO UND EIGENTUMSAUFGABE = DERELIC-<br />
TIO<br />
1. Occupatio ist sowohl die bloße Besitzergreifung einer Sache<br />
als auch der Eigentumserwerb einer herrenlosen Sache durch die Besitzergreifung (ebenso § 958 BGB).<br />
2. Gai. D. 41, 1, 3 pr. Die niemandem gehörende Sache gehört dem ersten Ergreifenden.<br />
Res nullius cedit primo occupanti.<br />
3. Aneignung, occupatio,<br />
1. vor allem an wilden, herrenlosen Tieren (vgl. § 960 BGB),<br />
auch an der Perle am Meeresstrand.<br />
564<br />
565<br />
566<br />
567<br />
2. Sodann an derelinquierten Sachen:<br />
Selbst wenn Hauptsache wegen Diebstahls unersitzbar.<br />
Exegesen-Fälle WS 2001: D. 41, 2, 44 pr. und D. 41, 2, 3, 3 (Case 100) <strong>zu</strong>m Besitz am Schatz.<br />
Definition Paul. D. 41, 1, 31, 1.<br />
K I S. 426 f.: Ursprünglich fiel wohl aller Bodeninhalt an den Grundeigentümer.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
206
Wenn der wirkliche Eigentümer absichtlich Besitz und Eigentum aufgegeben hat,<br />
sogen. „Dereliktion“,<br />
dann wird das betroffene Grundstück oder die betroffene bewegliche Sache herrenlos, res derelicta,<br />
jedoch Schulenstreit (s. o.).<br />
Dann neuer Eigentumserwerb eines Okkupanten, Inst. 2, 1, 47 568<br />
.<br />
3. Ein Anwendungsfall der occupatio ist auch die Ergreifung feindlicher Personen und ihrer Sachen<br />
in einem als rechtmäßig anerkannten Krieg.<br />
KAPITEL 23. EIGENTUM AN GELD 569<br />
1. Geldstücke standen (wie heute) im Privateigentum.<br />
2. Eigentümer (A) kann<br />
1. seine Geldstücke vindizieren,<br />
wenn ein anderer (B) an seinen Geldstücken Besitz, aber nicht Eigentum erlangt hat 570<br />
,<br />
- z. B. wenn Mündel ohne Zustimmung des Tutors Geld ausgibt 571<br />
- oder wenn Sklave ohne Erlaubnis des Gewalthabers gezahlt hat 572<br />
- oder wenn Haussohn entgegen dem Sc. Macedonianum gezahlt hat 573<br />
- oder wenn Beauftragter für sich selbst Geld des Auftraggebers ausgibt<br />
- oder wenn Besitzer fremdes Geld bösgläubig verbraucht,<br />
dann wird Empfänger nicht Eigentümer, sondern haftet auf Herausgabe mittels rei vindicatio.<br />
2. Eigentümer (A) hat die condictio indebiti 574<br />
gegen den bisherigen Besitzer (B),<br />
wenn dieser das Geld verbraucht hat 575<br />
, oder condictio furtiva 576<br />
gegen Dieb.<br />
3. Geld (res nec mancipi) wird rechtsgeschäftlich mittels traditio übereignet.<br />
568<br />
Traditio nummorum ohne causa bewirkt anscheinend trotzdem Eigentumserwerb,<br />
wenn zwecks Erfüllung, causa solvendi, selbst wenn Obligation nicht bestand 577<br />
z. B. wegen Nichtigkeit des Kaufvertrages 578<br />
.<br />
Eigentumserwerb an res mancipi erst durch usucapio (aber ohne Erfordernis einer bona fides), hinsichtlich derelinquierter<br />
res nec mancipi sind heute Einzelheiten des Erwerbes unklar. Einzelheiten bei K-K § 26/2.<br />
569<br />
570<br />
571<br />
572<br />
573<br />
574<br />
Kaser, Das Geld im römischen Sachenrecht, Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 29 (1961), S. 169 ff.<br />
D. 12, 1, 31, 1.<br />
Inst. 2, 8, 2. Gai. Inst. 2, 82.<br />
D. 12, 1, 11, 2; D. 15, 1, 37, 1; D. 23, 3, 67; D. 26, 8, 9, 2.<br />
D. 12, 1, 14 Satz 1; D.12, 6, 26, 9; 14, 6, 9, 1 [Schluss verändert ?].<br />
K I 531 / 16: D. 12, 1, 11, 2 a. E.; Afr. D. 19, 1, 30 pr. S. auch D. 12, 1, 12 (Geisteskranke, nicht ganz<br />
klar); D. 12, 1, 13 pr. (aber unklar); D. 12, 1, 14 (als Regel); 14, 6, 9, 1 [a. E. bezüglich Verbrauchs?]; D. 46,<br />
1, 56, 2 (WS03).<br />
575<br />
M. E. Condictio des Mündels gegen denjenigen, an den Mündel ohne auctoritas tutoris gezahlt hat, wenn Zahlungsempfänger<br />
Geld weitergegeben hat. Inst. 2, 8, 2. D. 12, 1, 19, 1.<br />
576<br />
577<br />
578<br />
Pap. D. 46, 3, 94, 2 a. E.<br />
K, TR 29, 216 ff.<br />
Vielleicht auch bei Zahlung durch Pupillus aber ohne auctoritas tutoris.<br />
30. September 2011<br />
207
4. Unter den üblichen Vorausset<strong>zu</strong>ngen Ersit<strong>zu</strong>ng, usucapio, der Geldstücke 579<br />
.<br />
5. Wurde fremdes Geld ununterscheidbar mit eigenem vermischt, commixtio,<br />
so wurde der Besitzer des Geldes Eigentümer des gesamten Betrages 580<br />
.<br />
6. Sonderregel für gutgläubigen Verbrauch fremden Geldes 581<br />
.<br />
1. Zwar kann man (z. B. der B) grundsätzlich nicht mit fremdem Geld (z. B. des A)<br />
gegenüber einem <strong>Dr</strong>itten (z. B. dem C)<br />
- eine Schuld erfüllen 582<br />
oder<br />
- ein Darlehen gewähren<br />
(es sei denn mit Zustimmung des wirklichen Eigentümers).<br />
579<br />
580<br />
581<br />
2. Aber wenn der weitere Empfänger des Geldes (z. B. der C)<br />
dieses gutgläubig 583<br />
verbraucht 584<br />
,<br />
indem er das Geld an einen Vierten zahlt (z. B. an den D),<br />
macht er den Vierten <strong>zu</strong>m Eigentümer 585<br />
.<br />
Damit gelangt das Eigentum des Geldes an den neuen Geldempfänger (D)<br />
und der Wert des Geldes gelangt mittelbar an den vorherigen Empfänger des Geldes (C).<br />
Wahrscheinlich ist dabei<br />
außer dem guten Glauben des Verfügenden (C)<br />
weiter voraus<strong>zu</strong>setzen, dass bei dem Vierten das Geld<br />
nicht mehr individualisierbar ist.<br />
Denn individualisierbares Geld kann der Eigentümer (A) vindizieren,<br />
es bleibt also nicht endgültig bei dem Empfänger,<br />
dieser ist also weder Eigentümer geworden noch hat er eine endgültige Bereicherung erlangt.<br />
Auf diese Weise ist also durch seinen gutgläubigen Verbrauch<br />
der C gewissermaßen bereichert.<br />
In diesem Sinne sprechen die Quellen von einer Verbrauch der Geldstücke,<br />
consumptio nummorum.<br />
3. Diese Bereicherung soll aber dem Empfänger C nicht sine causa verbleiben.<br />
D. 23, 3, 67.<br />
D. 46, 3, 78.<br />
Kaser, Geld, TR 29 (1961), S. 169 ff. Offengelassen bei Kunkel-Mayer-Maly § 63, S. 169 f./66. S. auch D.<br />
46, 3, 14, 8 und 46, 3, 17 a. E.<br />
582<br />
583<br />
Pap. D. 46, 3, 94 pr.; s.auch Pomp.-Cass. D. 46, 3,17 am Anfang.<br />
K I 431 / 52; 531 / 16: Afr. D. 19, 1, 30 pr.; Gai. D. 26, 8, 9, 2; Cass.-Pomp. D. 46, 3, 17. S. auch D. 12, 1,<br />
11, 2; D. 12, 1, 13 pr.<br />
584<br />
585<br />
Nicht bei bösem Glauben, vgl. D. 12, 1, 11, 2 letzter Satz.<br />
K I 431 / 52; 531 / 16: ll.cc. Pomp. D. 12, 1, 12; Pap. D. 23, 3, 81; Gai. D. 26, 8, 9, 2; Ulp. D. 46, 3, 14, 8;<br />
Cass.-Pomp. D. 46, 3, 17 etc. S. auch D. 12, 1, 14 S. 2; D. 23, 3, 67.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
208
586<br />
587<br />
588<br />
589<br />
590<br />
4. Sondern C muss sich diese Bereicherung gegenüber dem Leistenden B anrechnen lassen,<br />
z. B. je nach den Schuldbeziehungen zwischen B und C.<br />
- als Schulderfüllung 586<br />
, Leistung solvendi causa, von B an C 587<br />
,<br />
- Zahlung des Kaufpreises durch Käufer B, sobald Verkäufer C redlich verbraucht hat 588<br />
,<br />
- Zahlung als Dos vom Vater der Ehefrau an Ehemann 589<br />
,<br />
- oder als Darlehensgewährung des B an C 590<br />
,<br />
sogen. condictio de bene depensis 591<br />
.<br />
Man kann dann von einer „nachträglichen Vollendung<br />
einer <strong>zu</strong>nächst unvollkommenen datio“ sprechen (Knütel).<br />
Aber die Quellen ergeben nicht mit Sicherheit,<br />
ob nicht statt Darlehens Bereicherungshaftung des Empfängers C,<br />
denn die in den Quellen genannte „condictio“ ist dieselbe Rückzahlungsklage<br />
wegen Darlehens als auch wegen ungerechtfertigter Bereicherung.<br />
Vorsicht: es wäre jedenfalls falsch, dem verfügenden C oder gar dem B<br />
irgendwie nachträglich Eigentum an den Münzen <strong>zu</strong><strong>zu</strong>sprechen,<br />
die ursprünglich dem Eigentümer A gehörten und nun dem Empfänger D gehören.<br />
Richtig ist nur die Ansicht, dass der Empfang des Wertes des Geldes<br />
nun dem C <strong>zu</strong>gerechnet wird.<br />
5. Unklarheiten 592<br />
oder Kontroversen oder Interpolationen 593<br />
in den Quellen<br />
- bei Diebstahl 594<br />
, furtum 595<br />
, oder Bösgläubigkeit,<br />
- bei Darlehensgewährung und Geisteskrankheit auf Gläubigerseite 596<br />
- Darlehensgewährung oder Erfüllung durch pupillus sine tutoris auctoritate 597<br />
.<br />
Iul. D. 12, 1, 19, 1 a. E. Pomp. D. 46, 3, 17; Pap. D. 46, 3, 94, 2.<br />
D. 12, 1, 19, 1; Pomp. D. 46, 3, 17 (WS03); 46, 3, 94, 2, Satz 1.<br />
Kompliziert: 12, 1, 31, 1.<br />
D. 23, 3, 81.<br />
D. 12, 1, 13, pr. und 1; D. 12, 1, 19, 1 a. E.; D. 46, 1, 56, 2. – Aber nicht immer sicher, ob Condictio wegen<br />
Darlehens oder wegen Diebstahls oder wegen Bereicherung. Auch nicht immer sicher, ob Condictio des Darlehensgebers<br />
oder des ursprünglichen Eigentümers der Geldmünzen.<br />
591<br />
592<br />
593<br />
594<br />
Wenig da<strong>zu</strong> bei K I 531 / 16.<br />
D.12, 6, 53; D. 46, 3, 19.<br />
Kaser <strong>zu</strong> Pap. D. 46, 3, 94, 2 Satz 2.<br />
Kaser 202 mit Haymann, JJ 77 (1927) 197, 221, für Wirksamkeit: Ulp. D. 12, 1, 13 pr. (vielleicht); 46, 3, 17.<br />
Aber gegen Wirksamkeit der Erfüllung, wenn der Dieb selbst (B) das gestohlene Geld an den „Verbraucher“<br />
(C) weitergegeben hatte, Pap. D. 46, 3, 94, 2 Satz 2: Sonderfall (vielleicht weil eigener Diebstahl des zahlenden<br />
B) oder Kontroverse oder Itp.?<br />
595<br />
Ulp. D. 12, 1, 13 pass. (bejahend); Pomp.-Paul. D.46, 1, 56, 2 (Eigentümer – Tu – Darlehensnehmer – <strong>Dr</strong>itter).<br />
596<br />
Pomp. D. 12, 1, 12; D. 44, 7, 24, 2.<br />
30. September 2011<br />
209
6. Außerdem Ansprüche des Eigentümers A gegen den Verfügenden, B,<br />
je nach Innenverhältnis und Sachverhalt.<br />
aber anscheinend kein Anspruch des Eigentümers A gegen den Empfänger C.<br />
7. Wissentliche Annahme fremden Geldes und sogar wissentliche Annahme einer Nichtschuld<br />
bedeuten furtum des Annehmenden mit Haftung aus condictio furtiva 598<br />
.<br />
8. Klare Ausführungen hier<strong>zu</strong>: Kaser/Knütel § 39 Rdnr. 4; § 48 Rdnr. 6.<br />
KAPITEL 24. EIGENTUMSSCHUTZ ALLGEMEIN<br />
1. Vier Klagen sind hier von Bedeutung<br />
1. Am wichtigsten die eigentliche Eigentumsherausgabeklage, rei vindicatio<br />
(daher der heutige Ausdruck der Vindikationslage),<br />
2. für den Ersit<strong>zu</strong>ngsbesitzer die actio Publiciana,<br />
3. die Abwehrklage gegen Störungen, actio negatoria,<br />
4. <strong>zu</strong>r Vorbereitung eines dinglichen Prozesses die actio ad exhibendum.<br />
Hin<strong>zu</strong> kommen obligatorische Ansprüche, insbesondere<br />
lex Aquilia (Schadenersatz wegen Sachbeschädigung und<br />
a. furti sowie condictio furtiva wegen Diebstahls (furtum).<br />
2. Gelegentlich sagen die Quellen „dingliche Klage, actio in rem“ und meinen damit<br />
rei vindicatio oder actio Publiciana.<br />
“Herausverlangen, petere” meint meistens: die Herausgabeklage anstrengen.<br />
3. Rechtsmaxime für das römische Vindikationsprinzip:<br />
Ubi rem meam invenio, ibi vindico. - Wo ich meine Sache finde, da verlange ich sie heraus 599<br />
.<br />
KAPITEL 25. EIGENTUMSHERAUSGABEKLAGE = REI VINDICATIO<br />
1. Inst. 4, 6, 1 am Ende: Rei vindicatio<br />
(dieser Ausdruck ist richtig. Falsch ist es, hier<strong>zu</strong> noch actio hin<strong>zu</strong><strong>zu</strong>fügen).<br />
Die Formel der rei vindicatio schon oben bei Gai. 2, 24,<br />
wenn auch im Zusammenhang mit einem Akt der (heute sogenannten) freiwilligen Gerichtsbarkeit.<br />
2. Aktivlegitimation: Klage des zivilen Eigentümers einer res.<br />
3. Passivlegitimation:<br />
ursprünglich nur gegen den possessor civilis,<br />
597<br />
dann auch gegen Interdiktenbesitzer, später auch gegen Detentor 600<br />
.<br />
Iul. D. 12, 1, 19, 1. Gai. D. 26, 8, 9, 2 (Mündel zahlt mit eigenem Geld, ohne auctoritas tutoris, eigene Schulden,<br />
dann verbraucht Empfänger das Geld; dadurch sei Mündel frei geworden.).<br />
598<br />
599<br />
D. 13, 1, 18; 47, 2,43 pr. und 1 (s. auch D. 12, 6, 55, und D. 46, 3, 94, 2 Satz 2).<br />
Liebs U 18. Anders germanisch-deutsches Recht: „Wo du deinen Glauben gelassen hast, da sollst du ihn suchen“.<br />
– „Hand wahre Hand“.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
210
4. Wenn der Beklagte verurteilt wird,<br />
dann hat er nicht Sache heraus<strong>zu</strong>geben,<br />
denn es erfolgt stets Verurteilung in Geld, omnis condemnatio pecuniaria.<br />
Sondern <strong>zu</strong>vor wurde Wert der Sache geschätzt<br />
und Beklagter muss Schätzwert bezahlen,<br />
darf dann aber Sache behalten, als hätte er Sache vom Eigentümer gekauft 601<br />
.<br />
5. Auf Grund rei vind. muss dem Eigentümer das restituere gewährt werden. Er muss so gestellt werden, wie<br />
er stünde, wenn ihm seine Sache bei Klagbeginn herausgegeben worden wäre. Das gilt insbesondere für<br />
Früchte und sonstige Nut<strong>zu</strong>ngen.<br />
Wegen Haftung des beklagten Besitzers für Schäden der Sache nach dem Beginn der Klage (litis contestatio)<br />
klassische Kontroversen. Wahrscheinlich Schulenstreit: Proculianer für Zufallshaftung, Sabinianer nur<br />
für Haftung bei dolus oder wohl auch bei culpa (wegen Schäden vor Klagbeginn im Wesentlichen nur lex<br />
Aquilia) 602<br />
.<br />
6. Für den Fall des bonitarischen Erwerbs,<br />
d. h. wenn Eigentümer seine res mancipi an Käufer nur tradiert hatte:<br />
Zwar rei vindicatio des Eigentümers gegen Käufer nach ius civile,<br />
aber beklagter Käufer hat die Einrede der verkauften und übergebenen Sache,<br />
exceptio rei venditae et traditae, oder exceptio doli, gegen klagenden Eigentümer.<br />
KAPITEL 26. ACTIO PUBLICIANA<br />
1. Inst. 4, 6, 4. Besonderheit des römischen Rechts:<br />
Klage des Ersit<strong>zu</strong>ngsbesitzers, dessen Ersit<strong>zu</strong>ngszeit noch nicht abgelaufen war,<br />
gegen neuen Besitzer analog <strong>zu</strong>r rei vindicatio: actio Publiciana 603<br />
.<br />
Es wurde fingiert, dass der Käufer bereits Eigentum durch Ersit<strong>zu</strong>ng erlangt hätte.<br />
2. Doppelter Anwendungsbereich:<br />
1. <strong>zu</strong>m Schutz des bonitarischen Eigentümers,<br />
der nämlich res mancipi mittels traditio vom zivilen Eigentümer erworben hatte, und<br />
2. <strong>zu</strong>m Schutz des gutgläubigen Ersit<strong>zu</strong>ngsbesitzers,<br />
der res mancipi oder res nec mancipi vom Nichteigentümer erworben hatte.<br />
3. Wichtiges Beispiel für Fiktion:<br />
In der Klagformel wird fingiert, der Kläger habe die umstrittene Sache bereits ersessen.<br />
4. Wenn der zivile Eigentümre eine res mancipi verkauft,<br />
aber an den Käufer nicht manzipiert, sondern nur tradiert hatte,<br />
und wenn der Käufer den Besitz an dieser Sache wieder verloren hatte,<br />
dann hatte der Käufer gegen den neuen Besitzer nicht die rei vindicatio,<br />
weil der Käufer noch nicht zivile Eigentümer geworden war.<br />
600<br />
601<br />
602<br />
603<br />
K I S. 386.<br />
K I S. 437.<br />
K I § 103 I 5, S. 436.<br />
S. im Kapitel <strong>zu</strong>r Ersit<strong>zu</strong>ng.<br />
30. September 2011<br />
211
Es wurde fingiert, dass der Käufer bereits Eigentum durch Ersit<strong>zu</strong>ng erlangt hätte.<br />
5. Vorausset<strong>zu</strong>ngen<br />
Da die a. Publiciana die Vollendung der Ersit<strong>zu</strong>ng bei dem Kläger fingiert,<br />
muss der Kläger die Ersit<strong>zu</strong>ngsvorausset<strong>zu</strong>ngen dartun, nämlich von den 5 Vorausset<strong>zu</strong>ngen:<br />
1. Ersit<strong>zu</strong>ngsfähige Sache - res habilis,<br />
2. ursprünglichen, dann verlorenen Eigenbesitz - possessio civilis,<br />
4. Erwerbsgrund - iusta causa, titulus,<br />
5. Guter Glaube - bona fides, <strong>zu</strong>r Zeit des Erwerbes.<br />
Befreit ist der Kläger nur von der 3. Vorausset<strong>zu</strong>ng der Ersit<strong>zu</strong>ng,<br />
nämlich der Vollendung der Ersit<strong>zu</strong>ngszeit, diese wird ja gerade fingiert.<br />
6. Mit der actio Publiciana konnte jemand sogar gegen zivilen Eigentümer klagen.<br />
Gegen die a. Publiciana hatte der zivile Eigentümer aber die Einrede des richtigen Eigentums,<br />
exceptio iusti dominii.<br />
Wenn aber dieser zivile Eigentümer dem Kläge diese Sache verkauft<br />
und, obwohl eine res mancipi, nur tradiert hatte,<br />
dann hatte der Kläger die Gegeneinrede der verkauften und tradierten Sache,<br />
replicatio rei venditae et traditae,<br />
und der Käufer obsiegte sogar gegenüber dem zivilen Eigentümer.<br />
7. Formel (nach Knütel): “Wenn (z. B.) der Sklave, den der Kl. redlich gekauft hat und der ihm übergeben<br />
worden ist, sofern ihn der Kl. ein Jahr besessen hätte, wenn dann dieser Sklave, um den es hier geht, ihm<br />
nach dem Recht der Quiriten gehören würde und diese Sache nicht (gemäß deiner Ermessensentscheidung<br />
= arbitrio tuo?) herausgegeben wird, verurteile Richter…”<br />
8. Aber nachdem die Kompilatoren aus den Digesten die mancipatio weitgehend getilgt hatten,<br />
kommt für die Digesten Justinians fast nur noch die 2. Alternative in Betracht,<br />
Schutz des gutgläubigen Ersit<strong>zu</strong>ngsbesitzers.<br />
KAPITEL 27. STÖRUNGSBESEITIGUNGSKLAGE = ACTIO NEGATORIA<br />
Eigentümer gegen Störer 604<br />
.<br />
Vorausset<strong>zu</strong>ngen (nicht lernen, sind selbstverständlich)<br />
- Eigentum des Kl<br />
- Immission und zwar übermäßige durch Bekl<br />
- kein ImmissionsR des Bekl<br />
- aber (ausreichend: konkludente) Behauptung des Bekl, er sei berechtigt (so in Rom),<br />
Klagziel: Abwehr der Anmaßung des Beklagten, er habe eine Servitut o. ä. 605<br />
, im einzelnen:<br />
- Feststellung der Freiheit des Eigentums von der behaupteten Beschränkung und<br />
- Herstellung des störungsfreien Zustandes,<br />
- evtl. Kautionsleistung gegen künftige Störung (cautio de amplius non turbando).<br />
604<br />
605<br />
K I § 103 II, S. 437.<br />
K I § 103 II, S. 437.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
212
Anders: Interdikt für Besitzer gegen Störer.<br />
Inst. 4, 6, 2 (vgl. heute § 1004).<br />
KAPITEL 28. ACTIO AD EXHIBENDUM<br />
Seltener<br />
Keine dingliche Klage, keine a. in rem, sondern a. in personam.<br />
Klage des angeblichen Eigentümers gegen den angeblichen Besitzer<br />
auf Vorlage der Sache bei Gericht, in iure.<br />
a) Wenn Beklagter sich weigert, Verurteilung in Wert.<br />
b) Dient der Vorbereitung einer dinglichen Klage:<br />
mb Zwang, damit sich Bekl auf Prozess,<br />
auf litis contestatio wegen r. v., einlässt.<br />
Wenn Beklagter sich weigert, dann Ermächtigung des Praetors an Kläger in iure,<br />
Sache an sich <strong>zu</strong> nehmen, duci vel ferri iubere.<br />
KAPITEL 29. SCHADENERSATZ WEGEN ZERSTÖRUNG ODER BESCHÄDIGUNG<br />
1. Durch die (schuldrechtliche) lex Aquilia.<br />
2. Durch (dingliche) rei vindicatio aber klassische Kontroversen 606<br />
.<br />
KAPITEL 30. PRIVATES NACHBARRECHT 607<br />
Privates Nachbarrecht 608<br />
schon in XII-Tafeln und dann erweitert, z. B.<br />
- Überhang von Zweigen darf gestörter Nachbar auslichten,<br />
später geschützt durch spezielle Interdikte de arboribus caedendis,<br />
aber wenn Nachbar <strong>zu</strong>viel Baum abschneidet, hat Eigentümer gegen ihn<br />
a. arborum furtim caesarum,<br />
- Überfall: Früchte von seinen eigenen Bäumen darf Eigentümer vom Nachbargrundstück abholen,<br />
später geschützt durch spezielles Interdikt de glande (Eichel) legenda,<br />
- bei Störung durch Regenwasser Anspruch auf Beseitigung und Wiedergutmachung,<br />
a. aquae pluviae arcandae,<br />
b. später auch interd. uti possidetis und<br />
c. a. negatoria,<br />
- gegen drohenden Einsturz des Nachbargebäudes: a. damni infecti,<br />
später gibt Praetor dem Nachbarn auf, Sicherheit gg künftige Schäden <strong>zu</strong> leisten,<br />
cautio damni infecti,<br />
- gegen unerlaubtes Bauvorhaben<br />
Bauverbot mittels operis novi nuntiatio.<br />
606<br />
607<br />
608<br />
K I § 103 I 5, S. 436.<br />
Nur <strong>zu</strong>r Information, nicht Klausurmaterie.<br />
K I § 31 V S. 125 f. und 98 III S. 406 f.<br />
30. September 2011<br />
213
KAPITEL 31. HEUTE SOGENANNTE DINGLICHE NUTZUNGSRECHTE 609<br />
Grunddienstbarkeit = Servitus 610<br />
Recht am Grundstück = Ius praediorum<br />
Der jeweilige Eigentümer des 'herrschenden' Grundtücks<br />
erhält ein Recht am 'dienenden' Grundstück,<br />
auf Grund dessen der jeweilige Eigentümer dieses dienenden Grundstücks<br />
eine bestimmte Einwirkung des Berechtigten dulden muss oder<br />
eine bestimmte eigene Einwirkung unterlassen muss 611<br />
.<br />
Aber eine Servitut kann nicht in einer Tätigkeit des dienenden Grundstücks bestehen,<br />
servitus in faciendo consistere nequit.<br />
Keine Servitut am eigenen Grundstück: nulli res sua servit.<br />
Bestellung<br />
1. Felddienstbarkeiten (iter, actus, via, aquae ductus etc.) durch mancipatio oder i. i. c.<br />
2. Gebäudeservituten durch i. i. c.<br />
3. Aber auch durch Vorbehalt bei Veräußerung, Vindikationslegat etc.<br />
Schutz der Servituten<br />
vindicatio servitutis = a. confessoria<br />
des Berechtigten gegen Eigentümer des dienenden Grundstücks,<br />
gerichtet auf<br />
- Feststellung der Servitut und<br />
- Herstellung des servitut-gemäßen Zustandes.<br />
Da<strong>zu</strong> gewisse Interdikte.<br />
Umgekehrt a. negatoria des quiritischen Eigentümers <strong>zu</strong>r Abwehr der Anmaßung des Beklagten,<br />
er habe eine Servitut o. ä. 612<br />
Daneben stehen höchstpersönliche Nut<strong>zu</strong>ngsrechte, insbesondere ususfructus<br />
(auch an Vermögen und beweglichen Sachen und Geld und Rechten), usus (d. h. ohne Fruchtziehung)<br />
da<strong>zu</strong> auch habitatio.<br />
Pfandrecht, pignus = hypotheca.<br />
KAPITEL 32. PFANDRECHT 613<br />
(Nicht Hauptgegenstand einer Prüfungsexegese)<br />
Das Pfandrecht ist eine dingliche Belastung einer Sache, Recht an einer Sache, ius in rem, Plural: iura in rem.<br />
Das Pfandrecht ist auch in Rom ein wichtiges Kreditsicherungsmittel. Es wurde durch Vertrag des Eigentümers der <strong>zu</strong> verpfändenden Sache<br />
mit dem Gläubiger der <strong>zu</strong> sichernden Forderung begründet. Erforderlich war damals wie heute die Existenz einer Forderung, das Pfandrecht<br />
ist ein akzessorisches Sicherungsrecht. Übergabe der Pfandsache an den Gläubiger (Faustpfand) war nicht erforderlich, das besitzlose Pfand,<br />
häufig hypotheca genannt, war voll anerkannt. Es bestand kein Unterschied zwischen dem Pfand an einer beweglichen Sache und an einem<br />
Grundstück.<br />
609<br />
610<br />
611<br />
612<br />
613<br />
Eigentlich nicht Klausurmaterie.<br />
K I §§ 105 ff.<br />
S. bei Eigentumsschutz.<br />
K I § 103 II, S. 437.<br />
Eigentlich nicht Klausurmaterie.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
214
Die Verpfändung hindert nicht eine wirksame Veräußerung der Sache, das Pfandrecht bleibt an der Sache bestehen, der Sacherwerber kann<br />
gegen den Veräußerer einen Anspruch wegen Rechtsmangels haben.<br />
Das Interzessionsverbot für Frauen durch das Sc. Vellaeanum fand auf das Pfandrecht Anwendung.<br />
In älteren Zeiten gab es auch das Treuhandgeschäft mit dem Gläubiger, die fiducia cum creditore, eine Art Sicherungsübereignung.<br />
Rechtsregel: Hypotheca est obligationis filia. Die Hypothek ist von der gesicherten Schuld abhängig (genauso heute!).<br />
KAPITEL 33. WEITERE ENTWICKLUNG DES SACHENRECHTS<br />
D. h. das moderne deutsche Sachenrecht ist nicht <strong>zu</strong> hundert Prozent römischer Herkunft.<br />
1. Spezialitätsprinzip (im Wesentlichen Rom und BGB).<br />
2. Publizitätsprinzip, Öffentlichkeitsgrundsatz (BGB):<br />
Verfügungen über dingliche Rechte sind nur wirksam, wenn sie offenkundig sind; §§ 873, 929 ff.<br />
Historische Wurzeln des Publizitätsprinzips sind die Eigentumsübertragungen<br />
1. sowohl im römischen Recht,<br />
2. als auch die Gewere im alten deutschen Recht,<br />
3. dem folgte das Mittelalter mit dem Erfordernis<br />
der Art und Weise der Übertragung, d. h. modus,<br />
4. ebenso das preußische ALR von 1794 sowie das österreichische ABGB von 1811.<br />
Erklärung des Redaktors des Sachenrechts des BGB, Johow: „die Rücksicht auf das Interesse der bei dem Geschäfte beteiligten<br />
sowohl wie auf das Interesse dritter Personen.<br />
Den Beteiligten soll die Anwendung der Form <strong>zu</strong>m klaren Bewußtsein bringen, dass nunmehr das Stadium der Vorbereitung<br />
der besprochenen Rechtsveränderung vorüber ist, die Sache endgültig aus dem Vermögen des einen Teils heraus- und in das<br />
des anderen übergeht; dritten Personen soll die angewendete Form die Möglichkeit gewähren, das durch das Rechtsgeschäft<br />
begründete Rechtsverhältnis <strong>zu</strong> erkennen...<br />
...In Deutschland ist dagegen, abgesehen von den Gebietsteilen französischen Rechts, der Satz, dass <strong>zu</strong> den Erfordernissen der<br />
vertragsmäßigen Eigentumserwerbung die Übergabe gehört, für bewegliche Sachen durchweg bestehendes Recht. Die ältere,<br />
in dem Institute der Gewere verkörperte deutsche Rechtsanschauung stand hierin mit dem römischen Rechte, von welchem seit<br />
der Rezeption die Lehre der Eigentumserwerbung im wesentlichen beherrscht wird, im Einklange. Das Rechtsbewußtsein ist in<br />
Deutschland von diesem Grundsatze so durchdrungen, dass alle neueren und neuesten landesgesetzlichen Kodifikationen, mit<br />
Einschluß der Gesetzbuchentwürfe, sich <strong>zu</strong> demselben einmütig bekennen“.<br />
3. Typenzwang, Typenfixierung, numerus clausus der Sachenrechte (Rom und BGB)<br />
1. Typenzwang. Die Arten der im (objektiven) Sachenrecht möglichen Berechtigungen<br />
sind gesetzlich festgelegt.<br />
Damit ist die Zahl der Sachenrechte erschöpfend festgelegt, numerus clausus der Sachenrechte.<br />
2. Typenfixierung. Inhalt der möglichen Berechtigung weitgehend durch Gesetz festgelegt.<br />
4. Absolutheit der dinglichen Rechte (Rom und BGB).<br />
5. Trennungsprinzip (nicht so klar in Rom, aber BGB)<br />
6. Abstraktionsprinzip (nicht traditio, wohl aber mancipatio und in iure cessio; BGB)<br />
Rechtliche Wirksamkeit des dinglichen Rechtsgeschäfts ist unabhängig<br />
von der Wirksamkeit der <strong>zu</strong> Grunde liegenden Forderung.<br />
Deswegen heute keine Nennung der causa als Tatbestandsmerkmal für Verfügung, z. B. in §§ 873 und 929.<br />
1. Aber Mittelalter und Neuzeit verlangten<br />
im Anschluß an das Recht der römischen Traditio<br />
eine wirksame Causa, damals genannt Titulus, daher Maxime für Übereignung:<br />
Titulus (und Modus). So auch ALR und ABGB.<br />
2. Erfinder des Abstraktionsprinzips ist Savigny,<br />
ihm folgen die h. M. im 19. Jahrhundert und die BGB-Redaktoren.<br />
30. September 2011<br />
215
Daher Gesetzesvorschlag im Entwurf des Redaktors für das Sachenrecht, Johow: "Der Übergang des Eigentums wird ... nicht gehindert<br />
durch die Meinungsverschiedenheit der Beteiligten über den Grund der Übertragung, auch nicht durch die irrige Vorausset<strong>zu</strong>ng<br />
eines <strong>zu</strong>r Übertragung verpflichtenden Rechtsgeschäfts".<br />
Übereignung als Rechtsgeschäft: Begründung von Johow, Redaktor des Sachenrechtsentwurfs: "Dabei lassen sich in der Tradition<br />
zwei Bestandteile unterscheiden: der Inhalt und die Form. Der Inhalt ist, um mit Windscheid <strong>zu</strong> reden, ‘der auf das Geben und Nehmen<br />
des Rechts an der Sache gerichtet Wille’, die Form, in welcher dieser Wille seinen Ausdruck finden muß, das ‘Geben und Nehmen<br />
des Körpers der Sache’, die Übergabe. Beide Bestandteile in ihrer Vereinigung bilden die Eigentumserwerbungsart".<br />
Zur neueren Rechtsentwicklung: Hattenhauer, Grundbegriffe §§ 3 und 7.<br />
7. Akzessorietät des Pfandrechts und der Hypothek (Rom und BGB)<br />
8. Fortdauer beschränkter dinglicher Recht bei Eigentumswechsel (Rom und BGB).<br />
Rechtsmaxime: Res transit cum onere suo.<br />
Die Sache geht mit ihrer Belastung auf einen neuen Eigentümer über.<br />
9. Rangprinzip (Rom und BGB),<br />
ähnlich wie Prioritätsprinzip, Rechtsmaxime<br />
Prior tempore, potior iure. Früher in der Zeit, stärker im Recht<br />
(deutsch-rechtliche Formulierung: wer <strong>zu</strong>erst kommt, mahlt <strong>zu</strong>erst).<br />
10. Heute: Gutgläubiger Erwerb (aber nicht in Rom).<br />
11. In Rom kein prinzipieller, wohl aber mehrfach praktischer Unterschied<br />
zwischen beweglichen Sachen und Grundstücken.<br />
12. Heute: Unterordnung unter das Verfassungsrecht.<br />
1. Man überlege: was ist heute die Funktion des Erbrechts,<br />
welche kann seine Funktion in Rom gewesen sein?<br />
13. TEIL<br />
ERBRECHT<br />
KAPITEL 1. ERBRECHT, ÜBERBLICK<br />
2. Vielleicht gab es eine Entwicklung<br />
1. Entwicklungsstufe: Vermögensübergang auf eine bestimmte Personeneinheit,<br />
z. B. Familie oder Allgemeinheit, nach allgemeinen, nicht abänderbaren Regeln.<br />
2. Entwicklungsstufe: Vermögensübergang auf bestimmte Einzelpersonen,<br />
ebenfalls nach allgemeinen Regeln, nicht nach individuellem Willen des Verstorbenen.<br />
3. Entwicklungsstufe: Vermögensübergang auf bestimmte Einzelpersonen,<br />
aber nach Bestimmung des Erblassers,<br />
und dabei weitere Zwischenstufen.<br />
3. Zu weiteren Definitionen vgl. heute § 1922 BGB.<br />
4. Berufung <strong>zu</strong>r Erbschaft<br />
- mit Willen des Erblassers, auf Grund Testaments,<br />
- oder ohne Willen des Erblassers, gesetzliche oder prätorische Erbfolge,<br />
- oder gegen Willen des Erblassers, contra tabulas, in Rom sogenanntes Noterbrecht.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
216
5. Anerkannter Erwerbsgrund für eine Erbschaft, heute sogenannter Berufungsgrund,<br />
Inst. 2, 9, 6, ab den Worten ac prius.<br />
1. Welche sind also in Rom die Berufungsgründe,<br />
2. welchen dritten Berufungsgrund kennt daneben das BGB?<br />
6. Unterschied Erbschaft / Vermächtnis (wie heute)<br />
- Erwerb der gesamten Erbschaft oder eines Bruchteils, d. h. Universalsukzession,<br />
des Erben und bonorum possessor,<br />
- aber Erwerb nur eines bestimmten Gegenstandes, d. h. Singularsukzession, des Vermächtnisnehmers.<br />
7. Rechtsquellen<br />
1. Recht der Zwölf Tafeln, eigentliches Erbrecht, Erbrecht nach ius civile, hereditas<br />
2. Praetorische Regelungen, Erbschaftsbesitz, bonorum possessio (wörtl.: Besitz der Güter)<br />
3. Außerdem Gesetze, Senatusconsulte u. a.<br />
8. Erbfolge<br />
1. Testament<br />
2. Ohne Testament = intestatus (heute sogen. gesetzliche Erbfolge)<br />
1. XII-Tafeln<br />
1. Hauserben, sui heredes: Hauskinder und uxor in manu<br />
2. Danach der nächste Agnat 614<br />
, adgnatus proximus<br />
3. Danach die Mitglieder des Gentilenverbandes, gentiles<br />
2. Sonderregeln zahlreicher Senatusconsulta<br />
3. Praetorisches Erbrecht = ius honorarium = bonorum possessio intestati<br />
1. Blutsverwandte eheliche Abkömmlinge, unde liberi<br />
2. Danach die Berechtigten nach den XII-Tafeln, unde legitimi<br />
3. Danach die anderen Blutsverwandten, unde cognati<br />
4. Danach überlebender Ehemann oder überlebende Ehefrau, unde vir et uxor.<br />
(3. Kein Erbvertrag in Rom!).<br />
9. Wieso "der lachende Erbe"?<br />
Aus einem Bühnenstück: "Des Erben Weinen ist, unter der Maske, Lachen" 615<br />
.<br />
10. Gefährdetes Leben des Erblassers:<br />
Macedo ermordete seinen Vater, um mit der Erbschaft seine Gläubiger <strong>zu</strong> befriedigen; daher Sc. Macedonianum (s. o.).<br />
Ausdrücke<br />
bonorum possessio (wörtlich: Besitz an den Gütern des Erblassers)<br />
Erbschaft auf Grund des prätorischen Edikts<br />
bonorum possessor Berechtigter auf Grund des Edikts des Praetors<br />
heres Erbe 616<br />
nach ius civile (entsprechend XII-T, Scta, oder Kaiser-Konstitutionen)<br />
hereditas Erbschaft nach ius civile<br />
614<br />
615<br />
616<br />
Zur agnatischen Verwandtschaft s. o.<br />
Heredis fletus (flere - weinen) sub persona (Maske!) risus (ridere - lachen) est, Publilius Syrus, z. Zt Caesars.<br />
Ausgang für das deutsche Wort aus dem Germanischen und Keltischen: das einer Waise gehörende Vermögen.<br />
30. September 2011<br />
217
Zwangserben Inst. 2, 19 pr. + 1<br />
Haus- und Zwangserben Inst. 2, 19, 2<br />
Außenerben Inst. 2, 19, 3 + 5.<br />
KAPITEL 2. ARTEN DER ERBEN, INST. 2, 19 PASS.<br />
KAPITEL 3. ERBRECHT FÜR FRAUEN<br />
1. Als Erblasserin, testamenti factio activa<br />
1. Testament?<br />
1. Wenn uxor in manu oder in patria potestas<br />
kann sie keine Rechtsgeschäfte mit Wirkung für sich selbst abschließen<br />
und hat kein eigenes Vermögen, also auch nicht testierfähig.<br />
2. Wenn sie als frühere uxor in manu nach ihrem Ehemann stirbt oder wenn sie emanzipiert ist,<br />
kann sie nach klassischem Recht im allgemeinen testieren (im einzelnen <strong>zu</strong> differenzieren).<br />
2. Intestaterbrecht nach Frauen?<br />
1. Als frühere uxor in manu nach ihrem Ehemann oder wenn sie emanzipiert ist,<br />
beerbt von ihren Agnaten, insbes. eigene Kinder aus manus-Ehe.<br />
2. Bonorum possessio wie nach Männern 617<br />
.<br />
2. Als Erbin, testamenti factio passiva<br />
1. Kann durch Testament eingesetzt werden.<br />
2. Intestaterbrecht<br />
1. XII-Tafeln<br />
1. Als uxor in manu beerbt sie ihren Ehemann, das sie filiae loco steht,<br />
als filia familias beerbt sie ihren Vater,<br />
und zwar <strong>zu</strong> gleichem Erbteil wie jeder einzelne Sohn.<br />
2. Wenn jedoch emanzipiert, kein gesetzliches Erbrecht nach XII-Tafeln,<br />
ebensowenig wie emanzipierter Sohn.<br />
2. Wichtige Änderungen durch Praetor, ius honorarium,<br />
Emanzipierte Tochter erbt wie emanzipierter Sohn, 1. Klasse, unde liberi.<br />
Ehefrau wie Ehemann in manus-freier Ehe erben, aber erst in 4. Klasse, unde vir et uxor,<br />
nämlich nach Kindern, gesetzlichen Erben und Blutsverwandten (Kognaten).<br />
3. Erst Justinian gewährt der bedürftigen Ehefrau das Anrecht auf ein Viertel der Erbschaft,<br />
die „Quart der armen Witwe“.<br />
4. Wenn der Ehemann <strong>zu</strong>erst stirbt, kann die Ehefrau Herausgabe der dos<br />
von den Erben des Mannes verlangen;<br />
wenn aber die Frau <strong>zu</strong>erst stirbt, behält der Ehemann die dos endgültig.<br />
Da<strong>zu</strong> verschiedene Änderungen, vor allem durch die Senatusconsulta Tertullianum und Orfitianum.<br />
617<br />
Abgesehen von der 1. Klasse, unde liberi.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
218
KAPITEL 4. TESTIERFREIHEIT, GEWILLKÜRTE ERBFOLGE, TESTAMENT,<br />
1. In Rom Testierfreiheit.<br />
Deswegen kein Erbvertrag.<br />
Kein Testamentsvollstrecker.<br />
TESTAMENTSAUSLEGUNG<br />
2. Testierfähigkeit und Erbfähigkeit, testamti factio<br />
Testierfähigkeit: nur römische Bürger (in klass. Zeit auch Frauen)<br />
können wirksam Testament errichten (t. f. activa).<br />
3. Als Erben eingesetzt werden (t. f. passiva) können auch Gewaltunterworfene,<br />
sogar Sklaven, sei es für ihren dominus,<br />
sei es für sich selbst, wenn sie mit dem Erbfall die Freiheit erhalten.<br />
"Erwerbsunfähig" nach den Ehegesetzen des Augustus sind gänzlich oder teilweise Unverheiratete und Kinderlose.<br />
4. Begriff des Testaments: „Das Testament ist der rechtmäßige Ausdruck unseres Willens über das, was jemand<br />
will, dass es nach seinem Tode geschehen soll“. – D. 28, 1, 1. Mod. 2 pand.<br />
Testamentum est voluntatis nostrae iusta sententia de eo, quod quis post mortem suam fieri velit.<br />
5. Testament<br />
Individualerbrecht nach Bestimmung des Erblassers:<br />
Solon (594 v. Chr.) "gab nun jedem das Recht, sein Vermögen <strong>zu</strong> hinterlassen,<br />
an wen er wollte, indem er den guten Willen dem Zwange vorzog;<br />
und dadurch machte er erst die Begüterten <strong>zu</strong> wahren Eigentümern" (Plutarch, Solon Nr.21).<br />
XII-Tafeln, 449 v. Chr.:<br />
„Wie jemand hinsichtlich seines Vermögens<br />
und der Vormundschaft über seine Angelegenheit letztwillig bestimmt,<br />
so soll es rechtens sein“.<br />
„Wenn jemand ohne Testament verstirbt ...“<br />
Also in dieser Zeit bereits Vorrang des Testaments.<br />
6. Testamentsformen, Inst. Iust. 2, 10, 1 ff.<br />
1. Frühere Testamentsformen. Dann:<br />
2. Zivilrechtliches testamentum per aes et libram, Inst. 2, 10, 1.<br />
genus testamentorum, quod dicebatur per aes et libram, scilicet quia per emancipationem, id est imaginariam quandam<br />
venditionem agebatur, quinque testibus et libripende, civibus Romanis puberibus, praesentibus et eo qui familiae emptor<br />
dicebatur.<br />
3. Honorarrechliches 7-Zeugen-Testament, Inst. 2, 10, 2<br />
(d. h. von früher her: libripens, bonorum emptor, fünf Zeugen)<br />
7. In jedem Fall: Sehr strenge Formerfordernisse. Von Anfang an unwirksam ist Testament, z. B.<br />
1. wenn Testator nicht testierfähig war,<br />
2. wenn das Testament keine Erbeinset<strong>zu</strong>ng enthält,<br />
3. wenn Testator Hauserben, sui heredes, nicht ordnungsgemäß<br />
entweder eingesetzt oder enterbt hat, Inst. Iust. 2, 13, pr.<br />
8. Durch Testament insbesondere<br />
1. Erbeinset<strong>zu</strong>ng<br />
2. Vermächtnisse<br />
3. Enterbung.<br />
9. Eine testamentsähnliche Wirkung haben<br />
30. September 2011<br />
219
1. das "kleine Schriftstück", codicillus (pl. -i) und<br />
2. die Erklärung des "Anvertrauens an die Redlichkeit des Empfängers", das fidei commissum (pl. -a).<br />
10. Von Erbeinset<strong>zu</strong>ng <strong>zu</strong> unterscheiden<br />
1. Vermächtnis (s. u.) und<br />
2. Schenkung von Todes wegen (vgl. § 2301 BGB).<br />
11. Testament konnte vor allem zwei Zwecke haben:<br />
1. Einset<strong>zu</strong>ng einer Person als Erben, die andernfalls nicht oder in geringerem Umfang Erbe geworden wäre,<br />
2. Enterbung einer Person.<br />
12. Erbeinset<strong>zu</strong>ng unter aufschiebender Bedingung wirksam, Inst. 2, 15 pr. und 16 pr.,<br />
daher Substitution - Einset<strong>zu</strong>ng eines zweiten Erben.<br />
Vulgarsubstitution - Ersatzerbschaft: Erblasser setzt eine Person für den Fall ein<br />
(juristisch: unter der aufschiebenden Bedingung),<br />
dass der ursprünglich Eingesetzte gar nicht Erbe wird<br />
(weil er noch gar nicht gezeugt ist, weil er schon wieder gestorben ist oder weil er ausschlägt).<br />
„A soll mein Erbe sein. Wenn A nicht mein Erbe wird, soll B mein Erbe sein“ 618<br />
. Ersatzerbe Inst. 2, 15 pr.<br />
Pupillarsubstitution - Einset<strong>zu</strong>ng eines zweiten Erben für den Fall,<br />
dass der Testator einen unmündigen Hauserben, pupillus, einsetzt,<br />
so dass dieser wirklich Erbe wird,<br />
dass er aber danach stirbt und zwar noch als Unmündiger<br />
(so dass er noch kein wirksames Testament hat machen können):<br />
für diesen Fall kann der Testator (der erste Erblasser) einen zweiten Erben einsetzen 619<br />
(ähnlich wie moderne Nacherbschaft, aber nur ähnlich):<br />
„Mein Sohn Titius soll mein Erbe sein. Wenn er mein Erbe wird,<br />
aber stirbt, bevor er mündig wird, dann soll Seius Erbe sein“; Inst. 2, 16 pr.<br />
Stirbt der Unmündige vor dem Erblasser,<br />
so fragt es sich, ob die Pupillarsubstitution die Vulgarsubstitution in sich schließe.<br />
In einem berühmten Streit über die Auslegung eines Testaments 620<br />
, der causa Curiana,<br />
hatte der große Jurist Q. Mucius Scaevola (pontifex) die Fage verneint.<br />
Er verteidigte die wörtliche Auslegung des Testaments, verba,<br />
in dem der Testator lediglich die Pupillarsubstitution angeordnet hatte.<br />
Der berühmte Redner L. Licinnius Crassus aber hatte die Frage bejaht,<br />
indem er mit dem vermuteten Willen des Testators, der voluntas, argumentierte,<br />
und diese Ansicht obsiegte.<br />
Das ist noch die heutige Regel (heute noch § 2102 I BGB).<br />
Der Erbe kann nach römischem Recht nicht unter auflösender Bedingung eingesetzt werden<br />
(anders nach geltendem Recht!) nach der Rechtsmaxime:<br />
Semel heres, semper heres. - Einmal Erbe, immer Erbe (Keine Vor- und Nacherbschaft).<br />
13. Testament kann nachträglich unwirksam werden, z. B. durch Widerruf des Testators.<br />
14. Auslegung des Testaments<br />
1. Zunächst streng, am Wortlaut haftend,<br />
"Wenn die Worte zweifelsfrei sind, darf die Frage nach dem Willen nicht gestellt werden<br />
- cum in verbis nulla ambiguitas est, non debet admitti quaestio voluntatis" 621<br />
.<br />
618<br />
619<br />
620<br />
621<br />
2. Dann freiere Auslegung wegen Fehlens schutzwürdiger Verkehrsinteressen<br />
und aus Pietät für voluntas des Erblassers.<br />
K/K § 68 Rdnr. 9.<br />
K/K § 68 Rdnr. 10: in erster Linie als Erbe des Testators, nach klassischer Lehre auch als Erbe des pupillus.<br />
Jörs-Kunkel 4. Aufl. S. 89 und 456: Im Jahre 92/93 v. Chr. vor dem Zentumviralgericht.<br />
Paul. D. 32, 25, 1.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
220
3. Dann vier "Begünstigungsrichtlinien", favores, nämlich<br />
1. Erhaltung und Durchführung des Testaments, favor testamenti,<br />
gelegentlich in der Weise,<br />
dass eine nachteilige Bestimmungen als "nicht geschrieben angesehen" wird,<br />
pro non scripto habetur.<br />
2. Begünstigung des Erben, favor heredis (meistens gegenüber dem Vermächtnsnehmer),<br />
3. <strong>zu</strong> Gunsten der Freiheit eines bisherigen Sklaven, favor libertatis,<br />
4. Begünstigung der Ehefrau, favor uxoris.<br />
4. Außerdem sonstige Auslegungsregeln, insbesondere<br />
Falschbezeichnung schadet nichts - falsa demonstratio non nocet.<br />
Ausdrücke<br />
actio ex testamento Klage des Vermächtnisnehmers, des Legatars,<br />
auf Grund des Testaments, Damnationslegats, gegen Erben<br />
bonorum possesio Erbschaftsbesitz (wörtlich: Vermögensbesitz)<br />
Erbschaft nach dem Recht des Praetors, d. h. nach ius honorarium<br />
codicillus (pl. -i) (wörtl.: kleines Schriftstück) testamentsähnliches Schriftstück<br />
defunctus der Verstorbene<br />
fidei commissum testamentsähnliches Treuhandgeschäft<br />
hereditas Erbschaft nach ius civile<br />
hereditas iacens ruhende Erbschaft, herrenlos, solange nicht angetreten<br />
hereditatis petitio Erbschaftsklage, -anspruch<br />
heres Erbe nach ius civile<br />
querela inofficiosi testamenti Beschwerde wegen pflichtwidrigen Testaments<br />
succédere an die Stelle oder in das Recht des Verstorbenen treten.<br />
testamentum (wörtlich: Zeugenakt; testis = Zeuge) Testament.<br />
KAPITEL 5. NOTERBRECHT, QUERELA INOFFICIOSI TESTAMENTI<br />
1. Zuwendungen an bestimmte gesetzliche Erben entgegen dem Testament:<br />
Man spricht von einem Noterbrecht, wenn es <strong>zu</strong> einer (direkten) Beteiligung am Nachlass führt,<br />
vom Pflichtteil spricht man eher, wenn es sich lediglich um eine Geldforderung (wie nach BGB) handelt.<br />
"Materielles" Noterbrecht liegt vor, wenn der Erblasserwille inhaltlich korrigiert wird.<br />
2. lm römischen Recht gibt es auch ein "formelles" Noterbrecht in der Bedeutung,<br />
dass die vom Erblasser angeordnete Ent-erbung nicht eintritt, dass also Intestaterbfolge eintritt,<br />
wenn die Enterbung durch das Testament bestimmten, in Rom sehr strengen, formalen Anforderungen nicht genügt,<br />
denn bestimmte nächste Verwandte müssen ausdrücklich enterbt werden.<br />
3. Sedes materiae: Inst. 2, 13, pr.<br />
Sehr wichtig: I. 2, 18 pr. + 1 + 3: Beschwerde wegen pflichtwidrigen Testaments,<br />
querela inofficiosi testamenti.<br />
Das ist Ursprung des heutigen Pflichtteilsrechts.<br />
Dig. 5, 2.<br />
4. Erklärung<br />
30. September 2011<br />
221
D. 5, 2, 5, Satz 2 und 3. Marcell. 3 dig... Die Bedeutung des Ausdrucks „pflichtwidrig“, de inofficioso, ist,<br />
wie gesagt, die, dass man nachweist, man sei ohne Schuld und daher unverdient übergangen oder durch<br />
Enterbung ausgeschlossen worden. Und das wird mit dem Argument vor dem Richter geltend gemacht, der<br />
Erblasser scheine gewissermaßen nicht bei klarem Verstand gewesen <strong>zu</strong> sein, als er das unangemessene<br />
Testament errichtete.<br />
huius autem verbi " de inofficioso" vis illa ut dixi est docere immerentem se et ideo indigne praeteritum vel<br />
etiam exheredatione summotum: resque illo colore defenditur apud iudicem, ut videatur ille quasi non sanae<br />
mentis fuisse, cum testamentum inique ordinaret.<br />
5. Zur Querel berechtigt sind die übergangenen Kinder, vielleicht auch weitere nahe Verwandte.<br />
6. Klaggegner ist der eingesetzte Testamentserbe.<br />
7. Rechtsfolge<br />
Man kann diese querela als Anfechtung des (fremden) Testaments verstehen.<br />
Folge: das ganze Testament wird aufgehoben. Es tritt gesetzliche Erbfolge ein.<br />
8. Justinian gewährt der überlebenden Ehefrau, die keine dos hat, neben den Kindern<br />
ein Viertel der Erbschaft, die sogenannte "Quart der armen Witwe".<br />
9. Die lex Falcidia verbot es, Vermächtnisse aus<strong>zu</strong>setzen, die mehr als ein Viertel der Erbschaft ausmachten.<br />
Begriff des Intestatus Inst. 3, 1 pr.<br />
KAPITEL 6. INTESTATERBRECHT NACH IUS CIVILE<br />
Nach ius civile, XII-T. "Wenn jemand ohne Testament verstirbt,<br />
der keinen Abkömmling hinterläßt,<br />
so soll der nächste Agnat sein Familiengut erben.<br />
Wenn ein solcher Agnat nicht vorhanden ist, dann sollen die Angehörigen der gens das Familiengut haben."<br />
Also gesetzliche Erbfolgeordnung in drei Klassen:<br />
- „Eigene Erben“, sui heredes, sogen. Hauserben, sind die Hauskinder und die uxor in manu,<br />
die durch den Tod des Erblassers gewaltfrei wurden<br />
(Hauserben Inst. 3, 1, 1 + 2 + 3 + 9),<br />
(also gerade nicht: Sohn, der bereits <strong>zu</strong> Lebzeiten des Vaters emanzipiert wurde,<br />
Tochter, die emanzipiert wurde oder die eine manus-Ehe eingegangen ist,<br />
Ehefrau, die in manus-freier Ehe lebte).<br />
- Wenn keine sui, dann adgnatus proximus; Inst. 3, 2 pr. + 1 + 5.<br />
- Wenn kein Agnat, dann Mitglieder der gens.<br />
Agnaten und Gentiles sind Außenerben, extranei,<br />
sie erwerben Erbschaft erst mit Antritt, aditio hereditatis, der in ihrem Belieben steht; sie können ausschlagen.<br />
Sui treten an die Stelle des Verstorbenen, succédere in locum defuncti.<br />
Sie erwerben Erbschaft ohne weiteres mit dem Tod des Erblassers (keine Frage der hereditas iacens),<br />
alle <strong>zu</strong> gleichen Teilen<br />
können Erbschaft nicht ausschlagen, sind „Zwangserben“, necessarii heredes nach ius civile<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
222
(aber praetorisches Eingreifen <strong>zu</strong> ihren Gunsten).<br />
Außerdem eine größere Zahl wichtiger Senatusconsulta <strong>zu</strong>m Erbrecht, Sonderregeln für Soldaten,<br />
und Änderungen im Dominat (seit Diokletian, 284 n. Chr.) bis <strong>zu</strong> Justinian.<br />
KAPITEL 9. INTESTATERBRECHT NACH IUS HONORARIUM<br />
Der Praetor korrigierte im Rahmen des Amtsrechts die Rechtslage,<br />
indem er neben der hereditas nach ius civile<br />
den Erbschaftsbesitz, die bonorum possessio, einführte,<br />
vor allem in Fällen, in denen der Erblasser kein gültiges Testament hinterlassen hatte.<br />
So eröffnete der Praetor<br />
- auch den emanzipierten Hauskindern (1. Klasse: unde liberi) 622<br />
,<br />
- nochmals den Erben nach den XII-Tafeln (2. Klasse: unde legitimi),<br />
- allen Blutsverwandten, Kognaten Inst. 3, 5 pr.,<br />
einschl. unehelichen Kindern nach der Mutterseite (3. Klasse: unde cognati) 623<br />
, Inst. 3, 5 4, und<br />
- der überlebenden Ehefrau oder dem überlebenden Ehemann (4. Klasse: unde vir et uxor)<br />
die bonorum possessio.<br />
Als bonorum possessor berücksichtigt wurde auch ein Kind, das <strong>zu</strong>r Zeit des Erbfalls bereits gezeugt,<br />
aber noch nicht geboren war, das heute sogenannte „Wesen, das geboren werden wird“,<br />
der nasciturus. Dafür die Rechtsmaxime:<br />
Nasciturus (oder: conceptus) pro iam nato habetur (quotiens de commodo eius quaeritur).<br />
Das gezeugte Kind wird als schon geboren behandelt, (soweit es für ihn vorteilhaft ist). (§ 1923 II BGB)<br />
Ausdruck<br />
Parentel Verwandte, die von derselben Person abstammen.<br />
KAPITEL 10. BERUFUNG ZUR ERBSCHAFT, ERBSCHAFTSERWERB, RUHENDE<br />
ERBSCHAFT<br />
Hier sind verschiedene Zeitpunkte und Vorgänge <strong>zu</strong> unterscheiden.<br />
1. Mit dem Tod des Erblassers tritt der Erbfall ein.<br />
2. Mit dem Erbfall wird eine Person oder werden mehrere Personen<br />
als Erbe oder bonorum possessor berufen.<br />
3. Die Berufung <strong>zu</strong>r Erbschaft bedeutet aber nicht ohne weiteres,<br />
dass die berufene Person auch wirklich die Erbschaft hat<br />
(so ist es aber im geltenden deutschen Recht).<br />
622<br />
623<br />
Nur die Hauserben, die sui heredes, werden mit dem Erbfall Erben,<br />
sie brauchen nichts weiter <strong>zu</strong> tun (genauso heute § 1922 I am Anfang).<br />
Sui heredes sind alle Personen, die durch den Tod des Erblassers gewaltfrei werden, also:<br />
- uxor in manu, dann wenn eine Ehe cum manu vorgelegen hatte,<br />
- Söhne und Töchter, dann wenn sie nicht vorher emanzipiert worden sind,<br />
- Sklaven des Erblassers, dann wenn sie von dem Erblasser<br />
gleichzeitig <strong>zu</strong> Erben eingesetzt und freigelassen worden sind.<br />
Gai. 3, 18 und 19 und 26.<br />
Gai. 3, 24 und 25 und 30.<br />
30. September 2011<br />
223
Gleich, ob sie durch Testament eingesetzt oder gesetzliche Erben sind.<br />
Da die Erbschaft ohne weiteres auf sie übergeht,<br />
kommt es nicht <strong>zu</strong>m Problem der ruhenden Erbschaft.<br />
4. Die Außenerben, extranei heredes, müssen hingegen die ihnen angefallene Erbschaft erst ergreifen.<br />
Sie müssen die Erbschaft antreten, adire hereditatem,<br />
entweder durch eine förmliche Erklärung<br />
der durch erbengemäßes Verhalten, pro herede gérere; Inst. 2, 19, 3 + 5.<br />
5. Solange der Berufene die Erbschaft nicht angetreten hat, gehört sie niemandem,<br />
sie ruht, daher ruhende Erbschaft, hereditas iacens.<br />
Eigentum, Forderungen und Schulden des Erblassers bleiben bestehen,<br />
können aber nur ausnahmsweise gerichtlich geltend gemacht werden.<br />
Die Erbschaft gehört niemandem, ein Diebstahl an ihr ist ausgeschlossen.<br />
Die Erbschaft oder jedenfalls einzelne Erbschaftsgegenstände können<br />
in privilegierter Weise ersessen werden, usucapio pro herede.<br />
Die Nachlassgläubiger können den Berufenen <strong>zu</strong>r Erklärung über Annahme<br />
oder Ausschlagung veranlassen.<br />
6. Die bonorum possessio hingegen<br />
fällt niemals von selbst an, für diese genügt auch nicht der Erbschaftsantritt,<br />
sondern für deren Erwerb muss Antrag an Praetor gestellt werden<br />
und Praetor verleiht / gewährt / erteilt die bonorum possessio.<br />
KAPITEL 11. ERBENGEMEINSCHAFT<br />
Die Miterben bilden eine Bruchteilsgemeinschaft, communio<br />
(in keiner Weise vergleichbar mit der Erbengemeinschaft des BGB).<br />
Solche Forderungen und Schulden, die teilbare Leistungen betreffen, insbesondere Geld,<br />
gelten ohne weiteres als entsprechend den Erbquoten geteilt, nomina ipso iure divisa.<br />
KAPITEL 12. ERBSCHAFTSKLAGE<br />
Erbschaftsklage, hereditatis petitio<br />
D. 5, 3 (Erbschaftsklage), 9; Ulpian im 15. Band seines Ediktskommentars = D. 5, 3, 9 (Ulp. 15 ad ed.). Man<br />
kann als Regel aufstellen, dass überhaupt derjenige auf Grund der Erbschaftsklage hafte, der ein Recht oder eine<br />
Sache aus der Erbschaft als (unberechtigter) Erbe oder Besitzer inne hat. (ähnlich § 2018 BGB)<br />
Schutz der Erbschaft durch Klage des wirklichen Erben gegen den unberechtigten Besitzer der Erbschaft:<br />
Sie ist eine Gesamtklage auf Herausgabe der gesamten Erbschaft 624<br />
, soweit sie der Beklagte besitzt,<br />
einschließlich Forderungen, mit Früchten und Erlösen für eine bereits verkaufte Erbschaftssaches.<br />
Statt mit der hereditatis petitio kann der Kläger auch mit den Einzelklagen vorgehen, insbes. rei vindicatio.<br />
Zu unterscheiden von der actio ex testamento des Vermächtnisnehmers auf Grund Damnationslegats.<br />
624<br />
Also nicht Einzelklage, wie etwa die rei vindicatio, auf Herausgabe einzelner bestimmter Gegenstände.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
224
KAPITEL 13. ERBENHAFTUNG<br />
1. Grundsätzlich haften Erbe und bonorum possessor auch mit ihrem eigenen Vermögen,<br />
wenn sie wirklich Erbe geworden sind.<br />
2. Konnte man den Erwerb der Erbschaft und damit die Haftung vermeiden?<br />
1. Hauserben werden ohne weiteres Erben,<br />
sie sind nach ius civile Zwangserben, heredes necessarii,<br />
aber Praetor gestattet ihnen, sich der Erbschaft <strong>zu</strong> enthalten, se abstinere,<br />
so dass sie nicht haften,<br />
ausgenommen der cum libertate eingesetzte eigene Sklave;<br />
Inst. 2, 19, pr. – 2.<br />
2. Außenerben und <strong>zu</strong>r bonorum possessio Eingesetze<br />
müssen es lediglich unterlassen, die für den Antritt erforderlichen Maßnahmen <strong>zu</strong> setzen,<br />
können aber auch ausdrücklich ausschlagen,<br />
so dass es nicht <strong>zu</strong>r ihrer Haftung kommt.<br />
3. Haftungsbeschränkung nur ausnahmsweise.<br />
KAPITEL 14. VERKAUF UND ÜBERTRAGUNG DER ERBSCHAFT<br />
Eine Erbschaft kann wirksam verkauft werden 625<br />
,<br />
da<strong>zu</strong> Dig.-Titel 18, 4.<br />
Besondere Probleme<br />
1. Nichtexistenz der Erbschaft, weil<br />
Entweder Erblasser noch lebt,<br />
oder weil angeblicher Erblasser nie existiert hat.<br />
Kaufvertrag ist unws<br />
wegen objektiver anfänglicher Unmöglichkeit.<br />
Wenn Erblasser noch lebt, außerdem sittenwidrig 626<br />
.<br />
Rechtsfolgen aus Unwsk des Vertrages<br />
Hinsichtlich Kfprs: condictio sine causa.<br />
2. Vorhandensein der Erbschaft,<br />
jedoch Erbe ist gerade nicht V, sondern ein <strong>Dr</strong>itter<br />
Das ist die Hauptunterscheidung in derartigen Fällen.<br />
625<br />
626<br />
Wirksamkeit des Kaufvertrages.<br />
So wie in anderen Fällen das Rechtsgeschäft wirksam ist,<br />
selbst wenn Verkäufer nicht Eigentümer der verkauften Sache ist<br />
oder wenn er persönlich sie nicht liefern kann.<br />
Verpflichtung nicht obj unws.<br />
Wenn V nicht leistet, dann wird er in den Schätzwert verurteilt.<br />
K I S. 723; K I § 130 Anm. 27, 35, 42.<br />
K, Erbschaftskauf 59/47.<br />
30. September 2011<br />
225
„Garantiepflicht“ nach Kaser.<br />
3. Erfüllung des Erbschaftskaufvertrages durch V 627<br />
1. in gewissen Fällen durch in iure cessio hereditatis 628<br />
.<br />
2. In anderen Fällen 629<br />
überträgt die in iure cessio nur das Eigentum an den körperlichen Sachen.<br />
Die Forderungen müssen dann gesondert übertragen werden. Die Schulden erlöschen 630<br />
.<br />
KAPITEL 15. VERMÄCHTNIS = LEGATUM<br />
Arten Inst. 2, 20, 2 am Anfang<br />
(Gegenstände Inst. 2, 20, 4 – 23)<br />
Falcidische Quart Inst. 2, 22 pr., <strong>zu</strong>m Schutze des Erben.<br />
1. Zur Definition vgl. §§ 1939 und 2087 II.<br />
Nach römischem Recht können nur Testamentserben<br />
mit einem Vermächtnis beschwert werden 631<br />
.<br />
2. Verschiedene Arten nach römischem Recht.<br />
1. Vor allem kannten die Römer auch Vermächtnisse,<br />
kraft deren das vermachte Recht unmittelbar vom Erblasser auf den Vermächtnisnehmer überging,<br />
also ohne Zwischenerwerb des Erben, die also dinglich wirkten, anders BGB.<br />
Der Vermächtnisnehmer wurde also z. B. sofort mit dem Erbfall Eigentümer der vermachten Sache<br />
und konnte diese mit der "gewöhnlichen" rei vindicatio vom Erben herausverlangen,<br />
daher Vindikationslegat (anders BGB).<br />
627<br />
628<br />
2. Es gab auch das Vermächtnis, durch das der Erblasser den Erben verpflichtete,<br />
den vermachten Gegenstand an Vermächtnisnehmer <strong>zu</strong> übertragen;<br />
dieses wirkte also nur obligatorisch. D. h. <strong>zu</strong>erst wurde Erbe voller Rechtsinhaber.<br />
Wegen der da<strong>zu</strong> üblichen Testamentsformel,<br />
der Erbe werde <strong>zu</strong> dieser Übertragung verpflichtet, damnas esto,<br />
sogen. Damnationslegat (so das BGB).<br />
Vermächtnisnehmer erhielt da<strong>zu</strong> die Klage aus dem Testament, actio ex testamento.<br />
3. Legatum sinendi modo (sinere = dulden) verpflichtet ursprünglich den Erben,<br />
die Ergreifung durch den Vermächtnisnehmer <strong>zu</strong> gestatten, in klassischer Zeit wie Damnationslegat behandelt.<br />
4. Ohne Bedeutung in klass. Zeit auch das legatum per praeceptionem:<br />
Vorausvermächtnis für Miterben in der Erbteilungsklage, oder behandelt als Vindikationslegat 632<br />
.<br />
K I § 178 III 1 und 2, S. 722 und 723.<br />
In iure cessio durch Intestaterben, wenn ihm die Erbschaft deferiert ist (d. h. wenn er <strong>zu</strong>r Erbschaft berufen<br />
ist), er sie aber noch nicht angetreten hat. Sie bewirkt dann den vollen Übergang der Erbenstellung auf den Zessionar<br />
(vermutlich durch Fiktion).<br />
629<br />
630<br />
631<br />
Wenn ein Erbe die Erbschaft bereits erworben hat.<br />
K, Erbschaftskauf 57/45; K I 722: Gai. 2, 35 – 37; Gai. 3, 86 – 87.<br />
Nach § 2147 BGB können Erben aller Art und Vermächtnisnehmer beschwert werden.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
226
3. Erwerb<br />
1. des Rechts aus dem Legat (aber noch nicht des eigentlichen Legatsrechts selbst) mit dem Stichtag,<br />
dies cedens, im allgemeinen der Augenblick des Todes des Erblassers,<br />
2. aber eigentlicher Vollerwerb des Legatsrechts gegen Außenerben (also nicht Hauserbe = heres suus)<br />
erst mit dessen Erbantritt 633<br />
.<br />
Sedes materiae: Dig. 30 – Dig. 34.<br />
(Nicht Gegenstand einer Digesten-Exegese)<br />
Erschaftsfideikommisse Inst. 2, 23.<br />
KAPITEL 16. DAS FIDEI COMMISSUM 634<br />
„Fidei commissum“ ist ursprünglich eine formlose Bitte des Erblassers an einen Erben oder Vermächtsnisnehmer: „Ich vertraue es deiner<br />
Treue an“, fidei tuae committo, eine bestimmte Bitte des Erblassers <strong>zu</strong> erfüllen, z. B. an einen <strong>Dr</strong>itten eine bestimmte Sache <strong>zu</strong> leisten, ein<br />
Recht <strong>zu</strong> übertragen oder einen Sklaven frei<strong>zu</strong>lassen. Gegenstand eines Fideikommiss kann sogar die Bitte sein, die ganze Erbschaft oder einen<br />
gewissen Teil der Erbschaft an einen <strong>Dr</strong>itten <strong>zu</strong> leisten.<br />
Anfangs war es unklagbar, seit Augustus wurde es einklagbar. Es wurde dann weitgehend wie ein Damnationslegat behandelt. Es wirkte nur<br />
obligatorisch 635<br />
.<br />
<strong>Dr</strong>ei Besonderheiten sind hervor<strong>zu</strong>heben:<br />
1. Das Fideikommiss war ursprünglich formfrei.<br />
2. Als es sich durchsetzte, dass der Erblasser den Erben und sogar einen Fideikommissar mit einem Fideikommiss<br />
belasten konnte, konnte auf diese Weise im römischen Recht weitgehend die Wirkung der modernen<br />
Nacherbschaft erreicht werden.<br />
3. Aus dem antiken Fideikommiss entwickelte sich das mittelalterliche, bis in das 20. Jahrhundert hinein anerkannte<br />
(Familien-)-Fideikommiss, nämlich die Bindung eines Familiengutes, das der Verwaltung eines Familienmitgliedes<br />
anvertraut ist und das nicht veräußert werden kann 636<br />
.<br />
Kodizille Inst. 2, 25 pr.<br />
Inst. Iust. 4, 18<br />
632<br />
633<br />
634<br />
635<br />
636<br />
K I 744.<br />
K I 752.<br />
K I §§ 189 f., II § 299.<br />
Also wie das BGB-Vermächtnis.<br />
14. TEIL<br />
STRAFRECHT<br />
Z. B. preußisches Allgemeines Landrecht II. Teil, 4. Titel, §§ 47 ff. Adalbert Erler, Artt. Famlilienfideikommiss<br />
und Familienstammgüter in Handwörterbuch <strong>zu</strong>r Rechtsgeschichte, Bd. 1, 1971, Sp. 1071 ff.<br />
30. September 2011<br />
227
Weniger entwickelt und nur bruchstückartig ist das Strafrecht überliefert. Das noch heute maßgebende Werk<br />
stammt, wie gesagt, von Theodor Mommsen, nur in einzelnen Teilen inzwischen überholt. Das Strafrecht ist in<br />
den Institutionen, in den zwei „schrecklichen Büchern“, den libri terribiles, der Digesten (D. 47 und D. 48) und<br />
im Codex erhalten, wurde im Mittelalter ebenfalls behandelt, war eine der Grundlagen für das mittelalterliche<br />
kirchliche, d. h. kanonische Recht, wurde jedenfalls teilweise rezipiert und ist wiederum eine wichtige Grundlage<br />
für die Carolina von 1532 637<br />
.<br />
Wichtige Rechtsmaximen:<br />
Ignorantia iuris (non) nocet. Rechtsunkenntnis schadet (nicht).<br />
Unkenntnis schützt vor Strafe (nicht).<br />
In dubio pro reo. Im Zweifel für den Angeklagten.<br />
Necessitas non habet legem. Not kennt kein Gebot.<br />
Nemo tenetur se ipsum accusare Niemand muß sich selbst anklagen<br />
(pródere) (keiner braucht gegen sich selbst Zeugnis ab<strong>zu</strong>legen).<br />
Non omne quid licet, honestum. Nicht alles, was erlaubt ist, ist anständig.<br />
Nulla poena sine lege. Keine Strafe ohne Gesetz 638<br />
.<br />
Nullum crimen sine lege. Kein Verbrechen ohne Strafgesetz.<br />
Quod licet Iovi, non decet bovi. Was Jupiter darf, ist nicht dem Ochsen angemessen.<br />
Ausdrücke<br />
accusare anklagen<br />
(Akkusationsprinzip unrömisch: Anklage durch den Geschädigten)<br />
Crimen Verbrechen (strafrechtlich, im Gegensatz <strong>zu</strong>m zivilrechtlichen delictum)<br />
crimen laesae maiestatis Majestätsbeleidigung<br />
delictum (zivilrechtlich) unerlaubte Handlung<br />
talio Vergeltung einer Rechtsverlet<strong>zu</strong>ng durch ein gleichartiges Übel.<br />
15. TEIL<br />
NEUERE UND NEUESTE RECHTSGESCHICHTE<br />
KAPITEL 1. HISTORISCHE WURZELN DES MODERNEN RECHTS<br />
1. Jüdische und christliche Rechtsvorstellungen<br />
2. Griechische Staatsordnung und griechisches Rechtsdenken<br />
3. Römisches Recht<br />
637<br />
638<br />
Z. B. H. Rüping, Grundriss der Strafrechtsgeschichte.<br />
Paul Johann Anselm von Feuerbach (1775 – 1833; bay. StGB 1813); vollständig: Nulla poena sine lege certa<br />
(bestimmt, keine Unbestimmtheit), previa (für künftige Fälle, Rückwirkungsverbot), scripta (geschrieben, kein<br />
Gewohnheitsrecht), stricta (bindend, Analogieverbot im Besonderen Teil des materiellen Strafrechts).<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
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4. Mittelalterliches Kirchenrecht, sogen. kanonisches Recht,<br />
im Mittelalter und in der Neuzeit auch verbindlich für viele Materien,<br />
die heute <strong>zu</strong>m staatlichen Recht gehören, z. B. Eherecht,<br />
5. Germanisch-deutsche Traditionen, vor allem Sachsenspiegel<br />
6. Grundgesetze des Heiligen römischen Reichs deutscher Nation,<br />
vor allem Goldene Bulle von 1356 über Königswahl und Kurfürsten,<br />
7. Handelsrecht, ausgehend von Norditalien und den deutschen Ostseestädten<br />
8. Strafrecht, vor allem die „Carolina“ Kaiser Karls V.<br />
9. Stadtrechte<br />
10. Verwaltungsvorschriften seit dem 15. Jh., sogen. Policeyordnungen<br />
11. Naturrechtslehre im 17. und 18. Jahrhundert,<br />
begründet von Hugo Grotius, Völkerrecht (De iure belli ac pacis libri tres),<br />
12. Naturrechtskodifikationen,<br />
preußisches Allgemeines Landrecht (ALR) 1794, Code civil (Napoléon) 1804,<br />
österr. Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch 1811.<br />
13. Verfassungen seit der Französischen Revolution von 1789<br />
14. Gewerbe-, Wirtschafts- und Arbeitsrecht <strong>zu</strong>r Begleitung der industriellen Revolution<br />
15. Aufwertung der Grundrechte seit 1945<br />
16. Veränderungen durch europäisches Gemeinschaftsrecht<br />
KAPITEL 2. RECHTSENTWICKLUNGEN IM MITTELALTER UND IN DER NEUZEIT<br />
1. Germanenreiche, insbesondere das Frankenreich, 4. bis 9. Jh. n. Chr.<br />
Die Germanen üben ihre Rechte in der Volksversammlung (Thing) aus. Es ist <strong>zu</strong>gleich Heeresversammlung,<br />
Wahlort für den König oder Herzog und Gerichtsstätte. Hierbei und in anderen gesellschaftlichen Äußerungen<br />
kommt der "genossenschaftliche" Charakter der germanischen Rechte besonders <strong>zu</strong>m Ausdruck. Der "herrschaftliche"<br />
Charakter zeigt sich vor allem bei der Rechtsmacht (Munt), die der Hausvater über seine Ehefrau,<br />
seine Kinder und seine Leute hat. Das Zusammenspiel von Genossenschaft und Herrschaft ist für die germanistische<br />
Rechtswissenschaft des 19. und 20. Jh. von besonderer Bedeutung. In der Völkerwanderungszeit bilden<br />
sich vorübergehend germanische Reiche. Sie geben sich umfangreiche, lateinisch geschriebene Gesetze; unter<br />
ihnen ragt die lex Salica der Franken hervor (um 500 n. Chr.). Zur Zeit der Volksrechte war es für die Übertragung<br />
eines Grundstücks u. a. erforderlich, dass der bisherige Eigentümer sein bisheriges Grundstück in feierlicher<br />
Weise verließ, daher Auflassung (heute § 925 BGB).<br />
Das Fränkische Reich erreicht seinen Höhepunkt mit der Kaiserkrönung Karls d. Gr. im Jahre 800. Im Fränkischen<br />
Reich bildet sich das Lehnswesen, der Feudalismus im verfassungsgeschichtlichen Sinne, aus. Dabei verpflichtet<br />
sich der Herr <strong>zu</strong>r Gewährung von Schutz und Unterhalt, wogegen der Vasall Gehorsam und (meistens<br />
militärische) Dienste verspricht. Der Herr belehnt den Vasall mit einem Lehen (feudum), hauptsächlich Land,<br />
das der Vasall nutzen darf. Wenn der Vasall das Lehen weitergibt, entsteht eine vom König abwärts reichende<br />
Lehnspyramide, der nach Auffassung der mittelalterlichen Juristen ein in Ober- und Untereigentum geteiltes Eigentum<br />
entspricht. Der Obereigentümer, Inhaber des dominium directum, konnte über die Sache rechtsgeschäftlich<br />
verfügen, der Untereigentümer jedoch hatte das Nut<strong>zu</strong>ngsrecht, das dominium utile. Dieses Rechtsinstitut<br />
wurde noch 1794 in das preußische Allgemeine Landrecht aufgenommen und erst im 19. Jahrhundert ad acta gelegt.<br />
Das mittelalterliche Grundstücksrecht, das Familienrecht und teilweise auch das Erbrecht wirken im modernen<br />
Recht noch stark nach.<br />
2. Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation, 9.Jh. bis 1806<br />
Im Unterschied <strong>zu</strong> England und Frankreich erreicht Deutschland in dieser Zeit nicht die Zentralisierung. Das<br />
Recht ist unvorstellbar zersplittert. Fast jede Gemeinde und Berufsgruppe lebt nach eigenen Rechtsgewohnheiten.<br />
Für einzelne größere Gebiete Europas gibt es private Rechtssammlungen, beginnend mit dem Sachsenspiegel<br />
Eike von Repgows im 13. Jh. In ganz Europa bildet sich von Italien und von der Ostsee aus ein einheitliches<br />
Handelsrecht. Das Recht der Kirche wird im Corpus Iuris Canonici <strong>zu</strong>sammengefaßt. Es ist für viele<br />
Bereiche, insbesondere für das Familienrecht, allgemeinverbindlich, und es bildet eine wichtige Grundlage für<br />
das heutige Prozess- und Verwaltungsrecht.<br />
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Entscheidend ist für die europäische Zivilisation, dass seit dem 11. Jh. das antike Römische Recht in Bologna<br />
wiederentdeckt wird. Es wird mit wissenschaftlichen Erklärungen, sogen. Glossen, von den als Glossatoren bezeichneten<br />
<strong>Prof</strong>essoren versehen. Das Römische Recht, vor allem das Schuldrecht und das Recht der beweglichen<br />
Sachen, wird allmählich in ganz Europa aufgenommen, d. h. "rezipiert", und fast überall als Gemeines<br />
Recht anerkannt; es ist in Deutschland bis 1900 in Geltung. <strong>Universität</strong>en werden gegründet, und dementsprechend<br />
gibt es seit dieser Zeit studierte Juristen.<br />
3. Absolutismus, Policeyrecht, Merkantilismus, Naturrecht, 17. bis 18. Jh.<br />
Im <strong>Dr</strong>eißigjährigen Krieg werden so viele Menschen umgebracht und Sachwerte zerstört, dass Deutschlands<br />
Entwicklung erheblich behindert wird. Im Westfälischen Frieden (1648) erlangen die Territorialherren das<br />
Recht, eine selbständige Außenpolitik <strong>zu</strong> treiben. Gleichzeitig machen sie sich im Innern von den Ständen weitgehend<br />
unabhängig ("Absolutismus"). Die Verwaltung ergreift weite Bereiche der Gesellschaft ("Policeystaat"<br />
im verfassungsgeschichtlichen Sinne). Eine aktive Wirtschaftspolitik sorgt für Steigerung der Produktion und<br />
des Exports ("Merkantilismus").<br />
Auf der Grundlage antiker und christlicher Lehren begründet der Niederländer Hugo Grotius mitten im <strong>Dr</strong>eißigjährigen<br />
Krieg das Vernunft- oder Naturrecht. Ihm folgen in Preußen Pufendorff, Christian Wolff und Christian<br />
Thomasius. Ihre Lehren und die gesamteuropäische Aufklärung sind miteinander verbunden. Das Naturrecht soll<br />
aus wenigen einleuchtenden Prinzipien abgeleitet werden und über dem positiven Recht stehen. Damit fördert es<br />
<strong>zu</strong>gleich eine Rechtswissenschaft, die systematisch ist, und eine Rechtspolitik, die kritisch (gegen Folter, Todesstrafe<br />
und Hexenprozesse) vorgeht. Völkerrecht, Verfassungsrecht, Strafrecht, Zivilrecht etc. werden davon<br />
beeinflußt. Am Ende stehen die sogenannten drei Naturrechts-Kodifikationen: das preußische Allgemeine Landrecht,<br />
ALR, von 1794, der französiche Code Civil, zeitweilig Code Napoléon genannt, von 1804 und das österreichische<br />
Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch, das ABGB (1811).<br />
4. Französische Revolution (1789) und deutsche Reformen<br />
Die Französische Revolution bringt mit der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte die erste moderne Verfassung<br />
in Europa hervor. Bedeutsam ist u. a. der Schutz des Eigentums als ein unverletzbares und heiliges<br />
Recht (un droit inviolable et sacré). Die Revolution und die folgenden Kriege erschüttern das Reich und die Einzelstaaten:<br />
1803 werden die Grenzen aller Territorien durch den Reichsdeputationshauptschluß ganz erheblich<br />
verändert. 1806 schließt sich eine größere Zahl der mächtigsten deutschen Fürsten im Rheinbund <strong>zu</strong>sammen und<br />
trennt sich vom Reich. Im selben Jahr legt der Kaiser die Kaiserkrone und Regierung nieder, und damit erlischt<br />
das Ancien Régime, genauer: das Heilige Römische Reich Deutscher Nation.<br />
In vielen Einzelstaaten werden Verfassungen beschlossen, allerdings noch nicht in Österreich und Preußen. Besonders<br />
in Preußen und Bayern beginnen grundlegende Reformen wie die Bauernbefreiung, die freie Berufswahl<br />
und -ausübung, die Gewerbefreiheit, der ungehinderte Erwerb und die ungehinderte Veräußerlichkeit von<br />
Grundeigentum, die Judenemanzipation und die Bildungsreform.<br />
5. Deutscher Bund, 1815 bis 1866<br />
Nachdem Napoleon endgültig geschlagen ist, schließen sich die 39 deutschen Fürsten und Freien Städte auf dem<br />
Wiener Kongreß 1815 <strong>zu</strong>m Deutschen Bund <strong>zu</strong>sammen. Der Heidelberger <strong>Prof</strong>essor Thibaut schlägt vergebens<br />
ein einheitliches Gesetzbuch für ganz Deutschland vor. Friedrich Carl von Savigny (1779 - 1861) wendet dagegen<br />
ein, dass das Recht durch innere still wirkende Kräfte (die später als der Volksgeist bezeichnet wurden),<br />
nicht durch die Willkür eines Gesetzgebers entsteht, und dass außerdem die Fähigkeit <strong>zu</strong>r Herstellung eines guten<br />
Gesetzbuches fehle. Diese Schrift von 1814, "Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft",<br />
ist überhaupt das berühmteste deutsche rechtswissenschaftliche Werk. In diesem Werk stellt Savigny<br />
es als eine der Hauptleistungen der Juristen dar, dass sie mit ihren Begriffen gewissermaßen rechnen.<br />
Weitere Hauptwerke Savignys sind die "Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter" und vor allem das<br />
"System des heutigen römischen Rechts". Mit ihnen und mit seinem Wirken an der neuen <strong>Berlin</strong>er <strong>Universität</strong><br />
begründet Savigny die Historische Rechtsschule und führt die deutsche Rechtswissenschaft <strong>zu</strong> weltweitem Ansehen.<br />
Auf der Grundlage des Römischen Rechts errichtet er das moderne Privatrechtssystem.<br />
1848 erschüttert die Revolution Deutschland. Die in der Frankfurter (Main) Paulskirche beschlossene Reichsverfassung<br />
wird nicht wirksam. Der damals formulierte Grundrechtskatalog wird die Quelle für die spätere Weima-<br />
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er Verfassung. Die wirtschaftliche Einigung Deutschlands wird durch den Deutschen Zollverein herbeigeführt.<br />
Um die Mitte des Jahrhunderts erreicht die Industrielle Revolution Deutschland. Der Staat fördert die wirtschaftliche<br />
Entwicklung u. a. durch das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch von 1861. Der <strong>Dr</strong>esdner Entwurf eines<br />
Schuldrechtsgesetzbuchs für ganz Deutschland von 1866 bleibt Entwurf, bildet aber die Grundlage für das<br />
zweite Buch des späteren BGB. Der preußisch-österreichische Krieg von 1866 setzt dem Deutschen Bund ein<br />
Ende.<br />
6. Norddeutscher Bund, 1866<br />
Der Norddeutsche Bund ist ein Bundesstaat, den Preußen mit weiteren norddeutschen Staaten bildet. Seine Verfassung<br />
wird kurz darauf vom Kaiserreich übernommen. Er führt wichtige Gesetze <strong>zu</strong>r Rechtsvereinheitlichung<br />
und -modernisierung ein, u. a. das Strafgesetzbuch, die Gewerbeordnung <strong>zu</strong>r Regelung von Arbeit, Handwerk<br />
und Industrie und die Einrichtung eines obersten Gerichts sowie die vollständige Emanzipation der Juden durch<br />
das Gesetz.<br />
7. Kaiserreich, 1871 bis 1918<br />
Das Deutsche Reich wird nach dem deutsch-französischen Krieg ausgerufen. Das Reich, ein Bundesstaat, wird<br />
von den deutschen Einzelstaaten (aber ohne Österreich) gebildet. Diese werden im Bundesrat repräsentiert. Das<br />
Volk wählt die Abgeordneten <strong>zu</strong>m Reichstag. Das Präsidium des Bundes steht dem König von Preußen <strong>zu</strong>, welcher<br />
den Namen Deutscher Kaiser führt. Der Kaiser ernennt den Reichskanzler (als ersten Bismarck) und die<br />
Reichsbeamten und hat den militärischen Oberbefehl. Rechtsstaat, unabhängige Verwaltungsgerichtsbarkeit und<br />
modernes Verwaltungsrecht werden jetzt durchgesetzt. Die vier Reichsjustizgesetze (Gerichtsverfassungsgesetz,<br />
ZPO, StPO und Konkursordnung) treten 1879 in Kraft. Infolgedessen kann das Reichsgericht in Leipzig seine<br />
Tätigkeit aufnehmen.<br />
Die Wirtschaftsentwicklung hatte <strong>zu</strong> einem Gründerrausch geführt, und dieser brach im Gründerkrach <strong>zu</strong>sammen.<br />
Es folgt die Große Depression bis gegen Ende des Jahrhunderts. Auf Bismarcks Initiative wird in den achtziger<br />
Jahren die Sozialversicherung eingeführt. Die sozialdemokratische Arbeiterpartei wird durch das Sozialistengesetz<br />
von 1878 bis 1890 verboten. Sie nimmt aber an den Reichstagswahlen teil und wird 1912 stärkste<br />
Fraktion im Reichstag.<br />
Nach wie vor gilt das römische Recht, dessen wichtigste Grundlage der zweite Teil des Corpus Iuris Civilis ist,<br />
die Pandekten oder Digesten, und dessen Lehrer nun Pandektisten genannt werden. Windscheid schreibt hier<strong>zu</strong><br />
das maßgebende Lehrbuch und formuliert gewissermaßen als das Prinzip des Rechtspositivismus, dass ethische,<br />
politische oder volkswirtschaftliche Erwägungen nicht Sache des Juristen als solchen (in der engen Bedeutung<br />
des Richters bei der Streitentscheidung) seien. Ihering sieht den "Kampf ums Recht", dann den "Zweck im<br />
Recht" als Schöpfer der Entwicklung an und eröffnet damit den Weg <strong>zu</strong>r modernen Interessenjurisprudenz. Die<br />
Germanisten, allen voran Otto von Gierke ("Deutsches Privatrecht"; "Deutsches Genossenschaftsrecht"), sind<br />
zwar am Recht des Mittelalters orientiert und trotzdem gegenüber den sozialen und politischen Gegenwartsproblemen<br />
besonders aufgeschlossen. Das Handelsrecht wird vor allem von Levin Goldschmidt weiterentwickelt. Mit<br />
dem I. Weltkrieg (1914 - 1918) enden die deutschen Monarchien.<br />
KAPITEL 3. SAVIGNY UND DIE RECHTSWISSENSCHAFT DES 19. JH.<br />
Wohl alle Bereiche der Rechtswissenschaft in Deutschland erlebten Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts<br />
ihre größte Blüte. Besonders wichtig war das Privatrecht. Die Privatrechtswissenschaft wirkte schließlich auch<br />
auf die Herstellung des BGB ein. Da<strong>zu</strong> muß man ein paar wichtige Begriffe und Dinge kennen, die immer wieder<br />
erwähnt werden 639<br />
.<br />
1. Gemeines Recht i. e. S.: Römisches und kanonisches Recht.<br />
2. Historische Rechtsschule<br />
639<br />
Schröder, Rechtsgeschichte, Kap. 9 und 10; Quellen, S. 91 - 99.<br />
Grundlegend Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl., 1967.<br />
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Die von Friedrich Carl von Savigny begründete rechtswissenschaftliche Richtung,<br />
in der zweiten Hälfte des 19. Jh. in Deutschland herrschend.<br />
Grundvorstellung, daß das Recht an seine geschichtlichen Vorausset<strong>zu</strong>ngen gebunden ist,<br />
es erwachse aus dem Innersten der Nation und aus ihrer Geschichte, aus dem „Volksgeist“,<br />
sei Teil der Gesamtkultur.<br />
Nach dieser Vorstellung kann und soll das Recht nicht etwa willkürlich produziert werden.<br />
Gleichzeitig soll das Recht konstruktiv-dogmatisch erfaßt werden,<br />
so wie die Römer gewissermaßen mit den Rechtsbegriffen rechneten.<br />
Zur historischen Rechtsschule gehörten sowohl Romanisten als auch Germanisten (da<strong>zu</strong> sogleich).<br />
3. Savigny<br />
Friedrich Carl von Savigny, 1779 - 1861, <strong>Prof</strong>essor in <strong>Berlin</strong>,<br />
wird als der größte deutsche Jurist angesehen.<br />
1. Werke Savignys:<br />
1. Sein berühmtes Jugendwerk betrifft das „Recht des Besitzes“.<br />
2. Seine bekannteste Schrift verneint für seine Zeit<br />
die Möglichkeit und Sinnhaftigkeit einer Kodifikation,<br />
„Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“.<br />
3. Umfangreich und bis heute grundlegend für die rechtshlistorische Forschung:<br />
„Die Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter“.<br />
4. Ebenfalls sehr umfangreich,<br />
für die Rechtswissenschaft und -praxis des 19. Jahrhunderts maßgebend:<br />
das „System des heutigen römischen Rechts“.<br />
2. Rechtslehre Savignys:<br />
Die selbstverständliche Grundlage für Savigny ist das römische Recht.<br />
1. Entwicklung des Rechts aus dem „Volksgeist“, daher<br />
- die Forderung nach einer „geschichtlichen“ Rechtswissenschaft<br />
(konsequent: „Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter“) und<br />
- Ablehnung einer Kodifikation (kein „Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung“).<br />
Damit Begründung einer „historischen“ Rechtsschule.<br />
2. Die systematische Erfassung und Fortentwicklung des Rechts<br />
(konsequent: „System des heutigen römischen Rechts“),<br />
Gedanke des „Rechnens mit Begriffen“.<br />
Damit Vorbereitung der späteren „Begriffs-jurisprudenz“.<br />
4. Romanisten, Pandektisten<br />
1. <strong>Prof</strong>essoren des römischen Rechts, insbes. am Ende des 19. Jh.<br />
2. Rechtsquelle: Corpus Iuris civilis Kaiser Justinians von 533 n. Chr., insbesondere<br />
Pandekten = Digesten, der 2., wichtigste Teil des Corpus Iuris Civillis (wiederholen!).<br />
Pandektistik: Wissenschaft vom römischen Recht am Ende des 19. Jahrhunderts.<br />
3. Einzelne Romanisten<br />
1. Bernhard Windscheid, erfolgreicher Rechtslehrer,<br />
Verfasser des berühmten „Lehrbuchs des Pandektenrechts“, 9. Aufl., posthum 1906,<br />
von großem Einfluß auf die Abfassung des BGB.<br />
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2. Rudolf von Jhering,<br />
u. a. Entdecker der culpa in contrahendo,<br />
juristische Analyse in seinem mehrbändigen „Geist des römischen Rechts“,<br />
Wegbereiter der Rechtssoziologie und der Interessenjurispurdenz<br />
- in seinem Werk über den „Zweck im Recht“ und<br />
- in seiner großen Rede über den „Kampf ums Recht“.<br />
3. Heinrich Dernburg,<br />
Autor von mehrbändigen, in der Praxis sehr verbreiteten, Lehrbüchern<br />
des Pandektenrechts, des preußischen Rechts und des neuen bürgerlichen Rechts.<br />
5. Germanisten<br />
1. <strong>Prof</strong>essoren des deutschen Rechts,<br />
2. verschiedene Rechtsquellen, u. a. Tacitus „Germania“,<br />
Germanenrechte, mittelalterliche Stadt- und Landrechte,<br />
ALR bis <strong>zu</strong>m Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch (ADHGB) von 1861.<br />
3. Die wichtigsten: Eichhorn, Jakob Grimm, Beseler, von Gerber und, alle überragend, Gierke.<br />
Otto von Gierke (1841 - 1921) war <strong>Prof</strong>essor für deutsche Reichs- und Rechtsgeschichte,<br />
<strong>zu</strong>letzt in <strong>Berlin</strong>.<br />
Grundlage für Gierke ist das alte germanische und deutsche Recht,<br />
(im erklärten Gegensatz <strong>zu</strong>m römischen Recht).<br />
1. Die beiden umfangreichen Hauptwerke in mehreren dicken Bänden:<br />
1. Das deutsche Genossenschaftsrecht und<br />
2. Deutsches Privatrecht.<br />
2. Da<strong>zu</strong> seine berühmten Kritiken am BGB.<br />
6. Rechtspositivismus und Begriffsjurisprudenz<br />
1. Rechtspositivismus<br />
Annahme, daß die Rechtssätze und ihre Anwendung ausschließlich aus<br />
System, Begriffen und Lehrsätzen der Rechtswissenschaft ab<strong>zu</strong>leiten seien,<br />
ohne Rücksicht auf außerjuristische Wertungen und Zwecke.<br />
Am wichtigsten: Windscheid und der junge Jhering.<br />
2. Begriffsjurisprudenz<br />
Annahme, daß die Rechtsordnung aus einem lückenlos geschlossenen System<br />
von Begriffen (Begriffspyramide) bestehe,<br />
aus welchem allein durch logische Operationen die Lösung für jeden Einzelfall ab<strong>zu</strong>leiten sei.<br />
KAPITEL 4. AUSARBEITUNG DES BGB<br />
Nachdem Napoleon endgültig geschlagen ist, schließen sich die 39 deutschen Fürsten und Freien Städte auf dem<br />
Wiener Kongreß 1815 <strong>zu</strong>m Deutschen Bund <strong>zu</strong>sammen. Der Heidelberger <strong>Prof</strong>essor Thibaut schlägt vergebens<br />
ein einheitliches Gesetzbuch für ganz Deutschland vor. Friedrich Carl von Savigny (1779 - 1861) wendet dagegen<br />
ein, dass das Recht durch innere still wirkende Kräfte (die er später als den Volksgeist bezeichnet), aber<br />
nicht durch die Willkür eines Gesetzgebers entsteht und fortgebildet wird, und dass außerdem <strong>zu</strong> seiner Zeit in<br />
Europa die Fähigkeit <strong>zu</strong>r Herstellung eines guten Gesetzbuches fehle.<br />
Diese Schrift von 1814, "Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft", ist überhaupt das<br />
berühmteste deutsche rechtswissenschaftliche Werk. Weitere Hauptwerke Savignys sind "das Recht des Besit-<br />
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zes", "Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter" und vor allem das "System des heutigen römischen<br />
Rechts". Mit ihnen und mit seinem Wirken an der neuen <strong>Berlin</strong>er <strong>Universität</strong> begründet Savigny die Historische<br />
Rechtsschule und führt die deutsche Rechtswissenschaft <strong>zu</strong> weltweitem Ansehen. Auf der Grundlage des Römischen<br />
Rechts errichtet er das moderne Privatrechtssystem.<br />
Theoretisch begründet mit Savignys Ausführungen, vor allem aber aus politischen Gründen, weil nämlich die<br />
deutschen Einzelstaaten auf ihrer Souveränität beharrten, unterblieb die Zivilrechtskodifikation.<br />
Nach der Reichsgründung 1871 war das Recht noch immer sehr zersplittert. Neben dem Allgemeinen Deutschen<br />
Handelsgesetzbuch, der Gewerbeordnung und einer <strong>zu</strong>nehmenden Zahl von Einzelgesetzen des Reichs galten in<br />
den verschiedenen Gebieten das ALR (in einem großen Teil Preußens und also auch in <strong>Berlin</strong>), das gemeine (d.<br />
h. das römische und das kanonische) Recht, das französische Recht, das sächsische Bürgerliche Gesetzbuch und<br />
außerdem eine Fülle von Partikularrechten. Die Verfassung des Norddeutschen Bundes von 1867 und die<br />
Reichsverfassung von 1871 räumten dem Reich nicht die Gesetzgebungskompetenz für das gesamte Zivilrecht<br />
ein. Dafür war also eine Verfassungsänderung notwendig. Nur nach mehreren Anläufen erreichten es die Abgeordneten<br />
der nationalliberalen Partei, Lasker und Miquel, dass das Reich durch übereinstimmende Beschlüsse<br />
des Reichstags und des Bundesrats die Gesetzgebungs<strong>zu</strong>ständigkeit für das Bürgerliche Recht erhielt.<br />
Die wesentlichen Perspektiven für die Organisation der Redaktionsarbeit und für das BGB selbst wurden unter<br />
der Federführung Levin Goldschmidts, <strong>Prof</strong>essor für Handelsrecht und Mitglied des Reichsoberhandelsgerichts,<br />
im Gutachten der Vorkommission des Bundesrats von 1874 niedergelegt. Dieses Gutachten bestimmte bis <strong>zu</strong>r<br />
Vollendung des BGB die Organisation der Kodifizierung sowie Form und Inhalt des BGB.<br />
Die erste Kommission erbrachte in 16 Jahre währender Arbeit (1874 - 1889) die für Inhalt und System entscheidende<br />
Leistung. Ihr bedeutender Vorsitzender war Pape, Präsident des Reichsoberhandelsgerichts. Zur Ausarbeitung<br />
des Entwurfs wurden fünf Redaktoren bestellt: für den Allgemeinen Teil Gebhard, für das Schuldrecht von<br />
Kübel, für das Sachenrecht Johow, für das Familienrecht Planck und für das Erbrecht Schmitt. Unter den weiteren<br />
Mitgliedern ist vor allem Windscheid, Verfasser des damals angesehensten Lehrbuchs des römischen Rechts,<br />
<strong>zu</strong> nennen. Die von den Redaktoren gelieferten Entwürfe und Begründungen nehmen 16 dicke Bände ein. Hin<strong>zu</strong><br />
kommen die ausführlichen Beratungsprotokolle. Diese Materialien gelangten damals nicht an die Öffentlichkeit,<br />
sondern wurden erst seit 1978, vor allem von Schubert, herausgebracht. Damals wurde nur eine auf fünf Bände<br />
verkürzte Zusammenfassung in den seitdem wohlbekannten Motiven publiziert. Der erste Entwurf wurde als sozial<br />
rückständig (Anton Menger, "Das Bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen"), als lebensfremd<br />
und als undeutsch (Otto von Gierke), sowie als stilistisch verfehlt kritisiert.<br />
Es war bis vor kurzem unbekannt, dass nach dem Ende der Beratung der I. Kommission und vor weiteren Beratungen<br />
eine Vorkommission des Reichsjustizamtes den I. Entwurf einer Revision unterzog und damit die Weichen<br />
für die künftigen Änderungen stellte.<br />
Die II. Kommission, unter Gottlieb Planck als "Generalreferent", hatte auch nichtständige Mitglieder aus Wirtschaftskreisen.<br />
Die Protokolle ihrer Beratungen wurden <strong>zu</strong>sammen mit dem II. Entwurf veröffentlicht.<br />
Nach Änderungen im Bundesrat wurde der Entwurf mit der Denkschrift des Reichsjustizamts an den Reichstag<br />
übermittelt. Die Verhandlungen des Reichstags und der Reichstagskommission erbrachten nochmals Modifikationen.<br />
1896 wurde das BGB im Reichstag und Bundesrat verabschiedet. 1900 trat es in Kraft. Die genannten Materialien<br />
dienen noch heute <strong>zu</strong>m Verständnis der einzelnen Regelungen und <strong>zu</strong>r unerläßlichen historischen Auslegung.<br />
Die meisten Materialien sind von Mugdan <strong>zu</strong>sammengefaßt. Eine Literaturliste folgt unten.<br />
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KAPITEL 5. NEUESTE RECHTSGESCHICHTE<br />
1. Weimarer Republik, 1919 bis 1933<br />
Der Friedensvertrag in Versailles 1919 bedeutet eine schwere psychologische, wirtschaftliche und politische Belastung.<br />
Am Beginn der Weimarer Republik steht die Inflation, die den bürgerlichen Mittelstand praktisch enteignet<br />
(am Höhepunkt, 1923, müssen 4,2 Billionen "Papiermark" für 1 Dollar bezahlt werden), am Ende steht<br />
die Massenarbeitslosigkeit (1932/33 rund 6 Mio. Arbeitslose).<br />
Die in Weimar <strong>zu</strong>sammengetretene Verfassunggebende Nationalversammlung, erstmals auch von Frauen gewählt,<br />
verabschiedet 1919 die Reichsverfassung, die auch Grundrechte und Grundpflichten festlegt. Eine besondere<br />
weitere Leistung ist die Fortführung des Arbeits- und Sozialrechts, vor allem die Arbeitsgerichtsbarkeit und<br />
die Arbeitslosenversicherung.<br />
2. Nationalsozialismus, 1933 bis 1945<br />
Adolf Hitlers Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei hatte 1930 und 1932 große Wahlerfolge errungen.<br />
1933 wird Hitler von Reichspräsident von Hindenburg <strong>zu</strong>m Reichskanzler ernannt. Sofort werden die Grundrechte<br />
außer Kraft gesetzt. Durch eine Reihe von Gesetzen, insbes. durch das Ermächtigungsgesetz (1933), wird<br />
die Reichsregierung <strong>zu</strong>r Gesetzgebung und sogar <strong>zu</strong>r Verfassungsänderung ermächtigt, werden die politischen<br />
Parteien, außer der NSDAP, verboten, die Gewerkschaften zerschlagen und die Länder beseitigt. Das Recht wird<br />
<strong>zu</strong> einem Instrument <strong>zu</strong>r totalen Herrschaft. Währenddessen bleibt der Text der Weimarer Reichsverfassung äußerlich<br />
unangetastet.<br />
Im Strafrecht werden das Rückwirkungsverbot und das Analogieverbot des Besonderen Teils aufgehoben. Der<br />
Volksgerichtshof und weitere Sondergerichte werden eingerichtet. 1935 ergehen die Nürnberger Gesetze gegen<br />
die Juden. Politische Gegner (vor allem Kommunisten, Sozialdemokraten und engagierte Christen), Juden, Angehörige<br />
besetzter Staaten, Geisteskranke und andere Personengruppen werden millionenfach nach Plan umgebracht.<br />
Der 1939 von Hitler-Deutschland in voller Absicht begonnene Krieg läßt nach sechs Jahren fast 100 Millionen<br />
Verletzte, Vermißte und Tote <strong>zu</strong>rück.<br />
3. Besat<strong>zu</strong>ngszeit, 1945 bis 1949<br />
Die Alliierten zerteilen Deutschland in vier Besat<strong>zu</strong>ngszonen, stellen weitere Gebiete unter polnische, sowjetische<br />
und französische Verwaltung und schaffen einen Sonderstatus für <strong>Berlin</strong>. In den Nürnberger Prozessen ab<br />
1945 verurteilen sie Hauptkriegsverbrecher und verbrecherische Organisationen. Alle Deutschen werden einer<br />
Entnazifizierung unterzogen. Gesetze mit nationalsozialistischem Inhalt werden aufgehoben. Infolge der Ost-<br />
West-Spannung trennen sich die drei Westzonen und die sowjetische Besat<strong>zu</strong>ngszone. 1948 erfolgen in West<br />
und Ost Währungsreformen mit einem Verlust von 9/10 aller privaten Ersparnisse.<br />
4. Zwei deutsche Staaten, 1949 bis 1990<br />
1949 verabschiedet der Parlamentarische Rat das Grundgesetz, und damit wird die Bundesrepublik Deutschland<br />
gegründet, während im selben Jahr die Verfassung der DDR beschlossen wird. 1957 wird die EG gegründet.<br />
1990 erfolgt die Vereinigung der getrennten deutschen Staaten.<br />
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16. TEIL<br />
DIGESTENEXEGESE<br />
KAPITEL 1. DER SINN DER ÜBUNG<br />
„Exegese“ (griechisch) ist die Auslegung und Erklärung eines Textes, und die Digesten sind derjenige Teil des<br />
Corpus Iuris, der die Auszüge aus den Schriften der römischen Juristen enthält. Die Digestenexegese meint<br />
demnach die Auslegung eines bestimmten Textteils aus den Schriften eines römischen Juristen, eines Textteils,<br />
der im Corpus Iuris überliefert ist. Es geht dabei darum, die Arbeit des römischen Juristen deutlich <strong>zu</strong> machen.<br />
Die römischen Juristen haben das Recht vorwiegend in der Form des Fallrechts weiterentwickelt, indem sie ganz<br />
knapp einzelne Sachverhalte beschrieben, juristisch lösten und die Lösung kurz begründeten. Der Hauptteil der<br />
modernen Exegese besteht nun darin, für die antike Fall-Lösung eine ausführlichere Begründung <strong>zu</strong> liefern,<br />
<strong>zu</strong>mal viele Fälle (wie z. B. Pomp. D. 19, 2, 52) ganz ohne Begründung überliefert sind.<br />
Die Exegese hat insoweit Ähnlichkeit mit der modernen Fall-Lösung, als für einen bestimmten Sachverhalt über<br />
einzelne Argumentationen eine Lösung herbeigeführt werden muß. Die Hauptunterschiede bestehen darin, dass<br />
einerseits der antike überlieferte Sachverhalt erst einmal klar herausgearbeitet werden muß, dass andererseits das<br />
Ergebnis, die Lösung, meistens bereits vorgegeben ist, dass aber die Regelungen des römischen Rechts weniger<br />
klar <strong>zu</strong> Tage liegen als die des BGB, sich im Laufe der Zeit veränderten und oftmals kontrovers waren.<br />
KAPITEL 2. MUSTEREXEGESEN<br />
Neuere Werke<br />
Benke - Meissel, Übungsbücher (s. Lit.-Verzeichnis)<br />
H. Hausmaninger, Casebooks (s. Lit.-Verzeichnis)<br />
ders., Das Schadenersatzrecht der lex Aquilia, 5. Aufl., Wien 1996<br />
Fuhrmann - Liebs, Fälle aus dem römischen Recht I (Text), II (Kommentar), Bamberg 1974<br />
M. Rainer, J. Filip-Fröschl, Texte <strong>zu</strong>m römischen Recht, Wien 1998<br />
H. Schlosser u. a., Die rechtsgeschichtliche Exegese, 2. Aufl., München 1993<br />
Wahlfachexaminatorium, hrsg. v. R. Maurach u. a., WEX 12, Römisches Recht, mithrsg. v. F. Sturm,<br />
m. Beiträgen v. H.-P. <strong>Benöhr</strong> u. a., Heidelberg u. a. 1977<br />
U. Wesel, Die Hausarbeit in der Digestenexegese, 2. Aufl. München 1973<br />
Jura 1989, 371; JA Übungsblätter 1990, 165; JuS 1964, 451; 67, 128; 80, 202; 85, 878; 88, 627; 90, 388.<br />
Ältere Werke<br />
Blüthgen, Schwenk, Anleitung, <strong>Berlin</strong> 1907<br />
O. Mandowski, Hundert Stellen, 5. Aufl., <strong>Berlin</strong> 1907<br />
J. Müller, Corpus Iuris Civilis ... übersetzt und ... erläutert, Tübingen 1904<br />
P. Posener, Corpus Iuris Exegese, <strong>Berlin</strong> 1902<br />
O. G. Schwarz, Corpus-iuris-Schlüssel, 7. und 8. Aufl., <strong>Berlin</strong> 1935<br />
E. Zitelmann, Digestenexegese, <strong>Berlin</strong>-Grunewald 1925.<br />
Bemerkungen<br />
1. Examensklausuren sind immer anspruchsvoll. Aber die veröffentlichten Musterexegesen überschreiten<br />
diese Anforderungen genauso wie es die üblichen Musterklausuren in juristischen Zeitschriften und Repetitorien<br />
<strong>zu</strong>m modernen Recht tun; lassen Sie sich also nicht verschrecken. Dass die einen wie die anderen gerade wegen<br />
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236
ihrer sorgfältigen Ausarbeitung nützlich <strong>zu</strong>m Einüben der Methode und <strong>zu</strong>r Wiederholung des Stoffen sind, ist<br />
klar.<br />
2. Ein Reihe der genannten Werke können im Büro <strong>Prof</strong>essor <strong>Benöhr</strong> eingesehen und kopiert werden.<br />
KAPITEL 3. HÄUFIGE RECHTSPROBLEME IN KLAUSUREN<br />
Selbstverständlich wird der Studierende keine Liste der üblichen Klausurprobleme erwarten. Vorlesung, Digestenübung<br />
und Fallsammlungen lassen aber Schwerpunkte erkennen, etwa: Handeln des pupillus ohne auctoritas<br />
des Tutors, Haussöhne und Sklaven als Teilnehmer am Rechtsverkehr, insbes. adjektizische Klagen, Kaufvertrag<br />
und Rücktrittsvorbehalte, Darlehen und Sc. Macedonianum, Bürgschaft und Sc. Vellaeanum, Delegation,<br />
Auftrag, lex Aquilia und Noxalhaftung, mancipatio, traditio, rei vindicatio, a. Publiciana und exc. rei venditae et<br />
traditae, Sachverbindung mit Grundstück.<br />
KAPITEL 4. TEXTBEISPIEL POMP. D. 19, 2, 52<br />
D. 19, 2, 52 (Pomp. libro trigesimo primo ad Quintum Mucium). Si decem tibi locem fundum, tu autem<br />
existimes quinque te conducere, nihil agitur: sed et si ego minoris me locare sensero, tu pluris te conducere,<br />
utique non pluris erit conductio, quam quanti ego putavi.<br />
Überset<strong>zu</strong>ng. Pomponius im 31. Buch <strong>zu</strong> Quintus Mucius. Wenn ich dir ein Landgut für zehn Goldstücke<br />
verpachte, du aber glaubst, du würdest es <strong>zu</strong> fünf Goldstücken pachten, ist das Rechtsgeschäft nichtig. Aber auch<br />
wenn ich meine, für weniger <strong>zu</strong> verpachten, du für mehr <strong>zu</strong> pachten meinst, wird der Pachtvertrag nicht <strong>zu</strong> mehr<br />
abgeschlossen sein als <strong>zu</strong> dem Betrag, den ich angenommen habe.<br />
KAPITEL 5. ALLGEMEINE HINWEISE<br />
Man muss sich als erstes über die Juristen, die im Zusammenhang mit der Quellenstelle genannt werden (hier:<br />
Pomponius und Quintus Mucius), orientieren. Außerdem ist es für die Bedeutung einer Quelle nicht unwichtig,<br />
in welchem Zusammenhang sie ursprünglich stand und wo sie im Corpus Iuris ihren Sitz hat (Buch 19, Titel 2<br />
der Digesten behandelt die locatio conductio). Nur selten wird von der Bearbeiterin oder dem Bearbeiter<br />
verlangt, <strong>zu</strong> prüfen, ob der im Corpus Iuris überlieferte Text im Wesentlichen aus der klassischen Zeit stammt<br />
oder ob es Anzeichen für nachklassische Textveränderungen, d. h. insbesondere für Interpolationen, gibt.<br />
Zusätzlich wird häufig ein Vergleich zwischen römischem und modernem deutschen Recht erwartet.<br />
Vorsicht: Hier wie bei allen Prüfungsaufgaben ist der Wortlaut der Aufgabe entscheidend. Sehr oft heißt es kurz:<br />
„Schreiben Sie eine Exegese“. Zur Lösung einer solchen Aufgabe müssen Sie die in der gleich folgenden<br />
Gliederung genannten Punkte behandeln.<br />
In anderen Klausuren werden einzelne Fragen gestellt. Dann müssen sie genau und ausführlich auf diese Fragen,<br />
die in der Aufgabe gestellt sind, eingehen. Die Fragen werden meistens von dem Aufgabensteller gegeben, um<br />
Ihnen die Auslegung der Stelle und den Aufbau Ihrer Exegese <strong>zu</strong> erleichtern. Wenn nichts da<strong>zu</strong> gesagt ist, ist die<br />
Reihenfolge der Fragen für Ihre eigene Ausarbeitung nicht verbindlich. Sicherheitshalber würde ich bei der<br />
Lösung jeweils vermerken, etwa: „Damit ergibt sich als Antwort auf Frage 1, dass ...“<br />
30. September 2011<br />
237
KAPITEL 6. GLIEDERUNGSPUNKTE<br />
Es gibt ein ganz grobes allgemein übliches Schema, bestehend aus den folgenden Punkten, die sogleich erläutert<br />
werden.<br />
I. Aufgabe<br />
1. Quelle<br />
2. Überset<strong>zu</strong>ng<br />
II. Inskription<br />
1. Der in der Inskription genannte Jurist (z. B. Pomponius)<br />
2. Das genannte Werk (z. B. die libri ad Quintum Mucium)<br />
3. Weitere in der Stelle genannte<br />
1. Juristen (z. B. Quintus Mucius) und<br />
2. ihre Werke (das Ius civile des Quintus Mucius)<br />
4. Stellung im Corpus Iuris Civilis (Locatio conductio)<br />
III. Herausarbeitung des Sachverhalts,<br />
gegebenenfalls Unterteilung in einzelne Handlungsabschnitte (Satz 1, Satz 2)<br />
IV. Rechtsfragen<br />
V. Hinweise <strong>zu</strong>m geltenden Recht.<br />
Aber für die Ausfüllung der einzelnen Abschnitte gibt es praktisch keine allgemeinen Regeln. Wenn Sie sich die<br />
Musterlösungen ansehen, werden Sie bemerken, in welch' verschiedener Weise die Autoren vorgegangen sind.<br />
Auch bei der mündlichen Digesten-Exegese werden Sie bemerken, wie unterschiedlich man die einzelnen<br />
Fragmente behandelt. Das bedeutet für die Bearbeiterin und den Bearbeiter auf der einen Seite, dass Sie weniger<br />
Rezepte für das Herangehen an einen Fall bekommen. Es befreit Sie aber auf der anderen Seite von dem Zwang,<br />
bestimmte Regeln anwenden <strong>zu</strong> müssen, und von der Angst vor dem Vorwurf eines verfehlten Aufbaus, solange<br />
die Gedankenführung verständlich ist. Schließlich ist darauf hin<strong>zu</strong>weisen, dass Sie, genauso wie bei anderen<br />
Klausuren, jedes einzelne Wort Ihres Fragments berücksichtigen müssen.<br />
I. Aufgabe, 1. Quelle. Wird vorgegeben.<br />
KAPITEL 7. ERLÄUTERUNGEN ZUR INSKRIPTION<br />
I. 2. Überset<strong>zu</strong>ng. Für die Klausur zwar vorgegeben, aber für die Interpretation wird es gelegentlich erforderlich<br />
sein, sich um den Originaltext <strong>zu</strong> bemühen. Für die Hausarbeit muß eine eigene Überset<strong>zu</strong>ng angefertigt werden,<br />
hierbei helfen die oben angegebenen <strong>Dr</strong>uckausgaben.<br />
II. Inskription. Die Inskription ist der Anfang der Quellenstelle mit Angabe der Fundstelle in den<br />
justinianischen Digesten, des klassischen Autors und seines Werkes. Im gegebenen Fall also: D. 19, 2, 52<br />
(Pomp. libro trigesimo primo ad Quintum Mucium), auf deutsch: Pomponius im 31. Buch <strong>zu</strong> Quintus Mucius.<br />
Die Ausführungen <strong>zu</strong> diesem Abschnitt der Klausur verlangen eine nicht unerhebliche Gedächtnisleistung aus<br />
dem Bereich der Rechtsgeschichte, sollen aber vom Kandidaten wie vom Prüfer nicht überbewertet werden.<br />
II. 1. Der in der Inskription genannte Jurist. Die eleganteste Zwischenüberschrift begnügt sich einfach mit dem<br />
Namen des betreffenden Juristen, also schlicht z. B. "Pomponius". Kenntnisse über die wichtigsten Juristen und<br />
ihre Werke werden in der Vorlesung und den Büchern über römische Rechtsgeschichte vermittelt. Hinweise auf<br />
die angesehensten und (für die Vorbereitung auf das Examen nicht unwichtig) am häufigsten in den Digesten<br />
vertretenen Juristen finden Sie oben in diesem Begleittext. Besonders wichtig sind die Schaffensperiode (Früh-,<br />
Hoch-, Spätklassik), die Bedeutung des Juristen in der Rechtswissenschaft und Lehre, sowie eventuelle Funktionen<br />
des Juristen in der Staatsverwaltung. Aber belasten Sie ihr Gedächtnis nicht <strong>zu</strong> sehr mit diesen Details.<br />
Wenn in Ihrem Text republikanische oder frühklassische Juristen genannt werden, kann eventuell Ihr Hinweis<br />
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238
auf das Enchiridium des Pomponius (D. 1, 2, 2, etwa ab § 39) einen guten Eindruck auf den Korrektor machen.<br />
Sextus Pomponius, Zeitgenosse des Gaius und des Iulian, also <strong>zu</strong>r Zeit der Kaiser Hadrian (117 - 138)<br />
und Kaiser Mark Aurels (161 - 180). Sonst ist nichts über ihn bekannt, also wohl keine Staatsämter. War einer<br />
der fruchtbarsten Schriftsteller, u. a. verfasste er das Enchiridium (Handbuch) = Dig. 1, 2; Schriften <strong>zu</strong> Sabinus,<br />
Quintus Mucius (aus diesen stammt das vorliegende Fragment) und Plautius sowie ad edictum, de senatus<br />
consultis, de stipulationibus, de fidei commissis, Epistolae, variae lectiones. Pomponius wird auch häufig von<br />
anderen zitiert. Fast 600 Exzerpte in den Digesten.<br />
II. 2 a. Das genannte Werk. Die beste Zwischenüberschrift besteht einfach in dem Titel des betreffenden<br />
Werks (z. B. "Die Libri ad Quintum Mucium des Pomponius“). Es werden eine Aufzählung der Hauptwerke des<br />
Juristen (Liste am Ende der üblichen Digesten-Ausgabe) und eine Charakterisierung des zitierten Werkes (z. B.<br />
Erläuterung des ius civile) erwartet.<br />
Auch hier brauchen Sie sich nicht als Gedächtniskünstler <strong>zu</strong> erweisen: sooo viele Punkte sind für diesen Teil der<br />
Exegese nicht <strong>zu</strong> gewinnen. Prägen Sie sich ein, was die Werke ad edictum (Kommentare <strong>zu</strong>m Edikt des<br />
Praetors) sind, ad Quintum Mucium und ad Sabinum (nämlich: Zivilrechtsbücher), quaestiones („Fragen“, d. h.<br />
meist kontroverse Rechtsprobleme), responsa („Antworten“, d. h. Gutachten), digesta etc.<br />
II. 2 b. Zusammenhang der Stelle im Gesamtwerk des Juristen. Hierauf kann nur in einer Hausarbeit mit<br />
Hilfe von Lenels Palingenesie, nicht in einer Klausur, eingegangen werden. Die Palingenesie zeigt z. B., dass<br />
Pomponius in dem genannten 31. Buch <strong>zu</strong> Quintus Mucius im Wesentlichen vom Kauf, also von einer der Miete<br />
durchaus verwandten Materie, gehandelt hat.<br />
II. 3. Weitere Juristen und ihre Werke. Falls in der Stelle weitere Juristen genannt werden (hier Quintus Mucius),<br />
die z. B. derselben oder anderer Ansicht sind, ist auf diese ein<strong>zu</strong>gehen, wenn man etwas von ihnen weiß.<br />
II. 4 a. Stellung im Corpus Iuris Civilis. Hier ist kurz der Zusammenhang im Corpus iuris (z. B. locatio<br />
conductio, d. h. Miete und Pacht, Werkvertrag und Dienstvertrag) an<strong>zu</strong>geben (ergibt sich aus der Überschrift<br />
<strong>zu</strong>m Buch und Titel in den Digesten in der üblichen Digesten-Ausgabe). In einer Hausarbeit ist fest<strong>zu</strong>stellen, ob<br />
der Zusammenhang im Originalwerk und im Corpus Iuris derselbe ist oder nicht. Dabei zeigt sich für D. 19, 2,<br />
52, dass der Zusammenhang, aus dem das Fragment ursprünglich stammt, und derjenige, in dem es jetzt steht, im<br />
Wesentlichen der gleiche ist.<br />
II. 5. In diesem Teil der Arbeit ist der geeignetste Platz, um etwas über die weitere Einordnung des Fragments <strong>zu</strong><br />
sagen: ob etwa das Rechtsproblem Gegenstand einer Diskussion unter den Juristen, vielleicht verschiedener<br />
Generationen oder "Schulen", gewesen sein kann, und ob es sich eher um einen Schulfall oder um ein Gutachten<br />
<strong>zu</strong> einem wirklich geschehenen Fall gehandelt haben könnte.<br />
KAPITEL 8. SACHVERHALT<br />
Nachdem bisher nur Vorfragen behandelt wurden, kommt man nun <strong>zu</strong>r ersten Hauptfrage, nämlich:<br />
III. Herausarbeitung des Sachverhalts.<br />
1. Diese Arbeit ist wichtig, weil nur für einen klaren Sachverhalt die da<strong>zu</strong> gehörenden Rechtsfragen richtig<br />
gestellt und beantwortet werden können.<br />
2. Eine besondere Schwierigkeit besteht in der sauberen Trennung des Sachverhalts von den Rechtsansichten,<br />
weil in den Texten Sachverhalt und Rechtsansichten sehr oft miteinander vermischt sind. Dieser Teil der<br />
Aufgabe ist eine wichtige Vorbereitung für die spätere Praxis des heutigen Studenten, weil auch später Sach- und<br />
30. September 2011<br />
239
Rechtsfragen häufig wie ein Brei miteinander vermischt sind und vom Juristen getrennt werden müssen wie das<br />
Gelbe und das Weiße vom Ei.<br />
a) Doch gilt es auch hier, das rechte Maß <strong>zu</strong> halten und <strong>zu</strong> erkennen, wenn mit einem Rechtsbegriff wie z. B.<br />
Verkaufen oder Verpachten das rechtliche wie auch das tatsächliche Geschehen umschrieben wird.<br />
b) Manchmal ist ein Sachverhaltselement auch in der Rechtsfrage versteckt. In einer bestimmten Digesten-<br />
Stelle fragt <strong>zu</strong>m Beispiel der Jurist: „ob er <strong>zu</strong> besitzen aufhört“, und geht damit davon aus, dass <strong>zu</strong>vor die<br />
betreffende Person überhaupt den Besitz erlangt hat, was aber nicht ausdrücklich gesagt worden ist.<br />
3. Die Erfassung des Sachverhalts ist deshalb schwierig, weil die überlieferten Angaben extrem kurz sind.<br />
a) Hier kommt es auf jedes einzelne Wort an. Wenn es z. B. heißt, „jemand hat ein fremdes Grundstück<br />
gekauft“, dann ist damit gemeint, dass dieses Grundstück auch für den Verkäufer „fremd“ war, dass also neben<br />
Verkäufer und Käufer noch ein <strong>Dr</strong>itter, der wirkliche Eigentümer, im Spiel ist. Oder wenn etwa gesagt wird, eine<br />
Person habe einen bestimmten Umstand „geglaubt“, dann bedeutet das auch, dass in Wirklichkeit dieser<br />
Umstand gerade nicht gegeben war.<br />
b) Sehr oft muß ein Sachverhaltsteil ergänzt werden. Wenn der Jurist beispielsweise den Rückgriff des<br />
Bürgen gegen den Hauptschuldner behandelt, ist davon aus<strong>zu</strong>gehen, dass eine wirksame Hauptschuld bestand,<br />
dass der Bürge einen Bürgschaftsvertrag mittels Stipulation mit dem Gläubiger abgeschlossen hat, dass der<br />
Bürge daraufhin den Gläubiger befriedigt hat etc.<br />
Hier, in D. 19, 2, 52, besteht der Sachverhalt in der ersten Fallvariante einfach in Folgendem: "Ego verpachtet<br />
dem Tu ein Landgut. Ego schließt den Vertrag für zehn Goldstücke ab, Tu aber meint, dass der Pachtzins fünf<br />
Goldstücke betrage." Entweder schon bei der Herausarbeitung des Sachverhalts oder erst im Rahmen der<br />
eigentlichen Interpretation ist auf ergän<strong>zu</strong>ngsbedürftige Lücken des Sachverhalts o. ä. hin<strong>zu</strong>weisen. Hier z. B. ist<br />
die Frage auf<strong>zu</strong>werfen: "Es wird nicht gesagt, ob auch Ego sich irrt. Der Wortlaut im ersten Satz deutet eher<br />
darauf hin, als wenn der Vertrag von Ego wirklich für zehn Goldstücke abgeschlossen worden sei und sich nur<br />
Tu geirrt hätte. Der zweite Satz hingegen kann so verstanden werden, als hätte sich jeder der beiden geirrt."<br />
c) Nicht selten hängt vom richtigen Verständnis des Sachverhalts die richtige rechtliche Erörterung ab. Oft ist<br />
heute auch der genaue Sachverhalt kontrovers. Nach alledem kann bereits die Herausarbeitung des Sachverhalts<br />
eine wesentliche interpretatorsiche Leistung bedeuten.<br />
d) Zuweilen ergibt sich ein Sachverhaltsbestandteil erst aus der Lösung des Juristen, wenn z. B. in der<br />
überlieferten Lösung von der a. de peculio die Rede ist, obwohl vorher nichts von einem Pekulium gesagt<br />
worden ist.<br />
e) Dennoch gehören gerade nicht <strong>zu</strong>m Sachverhalt rein juristische Erörterungen, z. B. über die Art des<br />
Abschlusses eines bestimmten Vertrages oder über die Ausgestaltung einer bestimmten Klagformel, oder das<br />
Ergebnis.<br />
f) Hinsichtlich des Sachverhalts gilt die plumpe Faustformel: "guter Glaube ist stets Irrtum". Wenn im<br />
Sachverhalt von "glauben" (putare, existimare) oder "gutgläubig" (bona fide) die Rede ist, hatte der Handelnde<br />
meistens eine Fehlvorstellung: die Wirklichkeit war in Wirklichkeit anders; z. B. ist der Geschäftsgegner in<br />
Wirklichkeit eine andere Person, die Ware ist aus einer anderen Substanz, die Sache steht im Eigentum eines<br />
<strong>Dr</strong>itten etc.<br />
4. Sie sollten den Sachverhalt so detailliert und genau wie möglich beschreiben und sämtliche tatsächlichen<br />
Einzelheiten, die sich nur irgendwie aus dem Fragment entnehmen lassen, aufführen. Die allgemeinere Fassung<br />
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240
(z. B. „das Fragment beschäftigt sich mit der Frage, welche Ansprüche jemand aus einer Bürgschaft hat“) klingt<br />
zwar eleganter, nützt aber nichts für Ihre Subsumtion.<br />
5. Meistens ist die Unterteilung in einzelne Handlungsabschnitte möglich und deswegen auch nötig. Sehr oft<br />
erörtern die Juristen verschiedene Handlungsabschnitte, Sachverhaltsvarianten oder Unterfälle. Diese muß die<br />
Bearbeiterin oder der Bearbeiter klar gegen einander absetzen. Dadurch bekommt der Aufbau eine solide<br />
Struktur, und vor allem gewinnt der Bearbeiter oder die Bearbeiterin einen „Einstieg“ in die Stelle. Der<br />
Bearbeiter sollte aber außerdem darstellen, in welcher Weise die einzelnen überlieferten „Variationen“ mit<br />
einander <strong>zu</strong>sammenhängen.<br />
"Pomponius behandelt zwei Fälle: im ersten Fall verpachtet Ego ein Landgut <strong>zu</strong> zehn Goldstücken, während Tu<br />
meint, den Vertrag <strong>zu</strong> fünf Goldstücken abgeschlossen <strong>zu</strong> haben. Im zweiten Fall liegt es umgekehrt: der<br />
Verpächter Ego nimmt einen niedrigeren und der Pächter Tu nimmt einen höheren Pachtzins an".<br />
Wenn etwa ein Jurist in einer anderen Stelle (z. B. D. 12, 1, 19, 1) davon spricht, dass jemand „Geld darleiht<br />
oder <strong>zu</strong>m Zweck der Erfüllung gibt“ und dass außerdem ein <strong>Dr</strong>itter „fremdes Geld zwecks Darlehensvergabe<br />
gibt“, dann sind diese und weitere in demselben Fragment versteckte Varianten ganz sorgfältig auseinander <strong>zu</strong><br />
halten und dürfen nicht in die Fassung eines einzigen „Sachverhalts“ gepresst werden.<br />
6. Beteiligte Personen. Es dient immer der Klarheit, wenn in diesem Teil der Arbeit die in der Stelle<br />
auftretenden Personen (z. B. der Verpächter Ego oder etwa auch V, der Conductor Tu oder C) kurz bezeichnet<br />
werden. Häufig bleiben in einer Stelle Personen unerwähnt, obwohl sie in dem Fall eine wichtige Rolle spielen.<br />
Wenn z. B. der Jurist den Rückgriff des Bürgen gegen den Hauptschuldner erörtert, steht im Hintergrund der<br />
Gläubiger selbst dann, wenn dieser nicht ausdrücklich im Fall auftritt.<br />
Tip auch für das geltende Recht: vermeiden Sie Fürwörter, geben Sie den Beteiligten Namen (z. B. A, B und C<br />
oder Venditor und Emptor, Ego und Tu, Titius und Maevius).<br />
KAPITEL 9. RECHTSFRAGEN<br />
IV. Rechtsfragen. Das ist der Kern, der weitaus umfangreichste Teil der Aufgabe und der für die Beurteilung<br />
entscheidende Abschnitt der Lösung.<br />
1. Aufbau:Manchmal ist es üblich, vor die eigentliche Erörterung der Rechts-Fragen die Darstellung der<br />
Rechts-Institute, die für das Fragment wichtig sind, <strong>zu</strong> stellen, also z. B. erst einmal abstrakt, losgelöst von<br />
Ihrem Fall, lang und breit über die locatio conductio <strong>zu</strong> sprechen. Der subjektive Vorteil eines solchen Aufbaus<br />
liegt darin, dass der Bearbeiter in aller Ruhe all' sein Wissen in voller Breite auslegen kann. Der entscheidende<br />
Nachteil ist, dass einerseits Überflüssiges erzählt wird, so dass später die Bearbeitungszeit für Wichtiges fehlt,<br />
und dass andererseits die große Gefahr eintritt, dass wichtige Einzelheiten, die für die fundierte eigentliche<br />
Interpretation wesentlich sind, übersehen werden. Wissensdarlegungen, die mit dem Fall kaum mehr etwas <strong>zu</strong><br />
tun haben, werden auch von den meisten Prüfern nicht honoriert.<br />
2. Selbstverständlich hat bei der Erörterung der Rechtsfragen die Stimme des klassischen Autors der<br />
jeweiligen Stelle eine besondere Bedeutung. Man sollte darum klar herausarbeiten:<br />
a) das Rechtsproblem, das der Jurist an dieser Stelle behandelt,<br />
z. B. in Fragment 52 die Wirkung eines Irrtums über die Höhe des Pachtzinses sowie<br />
Gültigkeit, Ungültigkeit, Teilgültigkeit und Inhalt des Pachtvertrages,<br />
b) die Lösung und<br />
30. September 2011<br />
241
c) die Begründung des Juristen, wenn sie überliefert ist. Aber ziemlich oft,<br />
so auch in D. 19, 2, 52, ist die klassische Begründung nicht bekannt.<br />
3. Wie gesagt, kann die Darlegung <strong>zu</strong> den Rechtsfragen ähnlich wie bei einem BGB-Fall aufgebaut werden,<br />
mit dem Unterschied, dass die Lösung bereits vorgegeben ist.<br />
a) Ein weiterer Unterschied <strong>zu</strong> den meisten Aufgaben aus dem geltenden Recht besteht darin, dass man die<br />
wichtigsten Punkte der hauptsächlich in Betracht kommenden Rechtsinstitute und actiones nicht als bekannt<br />
voraussetzen darf, sondern erst kurz beschreiben muß. Bei der Exegese von D. 19, 2, 52 besteht darum die<br />
Gelegenheit, seine Kenntnisse über Abschluß, Inhalt und Formel der locatio conductio der Prüferin und dem<br />
Prüfer vor<strong>zu</strong>führen.<br />
b) Es ist im einzelnen dar<strong>zu</strong>legen, mit welcher actio und auf Grund welcher Vorausset<strong>zu</strong>ngen ein Anspruch<br />
oder eine Einrede gegeben ist oder versagt wird. Hier, in D. 19, 2, 52, kommen, wenn der Pachtvertrag wirksam<br />
ist, die actio conducti auf Überlassung des Grundstücks und die actio locati auf die Pachtzinszahlung in<br />
Betracht.<br />
c) Sorgfältig sind dann die Gründe dar<strong>zu</strong>legen und gegeneinander ab<strong>zu</strong>wägen, welche für und welche gegen<br />
eine bestimmte Lösung sprechen. Solche Gründe werden oft im Originaltext mitgeliefert, oft muß man diese<br />
aber ergänzen oder gänzlich selbst liefern. Im gegebenen Fall also abwägen Wirksamkeit gegenüber<br />
Unwirksamkeit, bona fides, consensus, Vergleich mit anderen Irrtumsfällen, Gedanke, dass das "Weniger" im<br />
"Mehr" enthalten sei, Angemessenheit der Lösung für die beteiligten Personen etc.<br />
Beispielsweise fehlt es im 1. Fall von fr. 52 an der Willensübereinstimmung über die Höhe der Gegenleistung,<br />
kein consensus, wie er für locatio conductio erforderlich ist. Ob es sich dabei um einseitigen Irrtum oder<br />
Irrtümer auf beiden Seiten oder Dissens handelt, ist nicht erkennbar und war wahrscheinlich für die römischen<br />
Juristen auch gleichgültig.<br />
Im zweiten Fall von fr. 52 hingegen besteht ein Teilkonsens, mittels dessen jede Partei diejenige Leistung erhält,<br />
die sie erwartet 640<br />
.<br />
4. Abweichende Ansichten.<br />
a) Viele Fragen waren im römischen Recht kontrovers oder wurden im Laufe der antiken römischen<br />
Rechtsgeschichte unterschiedlich beantwortet. Auf diese Kontroversen und Unterschiede ist so sorgfältig<br />
ein<strong>zu</strong>gehen, wie man es in einer Klausur nur kann. Hierfür bildet der bereits herausgearbeitete Sachverhalt die<br />
unerläßliche Basis. Indizien für Kontroversen und Entwicklungen finden sich oft in den klassischen Texten<br />
(sehen Sie da<strong>zu</strong> die Kapitel über „Juristenkontroversen“, „Rechtsschulen“ und „Literaturformen“).<br />
b) Man erleichtert sich übrigens im römischen wie im modernen Recht die gedankliche Arbeit durch die<br />
Frage: welches andere Ergebnis ist denkbar, welche Argumente könnten die Gegner der überlieferten Ansicht<br />
vorgebracht haben?<br />
c) Es wird aber nicht erwartet, dass Sie Parallelstellen und Gegenmeinungen im Kopf haben und in der<br />
Klausur anführen können.<br />
5. Nicht erörterte Probleme. Es ist gar nicht so selten, dass die überlieferten Lösungen und Begründungen<br />
nicht vollständig sind, sondern weitere Aspekte ausblenden. Die heutige Bearbeiterin und der heutige Bearbeiter<br />
sollten auch diese übergangenen Teile behandeln. Wenn z. B. drei Personen in dem Fall beteiligt sind, aber nur<br />
die Rechtsbeziehungen zwischen zwei bestimmten Personen von dem Juristen behandelt werden, oder wenn nur<br />
640<br />
K I 239 m Anm 19 und 20.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
242
die schuldrechtliche, nicht die sachenrechtliche Seite eines Falles oder nur der deliktsrechtliche, nicht der<br />
vertragliche Aspekt dargelegt werden.<br />
6. Einzelne Begriffe. Da die Interpretation einzelne Rechtsbegriffe betrifft, in Fragment 52 z. B. locatio<br />
conductio, muss man auch deswegen neben der Überset<strong>zu</strong>ng den lateinischen Text im Auge behalten. Das ist<br />
vor allem dann wichtig, wenn für einen Rechtsvorgang unterschiedliche Institutionen des römischen Rechts in<br />
Frage kommen, für die Übereignung z. B. mancipatio, in iure cessio und traditio. In der Exegese sollen meistens<br />
auch kurz die für den Fall wesentlichen Rechtsinstitute erklärt werden.<br />
7. Im Rahmen des soeben Erklärten soll man seine Kenntnisse des römischen Rechts ausbreiten. Aber hier<br />
wie auch sonst ist es überflüssig, Wissen ab<strong>zu</strong>laden, das sich <strong>zu</strong> weit von dem Kern der eigentlich relevanten<br />
Rechtsfragen entfernt.<br />
8. Interpolationen. Es ist nicht Aufgabe einer Klausur, sich auf "Interpolationenjagd" <strong>zu</strong> begeben.<br />
Ausnahmsweise ist in dem bekanntesten Fall auf die Interpolationenfrage ein<strong>zu</strong>gehen, nämlich bei der<br />
Übereignung, weil die mancipatio von Justinian durch die traditio ersetzt wurde. Selbstverständlich sind<br />
entsprechende Fragen <strong>zu</strong> beantworten, wenn sie in der Aufgabe ausdrücklich gestellt werden.<br />
V. Bei der Digesten-Exegese soll man versuchen,<br />
- die Struktur des Fragments <strong>zu</strong> erkennen,<br />
sie auch in den eigenen Ausführungen nach<strong>zu</strong>zeichnen<br />
und ihr seinen eigenen Gedankengang an<strong>zu</strong>passen, z. B.<br />
- verschiedene Sachverhalte und ihre Verknüpfung (Regel / Einschränkung / Erweiterung / Ausnahme,<br />
Ähnlichkeit, Differenzierungen, Gegensätze).<br />
- Auch vielleicht verschiedene Sach- und Rechtsverhalte selbst bilden,<br />
um Grund- oder Normal- oder Ausgangs-Fall <strong>zu</strong> erfassen<br />
und dann die Varianten schärfer <strong>zu</strong> sehen.<br />
- Der Rechtsfrage des Gutachtenanfragenden oder des römischen Juristen nachgehen:<br />
ob sie ausdrückl gestellt ist oder ob sie sich aus dem Zusammenhang ergibt.<br />
Anders gesagt: Worauf kommt es in dieser Stelle an, warum?<br />
- Rechtsanwort<br />
- Begründung.<br />
KAPITEL 10. GEDANKEN ZUM GELTENDEN RECHT<br />
VI. Hinweise <strong>zu</strong>m geltenden Recht. Achten Sie auch hier<strong>zu</strong> auf die Klausur-Frage.<br />
1. Manchmal wird im Unterricht und in den Musterexegesen ein kleinkarierter Vergleich zwischen<br />
römischem und geltendem Recht erwartet, etwa eine „Lösung des Falles nach geltendem Recht“.<br />
2. Ein bisschen intelligenter ist es schon, wenn nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen beiden<br />
Rechtsordnungen gefragt wird.<br />
3. Historisch noch besser ist es, die Entwicklung der in der Digestenstelle bedeutsamen Rechtsinstitute vom<br />
römischen bis <strong>zu</strong>m geltenden Recht nach<strong>zu</strong>zeichnen, so gut es eben in einer Klausur ohne Hilfsmittel möglich<br />
ist.<br />
30. September 2011<br />
243
4. Der Vergleich wird noch interessanter, wenn die Gemeinsamkeiten und Unterschiede begründet werden<br />
können und wenn da<strong>zu</strong> auf das völlig veränderte Umfeld eingegangen wird (Religion, Familie,<br />
Sozialverhältnisse, Wirtschaft, Staatsverfassung, Recht etc.).<br />
5. Am besten ist es, die Punkte 1 bis 4 <strong>zu</strong>sammen<strong>zu</strong>fassen. Also achten Sie auch <strong>zu</strong> diesem Punkt auf die<br />
Aufgabenfrage und bedenken Sie dabei für Ihre Zeiteinteilung, dass dieses nicht der wichtigste Teil für die<br />
Punktevergabe für Ihre Exegese ist.<br />
Zu D. 19, 2, 52 wäre im einzelnen aus<strong>zu</strong>führen, dass die beiden Sachverhalte unter Anwendung des BGB schon<br />
deswegen nicht ohne weiteres <strong>zu</strong> lösen sind, als die Stelle nicht erkennen läßt, ob es sich um Fälle des einseitigen<br />
Irrtums, der Irrtümer beider Vertragsschließenden oder des Dissenses handelt. Davon abgesehen sind die<br />
Unterschiede zwischen dem Nihil agitur und dem Anfechtungsrecht für die erste Alternative sowie zwischen der<br />
Aufrechthaltung des Vertrages und der Anfechtungsfolge für die zweite Alternative bedenkenswert. Auch auf §<br />
139 wäre hin<strong>zu</strong>weisen.<br />
KAPITEL 11. ALLGEMEINE FRAGEN IN DER KLAUSUR<br />
Sehr oft werden in der Klausur weitere Fragen gestellt, die nicht <strong>zu</strong>r eigentlichen Exegese gehören.<br />
1. Diese Fragen können einen Zusammenhang mit der Exegese haben, z. B. den dort genannten Juristen, die<br />
Literaturgattung (z. B. libri ad Sabinum) oder ein Rechtsinstitut (locatio conductio) betreffen.<br />
2. Sie können stattdessen ohne eine sichtbare Verbindung <strong>zu</strong> der Stelle sein und etwa ganz allgemein "die<br />
Stellung des Praetors" <strong>zu</strong>m Gegenstand haben. Derartige Probleme werden hauptsächlich in der Vorlesung und<br />
in den Büchern <strong>zu</strong>r römischen Rechtsgeschichte erörtert.<br />
3. Es gibt da<strong>zu</strong> meistens eine weitere Zusatzfrage, die gar nicht <strong>zu</strong>m römischen Recht gehört, sondern <strong>zu</strong><br />
anderen Teilen der Rechtsgeschichte, z. B. eine allgemeinere Frage <strong>zu</strong>m 19. oder 20. Jahrhundert.<br />
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17. TEIL<br />
WÖRTERBÜCHER<br />
KAPITEL 1. FACHAUSDRÜCKE ZUM VERSTÄNDNIS DER RECHTSQUELLEN<br />
accusare anklagen<br />
actio (allgemein: ) Handlung, (im röm. Recht) Klage, Anspruch<br />
actor Kläger<br />
actus contrarius aufhebender Rechtsakt, Aufhebungsvertrag<br />
ad incertam personam an eine unbestimmte Person (gerichtet)<br />
aequitas Billigkeit<br />
ágere fortbewegen; handeln; Klage erheben<br />
animus Wille, Absicht<br />
ante vor(-her)<br />
appelláre ansprechen; eine höhere Behörde anrufen<br />
arbiter Schiedsrichter<br />
auctor Urheber<br />
auctoritas Ansehen, Macht, Ermächtigung<br />
bona fides guter Glaube<br />
boni mores gute Sitten<br />
caput Haupt, Rechtsstellung<br />
casus Fall; Zufall; Begebenheit<br />
causa Ursache, Rechtsgrund; Rechtssache<br />
cautio Sicherheitsleistung<br />
cédere weichen, abtreten; daher Zession = Abtretung<br />
cessáre nicht stattfinden, enden<br />
civilis den Bürger (civis) betreffend<br />
clausula besondere Bestimmung<br />
codex Notizbuch, Geschäftsbuch, Gesetzbuch<br />
condemnare verurteilen<br />
condicio Bedingung<br />
condictio (ursprünglich: Prozessankündigung,<br />
im klass. Recht:) eine besondere Klagart<br />
consensus Willensübereinstimmung, Zustimmung<br />
consilium Beratung<br />
constitutio Rechtsvorschrift<br />
consuetudo Gewohnheit<br />
contractus Vertrag<br />
(das!) corpus (neutr.) der Körper, die Sammlung<br />
creditor Gläubiger<br />
crimen Verbrechen (strafrechtlich, im Gegensatz <strong>zu</strong>m zivilrechtlichen delictum)<br />
culpa Schuld allgemein; Fahrlässigkeit<br />
cura Sorge, Fürsorge, Sorgfalt, Pflegschaft<br />
custodia Bewachung, Haftung (des Verkäufers) für Bewachung<br />
damnare verurteilen<br />
debére müssen; schuldig sein<br />
debitor Schuldner (debére = schulden)<br />
30. September 2011<br />
245
decídere entscheiden<br />
deféndere abwehren, verteidigen<br />
delegáre anweisen<br />
delictum (zivilrechtlich) unerlaubte Handlung<br />
derogare (ein Gesetz) aufheben<br />
detentio Innehabung (kein eigentlicher Besitz im Rechtssinne)<br />
digesta (pl.!) = pandectae Gesamtdarstellung des ius civile oder ius honorarium<br />
diligens pater familias ordentlicher Hausvater<br />
diligentia Sorgfalt<br />
diligentia quam in suis die Sorgfalt, die jemand in eigenen<br />
(rebus adhibere solet) (Angelegenheiten an<strong>zu</strong>wenden pflegt)<br />
dolus Arglist<br />
dominus Herr<br />
donare schenken<br />
dos Heiratsgut, Mitgift von seiten der Ehefrau für den Ehemann<br />
edictum öffentliche Bekanntmachung<br />
emancipatio Entlassung aus der väterlichen Gewalt (manus - Hand; väterliche Gewalt)<br />
émere, emptio venditio kaufen, Kaufvertrag<br />
evíctio erfolgreiche Herausgabeklage<br />
exceptio Einrede, Einwendung<br />
fideicommissum letztwillige Zuwendung in Form einer Bitte<br />
fideiussio Bürgschaftsstipulation: Bürge nimmt Hauptverpflichtung auf seine Treue<br />
fides Vertrauen, Redlichkeit, Treue<br />
fiducia Vertrauen, Redlichkeit, Treue, Treuhandgeschäft<br />
fiscus Steuerstaat<br />
fraus, -dis (f.) betrügerisches Verhalten<br />
fraus legi facta Gesetzesumgehung<br />
fur Dieb<br />
furiosus Geisteskranker<br />
gens, -tis Sippe, Volk (ius gentium = Völkerrecht)<br />
genus Gattung<br />
heres Erbe<br />
hypotheca Pfand (meistens besitzlos)<br />
impubes unmündig (vor 12. bzw. 14. Jahr bzw. Geschlechtsreife bzw. unter Tutor)<br />
infans Kind unter 7 Jahren<br />
iniuria Unrecht<br />
institor Geschäftsführer<br />
institutiones Einrichtungen; Rechtseinrichtungen<br />
(jurist. Lehrbuch; 1. Teil des Corpus Iuris Justinians)<br />
intentio Anspruchsumschreibung in der Klagformel<br />
intercessio Dazwischentreten:<br />
Sicherungsgeschäft (z.B.einer Frau); Veto eines Beamten oder Volkstribunen<br />
interesse wörtl.: „dazwischen sein“, Differenz, Vermögensinteresse, Schadenersatz<br />
ignorantia Unwissenheit<br />
iubére anordnen, ermächtigen<br />
iudex Richter<br />
iuris dictio Gerichtsbarkeit<br />
ius das Recht<br />
legatum Vermächtnis<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
246
lex Gesetz<br />
liber frei; Kind<br />
locatio conductio Vermietung, Dienstvertrag, Werkvertrag<br />
magistratus Amtsinhaber<br />
mala fides böser Glaube, Unredlichkeit<br />
mancipare in bestimmter förmlicher Form übereignen<br />
mandatum Auftrag<br />
maritus Ehemann<br />
matrimonium Ehe<br />
minor kleiner; Minderjähriger zwischen pubertas und 25 Jahren mit Curator<br />
mora Ver<strong>zu</strong>g<br />
natio Volksstamm, Abstammung<br />
naturalis obligatio natürliche Verbindlichkeit<br />
neglegentia Fahrlässigkeit<br />
negotiorum gestio Geschäftsführung (ohne Auftrag)<br />
negotium Angelegenheit, Geschäft, Rechtsgeschäft<br />
nomen Namen; Forderungsrecht<br />
non liquet „Die Sache ist nicht klar“, der Richter kann deshalb nicht entscheiden.<br />
novatio Novation, Schuldumschaffung<br />
Novellae leges (fem., plural.) die neuen Gesetze (4. Teil des Corpus Iuris civilis)<br />
noxa, noxia Schadenshandlung, Schaden, Schadenersatz<br />
(insbes. durch Gewaltunterworfene)<br />
obligatio Verbindlichkeit<br />
officium Pflicht, Amtspflicht<br />
opera Dienstleistung, Arbeit<br />
opinio Meinung<br />
oportére müssen, notwendig sein<br />
opus (Bau-)-Werk, Arbeit<br />
pactum, pacta Vertrag, Verträge<br />
pater familias Hausvater<br />
pax Friede<br />
peculium Sondervermögen für Haussohn oder Sklaven<br />
pétere bitten, verlangen, einklagen<br />
pignus (Faust-)-Pfand<br />
placet es gefällt<br />
plebiscitum Volksbeschluss<br />
plebs, -bis (f.) Volk (ohne die Patrizier)<br />
poena Strafe<br />
populus Staatsvolk (mit Patriziern und Plebejern)<br />
possessio Besitz<br />
postuláre verlangen (insbesondere im Klageweg)<br />
praeses oberster Provinzstatthalter; daher: Präsident<br />
praesumptio Vermutung<br />
princeps der erste, angesehenste; Kaiser<br />
privilegium Vorrecht<br />
procurator Vermögensverwalter, Prozessvertreter<br />
promíttere versprechen<br />
proprietas Eigentum<br />
provocare hervorrufen, aufrufen; aufreizen; Berufung einlegen<br />
pubes mündig (über 12 bzw 14 Jahre bzw Geschlechtsreife, da<strong>zu</strong> curator)<br />
publicus, -a, -um öffentlich<br />
30. September 2011<br />
247
pupillus Unmündiger (unter 12 bzw 14 Jahren bzw Geschlechtsreife, da<strong>zu</strong> tutor)<br />
rei vindicatio Herausgabeklage (ähnlich § 985)<br />
replicatio Erwiderung auf eine Klage oder eine Einrede<br />
res publica öffentliche Angelegenheit; Staat (daher: Republik)<br />
restitutio in integrum Aufhebung einer Rechtsfolge, Wiedereinset<strong>zu</strong>ng in den vorigen Stand<br />
reus Angeklagter, Gläubiger oder Schuldner<br />
retentio Zurückbehaltung<br />
sacer heilig<br />
sententia Meinung, Urteilsspruch<br />
sequester Verwalter<br />
servitus Sklaverei; Dienstbarkeit<br />
societas Gesellschaft<br />
solutio, solvere Erfüllung, erfüllen<br />
species Stück<br />
stipulári sich in einer bestimmten Form versprechen lassen<br />
talio Vergeltung einer Rechtsverlet<strong>zu</strong>ng durch ein gleichartiges Übel<br />
tutor Vormund<br />
usus Gebrauch, fortgesetzte Ausübung eines Rechts<br />
utilis nützlich;erfolgreich in einem Verfahren<br />
uxor Ehefrau<br />
veto ich verbiete<br />
vindicare als Eigentümer eine Sache herausverlangen<br />
vis Gewalt.<br />
voluntas Wille<br />
votum Gelöbnis; heute: Stimmabgabe<br />
KAPITEL 2. RECHTSMAXIMEN<br />
Accessio cedit principali. Wesentlicher Bestandteil und Zubehör teilen das Schicksal der Hauptsache.<br />
Actor sequitur forum rei. Der Kläger begibt sich <strong>zu</strong>m Gerichtsstand des Beklagten.<br />
Autoritas, non veritas facit legem. Die Staatsgewalt, nicht die Richtigkeit macht das Gesetz (Th. Hobbes, Leviathan).<br />
Caveat emptor. Der Käufer muss sich vorsehen (anglo-amerikanisches Recht).<br />
Cessante ratione legis, cessat lex ipsa. Fällt der Grund eines Gesetzes weg, erlischt auch das Gesetz selbst.<br />
Confessus pro iudicato habetur. Wer anerkannt hat, gilt als verurteilt (vgl. § 307 ZPO).<br />
Contra vim non valet ius. Gegen Gewalt ist das Recht machtlos.<br />
Conventio est lex. Vertrag wirkt wie ein Gesetz.<br />
Dies interpellat pro homine. Termin (der Fälligkeit) wirkt wie Mahnung des Gläubigers.<br />
Fur semper in mora. Der Dieb haftet immer wie ein Schuldner im Ver<strong>zu</strong>g.<br />
In pari turpitudine Bei Sittenwidrigkeit beider Parteien<br />
melior est causa possidentis. ist die Rechtslage der besitzenden Partei die bessere.<br />
Lex iubeat, non disputet. Ein Gesetz soll anordnen, und nicht erörtern.<br />
Lex moneat, non doceat. Ein Gesetz soll anweisen und nicht belehren.<br />
Lex posterior derogat priori. Das spätere Gesetz hebt das frühere auf.<br />
Lex specialis derogat legi generali. Dasspezielle Gesetz hebt das allgemeinere auf.<br />
Magna culpa dolus est. Grobe Fahrlässigkeit gilt als Vorsatz.<br />
Maior dividat, minor eligat. Der Ältere teilt, der Jüngere wählt – bei Gemeinschaftsteilungen.<br />
Malitiis non estindulgendum. Schikanen müssen nicht hingenommen werden.<br />
Nemo iudex in sua causa. Niemand darf Richter in eigener Sache sein.<br />
Nemo liberalis nisi liberatus. Keiner kann freigiebig sein, wenn er nicht schuldenfrei ist.<br />
Nemo plus iuris ad alium transferre Niemand kann mehr an Recht übertragen, als er selbst hat.<br />
potest, quam ipse haberet.<br />
Nemo tenetur se ipsum accusare. Niemand ist verpflichtet, sich selbst an<strong>zu</strong>klagen.<br />
Nemo testis in propria causa. Niemand kann Zeuge in eigener Sache sein.<br />
Prior tempore, potior iure. Zeitlich früher – rechtlich besser („Wer <strong>zu</strong>erst kommt, mahlt <strong>zu</strong>erst“).<br />
Protestatio facto contraria non valet. Eine Rechtserklärung im Widerspruch <strong>zu</strong>m eigenen Handeln gilt nicht.<br />
Qui habet commoda, ferre debet onera. Wer die Vorteile hat muss auch die Lasten tragen.<br />
Quod omnes tangit, Was alle betrifft,<br />
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248
debet ab omnibus approbari. muss von allen gebilligt werden.<br />
Res ipsa loquitur. Die Sache spricht für sich.<br />
Unus testis, nullus testis. Ein Zeuge ist kein Zeuge = Eines Mannes Rede ist keines Mannes Rede.<br />
Utile per inutilem non vitiatur. Das Gültige wird durch Ungültiges nicht beeinträchtigt, § 306 I n. F.; Anders § 139.<br />
Vox populi, vox Dei. Volkes Stimme ist Gottes Stimme.<br />
(D. Liebs, Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, 1. Aufl., München 1982. „Rechtsregeln“ auch bei<br />
Kaser-Knütel, Röm. Privatrecht, Kurzlehrbuch, 17. Aufl., 2003, im „Anhang“. Viele weitere Rechtsmaximen bereits<br />
im vorangehenden Text des Skriptums 641<br />
).<br />
KAPITEL 3. KLEINES WÖRTERBUCH ZUM ALLGEMEINEN VERSTÄNDNIS<br />
Die folgenden Vokabeln wurden gesammelt, damit Sie ein paar, meistens untechnische, Wörter sehen, die in den<br />
lateinischen Texten immer wieder auftauchen.<br />
ab von, aus<br />
abesse abwesend sein<br />
ac und, auch; als<br />
accípere empfangen<br />
ad in Richtung auf, hin, <strong>zu</strong>, bei<br />
adesse gegenwärtig sein<br />
adhibére anwenden<br />
admíttere <strong>zu</strong> etwas <strong>zu</strong>lassen<br />
aes Erz; Kupfergeld, Geld<br />
ager Acker, Landgut<br />
adquírere erwerben<br />
adversus gegen; entgegengesetzt<br />
aedes Gebäude, Tempel<br />
ait (er) sagt<br />
alienare veräußern, entfernen<br />
alienus fremd, einem anderen gehörend<br />
aliquis irgendeiner<br />
aliud anders, ein anderer Gegenstand<br />
amicus Freund<br />
amittere verlieren<br />
an ob; oder<br />
annus Jahr<br />
ante vor(-her)<br />
apud bei<br />
aqua Wasser<br />
argentum Silber<br />
as Kupfermünze<br />
atque und<br />
audire hören<br />
aut oder<br />
autem jedoch, aber<br />
bellum Kireg<br />
bonus gut<br />
cápere nehmen, erwerben<br />
centum hundert<br />
641<br />
Weitere Nachweise FS. A. Wacke, 2001, Lit.-Verz.<br />
30. September 2011<br />
249
certus, -a, -um sicher<br />
ceterus der andere, übrige<br />
circa um, neben, in Be<strong>zu</strong>g auf, gegen<br />
communis allgemein, gemeinsam<br />
contra gegen<br />
crédere glauben<br />
cum mit<br />
cum wenn, weil, während, obgleich<br />
dáre geben<br />
de in Be<strong>zu</strong>g auf; von<br />
decem zehn<br />
deus Gott<br />
dícere sagen<br />
dies Tag, Termin<br />
domus Haus<br />
duo zwei<br />
donec solange bis<br />
dubitare zweifeln<br />
dúcere führen<br />
ego ich<br />
epistula Brief<br />
erat (er) war<br />
est ist<br />
esse sein (Infinitiv)<br />
et und<br />
etiam auch<br />
ex, e aus<br />
exemplum Beispiel<br />
existimare meinen, glauben<br />
fácere machen, tun<br />
filius Sohn<br />
frater Bruder<br />
fúndus Grundstück, Landgut<br />
habére haben<br />
hic dieser; hier<br />
ibi dort<br />
idem derselbe, dasselbe<br />
ideo deshalb<br />
ignoráre nicht wissen<br />
immo sogar<br />
inde von daher<br />
infra unten<br />
intra innerhalb<br />
invicem gegenseitig<br />
invitus nicht wollend, gegen oder ohne Willen des anderen<br />
ipse selbst<br />
ire gehen<br />
is er, derjenige<br />
ita so<br />
locus Ort<br />
loqui sprechen<br />
magis mehr, vielmehr,<br />
magnus groß<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
250
male, malus schlecht<br />
manus Hand<br />
mens Verstand, Absicht, Sinn<br />
metus Furcht<br />
meus mein<br />
mihi mir (= Dativ <strong>zu</strong> ego)<br />
míttere schicken<br />
mos (pl.: mores) Gewohnheit, Sitte<br />
mulier Frau<br />
nam denn<br />
ne damit nicht<br />
nec, neque nicht; und nicht, auch nicht, nicht einmal<br />
nemo niemand<br />
nihil nichts<br />
nisi wenn nicht<br />
nobis uns (Dativ)<br />
nondum noch nicht<br />
noster unser<br />
novus neu<br />
nullus kein, keiner; nichtig<br />
nummus Geldstück<br />
numquam niemals<br />
ob wegen<br />
omnis jeder, alle<br />
pars Teil<br />
pater Vater<br />
pecunia Geld<br />
per durch (Präposition)<br />
periculum Gefahr<br />
perinde ebenso<br />
pertinére sich erstrecken, beziehen auf, gehören <strong>zu</strong><br />
placére gefallen, genehm sein<br />
plerumque meistens<br />
pónere setzen, stellen, legen<br />
posse können<br />
post nach<br />
praeter außer, ausgenommen<br />
pretium Preis<br />
prior früher, vorhergehend<br />
pro für<br />
quáerere suchen, erwerben, fragen<br />
quam als, wie<br />
quamdiu solange wie<br />
quamvis obgleich<br />
quasi gleichsam<br />
quid was<br />
quidam ein gewisser<br />
quis wer<br />
quod was; dass; weil<br />
quoque auch<br />
res Sache, Gegenstand<br />
30. September 2011<br />
251
saepe oft<br />
scríbere schreiben<br />
sed aber<br />
servus Sklave<br />
si wenn<br />
sibi für sich selbst (Dativ)<br />
sine ohne<br />
sub unter<br />
supra oben<br />
suus sein<br />
teneri haften (wörtlich: gehalten sein)<br />
tibi dir (= Dativ <strong>zu</strong> tu)<br />
tres drei<br />
tu du<br />
tunc damals<br />
ubi wo<br />
unde woher<br />
unus ein<br />
ut so wie (Adverb)<br />
ut dass, damit (Konjunktion)<br />
vel oder<br />
véndere verkaufen<br />
veníre kommen<br />
veníre verkauft werden<br />
vir Mann<br />
vita Leben<br />
KAPITEL 4. HEUTE GEBRÄUCHLICHE AUSDRÜCKE<br />
abstrakt losgelöst<br />
Analogie Übertragung der Rechtsfolge eines geregelten Tatbestandes auf<br />
einen mit diesem wertungsgleichen, aber ungeregelten Tatbestand<br />
Anarchie Herrschaftslosigkeit<br />
Aristokratie Adelsherrschaft<br />
Asyl Freistatt<br />
Autarkie wirtschaftliche Unabhängigkeit<br />
Autonomie Unabhängigkeit<br />
Akzessorietät Abhängigkeit der Wirksamkeit eines Sicherungsrechts (z. B. Bürgschaft<br />
oder Pfandrecht) von der Wirksamkeit der gesicherten Forderung<br />
alter ego das zweite Ich (z. B. ein Stellvertreter)<br />
ad incertam personam an eine unbestimmte Person (gerichtet)<br />
argumentum e contrario Umkehrschluss<br />
argumentum e maiore Folgerung vom Größeren<br />
ad minus auf das Kleinere<br />
argumentum e minore Folgerung vom Kleineren<br />
ad maius auf das Größere<br />
argumentum e contrario Folgerung auf das Gegenteil, Umkehrschluß<br />
Autonomie wörtl.: Selbstgesetzgebung<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
252
ellum iustum, iniustum der gerechte, der ungerechte Krieg<br />
bellum omnium contra omnes Krieg aller gegen alle (Th. Hobbes)<br />
Blankettnorm Bestimmung, die allein die Rechtsfolge festlegt,<br />
aber für die Vorausset<strong>zu</strong>ngen auf eine andere Bestimmung verweist<br />
(wichtig §§ 134, 823 II, 903 BGB)<br />
casus belli Kriegsanlaß, Kriegsfall<br />
classis Volksabteilung, Flottenabteilung<br />
ceteris paribus unter sonst gleichen Umständen („das übrige gleichbleibend“)<br />
clausula rebus sic stantibus Vorbehalt Geichbleibens der Verhältnisse,<br />
andernfalls Wegfall der Geschäftsgrundlage<br />
collega Amtsgenosse<br />
communis opinio allgemeine Meinung<br />
contra legem im Widerspruch <strong>zu</strong>m (gesetzten) Recht<br />
Cui bono? Wem kommt es <strong>zu</strong>gute?<br />
culpa in contrahendo Verschulden beim Vertragsschließen (R. von Ihering)<br />
culpa in eligendo Auswahlverschulden<br />
cum laude mit Lob<br />
curriculum (vitae) Laufbahn (Lebenslauf)<br />
de facto tatsächlich<br />
Definition Begriffsbestimmung<br />
Deduktion (logische) Ableitung (des Besonderen vom Allgemeinen)<br />
de iure von Rechts wegen, rechtlich<br />
deklaratorisch klarstellend, bestätigend (dagegen: konstitutiv)<br />
derivativ abgeleitet (z. B. Besitz- oder Eigentumserwerb) (dagegen: originär)<br />
doctor Lehrer, Exerziermeister<br />
do, ut des Ich gebe, damit du gibst; Leistung und Gegenleistung<br />
Dozent Lehrender (docére – lehren)<br />
Exkulpation Entschuldigung (culpa - die Schuld)<br />
Fiktion Annahme eines Umstandes als wahr, der in Wahrheit nicht gegeben sein kann<br />
Glosse (wissenschaftliche) Erklärung, Anmerkung<br />
inter omnes zwischen allen Personen, für und gegen jedermann<br />
inter partes nur zwischen den Vertrags- oder Prozessparteien<br />
iuris dictio Gerichtsbarkeit<br />
ius cogens zwingendes Recht; nicht änderbar durch Rechtsgeschäft<br />
ius dispositivum nachgiebiges Recht (Gegensatz: i. cogens)<br />
kausal ursächlich; abhängig von einer Ursache (s. causa)<br />
konstitutiv rechtsbegründend (dagegen: deklaratorisch)<br />
lege artis nach den Regeln der Kunst<br />
lucrum cessans entgehender Gewinn (vgl. § 252 BGB)<br />
magister legum Meister der Gesetze<br />
magna cum laude mit großem Lob<br />
mare liberum das freie Meer<br />
modus vivendi die Art des Zusammenlebens<br />
Moratorium Zahlungsaufschub<br />
nasciturus derjeniger, der geboren werden wird, die Leibesfrucht<br />
nervus rerum der Nerv der Dinge, oft das Geld<br />
nolens volens (halb) nicht wollend, (halb) wollend<br />
non liquet es ist unklar<br />
obiter dictum nebenher gesagt; Nebenbemerkung in einem Urteil<br />
30. September 2011<br />
253
occasio legis Anlass für ein Gesetz (anders: ratio legis)<br />
originär ursprünglich<br />
p., pagina Seite<br />
Parentel Verwandte, die von derselben Person abstammen<br />
pars pro toto ein Teil für das Ganze; Beispiel<br />
passim überall<br />
pax Friede<br />
petitio principii Zirkelschluß<br />
positives Recht schriftlich niedergelegtes (positus), geltendes Recht<br />
Präambel Gesetzesvorspruch<br />
praeter legem neben dem (gesetzten) Recht<br />
privilegium Vorrecht<br />
professor Lehrer der artes liberales, Philosoph, Jurist<br />
provocare hervorrufen, aufrufen; aufreizen; Berufung einlegen<br />
pro domo für das eigene Haus, d. h. im eigenen Interesse argumentieren<br />
quaestio - facti, iuris Frage, Untersuchung - über eine Tatsache, über das Recht<br />
Quid iuris? Was ist rechtens?<br />
Quod erat demonstrandum. Was <strong>zu</strong> beweisen war.<br />
ratio legis Grund, Zweck des Gesetzes (anders: occasio legis)<br />
Regreß Zurückgehen, Rückgriff<br />
reservatio mentalis geheimer Vorbehalt (§ 116 BGB)<br />
Rezeption Übernahme des römischen Rechts im Mittelalter (recípere = empfangen)<br />
Sanktion Weihe; Bestätigung eines Beschlusses; Bestimmung über Rechtsfolgen<br />
sedes materiae Sitz des Gegenstandes, Gesetzesstelle<br />
sine ira et studio ohne Zorn und Eifer, unparteiisch<br />
species Stück<br />
subsidiär hilfsweise, nachrangig<br />
Subsumtion Unterordnung eines konkreten Sachverhalts (Untersatz)<br />
unter eine abstrakte Norm (Obersatz)<br />
Sukzession Nachfolge<br />
Surrogat stellvertretender Gegenstand<br />
suspensiv aufschiebend (Bedingung)<br />
uno actu durch einen einzigen Vorgang<br />
universitas Gesamtheit von Personen oder Gegenständen<br />
venire contra factum Das Angehen gegen eigenes Verhalten<br />
proprium (nemini licet) (= widersprüchliches Verhalten) ist niemandem gestattet.<br />
veto ich verbiete<br />
votum Gelöbnis; heute: Stimmabgabe<br />
Insbesondere nach: Civis Romanus (d. h. Klaus Adomeit), Latein für Jurastudenten, <strong>Berlin</strong> 1997;<br />
G. Köbler, Juristisches Wörterbuch, 7. Aufl., München 1995.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
254
18. TEIL<br />
LITERATUR<br />
Vorbemerkung<br />
Auch hierfür wird in erster Linie auf die Materialien <strong>zu</strong>r Vorlesung Rechtsgeschichte für 1. und 2. Semester<br />
verwiesen.<br />
KAPITEL 1. EINFACHSTER „EINSTIEG“ UND EINFACHSTE WIEDERHOLUNG<br />
M. Benke, F.-S. Meissel, Übungsbuch <strong>zu</strong>m römischen Sachenrecht, 6. Aufl., Wien 1999<br />
Dies., Schuldrecht, 5. Aufl., Wien 2000<br />
Civis Romanus (d. h. <strong>Prof</strong>. Adomeit, FU), Latein für Jurastudenten, 3. Aufl., <strong>Berlin</strong> 2001<br />
R. Lieberwirth, Lateinische Fachausdrücke im Recht, Heidelberg 1986<br />
KAPITEL 2. STUDIENLITERATUR<br />
1. Quelle<br />
Corpus Iuris Civilis, Editio stereotypa, 3 Bde. (Nachdruck).<br />
2. Überset<strong>zu</strong>ngen (<strong>zu</strong>m Teil in Auszügen)<br />
O. Behrends, R. Knütel, B. Kupisch, H. H. Seiler, Corpus Iuris Civilis, Text und Überset<strong>zu</strong>ng, Bd. 1,<br />
Institutionen, 2. Aufl., Heidelberg 1997, utb Heidelberg 1999<br />
Dies., Band 2, Digesten 1 - 10, Heidelberg 1995; Bd. 3, Digesten 11 - 20, Heidelberg 1999<br />
R. Düll, Corpus Iuris, 2. Aufl., München 1960<br />
R. Düll, Das Zwölftafelgesetz, 4. Aufl., München 1971<br />
Exempla Iuris Romani, hrsg., übersetzt und erläutert von M. Fuhrmann und D. Liebs, München 1988<br />
G. Härtel und F.-M. Kaufmann, Codex Iustinianus, Leipzig 1991 (Auswahl)<br />
L. Huchthausen, G. Härtel, Römisches Recht in einem Band, <strong>Berlin</strong> und Weimar 1991<br />
J. Lammeyer, Die Institutionen des Gaius, Paderborn 1929<br />
Otto, Schilling, Sintenis, Das Corpus Iuris Civilis ins Deutsche übersetzt, 7 Bde., Leipzig 1831 ff. (Nachdruck;<br />
vollständig)<br />
E. Scharr, Römisches Privatrecht, Zürich u. a. 1960<br />
(weitere s. Nachweise bei: Musterexegesen, Fälle mit Überset<strong>zu</strong>ngen).<br />
3. Römisches Privatrecht<br />
P. Apathy, G. Klingenberg, H. Stiegler, Einführung in das Römische Recht, 2. Aufl., Wien u. a. 1998<br />
A. Bürge, Römisches Privatrecht, Wiss. Buchgesellschaft Darmstadt 1999<br />
F. Ebel, G. Thielmann, Rechtsgeschichte, 3. Aufl., Heidelberg 2003<br />
(wichtig auch für die Rechtsentwicklung in Rom, einschl. Prozessrecht, beide Autoren FU)<br />
H. Hausmaninger, W. Selb, Römisches Privatrecht, 8. Aufl., Wien 1997<br />
H. Honsell, Römisches Recht, 5. Aufl., <strong>Berlin</strong> u. a. 2002<br />
M. Kaser, Das Römische Privatrecht, 2 Bde., 2. Aufl., München 1971 und 1975,<br />
(vor allem Band 1)<br />
M. Kaser, R. Knütel, Römisches Privatrecht, Studienbuch, 17. Aufl., München 2003<br />
(Kurzlehrbuch, sehr empfehlenswert)<br />
D. Liebs, Römisches Recht, Göttingen 1975 (utb 465)<br />
Th. Mayer-Maly, Römisches Recht, 2. Aufl., Wien u. a. 1999.<br />
30. September 2011<br />
255
U. Wesel, Geschichte des Rechts, München 1997 (verbilligt mit Hörerschein für FU-Studierende).<br />
4. Römische Rechtsgeschichte<br />
M. Bretone, Geschichte des römischen Rechts, München 1992<br />
Dulckeit/Schwarz/Waldstein, Römische Rechtsgeschichte, 9. Aufl., 1995<br />
M. Kaser, Römische Rechtsgeschichte, 2. Aufl., Göttingen 1967<br />
W. Kunkel, Schermaier, Römische Rechtsgeschichte, 13. Aufl., 2001<br />
U. Manthe, Geschichte des Römischen Rechts (= Wissen in der Beck’schen Reihe 2132), C. H. Beck, München<br />
2000<br />
F. Schulz, Prinzipien des römischen Rechts, <strong>Berlin</strong> 1934, Nachdruck<br />
P. G. Stein, Römisches Recht und Europa, Frankfurt a. M. 1996 (Fischer-TB).<br />
5. Sonstige<br />
D. Liebs, Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, 4. Aufl., München 1991<br />
(auch: Wiss. Buchgesellschaft).<br />
KAPITEL 3. FORSCHUNGSLITERATUR<br />
1a. Quellen, gedruckt<br />
P.Krüger, Th. Mommsen, R. Schoell, G. Kroll, Corpus iuris civilis, Bde. 1-3<br />
("Große", d.h. textkritische Ausgaben der Digesten von Mommsen,<br />
Codex von Krüger, Authentica von Heimbach).<br />
C. G.Bruns, O. Gradenwitz, Fontes iuris Romani antiqui, 2 Bde., 7. Aufl. 1909<br />
C. G. E. Heimbach, Basilicorum libri LX, 6 Bde. und 2 Supplementa, 1833-1897<br />
O. Lenel, Das Edictum Perpetuum, 3. Aufl., 1927<br />
O. Lenel, Palingenesia iuris civilis, 2 Bde., Leipzig 1889<br />
Th. Mommsen, P. M. Meyer, Theodosiani libri XVI, Vol. I 1,2 und II, 1905 (Neudruck 1970)<br />
S. Riccobono u.a., Fontes iuris Romani anteiustiniani (FIRA), 3 Bde., Neudruck 1968 und 1969<br />
Roman Statutes I/II, herausgegeben von M. H. Crawford, London 1996<br />
H. J. Scheltema u.a., Basilicorum libri LX, da<strong>zu</strong> Scholia, 1953 ff.<br />
1b. Quellen, im Internet (2002)<br />
P.Krüger, Th. Mommsen, R. Schoell, G. Kroll, Corpus iuris civilis, Bd<br />
http://www.umt.edu/lawinsider/library/classics/<br />
Digesten (11 MB!):<br />
http://www.umt.edu/lawinsider/library/classics/digestSept4word.doc<br />
Institutionen des Justinian:<br />
http://www.umt.edu/lawinsider/library/classics/inst-justAug20.doc<br />
Institutionen des Gaius:<br />
http://www.umt.edu/lawinsider/library/classics/inst-gaiJuly20I.doc<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
256
2. Überset<strong>zu</strong>ngen (z. T. in Auswahl)<br />
(außer den oben genannten)<br />
Johnson, Coleman-Norton, Bourne, Ancient Roman Statutes, Austin 1961<br />
D. Flach, Die Gesetze der römischen Republik, Darmstadt 1994<br />
C. Pharr, The Theodosian Code, Princeton 1952<br />
J. E. Spruit und K. E. M. Bongenaar, Het erfdeel van de klassieke romeinse juristen,<br />
Gaius en Paulus, Zutphen 1984<br />
Ulpianus, Papinianus, 1986<br />
Fragmenta Vaticana etc., 1987<br />
Roman Statutes I/II, herausgegeben von M. H. Crawford, Inst. of Classical Studies, London 1996<br />
A. Watson u.a., The Digest of Justinian, Philadelpia 1985.<br />
3. Privatrecht<br />
P. Jörs, W. Kunkel, L. Wenger, Römisches Privatrecht, 4. Aufl., bearbeitet von H. Honsell, Th. Mayer-Maly, W.<br />
Selb, 1987<br />
F. Schulz, Classical Roman Law, Oxford, 1951<br />
4. Geschichte der Rechtsquellen<br />
Th. Kipp, Geschichte der Quellen des römischen Rechts, 1919<br />
P. Krüger, Geschichte der Quellen und Literatur des römischen Rechts, 2. Aufl., 1912<br />
L. Wenger, Die Quellen des römischen Rechts, Wien 1953<br />
F. Wieacker, Textstufen klassischer Juristen, Göttingen 1960.<br />
5. Rechtsgeschichte<br />
(teilweise einschl. Privatrecht, Staatsrecht, Quellenkunde)<br />
J. Gaudemet, Institutions de l'Antiquité, 1967<br />
R. v. Jhering, Der Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, 3 Bde., 5. Aufl.<br />
1891, seitdem Neudrucke<br />
W. Kunkel, Herkunft und soziale Stellung der römischen Juristen, 2. Aufl., Weimar 1967<br />
U. v. Lübtow, Das römische Volk, sein Staat und sein Recht, 1955<br />
P. Pieler, Byzantinische Rechtsliteratur, in: H. Hunger, Die hochsprachliche und profane Literatur der<br />
Byzantiner (Handbuch der Altertumswiss. XII, 5), Bd.2, 1978, S. 341-480<br />
F. Schulz, Geschichte der römischen Rechtswissenschaft, Weimar 1961<br />
F. Schulz, History of Roman Legal Science, 2. Aufl., Oxford 1953<br />
F. Wieacker, Römische Rechtsgeschichte, 1. Abschnitt, München 1988.<br />
6. Staatsrecht<br />
J. Bleicken, Die Verfassung der römischen Republik (UTB 460), 4.Aufl., 1985<br />
J. Bleicken, Verfassungs- und Sozialgeschichte des Römischen Kaiserreiches, 2 Bde., 2. Aufl., 1981<br />
W. Kunkel, Staatsrecht, München 1995<br />
F. De Martino, Storia della costituzione romana, 6 Bde., 2.Aufl., 1971 ff.<br />
Th. Mommsen, Römisches Staatsrecht, 3 Bde., Neudr. 1963<br />
E. Meyer, Römischer Staat und Staatsgedanke, 4. Aufl., 1975<br />
J. M. Rainer, Einführung in das römische Staatsrecht, Darmstadt 1997<br />
H. Siber, Römisches Verfassungsrecht, Schauenburg 1952.<br />
7. Strafrecht<br />
R. A. Baumann, Crime and Punishment in Ancient Rome, London – New York 1996<br />
J. Bleicken, Senatsgericht und Kaisergericht, Göttingen, 1962<br />
W. Kunkel, Untersuchungen <strong>zu</strong>r Entwicklung des röm. Kriminalverfahrens in vorsullanischer Zeit, München<br />
1962<br />
30. September 2011<br />
257
Th. Mommsen, Römisches Strafrecht, 1899<br />
B. Santalucia, Verbrechen und ihre Verfolgung im antiken Rom, Lecce 1997<br />
8. Zivilprozess<br />
M. Kaser, K. Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 2. Aufl., München 1996 (Standardwerk).<br />
9. Wörterbücher und Nachschlagewerke<br />
C. Andresen u. a., dtv-Lexikon der Antike, 5 Bde., 2. Aufl., München 1970<br />
A. Berger, Encyclopedic Dictionary of Roman Law, Philadelphia 1953<br />
G. Broggini, Index Interpolationum quae in Iustiniani Codice inesse dicuntur, 1969<br />
H. G. Heumann, E. Seckel, Handlexikon <strong>zu</strong> den Quellen des römischen Rechts, 9. Aufl., 1907, Neudrucke seit<br />
1926<br />
Der Kleine Pauly, Lexikon der Antike auf der Grundlage von Pauly's Realencyclopädie, 5 Bde., 1964 ff. (auch<br />
als DTV-Taschenbuch)<br />
E. Levy, E. Rabel, Index Interpolationum quae in Iustiniani Digestis inesse dicuntur, 3 Bde. und Suppl., 1929 -<br />
1935<br />
Der Neue Pauly, seit 1996 im Erscheinen.<br />
H. Nicolini, Indices Corporis Iuris Civilis, 3 Teile (Ius Romanum Medii Aevi, Subsidia I), Mailand 1964 ff.<br />
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, neue Bearb. von G. Wissowa u.a., mit<br />
Supplementbänden; da<strong>zu</strong> div. Register (abgekürzt RE oder PW)<br />
G. Rotondi, Leges publicae populi Romani, 1912<br />
E. Sacher, Generalregister <strong>zu</strong> SZ Bde. 1-50 (1932); Fortset<strong>zu</strong>ngen für Bde. 51-75, 2 Bde. 1967 und 1970; für<br />
Bde. 75 - 100, 2 Bde. 1990<br />
Vocabularium Iurisprudentiae Romanae, 5 Bde., seit 1894 (abgekürzt VIR).<br />
10. Zeitschriften und Sammelwerke<br />
Temporini, H. (Hrsg.), Aufstieg und Niedergang der römischen Welt, Geschichte und Kultur Roms im Spiegel<br />
der neueren Forschung<br />
Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis, Revue d'histoire du droit, 1918 ff.<br />
Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, 3 Abteilungen. (abgekürzt: SZ; oder ZSS oder ZRG)<br />
div. Gesammelte Schriften, Festschriften, Tagungsbände etc.<br />
11. Privatleben<br />
L. Friedländer, Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms, 4 Bde., 10. Aufl., 1921-1923, Neudr. 1954.<br />
12. Frühgeschichte des Rechts, andere antike Rechte<br />
Entstehung und Wandel rechtlicher Traditionen, hrsgg. v. W. Fikentscher u.a., Freiburg i.Br. etc.1980<br />
R. Herzog, Staaten der Frühzeit, Ursprünge und Herrschaftsformen, München 1988<br />
W. Selb, Antike Rechte im Mittelmeerraum, Wien u. a. 1993<br />
U. Wesel, Frühformen des Rechts in vorstaatlichen Gesellschaften, Frankfurt a.M.1985f<br />
U. Wesel, Der Mythos vom Matriarchat, Frankfurt a.M. 1980.<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
258
KAPITEL 4. LERN- UND STUDIENLITERATUR MITTELALTER UND NEUZEIT<br />
1. Institutionengeschichte<br />
H. Hattenhauer, Grundbegriffe des Bürgerlichen Rechts, Historisch-dogmatische Einführung, München 1982.<br />
2. Lehrbücher <strong>zu</strong>r Einführung<br />
U. Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, München 1984<br />
H. Hattenhauer, Geistesgeschichtl. Grundlagen des deutschen Rechts, 3. Aufl., Heidelberg 1983<br />
K. Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte, 3 Bde., 1972 ff. (Taschenbücher)<br />
K. Kroeschell, Rechtsgeschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, Göttingen 1992 (Taschenbuch)<br />
A. Laufs, Rechtsentwicklungen in Deutschland, 5. Aufl., 1996<br />
R. Schröder, Rechtsgeschichte, 4. Aufl., Münster 1992 (am Lehrstuhl erhältlich).<br />
3. Privatrechtsgeschichte<br />
H. Schlosser, Grundzüge der Neueren Privatrechtsgeschichte, 9. Aufl., Heidelberg 2001 (utb)<br />
G. Wesenberg, G. Wesener, Neuere Deutsche Privatrechtsgeschichte, Wien etc. 1985.<br />
F. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl., Göttingen 1967<br />
4. Verfassungsgeschichte<br />
D. Grimm, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 1, Frankfurt a.M., 1988<br />
Informationen <strong>zu</strong>r politischen Bildung, hrsg. v. d. Bundeszentrale für politische Bildung, München / Bonn<br />
K. Kröger, Einführung in die jüngere deutsche Verfassungsgeschichte (1806 - 1933), München 1988 (JuS-<br />
Schriftenreihe)<br />
D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, München 1990 (Beck Kurzlehrbuch)<br />
R. Zippelius, Geschichte der Staatsideen, 6. A., München 1989<br />
R. Zippelius, Kleine deutsche Verfassungsgeschichte, München 1994 (Taschenbuch).<br />
5. Strafrechtsgeschichte<br />
H. Rüping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, München 1981<br />
6. Biographische Sammelwerke<br />
G. Kleinheyer, J. Schröder (Hrsg.), Deutsche und Europäische Juristen aus neun Jahrhunderten, 4. Aufl., Heidelberg<br />
1996<br />
Juristen. Ein biographisches Lexikon, überarbeitete Ausgabe, hrsg. v. M. Stolleis, (Becksche Reihe) München<br />
2001.<br />
7. Nachschlagewerke<br />
G. Köbler, Etymologisches Rechtswörterbuch, utb, Tübingen 1995, DM 24,80<br />
G. Köbler, Historisches Lexikon der deutschen Länder, 6. Aufl., München 1999 (WBG DM 78,-)<br />
G. Köbler, Lexikon der europäischen Rechtsgeschichte, München 1997<br />
G. Köbler, Juristisches Wörterbuch, 7. Aufl., München 1995.<br />
8. Aufsätze<br />
M. Kaser, Der römische Anteil am deutschen bürgerlichen Recht, JuS 1967, S. 337 ff.<br />
C. Krampe, Privatrecht, Staatslexikon, hrsg. Görres-Gesellschaft, Bd. 4, 7. Aufl., Freiburg u.a. 1988, S. 570<br />
H. Krause, Der deutschrechtliche Anteil an der heutigen Privatrechtsordnung, JuS 1970, S.313ff.<br />
M. Löwisch, G.-H. von Langsdorff, Gesetzgebung und Rechtsprechung <strong>zu</strong>m Wirtschafts-, Unternehmens- und<br />
Arbeitsrecht seit der Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund, JuS 1973, S. 9 - 15<br />
C. Paulus, Ein Plädoyer für unscheinbare Normen, JuS 1994, 367 ff.<br />
M. Stolleis, Vom Nutzen der Historie vor 1806, JuS 1989, S. 817 ff.<br />
D. Willoweit, Historische Grundlagen des Privatrechts, JuS 1977, S. 229 ff., 429 ff., 573 ff.<br />
30. September 2011<br />
259
R. Zimmermann, Das römisch-kanonische ius commune als Grundlage europäischer Rechtseinheit, JZ 1993, S.<br />
920.<br />
KAPITEL 5. WEITERFÜHRENDE LITERATUR MITTELALTER UND NEUZEIT<br />
Die meisten der hier beispielartig genannten Werke unterscheiden sich von denen im Kapitel "Studienliteratur"<br />
nicht durch schwerere Lesbarkeit, sondern durch größeren Umfang und deswegen höheren Preis. Einige der folgenden<br />
Bücher sind nur noch in Bibliotheken und Spezialantiquariaten auf<strong>zu</strong>finden. Fast alle verdienen die Lektüre<br />
jedenfalls einiger Teile.<br />
1. Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, Deutsche Rechtsgeschichte<br />
K. S. Bader, G. Dilcher, Deutsche Rechtsgeschichte, <strong>Berlin</strong> u. a. 1999<br />
H. Coing, Europäisches Privatrecht, 2 Bde., München 1985 und 1989<br />
H. Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, 2 Bde., Karlsruhe 1962 und 1966<br />
W. Friedmann, Recht und sozialer Wandel, Frankfurt a.M. 1969<br />
Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hrsg. v. H. Coing, München<br />
1973 ff.<br />
Handwörterbuch <strong>zu</strong>r deutschen Rechtsgeschichte, hrsg. v. A. Erler u.a., 1971 ff.<br />
H. Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, 2. Aufl., Heidelberg 1994<br />
P. Koschaker, Europa und das römische Recht, 4. Aufl., München 1966<br />
H. Lange, Römisches Recht im Mittelalter, Bd. I, Die Glossatoren, München 1997<br />
G. K. Schmelzeisen, Polizeiordnungen und Privatrecht, Münster 1955<br />
R. Zimmermann, The Law of Obligations, Roman Foundations of the Civilian Tradition, München 1993, 1241<br />
S., (verbilligte Studienausgabe, Oxford University Press).<br />
2. Quellen <strong>zu</strong>r Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte<br />
A. Buschmann, Kaiser und Reich, 2 Teile, 2. Aufl., Baden-Baden 1994<br />
G. Dürig, W. Rudolf, Texte <strong>zu</strong>r deutschen Verfassungsgeschichte, 2. Aufl. München 1979<br />
E. R. Huber, Dokumente <strong>zu</strong>r deutschen Verfassungsgeschichte, 5 Bde., Stuttgart 1961 ff.<br />
Deutsche Parteiprogramme, hrsg. v. W. Mommsen, 3. Aufl, München 1960<br />
Reich und Länder, Texte <strong>zu</strong>r deutschen Verfassungsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. v. H. Boldt,<br />
München 1987;<br />
Verhandlungen des Reichstags, seit 1868; des Deutschen Bundestages, des Deutschen Bundesrates<br />
D. Willoweit, U. Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, Rechtshistorische Texte, München 2003<br />
3. Lehr- und Handbücher <strong>zu</strong>r Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte<br />
E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, 8 Bde., Stuttgart u. a. 1957 ff.<br />
Deutsche Verwaltungsgeschichte, hrsg.v. K. G. A. Jeserich u.a., 6 Bde., Stuttgart 1983 - 1988<br />
M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, bisher 2 Bde., München 1988 und 1992.<br />
K.-H. Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, München 1994<br />
4. Völkerrechtsgeschichte<br />
5. Strafrechtsgeschichte<br />
Eberhard Schmidt, Einführung in die Geschichte der Strafrechtspflege, 3. Aufl., Göttingen 1965<br />
Th. Vormbaum (Hrsg.), Texte <strong>zu</strong>r Strafrechtstheorie der Neuzeit, 2 Bde., Baden-Baden 1993.<br />
A. Erler, Kirchenrecht, 5. Aufl. 1983<br />
6. Kanonisches Recht, Kirchenrecht<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
260
H. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, 5. Aufl. 1972<br />
E. Friedberg, Lehrbuch des katholischen und evangelischen Kirchenrechts, 6. Aufl. 1909, Neudruck 1965<br />
K. Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts, Bde. 1 ff., 11. A. 1964<br />
W. Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts, Bde 1 ff., 2. A. 1960 ff.<br />
7. Jüdisches Recht, Juristen jüdischer Herkunft<br />
Der Babylonische Talmud, von L. Goldschmidt, 9 Bde., Leipzig 1906 – Den Haag 1935; jetzt Neudruck<br />
F. Battenberg, Das europäische Zeitalter der Juden, 2 Teilbde., Darmstadt 1990<br />
Encyclopedia Judaica (englische Sprache), 16 Bde., Jerusalem 1972 f.<br />
Horst Göppinger, Juristen jüdischer Abstammung im „<strong>Dr</strong>itten Reich“, 2. Aufl., München 1990<br />
Lexikon des Judentums, hrsg. v. J. F. Oppenheimer 1967<br />
A.-M. von Lösch, Der nackte Geist, Die Juristische Fakultät der <strong>Berlin</strong>er <strong>Universität</strong> im Umbruch von 1933, Tübingen<br />
1999<br />
R. Salamander, Literatur <strong>zu</strong>m Judentum, München 1997 ff.<br />
8. Sozial- und Wirtschaftsgeschichte<br />
F.-W. Henning, Handbuch der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands, Bde. 1 ff., Paderborn u.a. 1991<br />
ff.<br />
F.-W. Henning, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 3 Bde., mehrere Aufl., utb, Paderborn u. a. 1974 ff.<br />
D. S. Landes, Der entfesselte Prometheus, Technologischer Wandel und industrielle Entwicklung in Westeuropa<br />
von 1750 bis <strong>zu</strong>r Gegenwart, Köln 1973<br />
D. S. Landes, Wohlstand und Armut der Nationen, Warum die einen reich und die anderen arm sind, <strong>Berlin</strong>er<br />
Taschenbuchverlag 2002 (Original 1998)<br />
H. Mottek, Wirtschaftsgeschichte Deutschlands, 3 Bde., 1977 ff.<br />
W. Treue, Gesellschaft, Wirtschaft und Technik Deutschlands im 19. Jahrhundert, 9. Auflage, dtv, München<br />
1989<br />
9. Biographische Sammelwerke<br />
Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, hrsg. v. Heinrichs u. a., München 1993<br />
Juristen im Porträt, Festschrift C. H. Beck, München 1988<br />
Klassiker des politischen Denkens, hrsg. v. H. Maier u. a., 2 Bde., 2. Aufl., München 1968<br />
G. Kleinheyer, J. Schröder (Hrsg.), Deutsche und europäische Juristen aus neun Jahrhundertne, 4. Aufl., utb,<br />
Heidelberg 1996<br />
H. Sinzheimer, Jüdische Klassiker der deutschen Rechtsgeschichte, Frankfurt/M 1953<br />
R. v. Stintzing, E. Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, 3 Abteilungen in 4 Bänden, München<br />
1880 - 1884 (Standardwerk)<br />
M. Stolleis (Hrsg.), Juristen, München 1995<br />
Streitbare Juristen, hrsg. v. Krit. Justiz, Th.Blanke u.a., Baden-Baden 1988<br />
Erik Wolf, Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte, 4. Aufl., Tübingen 1963.<br />
Außerdem wichtig: Biographisches Wörterbuch <strong>zu</strong>r deutschen Geschichte, Allgemeine Deutsche Biographie,<br />
Neue Deutsche Biographie, Geschichte in Gestalten, Die großen Deutschen, Bernhard Mann, Wilhelm Heinz<br />
Schröder, Schumacher, Max Schwarz.<br />
10. Nachschlagewerke<br />
W. Baumgart, Bücherverzeichnis <strong>zu</strong>r deutschen Geschichte, 10. Aufl., München 1992<br />
K. Fuchs, H. Raab, DTV-Wörterbuch <strong>zu</strong>r Geschichte, 2 Bde., 3. Aufl., München 1977<br />
Geschichtl. Grundbegriffe, Hist.Lexikon <strong>zu</strong>r politisch-sozialen Sprache, hrsg.v.O.Brunner u.a., Stuttgart 1972<br />
ff.;<br />
Hist. Wörterbuch der Philosophie, hrsg. v. J. Ritter, ca 10 Bde., Darmstadt 1971 ff.;<br />
Der große Ploetz, Aus<strong>zu</strong>g aus der Geschichte;<br />
30. September 2011<br />
261
R. Schmidt-Wiegand, Deutsche Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, München 1996<br />
Brockhaus, Meyer.<br />
Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte.<br />
Forum Historiae Iuris.<br />
11. Fachzeitschriften<br />
12. <strong>Berlin</strong>er Internet<br />
KAPITEL 6. GEMEINES RECHT, RÖMISCHES RECHT IM 19. JAHRHUNDERT<br />
L. Arndts, Lehrbuch der Pandekten, 13. Aufl. (besorgt von Pfaff und Hofmann), München 1886<br />
J. Baron, Pandekten, 8. Aufl., Leipzig 1893<br />
E. I. Bekker, System des heutigen Pandektenrechts, 2 Bde., 1886 und 1889<br />
A. Brinz, Lehrbuch der Pandekten, 3 Bde., 2. und 3. Aufl., Erlangen 1873 - 1884<br />
H. Dernburg, Pandekten, 3 Bde., 7. Aufl., 1902<br />
C. F. Glück, Ausführliche Erläuterungen der Pandekten, Erlangen 1790 - 1830<br />
G. Hugo, Lehrbuch des heutigen römischen Rechts, 7. Aufl., <strong>Berlin</strong> 1826<br />
F. L. von Keller, Pandekten (aus dem Nachlaß hersg. v. E. Friedberg), Leipzig l1861<br />
G. F. Puchta, Pandekten, 12. Aufl. (besorgt von Schirmer), Leipzig 1876<br />
F. Regelsberger, Pandekten, 1. Bd., Leipzig 1893<br />
F. C. von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, 8 Bde., <strong>Berlin</strong> 1840 - 1849<br />
C. F. Sintenis, Das praktische gemeine Zivilrecht, 3 Bde., 3. Aufl., Leipzig 1869<br />
A. F. J. Thibaut, System des Pandektenrechts, 2 Bde., 9. Aufl., Jena 1846<br />
K. A. von Vangerow, Lehrbuch der Pandekten, 3 Bde., 7. Aufl., Marburg 1863 - 1869<br />
B.Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, 3 Bde., 9.Aufl. (bearbeitet v.Th. Kipp), Frankfurt a.M.1906.<br />
Überblick über das im 19. Jahrhundert geltende Recht: W. Schubert, Die Vorlagen der Redaktoren für die erste<br />
Kommission <strong>zu</strong>r Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches, 15 Bände, <strong>Berlin</strong>, New York<br />
1981 ff.<br />
KAPITEL 7. QUELLEN UND LITERATUR ZUR ENTSTEHUNG DES BGB<br />
1. Materialien und zeitgenössische Stellungnahmen<br />
Denkschrift <strong>zu</strong>m Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs nebst drei Anlagen, <strong>Berlin</strong> 1896 (auch bei Mugdan)<br />
O. (von) Gierke, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs und das deutsche Recht, Leipzig 1889<br />
O. (von) Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, <strong>Berlin</strong> 1889<br />
Gutachten aus dem Anwaltsstande über die erste Lesung eines Bürgerlichen Gestzbuchs, <strong>Berlin</strong> 1890<br />
H. H. Jakobs und W. Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs in systematischer Zusammenstellung<br />
der unveröffentlichten Quellen, 14 Bände, <strong>Berlin</strong>, New York 1978 - 1989 (enthält im Wesentlichen Beratungen<br />
und Beschlüsse der 1. Kommission, der Vorkommission des Reichsjustizamtes, der 2. Kommission, des<br />
Bundesrates und der Reichstagskommission, soweit nicht an anderer Stelle veröffentlicht)<br />
G. Maas, Bibliographie der amtlichen Materialien <strong>zu</strong>m BGB, <strong>Berlin</strong> 1897<br />
G. Maas, Bibliographie des bürgerlichen Rechts 1888 - 1898, <strong>Berlin</strong> 1899<br />
A. Menger, Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen. Eine Kritik des Entwurfs eines bürgerlichen<br />
Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Tübingen 1890<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
262
Motive <strong>zu</strong> dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, 5 Bde. nebst Register, <strong>Berlin</strong><br />
und Leipzig 1888 (auch bei Mugdan)<br />
B. Mugdan, Die gesammten Materialien <strong>zu</strong>m Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, 7 Bde., <strong>Berlin</strong><br />
1899, Nachdruck 1979 (enthält: Motive, Protokolle, Denkschrift, Reichstagsverhandlungen, Kommissionsbericht)<br />
Protokolle der Kommission für die 2. Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Im Auftrage des<br />
Reichs-Justizamtes bearbeitet von Achilles/Gebhard/Spahn, 6 Bde. nebst Register, <strong>Berlin</strong> 1897-1899 (auch bei<br />
Mugdan)<br />
Reichstag (mit Angaben der Band-Nummer)<br />
Lex Lasker-Miquel: 1. Leg.-Periode, 4. Session, 1873, 3. 4. 1873, 1. Bd. (Bd. 27), S. 211<br />
Vorlage: 3. Bd., Anlagen (Bd. 29), <strong>Dr</strong>s. Nr. 19, S. 138<br />
Entwürfe und Beratungen 1896: 9. Leg.-Periode, 4. Sess., 1895/97 (auch bei Mugdan)<br />
3. Entwurf mit Denkschrift: 1. Anlagenband (Bd. 151), <strong>Dr</strong>s. Nr. 87, S. 446 - 790<br />
1. Beratung, 3. - 6. 2. 1896, 1. Bd. (Bd. 143), S. 705 - 820<br />
Bericht der RT-Kommission, 3. Anlagenband (Bd. 153), <strong>Dr</strong>s. Nr. 440 - 440 d, S. 1935 - 2192<br />
2. Beratung, 19. und 20. 6. 1896, 4. Bd. (Bd. 146), S. 2729 - 2789<br />
3. Beratung und Abstimmung, 30. 6. 1896, 4. Bd. (Bd. 146), S. 3040 - 3069<br />
W. Schubert, Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission <strong>zu</strong>r Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen<br />
Gesetzbuches, 15 Bände, <strong>Berlin</strong>, New York 1981 ff.<br />
W. Schubert, Materialien <strong>zu</strong>r Entstehungsgeschichte des BGB, Einführung, Biographien, Materialien, <strong>Berlin</strong> u.<br />
a. 1978 (= Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 1. Band; enthält im Wesentlichen eine detaillierte Darlegung<br />
der Entstehung des BGB, Angaben <strong>zu</strong> allen am BGB beteiligten Personen, Materialien <strong>zu</strong>r lex Lasker-Miquel<br />
und <strong>zu</strong>m Gutachten der Vorkommission)<br />
Th. Vormbaum, Die Sozialdemokratie und die Entstehung des BGB, 2. Aufl., Baden-Baden 1997<br />
Zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich. Bemerkungen des Königlich Preußischen<br />
Justizministers, <strong>Berlin</strong> 1891<br />
Zusammenstellung der Äußerungen der Bundesregierungen <strong>zu</strong> dem Entwurf eines BGB, gefertigt im Reichsjustizamt,<br />
2 Bde, <strong>Berlin</strong> 1891 und 1892, Neudruck Osnabrück 1967<br />
Zusammenstellung der Äußerungen des Bundesregierungen <strong>zu</strong> dem Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs<br />
zweiter Lesung, <strong>Berlin</strong> 1895<br />
Zusammenstellung der gutachtlichen Äußerungen <strong>zu</strong> dem Entwurf eines BGB, 6 Bde., <strong>Berlin</strong> 1890 und 1891<br />
2. Neuere Literatur mit weiteren Nachweisen<br />
B. Dölemeyer, Deutschland, Kapitel 1 bis 3, in: Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen<br />
Privatrechtsgeschichte, 3. Bd., 2. Teilband, hrsg. v. H. Coing, München 1982, S. 1403 - 1625<br />
M. John, Politics and the Law - The Origins of the Civil Code, Oxford 1989<br />
H. Schulte-Nölke, Das Reichsjustizamt und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Frankfurt a. M. 1995.<br />
Gute Information meistens auch in den Einleitungen der Großkommentare, z. B. Planck.<br />
30. September 2011<br />
263
19. TEIL<br />
JAHRESZAHLEN<br />
um 3000 Ausbildung der Schrift in Mesopotamien<br />
um 2000 Rechtsaufzeichnungen im Vorderen Orient<br />
um 1700 Codex Hammurabi von Babylon<br />
um 1250 Aus<strong>zu</strong>g von Teilen der Stämme aus Ägypten unter Mose, 10 Gebote<br />
um 620 Gesetzesreformen <strong>Dr</strong>akons und Solons in Athen<br />
753 Gründung Roms<br />
753 - 510 Königszeit<br />
510 Beseitigung der etruskischen Herrschaft,<br />
Sturz der Könige, Beginn der Republik,<br />
Ständekampf Patrizier gegen Plebejer<br />
449 Zehnmännerkollegium (Decemviri): Zwölf-Tafel-Gesetz<br />
387 Kelteneinfall in Rom, Gallierbrand Roms<br />
427 - 347 Plato (Athen)<br />
384 - 322 Aristoteles (Athen)<br />
dauernd Kriege in Italien und Ausdehnung der römischen Herrschaft.<br />
367/366 Leges Liciniae Sextiae: Schuldenermäßigung; keine Schuldknechtschaft;<br />
Höchstgrenze für Grundbesitz aus Staatsland; Plebejer als Konsuln.<br />
um 300 Cn. Flavius, Ende des priesterlichen Rechtsberatungsmonopols<br />
Seit 3. Jh. Kriege gegen Karthago (Punische Kriege),<br />
sowie Ausdehnung nach Griechenland und Kleinasien<br />
286 lex Hortensia: Plebiszite haben dieselbe Kraft wie Volksgesetze<br />
lex Aquilia wegen Vermögensbeschädigung<br />
3. Jh. Beginn der vorklassischen Rechtsperiode<br />
106 - 43 Marcus Tullius Cicero, Staatsmann und Philosoph<br />
1.Jh.v.Chr. Bürgerkriege<br />
Caesar wird Diktator, aber 44 v. Chr. ermordet,<br />
darauf erneut Bürgerkrieg.<br />
27 Beginn des Prinzipats durch Augustus<br />
Kaiserzeit: Prinzipat und Dominat<br />
n. Chr.<br />
0 - 200 Klassisches römisches Recht.<br />
1. Jh. n.Chr. Frühklassische Jurisprudenz: Labeo; Sabinianer und Prokulianer<br />
2. Jh. Hochklassische Jurisprudenz: Iulian und Celsus, Gaius,<br />
Endredaktion des Edikts durch Iulian, z. Zt. Hadrians<br />
Anf. 3. Jh. Spätklassische Jurisprudenz: Papinian, Paulus und Ulpian<br />
3. Jh. Beginnende Spaltung in Westrom und Ostrom (Hauptstadt Byzanz = Konstantinopel)<br />
200 - 533 Nachklassisches Recht<br />
284 - 305 Kaiser Diokletian, Beginn des Dominats<br />
306-337 Kaiser Konstantin d.Gr.<br />
313 Kaiser Konstantin, Toleranzedikt von Mailand<br />
326 Konstantinopel Hauptstadt<br />
375 Beginn der germanischen Völkerwanderung (Beginn des Mittelalters)<br />
391 Christentum Reichsreligion<br />
395 Endgültige Reichsteilung in West und Ost<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
264
um 400 - 700 Herstellung des Jerusalemer und des Babylonischen Talmuds<br />
438 Codex Theodosianus (II.) mit Kaiser-Konstitutionen<br />
476 Ende des weströmischen Reichs durch Abset<strong>zu</strong>ng des weströmischen Kaisers<br />
500 - 800 Volksrechte der Germanen, insbes. Gothen, Franken (lex Salica), Burgunder.<br />
533 Corpus Juris Civilis Kaiser Justinians (I.),<br />
Hauptbearbeiter Tribonian: Institutionen, Digesten, Codex, Novellen<br />
568 - 774 Langobardenreich in Italien, Rechtsschule Pavia<br />
800 Kaiserkrönung Karls d. Gr.<br />
867 - 886 Basilica - Gesetzesredaktion des oströmischen Kaisers Basilius I. Macedo<br />
um 1050 Wiederentdeckung und Verbreitung, sogenannte Rezeption des römischen Rechts<br />
Studium des römischen Rechts in Bologna, Glossatoren,<br />
<strong>Universität</strong>sgründungen, Beginn der Rezeption<br />
um 1140 Corpus iuris canonici<br />
um 1250 Glossa ordinaria des Accursius;<br />
Kommentatoren, z. B. Bartolus und Baldus<br />
1221/35 Sachsenspiegel Eike von Repgows<br />
13. - 15. Jh. Ius commune (römisches Recht in Europa)<br />
1356 Goldene Bulle (Königswahl in Frankfurt, Krönung in Aachen, Rechte der Kurfürsten)<br />
1453 Einnahme Konstantinopels (= Byzanz) durch die Türken.<br />
1495 Reichskammergerichtsordnung<br />
16. - 18. Jh. Usus modernus pandectarum in Deutschland<br />
1532 Peinliche Gerichtsordnung Karls V. ("Carolina")<br />
17. - 18. Jh. Naturrecht; „Policeystaat“ (d. h. Beginn des Verwaltungsrechts),<br />
Absolutismus; Merkantilismus<br />
1618 - 1648 <strong>Dr</strong>eißigjähriger Krieg, Westfälischer Frieden<br />
1794 Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten<br />
19. Jh. gemeines Recht; Historische Rechtsschule in Deutschland<br />
1803 Reichsdeputationshauptschluß<br />
1804 Code civil (Code Napoléon)<br />
1806 Rheinbund; Franz II. legt deutsche Kaiserkrone nieder<br />
1811 (österreichisches) ABGB (allgemeiens bürgerliches Gesetzbuch)<br />
1814 - 1815 Wiener Kongreß, Deutscher Bund mit 39 Fürsten und Städten<br />
1814 Friedrich Carl von Savigny:<br />
"Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft"<br />
1833 Deutscher Zollverein<br />
1848/49 Revolution in Europa, Nationalversammlung Paulskirche/Frankfurt,<br />
Reichsverfassung mit Grundrechten (nicht wirksam geworden)<br />
1861 Allgemeines deutsches Handelsgesetzbuch, ADHGB<br />
1863 Sächsisches BGB, in Kraft getreten 1865<br />
1866 <strong>Dr</strong>esdner "Entwurf eines allgemeinen deutschen Gesetzes über Schuldverhältnisse"<br />
1866 Ende des Deutschen Bundes, Gründung des Norddeutschen Bundes<br />
1870 Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund (mit Änderungen bis heute in Kraft)<br />
1871 Gründung des Deutschen Reichs<br />
1873 Gründerkrise, "Große Depression" bis gegen Ende des Jahrhunderts<br />
1878 - 1890 Sozialistengesetz<br />
1883 - 1889 Bismarck'sche Sozialversicherung<br />
1896 Verabschiedung des BGB, in Kraft getreten am 1. 1. 1900<br />
1914 - 1918 Weltkrieg<br />
1919 Deutsche Nationalversammlung in Weimar beschließt Reichsverfassung,<br />
Versailler Vertrag, Gründung des Völkerbunds<br />
1933 Hitler Reichskanzler, Ermächtigungsgesetz<br />
30. September 2011<br />
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1935 Nürnberger Gesetze gegen die Juden<br />
1939 - 1945 Zweiter Weltkrieg<br />
1945 Gründung der UNO<br />
Bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht<br />
Vier Besat<strong>zu</strong>ngszonen in Deutschland und <strong>Berlin</strong><br />
1949 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland<br />
I. Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik<br />
1957 EWG-Vertrag<br />
1990 Deutsche Vereinigung<br />
X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />
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