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h. - Prof. Dr. Hans-Peter Benöhr - Humboldt-Universität zu Berlin

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H.-P. BENÖHR<br />

RÖMISCHES PRIVATRECHT<br />

MIT BESONDERER BERÜCKSICHTIGUNG DER INSTITUTIONEN JUSTINIANS<br />

DIGESTENEXEGESE<br />

BGB-ENTSTEHUNG<br />

HUMBOLDT-UNIVERSITÄT ZU BERLIN<br />

2004<br />

<strong>Humboldt</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>zu</strong> <strong>Berlin</strong>, Juristische Fakultät, Unter den Linden 6, D 10099 <strong>Berlin</strong><br />

<strong>Hans</strong>-<strong>Peter</strong>.Benoehr@rz.hu-berlin.de<br />

http://www.rewi.hu-berlin.de/jura/ex/bnr<br />

Vorsicht! Diese Hinweise ersetzen nichts, weder die Vorlesung, noch ein Lehrbuch und am allerwenigsten das<br />

eigene Studium. Sie sind in keiner Weise vollständig, leider auch nicht ganz frei von Fehlern und sind deshalb<br />

nur <strong>zu</strong>sammen mit anderen Informationsmitteln sinnvoll <strong>zu</strong> gebrauchen. (Die Hinweise auf das geltende Recht<br />

sind noch nicht durchgehend an das Schuldrechtsänderungsgesetz angepasst).<br />

9. Juni 2005


INHALT<br />

mit besonderer Berücksichtigung der Institutionen Justinians 1<br />

Inhalt 2<br />

ERSTER TEIL 8<br />

WARUM, WIE, WAS NICHT? 8<br />

Kapitel 1. Warum? 8<br />

Kapitel 2. Wie? Benut<strong>zu</strong>ng dieses Begleittextes 8<br />

Kapitel 3. Was nicht? Lücken 8<br />

ZWEITER TEIL 9<br />

REFERENDAREXAMEN - WAHLFACH 2 9<br />

Kapitel 1. Durchführung 9<br />

Kapitel 2. Vorbereitung 10<br />

Kapitel 3. Hilfsmittel für die Examensklausuren 11<br />

Kapitel 4. Kein Schwerpunktbereich an der <strong>Humboldt</strong>-<strong>Universität</strong> 11<br />

DRITTER TEIL 11<br />

ANTIKE RECHTSGESCHICHTE 11<br />

IN VOR-RÖMISCHER ZEIT 11<br />

Kapitel 1. Perioden und Gebiete der antiken Rechtsgeschichte insgesamt 11<br />

Kapitel 2. Gesetzgebung der Babylonier 12<br />

Kapitel 3. Biblisches Recht 13<br />

Kapitel 4. Jüdisches Recht, insbes. Talmud, Mittelalter 17<br />

Kapitel 5. Recht des Neuen Testaments 19<br />

Kapitel 6. Demokratie und Rechtsdenken der Griechen 20<br />

VIERTER TEIL 24<br />

RÖMISCHE GESCHICHTE UND VERFASSUNG 24<br />

Kapitel 1. Perioden der römischen Rechtsgeschichte 24<br />

Kapitel 2. Geschichte und Verfassung Roms 25<br />

FÜNFTER TEIL 29<br />

RECHTSQUELLEN 29<br />

Kapitel 1. Naturrecht = Ius naturale 29<br />

Kapitel 2. Zivilrecht = Ius civile 29<br />

Kapitel 3. Recht für Römer und Nichtrömer 30<br />

Kapitel 4. Amtsrecht = Ius honorarium 31<br />

Kapitel 5. Gewohnheitsrecht und positives Recht 31<br />

Kapitel 6. Positives Recht 31<br />

Kapitel 7. Öffentliches Recht und Privatrecht 33<br />

Kapitel 8. System des Privatrechts (Institutionensystem) 33<br />

Kapitel 9. Überlieferung 33<br />

Kapitel 10. Die Zwölf Tafeln 34<br />

Kapitel 11. Hauptprinzipien des Rechts 37<br />

SECHSTER TEIL 37<br />

JURISTENRECHT 37<br />

Kapitel 1A. Rechtswissenschaft 37<br />

Kapitel 1B. Fallbehandlung in der Exegese 39<br />

Kapitel 2. Die berühmtesten Juristen 39<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

2


Kapitel 3. Argumentationsformeln 42<br />

Kapitel 4. Rechtsschulen 44<br />

Kapitel 5. Literaturgattungen 46<br />

Kapitel 6. Zuerst Rechtserfahrung, später Rechtsunterricht 47<br />

SIEBENTER TEIL 47<br />

CORPUS IURIS CIVILIS 47<br />

Kapitel 1. Zitiergesetze und Codex Theodosianus 47<br />

Kapitel 2. Corpus Iuris Civilis von 533 n. Chr. 48<br />

Kapitel 3. Institutionen Justinians 49<br />

Kapitel 4. Digesten 49<br />

Kapitel 5. Kodifikation 50<br />

Kapitel 6. Geltung des Corpus Iuris und des römischen Rechts 52<br />

Kapitel 7. Rezeption des römischen Rechts im Mittelalter 53<br />

ACHTER TEIL 58<br />

VERFAHREN 58<br />

Kapitel 1. Das Aktionensystem und seine Überwindung 58<br />

Kapitel 2. Der römische Formalismus und seine Überwindung 58<br />

Kapitel 3. Prozessrecht im Kurzüberblick 59<br />

Kapitel 4. Einzelne Klagformeln und Rechtsmittel 61<br />

Kapitel 5. Condictio 62<br />

Kapitel 6. Rechtsschöpfungen des Praetors, Analogie 63<br />

Kapitel 7. Einreden = Exceptiones, Gegeneinreden = Replicationes 64<br />

Kapitel 8. Einrede der Arglist = Exceptio doli, und ähnliche Fälle 64<br />

Kapitel 9. Sanktionen 65<br />

NEUNTER TEIL 66<br />

PERSON UND FAMILIE 66<br />

Kapitel 1. Caput - Begriffe und System des Personenrechts 66<br />

Kapitel 2. Familie; Agnaten, Gens; Personenname; Cognates 67<br />

Kapitel 3. Anfang und Ende der patria potestas 68<br />

Kapitel 4. Väterliche Unterhaltspflicht 69<br />

Kapitel 5. Hauskinder als Teilnehmer am Rechtsverkehr 69<br />

Kapitel 6. Altersstufen: Infans, pupillus, minor 72<br />

Kapitel 7. Impuberes = Pupilli 73<br />

Kapitel 8. Tutor 74<br />

Kapitel 9A. Minor 75<br />

Kapitel 9B. Curator 76<br />

Kapitel 10. Frauen 76<br />

Kapitel 11. Abschluss und Inhalt der Ehe 77<br />

Kapitel 12A. Vermögensrechtliche Wirkungen der Ehe, allgemein 79<br />

Kapitel 12B. Mitigft = Dos 80<br />

Kapitel 13. Ehescheidung = Divortium 81<br />

Kapitel 14. Entstehung der Sklaverei 82<br />

Kapitel 15. Beendigung der Sklaverei 82<br />

Kapitel 16. Sklaven als Objekte 83<br />

Kapitel 17. Sklaven als Teilnehmer am Rechtsverkehr 85<br />

Kapitel 18. Adjektizische Klagen, Überblick / Grundlagen 87<br />

Kapitel 19. Actio quod iussu 90<br />

Kapitel 20. Reederklage = Actio exercitoria 90<br />

Kapitel 21. Geschäftsherrenklage = Actio institoria 91<br />

Kapitel 22. Peculium und Actio de peculio 92<br />

Kapitel 23. Verwendungsklage = Versionsklage = A. de in rem verso 94<br />

Kapitel 24. Procurator 95<br />

30. September 2011<br />

3


Kapitel 25. Grundsatz: Ausschluss der Stellvertretung 97<br />

Kapitel 26. Ausnahmen: Wirksamkeit des Handelns für andere 97<br />

Kapitel 27. Zustimmungen 99<br />

Kapitel 28. Erwerb durch andere 100<br />

Kapitel 29. Mittelbare Stellvertretung 101<br />

ZEHNTER TEIL 101<br />

RECHTSGESCHÄFTE 101<br />

Kapitel 1. Begriffe des Schuldrechts 102<br />

Kapitel 2. System des Schuldrechts 103<br />

Kapitel 3. Naturalis obligatio 103<br />

Kapitel 4A. Unwirksamkeit 104<br />

Kapitel 4B. Bedingung = Condicio 105<br />

Kapitel 5A. Treu und Glauben 107<br />

Kapitel 5B. Gewalt oder Furcht = Vis oder Metus 108<br />

Kapitel 6. Erfüllung = Solutio, Inst. 3, 29 pr. 108<br />

Kapitel 7. Aufrechnung = Compensatio 108<br />

Kapitel 8. Erlass, Stundung 109<br />

Kapitel 9. Abtretung 109<br />

Kapitel 10. Litteralkontrakte allgemein, Gai. 3, 128 ff. 109<br />

Kapitel 11. Konsensualkontrakte allgemein, Inst. 3, 22 pass. 109<br />

Kapitel 12. Kaufvertrag = Emptio venditio, Inst. 3, 23 pass. 110<br />

Kapitel 13. Abschluss und Inhalt des Kaufvertrages 110<br />

Kapitel 14. Auslegung 112<br />

Kapitel 15. Konsens und Irrtum 112<br />

Kapitel 16. Irrtum über wesentliche Eigenschaften 113<br />

Kapitel 17. Kaufpreis und Wucher 117<br />

Kapitel 18A. Rücktrittsvorbehalte allgemein 118<br />

Kapitel 18B. Bessergebotsklausel = In diem addictio 119<br />

Kapitel 18C. Auflösungsvorbehalt = Lex commissoria 120<br />

Kapitel 18D. Missbilligungsabrede = Pactum displicentiae 121<br />

Kapitel 19A. Anfängliche tatsächliche objektive Unmöglichkeit 122<br />

Kapitel 19B. Ergän<strong>zu</strong>ng: Unmöglichkeit 123<br />

Kapitel 20. Verkehrsunfähige Sachen = Res extra commercium 128<br />

Kapitel 21. Anfängliches subjektives Unvermögen 132<br />

Kapitel 22. Nachträgliche Unmöglichkeit 132<br />

Kapitel 23. Kaufklage = Actio empti 134<br />

Kapitel 24. Rechtsmängel 134<br />

Kapitel 25. Sachmängel 136<br />

Kapitel 26. Exkurs: Schenkung = Donatio 138<br />

Kapitel 27. Locatio conductio 139<br />

Kapitel 28. Personenverbindungen, insb. Gesellschaft = Societas 141<br />

Kapitel 29. Auftrag = Mandatum 141<br />

Kapitel 30. Realkontrakte allgemein, Inst. 3, 14 pass. 142<br />

Kapitel 31. Geld 143<br />

Kapitel 32. Darlehen = Mutuum 144<br />

Kapitel 33. Darlehen mit Wirkung für andere 147<br />

Kapitel 34. Darlehenszinsen und Wucher 148<br />

Kapitel 35. Sc. Macedonianum 149<br />

Kapitel 36. Banken 152<br />

Kapitel 37. Bürgschaft 152<br />

Kapitel 38. Frauenbürgschaft, Sc. Vellaeanum 155<br />

Kapitel 39. Mitbürgen 156<br />

Kapitel 40. Rückgriff, Bürgenregress 156<br />

Kapitel 41. Schutz des Bürgen 157<br />

Kapitel 42. Verwahrung – Hinterlegung = Depositum 157<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

4


Kapitel 43. Stipulation 158<br />

Kapitel 44. Stipulation, Regelung in Inst. 3, 15 – 3, 20 161<br />

Kapitel 45. Kein Vertrag <strong>zu</strong> Gunsten <strong>Dr</strong>itter, 162<br />

aber wichtige Einschränkungen 162<br />

Kapitel 46 A. Schuldumschaffung = Novatio 164<br />

Kapitel 46 B. Anweisung = Delegatio 164<br />

Kapitel 47. Delegation statt moderner Abtretung 169<br />

Kapitel 48. Delegation statt moderner Schuldübernahme 170<br />

11 A. TEIL 171<br />

VERTRAGSÄHNLICHE VERHÄLTNISSE 171<br />

Kapitel 51. Quasikontrakte, Inst. 3, 27 pass. 171<br />

Kapitel 52. Geschäftsführung ohne Auftrag = Negotiorum gestio 171<br />

Kapitel 53. Ungerechtfertigte Bereicherung = Condictio indebiti 171<br />

Kapitel 54. Geldkondiktion 173<br />

11 B. TEIL 174<br />

UNERLAUBTE HANDLUNGEN 174<br />

Kapitel 1. Delikte 174<br />

Kapitel 2. Diebstahl = Furtum 176<br />

Kapitel 3. Unerlaubte Vermögensschädigung, Lex Aquilia 177<br />

Kapitel 4A. Verlet<strong>zu</strong>ngen der Person = Iniuria, Inst. 4, 4 pass. 182<br />

Kapitel 4B. Arglist = Actio de dolo 182<br />

Kapitel 5. Quasidelikte 183<br />

Kapitel 6. Haftung für Delikte Gewaltunterworfener, Noxalklage 183<br />

12. TEIL 184<br />

SACHENRECHT 184<br />

Kapitel 1. Sachenrecht, Systematik 184<br />

Kapitel 2. Besitz = Possessio 185<br />

Kapitel 3. Besitzerwerb 186<br />

Kapitel 4. Erwerb des Besitzes durch andere 188<br />

Kapitel 5. Erhaltung des Besitzes durch andere 189<br />

Kapitel 6. Besitzverlust 190<br />

Kapitel 7. Besitzschutz, Interdicta 190<br />

Kapitel 8. Eigentumserwerb, Eigentumsarten, Überblick 191<br />

Kapitel 9. Mancipatio 192<br />

Kapitel 10. In iure cessio 195<br />

Kapitel 11. Traditio 195<br />

Kapitel 12. Wirkungen der traditio 197<br />

Kapitel 13. Übereignungen mittels Hilfspersonen 198<br />

Kapitel 14. Ersit<strong>zu</strong>ng = Usucapio 200<br />

Kapitel 15. Tiere 202<br />

Kapitel 16. Verarbeitung 202<br />

Kapitel 17. Vermischung, Inst. 2, 1, 27 + 28 203<br />

Kapitel 18. Sachverbindung von beweglichen Sachen 203<br />

Kapitel 19. Sachverbindung mit Grundstück 204<br />

Kapitel 20. Früchte = Fructus 205<br />

Kapitel 21. Schatz = Thesaurus 206<br />

Kapitel 22. Aneignung = Occupatio und Eigentumsaufgabe = Derelictio 206<br />

Kapitel 23. Eigentum an Geld 207<br />

Kapitel 24. Eigentumsschutz allgemein 210<br />

Kapitel 25. Eigentumsherausgabeklage = Rei vindicatio 210<br />

Kapitel 26. Actio Publiciana 211<br />

Kapitel 27. Störungsbeseitigungsklage = Actio negatoria 212<br />

30. September 2011<br />

5


Kapitel 28. Actio ad exhibendum 213<br />

Kapitel 29. Schadenersatz wegen Zerstörung oder Beschädigung 213<br />

Kapitel 30. Privates Nachbarrecht 213<br />

Kapitel 31. Heute sogenannte dingliche Nut<strong>zu</strong>ngsrechte 214<br />

Kapitel 32. Pfandrecht 214<br />

Kapitel 33. Weitere Entwicklung des Sachenrechts 215<br />

13. TEIL 216<br />

ERBRECHT 216<br />

Kapitel 1. Erbrecht, Überblick 216<br />

Kapitel 2. Arten der Erben, Inst. 2, 19 pass. 218<br />

Kapitel 3. Erbrecht für Frauen 218<br />

Kapitel 4. Testierfreiheit, gewillkürte Erbfolge, Testament, Testamentsauslegung 219<br />

Kapitel 5. Noterbrecht, Querela inofficiosi testamenti 221<br />

Kapitel 6. Intestaterbrecht nach ius civile 222<br />

Kapitel 9. Intestaterbrecht nach ius honorarium 223<br />

Kapitel 10. Berufung <strong>zu</strong>r Erbschaft, Erbschaftserwerb, ruhende Erbschaft 223<br />

Kapitel 11. Erbengemeinschaft 224<br />

Kapitel 12. Erbschaftsklage 224<br />

Kapitel 13. Erbenhaftung 225<br />

Kapitel 14. Verkauf und Übertragung der Erbschaft 225<br />

Kapitel 15. Vermächtnis = Legatum 226<br />

Kapitel 16. Das Fidei commissum 227<br />

14. TEIL 227<br />

STRAFRECHT 227<br />

15. TEIL 228<br />

NEUERE UND NEUESTE RECHTSGESCHICHTE 228<br />

Kapitel 1. Historische Wurzeln des modernen Rechts 228<br />

Kapitel 2. Rechtsentwicklungen im Mittelalter und in der Neuzeit 229<br />

Kapitel 3. Savigny und die Rechtswissenschaft des 19. Jh. 231<br />

Kapitel 4. Ausarbeitung des BGB 233<br />

Kapitel 5. Neueste Rechtsgeschichte 235<br />

16. TEIL 236<br />

DIGESTENEXEGESE 236<br />

Kapitel 1. Der Sinn der Übung 236<br />

Kapitel 2. Musterexegesen 236<br />

Kapitel 3. Häufige Rechtsprobleme in Klausuren 237<br />

Kapitel 4. Textbeispiel Pomp. D. 19, 2, 52 237<br />

Kapitel 5. Allgemeine Hinweise 237<br />

Kapitel 6. Gliederungspunkte 238<br />

Kapitel 7. Erläuterungen <strong>zu</strong>r Inskription 238<br />

Kapitel 8. Sachverhalt 239<br />

Kapitel 9. Rechtsfragen 241<br />

Kapitel 10. Gedanken <strong>zu</strong>m geltenden Recht 243<br />

Kapitel 11. Allgemeine Fragen in der Klausur 244<br />

17. TEIL 245<br />

WÖRTERBÜCHER 245<br />

Kapitel 1. Fachausdrücke <strong>zu</strong>m Verständnis der Rechtsquellen 245<br />

Kapitel 2. Rechtsmaximen 248<br />

Kapitel 3. Kleines Wörterbuch <strong>zu</strong>m allgemeinen Verständnis 249<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

6


Kapitel 4. Heute gebräuchliche Ausdrücke 252<br />

18. TEIL 255<br />

LITERATUR 255<br />

Kapitel 1. Einfachster „Einstieg“ und einfachste Wiederholung 255<br />

Kapitel 2. Studienliteratur 255<br />

Kapitel 3. Forschungsliteratur 256<br />

Kapitel 4. Lern- und Studienliteratur Mittelalter und Neuzeit 259<br />

Kapitel 5. Weiterführende Literatur Mittelalter und Neuzeit 260<br />

Kapitel 6. Gemeines Recht, römisches Recht im 19. Jahrhundert 262<br />

Kapitel 7. Quellen und Literatur <strong>zu</strong>r Entstehung des BGB 262<br />

19. TEIL 264<br />

JAHRESZAHLEN 264<br />

30. September 2011<br />

7


ERSTER TEIL<br />

WARUM, WIE, WAS NICHT?<br />

KAPITEL 1. WARUM?<br />

Von der Leistung der Römer vor 2000 Jahren profitiert das Rechtssystem der ganzen westlichen Welt noch heute.<br />

Sie rechneten mit den Begriffen, wie Savigny sagte, und gelangten damit in den unterschiedlichsten und<br />

kompliziertesten Fällen <strong>zu</strong> gerechten Ergebnissen. Römisches Recht galt im Mittelalter und in der Neuzeit fast in<br />

ganz Europa, so dass man vom Ius commune, später in Deutschland von dem "Gemeinen Recht" sprach. Es gehört<br />

<strong>zu</strong> den wichtigsten Grundpfeilern aller westlicher Rechtsordnungen. Das von den römischen Juristen am<br />

weitaus höchsten entwickelte Recht ist das Privatrecht. Dabei sind auch die Praxis und Theorie der Subsumtion<br />

und der sonstigen rechtlichen Argumentation bekannt. Deswegen lohnt es sich, sich das römische Recht direkt<br />

an<strong>zu</strong>schauen.<br />

Erinnern Sie sich auch an weitere Vermächtnisse der Antike wie:<br />

- Sprache (Italienisch, Französisch, Kirchensprache, Germanenrechte, Wissenschaftssprache)<br />

- Schrift<br />

- alle Wissenschaften<br />

- Kirche<br />

- Grundherrschaft (vorher: Latifundien)<br />

- Staatsorganisation (Diözesen, Steuerwesen)<br />

- Gesetzgebungskunst (Germanenrechte)<br />

- Architektur, Straßenbau.<br />

KAPITEL 2. WIE? BENUTZUNG DIESES BEGLEITTEXTES<br />

Den Schwerpunkt der folgenden Hinweise bilden die Stichworte <strong>zu</strong>m römischen Privatrecht, die <strong>zu</strong>meist an die<br />

entsprechenden Teile der Institutionen Justinians (da<strong>zu</strong> jetzt die Überset<strong>zu</strong>ng von O. Behrends u. a.) anknüpfen.<br />

Da<strong>zu</strong> habe ich vermehrt Hinweise <strong>zu</strong> den lateinischen Fachausdrücken und Rechtsmaximen notiert. Lateinkenntnisse<br />

sind nicht erforderlich, erleichtern aber das Verständnis. Da die Vorlesungen über römisches Recht auch<br />

<strong>zu</strong>r Digestenexegese in Übung, Seminar oder Prüfung hinführen, habe ich speziell <strong>zu</strong> dieser ein paar Bemerkungen<br />

aufgenommen. Wegen des Sach<strong>zu</strong>sammenhangs und des naheliegenden Vergleichs zwischen römischem<br />

und modernem Recht bin ich noch einmal auf die BGB-Entstehung eingegangen. Wörterbücher für "Nicht-<br />

Lateiner", Literaturverzeichnisse und eine chronologische Übersicht schließen den Begleittext ab. Die Anmerkungen<br />

verweisen teils auf weitere Literatur und nennen <strong>zu</strong>m anderen Teil einschlägige oder problematische<br />

Quellenstellen.<br />

KAPITEL 3. WAS NICHT? LÜCKEN<br />

Nur, soweit wie für das Verständnis des römischen Privatrechts erforderlich, habe ich die römische Rechtsgeschichte<br />

wiederholt, denn diese bildet den Gegenstand einer gesonderten Vorlesung. Im allgemeinen habe ich<br />

auch das nicht angesprochen, was üblicherweise in der Rechtsgeschichtsvorlesung für das erste und zweite Semester<br />

vorgetragen wird.<br />

In den (hier also nicht noch einmal wiederholten) Vorlesungsmaterialien für das erste und zweite Semester finden<br />

Sie insbesondere: Vorderorientalische Rechte, jüdisches Recht, Rechte des Christentums, griechische Rech-<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

8


te, römische Geschichte, Rechtsgeschichte der neueren und neuesten Zeit. Die Wiederholung dieser Kapitel sei<br />

Ihrer besonderen Aufmerksamkeit empfohlen.<br />

ZWEITER TEIL<br />

REFERENDAREXAMEN - WAHLFACH 2<br />

KAPITEL 1. DURCHFÜHRUNG<br />

1. Gesamtgewicht der Wahlfächer im Referendarexamen<br />

Die Zusammenset<strong>zu</strong>ng der Anteile des Wahlfachs an Klausuren und mündlichen Examen ergibt, dass die Note<br />

des Wahlfachs mehr als ein Fünftel der Endnote ausmacht 1<br />

.<br />

2. Klausuren<br />

Zwei der neun Klausuren für das Referendarexamen betreffen das Wahlfach. Im Wahlfach 2, Rechts- und Verfassungsgeschichte,<br />

haben die Bearbeiterinnen und Bearbeiter bei beiden Klausuren die Wahl zwischen einer<br />

Aufgabe aus der sogenannten „römischen Rechtsgeschichte“ 2<br />

, der „Rechtsgeschichte des Mittelalters“ und der<br />

„Rechtsgeschichte der Neuzeit“. Die Aufgaben bestehen meistens darin, einen vorgegebenen Text oder mehrere<br />

vorgegebenen Texte <strong>zu</strong> interpretieren und einige weitere Fragen <strong>zu</strong> beantworten.<br />

Außerdem wird jeweils eine Zusatzfrage aus einem anderen Teilgebiet der Rechtsgeschichte gestellt. Die Bearbeiterinnen<br />

und Bearbeiter erhalten auf diese Weise die Gelegenheit, ihre Kenntnisse, die sie in anderen Teilgebieten<br />

haben, <strong>zu</strong>r Geltung <strong>zu</strong> bringen. Die Bearbeitung der Zusatzfrage soll sich nämlich nur bewertungssteigernd,<br />

nicht aber bewertungsmindernd auswirken können.<br />

3. Mündliche Prüfung<br />

In der mündlichen Prüfung ist einer der fünf Prüfungsabschnitte dem Wahlfach gewidmet. Im Wahlfach Rechts-<br />

und Verfassungsgeschichte soll künftig das Gewicht über die Teilgebiete hinaus stärker auf einen Überblick über<br />

die gesamte Rechtsgeschichte und auf die Beziehung <strong>zu</strong>m geltenden Recht gelegt werden.<br />

4. Prüfer<br />

Die Prüfungen und die Lehrveranstaltungen im Wahlfach 2 werden hauptsächlich durch Frau <strong>Prof</strong>essorin Möller<br />

und die <strong>Prof</strong>essoren <strong>Benöhr</strong> 3<br />

, Ebel, Paulus und Schröder durchgeführt.<br />

1<br />

2<br />

3<br />

Zusatz <strong>Benöhr</strong>: Das Wahlfach wiegt damit genausoviel wie Öffentliches Recht oder Strafrecht, nur etwas weniger<br />

als Zivilrecht, viel mehr als das „gemischte Recht“!<br />

Zusatz <strong>Benöhr</strong>: Deswegen die regelmäßige Durchführung der Digestenexegese an beiden <strong>Universität</strong>en, deswegen<br />

auch Hinweise <strong>zu</strong>r Anfertigung einer Digestenexegese mit Literatur gegen Ende dieses Begleittextes.<br />

Zusatz <strong>Benöhr</strong>: Auch nach Pensionierung <strong>Benöhr</strong> <strong>zu</strong>m 1. April 2002.<br />

30. September 2011<br />

9


KAPITEL 2. VORBEREITUNG<br />

1. Rechtsgeschichtliche Lehrveranstaltungen an der Freien <strong>Universität</strong> und an der <strong>Humboldt</strong>-<br />

<strong>Universität</strong><br />

Die Studentinnen und Studenten haben die Möglichkeit, sowohl an der Freien <strong>Universität</strong> als auch an der <strong>Humboldt</strong>-<strong>Universität</strong><br />

an Lehrveranstaltungen teil<strong>zu</strong>nehmen. Die regelmäßig vorgesehenen Hauptveranstaltungen<br />

werden im folgenden aufgeführt. Die Teilnahme an weiteren Vorlesungen, Proseminaren, Seminaren, Projektgruppen<br />

und einzelnen Vorträgen mit rechtshistorischem Inhalt, z. B. <strong>zu</strong>r Verfassungs- oder Strafrechtsentwicklung<br />

oder <strong>zu</strong>m alten nahöstlichen oder jüdischen Recht, wird empfohlen, selbstverständlich gerade dann, wenn<br />

diese nicht von den Prüfern des Wahlfachs 2 angeboten werden.<br />

2. Seminare<br />

Besonders wichtig sind Seminare <strong>zu</strong> Spezialthemen, die an beiden <strong>Universität</strong>en regelmäßig durchgeführt werden.<br />

3. Weitere regelmäßige Lehrveranstaltungen an der Freien <strong>Universität</strong><br />

a) Für das 1. Fachsemester Rechtswissenschaft<br />

Grundzüge der Rechts- und Verfassungsgeschichte<br />

mit Möglichkeit des Scheinerwerbs nach § 1 I 2 b JAG (in jedem Wintersemester) 4 SWS.<br />

b) Besonders für das Wahlfach 2<br />

- Vorlesung römisches Recht 2 SWS<br />

- Digestenexegese 2 SWS<br />

- Vorlesung Rechtsgeschichte des Mittelalters 2 SWS<br />

- Vorlesung Verfassungs- und Rechtsgeschichte der Neuzeit 2 SWS<br />

- Übung <strong>zu</strong>r Rechtsgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit 2 SWS<br />

Diese Lehrveranstaltungen werden regelmäßig, aber nicht in jedem Semester angeboten.<br />

4. Weitere regelmäßige Lehrveranstaltungen an der <strong>Humboldt</strong>-<strong>Universität</strong><br />

a) Für das 1. Fachsemester Rechtswissenschaft<br />

Einführung in die Rechtsgeschichte 4 SWS<br />

mit Möglichkeit des Scheinerwerbs nach § 1 I 2 b JAG (in jedem Semester)<br />

b) Besonders für das Wahlfach 2<br />

- Römische Rechtsgeschichte (möglichst jedes Wintersemester) 2 SWS<br />

- Römisches Privatrecht (möglichst jedes Sommersemester) 2 SWS<br />

- Digestenexegese (Quelleninterpretation mit Examinatorium,<br />

möglichst jedes Semester) 2 SWS<br />

- Rechtsgeschichte der Neuzeit (Vertiefung, möglichst jedes Wintersemester) 2 SWS<br />

- Examinatorium <strong>zu</strong>r Neueren Rechtsgeschichte (möglichst jedes<br />

Sommersemester) 2 SWS.<br />

5. Römisches Recht<br />

a) Schwerpunkte 4<br />

des römischen Privatrechts<br />

Gewaltabhängige, Altersgruppen, Irrtum, „stellvertretendes Handeln", Anweisung, Kauf, „Kauf bricht<br />

Miete“, Auftrag, Darlehen (mit Sonderformen), Zinsen, Stundung und Verzicht, Bürgschaft (und Verbot<br />

der Frauenbürgschaft), Stipulation, unerlaubte Handlung, Haftung für Gewaltabhängige, Besitz und Besitzschutz,<br />

Übereignung, ursprünglicher Eigentumserwerb, Ersit<strong>zu</strong>ng, Grundzüge des Vermächtnisrechts, Klage<br />

und Einrede der Arglist.<br />

b) Überset<strong>zu</strong>ng<br />

O. Behrends, R. Knütel, B. Kupisch, H. H. Seiler, Corpus Iuris Civilis, Die Institutionen, Text<br />

4<br />

Zusatz <strong>Benöhr</strong>: Die Aufzählung der Schwerpunkte kann andere Institutionen des römischen Privatrechts als<br />

Prüfungsgegenstände nicht ganz ausschließen.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

10


und Überset<strong>zu</strong>ng, utb-Taschenbuch, Heidelberg 1993.<br />

c) Einführungsliteratur und Quellensammlungen (mit Überset<strong>zu</strong>ng)<br />

Benke-Meissel, Hausmaninger (Casebooks), Hausmaninger-Selb, Honsell, Liebs, Mayer-Maly, Stein.<br />

d) Römische Rechtsgeschichte, Einführungsliteratur<br />

Kaser, Kunkel.<br />

e) Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, Einführungsliteratur<br />

Eisenhardt, Schlosser.<br />

<strong>Benöhr</strong> Ebel Paulus Schröder Wesel.<br />

KAPITEL 3. HILFSMITTEL FÜR DIE EXAMENSKLAUSUREN<br />

Als Hilfsmittel für die Klausuren sind für speziell für das römische Recht vom JPA <strong>zu</strong>gelassen:<br />

- Corpus Iuris Civilis, Bd. 1, Institutiones und Digesta, hrsg. v. Krüger und Mommsen.<br />

- O. Behrends, R. Knütel, B. Kupisch, H. H. Seiler, Corpus Iuris Civilis, Die Institutionen,<br />

Text und Überset<strong>zu</strong>ng, utb, C. F. Müller Verlag, Heidelberg.<br />

KAPITEL 4. KEIN SCHWERPUNKTBEREICH AN DER HUMBOLDT-UNIVERSITÄT<br />

Römisches Recht zählt nicht <strong>zu</strong> den neuen Schwerpunktbereichen an der <strong>Humboldt</strong>-<strong>Universität</strong>. Politik, <strong>Universität</strong>,<br />

Fakultät und einzelne <strong>Prof</strong>essoren haben das von Savigny bei der Gründung der Friedrich-Wilhelms-<br />

<strong>Universität</strong> <strong>zu</strong> Weltruhm gebrachte Fach abgemeldet und grundsätzlich Grundlagenfächer kleingeschrieben.<br />

DRITTER TEIL<br />

ANTIKE RECHTSGESCHICHTE<br />

IN VOR-RÖMISCHER ZEIT<br />

KAPITEL 1. PERIODEN UND GEBIETE DER ANTIKEN RECHTSGESCHICHTE INS-<br />

GESAMT<br />

Sie können sich die zeitlichen und räumlichen Abschnitte der Rechtsgeschichte in der Antike bis <strong>zu</strong>m Beginn<br />

des Mittelalters etwa folgendermaßen vorstellen:<br />

1. Orientalische Rechte, insbes.<br />

1. Keilschriftrechte, am bekanntesten Codex Hammurabi von Babylon um 1700 v. Chr.<br />

2. Hebräisches Recht, enthalten in dem von den Christen so genannten Alten Testament,<br />

am wichtigsten: die Zehn Gebote<br />

2. Griechische Rechte,<br />

30. September 2011<br />

11


1. Gesetzesreformen <strong>Dr</strong>akons und Solons in Athen um 620 v. Chr.,<br />

2. Rechts- und Staatsphilosophie Platons und Aristoteles' im 5. und 4. Jh.v. Chr.<br />

3. Römisches Recht<br />

Lit.: W. Selb, Antike Rechte im Mittelmeerraum, Wien u. a. 1993.<br />

KAPITEL 2. GESETZGEBUNG DER BABYLONIER<br />

Die konventionelle Unterscheidung zwischen Vorgeschichte und Geschichte mit der Schrift als Unterscheidungskriterium<br />

ist fraglich. Aber durch Schriftzeugnisse sind wir über das Denken und Handeln der früher lebenden<br />

Menschen und damit auch über ihr Recht sicherer informiert. Die Wiege unserer Zivilisation, im Nahen<br />

Osten, enthielt auch Kodifikationen, auf die im folgenden hingewiesen werden soll.<br />

1. Allgemeine Geschichte<br />

Der Reichtum des Landes “zwischen den Strömen“ (daher griechisch: Mesopotamien), nämlich zwischen Euphrat<br />

und Tigris, beruhte auf der jährlichen Hochflut, für die Dämme und Kanäle angelegt und unterhalten werden<br />

mußten. Es wurden Städte mit großen Tempelanlagen (daher die Geschichte des Turmbaus <strong>zu</strong> Babel [d.h. Babylon])<br />

gebaut. Kunst und, nach der “Erfindung“ der Schrift im 3. Jtsd., Literatur blühten. Es bildeten sich die Reiche<br />

von Sumer und Akkad, assyrische Reiche und das vorübergehende Reich König Hammurabis von Babylon.<br />

Großstädte und Großreiche, Wirtschaftsorganisation und Kriegsführung, Götter und Könige waren in einer hoch<br />

differenzierten Gesellschaft mit Beamtentum, Heer und Proestern, mit Freien, Halbfreien und Sklaven miteinander<br />

verbunden.<br />

2. Rechtsgeschichte<br />

Das Recht wurde seit der Mitte des dritten Jahrtausends vor Christi aufgezeichnet. Das erste vollständig erhaltene<br />

(aber nicht das früheste) Gesetz ist der sogenannte Codex des Königs Hammurabi. Er ist in Keilschrift auf einer<br />

Säule in rund 300 Paragraphen erhalten und befindet sich heute in Paris im Louvre. Der Codex betrifft<br />

Verbrechen (Falschanklage, -aussage und -entscheidung, Diebstahl und Raub, Un<strong>zu</strong>cht, Körperverlet<strong>zu</strong>ng und<br />

Tötung), Lehen, Grundstücke, Handel und Gewerbe, Sklaven-, Familien- und Erbrecht. Wahrscheinlich hat von<br />

hier aus die Gesetzgebungskunst überhaupt ihren Ausgang genommen.<br />

Zur allgemeinen Bedeutung der Kodifikation s. u. das letzte Kapitel.<br />

3. Quelle<br />

R. Haase, Die keilschriftlichen Rechtssammlungen in deutscher Überset<strong>zu</strong>ng, Wiesbaden 1963.<br />

4. Literatur<br />

R. Haase, Einführung in das Studium keilschriftlicher Rechtsquellen, Wiesbaden 1965; R. Haase, Zur Einführung:<br />

Keilschriftrechte, JuS 1966, S. 176-179; R. Herzog, Staaten der Frühzeit, Ursprünge und Herrschaftsformen,<br />

München 1988. Ferner einige Werke <strong>zu</strong> den antiken Rechten (s. das allgemeine Litaratur-Verzeichnis).<br />

5. Textbeispiel. Codex Hammurabi 5<br />

Diese wörtliche Überset<strong>zu</strong>ng ist nicht ohne weiteres verständlich - lesen Sie den Text ruhig langsam und mehrmals,<br />

um sich im Aufnehmen und Verfassen juristischer Texte <strong>zu</strong> trainieren.<br />

§ 9. Wenn ein Bürger, dem seine Sache verlorengegangen ist, seine verlorengegangene Sache in der Hand eines<br />

(anderen) Bürgers ergreift (und) der Bürger, in dessen Hand das Verlorengegangene ergriffen wird "Ein (gewisser)<br />

Verkäufer hat sie mir verkauft, vor Zeugen habe ich (sie) gekauft" sagt, und (wenn darauf) der Herr des Ver-<br />

5<br />

Haase, Die keilschriftl. Rechtssammlungen.<br />

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12


lorengegangenen "Zeugen, kundig des (mir) Verlorenen, bringe ich bei" sagt, (wenn jetzt) der Käufer den Verkäufer,<br />

welcher ihm (die Sache) verkauft hat, und Zeugen, in deren Gegenwart er (sie) gekauft hat, beibringt,<br />

und auch der Herr des Verlorengegangenen Zeugen, (die) kundig (sind) seines Verlorengegangenen, beibringt,<br />

(so) werden die Richter ihre Worte prüfen. Dann werden die Zeugen, vor denen der Kauf gekauft worden ist, und<br />

die Zeugen, kundig des Verlorengegangenen, vor dem Gotte aussagen. Wenn (sich dann) der Verkäufer (als)<br />

Dieb (erweist), wird er getötet. Der Herr des Verlorengegangenen wird sein Verlorengegangenes (an sich) nehmen.<br />

Der Käufer wird aus dem Hause des Verkäufers das Silber, das er (diesem) (dar)gewogen hat, nehmen.<br />

6. Fragen <strong>zu</strong>m Textbeispiel<br />

1. Was fällt Ihnen auf? Welche Bemerkungen können Sie <strong>zu</strong> dem Text machen?<br />

2. Welche ist die Quelle des Textes, wer ist ihr Autor, von wann stammt der Text, welchen Umfang hat er,<br />

was regelt er, wo befindet er sich jetzt?<br />

3. Berichten Sie langsam den Tatbestand.<br />

4. Welche Personen sind betroffen?<br />

5. Welches Verfahren ist vorgesehen?<br />

6. Welche Rechtsfolgen werden angeordnet?<br />

7. Schildern Sie die dabei als selbstverständlich vorausgesetzte Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung,<br />

Staats- und Gerichtsverfassung.<br />

8. Welchen heutigen Rechtsgebieten kann man Tatbestand und Rechtsfolgen <strong>zu</strong>ordnen?<br />

9. Nennen Sie die entsprechenden Normen des StGB<br />

10. ... und des BGB.<br />

11. Halten Sie die Regelung für angemessen oder für unangemessen?<br />

12. Ist die Vorschrift eher kasuistisch oder eher abstrakt formuliert?<br />

13. Sehen Sie es als einen Vor- oder einen Nachteil an, daß die von uns heute getrennten straf- und zivilrechtlichen<br />

Tatbestände in den alten Rechten gar nicht oder jedenfalls nicht so scharf getrennt waren wie heute?<br />

7. Jahreszahlen<br />

Um 3000 Hochkulturen in Ägypten und Mesopotamien (heute: Irak) Hieroglyphen und Keilschrift<br />

Um 1700 König Hammurabi von Babylon, Codex Hammurabi<br />

KAPITEL 3. BIBLISCHES RECHT<br />

Der Beitrag, den das antike Judentum, vermittelt durch das Christentum, für das moderne Recht geleistet hat, ist<br />

neben all' den anderen Einflüssen, aus denen sich die Menschen die heutige Rechtsordnung gebildet haben,<br />

schwer für sich <strong>zu</strong> erfassen, kann aber im folgenden nachgewiesen werden. Deswegen wird auf das Recht des<br />

Alten Testaments ziemlich ausführlich eingegangen. Dieses wirkte dann in zwei verschiedenen Richtungen weiter,<br />

indem es <strong>zu</strong>m einen das mittelalterliche und moderne jüdische Recht und <strong>zu</strong>m anderen das Recht des Christentums,<br />

welches wiederum eine der Wurzeln der modernen westlichen Rechtsordnungen ist, hervorgebracht hat.<br />

1. Recht der Thora<br />

Die Thora (der Juden) umfasst den wichtigsten Teil des Alten Testaments (der Christen), nämlich die fünf Bücher<br />

Moses, den (griechisch) sogenannten Pentateuch. Das Recht der Thora hat seine unmittelbare Bedeutung für<br />

die Juden in aller Welt und schließlich auch im heutigen Staat Israel (neben anderen Gesetzen) behalten. Es hat<br />

<strong>zu</strong>dem über mehrere Wege im Mittelalter, insbesondere über die Theologie und das kanonische Recht, auf das<br />

europäische Recht eingewirkt.<br />

1. Allgemeine Geschichte<br />

Um 1200 ziehen Hirtenstämme aus Ägypten unter Moses nach Palästina. Sie verehren einen einzigen Gott, Jahwe<br />

(der Seiende), von dem sie sich noch nicht einmal ein Bild machen, ja, dessen Namen sie noch nicht einmal<br />

30. September 2011<br />

13


aussprechen dürfen. Sie erleben Gottes Offenbarung auf dem Berge Sinai, wo Gott seinen Bund mit ihnen<br />

schließt und ihnen die Zehn Gebote gibt. Palästina, ein kleiner Landstreifen zwischen dem Mittelmeer im Westen<br />

und den Steppen im Osten, ist ein wichtiger Weg des kulturellen und wirtschaftlichen Austauschs. Das Land<br />

ist nur während kurzer Zeit selbständig und ungeteilt. Seinen Höhepunkt erlebt das Königreich Israel um 900 unter<br />

König David und seinem Sohn Salomon. Der erste Tempel wird in Jerusalem gebaut. Danach zerbricht das<br />

Reich in zwei Teile, Israel im Norden, um 720 von den Assyrern besetzt, und Juda im Süden mit der Hauptstadt<br />

Jerusalem. 586 v. Chr. zerstört Nebukadnezar II. von Babylon Jerusalem mitsamt seinem Tempel und führt die<br />

Juden in die "babylonische Gefangenschaft". Als jedoch die Perser im Jahre 539 Babylon erobert hatten, erlaubten<br />

sie den Juden die Rückkehr, die daraufhin den zweiten Tempel in Jerusalem errichteten. Ptolemäus I. siedelt<br />

größere Bevölkerungsteile in Alexandria an. Zahlreiche Aufstände verlaufen oft erfolglos; die Bevölkerung wird<br />

immer wieder vertrieben oder verschleppt, so daß sich große Judenkolonien außerhalb Palästinas bilden. Zuletzt<br />

werden die Juden nach der römischen Eroberung im Jahre 70 n. Chr., bis nach Persien, Indien, China und Japan<br />

vertrieben. Die von den Römern nach Spanien gebrachten Juden erhalten sich teilweise in der gotischen, arabischen<br />

und wiederum christlichen Zeit bis <strong>zu</strong> ihrer Ausweisung im Jahr 1492. Auch im späteren Deutschland finden<br />

sich Juden schon <strong>zu</strong>r Römerzeit.<br />

2. Wortgebrauch<br />

Hebräer Hebräer wurde <strong>zu</strong>r Bezeichnung aller Israeliten bzw. Juden. Hebräische Sprache,<br />

Schrift und Literatur sowie hebräisches Recht ist weitgehend identisch mit der Thora,<br />

d. h. mit dem Alten Testament.<br />

Israel hebr. Gotteskämpfer (1. Mos., 32, 29), Beiname des Patriarchen Jakob, übertragen auf seine Nachkommen,<br />

das Volk Israel, <strong>zu</strong>erst die semitischen Stämme, die vom 15. bis 13. Jh. v. Chr. in Palästina<br />

eindringen. Später werden die Israeliten Juden genannt.<br />

Juda hebr. Yehudi, Gottlob, der vierte Sohn Jakobs von der Lea, Stammvater des wichtigsten israelitischen<br />

Stammes, dann Königreich Juda im Süden.<br />

Juden der ursprünglich in der Landschaft Juda beheimatete Stamm. Seit dem babylonischen<br />

Exil der Name für alle Anhänger des jüdischen Glaubens und für den über die Welt<br />

zerstreuten Rest des ehemaligen Volkes Israel.<br />

Palästina Land der Philister.<br />

3. Rechtsperioden und -bereiche<br />

Die Terminologie ist fließend. Hier werden die folgenden Ausdrücke verwandt:<br />

Biblisches Recht Die Regeln, die sich aus dem Alten Testament ergeben.<br />

Jüdisches Recht<br />

= Recht des Talmud<br />

Die Regeln, die sich im Wesentlichen aus dem Talmud ergeben, vor allem gebildet<br />

aus den Regeln des Alten Testaments und den mündlich überlieferten Bestimmungen<br />

sowie aus der späteren Rechtsauslegung und -fortbildung.<br />

Israelisches Recht Recht des heutigen Staates Israel, nur <strong>zu</strong> einem geringen Teil gebildet aus jüdischem<br />

Recht.<br />

Recht des Neuen Testaments Rechtsvorstellungen und -regeln, die sich aus der Bibel, vor allem aus dem<br />

Neuen Testament ergeben und für die Christen von Anfang an mehr oder minder<br />

verbindlich waren. Daraus folgt u. a.<br />

Kirchenrecht<br />

= kanonisches Recht<br />

Recht, das von der Kirche gesetzt wurde und im Mittelalter für große Bereiche<br />

verbindlich war, die heute, aber nicht damals, dem staatlichen Recht unterliegen.<br />

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4. Rechtsquellen<br />

Gott ist die Quelle des Rechts und richtet über jedes Verhalten. Recht, Moral und Religion sind unlösbar miteinander<br />

verschmolzen. Da das Recht von Gott selbst gegeben wurde, kann das Recht von Menschen nicht verändert,<br />

sondern nur durch Auslegung an neue Gegebenheiten angepaßt werden.<br />

Zu den ältesten Rechtsschichten gehören die Zehn Gebote (griech. Dekalog), vielleicht in der Periode der Landnahme<br />

in Palästina entstanden. Die Zusammenfassung der zehn wichtigsten Grundgedanken allen Rechts in der<br />

Form der Zehn Gebote ist eine Abstraktion weit fortgeschrittenen Grades.<br />

Die wichtigste geschriebene Rechtsquelle ist die Thora (d. h. das geschriebene Gesetz), das sind die fünf Bücher<br />

Mosis (griech. Pentateuch), der Hauptteil des Alten Testaments der Christen, entstanden um 400 v. Chr.<br />

Die hebräischen Rechtsregeln sind verwandt mit babylonischen Texten.<br />

Sie haben ihrerseits über das Christentum und das mittelalterliche Kirchenrecht die europäische Zivilisation, vor<br />

allem das Recht, in nicht unerheblicher Weise beeinflußt.<br />

5. Einzelne rechtliche Vorstellungen und Regeln<br />

(1) Am wichtigsten ist die außerordentlich große Bedeutung, die schon im Alten Testament der Gerechtigkeit<br />

und dem Gesetz <strong>zu</strong>gewiesen wird: Gott ist der Gott der Gerechtigkeit, das unerreichbare Vorbild für den<br />

Menschen. Seine Hauptfunktion ist die des Gesetzgebers, Richters und Vollstreckers seiner Gesetze. Die<br />

letzte Manifestation der fürchterlichen Gerechtigkeit ist das Jüngste Gericht.<br />

DaDamit hängt der strenge Gehorsam <strong>zu</strong>sammen, den der Mensch Gottes Geboten schuldet. Denn man ist allgemein<br />

der Überzeugung, daß dasVolk Israel nur dann überleben wird, wenn es Gottes Gebote bis ins einzelne<br />

befolgt.<br />

Die Orientierung an Gesetz und Gerechtigkeit führt aber auch <strong>zu</strong> einem außerordentlichen Gesetzesvertrauen.<br />

Daraus erklärt sich wiederum das unermüdliche Studium des göttlichen Gesetzes, um seine Anweisung<br />

genau <strong>zu</strong> verstehen und daraufhin <strong>zu</strong> beachten.<br />

(2) Der Umstand, daß Gott den Menschen nach seinem Bilde schuf, wie es in der Bibel heißt, begründet die<br />

menschliche Würde.<br />

(3) Derselbe Umstand, ebenso wie die Einheit der Menschheit bis <strong>zu</strong>m sagenhaften Turmbau <strong>zu</strong> Babel und wie<br />

das alle Menschen treffende Jüngste Gericht, begründen die Gleichheit aller Menschen<br />

(4) Die Vorstellungen von Gesetzesgehorsam und Gesetzesvertrauen begründen die individuelle Verantwortung.<br />

Mit dieser hängt auch die Bedeutung subjektiver Faktoren im Recht wie Vorsatz und Fahrlässigkeit,<br />

guter Glaube und Irrtum <strong>zu</strong>sammen.<br />

(5) Infolgedessen ist das Alte Testament voller Regeln, die wir heute dem Strafrecht <strong>zu</strong>ordnen würden, und voller<br />

Geschichten über den Verstoß gegen derartige Regeln und deren Bestrafung - beginnend mit dem Sündenfall<br />

und dem Brudermord von Kain und Abel.<br />

(6) Andererseits schließt Gott mit den Menschen wiederholt einen Vertrag - in den Überset<strong>zu</strong>ngen häufig<br />

„Bund“ oder eben auch „Testament“genannt, dessen Erfüllung von beiden Seiten erwartet wird. Außerdem<br />

enthalten die Geschichten des Alten Testaments eine Fülle von Verträgen in der Art von Kauf, Pacht, Arbeit,<br />

Darlehen und Bürgschaft.<br />

(7) Eigentum wird als eine wichtige Rechtseinrichtung vorausgesetzt. Eigentum und Wohlstand als solche werden<br />

im Alten Testament nicht abgelehnt und werden gegen Diebstahl und Raum durch Strafandrohung gesichert.<br />

Salomons Sprüche verbieten den Neid. Sie sind die materielle Grundlage für die individuelle Existenz.<br />

Der Wohlstand ist Zeichen des göttlichen Segens eines frommen Lebenswandels. Wohlstand ist die<br />

30. September 2011<br />

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notwendige Grundlage für Hilfeleistung für Bedürftige. Infolgedessen wird Armut nicht positiv,sondern eher<br />

als ein Zeichen für Gottes’ Mißfallen gedeutet.<br />

(8) Das Alte Testament lobt und fordert die Arbeit, schon beginnend im Paradies.<br />

(9) Im Alten Testament wird wiederholt <strong>zu</strong> sozialem Verhalten - altmodisch formuliert: <strong>zu</strong>r Nächstenliebe -<br />

aufgerufen. Sie ist gerade<strong>zu</strong> eine der Rechtfertigungen für den Wohlstand einzelner. Zum Alten Testament<br />

gehört etwa das Verbot, von dem Stammesbruder Zins <strong>zu</strong> nehmen (wenn auch verbunden mit der Erlaubnis,<br />

von Ausländern Zinsen <strong>zu</strong> verlangen) 6<br />

. Eine soziale Absicht liegt auch dem Sabbat und dem Jubeljahr, in<br />

dem die israelischen Schuldsklaven freigelassen wurden, <strong>zu</strong> Grunde.<br />

(10) Wie gesagt, veranlaßt der geschuldete Gesetzesgehorsam das lebenslange Studium und dann auch die Diskussion<br />

der Gesetze.<br />

6. Heutige Bedeutung<br />

Die Zehn Gebote haben die Vorstellung einer Rechtskodifikation gestärkt. Besonders wichtig sind die hohe Bedeutung<br />

der Gerechtigkeit mit dem Vertrauen auf den gerechten Gott, die <strong>zu</strong>m modernen Rechtsstaat (Art. 19 IV<br />

und 20 III GG), <strong>zu</strong>r gegenwärtigen Verrechtlichungstendenz und gerade<strong>zu</strong> <strong>zu</strong> einer Rechtsgläubigkeit führt. Die<br />

in der Schöpfungsgeschichte beschriebene Gottähnlichkeit des Menschen begründet seine Würde (Art. 1 I und<br />

79 III GG). Weitere Bedeutung haben die im Christentum befindlichen subjektiven Elemente für das Recht erlangt.<br />

Nicht <strong>zu</strong>letzt hat das Arbeitsethos, das bereits in der Schöpfungsgeschichte und danach mehrfach <strong>zu</strong>m<br />

Ausdruck kommt, über das Christentum in die vormoderne und moderne Zeit hineingewirkt. Wichtig ist außerdem<br />

das im Alten Testament angelegte und im Neuen Testament voll entfaltete Liebesgebot, das <strong>zu</strong> den Wurzeln<br />

des modernen Sozialstaates (Art. 20 I GG) gehört. Damit verbunden ist das Friedensgebot, das sich heute als<br />

Verbot des Angriffskrieges im Völkerrecht wiederfindet (vgl. Art. 26 GG). Außerdem sind viele Einzelregeln in<br />

das mittelalterliche Recht übernommen worden. Obwohl alle diese Gedanken oft mißachtet oder pervertiert wurden,<br />

ist es wahrscheinlich, wenn auch nicht sicher, daß ohne hebräisches und christliches Recht sich das moderne<br />

Recht und die moderne Gesellschaft anders entwickelt hätten.<br />

7. Textbeispiel. Zehn Gebote<br />

2. Mos. 20, 2 - 17. 13. Du sollst nicht morden. 14. Du sollst nicht ehebrechen. 15. Du sollst nicht stehlen.<br />

16. Du sollst kein falsches Zeugnis ablegen gegen deinen Nächsten.<br />

8. Fragen <strong>zu</strong>m Textbeispiel<br />

1. Wer hat - der Bibel <strong>zu</strong>folge - diese Regeln aufgestellt?<br />

2. Handelt es sich um religiöse oder um juristische Regeln oder ist diese Unterscheidung hier un<strong>zu</strong>treffend?<br />

3. Würde man diese Regeln dem Strafrecht oder eher dem Zivilrecht <strong>zu</strong>ordnen, was spricht hier gegen diese<br />

Unterscheidung ?<br />

4. Ist der Tatbestand genau? Suchen Sie die Parallelen im geltenden Recht auf.<br />

5. Mit welcher Sanktion ist <strong>zu</strong> rechnen?<br />

6. Charakterisieren Sie den Sprachstil.<br />

9. Jahreszahlen<br />

Ab 1500 v. Chr. Eindringen der israelitischen Stämme in Palästina<br />

um 1200 Aus<strong>zu</strong>g von Teilen der Stämme aus Ägypten unter Mose, 10 Gebote<br />

um 900 König David, Nachfolger sein Sohn Salomo, Höhepunkt hebräischer Macht,<br />

erster Tempel<br />

danach Zerfall in Südreich (Juda, Hauptstadt Jerusalem)<br />

und Nordreich (Israel, wechselnde Hauptstädte).<br />

6<br />

Ex. 22, 24; Deut. 23,20 - 21; Lev. 25, 35 - 38.<br />

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586 Zerstörung Jerusalems und des Tempels durch Nebukadnezar II. von Babylon<br />

"Babylonische Gefangenschaft" der Juden.<br />

539 Perser erobern Babylon, erlauben den Juden die Rückkehr,<br />

Errichtung des zweitenTempels,<br />

aber persische Herrschaft über Palästina,<br />

dann makedonische, syrische, römische Herrschaft (63)<br />

Um 33 n. Chr. Kreuzigung Jesu.<br />

70 Zerstörung Jerusalems durch die Römer.<br />

KAPITEL 4. JÜDISCHES RECHT, INSBES. TALMUD, MITTELALTER<br />

1. Allgemeine Geschichte<br />

Schon in der Antike wurden die Juden mehrfach aus ihrem Land vertrieben, und teilweise verließen sie es freiwillig,<br />

um andernorts ihren Lebensunterhalt <strong>zu</strong> suchen. So gelangten sie in verschiedene Teile des römischen<br />

Reichs. Sie erlitten schon damals Judenfeindschaft und, vor allem <strong>zu</strong>r Zeit des Sieges<strong>zu</strong>ges des Christentums, -<br />

verfolgungen. Kaiser Justinians Corpus Juris Civilis von 533 n. Chr. sah Sonderregeln ihnen gegenüber vor.<br />

Dennoch war im Wesentlichen das Zusammenleben ungestört.<br />

Anfang des Mittelalters war das Zusammenleben von Juden und Christen für beide Seiten vorteilhaft und friedlich.<br />

Besonders früh hatten sich viele im Rheinland niedergelassen. Sie unterlagen nur wenigen Beschränkungen<br />

und konnten auch Landwirtschaft und Handwerk betreiben. Sie leisteten einen ganz wesentlichen Beitrag <strong>zu</strong>r<br />

Ausbildung der Stadt-, Wirtschafts- und Handelsstruktur. Vor allem durch Kreditvergabe, durch Kreditaufnahmen<br />

und Zinszahlungen und durch Abgabenleistungen stellten sie einen erheblichen Finanzfaktor dar. Von den<br />

deutschen Territorien aus zog ein Teil von ihnen nach Osteuropa (Aschkenasim), andere verbreiteten sich von<br />

Spanien und Portugal aus in den Mittelmeerraum (Sephardim).<br />

2. Verfolgungen<br />

Große Judenverfolgungen insbesondere im Kaiserreich, in Frankreich und England beginnen mit den Kreuzzügen<br />

(1096) und gelangen <strong>zu</strong> einem Höhepunkt mit der Pestseuche, dem Schwarzen Tod (1348 - 1350).<br />

Die Motive für die Verfolgungen seit dem Mittelalter sind Vorurteile, gezieltes Ablenken politisch-sozialer Un<strong>zu</strong>friedenheit<br />

auf diese Minderheit und die „Habgier der Christen“ (so ein christlicher Chronist des Mittelalters).<br />

Die Vorurteile sind <strong>zu</strong> einem Teil theologisch begründet, da ihr Volk als das der Mörder Christi gilt und da sie<br />

den Messias nicht anerkennen wollen. Dann werden ihnen der Mord unschuldiger Christenkinder (Ritualmord),<br />

die Schändung des christlichen Abendmahls (Hostienfrevel) und Brunnenvergiften angedichtet. Wucher wird ihnen<br />

vorgeworfen. Schließlich heißt es an vielen Orten, sie würden mit dem jeweiligen Feind <strong>zu</strong>sammenwirken.<br />

Wenig verändert hört man derartige Vorurteile noch im zwanzigsten Jahrhundert.<br />

3. Rechtliche Stellung<br />

Das mittelalterliche Recht verlangte vor allem die strikte Trennung von Juden und Christen durch das Verbot der<br />

Mischehe, die Anordnung besonderer Kleidung der Juden und die Einrichtung von Ghettos. Kirche und Kaiser<br />

lehnten jedoch Verfolgungen und Zwangstaufen ab, wenn sich auch diese immer wieder ereigneten. Die Kaiser<br />

versahen die Juden mit besonderen Privilegien und Schutzbriefen, für die sie eine Gebühr verlangten, woraus<br />

sich im Laufe der Jahrhunderte das sogenannte Judenregal, besonders große Steuerbelastungen und der Leibzoll<br />

für Juden entwickelten. Die Juden unterlagen nur in eingeschränkter Weise dem mittelalterlichen Zinsverbot, sie<br />

genossen sogar besondere juristische Vorrechte bei Pfandgeschäften. Eines der Hauptprobleme bestand darin,<br />

daß sie in vielen Gebieten gar nicht oder nur in beschränkter Zahl <strong>zu</strong>gelassen waren. Sehr viele Städte und Territorien<br />

(z. B. auch Brandenburg-Preußen) erließen bis in das 18. Jahrhundert besondere Judenordnungen.<br />

30. September 2011<br />

17


4. Rechtsgeschichte allgemein<br />

Die Juden halten an ihrem Recht wie an ihrem Glauben immer und überall fest. Die intensive Beschäftigung mit<br />

ihrem Recht in nahe<strong>zu</strong> allen Schichten und Gruppen während ihrer ganzen Geschichte ist gerade<strong>zu</strong> ein Charakteristikum<br />

der Juden.<br />

Nach jüdischer Auffassung enthalten die Zehn Gebote und überhaupt die Thora nur einen Teil des von Gott gegebenen<br />

Rechts. Ein weiterer Teil soll in der ungeschriebenen, mündlichen Überlieferung enthalten sein. Thora<br />

und mündliche Überlieferung wurden besonders in den Jahrhunderten um die Zeitenwende überall, vor allem in<br />

Lehrhäusern, diskutiert und später im Talmud aufgezeichnet.<br />

An den Talmud knüpfen wiederum religiöse, ethische und juristische Werke des Mittelalters an. Die frommen<br />

Juden richten ihr Leben nach den Lehren, die sie im Talmud und in diesen Werken finden. In Zweifelsfällen erteilen<br />

seit dem Mittelalter und bis heute besonders angesehene Lehrer Rechtsgutachten.<br />

In vielem sind jüdisches und westlich-modernes Recht ähnlich, vor allem in der Berufung auf das geschriebene<br />

Recht, in dem Erfordernis eines intensiven Studiums des Rechts und - wie schon gezeigt wurde - in vielen<br />

Punkten der ethischen und rechtlichen Grundlagen der Zivilisation. In wesentlichen Punkten unterscheiden sie<br />

sich jedoch. Vor allem ist bemerkenswert, daß nach jüdischer Auffassung Religion, Ethik, Recht und einfache<br />

Sitte nicht <strong>zu</strong> scheiden sind, während für das westlich-moderne Recht die Trennungen erheblich sind.<br />

5. Insbesondere der Talmud<br />

Die mündliche Überlieferung und die an Überlieferung und Thora anknüpfende Lehre wurden um 500 n. Chr. im<br />

Talmud (d. h. die Belehrung und das Lernen) gesammelt. Da die jüdischen Lehrhäuser in Babylon und in Palästina<br />

besonders angesehen waren, wurde der Talmud in zwei Fassungen erstellt, als Babylonischer und als Jerusalemer<br />

Talmud. Umfassender ist der Babylonische Talmud, er wird heute als verbindlich angesehen.<br />

Der Talmud ist kein abstrakt-systematisches Lehrwerk, sondern eine Sammlung von religiösen, ethischen und<br />

rechtlichen Anordnungen und ausführlichen Diskussionsberichten, historischen und medizinischen Ausführungen,<br />

erbaulichen Betrachtungen, Gleichnissen und Legenden. Der Talmud ist also kein Religionsbuch oder Gesetzeskodex,<br />

sondern eher eine Enzyklopädie des jüdischen Wissens und Denkens der ersten Jahrhunderte n. Z.<br />

6. Textbeispiel. Talmud 7<br />

Auch dieser Rechtstext erschließt sich nicht ohne weiteres, sondern verlangt eingehendes Studium. Versuchen<br />

Sie es!<br />

Talmud. Bawa Kamma 83 b/84 a. Gemara. Wie kann das sein? "Auge um Auge"<br />

sprach doch der Allbarmherzige. Sollte ich da nicht sagen: Wirklich das Auge? Das komme dir ja nicht in den<br />

Sinn; denn es wird gelehrt: Man könnte meinen: Wer ein Auge geblendet hat, dem blendet man ein Auge, wer<br />

eine Hand abgehauen hat, dem haut man eine Hand ab, wer einen Fuß zerbrochen hat, dem zerbricht man einen<br />

Fuß, so besagt doch der Text: "Wer einen Menschen schlägt" und: "Wer ein Tier erschlägt". Wie derjenige, "der<br />

ein Tier erschlägt", <strong>zu</strong> Ersatzleistungen verpflichtet ist, so ist auch derjenige, "der einen Menschen schlägt", <strong>zu</strong><br />

Ersatzleistungen verpflichtet. Wenn du aber etwas dagegen sagen wolltest, siehe, so sagt doch die Schrift:<br />

"Nehmt kein Lösegeld für das Leben eines Mörders, der schuldig ist <strong>zu</strong> sterben!" Für das Leben eines Mörders<br />

also darfst du kein Lösegeld nehmen, wohl aber sollst du Lösegeld nehmen sogar für die hauptsächlichen Gliedmaßen,<br />

die nicht wiederher<strong>zu</strong>stellen sind.<br />

[...] Es wird gelehrt: Rabbi Dostai, Jehudas Sohn, sagt: "Auge um Auge" bezieht sich auf Geldentschädigung. Du<br />

sagst: Es bezieht sich auf Geldentschädigung? Aber vielleicht ist es nicht so, sondern es bezieht sich wirklich<br />

auf das Auge? Aber siehe, was willst du sagen, wenn das Auge des einen groß war und das Auge des andern<br />

klein ist? Wie soll ich in diesem Fall das "Auge um Auge" anwenden?<br />

7<br />

Aus: Ebel-Thielmann, Rechtsgeschichte, Bd. 1, S. 18 - 20.<br />

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18


[...] Es wird gelehrt: [...] Aber siehe, was willst du sagen, wenn da ein Blinder war, der blendete, ein Verstümmelter,<br />

der verstümmelte, ein Lahmer, der lähmte? Wie soll ich in diesem Fall das "Auge um Auge" aufrechterhalten,<br />

da doch die Weisung sagt: "Ein einziges Recht soll für euch gelten", das gleiche Recht soll für euch alle<br />

gelten?<br />

[...] Es wird gelehrt: Rabbi Elieser sagt: "Auge um Auge" - das ist wirklich gemeint. Ist das wirklich gemeint?<br />

Was kommt dir in den Sinn! Sollte sich Rabbi Elieser gegen alle diese Mischnalehrer stellen? Rabba sagte: Das<br />

besagt, daß man ihn nicht als Sklaven einschätzen soll. Abbaje sagte <strong>zu</strong> ihm: Wie soll man diesen sonst einschätzen?<br />

Etwa als Freien? Ein Freier hat doch keinen Geldwert. Nein, Raw Aschi sagte: Das besagt, daß man es<br />

nicht beim Geschädigten einschätzen soll, sondern beim Schädiger.<br />

7. Fragen <strong>zu</strong>m Textbeispiel<br />

1. Welcher Text ist der Ausgangspunkt der Überlegungen?<br />

2. Welches Ergebnis wird von den Interpreten gesucht? Warum?<br />

3. Welcher Name wird Gott in diesem Text gegeben, warum?<br />

4. Zeigen Sie an diesem Text die wörtliche Auslegung, die Auslegung contra legem, das argumentum e<br />

contrario und das argumtentum ad absurdum.<br />

5. Wie wird in diesem Text mit dem Prinzip umgegangen, das auch dem römischen Recht bekannt ist, daß ein<br />

Freier keinen Geldwert hat, corpus liberi non habet pretium?<br />

6. Welche Bedeutung hat in diesem Text der Gleichheitssatz?<br />

7. Welche Tendenzen des jüdischen Rechts liegen diesem Text <strong>zu</strong> Grunde?<br />

8. Welche entsprechenden Regelungen kennt das moderne Zivilrecht?<br />

8. Die großen Lehrer: Raschi und Maimonides<br />

Raschi wurde 1040 in Troyes (Nordfrankreich) geboren und starb dort im Jahre 1105 und hatte anfangs auch in<br />

Worms Talmudstudien betrieben. Er gehört <strong>zu</strong> den berühmtesten Erklärern der Bibel und des Talmud. Sein<br />

Kommentar wird auch heute noch in den üblichen Talmudausgaben mitabgedruckt.<br />

Maimonides (abgekürzt RaMBaM), geboren 1135 in Cordoba (Spanien), mußte in islamischer Zeit mehrfach emigrieren<br />

und ließ sich schließlich in Ägypten nieder, wo er Leibarzt des Sultans Saladin und seines Sohnes<br />

wurde. Er verfaßte einen großen Kommentar („Sirag“, Mischna-Kommentar), einen weiteren Religionskodex<br />

(„Mischne tora“), in dem er den gesamten Stoff des Talmuds systematisch ordnete, <strong>zu</strong>sammenfaßte und erläuterte,<br />

noch ein religionsphilosophisches Werk („Führer der Schwankenden“), das wesentlich auf den Werken des<br />

Aristoteles fußt. Er starb 1204 (sein Grabmal steht noch heute in Tiberias). Seine Schriften haben auch die christlichen<br />

Denker seiner Zeit, vor allem Thomas von Aquin, beeinflußt und gehören <strong>zu</strong> den Grundlagen heutiger jüdischer<br />

Anschauungen.<br />

KAPITEL 5. RECHT DES NEUEN TESTAMENTS<br />

Das Denken, Rechtsbewußtsein und Handeln der frühen Christen wird in den meisten historischen Darstellungen<br />

nicht besonders thematisiert, obwohl von christlichem Abendland und christlichen Parteien ständig die Rede ist.<br />

Trotz Kriegen und Bürgerkriegen, Kapitalismus und Ausbeutung der <strong>Dr</strong>itten Welt ist das Christentum in seinen<br />

verschiedenen Erscheinungen ein wesentlicher Faktor der europäischen Gesellschaft. Wichtige Vermittler zwischen<br />

Christentum und Gesellschaft waren im Mittelalter die in jeder Hinsicht große christliche Kirche, die<br />

Theologie und das damals für alle (ausgenommen die Juden und die, von ihnen unterschiedenen, Ungläubigen)<br />

verbindliche Kirchenrecht, das kanonische Recht.<br />

1. Allgemeine Geschichte<br />

Das Christentum erhebt sich auf dem Boden der jüdischen Religion als Erfüllung der dort gegebenen Weissagungen.<br />

In der Auseinanderset<strong>zu</strong>ng mit vielen heidnischen Religionen und Philosophien hält es den Monotheismus<br />

und den Glauben an einen unsichtbaren Gott, an den bereits in Menschengestalt erschienenen Messias und<br />

30. September 2011<br />

19


die leibliche Auferstehung aufrecht. Nach den Christenverfolgungen, insbesondere unter Diokletian, und dem<br />

Toleranzedikt Konstantins wird es als Staatsreligion anerkannt, während die anderen Kulte verfolgt werden.<br />

2. Rechtsgeschichte und Bedeutung für das moderne Recht<br />

Die beiden Grundlagen des Christentums sind das jüdische Recht und die Lehren Christi. Charakteristisch sind<br />

Gottes Liebe <strong>zu</strong> den Menschen und die Vergebung der Sünden, verbunden mit dem Gebot der Nächstenliebe unter<br />

den Menschen. Die Nächstenliebe spielt in den Lehren (insbesondere in der Bergpredigt) und Gleichnissen<br />

(die Arbeiter im Weinberg, der barmherzige Samariter, Lazarus) eine hervorgehobene Rolle. Die Kirche mußte<br />

sich als praktisch notwendig erweisen und die Bedürfnisse des Alltags in einer für jedermann einsichtigen Weise<br />

befriedigen. Zu den von ihr betriebenen Einrichtungen gehörten mithin nicht nur Kultgebäude, sondern, wie es<br />

ein Kaisergesetz beispielhaft aufzählte: "Kirchen, Klöster, Krankenhäuser, Hospitäler und Waisenhäuser 8<br />

." Der<br />

Kirche fielen die ihrer Barmherzigkeitspredigt entsprechenden Aufgaben <strong>zu</strong>. Deshalb übernahm die Kirche entsprechende<br />

Staatsfunktionen, wie Preiskontrolle und Konsumentenschutz. Ihr stand in diesen Rechtsfragen nicht<br />

nur die Rolle einer geduldeten Fürsprecherin <strong>zu</strong>. Sie hatte vielmehr feste Rechte im Staat und verfügte, im doppelten<br />

Sinne des Wortes, über das notwendige Vermögen, um ihre Aufgaben <strong>zu</strong> erfüllen 9<br />

. Das Humanitätsideal<br />

mit der Achtung vor Wert und Würde des Menschen wirkten sich also vielfältig in der Praxis des Alltags aus.<br />

Damit verbunden ist die christliche Suche nach Frieden. Die Christen predigten, daß der Frieden weder auf jüdische<br />

Weise (strenge Erfüllung aller Gesetzesvorschriften), noch auf römische (durch militärische und juristische<br />

Befriedung) endgültig <strong>zu</strong> erreichen sei. Frieden sei nur <strong>zu</strong> haben, wenn jemand erlittenes Unrecht als sinnvoll ertrage,<br />

den eigenen Rechtsstandpunkt opfere und Unrecht nicht erwidere 10<br />

.<br />

Der Gemeinde der einfachen Leute entspricht das Gleichheitsprinzip, gesteigert <strong>zu</strong> dem Satz, daß die Letzten die<br />

Ersten sein werden. Da die Kirche ihre Anhänger unter den einfachen Leuten suchte, machte sie, ebenfalls gestützt<br />

auf die Bibel, aus der Arbeit eine Tugend mit der Maxime, "wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen".<br />

Wichtig ist <strong>zu</strong>m einen der Gedanke, daß Gott in die Herzen sieht und daß weder die nur äußerliche Vornahme<br />

der Zeremonien, noch die guten Werke allein ausreichen. Daher stammen die Bedeutung des individuellen Gewissens<br />

und psychologischer Elemente im Recht, z. B. Treu und Glauben (hier wird aber auch arabischer Einfluß<br />

eine Rolle gespielt haben), Absicht, Vorsatz, Fahrlässigkeit, Irrtum etc.<br />

Andererseits führen die Ausbreitung der Religion unter der römischen Beset<strong>zu</strong>ng und die Mission unter anderen<br />

Völkern <strong>zu</strong> der Trennung von Kirche und Staat bzw. Recht: "Gebt dem Kaiser was des Kaisers ist und Gottes<br />

was Gottes ist", dies im Gegensatz <strong>zu</strong>r jüdischen Religion. Die Abspaltung des Christentums vom Judentum ist<br />

eine der Ursachen für die Judenfeindschaft der Christen.<br />

7. Jahreszahlen<br />

1. Jh. Kreuzigung Jesu; Missionsreisen des Paulus<br />

284 - 305 Kaiser Diokletian, Christenverfolgungen<br />

313 Kaiser Konstantin, Toleranzedikt von Mailand<br />

391 Christentum wird Staatsreligion.<br />

KAPITEL 6. DEMOKRATIE UND RECHTSDENKEN DER GRIECHEN<br />

Die Griechen gaben die Leistungen des Orients an den Westen weiter. Vor allem kann der eigentlich griechische<br />

Einfluß auf die römische Zivilisation nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die griechische Logik und Rechts-<br />

8<br />

9<br />

10<br />

Codex Iust. 1, 2, 17.<br />

H. Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, 2. Aufl., Heidelberg 1992, S. 115.<br />

Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 106 f.<br />

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20


philosophie wirkten in der Antike auf das Denken der Römer (vor allem Cicero), im Mittelalter auf die Scholastik<br />

(vor allem Thomas von Aquin) und in der Neuzeit auf die Naturrechtslehren des 17. und 18. Jahrhunderts<br />

(vor allem Grotius und Pufendorf). Der heutige Gebrauch von Wörtern griechischer Herkunft im Staatsrecht, in<br />

der Politik, in der Soziologie und Philosophie zeigt die Fortdauer des griechischen Einflusses bis heute.<br />

1. Allgemeine Geschichte und Verfassungsgeschichte<br />

In Athen sind die "drakonischen" Gesetze <strong>Dr</strong>akons und die Rechtsreform Solons um 600 v. Chr. von Bedeutung.<br />

Sie schränken die Macht des Adels ein, heben die Leibeigenschaft an griechischen Schuldnern auf (die Sklaverei,<br />

insbes. an Kriegsgefangenen, bleibt) und fördern die Wirtschaft.<br />

2. Griechische Demokratie<br />

Aristoteles beschreibt in seiner Schrift über den "Staat der Athener" die Entwicklung der athenischen Verfassung<br />

bis <strong>zu</strong> den Verhältnissen seiner eigenen Zeit: Im 7. Jh. wird es erforderlich, daß in Kriegen nicht mehr allein die<br />

Adligen, sondern das ganze Volk geschlossen kämpft. Neben die Landwirtschaft treten Gewerbe und Handel<br />

(Münzprägung um 650) mit einem gewerblichen Mittelstand. Eine allgemeine Rechtspflege, unterstützt durch<br />

Rechtskodifikationen (namentlich <strong>Dr</strong>akon und Solon), beseitigt adlige Fehde und Rechtswillkür. Für Kriegsdienst<br />

und Steuern, Wahlen und Gesetzesbeschlüsse in der Volksversammlung (Ecclesia) und Geschworenengerichte<br />

sowie für die Staatsämter teilt Solon die Bürger nach ihrem Grundbesitz und mobilen Vermögen in vier<br />

Klassen mit unterschiedlichen Rechten und Pflichten ein. Minderbemittelten Bürgern wird unter Perikles die<br />

Teilnahme am politischen Leben durch Tagegelder und Amtsbesoldung ermöglicht. Ein Rat (Boulé) von 400,<br />

später 500 Mitgliedern leitet die Verwaltung und entwirft die Gesetze. Der Areopag, besetzt mit früheren Oberbeamten<br />

(Archonten), übt die Verfassungsaufsicht und die Mordgerichtsbarkeit aus. Überhaupt ist die vielfältige<br />

Differenzierung der Gerichtsbarkeit auffällig. Volksvertreter, Beamte und Richter werden durch das Los bestimmt<br />

oder gewählt. Mißliebige Bürger werden durch das Scherbengericht (Ostrakismus) verbannt. Aber Sklaven,<br />

Halbfreie und Fremde, Frauen und Kinder sind von den politischen Entscheidungen ausgeschlossen.<br />

3. Kann man überhaupt von "Staaten" in der Antike und im Mittelalter sprechen?<br />

Was macht den "Staat" aus?<br />

Es ist heute kontrovers, ob man von einem "Staat" in vormoderner Zeit sprechen darf. <strong>Dr</strong>ei Haupt-Theorien <strong>zu</strong>m<br />

modernen "Staat":<br />

1. "Organisation der hoheitlichen Macht eines Volkes".<br />

2. <strong>Dr</strong>ei-Elemente-Lehre: "Staatsvolk, Staatsgebiet, Staatsgewalt".<br />

"Der Staat ist<br />

1. die politische Einheit einer Gemeinschaft von Menschen<br />

(nicht identisch mit Volk oder Nation schlechthin),<br />

2. die in einem bestimmten Gebiet (mit festen Grenzen) seßhaft sind,<br />

3. unter einer obersten Gewalt, ausgestattet mit Kontinuität,<br />

<strong>zu</strong>r Erfüllung des Staatszwecks organisiert sind".<br />

3. Verschiedene Integrationslehren, insbes. von Rudolf Smend (1882 - 1975, 1928).<br />

Staat als "geistige" Realität der Bürger und Staatsorgane,<br />

in einem längeren Prozeß der Integration entwickelt,<br />

in ständigem Prozeß der Erneuerung am Leben gehalten.<br />

4. Rechtsdenker und Rechtsdenken im Athen des 5. und 4. Jh. v. Chr.<br />

Die griechischen Philosophen suchen nach der Erkenntnis des richtigen Rechts und nach dem Zusammenhang<br />

zwischen Recht und Macht. Sokrates (470 - 399) gilt als der Begründer der attischen Philosophie, hat keine<br />

Schriften hinterlassen, sondern belehrte seine Mitbürger auf Straßen und Plätzen. Er unterwarf die überlieferten<br />

Meinungen eindringlichen Fragen und meinte, die individuelle Einsicht bringe das rechte Handeln hervor. Den-<br />

30. September 2011<br />

21


noch müsse der Bürger auch ungerechte Gesetze und Richtersprüche befolgen. Wegen angeblicher Gotteslästerung<br />

und Verführung der Jugend wurde er <strong>zu</strong>m Tode (durch Trinken des Giftbechers) verurteilt.<br />

Im 4. Jh. v. Chr. entwirft Platon Pläne für den idealen Staat, und Aristoteles stellt Beobachtungen über Staatsfunktionen<br />

und -formen sowie deren Veränderungen an. Nach seiner Auffassung ist der Mensch von Natur aus<br />

auf das Zusammenleben mit anderen angewiesen. Seine Lehren gehören <strong>zu</strong> den Fundamenten des neuzeitlichen<br />

Naturrechts (16. - 18. Jh. n. Chr.), auf dem das moderne Verfassungsrecht und die moderne Rechtsphilosophie<br />

aufbauen.<br />

Platon (428/427 - 349/348), Verfasser der Dialoge u. a. über den "Staat" (Politeia), den "Staatsmann" (Politikos)<br />

und die "Gesetze" (Nomoi), leitet das Wesen des Staates aus dem Wesen des Menschen ab, "weil jeder von uns<br />

... vieler bedürftig ist", kommt damit (in der Politeia) <strong>zu</strong>r Arbeitsteilung und schließlich <strong>zu</strong>r Gliederung des Staates<br />

in den Erwerbsstand , sowie in den Krieger- und Herrscherstand, diese beiden bei völliger Gleichberechtigung<br />

der Frauen und mit Güter-, Frauen- und Kindergemeinschaft. Platon sieht jedoch in seinen späteren Nomoi<br />

die Wahl der Regierung durch die Volksversammlung und die Herrschaft im Rahmen von Grundgesetzen vor.<br />

Wenn die Wesensprinzipien des Staates verletzt werden, zerfällt er durch Revolution oder durch äußeren Anstoß,<br />

wie in der Zyklentheorie dargelegt 11<br />

.<br />

Aristoteles (384 - 322), hat seine Rechts- und Staatsphilosophie vor allem in der Nikomachischen Ethik, der Politik<br />

und dem Verfassungenvergleich (darunter der "Staat der Athener") niedergelegt, weitere Schriften betreffen<br />

Metaphysik, Logik und Rhetorik sowie Naturwissenschaften. Da der Mensch ein geselliges Wesen (Zoon politikón)<br />

sei, erreiche er seine vollkommene Entfaltung erst im Staat. Infolgedessen sind nur solche Staatsformen gerecht,<br />

die auf den gemeinsamen Nutzen aller Bürger hinzielen. Das staatliche Recht sei entweder "natürlich", d.<br />

h. von der Natur des Menschen vorgegeben, daher allen Menschen gemeinsam und überall gültig. Oder das staatliche<br />

Recht sei "gesetzlich", indem es allein auf den positiven Gesetzen eines bestimmten Staates beruhe.<br />

Die Gerechtigkeit sei austeilend, "distributiv", geometrisch, indem sie jedem gerade soviel an Ehren <strong>zu</strong>teilt, wie<br />

er im Rahmen des Staates <strong>zu</strong> beanspruchen hat. Oder die Gerechtigkeit sei ausgleichend, arithmetisch, indem sie<br />

allen das Gleiche <strong>zu</strong>teilt, insbesondere beim Austausch im Geschäftsverkehr, bei der Wiedergutmachung von<br />

unerlaubten Schädigungen und im Strafrecht, da der Richter alle Personen gleichbehandeln muß. Im Dienste der<br />

Gerechtigkeit steht auch die Billigkeit. Aristoteles hatte eine überragende Bedeutung in der griechischen und<br />

römischen Antike, im arabischen und christlichen Mittelalter und in der Neuzeit.<br />

5. Textbeispiel I. Zweck des Staates nach Aristoteles<br />

Aristoteles, Politik, III 9 - 10, 1280 b 29 - 1281 a 16 12<br />

. [...] Offensichtlich ist also der Staat nicht bloß eine Gemeinschaft<br />

des Ortes und um einander nicht <strong>zu</strong> schädigen und um des Handels willen. Sondern dies sind nur<br />

notwendige Vorausset<strong>zu</strong>ngen, wenn es einen Staat geben soll; aber auch wenn all das vorhanden ist, ist noch<br />

kein Staat vorhanden, sondern dieser beruht auf der Gemeinschaft des edlen Lebens in Häusern und Familien um<br />

eines vollkommenen und selbständigen Lebens willen.<br />

Freilich kann dies nicht <strong>zu</strong>stande kommen, wo man nicht an demselben Orte wohnt und keine Ehegemeinschaft<br />

hat. Und so gibt es in den Staaten Verschwägerungen und Brüderschaften und Opferfeste und Formen des geselligen<br />

Lebens. Das ist das Werk der Freundschaft. Denn der Wille, <strong>zu</strong>sammen<strong>zu</strong>leben, ist Freundschaft.<br />

Ziel des Staates ist also das edle Leben, und jenes andere ist um dieses Zieles willen da. Und der Staat ist die<br />

Gemeinschaft der Geschlechter und Dorfgemeinden um des vollkommenen und selbständigen Lebens willen.<br />

Dieses endlich ist, wie wir betonen, das glückselige und edle Leben. Man muß also die politischen Gemeinschaften<br />

auf die edlen Handlungen hin einrichten und nicht bloß auf das Beisammenleben. Wer darum <strong>zu</strong> einer solchen<br />

Gemeinschaft am meisten beiträgt, der hat auch einen größern Anteil an dem Staate als jene, die an Freiheit<br />

und Abkunft gleich oder sogar überlegen sind, aber an politischer Tugend weniger besitzen, oder jene, die an<br />

11<br />

12<br />

K.R. Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 1, Der Zauber Platons, utb/München 1977.<br />

Aristoteles, Politik, übersetzt und hersg. von O. Gigon, dtv/München 1973.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

22


Reichtum hervorragen, an Tugend aber <strong>zu</strong>rückstehen. Offensichtlich haben also jene, die über die Verfassungsformen<br />

diskutieren, nur einen Teil der Gerechtigkeit im Auge.<br />

10. Gefragt wird nun, was das Entscheidende im Staate sein soll: die Menge, die Reichen, die Anständigen, der<br />

Eine, der der beste von allen wäre, oder der Tyrann? All das scheint Schwierigkeiten <strong>zu</strong> haben. Denn wenn die<br />

Armen <strong>zu</strong>folge ihrer Mehrzahl den Besitz der Reichen aufteilen, ist dies nicht ungerecht? Und doch schien es<br />

dem entscheidenden Teile in der Tat gerecht. [...]<br />

6. Ergän<strong>zu</strong>ng <strong>zu</strong>m Textbeispiel I. Staatszwecke<br />

1. Zweck. Sicherheit<br />

2. Zweck. Wohlfahrt, Daseinsvorsorge<br />

3. Zweck. Rechtsstaat<br />

4. Zweck. Vollkommenheit<br />

7. Textbeispiel II. Billigkeit nach Aristoteles<br />

Aristoteles, Nikomachische Ethik, V 14, 1137 b 10 - 1138 b 28 13<br />

. Die Schwierigkeit kommt daher, daß das Billige<br />

zwar ein Recht ist, aber nicht dem Gesetze nach, sondern als eine Korrektur des gesetzlich Gerechten. Die Ursache<br />

ist, daß jedes Gesetz allgemein ist, in einigen Dingen aber in allgemeiner Weise nicht korrekt gesprochen<br />

werden kann. Wo man allgemein reden muß, dies aber nicht angemessen tun kann, da berücksichtigt das Gesetz<br />

die Mehrzahl der Fälle, ohne über diesen Mangel im unklaren <strong>zu</strong> sein. Dennoch geht es richtig vor. Denn der<br />

Fehler liegt weder im Gesetz noch beim Gesetzgeber, sondern in der Natur der Sache. Die Materie des Handelns<br />

ist nämlich von vornherein von dieser Art.<br />

Wenn also nun das Gesetz allgemein spricht, dabei ein Fall eintritt, der dem Allgemeinen widerspricht, so ist es,<br />

soweit der Gesetzgeber allgemein formulierend eine Lücke läßt, richtig, dies <strong>zu</strong> verbessern, wie es ja auch der<br />

Gesetzgeber selbst getan hätte, wenn er dabei gewesen wäre; und wenn er diesen Fall gewußt hätte, hätte er ihn<br />

ins Gesetz aufgenommen. Daher ist das Billige ein Recht und besser als ein gewisses Recht, nicht als das Recht<br />

im allgemeinen, sondern als der Mangel, der entsteht, weil das Gesetz allgemein spricht.<br />

Dies ist also die Natur des Billigen, eine Korrektur des Gesetzes, soweit es auf Grund seiner Allgemeinheit mangelhaft<br />

ist. Dies ist auch die Ursache davon, daß nicht alles gesetzlich geregelt wird, da man über einige Dinge<br />

unmöglich Gesetze geben kann; da bedarf es denn besonderer Beschlüsse.<br />

8. Jahreszahlen<br />

Um 600 Bürgerkriegssituation in Athen,<br />

darum Gesetzgebungen <strong>Dr</strong>akons (621) und Solons (594)<br />

mit bedeutenden Rechtsreformen<br />

5. und 4. Jh. am Anfang die Kriege gegen die Perser (480 - 470)<br />

Philosophie: Sokrates (470- 399), Platon (427 - 347) und Aristoteles (384 - 322/21)<br />

Klassische Kunst: Tempelbau und Bildhauerei;<br />

Tragödien: Aischylos, Sophokles, Euripides;<br />

Geschichtsschreibung: Herodot und Thukydides;<br />

am Ende der Peloponnesische Krieg zwischen den griech. Staaten (431 - 404)<br />

Alexander d. Gr. (Herrscher 336 - 323)<br />

215 Übergreifen Roms nach Griechenland.<br />

13<br />

Aristoteles, Die Nikomachische Ethik, übersetzt von O. Gigon, dtv/München 1972.<br />

30. September 2011<br />

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VIERTER TEIL<br />

RÖMISCHE GESCHICHTE UND VERFASSUNG<br />

KAPITEL 1. PERIODEN DER RÖMISCHEN RECHTSGESCHICHTE<br />

Man kommt in etwa <strong>zu</strong> folgender Einteilung für die Perioden des römischen Rechts:<br />

1. Altrömisches und vorklassisches Recht<br />

1. Königszeit, 753 bis 510 v. Chr., Gewohnheitsrecht und Königsgesetze, leges regiae.<br />

2. Republik, 510 v. Chr. bis 27 v. Chr.<br />

Bis 3. Jh. v. Chr. Zwölf Tafeln und weitere Gesetze und Plebiszite,<br />

später auch Senatusconsulte.<br />

Jüngere Republik, ab 3. Jh. bis 27 v. Chr. bis um Chr. Vorklassisches Recht.<br />

Jetzt werden die Grundlagen des römischen Privatrechtssystems gelegt. Im letzten Jahrhundert v.<br />

Chr., das ist das letzte Jahrhundert der Republik, erscheinen die Juristen Q. Mucius Scaevola 14<br />

und<br />

Publius Alfenus Varus sowie der vielseitige Politiker und Schriftsteller Marcus Tullius Cicero. Die<br />

vorklassische Rechtsperiode geht über in die frühklassische.<br />

2. Klassisches Recht, Prinzipat, 0 bis 200 n. Chr.<br />

1. Frühklassisches Recht<br />

Zu Beginn des Prinzipats setzt sich die Rechtsentwicklung im frühklassischen Recht fort.<br />

2. Hochklassisches Recht<br />

Die hochklassische Periode wird etwa mit Celsus und Iulian erreicht.<br />

3. Spätklassik<br />

Die Spätklassik endet im Wesentlichen mit Papinian, Paulus und Ulpian.<br />

3. Nachklassische Entwicklungen, etwa 200 n. Chr. bis 533<br />

Die klaren Differenzierungen des klassischen Rechts (z. B. zwischen Verpflichtung und Verfügung, Eigentum<br />

und Besitz) und die scharfsinnigen Lösungen der klassischen Juristen werden abgebaut. Einflüsse aus<br />

den nicht-römischen Rechten, insbesondere aus dem griechisch-sprachigen Bereich, und vielleicht auch aus<br />

dem Christentum werden in das römische Recht übernommen.<br />

Manche Rechtswissenschaftler sprechen heute von einem Vulgarrecht, das sich dann breitgemacht habe.<br />

4. Justiniansches Recht, 533 n. Chr.<br />

Charakterisiert durch die von Kaiser Justinian angeordnete und von seinem „Minister“ Tribonian durchgeführte<br />

Kodifizierung.<br />

5. Byzantinisches Recht, aber 1453 Eroberung Konstantinopels durch die Türken.<br />

14<br />

Behrends, in: Juristen, hrsg. v. M. Stolleis, S. 444, s. v. Mucius.<br />

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24


6. Wiederentdeckung und Bearbeitung des römischen Rechts seit etwa 1050 n. Chr., Irnerius, Bologna,<br />

Verbreitung, sogenannte Rezeption, des römischen Rechts nördlich der Alpen,<br />

vor allem im Hl. Römischen Reich Deutscher Nation, etwa 12. - 16. Jh.<br />

KAPITEL 2. GESCHICHTE UND VERFASSUNG ROMS<br />

Die römische Verfassung der Republik und dann die des Prinzipats diente wiederholt im europäischen Mittelalter<br />

und in der Neuzeit als Orientierung: Das heilige römische Reich deutscher Nation mit dem Kaiser an der<br />

Spitze sah sich als Nachfolge der römischen Institutionen. Kleine und große Fürsten nahmen seit dem Mittelalter<br />

für sich in Anspruch, wie der römische Princeps nicht an die Gesetze gebunden <strong>zu</strong> sein, legibus solutus. Napoleon<br />

erklärte sich <strong>zu</strong>erst wie ein Römer der Republik <strong>zu</strong>m Ersten Konsul und dann, in der mittelbaren Nachfolge<br />

der römischen Kaiser, selbst <strong>zu</strong>m Kaiser, Imperator / Empereur.<br />

1. Königszeit<br />

Aus Sagen, archäologischen Funden und Rückschlüssen aus späteren Einrichtungen weiß man mit einer gewissen<br />

Sicherheit folgendes: Seit etwa 1000 v. Chr. ist das Gebiet der späteren Stadt auf den (sieben) Hügeln und<br />

bald auch in dem dazwischen liegenden Gelände besiedelt. Es werden Landwirtschaft und Handel am Übergang<br />

über den Tiber-Fluß betrieben. Die Einzelsiedlungen werden nach sagenhafter Überlieferung durch Romulus und<br />

Remus im Jahre 753 <strong>zu</strong> einem Gemeinwesen verbunden und dann von sieben etruskischen Königen beherrscht.<br />

Mit der Stadtgründung, ab urbe condita, a. u. c., beginnt eine der römischen Jahresrechnungen.<br />

Zu den Verfassungseinrichtungen gehört, wie vielerorts in der Antike, ein von den Familien-Ältesten (senex<br />

- alt) gebildetes Gremium, der Senat. Neben ungeschriebenem Recht gab es Gesetze der Königszeit, leges<br />

regiae. 510 v. Chr. werden die Könige gestürzt und die Republik wird errichtet.<br />

2. Republik<br />

Die Römer sprechen von ihrem Staat als der öffentlichen Angelegenheit, Res publica. Sie sehen Senat und Volk<br />

Roms, Senatus Populusque Romanus, SPQR, für entscheidend an.<br />

Die Mitglieder des Senats werden vom Zensor berufen, ursprünglich nur Patrizier, später auch Plebejer. Bei der<br />

Berufung werden vor allem die gewesenen Konsuln und Praetoren sowie die übrigen Magistrate berücksichtigt.<br />

Eine eigentliche „Gesetzgebungskompetenz“ im engen Sinne steht dem Senat zwar nicht <strong>zu</strong>. Aber für bestimmte<br />

Wahl- und Gesetzesbeschlüsse der Volksversammlung 15<br />

ist die Zustimmung des Senats, die auctoritas patrum,<br />

erforderlich. Vor allem hat der Senat die Aufgabe, die Beamten (so wie vorher den König) <strong>zu</strong> beraten, consilium<br />

<strong>zu</strong> erteilen; in der Praxis hatten diese „Ratschläge“ oder „Gutachten“ verbindliche Kraft, ähnlich wie ein Gesetz<br />

oder eine Verordnung. Das waren die Senatus consulta, z. B. Sc. Macedonianum oder Sc. Vellaeanum. Daher<br />

werden in den Rechtsquellenkatalogen der Kaiserzeit, z. B. des Gaius, die Senatus consulta als Rechtsquellen<br />

aufgeführt. Das ist gerade für das Zivilrecht besonders wichtig. Der Senat ist weiter <strong>zu</strong>ständig für die Außenpolitik,<br />

die Kriegsführung und die Finanzen. Allmählich erhält der Senat auch eine Zuständigkeit für die Strafgerichtsbarkeit.<br />

In der Kaiserzeit jedoch wird ein Teil seiner Bedeutung vom Princeps übernommen.<br />

Die Volksversammlung (in der Formation von Comitia) beschließt die Gesetze und wählt die Beamten.<br />

An der Spitze stehen als die höchsten Beamten, Magistratus (vgl. magis - mehr), die Konsuln, sie sind auch<br />

die obersten Heerführer. In der Ämterhierarchie folgen die vor allem für die Rechtsprechung <strong>zu</strong>ständigen Praetoren.<br />

Danach kommen die Aedilen, die für die allgemeine "Polizei", für Straßen und Märkte, und damit auch für<br />

die Marktpolizei und Marktgerichtsbarkeit <strong>zu</strong>ständig sind. In ihrem Edikt, dem Aedilen-Edikt, ordnen sie u. a.<br />

die Sachmängelhaftung für Sklaven- und Zugtiere an. Eine Stufe tiefer stehen die für Geldangelegenheiten <strong>zu</strong>ständigen<br />

Quaestoren.<br />

15<br />

Comitia centuriata, anscheinend nicht für Tributkomitien, sicher nicht für Plebsversammlungen.<br />

30. September 2011<br />

25


Volkszählung, Zusammenset<strong>zu</strong>ng des Senats und Sittenaufsicht sind Angelegenheiten der Zensoren, die gewissermaßen<br />

außerhalb der normalen Ämterhierarchie stehen.<br />

Zwischen dem Adel, den Patriziern, und dem Rest der Bevölkerung, den Plebejern, bricht nach der Vertreibung<br />

der Könige, <strong>zu</strong> Beginn der Republik, der Ständekampf aus, vor allem weil die Plebejer für den Kriegsdienst unentbehrlich<br />

sind und wahrscheinlich auch, weil sie durch Gewerbe und Handel eine erhebliche Wirtschaftmacht<br />

erlangt haben. Die Plebejer schließen sich in eigenen Versammlungen, in den Concilia plebis (beachten Sie den<br />

Unterschied <strong>zu</strong>m consilium, pl. consilia, Beratungsgremium), <strong>zu</strong>sammen, fassen eigene verbindliche Beschlüsse,<br />

die Plebis scita, und wählen eigene Beamte, die Tribuni plebis und die Aediles plebis. Das Concilium plebis hatte<br />

also die gleichen Funktionen wie die Comitia.<br />

Die Volkstribunen nehmen gegen jede Handlung eines Beamten das Recht des Einschreitens, intercessio, in Anspruch<br />

(Veto - ich verbiete). Der Ausgleich zwischen Patriziern und Plebejern erfolgt im Laufe von zwei<br />

Jahrhunderten: Das Zwölf-Tafel-Gesetz etwa von 449 bringt Rechtssicherheit, Rechtsgleichheit und Rechtshumanisierung.<br />

Die Leges Liciniae Sextiae von 367/366 ermäßigen die Schuldenlast, legen (<strong>zu</strong>r Beschränkung adliger<br />

Macht und zwecks wirtschaftlicher Gleichheit) eine Höchstgrenze für den Besitz an erobertem Feindesland<br />

(Ager publicus) fest und eröffnen den Plebejern den Zugang <strong>zu</strong> den höchsten Staatsämtern.<br />

Die Macht der römischen Oberbeamten ist erheblich, wie durch die Rutenbündel (fasces für die Prügelstrafe) mit<br />

dem Beil (für die Todesstrafe, außerhalb der Stadt Rom) demonstriert wird. Die Macht ist dadurch begrenzt, dass<br />

die Beamten von Wahlen abhängig sind, jede Funktion mehrfach besetzt ist, gleichrangige und höhere Beamte<br />

sowie die Volkstribunen das Widerspruchsrecht, intercessio, haben, ihre Amtszeit nur ein Jahr dauert, Wiederwahl<br />

erst nach einem bestimmten zeitlichen Intervall möglich ist, gegen gewisse Entscheidungen die Volksversammlung<br />

angerufen werden kann, Provocatio ad populum, sie vor Gericht <strong>zu</strong>r Verantwortung gezogen werden<br />

können und weil sie einer Kontrolle durch den Senat unterliegen.<br />

Die Römer befolgen die Maxime: Wenn du den Frieden willst, rüste dich für den Krieg - Si vis pacem,<br />

para bellum. Sie unterwerfen <strong>zu</strong>erst Italien. Seit dem 3. Jh. v. Chr. greifen sie nach Spanien, Nordafrika, Griechenland,<br />

Kleinasien und großen Teilen des Nahen Ostens einschließlich Palästinas und Ägyptens aus. Die Bewohner<br />

nördlich der Alpen, Germanen und Gallier, werden von den Römern, endgültig von Caesar, in schweren<br />

Kämpfen seit dem 2. Jh. v. Chr. unterworfen. So kommt es zwar tatsächlich <strong>zu</strong>m Imperium Romanum, das in<br />

Provinzen eingeteilt wird, aber verfassungsrechtlich bleibt es vorerst bei den alten Einrichtungen der städtischen<br />

Republik.<br />

Die Stadt Rom wird <strong>zu</strong> einer Großstadt. In der Landwirtschaft, im Gewerbe und Handel nehmen Großbetriebe<br />

überhand und verdrängen mit ihrer Sklavenarbeit den freien bäuerlichen und gewerblichen Mittelstand.<br />

Dem besitzlosen Proletariat stehen die wohlhabenden Nobiles der alten Familien und die neureichen Equites gegenüber.<br />

Reformversuche der Brüder Tiberius Sempronius Gracchus und Gaius Sempronius Gracchus scheitern.<br />

Das Jahrhundert vor Christi ist weiterhin durch Kriege innerhalb und außerhalb Italiens bestimmt und <strong>zu</strong>dem<br />

durch Bürgerkriege zwischen römischen Gruppen erschüttert. Die Republik geht mit Gaius Iulius Caesar, ermordet<br />

44 v. Chr., unter.<br />

3. Prinzipat<br />

Oktavian beendet die Bürgerkriege. Vom Senat mit dem Ehrennamen "Erhabener", Augustus, ausgezeichnet,<br />

stellt er die Verfassung der Republik wieder her, so dass ihre Einrichtungen, insbes. Senat und republikanische<br />

Magistrate wie z. B. das Konsulat immer erhalten bleiben, wenn sie auch an Bedeutung verlieren. Er erreicht mit<br />

verfassungsrechtlichen Besonderheiten (z. B. Übernahme der Funktionen des Konsuls (Imperium consulare),<br />

Prokonsuls (Imperium proconsulare) und Volkstribuns (Tribunicia potestas) die Herrschaft eines einzigen Her-<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

26


vorragenden, des Princeps, und begründet damit das Kaiserreich. Seitdem bestehen die alten, allmählich inhaltsleeren<br />

republikanischen Einrichtungen und die moderne kaiserliche Verwaltung nebeneinander.<br />

Um die großen Juristen in die politische Geschichte ein<strong>zu</strong>ordnen, mag eine chronologische Liste der Kaiser und<br />

der Juristen von Nutzen sein:<br />

Augustus 27 v. Chr. Labeo<br />

bis 14 n. Chr. Capito<br />

Tiberius 14 - 37 Proculus; Sabinus, Cassius<br />

Gaius Caligula<br />

Claudius<br />

Nero<br />

Vespasian<br />

Titus<br />

Domitian<br />

Nerva<br />

Trajan 98 - 117 Celsus (bis unter Hadrian)<br />

Hadrian 117 – 138 Iulian<br />

Antoninus Pius 138 - 161 Pomponius; Gaius<br />

Mark Aurel<br />

L. Verus<br />

Commodus<br />

Septimius Severus 193 - 198 Papinian<br />

Antoninus Caracalla 198 - 217 Paulus, Ulpian<br />

Die Privatrechtswissenschaft erlebt in den beiden ersten Jahrhunderten n. Chr. ihre höchste Entfaltung, so dass<br />

man heute vom „klassischen römischen Recht“ spricht.<br />

Die Kaiser dehnen das Reich weiter aus. Doch bald setzt der Zerfall ein, der vor allem durch Diokletian (284 -<br />

305) und Konstantin d. Gr. (324 - 337) aufgehalten wird. Das Reich spaltet sich (395) in Westrom und Ostrom<br />

auf. Das früher verfolgte Christentum wird <strong>zu</strong>r Staatsreligion. Germanen dringen in das Reich ein, plündern im<br />

5. Jh. die Stadt Rom und setzen 476 den letzten weströmischen Kaiser ab. Der byzantinische Kaiser Justinian I.<br />

führt in erfolgreichen Kriegen rings um das Mittelmeer noch einmal das ganze römische Reich <strong>zu</strong>sammen. Teil<br />

seiner Restaurationspolitik ist 533 die Kodifikation des römischen Rechts. 1453 wird Byzanz/Konstantinopel<br />

von den Mohammedanern erobert.<br />

4. Wissenschaftsgeschichte: Theodor Mommsen<br />

Theodor Mommsen hat das römische Verfassungsrecht aus den verstreuten Bemerkungen der römischen Schriftsteller<br />

gewissermaßen erst rekonstruiert. Er war überhaupt der bedeutendste deutsche Historiker, geb. 1817 in<br />

der Nähe von Schleswig, gest. 1903 in Charlottenburg. <strong>Prof</strong>essor in <strong>Berlin</strong>.<br />

Abgeordneter der Nationalliberalen Partei im preußischen Landtag und im Reichstag. Herausgeber des Corpus<br />

Iuris Civilis. Sein berühmtestes, mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnetes Werk ist die "Römische Geschichte".<br />

Nach wie vor unersetzt ist auch sein "Römisches Strafrecht".<br />

5. Was ist eigentlich eine Verfassung?<br />

30. September 2011<br />

27


1. Bedeutung: Tatsächliche Daseinsweise eines Staates.<br />

2. Bedeutung: System der höchsten Normen des Staates.<br />

3. Bedeutung: Wertordnung.<br />

4. "Formeller Verfassungsbegriff", das einzelne Verfassungsgesetz,<br />

einfach <strong>zu</strong> bestimmen nach formalen Merkmalen.<br />

5. M. E. heute Kombinations-Theorien für moderne Verfassungen1.<br />

6. Rechtsmaximen<br />

Auctoritas, non veritas facit legem. Macht, nicht Wahrheit macht das Gesetz.<br />

Salus publica suprema lex esto. Das Wohl des Staates sei höchstes Gesetz.<br />

Suum cuique. Jedem das Seine.<br />

Ubi ius, ibi remedium. Wo ein Recht ist, da ist ein Mittel.<br />

Ubi societas, ibi ius. Wo Gesellschaft, dort Recht.<br />

Videant consules, Die Konsuln sollen sehen, dass der Staat keinen Schaden nehme.<br />

ne quid res publica (Wortlaut der Notstandsermächtigung des Senats<br />

detrimenti capiat. für die Höchstbeamten, äußerster Senatsbeschluß =<br />

senatus consultum ultimum - letzter Senatsbeschluß).<br />

7. Ausdrücke (z. T. griechischer Herkunft)<br />

adsessor Berater eines hohen Beamten<br />

Anarchie Herrschaftslosigkeit<br />

Aristokratie Adelsherrschaft<br />

Asyl Freistatt<br />

Autarkie wirtschaftliche Unabhängigkeit<br />

Autonomie Unabhängigkeit<br />

bellum iustum, iniustum der gerechte, der ungerechte Krieg<br />

bellum omnium contra omnes Krieg aller gegen alle (Th. Hobbes)<br />

civilis bürgerlich<br />

civis Bürger<br />

classis Volksabteilung, Flottenabteilung<br />

mare liberum das freie Meer<br />

modus vivendi die Art des Zusammenlebens<br />

natio Volksstamm, Abstammung<br />

officium Pflicht, Amtspflicht<br />

pax Friede<br />

plebs, -bis (f.) Volk (ohne die Patrizier)<br />

populus Staatsvolk (mit Patriziern und Plebejern)<br />

praeses oberster Provinzstatthalter; daher: Präsident<br />

privilegium Vorrecht<br />

publicus, -a, -um öffentlich<br />

universalis weltumfassend, allgemein<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

28


Inst. 1, 2, pr.; I. 1, 2, 1; I. 1, 2, 2 am Anfang.<br />

Naturrecht Inst. Iust. 1, 2 pr. + 11<br />

FÜNFTER TEIL<br />

RECHTSQUELLEN 16<br />

KAPITEL 1. NATURRECHT = IUS NATURALE<br />

KAPITEL 2. ZIVILRECHT = IUS CIVILE<br />

ius civile Inst. Iust. 1, 2, 1 + 2 + 10 + 11<br />

Der Begriff des ius civile hat verschiedene Bedeutungen, entsprechend verschiedenen Entwicklungsschichten:<br />

- Recht nur für Römer / im Gegensatz <strong>zu</strong>m ius gentium, das auch für Nichtrömer, peregrini, galt,<br />

weil die römischen Bürger sich auch Quirites nannten, sprachen sie auch von ius Quiritium;<br />

- altes Recht / im Gegensatz <strong>zu</strong>m ius honorarium, das vom Praetor in seinem Edikt gesetzt wurde,<br />

daher auch ius praetorium.<br />

Zum ius civile in beiden Bedeutungen gehören<br />

- die Formalakte, die ausdrücklich das Bürgerrecht anrufen, ex iure Quiritium,<br />

z. B. mancipatio und in iure cessio,<br />

- Rechtsgeschäfte mit sakralem Be<strong>zu</strong>g, wie die sponsio (deswegen für Nichtrömer die stipulatio),<br />

- Ehe, matrimonium, und<br />

Erbschaft, hereditas.<br />

Quellen des ius civile<br />

- alte Gesetze, vor allem die XII-Tafeln, und Plebiszite, z. B. die lex Aquilia<br />

(NICHT: Senatusconsulta, Edikte, Kaisererlasse, Rechtswissenschaft),<br />

- sonstiges altes Recht.<br />

- Zum ius civile rechneten die Römer in der klassischen Zeit<br />

auch die Konsensualkontrakte (Kauf, locatio conductio, Gesellschaft und Auftrag),<br />

obwohl diese schon sehr lange sowohl für Römer als auch für Ausländer benutzbar waren.<br />

Rechtswissenschaftliche Behandlung des ius civile<br />

- Quintus Mucius Scaevola, einer der bedeutendsten Juristen der republikanischen Zeit,<br />

und Massurius Sabinus, einer der bedeutendsten Juristen der frühklassischen Periode,<br />

verfassten die ersten Werke <strong>zu</strong>m ius civile.<br />

16<br />

Spätere Juristen verfassten auf der Grundlage dieser Werke ihre Bücher <strong>zu</strong>m ius civile.<br />

Daher kommt es, dass libri ad Quintum Mucium oder ad Sabinum<br />

die Institutionen des ius civile behandeln. Autoren u. a. Pomponius, Paulus und Ulpian<br />

Zum „Aufbau der Rechtsordnung“: Dulckeit/Schwarz/Waldstein, RRG, 9. A., § 22.<br />

30. September 2011<br />

29


KAPITEL 3. RECHT FÜR RÖMER UND NICHTRÖMER<br />

1. Weitgehend in Antike und MA "Personalitätsprinzip".<br />

Da "Personalitätsprinzip": das römische Recht<br />

1. für römische Bürger in der Stadt Rom.<br />

2. Ganz Italien nach dem Bundesgenossenkrieg (90 - 88 v. Chr.) römisches Bürgerrecht.<br />

3. Schließlich im gesamten Imperium Romanum nach einem Edikt des Kaisers Antoninus Caracalla von<br />

212 n. Chr. Diese constitutio Antoniniana verlieh allen freien Reichsangehörigen das Bürgerrecht und<br />

erstreckte damit theoretisch die Anwendung des ius civile und überhaupt des gesamten römischen<br />

Rechts auf diese alle.<br />

2. Der Nichtrömer, peregrinus,<br />

1. konnte am eigentlichen ius civile nicht teilhaben<br />

(Ausnahmen:<br />

- er war als Römer aufgenommen worden, d. h. er hatte das römische Bürgerrecht erlangt,<br />

- oder ihm war das commercium, d. h. die Gleichordnung mit römischen Bürgern<br />

für Privatrechtsgeschäfte, verliehen worden,<br />

- und/oder ihm war das conubium, d. h. das Recht einer Ehe nach römischem Recht,<br />

<strong>zu</strong>gestanden worden.)<br />

2. Unter Nichtbürgern galt im Wesentlichen deren Recht,<br />

unter den Angehörigen verschiedener Rechtsgemeinschaften römisches ius gentium.<br />

3. Einzelne Rechtsbereiche des römischen Rechts (außerhalb des ius civile) auch für Nichtrömer<br />

1. ius gentium Inst. Iust. 1, 2, 1: dieses galt, nach römischer Auffassung, gleichzeitig<br />

sowohl für römische Bürger als auch für peregrini, Inst. 1, 2, 1 a. E.<br />

(Ein besonderes „Fremdenrecht“, ausschließlich für Ausländer, gab es eigentlich nicht.).<br />

2. Einrichtungen, institutiones, des den Römern vorbehaltenen ius civile<br />

wurden Ausländern im Prozess eröffnet durch die Fiktion in der Formel,<br />

„wenn er römischer Bürger wäre“, si civis esset,<br />

z. B. bei der Diebstahlsklage, a. furti, oder der Klage wegen Sachbeschädigung aus der lex Aquilia.<br />

3. Es wurde ein Praetor speziell für Rechtsstreitigkeiten mit Ausländern eingesetzt,<br />

der Praetor peregrinus (im Jahre 242).<br />

4. In Provinzen<br />

weitgehend Fortgeltung des ursprglichen Rechts,<br />

insbes. hellenistisches Recht im Osten (Ägypten), "Volksrechte" (Mitteis).<br />

Römisches Recht ("Reichsrecht") wurde nicht aufgezwungen.<br />

Dennoch bestand eine "verfassungsrechtliche"<br />

"Normenhoheit" der römischen Staatsgewalt für die Provinzen,<br />

z. B. leges provinciae f einzelne Provinzen,<br />

edictum provinciale für jeweils bestimmte einzelne Provinz 17<br />

.<br />

5. Einige Rechtsregeln ausdrückl nur auf Italien beschränkt, z. B. <strong>zu</strong>r Bürgschaft.<br />

Hinsichtl Grundstücken: quiritisches Grundeigentum (mancipatio):<br />

beschränkt im Wesentl auf fundus Italicus.<br />

17<br />

Zum edictum provinciale ein Kommentar des Gaius in den justinianischen Digesten; außerdem Briefe Ciceros.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

30


Name "Italia" ganz ursprüngl nur Südspitze des heutigen Kalabriens,<br />

allmähl ausgedehnt, ganze Halbinsel wohl bei Plautus (3. Jh., um 250 v. Chr. geb.).<br />

Im Norden bis <strong>zu</strong> Caesar Rubico als Grenze;<br />

Einbeziehung Gallia Transpadana als letzte der 11 Regionen Italiens durch Caesar (41 v. Chr.).<br />

KAPITEL 4. AMTSRECHT = IUS HONORARIUM 18<br />

Honor = Ehre, Ehrenamt.<br />

Daher ius honorarium = das von den Amtsträgern, Praetoren oder Aedilen, geschaffene Recht,<br />

daher auch ius praetorium; besonders das Ediktsrecht.<br />

Vor allem die Praetoren haben das Recht weiter entwickelt, in dem sie neue Klagansprüche, actiones, einführten,<br />

Einreden, exceptiones, schufen oder schutzbedürftige Parteien durch Wiedereinset<strong>zu</strong>ng in den vorigen<br />

Stand, restitutio in integrum, schützten. Derartige Einrichtugen ergänzten oder änderten sogar das ius civile, nach<br />

den Worten Papinians<br />

D. 1, 1, 7, 1. Praetorisches Recht ist das Recht, das die Praetoren im öffentlichen Interesse zwecks Unterstüt<strong>zu</strong>ng<br />

oder Ergän<strong>zu</strong>ng oder Verbesserung des ius civile eingeführt haben.<br />

Die Erörterung des Amtsrechts erfolgt in den Kommentaren <strong>zu</strong>m Edikt, ad edictum,<br />

ebenfalls von Pomponius und Gaius, Paulus und Ulpian.<br />

KAPITEL 5. GEWOHNHEITSRECHT UND POSITIVES RECHT<br />

Inst. Iust. 1, 2, 3 + 9.<br />

Von Anfang an sind Religion und Recht scharf geschieden. Das älteste Recht ist Gewohnheitsrecht, z. B. die<br />

Macht des Hausvaters, Pater familias, über Ehefrau, Abkömmlinge und Sklaven.<br />

Rechtsquellenkatalog I. 1, 2, 3.<br />

KAPITEL 6. POSITIVES RECHT<br />

Inst. Iust. 1, 2, 4.<br />

Das Gesamtvolk, der Populus romanus, beschließt in Volksversammlungen, Comitia, in sehr förmlichen Verfahren<br />

Gesetze, leges, z. B. das Zwölftafelgesetz (449), die schon genannten leges Liciniae Sextiae (367, benannt<br />

nach den Antragstellern), die lex Laetoria (oder: Plaetoria) <strong>zu</strong>m Schutz der Minderjährigen zwischen der<br />

pubertas und 25 Jahren und viele, aber weitgehend erfolglose Bodenreformgesetze, leges agrariae.<br />

Inst. Iust. 1, 2, 5<br />

Das Volk ohne die Patrizier, ist die Plebs. Sie erläßt Plebiszite, die später, im Zuge des Ausgleichs zwischen<br />

Patriziern und Plebejern, dieselbe Rechtswirkung wie Leges im eigentlichen Sinne erhalten. Z. B. ist die Regelung<br />

des Schadenersatzrechts, die lex Aquilia, ein Plebiszit, das von dem Volkstribunen Aquilius in Vorschlag<br />

gebracht worden war.<br />

Inst. Iust. 1, 2, 5.<br />

Der Senat faßt seine Senatsbeschlüsse, senatus consulta. Einige Senatusconsulta betreffen das Vermögensrecht.<br />

Wichtige Beispiele sind das Sc. Macedonianum, das bei Darlehen an Haussöhne eine Einrede, Exceptio, begründete,<br />

und das Sc. Vellaeanum, das den Frauen gegen die Klage aus Kreditsicherungsgeschäften im Interesse eines<br />

anderen eine Exceptio gewährte (<strong>zu</strong> beiden Senatsbeschlüssen s. u.).<br />

18<br />

K I § 51.<br />

30. September 2011<br />

31


Inst.Iust. 1, 2, 6.<br />

Später erlangt auch der Kaiser die Rechtsset<strong>zu</strong>ngsbefugnis nach der Rechtsmaxime: Was der princeps beschlossen<br />

hat, hat Gesetzeskraft - Quod principi placuit, legis habet vigorem. Der Oberbegriff für die kaiserlichen<br />

Rechtsakte ist der der constitutiones. Am wichtigsten sind die kaiserlichen Bescheide <strong>zu</strong> Anfragen, die Rescripta.<br />

Die Anfragen von Beamten und Körperschaften werden in Briefform, als epistula, beantwortet und in der<br />

Kanzlei ab epistulis entworfen. Im Unterschied da<strong>zu</strong> wird die Antwort auf Anfragen von Privatleuten, die libelli,<br />

auf die Anfrage selbst gesetzt. Die meisten Konstitutionen sind im Codex überliefert. Umgekehrt mochte man<br />

die Rechtsmaxime aufstellen: der Princeps sei vom Gesetz entbunden - Princeps legibus solutus, und daher<br />

wurde im Mittelalter der Ausdruck Absolutismus gebildet.<br />

I. 1, 2, 7.<br />

Die Magistrate erlassen Edikte. Besondere Bedeutung hatte das Rechtsprechungsedikt des Praetors mit Listen<br />

und Musterformeln der Klagansprüche und Einreden. Für Marktkäufe war das Aedilen-Edikt, in dem u. a. Wandlung<br />

und Minderung angekündigt wurden, relevant. Es war üblich, dass der folgende Praetor oder Aedil das Edikt<br />

seines Vorgängers übernahm und nur wenig änderte. Endgültig wurde es im 2. Jh. n. Chr. unter Kaiser Hadrian<br />

von dem großen Juristen Iulian redigiert. Seitdem kann man vom immerwährenden Edikt, dem edictum perpetuum,<br />

sprechen. Das Edikt ist nicht direkt überliefert, wird aber sehr oft in den Digesten zitiert, so dass es von<br />

Otto Lenel rekonstruiert werden konnte.<br />

Der praetor, gewiss von kundigen Juristen unterstützt, hat das Recht in seinem Edikt in wesentlichen Punkten<br />

fortgebildet. Insbesondere hat er die Eigentumsübertragung durch einfache traditio rechtlich anerkannt (insbesondere:<br />

actio Publiciana) und auch sowohl das testamentarische Erbrecht als auch die Intestaterbfolge umgestaltet<br />

(insbesondere: bonorum possessio), obwohl ihm nach dem Verfassungsrecht nicht die Kompetenz <strong>zu</strong>r Änderung<br />

des überlieferten ius civile <strong>zu</strong>stand. Deswegen konnte er statt zivilen Eigentums nur das Imvermögensein,<br />

in bonis esse, und statt der hereditas nur den Vermögensbesitz, die bonorum possessio, gewähren oder schützen.<br />

Inst. 1, 2, 8.<br />

Übrigens behaupteten die Juristen, dass auch die Rechtsgutachten anerkannter Rechtslehrer, die responsa prudentium,<br />

eine Rechtsquelle darstellten. Das mag übertrieben sein.<br />

Aber richtig ist, dass System und Feinwerk des Privatrechts von den nicht beamteten Juristen stammten, da das<br />

prätorische Edikt viel <strong>zu</strong> grobmaschig und die eigentlichen Rechtsset<strong>zu</strong>ngsakte auch <strong>zu</strong> punktuell waren. Von<br />

den Juristen stammen nicht nur System und Definitionen, sondern auch die weitaus meisten Einzelregeln, die im<br />

modernen Recht z. B. in Allgemeinen Teilen niedergelegt sind.<br />

Rechtsmaximen<br />

Abusus non tollit usum. Mißbrauch hebt ein Recht nicht auf.<br />

Dura lex, sed lex. Ein hartes Gesetz, aber ein Gesetz.<br />

Fiat iustitia, (et) pereat mundus. Es walte die Gerechtigkeit, und sollte die Welt untergehen.<br />

Iustitia est constans et perpetua voluntas, Gerechtigkeit ist die ständige und ewige Suche danach,<br />

ius suum cuique tribuendum jedem das ihm Gebührende <strong>zu</strong> gewähren.<br />

Lex moneat, non doceat. Das Gesetz soll befehlen, nicht belehren.<br />

Lex posterior dérogat (legi) priori. Das spätere Gesetz geht dem früheren vor.<br />

Lex specialis dérogat legi generali. Das spezielle Gesetz geht dem generellen vor.<br />

Locus regit actum. Die Regeln des maßgebenden Orts<br />

sind maßgeblich für das Rechtsgeschäft (IPR).<br />

Quod omnes tangit, Was alle angeht, muß von allen gebilligt werden.<br />

debet ab omnibus approbari.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

32


Silent leges inter arma. Die Gesetze schweigen, wo die Waffen (sprechen).<br />

Tempus regit actum. Die Zeit beherrscht den Rechtsakt<br />

(sogenanntes intertemporales Recht).<br />

Ausdrücke<br />

constitutio kaiserliche Anordnung, Rechtsvorschrift<br />

de lege ferenda im Hinblick auf ein <strong>zu</strong> erlassendes Gesetz<br />

de lege lata nach dem jetzt bestehenden Recht<br />

derogieren (ein Gesetz) aufheben<br />

ius Recht<br />

ius honorarium Amtsrecht, vom Praetor gesetztes Recht<br />

lex Gesetz<br />

positives Recht schriftlich niedergelegtes (positus), geltendes Recht.<br />

KAPITEL 7. ÖFFENTLICHES RECHT UND PRIVATRECHT<br />

Ius privatum ist das Privatrecht /im Gegensatz <strong>zu</strong>m öffentlichen Recht, ius publicum 19<br />

.<br />

Der große römische Jurist Ulpian lehrt um 200 n. Chr., D. 1, 1, 1, 2: Öffentliches Recht ist das, was den Zustand<br />

des römischen Staats betrifft, Privatrecht das, was das Interesse der einzelnen angeht...<br />

Publicum ius est quod ad statum rei Romanae spectat, privatum quod ad singulorem utilitatem...<br />

Das öffentliche Recht spielt selbstverständlich eine große Rolle, ist aber nicht in einem System oder gar einer<br />

Art geschriebener Verfassung <strong>zu</strong>sammengefaßt.<br />

Inst. Iust. 1, 2, 12.<br />

KAPITEL 8. SYSTEM DES PRIVATRECHTS (INSTITUTIONENSYSTEM)<br />

KAPITEL 9. ÜBERLIEFERUNG<br />

Nur wenige Rechtsquellen wurden über die fast zweieinhalb Jahrtausende zwischen den 12-Tafeln und der Gegenwart<br />

direkt überliefert, manche indirekt, manche teilweise rekonstruiert:<br />

Die wichtigste aus der Antike stammende Textsammlung ist das Corpus Iuris Civilis Kaiser Justinians, bestehend<br />

aus einem Einführungstext, den Institutionen, einer Auswahl aus klassischen Juristenschriften, d. h. den<br />

Digesten, einer Sammlung von Kaisererlassen, dem Codex, und einer Sammlung neuerer Kaisergesetze, den Novellen.<br />

Weiteres da<strong>zu</strong> s. u.<br />

Das ius civile ergibt sich im Wesentlichen aus den Juristenschriften, die in den Digesten enthalten sind. Da die<br />

Juristen Quintus Mucius Scaevola, Konsul im 1. Jh. v. Chr., und Massurius Sabinus im 1. Jh. nach Chr. Werke<br />

<strong>zu</strong>m ius civile geschrieben hatte, bedeuten die Bücher späterer Juristen, die diese Werke kommentieren, Darstellungen<br />

des ius civile.<br />

Eine offizielle antike Sammlung der Leges existiert nicht 20<br />

. Auch die Plebi scita und Senatus consulta sind in ihrer<br />

Gesamtheit verschollen. Diese Rechtsset<strong>zu</strong>ngsakte sind allenfalls durch die Digesten oder durch Historikerschriften<br />

(etwa Tacitus) bekannt.<br />

19<br />

Ulp. D. 1, 1, 1, 2.<br />

30. September 2011<br />

33


Dasselbe gilt von den Edikten des Praetors und Aedils. Diese wurden aber ausgiebig von den Juristen<br />

kommentiert. An Hand der zahlreichen Libri ad edictum hat Otto Lenel eine allgemein anerkannte<br />

Rekonstruktion vorgenommen: O. Lenel, Das Edictum Perpetuum, 3. Aufl., 1927.<br />

Ein Teil der kaiserlichen Rechtsset<strong>zu</strong>ngakte ist, wie gesagt, im Codex und in den Novellen aufbewahrt und ein<br />

Teil der Gutachten der Juristen in den Digesten.<br />

Trotz der großen Zahl der verschiedenen Rechtsset<strong>zu</strong>ngsakte neben dem ius civile - von den Leges bis <strong>zu</strong> den<br />

kaiserlichern Konstitutionen - wurde das System des römischen Rechts mit seinen Begriffen, Unterscheidungen,<br />

Regeln etc. nicht von Gesetzgebern, sondern von privaten Juristen geschaffen.<br />

KAPITEL 10. DIE ZWÖLF TAFELN<br />

Das älteste Recht des römischen Volkes lebte gewissermaßen im Bewusstsein des Volkes und wurde im Rechtsstreit<br />

gefunden. Die spätere römische Literatur schrieb die ältesten elementaren Rechtseinrichtungen (Ehe, väterliche<br />

Gewalt, Gentilverband, Komitien, Senat) teils den Königen <strong>zu</strong> und spricht von leges regiae, teils nimmt sie<br />

sakrale Sat<strong>zu</strong>ngen (betreffend Opfer, Begräbnisse und sakrale Vergehen) an, die ein Oberpriester, pontifex maximus,<br />

namens Papirius schriftlich festgehalten habe und spricht vom ius Papirianum 21<br />

.<br />

Das von den Römern besonders verehrte, von den Schulkindern jahrhundertelang auswendiggelernte "Grundgesetz"<br />

bilden die Zwölf Tafeln, auch wenn diese rasch überholt wurden. Daher findet man noch in mittelalterlichen<br />

Darstellungen als Symbol für weltliches Recht die Zwölf Tafeln (neben den Zehn Geboten als Symbol für<br />

göttliches oder kirchliches Recht). Übrigens zeigt die Entstehung des Zwölf-Tafel-Gesetzes wiederum die Verbindung<br />

zwischen Politik (hier, wie öfter: Revolution) und Privatrechtsgesetzgebung.<br />

1. Entstehung<br />

Nach der Vertreibung der Könige im Jahre 510 lagen die Rechtsanwendung in den Händen der Patrizier und die<br />

Rechtsberatung in denen der Priester. Daher waren die Plebejer leicht der rechtlichen Willkür ausgesetzt. Sie<br />

forderten deswegen wiederholt die schriftliche Festlegung und Veröffentlichung des Rechts, um damit auch die<br />

Rechtsgleichheit her<strong>zu</strong>stellen und die Rechtsanwendung <strong>zu</strong> kontrollieren. Die Patrizier weigerten sich lange.<br />

Dann wurden zehn Patrizier gewählt, die Decemviri, um das Gesetz <strong>zu</strong> entwerfen und außerdem statt aller anderer<br />

Magistrate die oberste Macht im Gemeinwesen aus<strong>zu</strong>üben. Der Entwurf von zehn Tafeln wurde von der<br />

Volksversammlung, den Comitia, angenommen. Das Gesetz wurde sodann auf Tafeln öffentlich aufgestellt.<br />

Darauf habe man, so berichten die römischen Historiker, nochmals zehn Männer gewählt, die im Jahre 449 zwei<br />

weitere Gesetzestafeln verfasst, diese aber nicht der Volksversammlung vorgelegt hätten. Wegen Verfassungsbrüchen<br />

und Gewalttaten seien diese (neuen) Zehnmänner gestürzt, ihre Gesetzestafeln aber trotzdem in Kraft<br />

gesetzt worden.<br />

Funktionenteilung: das Gesetz wird entworfen von den Zehnmännern, Decemviri, beschlossen von der Volksversammlung,<br />

den Comitia, angewandt von weltlichen Beamten und Richtern, aber ausgelegt von Priestern. Das<br />

„Monopol“ der Priester wurde erst später gebrochen.<br />

20<br />

21<br />

2. Inhalt, Form und fremder Einfluss<br />

Der italienische Gelehrte G. Rotondi hat die Leges publicae populi Romani 1912 <strong>zu</strong>sammengestellt (s. unten<br />

Lit.-Verz.).<br />

K, RRG, S. 63 ff.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

34


Die Zwölf Tafeln betreffen alle Rechtsgebiete, vor allem Verfahrens- und Privatrecht, daneben Strafrecht und<br />

Polizeirecht, außerdem den religiösen Bereich.<br />

Die Gesetzgebungtechnik ist abstrakt, nicht kasuistisch. Die Sprache ist knapp.<br />

Die Zwölf Tafeln regeln die einzigen Materien nicht umfassend, sondern setzen die meisten Rechtseinrichtungen<br />

als gegeben voraus und regeln nur besonders wichtige Einzelfragen.<br />

Hauptsächlich wird man sich mit der Aufzeichnung des bestehenden Rechts begnügt und nur in verhältnismäßig<br />

wenigen Punkten Neuerungen eingeführt haben.<br />

Form und Inhalt der Kodifikation wurden wahrscheinlich vom griechischen Recht beeinflußt. Denn die römischen<br />

Historiker berichten, drei Bürger hätten in Athen die Gesetze Solons abschreiben und die Einrichtungen<br />

anderer griechischen Stadtstaaten erkunden sollen.<br />

3. Beispiele für inhaltliche Regelungen<br />

Die Zwölf Tafeln betreffen Regeln aller Rechtsgebiete, vor allem Verfahrens- und Privatrecht, daneben Strafrecht<br />

und Polizeirecht.<br />

1) Die Zwölf Tafeln beginnen mit dem Verfahrensrecht: „Wenn man jemanden vor Gericht lädt, dann muss er<br />

gehen. – Si in ius vocat, ito“ (Tafeln I und II).<br />

2) Zwangsvollstreckung (Tafel III, s. sogleich).<br />

3) Patria potestas (Tafel IV):<br />

- „Schnell ums Leben gebracht wie ein besonders missgestalteter Knabe nach den XII-T“ (Cicero).<br />

- „Wenn ein Vater seinen Sohn dreimal verkauft, soll der Sohn vom Vater frei sein - Si pater filium ter venum<br />

duit, filius a patre liber esto“.<br />

- Er befahl ihr gemäß den XII-T, ihre Sachen <strong>zu</strong> packen, nahm ihr die Schlüssel ab und wies sie aus dem<br />

Hause – Illam suam suas res sibi habere iussit“ (Cicero).<br />

4) Erbrecht etc (Tafel V):<br />

- Frauen-Tutel.<br />

- Testament / Vermächtnis: „Wie jemand hinsichtlich seines Vermögens und der Vormundschaft seiner Sache<br />

bestimmt hat, so soll es Recht sein – Uti legassit super pecunia tutelave suae rei, ita ius esto“.<br />

- Gesetzliches Erbrecht: „Wenn jemand ohne Testament stirbt und keinen Abkömmling hat, dann soll der<br />

nächste Agnat das Familiengut haben. Wenn ein Agnat nicht lebt, sollen die Mitglieder der Gens das Familienvermögen<br />

haben. - Si intestato moritur, cui suus heres nex escit, adgnatus proximus familiam habeto.<br />

Si adgnatus non escit, gentiles familiam habento“.<br />

- Forderungen und Schulden werden von Gesetzes wegen geteilt. – Nomina ipso iure divisa.<br />

5) Vermögensgeschäfte (Tafel VI)<br />

- „Wenn jemand ein Darlehens- oder Kaufgeschäft abschließt, wie er es mündlich vereinbart, so soll es gelten.<br />

- Cum nexum faciet mancipiumque, uti lingua nuncupassit, ita ius esto“.<br />

- Ersit<strong>zu</strong>ng 2 bzw 1 Jahr.<br />

- Trinoctium der Frauen.<br />

- „Eingebauten Balken ... darf man nicht losmachen. - Tignum iunctum ... ne solvito“. Stattdessen a. de<br />

tigno iuncto (schon in XII-T.).<br />

6) Nachbarrecht (Tafel VII)<br />

- Grenzregulierungsklage – a. finium regundorum.<br />

- Grenzabstände angeblich nach Solons Beispiel in Athen.<br />

- Grenzmauern, -bäume. Überfall.<br />

7) Strafrecht (Tafel VIII)<br />

- Beleidigung<br />

- Körperverlet<strong>zu</strong>ng – membrum ruptum:<br />

30. September 2011<br />

35


-- wenn keine friedlich Einigung, dann Gleiche Behandlung<br />

ni cum eo pacit, talio esto.<br />

Für die friedliche Einigung vorgesehen 300 As, wegen Sklaven 150 As.<br />

- Tierschaden - A. de pauperie.<br />

- Todesstrafe wegen nächtlichen Felddiebstahls und wegen Brandstiftung.<br />

- Sonstiger Diebstahl. Ersit<strong>zu</strong>ngsverbot einer res furtiva.<br />

- Höchstzinsen 1/12 (pro Monat? pro Jahr?)<br />

- Aber Milderung: „Wenn die Waffe der Hand mehr entflohen ist als dass der Täter sie geworfen hätte, dann wird ein Sündenbock gestellt.<br />

- Si telum manu fugit magis quam iecit, aries subicitur“.<br />

8) Beerdigung (Tafel X).<br />

4. Zweifel der heutigen Historiker<br />

Ob die Zwölf Tafeln in der Weise entstanden sind, wie vor allem Livius es berichtet, ist sehr zweifelhaft: Einerseits<br />

ist <strong>zu</strong> fragen: wie weit waren wirklich um 449 v. Chr. Verfassungsordnung, Rechtstechnik, Streitverfahren,<br />

Schrift, Geld etc so weit entwickelt, wie es später in römischer Zeit geglaubt wurde? Andererseits sprechen der<br />

Verkauf des zahlungsunfähigen Schuldners trans Tiberim, das Nachbarrecht und die strengen Strafvorschriften<br />

gegen Feldfrevel für eine bäuerliche Wirtschaftsordnung.<br />

5. Textbeispiel: Zwangsvollstreckung<br />

XII-T. 3. Satz 3. Wenn der Schuldner das Urteil nicht erfüllt oder niemand für ihn vor Gericht bürgt, soll der<br />

Gläubiger ihn mit sich führen. Er soll ihn fesseln, entweder mit einem Strick oder mit Fußfesseln von 15 Pfund,<br />

nicht mit schwereren, doch wenn er will, mit leichteren.<br />

Satz 4. Wenn der Schuldner es will, soll er sich selbst verpflegen. Geschieht das nicht, soll ihn der Gläubiger, der<br />

ihn gefesselt hält, täglich mit einem Pfund Brei versorgen. Wenn er will, soll er mehr geben.<br />

Satz 5. Es bestand jedoch das Recht, in der Zwischenzeit die Sache gütlich bei<strong>zu</strong>legen. Kam es aber nicht da<strong>zu</strong>,<br />

wurden die Schuldner 60 Tage in Haft gehalten. Innerhalb dieser Tage wurden sie an drei aufeinanderfolgenden<br />

Markttagen <strong>zu</strong>m Praetor ins Comitium gebracht und es wurde ausgerufen, <strong>zu</strong> welcher Geldschuldhöhe sie verurteilt<br />

waren. Am dritten Markttag wurden die Schuldner entweder getötet oder jenseits des Tiber ins Ausland verkauft.<br />

Satz 6. Am dritten Markttag sollen sie (gemeint: die Gläubiger) ihn in Teile schneiden. Wenn sie mehr oder weniger<br />

abgeschnitten haben, soll das ohne Nachteil sein.<br />

6. Fragen <strong>zu</strong>m Textbeispiel<br />

1. Was zeigt das Beispiel hinsichtlich der Gesetzgebungstechnik?<br />

2. Inwiefern wird hier die Forderung nach bestimmten Rechtsnormen erfüllt?<br />

3. Lassen sich hier soziale Aspekte der Legislation entdecken?<br />

4. Welche Rechtsmaterie (nach moderner Systematik) wird hier geregelt?<br />

5. Welche Zwecke haben die Haft beim Gläubiger,<br />

6. ... die Ausstellung auf dem Markt,<br />

7. ... der Verkauf ins Ausland?<br />

7. Bemerkung <strong>zu</strong>m Textbeispiel<br />

Schon den Römern aus der Zeit der späten Republik (um Christi Geburt) war kein einziger Fall bekannt, dass ein<br />

insolventer Schuldner wirklich getötet worden wäre.<br />

8. Geltung in Rom<br />

Das Recht der XII-Tafeln wurde nie formell aufgehoben. Es wurde sogar kommentiert, insbesondere von Labeo<br />

und Gaius. Aber tatsächlich regelten das prätorische Plebiszite (z. B. lex Aquilia), Edikte (vor allem <strong>zu</strong>m<br />

Erbrecht), Senatusconsulta und andere Rechtsbestimmungen Rechtsprobleme in Abweichung von den XII-<br />

Tafeln, und nur diese neueren Bestimmungen wurden tatsächlich angewandt.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

36


9. Überlieferung<br />

Die ausgestellten Tafeln wurden schon bei dem Galliereinfall in Rom zerstört (387/6). Am Ende der römischen<br />

Republik, <strong>zu</strong> Beginn der Kaiserzeit waren die Texte noch bekannt. Verschiedene Zitate finden sich in Juristenschriften<br />

(z. B. in den Kommentaren hier<strong>zu</strong> von Labeo und Gaius) und anderen Schriften (Cicero, Gellius,<br />

Festus).<br />

Bis in die Gegenwart sind sie aber nicht direkt überliefert, sondern sie werden aus den verschiedenen überlieferten<br />

Zitaten behelfsartik rekonstruiert.<br />

10. Moderne Ausgabe und Überset<strong>zu</strong>ng<br />

Ausgabe einer Rekonstruktion mit Überset<strong>zu</strong>ng: R. Düll, Das Zwölftafelgesetz, 4. Aufl., München 1971.<br />

Iustitia Inst. Iust. 1, 1 pr.<br />

Iuris praecepta Inst. Iust. 1, 1, 3.<br />

KAPITEL 11. HAUPTPRINZIPIEN DES RECHTS<br />

SECHSTER TEIL<br />

JURISTENRECHT<br />

KAPITEL 1A. RECHTSWISSENSCHAFT<br />

Iuris prudentia Inst. Iust. 1, 1, 1.<br />

Die Rechtsset<strong>zu</strong>ng lag in Rom, wie gezeigt, in den Händen bestimmter Funktionsträger. Die Rechtsprechung war<br />

in Rom Sache des Praetors, Aedils oder anderer weltlicher Hoheitsräger. Die Kenntnis und Fortentwicklung des<br />

Rechts gehörte jahrhundertelang <strong>zu</strong>m Geheimwissen der Priester. Aber schon seit vorklassischer Zeit wurden<br />

Rechtsberatung und Rechtswissenschaft von weltlichen, nichtbeamteten Juristen ausgeübt.<br />

Die Juristen erteilten Rechtsgutachten, responsa, von denen eine größere Zahl in den justinianischen Digesten<br />

überliefert sind. Ein Indiz hierfür ist das Wort respondere, das "Gutachten erteilen" bedeuten kann.<br />

Gelegentlich wird die Gutachtenanfrage wörtlich mitgeteilt, z. B. „Ferner frage ich“, item quaero, und es folgt,<br />

ebenfalls wörtlich, das Rechtsgutachten: „Ich habe das Gutachten gegeben, weder könne er verklagt werden,<br />

noch hafteten seine Sachen als Pfänder“, respondi neque conveniri posse neque res obligatas esse 22<br />

. Bei der Digestenexegese<br />

ist es interessant, wenn man Überlegungen da<strong>zu</strong> liefern kann, ob es sich um einen Fall handelt,<br />

der sich wirklich ereignet hat, oder um einen "Schulfall".<br />

Als Ratgeber standen die Juristen als Einzelpersonen oder in Beratungsgremien, consilia (beachten Sie den Unterschied<br />

<strong>zu</strong> dem concilium, pl. concilia, nämlich Versammlung, insbes. concilium plebis), anderen Privatleuten,<br />

den Beamten und sogar dem Kaiser <strong>zu</strong>r Verfügung.<br />

Augustus und die späteren Kaiser erteilten hervorragenden Juristen das Vorrecht der öffentlichen Gutachtenerteilung,<br />

ius publice respondendi oder auch ius respondendi ex auctoritate principis 23<br />

, so dass sie im Namen des<br />

22<br />

23<br />

Scaev. D.17.1.60, 4.<br />

Einzelheiten in der neueren Rechtsgeschichte umstritten.<br />

30. September 2011<br />

37


Kaisers Gutachten erteilen und das Recht auslegen durften. Ihre Gutachten erhielten damit dieselbe Bedeutung,<br />

als hätte der Kaiser selbst gesprochen. Augustus hatte dieses Vorrecht nur Juristen des Senatorenstandes verliehen.<br />

Tiberius erteilte dieses Recht <strong>zu</strong>m erstenmal auch einem Juristen aus dem Ritterstand, dem berühtem Juristen<br />

Massurius Sabinus. Der rechtspolitische Zweck dieser Einrichtung ist heute nicht mehr klar erkennbar; vielleicht:<br />

dem Recht selbst wieder <strong>zu</strong> höherem Ansehen <strong>zu</strong> verhelfen, dem Kaiser Einfluss auf die Rechtsfortbildung<br />

und –praxis <strong>zu</strong> schaffen, die maßgebenden Juristen an die kaiserliche Herrschaft <strong>zu</strong> binden, dem Senatorenstand<br />

ein Vorrecht <strong>zu</strong> sichern. Tatsächlich fühlte sich der Richter an ein derartiges Gutachten sicherlich gebunden.<br />

Übereinstimmende Gutachten mehrerer Respondierjuristen galten als rechtlich verbindlich. Später wurde<br />

diesen Gutachten echte Gesetzeskraft <strong>zu</strong>geschrieben, so dass sie <strong>zu</strong> den Rechtsquellen gezählt wurden. Das<br />

ius respondendi hatte gewiss Sabinus<br />

Das ius respondendi hatten nicht Labeo, Gaius, Pomponius. Aber auch die Rechtsansichten der Juristen, welche<br />

nicht dieses Vorrecht genossen, blieben erlaubt und genossen Beachtung bei Gericht.<br />

Die Juristen verfassten ihre Werke als Privatleute. Die Begriffe und Regeln des Vermögensrechts, das Rechtssystem<br />

und die allgemeinen Rechtssprichwörter wurden von Rechtskennern aus der höchsten Gesellschaftsschicht<br />

geschaffen, die sich aus persönlicher Neigung mit Rechtsproblemen und tatsächlichen Fällen befaßten,<br />

diese diskutierten und darüber Bücher schrieben. Es ist Juristenrecht. Insofern ist das Privatrecht nicht das Ergebnis<br />

des Gewohnheitsrechts, der Gesetzgebung, der Rechtsprechung oder der staatlichen <strong>Universität</strong>slehre.<br />

Dadurch unterscheidet sich das römische Recht ganz erheblich von den modernen Rechten. In der römischen<br />

Rechtsfortbildung ist die systematisch-dogmatische Erörterung nicht unwichtig, z. B. in dem Lehrbuch über die<br />

Rechtseinrichtungen, die Institutiones, des Juristen Gaius, ebenso in den Institutiones Kaiser Justinians im Corpus<br />

Iuris Civilis. Aber eigentlich charakteristisch ist die Diskussion einzelner Fälle.<br />

Die Privatrechtswissenschaft erlebt in den beiden ersten Jahrhunderten n. Chr. ihre höchste Entfaltung, so dass<br />

man heute vom „klassischen römischen Recht“ spricht. Die Namen und Schriften der römischen Juristen sind<br />

nicht direkt überliefert, sondern nur im zweiten Teil des Corpus Iuris Civilis, den Digesten, erhalten.<br />

Verzeichnisse ihrer Werke finden sich im Anhang der gängigen Digesten-Ausgabe, die man in der schriftlichen<br />

Prüfung benutzen darf. Die Rekonstruktion der römischen Juristenschriften ist dem schon genannten Otto Lenel<br />

<strong>zu</strong> verdanken: O. Lenel, Palingenesia iuris civilis, 2 Bde., Leipzig u. a. 1889 (Nachdruck). Das Wenige, was im<br />

übrigen über sie in Erfahrung <strong>zu</strong> bringen ist, bei: W. Kunkel, Herkunft und soziale Stellung der römischen Juristen,<br />

2. Aufl., Graz u. a. 1967.<br />

Rechtsmaximen<br />

Iura vigilantibus scripta. Das Recht ist für die Wachsamen geschrieben 24<br />

.<br />

Ius est ars boni et aequi. Das Recht ist „ars“ (d. h. Handwerk, Kunst und Theorie)<br />

des Guten und Angemessenen.<br />

Omnis definitio in iure civili Jede Definition im Zivilrecht<br />

periculosa est. ist gefährlich.<br />

Quot homines, tot sententiae. Wieviele Menschen, soviele Stimmen (oder: Meinungen).<br />

Tertium non datur. Ein <strong>Dr</strong>ittes gibt es nicht (bei einer Alternative,<br />

in Fragen der Logik).<br />

Ausdrücke<br />

Analogie Übertragung der Rechtsfolge eines geregelten Tatbestandes auf<br />

einen mit diesem wertungsgleichen, aber ungeregelten Tatbestand<br />

24<br />

D. 42, 8, 24 – nach Liebs J 179 betreffend Priorität in der Zwangsvollstreckung.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

38


argumentum e maiore Folgerung vom Größeren<br />

ad minus auf das Kleinere<br />

argumentum e minore Folgerung vom Kleineren<br />

ad maius auf das Größere<br />

argumentum e contrario Folgerung auf das Gegenteil, Umkehrschluß<br />

causa Ursache, Rechtsgrund; Rechtssache<br />

ceteris paribus unter sonst gleichen Umständen („das übrige gleichbleibend“)<br />

contra legem im Widerspruch <strong>zu</strong>m (gesetzten) Recht<br />

Cui bono? Wem kommt es <strong>zu</strong>gute?<br />

de facto tatsächlich<br />

de iure von Rechts wegen, rechtlich<br />

expressis verbis mit ausdrücklichen Worten<br />

Fiktion Annahme eines Umstandes als wahr, der in Wahrheit nicht gegeben sein kann<br />

lege artis nach den Regeln der Kunst<br />

opinio Auffassung, Meinung<br />

petitio principii Zirkelschluß<br />

praesumptio Vermutung<br />

praeter legem neben dem (gesetzten) Recht<br />

quasi gleichsam<br />

quaestio - facti, iuris Frage, Untersuchung - über eine Tatsache, über das Recht<br />

Quid iuris? Was ist rechtens?<br />

Quod erat demonstrandum. Was <strong>zu</strong> beweisen war.<br />

ratio legis Sinn des Gesetzes<br />

KAPITEL 1B. FALLBEHANDLUNG IN DER EXEGESE<br />

In den heutigen Exegesen-Aufgaben sind häufig, entsprechend der Paragraphen-Einteilung in Justinians Digesten,<br />

mehrere Juristenäußerungen <strong>zu</strong> behandeln. Es ist elegant, wenn der Bearbeiter herausarbeiten kann, ob<br />

die Meinungen übereinstimmen oder sich widersprechen oder einander ergänzen. Bei mehreren Sachverhalten<br />

sollte man ihre Verknüpfung (Regel / Einschränkung / Erweiterung / Ausnahme, Ähnlichkeit, Differenzierungen,<br />

Gegensätze, argumentum ad absurdum, Verdeutlichung) klarmachen.<br />

KAPITEL 2. DIE BERÜHMTESTEN JURISTEN 25<br />

Am Anfang Ihrer Digestenexegese werden einige Hinweise <strong>zu</strong> Person und Werk des Autors des <strong>zu</strong> erörternden<br />

Fragments erwartet. Besonders viele Fragmente in Justinians Digesten stammen von:<br />

Domitius Ulpian, über 2 400,<br />

Iulius Paulus, 2080<br />

Sex. Pomponius, fast 600,<br />

Aemilius Papinianus, 600,<br />

Gaius, mehr als 500,<br />

P. Salvius Iulian,450,<br />

P. Iuventius Celsus, 140 Fragmente.<br />

Die hierfür erforderliche Information liefern die folgenden Kurzbiographien:<br />

25<br />

Da<strong>zu</strong> in allen Werken <strong>zu</strong>r römischen Rechtsgeschichte. Neue wissenschaftliches Standardwerk ist: W. Kunkel,<br />

Herkunft und soziale Stellung der römischen Juristen.<br />

30. September 2011<br />

39


Der bedeutendste Jurist der Frühklassik war Labeo (gestorben kurz nach der Zeitwende), ein politisch und dogmatisch<br />

selbständiger Mann. An ihn knüpft die Rechtsschule der Proculianer an, <strong>zu</strong> der schließlich auch Celsus<br />

gehörte.<br />

Zu den berühmten Frühklassikern (1. Jh. n. Chr.) rechnen Proculus und Sabinus; dieser Leitfigur der Rechtsschule<br />

der Prokulianer, jener der Sabinianer.<br />

Massurius Sabinus (1. Jh. n. Chr.) gehört <strong>zu</strong> den wenigen Juristen, die vom Kaiser das ius publice respondendi<br />

und zwar ex auctoritate principis erhielten. Er ist Autor des später von Pomponius, Paulus und Ulpian kommentierten<br />

Grundlagenwerkes <strong>zu</strong>m ius civile. D.h. wenn das klassische Werk den Namen trägt „ad Sabinum“, stellt<br />

es ein Lehrbuch <strong>zu</strong>m ius civile dar.<br />

Iavolenus Priscus (um 100 n. Chr.), Konsul, Statthalter von Germania superior, Syria und Africa, pontifex, Mitglied<br />

des consilium der Kaiser Trajan und Hadrian, war Schulhaupt der Sabinianer und Lehrer des Iulians, hinterließ<br />

eigene "epistulae" und Bearbeitungen der Schriften älterer Juristen.<br />

Als die größten Juristen unter den Hochklassikern (erste Hälfte des 2. Jh. n. Chr. ) gelten Celsus und Iulian, die<br />

man durchaus als "Konkurrenten" ansehen kann: beide Konsuln, hohe kaiserliche Beamte, Provinzstatthalter,<br />

Mitglieder des Rates, consilium, Kaiser Hadrians.<br />

P. Iuventius Celsus, Schulhaupt der Prokulianer, sein Hauptwerk, "Digesten", zeigt Scharfsinn und Originalität,<br />

bisweilen mit polemischer Schärfe vorgetragen, mit 140 Fragmenten in Justinians Digesten vertreten.<br />

P. Salvius Iulian (etwa 100 - 150 n. Chr.), Inhaber hoher Ämter unter den Kaisern Hadrian, Antoninus Pius und<br />

Marc Aurel: u. a. Konsul, Pontifex, Mitglied des kaiserlichen consilium, Statthalter in Germania inferior und anderen<br />

Provinzen. Kaiser Hadrian verdoppelte sein Gehalt als kaiserlicher Beamter. Vor allem wurde ihm die abschließende<br />

Redaktion des praetorischen Edikts übertragen. Schulhaupt der Sabinianer. Iulian gilt seit der Antike<br />

als einer der größten Juristen, vielleicht überhaupt der größte; dementsprechend wurde er am häufigsten von den<br />

Spätklassikern (aber nicht am häufigsten von Justinian) zitiert. Iulian war Schüler Javolens und Lehrer Africans.<br />

Sein Hauptwerk sind Digesta in 90 Büchern. Mehr als 450 Fragmente aus seinen Schriften finden sich in den<br />

Digesten Justinians.<br />

Iulians Fallentscheidungen, "Quaestiones", wurden von seinem Schüler African herausgegeben. Wenn African<br />

einen Juristen mit Pronomen bezeichnet -"er" wurde gefragt oder "er" sagte -, dann meint African damit so gut<br />

wie immer seinen Lehrer Iulian.<br />

Einer der fruchtbarsten Schriftsteller, vertrreten mit fast 600 Fragmenten, ist der bekannte Rechtslehrer Sextus<br />

Pomponius (Mitte des 2. Jh. n. Chr.), auch von anderen häufig zitiert, gilt als Anhänger der sabinianischen<br />

Rechtsschule, vor allem hervor<strong>zu</strong>heben wegen seines Handbuchs, Enchiridium, <strong>zu</strong>r römischen Rechtsgeschichte,<br />

mit breiten Kommentaren <strong>zu</strong>m ius civile und ad edictum, außerdem Schriften de senatus consultis, de stipulationibus,<br />

de fidei commissis; Epistolae, variae lectiones, hat anscheinend keine Staatsämter bekleidet.<br />

Gaius 26<br />

(mit Werken zwischen 150 und 180 n. Chr.)<br />

ist Verfasser eines Lehrbuchs über die Rechtseinrichtungen, Institutiones.<br />

Dieses ist 1. in der ganzen römischen Welt verbreitet.<br />

Es ist 2. kurz und leicht verständlich,<br />

3. systematisch und abstrakt, weniger fallbezogen.<br />

4. Das Lehrbuch behandelt im 1. Buch die Personae, im 2. und 3. Buch unter den Gegenständen, res, Schuldund<br />

Sachenrecht, im 4. Buch das Prozessrecht, die Klagen, actiones.<br />

5. Die Institutionen gewähren einen ziemlich <strong>zu</strong>verlässigen Einblick in das klassische Recht, z. B. in das Prozessrecht<br />

(4. Buch der Institutionen). Gaius informiert auch häufig über Gegensätze zwischen den Rechtsschulen<br />

26<br />

Behrends, in: Juristen, hrsg. v. M. Stolleis, S. 221, shv.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

40


der Sabinianer und Prokulianer. Im materiellen Recht liefert Gaius z. B. die beste Information über die mancipatio,<br />

die ja von Justinian aus den Digesten und aus seinen Instituionen elimeniert worden ist.<br />

6. Das Werk ist eines der ganz seltenen, die fast vollständig in einer antiken Handschrift<br />

außerhalb des Corpus iuris erhalten sind.<br />

7. Wegen seiner Vorzüge übernahm Kaiser Justinian diese gaianischen Institutiones, nur wenig modernisiert,<br />

als die Institutiones, den ersten Teil seines Corpus iuris civilis.<br />

8. Vergleich der gaianischen Institutionen mit denen Justinians gewährt einen Einblick in die Rechtsveränderungen<br />

zwischen der Klassik und Justinian.<br />

9. Es wurde 1816 von dem deutschen Historiker G. Niebuhr unter der Beschriftung eines Pergaments entdeckt, sogen. Palimpsest, aufbewahrt<br />

in der Stiftsbibliothek in Verona.<br />

10. Gaius tritt noch als eifriger Sabinianer auf. Er ist Verfasser einer Vielzahl von Werken, unter anderen <strong>zu</strong> den<br />

Zwölf Tafeln und <strong>zu</strong>m Provinzialedikt.<br />

11. Seine Herkunft ist unbekannt. Wegen der Hinweise auf Rechtsfragen der Provinzen wird von einigen die<br />

Herkunft außerhalb der Stadt Roms vermutet 27<br />

.<br />

12. Gaius wird als einziger Jurist aus der früh- und hochklassischen Periode im Zitiergesetz von 426 n. Chr. anerkannt;<br />

die anderen Zitierjuristen stammen aus spätklassischer Zeit (Papinian, Paulus und Ulpian, Modestin).<br />

13. Gaius ist mit mehr als 500 Fragmenten, auch aus anderen seiner Werke, in den Digesten vertreten.<br />

Q. Cervidius Scaevola (unter Marc Aurel, 169 - 177), Inhaber hoher kaiserlicher Ämter, Mitglied des kaiserlichen<br />

consilium, charakterisiert durch reiche Gutachterpraxis und kasuistische Arbeitsrichtung, daher Verfasser<br />

von "Quaestiones" und "Responsa", außerdem von "Digesta", Lehrer des Juristen Paulus.<br />

Weitaus am meisten werden die drei spätklassischen Juristen Papinian und seine Adsessores und Schüler Paulus<br />

und Ulpian aus dem Ende des 2., Anfang des 3. Jh. n. Chr. zitiert, alle drei nacheinander Inhaber des damals<br />

höchsten kaiserlichen Amtes, das des Chefs der Prätorianergarde, Praefectus praetorio, alle drei (neben Gaius)<br />

im Zitiergesetz von 426 anerkannt.<br />

Der größte Jurist der spätklassischen Periode, vielleicht sogar der gesamten Antike, war Aemilius Papinianus<br />

aus Syrien (wirkte schon unter Mark Aurel, 161 - 180, starb 212), angeblich Schwager des Septimius Severus,<br />

umgebracht 212 von Caracalla, weil er sich geweigert haben soll, den Mord Caracallas an seinem Mitkaiser Geta<br />

<strong>zu</strong> rechtfertigen. Papinian war Magister libellorum und stieg bis <strong>zu</strong>m Praeafectus praetorio auf. Er hinterließ vor<br />

allem "Quaestiones" und "Responsa". Auf Pergamentblättern aus Fayum, jetzt in <strong>Berlin</strong> und Paris, finden sich<br />

weitere Stücke aus seinen Responsa. Er gilt als "in der Knappheit der Form unübertroffen, in der Schärfe seiner<br />

Logik ein Meister". Seine Assessoren waren Paulus und Ulpian. Seine Stimme war ausschlaggebend nach dem<br />

Zitiergesetz von 426. Von ihm sind 600 Fragmente direkt überliefert.<br />

Iulius Paulus (Ende des 2., Anfang des 3. Jh.), Schüler des Cervidius Scaevola, Assessor Papinians, dann an der<br />

Spitze des Amtes a memoria, Mitglied des Staatsrats Kaiser Septimius Severus', unter Alexander Severus Praefectus<br />

praetorio, verfasste Kommentare <strong>zu</strong>m Edikt in 80 Büchern, <strong>zu</strong>m Sabinus in 16 Büchern sowie <strong>zu</strong> einzelnen<br />

Gesetzen und Senatsbeschlüssen, außerdem verwaltungsrechtliche Schriften, Bearbeitungen der Schriften<br />

verschiedener Juristen, schließlich Einführungsschriften, insgesamt etwa 90 Schriften aus denen 2080 Fragmente<br />

in die Digesten gelangten.<br />

Domitius Ulpian (Ende 2., Anfang 3. Jh.) schreibt selbst, dass er aus Tyrus in Phönizien stammt, <strong>zu</strong>sammen mit<br />

Paulus Assessor Papinians. Ulpian war später selbst Magister libellorum, und Mitglied des Staatsrats des Kaisers<br />

Alexander Severus, dessen besonderes Vertrauen er genoss, schließlich Praefectus praetorio. Aber um 228 wurde<br />

er von den Prätorianern ermordet. Er hinterließ einen Kommentar <strong>zu</strong>m Edikt in 81 Büchern, einen unvollendeten<br />

Kommentar <strong>zu</strong>m ius civile des Sabinus in 51 Büchern, weitere Monographien, Gesetzeskommentare und<br />

verwaltungsrechtliche Schriften. Fast ein <strong>Dr</strong>ittel der Digesten-Fragmente stammen von ihm, über 2 400. Unter<br />

seinem Namen sind auch Schriften außerhalb des Corpus Iuris überliefert.<br />

In den Digesten und außerhalb wird noch eine große Zahl weiterer Juristen genannt, und noch mehr sind uns unbekannt<br />

geblieben. Aber für die Prüfung ist es mehr als ausreichend, wenn Sie die in diesem Kapitel genannten<br />

Juristen kennen.<br />

27<br />

Tätigkeit in der Provinz vermutet von Behrends aaO.<br />

30. September 2011<br />

41


Noch eine Bemerkung allgemein <strong>zu</strong> den vor- und frühklassischen Juristen: Von den meisten wurden keine<br />

Fragmente in Justinians Digesten übernommen. Aber gelegentlich werden sie von späteren zitiert. Es kann eigentlich<br />

nicht erwartet werden, dass Sie diese kennen. Innerhalb und außerhalb des Examens kann aber ein Blick<br />

in D. 1, 2, 2, 35 ff., das Handbuch, Enchiridion, des Pomponius helfen. Pomponius liefert den ausführlichen Bericht,<br />

„damit deutlich wird, was das für Männer waren, von denen dieses Recht geschaffen und überliefert worden<br />

ist.“.<br />

KAPITEL 3. ARGUMENTATIONSFORMELN<br />

Die Entwicklung des römischen Rechts während eines Jahrtausends unter wechselnden Wirtschafts-, Gesellschafts-,<br />

Staats- und Religionsverhältnissen <strong>zu</strong>m einen und das Juristenrecht als solches <strong>zu</strong>m anderen bringen,<br />

nicht anders als heute, erhebliche Widersprüche in der Rechtsordnung hervor. Einander widersprechende Regeln<br />

im Corpus Iuris nennt man „Antinomien“. Die Juristen verändern das Recht, fechten ihre Meinungen aus und<br />

versehen diese mit Argumenten. Diese Ausdrücke sind <strong>zu</strong>m Verständnis, etwa bei einer Digestenexegese, nicht<br />

unwichtig, z. B. 28<br />

acceptum est es ist allgemein anerkannte Meinung<br />

(umgekehrt: früher war das einmal kontrovers)<br />

sic acceptum est „ein bestimmtes Wort (oder eine bestimmte Regel)<br />

ist in der folgenden Weise aus<strong>zu</strong>legen“,<br />

„wird in der folgenden Weise verstanden“<br />

accipiendum est man müßte als allgemeine Meinung anerkennen<br />

(umgekehrt: es gibt auch jetzt noch eine Gegenansicht)<br />

aequitas Billigkeit, Fairness, Gerechtigkeit<br />

(Korrektiv eines als <strong>zu</strong> erstarrt empfundenen ius civile,<br />

aber mit Zweifeln hinsichtlich der Übereinstimmung mit dem ius civile);<br />

Gleichwertigkeit, Gleichbehandlung, Ausgewogenheit 29<br />

aequum angemessen<br />

argumentum ad absurdum „das würde ja dahin führten, dass“ (umgekehrt: Gründe der Logik<br />

und des gesunden Menschenverstandes sprechen für die Gegenansicht)<br />

benignitas, benigna interpretatio, Wohlwollen, wohlwollende Auslegung<br />

benignius est (<strong>zu</strong> Gunsten einer Partei, die oft schutzbedürftig sein wird;<br />

umgekehrt: subtilitas iuris, d. h. Gründe der Logik könnten für die<br />

Gegenansicht sprechen)<br />

bonus (vir / iudex / paterfamilias) sorgfältig abwägend, vorbildlich, redlich<br />

certum est es ist gesichert, unangefochtene Meinung (keine Gegenansicht)<br />

constat es steht fest, unangefochtene Meinung (keine Gegenansicht)<br />

convenit es gilt als ausgemacht (wie constat)<br />

28<br />

Hausmaninger, Casebook Sachenrecht, S. 282; Hausmaninger-Selb, 7. Aufl., S. 74.<br />

29<br />

Hausmaninger, Casebook Sachenrecht, ad D. 21, 3, 2.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

42


dubius, dubitatio Zweifel<br />

sehr oft negativ, z. B. sine dubio etc. zweifelsohne etc., ganz unstritt. Meinung,<br />

dieselbe Bedeutung wie positiv „constat“<br />

eo iure utimur wörtl. „dieses Recht wenden wir an“,<br />

allgemeine Ansicht, etabliertes Juristenrecht<br />

existimare meinen, vorsichtig für richtig halten trotz Bedenken<br />

favor (negotii / testamenti) (wörtl.: Begünstigung eines Rechtsgeschäfts / Testaments)<br />

Aufrechterhaltung, Umdeutung eines an sich fehlerhaften Vorgangs<br />

finge man stelle sich vor, Beispielsfall<br />

id quod actum est wie es sich aus dem Sachverhalt ergibt,<br />

was die Parteien gewollt haben,<br />

sei es im konkreten Einzelfall,<br />

sei es generell, typischerweise<br />

intellegi es wird so angesehen als ob (oft: Auslegungsergebnis;<br />

sehr oft Fiktion, manchmal Vermutung)<br />

magis est es ist besser (ähnlich wie melius)<br />

melius est es ist besser (überwiegende Gründe für diese Ansicht,<br />

es gibt aber auch sehr gute Gründe für Gegenmeinung)<br />

placet es ist jetzt anerkannte Meinung<br />

(früher auch Gegenansicht)<br />

plerique überwiegende Ansicht (wörtlich: die meisten; daraus folgt<br />

umgekehrt: es gibt wohlfundierte Mindermeinung)<br />

probare eine Meinung billigen<br />

puta stelle dir vor; <strong>zu</strong>m Beispiel<br />

puto ich bin der Ansicht (trotz gewissen Zweifeln, wie existimare)<br />

quaeritur, quaesitum est 1. es ist kontrovers oder<br />

2. es wird/wurde die Gutachten-Anfrage gestellt<br />

(wörtlich: fraglich)<br />

quaestiones Schrift <strong>zu</strong> kontroversen Rechtsfragen<br />

quid tamen dicemus,si wörtlich: was soll man aber sagen,wenn<br />

receptum est es ist anerkannt und vernünftig<br />

(obwohl Gründe der Logik dagegen sprechen mögen)<br />

recipiendum est man müßte jetzt auch allgemein anerkennen<br />

(aber die Ansicht hat sich bisher noch nicht ganz durchgesetzt)<br />

30. September 2011<br />

43


ectius es ist richtiger<br />

respondit, responsum (wörtlich: er hat geantwortet, die Antwort)<br />

der Jurist hat das Rechtsgutachten erteilt<br />

(oft <strong>zu</strong> einem wirklichen, nicht bloß konstruierten) Fall<br />

solere, solent pflegen i. S. für gewöhnlich, es ist üblich<br />

subtilitas Feinheit<br />

(oft abwertend gemeint: übertrieben buchstabengenau)<br />

utilitas Zweckmäßigkeit, Angemessenheit<br />

(auch wenn nicht ganz der juristischen Logik entsprechend)<br />

utilis, utiliter (wörtlich:) nützlich,<br />

(sehr oft:) rechtswirksam, erfolgreich (Klage oder Einrede)<br />

verius est es ist <strong>zu</strong>treffender (Entscheidung in einer kontroversen Frage,<br />

ähnlich wie: rectius;<br />

es gibt also wichtige Gründe für die Anhänger der Gegenmeinung)<br />

verum est es ist richtig<br />

videamus, videndum essse es ist <strong>zu</strong> erwägen<br />

videri es wird so angesehen als ob<br />

(Ergebnis einer Auslegung, Vermutung, sogar Fiktion)<br />

vulgo dictum Gemeinplatz, allgemeine juristische Ansicht<br />

Es ist wichtig, bei der Digestenexegese auf derartige Indizien von klassischen Kontroversen und Entwicklungen<br />

<strong>zu</strong> achten und, wenn möglich, <strong>zu</strong> überlegen, welche Begründung für die unterlegene Gegenmeinung, die vielleicht<br />

gar nicht ausdrücklich überliefert ist, sprechen könnten.<br />

Weitere Indizien für klassische Kontroversen ist die Anführung von den anerkannten Schulhäuptern wie Sabinus<br />

und Cassius (für die Sabinianer) oder Proculus (für die Gegenschule).<br />

Überhaupt kann jede Zitierung eines anderen Juristen einen Hinweis auf die Komplexität der juristischen Frage<br />

und die Umstrittenheit der Lösung darstellen.<br />

Schließlich gibt es gewisse Literaturgattungen, die eher der theoretischen Behandlung kontroverser oder schwieriger<br />

Rechtsprobleme gewidmet sind (s. da<strong>zu</strong> das Kapitel über „Litteraturgattungen“).<br />

(Nicht auswendig lernen!)<br />

KAPITEL 4. RECHTSSCHULEN<br />

1. Es gibt meinungsbildende Schulen, die Schola oder Secta der auf den Juristen Sabinus <strong>zu</strong>rückgehenden Sabinianer<br />

und die Schola oder Secta der sich auf Proculus beziehenden Proculianer.<br />

Den wichtigsten Bericht hier<strong>zu</strong> liefert Pomponius in seinem „Handbuch“, Enchiridion, D. 1, 2, 2.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

44


Der Jurist Gaius schreibt beispielsweise über eine Kontroverse (Gai. 3, 103 30<br />

):<br />

„Unde illud quaesitum est – Daher war kontrovers...“<br />

„Nostri praeceptores putant – Unsere Lehrer vertreten die Ansicht...“<br />

„Sed diversae scholae auctores...existimant - Aber die Lehrer der anderen Rechtsschule meinen...“<br />

2. Pomponius zählt <strong>zu</strong> den Sabinianern:<br />

Capito,<br />

Massurius Sabinus,<br />

Cassius,<br />

Iavolenus Priscus,<br />

Iulian.<br />

Auch Gaius tritt als eifriger Sabinianer auf.<br />

Pomponius zählt <strong>zu</strong> den Prokulianern:<br />

Labeo,<br />

Nerva pater,<br />

Proculus,<br />

Pegasus,<br />

Celsus pater, Celsus filius,<br />

Neratius Priscus.<br />

3. Das Corpus iuris und Gaius bewahren verschiedene Beispiele der Schulengegensätze auf, z. B.:<br />

- Den Übergang vom Zustand des Pupillus / Impubes in den des Pubes / Minor 25 annis<br />

wollten die Sabinianer von dem konkreten körperlichen Zustand des Betroffenen abhängig machen,<br />

die Prokulianer vom 14. Lebensjahr.<br />

- Ob der Kaufpreis auch in anderen Gegenständen als in Geld bestehen könnte,<br />

wurde von den Sabinianern bejaht, von den Prokulianern verneint.<br />

Beispiel für Bericht über Schulenkontroverse:<br />

D. 18, 1, 1, 1. Paulus 33 ad ed. Sed an sine nummis venditio dici hodieque possit, dubitatur, veluti si ego togam dedi, ut tunicam acciperem.<br />

Sabinus et Cassius esse emptionem et venditionem putant: Nerva et Proculus permutationem, non emptionem hoc esse. Sabinus<br />

Homero teste utitur, qui exercitum graecorum aere ferro hominibusque vinum emere refert ... sed verior est Nervae et Proculi sententia:<br />

nam ut aliud est vendere, aliud emere, alius emptor, alius venditor, sic aliud est pretium, aliud merx: quod in permutatione discerni<br />

non potest, uter emptor, uter venditor sit.<br />

Ob aber man heut<strong>zu</strong>tage von einem Kaufvertrag ohne Geld sprechen kann, ist zweifelhaft,wenn beispielsweise ich eine Toga hingebe,<br />

um eine Tunica <strong>zu</strong> erhalten. Sabinus und Cassius glauben, das sei ein Kauf. Nerva und Proculus nehmen an, dies sei ein Tausch und<br />

nicht ein Kauf. Sabinus nimmt Homer <strong>zu</strong>m Zeugen, der berichtet, dass das Heer der Griechen Wein mit Erz, Eisen und Sklaven gekauft<br />

habe... Aber richtiger ist die Meinung von Nerva und Proculus, dass nämlich Verkaufen und Kaufen, Käufer und Verkäufer,<br />

Preis und Ware jeweils Verschiedenes seien, während man beim Tausch nicht unterscheiden könne, wer Käufer und wer Verkäufer<br />

sei.<br />

- Bei der Stipulation <strong>zu</strong> Gunsten des Versprechensempfängers und eines <strong>Dr</strong>itten,<br />

Sabinianer: volle Forderung für den Versprechensempfänger,<br />

Proculianer: nur halbe Forderung für den Versprechensempfänger, anderer Teil unwirksam 31<br />

.<br />

- Bei Vertragsunwirksamkeit wurden die Klagen auf Rückabwicklung oder Schadenersatz<br />

von den Sabinianern auf Grund des eigentlich unwirksamen Vertrages,<br />

von den Prokulianern hingegen als analoge Klagen,<br />

Bereicherungsklagen oder Arglistklagen gewährt.<br />

Das galt auch für Rückabwicklung infolge einer der drei Rücktrittsklauseln 32<br />

.<br />

30<br />

31<br />

Vgl. Inst. Iust. 3, 19, 4.<br />

Gai. 3, 103 = Inst. Iust. 3, 19, 4.<br />

30. September 2011<br />

45


- Bei Auftragsüberschreitung bei Erwerbsauftrag oder Verbürgung, Schulenstreit, Inst. 3, 26, 8<br />

gar keine Aufwendungsklage (Sabinianer)<br />

Auftragsgegenklage aber nur bis <strong>zu</strong>r Höhe des Auftrages (Prokulianer).<br />

- Leistung an Erfüllungs Statt, datio in solutum, mit Zustimmung des Gläubigers<br />

befreit den Schuldner ipso iure (S.) oder nur auf Grund exceptio doli (P.).<br />

- Das Eigentum an der neuen Sache infolge von Verarbeitung eines anderen Stoffes<br />

sprachen die Sabinianer dem Stoff-Eigentümer, die Prokulianer dem Produzenten <strong>zu</strong> (ebenso BGB);<br />

den Ausgleich bildete später eine vermittelnde Meinung, die media sententia (s. u.).<br />

- Zeitpunkt für Eigentumsverlust an derelinquierten Sachen:<br />

S. und spätere Juristen: bei Preisgabe,<br />

P: erst mit der Ergreifung durch Okkupanten 33<br />

.<br />

- Wegen Haftung des beklagten Besitzers für Schäden der Sache nach dem Beginn der Klage (litis contestatio)<br />

Wahrscheinlich Schulenstreit: Sabinianer nur für Haftung bei dolus oder wohl auch bei culpa, Proculianer für Zufallshaftung 34<br />

.<br />

4. Ober der Schulengegensatz nur ein persönlicher oder auch ein grundsätzlich-sachlicher gewesen ist,<br />

ist seit langem streitig 35<br />

. Einige meinen:<br />

- Sabinianar für ius gentium, Proculianer für ius civile,<br />

- S seit Capito: antikisierend, P mit Labeo: modernisierend,<br />

- S pragmatisch orientiert, P für logische Ableitungen,<br />

- S: Anhänger der Anomalie, P Verteidiger der Analogie.<br />

KAPITEL 5. LITERATURGATTUNGEN<br />

1. Institutiones: Lehrbücher f Anfänger, besonders starke systematische Durchbildung.<br />

2. Regulae, sententiae, definitiones: knappe Rechtsregeln und Definitionen.<br />

3. Responsa, epistulae: Gutachten, meistens <strong>zu</strong> tatsächlich gestellten Anfragen.<br />

4. Quaestiones: Rechtsfragen, vorwiegend theoretischer Art, oft Kontroversen.<br />

5. Digesta: Zusammengefasste Ausführungen <strong>zu</strong>m ius honorarium und ius civile.<br />

6. Ad Sabinum, ad Q. Mucium: Gesamtdarstellungen des ius civile.<br />

7. Ad edictum: Kommentare <strong>zu</strong>m Edikt des Praetors, seltener auch <strong>zu</strong> dem des Aedils,<br />

von Gaius auch <strong>zu</strong>m Provizialedikt,<br />

oft beginnend mit dem Wortlaut des kommentierten Textes und mit dessen Zweck,<br />

Erläuterungen ähnlich wie heut<strong>zu</strong>tage Satz für Satz, oft Wort für Wort,<br />

bei Ulpian und Paulus enzyklopädische Gesamtdarstellungen.<br />

8. Weitere Schriften und Kommentare, insbes. <strong>zu</strong> einzelnen Gesetzen.<br />

32<br />

33<br />

34<br />

35<br />

Kaser-Knütel § 41.50.<br />

K-K § 26/4.<br />

K I § 103 I 5, S. 436.<br />

Nachweise z. B. bei B. Kübler, Gesch., 1925, S. 261. Hausmaniger-Selb, 9. Aufl., 35.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

46


KAPITEL 6. ZUERST RECHTSERFAHRUNG, SPÄTER RECHTSUNTERRICHT<br />

Einen systematischen Rechtsunterricht hat es in klassicher Zeit nur ansatzweise gegeben. Man darf z. B. annehmen,<br />

dass die Institutiones des Gaius aus dem 2. Jh. n. Chr. ein Lehrbuch gewesen seien und dass die Rechtsschulen<br />

der Sabinianer und Prokulianer etwas mit dem Unterricht <strong>zu</strong> tun gehabt hätten. Wichtiger jedoch war für<br />

die Ausbildung, dass der junge Mann einen angesehenen Juristen bei seiner Gutachtenerteilung und seinen Diskussionen<br />

mit anderen Juristen begleitete.<br />

Einen professionellen Rechtsunterricht gab es jedenfalls <strong>zu</strong>r Zeit Justinians. Justinian wendet sich in der Einleitungskonstitution<br />

<strong>zu</strong> seinen Institutionen ausdrücklich „an die nach Rechtskenntnis verlangende Jugend“, beruft<br />

<strong>zu</strong> Autoren der Institutionen <strong>Universität</strong>sprofessoren und geht mit den Institutionen von pädagogischen Gesichtspunkten<br />

aus.<br />

Allgemeine Lebensmaximen und Ausdrücke<br />

Bis dat qui cito dat. Doppelt gibt, wer schnell gibt.<br />

Carpe diém. Nutze den Tag.<br />

Multum, non multa. Viel, aber nicht vielerlei (leisten).<br />

Mundus vult decipi. Die Welt will betrogen werden.<br />

Nomen est omen . Name ist Vorbedeutung.<br />

Ora et labora. Bete und arbeite (aus dem Mittelalter).<br />

Panem et circenses. Brot und Spiele (für das Volk).<br />

Principiis obsta. Wehret den (schlechten) Anfängen.<br />

Qualis rex, talis grex. Wörtlich: wie der König, so die Herde.<br />

Quod bonum faustum felix Dass es gut und günstig,<br />

fortunatumque sit. glücklich und gedeihlich sei.<br />

Repetitio est mater studiorum. Wiederholung ist die Mutter des Studiums.<br />

Tempora mutantur Die Zeiten ändern sich<br />

(et nos mutamur in illis). (und wir ändern uns in ihnen).<br />

SIEBENTER TEIL<br />

CORPUS IURIS CIVILIS<br />

KAPITEL 1. ZITIERGESETZE UND CODEX THEODOSIANUS<br />

1. Seit Kaiser Konstantin d. Gr. (307 - 327)<br />

verschiedene Gesetze <strong>zu</strong>r Regelung, welche klassischen juristischen Werke<br />

in einem Prozess maßgeblich sein sollten.<br />

Am bekanntesten ist das Zitiergesetz des Kaisers Theodosius II. von 426:<br />

1. Zugelassen waren nur Schriften der 5 sogen. Zitierjuristen<br />

1. Gaius, und die Spätklassiker<br />

2. Papinian,<br />

3. Ulpian,<br />

4. Paulus und<br />

5. Modestin.<br />

30. September 2011<br />

47


2. Bei Meinungsverschiedenheiten waren die Stimmen <strong>zu</strong> "zählen" 36<br />

.<br />

3. Bei Stimmengleichheit sollte die Ansicht Papinians den Ausschlag geben 37<br />

.<br />

2. Sammlung der kaiserlichen Konstitutionen, ebenfalls durch Theodosius II.: Codex Theodosianus,<br />

wichtiger Vorläufer für Justinian.<br />

KAPITEL 2. CORPUS IURIS CIVILIS VON 533 N. CHR.<br />

Unsere Kenntnis des römischen Rechts beruht auf einer Quelle, die erst fast ein halbes Jahrtausend nach der Entstehung<br />

der wichtigsten Juristenschriften geschaffen wurde, auf dem Corpus Iuris Civilis. Dieses wiederum galt<br />

dann Jahrhunderte lang als geltendes Recht in den völlig anderen geographischen, gesellschaftlichen und politischen<br />

Verhältnissen des Mittelalters und der Neuzeit, in Teilen Deutschlands bis 1900.<br />

1. Kodifikationen<br />

Anfang und Ende der römischen Rechtsgeschichte sind durch Rechtsaufzeichnungen markiert, nämlich durch<br />

das Zwölftafel-Gesetz um 449 v. Chr. und das Corpus Iuris Civilis. Dieses hat der byzantinische Kaiser Justinian<br />

I. in der Zeit um 533 n. Chr. von dem Juristen Tribonian <strong>zu</strong>sammenstellen lassen. Näheres <strong>zu</strong> Kodifikationen in<br />

der allgemeinen Rechtsgeschichte.<br />

2. Aufbau des Corpus Iuris Civilis<br />

Das (neutrum!) Corpus Iuris Civilis besteht aus 4 Teilen.<br />

- Der 1. Teil, Institutiones, gibt einen lehrbuchartigen Überblick über die Rechtseinrichtungen, abgekürzt I;<br />

zitiert in der Reihenfolge: Buch, Titel, Paragraph.<br />

- Der 2. Teil, Digesta oder Pandectae, enthält Ausschnitte aus den Schriften der klassischen Juristen,<br />

abgekürzt meistens D; zitiert: Buch, Titel, Fragment, Paragraph.<br />

In den Digesten werden für jedes einzelne Fragment der Autor, das Werk und sogar die Nummer des Bandes,<br />

dem das einzelne Fragment entnommen wurde, angegeben.<br />

Zitat und Herkunftsangabe bezeichnet man als die Inskription einer Stelle.<br />

Die Digesten sind in 50 Blücher eingeteilt. Sie bilden den weitaus umfangreichsten, qualitätvollsten und<br />

historisch wirkungsvollsten Teil des Corpus Iuris.<br />

- Der 3. Teil, der Codex (nicht <strong>zu</strong> verwechseln mit dem Gesamtwerk, dem Corpus),<br />

überliefert einzelne Kaisergesetze, abgekürzt C. Just., oder C., oder, meistens, C;<br />

wiederum zitiert: Buch, Titel, Gesetz, Paragraph.<br />

Manche Kaisergesetze sind so berühmt, dass sie nach ihren Anfangsworten zitiert werden<br />

(s. u. <strong>zu</strong> den Einleitungskonstitutionen).<br />

Zur Inskription der Kaisergesetze gehören der Name des Kaisers, von dem die Äußerung stammt,<br />

und der Name des Adressaten, an den das Schreiben gerichtet war.<br />

Außerdem werden in der Subskription das Datum und oft auch der Ort der Ausfertigung festgehalten.<br />

- Im 4. Teil des Corpus iuris sind später erlassene, also neuere Gesetze, Novellae, gesammelt,<br />

abgekürzt Nov. oder einfach N.<br />

36<br />

37<br />

Dagegen gilt die Maxime: der Richter zählt nicht die Autoren, sondern wägt die Rechtsansichten gegeneinander<br />

ab - iudex non calculat. Andere Erklärung für "iudex non calculat" bei Liebs, Röm. Rechtsregeln, J 150.<br />

K, RRG S. 230 f.: C. Th. 1, 4, 3: Kaiser Theodosius II. und Valentian III.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

48


3. Einführungskonstitutionen im allgemeinen<br />

Die heutigen drei ersten Teile des Corpus iuris, Institutionen, Digesten und Codex,<br />

wurden jeweils durch große kaiserliche Konstitutionen, heute zitiert nach ihren Anfangsworten, eingeführt:<br />

Die Institutionen wurden durch die const. Imperatoriam verkündet.<br />

Die Digestenkommission wurde durch die const. Deo auctore eingesetzt, und die Digesten wurden mit der const.<br />

Tanta / Dedoken auf lateinisch und griechisch verkündet.<br />

Der ersten, nicht überlieferten Fassung des Codex dienten die Konstitutionen Haec und Summa, die zweite, endgültige<br />

Fassung des Codex wurde mit der const. Cordi verkündet.<br />

KAPITEL 3. INSTITUTIONEN JUSTINIANS<br />

Constitutio Imperatoriam, Einleitung Kaiser Justinians <strong>zu</strong> den Institutionen<br />

Die folgenden Begleitblätter beziehen sich häufig auf die Institutionen Justinians. Schauen Sie sich deswegen die<br />

Einleitungskonstitution Kaiser Justinians <strong>zu</strong> seinen Institutionen an:<br />

1. Welcher Kaiser?<br />

2. Was zeigen die Hinweise auf die besiegten Völkerschaften in der Inskription<br />

und die ersten beiden Absätze der Konstitution?<br />

3. Welche Religion wird hier angesprochen?<br />

4. Wer ist der Empfänger der Konstitution?<br />

5. Gerade<strong>zu</strong> sprichwörtlich ist der erste Satz: „Imperatoriam – armatum“.<br />

5b. Was ist mit § 2 gemeint?<br />

5c. Wer sind gemäß § 3 die drei Bearbeiter der Institutionen, wer von ihnen ist der wichtigste?<br />

6. Erörtern Sie Ziele und Maßnahmen der Studienreform gemäß §§ 3 und 7.<br />

6b. Welche beiden anderen Gesetzgebungswerke sind den Institutionen vorangegangen?<br />

7. Welche sind gemäß §§ 5 und 6 die Grundlagen der justinianischen Institutionen?<br />

KAPITEL 4. DIGESTEN<br />

1. Constitutio Deo auctore, Einset<strong>zu</strong>ng der Digestenkommission<br />

Codex Justinians 1. Buch, 17. Titel, Gesetz 1, Anfang und Paragraphen 3 bis 5. (C. 1, 17, 1 pr. und §§ 3 - 5)<br />

Kaiser Justinian, immer Mehrer des Reiches, an Tribonian, Exzellenz, Justizminister.<br />

(pr.) Mit Gottes Hilfe regiere ich mein Reich, das mir von der himmlischen Majestät übergeben ist.<br />

(3) Auf die trefflichen Dienste deiner klaren und rechtschaffenen Persönlichkeit haben Wir hierbei gerechnet. ...<br />

Wir haben dich dabei <strong>zu</strong>gleich angewiesen, nach deinem Ermessen sprachgewandte <strong>Prof</strong>essoren der Rechtswissenschaft<br />

wie auch beredte Anwälte beim Gericht vom höchsten Range <strong>zu</strong>r Mitarbeit aus<strong>zu</strong>wählen.<br />

(4) So befehlen Wir euch also, die das römische Recht betreffenden Schriften der alten Rechtsgelehrten, denen<br />

die verewigten Kaiser die Befugnis <strong>zu</strong>r Schaffung von Juristenrecht und <strong>zu</strong> seiner Erläuterung verliehen haben,<br />

<strong>zu</strong> sammeln und <strong>zu</strong> sichten, damit aus diesen der gesamte Rechtsstoff <strong>zu</strong>sammengetragen wird und man dabei,<br />

soweit möglich, keine ähnliche und keine widersprechende Stelle stehen läßt. Vielmehr soll aus diesen Schriften<br />

das Ergebnis gesammelt werden, das als einheitliche Bestimmung für alle gesetzt wird...<br />

(5) ... Das ganze Recht soll man dann in 50 Bücher und in bestimmte Titel ordnen, und zwar entsprechend dem<br />

Vorbild Unserer Sammlung der kaiserlichen Verordnungen (codex constitutionum) wie gemäß dem der immerwährenden<br />

Ediktsammlung (edictum perpetuum), je nachdem dies euch zweckmäßiger erscheint. Dabei soll<br />

nichts außerhalb der erwähnten Zusammenfassung übrigbleiben können, vielmehr soll das ganze alte Recht, das<br />

30. September 2011<br />

49


durch einen fast 1400-jährigen Zeitraum unübersichtlich geworden und von uns nun gesichtet ist, durch diese 50<br />

Bücher wie durch eine Mauer umgeben sein und nichts mehr außerhalb dieser lassen... Konstantinopel, den 15.<br />

Dezember 530.<br />

Fragen <strong>zu</strong>r const. Deo auctore<br />

1. Wer wird in der Konstitution angesprochen? Wer sollte die Digesten <strong>zu</strong>sammenstellen?<br />

2. Welcher ist der Inhalt der Digesten?<br />

3. Welche Vorgaben machte der Kaiser hinsichtlich des Systems der Digesten?<br />

4. Charakterisieren Sie knapp den Inhalt der Teile des Corpus Iuris Civilis.<br />

5. Zeichnen Sie den Weg der Kodifikation in der Antike nach.<br />

2. Constitutio Tanta, Inkraftset<strong>zu</strong>ng der Digesten 533 n. Chr.<br />

Constitutio Tanta. § 12. Nachdem auf diese Weise die gesamte Ordnung des römischen Rechts <strong>zu</strong>sammengestellt<br />

worden ist ... haben wir auch dieses Werk, das der Sicherung des menschlichen Lebens dient, dem allmächtigen<br />

Gott dargebracht...<br />

§ 13. Wir haben daher als notwendig erkannt, allen Menschen diese Gesetzgebung vor Augen <strong>zu</strong> führen, damit<br />

ihnen bekannt werde (erstens), wie groß die Verwirrung und Weitläufigkeit waren, von der sie befreit worden<br />

sind und wie wohlgeformt und innerlich wahr die Rechtsordnung ist, <strong>zu</strong> der sie jetzt gelangt sind, und (zweitens)<br />

dass sie in Zukunft Gesetze haben, die ebenso sachnah wie knapp sind und die für alle <strong>zu</strong> Tage liegen, und (drittens)<br />

dass ... Reichen wie Armen der Erwerb der Rechtsbücher offensteht...<br />

§ 19... Diese Gesetze sollt ihr also verehren und befolgen, während alles ältere Recht <strong>zu</strong> verstummen hat... Denn<br />

wir verfügen, dass einzig und allein das befolgt werden soll, was wir hiermit als Recht gesetzt haben...<br />

Fragen <strong>zu</strong>r const. Tanta<br />

1. Aus welchem Grund wurde die const. Tanta erlassen?<br />

2. Welche Merkmale des Kodifikationsprinzips sind ihr <strong>zu</strong> entnehmen?<br />

3. Welches weitere Merkmal halten Sie für eine Kodifikation für wesentlich?<br />

3. Überlieferung<br />

Am weitaus besten sind die Digesten überliefert, nämlich in einer Handschrift, die aus dem 6. oder 7. Jahrhundert,<br />

also noch fast aus der Zeit der Kodifizierung stammt. Die Handschrift befindet sich heute in Florenz, daher<br />

Florentina. Überall auf der Welt gebräuchlich ist die von Theodor Mommsen und Paul Krüger hergestellte Ausgabe.<br />

Institutionen, Codex und Novellen sind weniger sicher überliefert.<br />

KAPITEL 5. KODIFIKATION<br />

Stellen der Codex Hammurabi und die Zehn Gebote im Vorderen Orient, die Zwölf Tafeln, das Edikt des Praetors<br />

oder das Corpus Iuris Civilis „Kodifikationen“ dar? Die meisten modernen Wissenschaftler verneinen die<br />

Frage. Was ist eigentlich eine „Kodifikation“?<br />

1. Begriff<br />

Kodifikation ist die Zusammenfassung eines Rechtsgebietes.<br />

2. Eigenschaften<br />

Typischerweise hat eine Kodifikation die folgenden Eigenschaften:<br />

1. Sie umfaßt ein größeres Rechtsgebiet oder mehrere Rechtsgebiete oder sogar die gesamte Rechtsordnung.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

50


(Z. B. regelte das preußische Allgemeine Landrecht von 1794 mit seinen rund 20 000 Paragraphen fast das<br />

ganze Recht von der Verfassung über das Privatrecht und Strafrecht bis <strong>zu</strong>m Beamtenrecht; es war trotzdem<br />

nicht vollständig.)<br />

Schon dadurch unterscheidet sie sich von Einzelgesetzen, die nur einzelne Rechtsverhältnisse regeln.<br />

(Deswegen ist das BGB eine Kodifikation, das Verbraucherkreditgesetz aber nicht.)<br />

Die Kodifikation bezweckt eine gewisse Vollständigkeit.<br />

Ob man trotz Unvollständigkeit von einer Kodifikation sprechen darf, ist zweifelhaft (m.E. <strong>zu</strong> bejahen).<br />

(Deswegen zweifelhaft in be<strong>zu</strong>g auf die römischen Zwölf Tafeln von 499.<br />

Aber selbst das BGB ist nicht vollständig, z. B. keine Definition der zentralen Begriffe “Willenserklärung“<br />

und “Rechtsgeschäft“, viele nicht geregelte Materien aufgezählt im EG BGB.)<br />

2. Die Kodifikation bezweckt die Ordnung des überlieferten Rechtsstoffes und Rechtsreformen. Damit strebt<br />

sie Rechtssicherheit und Gerechtigkeit an. Deswegen wird der Stoff in einer systematischen Weise geordnet,<br />

wobei die Systeme im Laufe der Jahrtausende selbstverständlich verändert werden.<br />

(Selbstverständlich liegt z. B. dem preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 eine andere Systematik<br />

<strong>zu</strong> Grunde als etwa dem BGB von 1896.).<br />

3a) Autor der Kodifikation ist oft ein Herrscher<br />

(Z. B. Hammurabi, Moses, Justinian, Napoleon. Selbst Solon und die Deacem viri übten, neben der Gesetzgebung,<br />

Herrscherfunktion aus.).<br />

Ob man die Arbeiten von Privatleuten als “Kodifikation“ anerkennen soll, kann bezweifelt werden<br />

(aber m.E. <strong>zu</strong> bejahen).<br />

(Deswegen z. B. zweifelhaft der 1. Teil des Corpus Iuris Canonici, das Decretum Gratiani; Eike von<br />

Repgows Sachenspiegel und viele andere mittelalterliche Arbeiten in England, Frankreich und Spanien.)<br />

3b) Selbstverständlich bedient sich der Herrscher <strong>zu</strong> diesem Werk kompetenter Mitarbeiter, z. B. Tribonian,<br />

„Justizminister“ Justinians.<br />

. Häufig wird mit Kodifikationen die Rechtsvereinheitlichung, <strong>zu</strong> politischen und wirtschaftlichen<br />

Zwecken,bezweckt.<br />

(Hammurabi und Justinian nach ihren Eroberungen, Napoleon <strong>zu</strong>r Stärkung der Nation; Deutschland im<br />

19. Jh. <strong>zu</strong>r Vorbereitung oder Fortführung des einheitlichen Wirtschaftsmarkts und der Reichseinheit.)<br />

5. Erfahrungsgemäß werden mit Kodifikationen nur geringe materielle Veränderungen, d. h. Reformen,<br />

des geltenden Rechts beabsichtigt oder erreicht.<br />

(Das war 1896 der Hauptgrund für die Enttäuschung über das BGB.)<br />

6. Den Anlaß bilden häufig Staatsumwäl<strong>zu</strong>ngen. Häufig wird die Kodifikation auch als Propagandamittel<br />

eingesetzt.<br />

(z. B. durch Kaiser Iustinian, 533 n. Chr.; Napoleon, 1804; für den Glanz des Reiches 1896).<br />

7. Die neueren Kodifikationen sollten als "staatliches Recht" unmittelbare Geltung haben. Ob das auch für die<br />

alten Rechtsaufzeichnungen gilt und ob man sie auch ohnedies als Kodifikationen ansehen darf, ist<br />

zweifelhaft (m. E. ja).<br />

(Deswegen z. B. Bedenken in be<strong>zu</strong>g auf Codex Hammurabi und Zehn Gebote oder Sachsenspiegel.)<br />

8. Das Wort ist abgeleitet vom lateinischen Codex, insbesondere Codex Iustiniani (um 533 n. Chr.).<br />

9. Sehr oft benutzen einzelne Rechtshistoriker engere Kodifikationsbegriffe, mit denen sie allein die<br />

modernen Gesetzbücher erfassen.<br />

10. Besonders wichtig der "Kodifikationsstreit" in Deutschland 1814 zwischen Thibaut (für eine gesamtdeutsche<br />

Kodifikation) und Savigny (dagegen) und der Kodifikationsvorgang seit 1873.<br />

30. September 2011<br />

51


3. Große „Kodifikationen“ (Gesetzeswerke) in der Antike<br />

Um 1700 Codex Hammurabi, Babylon<br />

um 1200 Dekalog Moses, Israel<br />

um 600 <strong>Dr</strong>akon und Solon, Athen<br />

Mitte 5. Jhdt. v. Chr. Gortyn, Zwölf Tafeln, Rom<br />

533 n. Chr. Corpus Iuris Civilis, Kaiser Iustinian, Byzanz.<br />

8. Große „Kodifikationen“ (Gesetzeswerke) im Mittelalter und in der frühen Neuzeit<br />

Um 500 - 800 Germanenrechte (leges Barbarorum)<br />

Um 1140 Corpus iuris canonici<br />

um 1230 Sachsenspiegel Eikes von Repgow<br />

1532 Carolina, Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V.<br />

9. Zivilrechtskodifikationen in der Neuzeit<br />

1756 Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis von Kreittmayr<br />

Die drei Naturrechtskodifikationen:<br />

1794 Preußisches Allgemeines Landrecht von Suarez (nicht nur Zivilrecht)<br />

1804 Code Civil = Code Napoléon<br />

1811 Österreich. Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB).<br />

1896 BGB.<br />

10. Geltendes Recht<br />

Die deutschen Juristen denken bei dem Stichwort “Kodifikation“ sofort an das BGB. Das Handelsgesetzbuch<br />

und das Strafgesetzbuch sind bestimmt Kodifikationen. Sehr viele andere Gesetzeswerke haben die Eigenschaften<br />

von Kodifikationen, werden aber kaum je als solche bezeichnet, z.B. die vier Reichsjustizgesetze von 1877<br />

(GVG, ZPO, StPO, KO) oder das jetzt geltende Baugesetzbuch oder das im Entstehen begriffene Sozialgesetzbuch.<br />

Verfassungen passen unter die Bezeichnung „Kodifikation“, werden aber wegen ihrer besonderen Charakteristika<br />

kaum als solche angesehen).<br />

Frankreich ist mit der Bezeichnung „Code“ sehr viel großzügiger und kennt z. B. einen Code de la consommation<br />

38<br />

.<br />

KAPITEL 6. GELTUNG DES CORPUS IURIS UND DES RÖMISCHEN RECHTS<br />

Tatsächlich war das römische Recht im Westen stärker verbreitet als im Osten. Zwischen beiden Reichsteilen<br />

hatten schon immer erhebliche wirtschaftliche, kulturelle und sprachliche Unterschiede bestanden.<br />

Kaiser Diokletian (284 – 305) gliederte das Reich in vier Teilgebiete, um die Verwaltung <strong>zu</strong> vereinfachen, Kaiser Konstantin d. Gr. (325 –<br />

337) erwählte Byzantium unter dem Namen Constantinopolis <strong>zu</strong>r Hauptstadt, damit Verstärkung der schon vorher begonnenen Spaltung des<br />

Reichs, danach Doppelreich seiner Söhne, wiederholte Wiederherstellung der Reichseinheit, nach dem Tode Theodosius’ I. (395) wird die<br />

Teilung endgültig. 476 Abset<strong>zu</strong>ng Kaiser Romulus’ Augustulus im Westen, damit Ende des römischen Reichs im Westen. Erst 1453 Eroberung<br />

Konstantinopels durch die Türken.<br />

1. Geltung in Ostrom<br />

1. Im hellenistischen Bereich, vor allem in Ägypten, hatten einheimische Rechte, nämlich hochentwickelte<br />

„Volksrechte“, auch in den römischen Provinzen weiter gegolten.<br />

2. Dennoch war das Corpus Iuris Civilis in erster Linie für Ostrom / Byzanz bestimmt worden. Aber bald<br />

wurde die Handhabung des umfangreichen Textes in lateinischer Sprache <strong>zu</strong> schwierig. Es wurden grie-<br />

38<br />

Große Diskussion über Begriff etc jetzt bei Vogel u. a. anlässlich Code-civil-Jubiläum.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

52


chisch-sprachige Auszüge für die Praxis hergestellt und auf der Grundlage des römischen Rechts vom Kaiser,<br />

Basileus, neue Gesetze erlassen, daher Basiliken genannt.<br />

2. Geltung im Westen<br />

1. Im Westen hatte römisches Recht die vorher bestandenen einheimischen Rechte weitgehend verdrängt.<br />

2. Es hatte aber nicht das hohe fachliche Niveau wie in der Stadt Rom selbst, sondern war stärker durch einfachere<br />

Volksanschauungen 39<br />

geprägt. Man (als erster Ernst Levy) sprach daher in der zweiten Hälfte des<br />

20. Jh. in der romanistischen Forschung von weströmischem Vulgarrecht. Auf diesem einfacheren Niveau<br />

und mit einheimischen Anschauungen durchsetzt lebte das römische Recht in den weströmischen Provinzen<br />

fort.<br />

3. Als mit derVölkerwanderung Germanen auf dem Boden der weströmischen Provinzen ihre Königreiche errichteten,<br />

brachten sie ihre eigenen Rechte mit.<br />

Aber die germanischen Könige<br />

- ließen nicht allein, entsprechend dem Personalitätsprinzip, das römische Recht für die<br />

römischen Bürger fortbestehen, so dass auf demselben Gebiet zwei Rechtsordnungen<br />

nebeneinander bestanden,<br />

- sondern sie zeichneten, im 5. Jahrhundert n. Chr., also noch vor Justinian, das römische Recht für die<br />

römischen Bewohner auf 40<br />

.<br />

4. Zum Teil wurde römisches Recht auch in die germanischen Volksrechte, leges barbarorum, übernommen,<br />

die zwischen 500 und 800 aufgezeichnet wurden 41<br />

, am wichtigsten der langobardische edictus Rothari und<br />

die lex Salica des fränkischen Königs Chlodwig.<br />

5. In Italien wurde das Corpus Iuris nach der Vernichtung des Ostgotenreiches eingeführt, 553/554 n. Chr. 42<br />

6. Die Digesten sind vor allem in jener Handschrift aus dem 6. Jahrhundert überliefert, die nach der Eroberung<br />

Pisas durch die Florentiner von dort nach Florenz überführt wurde, die sogenannte „Florentina“.<br />

KAPITEL 7. REZEPTION DES RÖMISCHEN RECHTS IM MITTELALTER<br />

Die Periodisierung „Mittelalter“ (etwa 400 43<br />

39<br />

40<br />

41<br />

42<br />

bis 1500 44<br />

) und „Neuzeit“ ist problematisch.<br />

Kaser, RRG 234, zählt nicht <strong>zu</strong>mVulgarrecht „die eindringenden Rechtsgedanken nichtrömischen, besonders<br />

hellenistischen Ursprungs“.<br />

Conrad I S. 365; Kaser, RRG S. 235 f.: Edictum Theodorici, Ende 5. Jh., entweder des Westgotenkönigs<br />

Theodorich II., oder des Ostgotenkönigs Theoderichs d. Gr.; Lex Romana Visigothorum, Alarich, Westgotenreich<br />

/ Spanien, 506, sogen. Breviarium Alaricianum; Lex Romana Burgundionum, um 500.<br />

Herausgegeben mit Überset<strong>zu</strong>ng von K. A. Eckhardt, Germanenrechte. - Conrad I S. 62 f., 131: lex Burgundionum,<br />

um 500; edictus Rothari der Langobarden, 643 („hervorragendste legislative Schöpfung aus der Zeit der<br />

Volksrechte“); lex Salica des fränkischen Königs Chlodwig (507 – 511); lex Ribuaria der ribuarischen Franken,<br />

7. Jh.; lex Baiuvariorum, 8. Jh.; pactus Alamannorum, 7.Jh.; lex Saxonum, wahrscheinlich auf Aachener<br />

RT, 802/803 etc. – Seit etwa 600 n. Chr. auch Gesetze der Angelsachsen (also in nach-römischer aber vornormannischer<br />

Zeit), bemerkenswerterweise in angelsächsischer Sprache.<br />

Kübler, Geschichte, S. 417: Pragmatische Sanktion Kaiser Justinians nach der Eroberung Roms durch Narses.<br />

30. September 2011<br />

53


1. Was ist „Rezeption des römischen Rechts“?<br />

Die Übernahme (recipere = empfangen) des Rechts, das im Wesentlichen im Corpus Iuris verkörpert und von<br />

den Glossatoren und ihren Nachfolgern wissenschaftlich erklärt worden ist, im mittelalterlich-neuzeitlichen Europa<br />

45<br />

.<br />

2. Wie? Wie aber nicht?<br />

Allmählich, durch immer häufigeren Gebrauch durch Juristen, <strong>zu</strong>erst in der Verwaltung, dann in der Rechtsprechung<br />

und als Grundlage für Rechtsreformen.<br />

Es ist wichtig, dass die Übernahme des römischen Rechts aber nicht durch einen Befehl von oben veranlasst<br />

worden ist. Kein Kaiser hat jemals befohlen: „Nun wird das römische Recht angewandt“.<br />

3. Wo?<br />

1. Vor allem im Heiligen römischen Reich deutscher Nation, wohin sich das römische Recht im Wesentlichen<br />

in der Antike oder im Frühmittelalter noch nicht durch römische Besat<strong>zu</strong>ng oder auf andere Weise<br />

ausgebreitet hatte.<br />

2. Hingegen musste das römische Recht in den Mittelmeerländern (Italien, Südfrankreich, Spanien)<br />

nicht neu eingeführt werden. Dort brauchte es nur wieder gewissermaßen aufgeweckt <strong>zu</strong> werden, weil es dort<br />

schon seit der Antike galt, wenn auch schließlich nur noch in sehr verminderter Weise. Das Ergebnis ist aber<br />

weitgehend das gleiche: Geltung des römischen Rechts in der Bearbeitung von Glossatoren und deren Nachfolgern.<br />

3. Von der Rezeption weniger berührt wurden England, Skandinavien und Osteuropa sowie jene deutschen<br />

Gebiete, in denen der Sachsenspiegel oder ein starkes Stadtrecht (z. B. Lübeck) galt (aber auch nicht etwa<br />

gänzlich unberührt).<br />

4. Wann? In drei Schritten.<br />

1. Entscheidend ist für die europäische Zivilisation, dass seit dem 11. Jh. das antike römische Recht in<br />

Bologna wiederentdeckt wurde. Die wichtigste Handschrift nämlich die der Digesten aus dem 6. Jahrhundert, befindet<br />

sich allerdings in Florenz, die Florentina. Der erste berühmte Rechtslehrer in Bologna war Irnerius. Er<br />

und seine Nachfolger versahen die einzelnen Fragmente mit Erklärungen, sogen. Glossen. Sie wurden deswegen<br />

Glossatoren genannt. „Die“ Glosse, nämlich die Glossa ordinaria, stammte von Accursius (um 1200). Das Ansehen<br />

der Glossa ordinaria war so groß, dass diejenigen Teile des römischen Rechts, die sie nicht behandelte,<br />

auch später von den Gerichten nicht berücksichtigt wurden, nach der Rechtsmaxime: Was die Glossa nicht anerkennt,<br />

erkennt auch das Gericht nicht an - Quidquid non agnoscit glossa, non agnoscit curia. Umgekehrt galt<br />

später in Deutschland vor Gericht die Vermutung, dass ein Text aus dem Corpus iuris, <strong>zu</strong> dem es eine Anmer-<br />

43<br />

44<br />

45<br />

Die meisten heutigen Schriftsteller lassen das Mittelalter mit dem Beginn der Völkerwanderung (375, Einfall<br />

der Hunnen in das Ostgotenreich am Dnjepr), dem Untergang des weströmischen Reiches (476, In demselben<br />

Jahr Romulus Augustulus eingesetzt und abgesetzt) oder den germanischen Reichsbildungen im 5.Jahrhundert<br />

(418 – 507 Tolosanisches Westgotenreich, 443 – 532/534 Burgunderreich, 493 – 553 Ostgotenreich in Italien,<br />

429 – 534 Vandalenreich in Afrika, ab 482 Frankreich Chlodwigs in Gallien) beginnen.<br />

Als Ende gelten „die großen Entdeckungen“ des 15. Jh. (1492 Kolumbus) oder die Reformation (1517 Luthers<br />

95 Thesen in Wittenberg).<br />

Vgl. G. Köbler, Lexikon der europäischen Rechtsgeschichte, shv.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

54


kung der Glossa ordinaria gab, rezipiert worden war, sogenannte fundata intentio 46<br />

. Die auf die Glossatoren folgenden<br />

Gelehrten, unter ihnen Bartolus 47<br />

und Baldus, werden schlicht „Postglossatoren“ oder „Kommentatoren“<br />

oder „Konsiliatoren“ genannt. Ihr in Italien gelehrter Stil ist als mos italicus bekannt.<br />

Das von den Glossatoren und ihren Nachfolgern praktisch für ganz Europa geschaffene Recht wurde als ein europäisches<br />

gemeinsames Recht angesehen, als das ius commune.<br />

Weitere <strong>Universität</strong>en werden gegründet (Paris, Oxford und Cambridge, Salamanca), im Heiligen Römischen<br />

Reich Deutscher Nation <strong>zu</strong>erst Prag (1348), bis Ende 14. Jh. noch Wien, Heidelberg, Köln und Erfurt. Überall<br />

wird römisches und kanonisches, d. h. kirchliches, Recht gelehrt und studiert. Auch juristische Werke werden<br />

<strong>zu</strong>nehmend verfasst und allgemein verbreitet. Überall wird das römische Recht als die Schrift gewordene Vernunft,<br />

ratio scripta, angesehen.<br />

2. Etwa seit dem 12. Jahrhundert zogen immer mehr Interessenten, auch aus dem späteren Deutschland, dem<br />

Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, nach Italien und in anderer <strong>Universität</strong>en, um dort das kanonische<br />

(d. h. kirchliche) und römische Recht <strong>zu</strong> studieren. Außerdem wandte die Kirche dort, wo das kanonische Recht<br />

Lücken aufwies, römisches Recht an, nach der Rechtsmaxime: Die Kirche lebt nach römischem Recht - Ecclesia<br />

vivit lege Romana. Diese ist die Periode der Frührezeption.<br />

3. Schließlich wurde das gesamte Rechtsleben von dem römischen Recht eingenommen (soweit nicht einheimisches<br />

Recht nach<strong>zu</strong>weisen war), das ist die Vollrezeption des 15. Jahrhunderts, endend mit der Reichskammergerichtsordnung<br />

von 1495, die die subsidiäre Anwendung des „Reichs gemeine Rechte“ (in der Bedeutung<br />

des römischen Rechts) anordnete. Es folgten im späteren Deutschland der „neuere Gebrauch der Digesten“ = usus<br />

modernus pandectarum 48<br />

(16. bis 18. Jahrhundert) 49<br />

, etwa gleichzeitig das Naturrecht (17. und 18. Jahrhundert),<br />

und im 19. Jahrhundert das „gemeine Recht“, die historische Rechtsschule und die Nachrezeption.<br />

5. Welcher Inhalt?<br />

1. Weitgehend Schuld- und Mobiliarsachenrecht. Teile und Anregungen aus sonstigem Privatrecht (z. B.<br />

Erbrecht), Verfahrensrecht, Staatsrecht und Strafrecht.<br />

2. Methode der römischen Juristen, modifiziert durch Methoden der Glossatoren und Kommentatoren.<br />

6. Aber nur subsidiäre Geltung<br />

Theoretisch nur subsidiäre Geltung, da Territorialrecht vorgeht. Praktisch wurde es jedenfalls vom Reichskammergericht,<br />

den meisten Obergerichten der Territorien und den <strong>Universität</strong>slehrern für ihre Rechtsgutachten bevor<strong>zu</strong>gt.<br />

7. Warum? Gründe für die Rezeption<br />

46<br />

47<br />

48<br />

49<br />

Wieacker, PRGNZ, 2. A., S. 203. Trotz dieser Geltung des römischen Rechts blieb es bei dessen Subsidiarität.<br />

– Ius romanum allegans fundatam habet intentionem (Köbler, Lexikon der europäischen RG, shv; Liebs shv).<br />

Goethe am 25. September 1786: „Ich war auf der Bibliothek, die Büste des berühmten Juristen Bartolius (!) <strong>zu</strong><br />

sehen, die aus Marmor gearbeitet oben steht. Es ist ein festes, freyes wackres, schönes Gesicht von trefflicher<br />

Bildung und freut mich auch diese Gestalt in der Seele <strong>zu</strong> besitzen“ (Goethe, Tagebuch der Italienischen Reise,<br />

itb 176, 1976, S. 86).<br />

Stryk, 1701.<br />

„Usus modernus, die wichtigsten Namen“ bei Wesel Nr. 247.<br />

30. September 2011<br />

55


1. Vorbild und fortdauernde Leistungen Roms in anderen Bereichen<br />

Im Mittelmeerraum und auch in Teilen des späteren Deutschland: römische Straßen, Brücken, Stadtanlagen und<br />

sonstige Bauwerke. Römisch-lateinische christliche und profane Literatur. Lateinische Schrift und Sprache (auch<br />

für die Rechtsaufzeichnung der Germanen). Römische Provinzialverwaltung (teilweise übernommen von den<br />

christlichen Bistümern). Römisches Urkundenwesen.<br />

2. Rechtseinheit<br />

Das Recht in Europa ist unvorstellbar stark zersplittert. Die Rechtszersplitterung nimmt später in Deutschland<br />

noch <strong>zu</strong>, da das Heilige Römische Reich Deutscher Nation (im Unterschied <strong>zu</strong> England und Frankreich) keine<br />

Einheit gewinnt. Das römische Recht hat demgegenüber den Vor<strong>zu</strong>g, überall mit demselben Text <strong>zu</strong> gelten. Übrigens<br />

ist damit der Gebrauch der überall identischen Sprache, des Lateinischen, verbunden. Da dieses römische<br />

Recht allgemein gilt, spricht man seit dem Mittelalter von ius commune (im Gegensatz <strong>zu</strong> den partikularen Rechten).<br />

3. Rechtssicherheit durch Schriftlichkeit<br />

Die einheimischen Rechte sind oft ungewiss, weil nur mündlich überliefert. Das römische Recht hingegen ist<br />

schriftlich aufgezeichnet.<br />

4. Wissenschaftlichkeit<br />

Im Hochmittelalter (etwa 900 bis 1250) 50<br />

wachsen überall die intellektuellen, politischen und wirtschaftlichen<br />

Anforderungen so sehr, dass allgemein die vorhandenen älteren Rechte den Bedürfnissen der gelehrten Welt, der<br />

Politik und der Städtewirtschaft nicht mehr genügen.<br />

Die im antiken Rom ausgebildeten Differenzierungen, Institutionen, Regeln, Rechtsmaximen und Argumentationen<br />

der Römer werden in ganz Europa aufgenommen, d. h. "rezipiert", und fast überall als das gemeinsame<br />

Recht, Ius commune, anerkannt.<br />

5. Autorität<br />

Damit ist das römische Recht ausgezeichnet durch ratio und auctoritas. Damit ist das Corpus Iuris vergleichbar<br />

der Bibel für die Religion, den Schriften des Aristoteles für die Philosophie und den Werken Galens für die Medizin.<br />

Das römische Recht gilt als Kaiserrecht. Da der deutsche König als Nachfolger der antiken Kaiser gilt, wird es<br />

infolge dieser „Romidee“ im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation angewandt.<br />

6. Juristenstand<br />

Sowohl Vorausset<strong>zu</strong>ng als auch Folge der Rezeption des römischen Rechts ist das Entstehen des Standes professioneller<br />

Juristen, die einheitlich und <strong>zu</strong>m großen Teil auf auswärigen <strong>Universität</strong>en ausgebildet waren, die einerseits<br />

in gewisser Weise selbst austauschbar waren und andererseits für austauschbare Angelegenheiten (Verwaltung<br />

der verschiedensten Art, Rechtsprechung und –beratung, Gesetzesvorbereitung) eingesetzt werden<br />

konnten.<br />

8. Kritik<br />

1. Nationalistische Kritik: „deutsches Recht für deutsche Männer“: das römische Recht habe das einheimische<br />

verdrängt.<br />

2. Inhaltlich politisch-soziale Kritik: Nutzen der römischen Rechtsregeln für Kaiser oder für Oberschicht,<br />

eingesetzt etwa gegen Bauern / Leibeigene.<br />

50<br />

Von Otto d. Gr. (936 – 973) bis Friedrich II. (1212 – 1250), danach Interregnum (1256 – 1273).<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

56


3. Gesellschaftlich: Erset<strong>zu</strong>ng der bisher ehrenamtlichen Verwaltung und Streitschlichtung durch professionelle,<br />

oft auswärtige Juristen.<br />

9. Wirkungen<br />

Infolge der Rezeption haben die Rechtsordnungen der europäischen Staaten (etwas weniger in England) denselben<br />

Ursprung und sind sich bis heute ziemlich ähnlich. Das römische Recht ist in Teilen Deutschlands bis <strong>zu</strong>r<br />

Einführung des BGB, also bis 1900 in Geltung. Das moderne deutsche Recht, besonders stark die ersten drei Bücher<br />

des BGB und große Teile des Erbrechts, ist noch heute durch das römische Recht geprägt. Vor allem die juristische<br />

Argumentationsweise und die in den Schriften der römischen Juristen sowie in den Rechtssprichwörtern<br />

<strong>zu</strong>m Ausdruck gelangende Rechtsgesinnung wirken weiter fort 51<br />

.<br />

10. Weltberühmtes Grundlagenwerk<br />

F. C. von Savigny (1779 – 1861), Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter, 2. Aufl., 7 Bde. Lesenswert:<br />

Paul Koschaker, Europa und das römische Recht, 1947. Seitdem viel und bedeutende neuere Literatur 52<br />

.<br />

11. Vokabular<br />

Die heute noch bekannten lateinischen Ausdrücke aus dem Unterrichtsleben und Wissenschaftsbetrieb stammen<br />

<strong>zu</strong>m Teil noch aus der Antike, <strong>zu</strong>m Teil jedoch erst aus dem Mittelalter, z. B.<br />

cf. (confer, conferatur) vergleiche<br />

communis opinio allgemeine Meinung<br />

cum laude mit Lob<br />

cum tempore mit Zwischenzeit, d. h. nach einer Viertelstunde Pause<br />

curriculum (vitae) Laufbahn (Lebenslauf)<br />

Definition Begriffsbestimmung<br />

doctor Lehrer, Exerziermeister<br />

Dozent Lehrender<br />

emeritus ausgedient (


ACHTER TEIL<br />

VERFAHREN<br />

KAPITEL 1. DAS AKTIONENSYSTEM UND SEINE ÜBERWINDUNG<br />

Im römischen Recht, wie wohl in allen alten Rechten, konnte eine Partei einen Anspruch nur geltend machen,<br />

wenn er vorher, abstrakt, in der Rechtsordnung anerkannt war. Die Klage musste sich im System der bereits vorhandenen<br />

Klagen, actiones, halten. Es bestand gewissermaßen ein numerus clausus der Klagmöglichkeiten.<br />

Auch in diesem Sinne kann man von einem "aktionenrechtlichen Denken" sprechen. Insbesondere konnte nicht<br />

auf Grund von Vereinbarungen geklagt werden, die der Rechtsordnung bis dahin unbekannt waren. Denn eine<br />

bloße, nicht durch die Rechtsordnung anerkannte, Vereinbarung, brachte keine Klage hervor: nudum pactum non<br />

parit actionem. Insofern herrschte keine Vertragsgestaltungsfreiheit.<br />

D. 2, 14, 7, 5; 2, 14, 7, 4 etc.<br />

Zu den weltgeschichtlichen Leistungen des römischen Rechts gehört nun die Überwindung dieses starren Systems<br />

auf ganz unterschiedlichen, teils prozessualen, teils rechtsgeschäftlichen Wegen:<br />

- Der praetor selbst verhieß in seinem Edikt, er werde einfache Vereinbarungen schützen,<br />

pacta conventa servabo,<br />

allerdings nicht durch die Gewährung einer Klage,<br />

sondern nur durch Berücksichtigung mittels Einrde, exceptio, daher: exceptio pacti,<br />

insbesondere formlose Stundung oder Erlass.<br />

- Anerkannt waren pacta adiecta, also Nebenabreden <strong>zu</strong> bekannten Verträgen, z. B. <strong>zu</strong> einem Kaufvertrag.<br />

- Der praetor sorgte durch actiones in factum, actiones ficticiae, actiones utiles, actiones ad exemplum und<br />

durch Klagen "quasi" statt der normalen Klage für die Erweiterung der Anspruchsmöglichkeiten,<br />

- die Juristen empfahlen vielfältig Analogien, insbesondere durch eine "nützliche" Klage, actio utilis,<br />

oder eine in erster Linie die Tatsachen berücksichtigende Klage, actio in factum,<br />

die praetor und iudex anerkannten; Beispiele aus dem Bereich der lex Aquilia in Inst. Iust. 4, 3, 16.<br />

- Später fanden sogar bestimmte unbenannte Verträge, Innominatkontrakte, Anerkennung.<br />

- Besonders wichtig war die Stipulation, die jeden erlaubten Inhalt aufnehmen konnte.<br />

Insbesondere konnten die Parteien durch Vertragsstrafevereinbarungen in der Form einer Stipulation<br />

indirekt die Erfüllung von Vereinbarungen erzwingen.<br />

KAPITEL 2. DER RÖMISCHE FORMALISMUS UND SEINE ÜBERWINDUNG<br />

Formalismus in dem Sinne der Abhängigkeit eines rechtlich erheblichen Vorganges von der Beachtung von Bestimmungen<br />

über die Vorgehensweise war in der Religion, im römischen Staatsrecht, bei der Rechtsset<strong>zu</strong>ng, im<br />

Prozess etc. selbstverständlich. Erforderlich war vor allem das Sprechen besonderer Formeln. Daher der "Ausspruch"<br />

- das edictum (vgl. dícere – sagen) - des Beamten (und nicht etwa: Vor-schrift) oder das "Spruchformel-<br />

Verfahren" für den altrömischen Prozess.<br />

Auch wichtige Privatrechtsakte waren formgebunden, insbesondere die Rechtsübertragung mittels in iure cessio<br />

oder mancipatio und das Schuldversprechen mittels sponsio (später: stipulatio). Die Jurisprudenz bildete auf<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

58


Grund der anerkannten Formalakte nachgeformete Rechtsgeschäfte aus 53<br />

, z. B. aus der mancipatio die emancipatio.<br />

Das hatte auch Bedeutung für die Auslegung eines entsprechenden Rechtsgeschäfts.<br />

Oft waren da<strong>zu</strong> Zeugen erforderlich, z. B. bei der mancipatio.<br />

Hingegen galt das Erfordernis der Schriftform im Wesentlichen nur für das Prozessrecht der klassischen Zeit,<br />

das daher sogenannte Schriftformel-Verfahren oder einfach Formularverfahren, sowie für das Testament und für<br />

die in klassischer Zeit kaum mehr benutzten Litteralkontrakte. Zu Beweiszwecken wurden aber, wie seit der Erfindung<br />

der Schrift bis heute, wichtige oder komplizierte Rechtsgeschäfte schriftlich festgehalten.<br />

Formfreie Rechtsgeschäfte wurden erst später anerkannt, so die Übereignung mittels traditio und die Schuldverträge<br />

mittels einfachen Konsenses, insbesondere Kauf, Miete etc. (locatio conductio), Gesellschaft und Auftrag.<br />

Auch diese Überwindung des Formalismus ist eine rechtshistorisch einzigartige Leistung des römischen Rechts.<br />

Da die actiones aus den Konsensualkontrakten ex fide bona gewährt werden, wird überhaupt ihre prinzipielle<br />

Klagbarkeit auf der römischen Treue, fides, beruhen, so insbesondere die Auffassung von Fritz Schulz, Prinzipien<br />

des römischen Rechts, 1934.<br />

Die Fragen der Formfreiheit und Formgebundenheit wurden auch später vielfach diskutiert,<br />

- im 19. Jahrhundert (Savigny und Ihering),<br />

- bei der Entstehung des BGB allgemein (§ 125)<br />

und des schriftlichen (nicht notariellen) Testaments,<br />

- im Konsumentenschutz am Ende des 20. Jh.<br />

KAPITEL 3. PROZESSRECHT IM KURZÜBERBLICK<br />

Inst. Iust. 4, 6 pass. (de actionibus), Inst. 4, 10 bis 17<br />

Recht Haben ist bekanntlich nicht dasselbe wie Recht Bekommen. Die heutigen <strong>Universität</strong>sjuristen machen sich<br />

<strong>zu</strong> wenig klar, wie eigentlich das Recht "funktioniert". Die römischen Juristen gingen vom Prozess, von der Klage,<br />

der Actio, aus. Ihr Denken war, wie es heißt, aktionenrechtlich bestimmt. Die scharfe Trennung von Prozessrecht<br />

und materiellem Recht gelang erst dem großen Juristen Bernhard Windscheid (1817 - 1892). Eine gewisse<br />

Parallele <strong>zu</strong>m aktionenrechtlichen Denken stellt die heutige Anspruchsmethode dar. Auch der moderne Rechtsanwalt<br />

zieht selbstverständlich prozessuale Gesichtspunkte in seine Überlegungen ein.<br />

Im Prozess stehen sich der Kläger, Actor, und der Beklagte, Reus, gegenüber. Es gibt eigentliche Prozessvertreter,<br />

vor allem procurator und cognitor, auch tutor und curator. Ihnen können Prozessbeistände wie Redner (oratores),<br />

Schutzherren (patroni) oder Anwälte (advocati) <strong>zu</strong>r Seite stehen, sie spielen aber in den Digesten kaum<br />

eine Rolle.<br />

Inst. Iust. 4, 13 + 14.<br />

Der Klage, Actio, des einen stellt der andere die Einrede, Exceptio, des Beklagten gegenüber. Gegenüber der Exceptio<br />

kann der Kläger eine Replicatio haben. Die meisten Actiones und Exceptiones sind im Edikt des Praetors<br />

oder Aedils aufgeführt.<br />

Der Prozess ist, wie immer und überall, stark formalisiert. In der Frühzeit müssen die Parteien bestimmte Formeln<br />

sprechen, daher sogen. Spruchformelverfahren oder auch Legisaktionenprozess, da im Grundsatz nur die<br />

im Gesetz, lex, vorgesehenen actiones geltend gemacht werden können.<br />

Einzelheiten für Verfahren und materielles Recht sind in der „allgemeinen Anordnung“, d. h. im Edictum, des<br />

Praetors oder Aedils niedergelegt. Zuständig für den Prozess sind erstens ein bestimmter Beamter, der Praetor<br />

53<br />

Da<strong>zu</strong> Ernst Rabel, s. u. bei mancipatio.<br />

30. September 2011<br />

59


oder Aedil, und zweitens der von diesen verschiedene Richter, Iudex, oder eine Köperschaft von Richtern, eine<br />

sogen. Richterbank (in wichtigen Angelegenheiten, z. B. in großen Erbprozessen, bis <strong>zu</strong> hundert, Centum viri),<br />

die typischerweise gerade nicht Beamte sind.<br />

Der Prozess der Frühzeit wie der klassischen Zeit ist nämlich zweigeteilt: er wird im Gericht, in iure, „eingeleitet“<br />

vor dem Praetor oder Aedil. Dieser Beamte, magistratus, kann bei einer aussichtslosen Klage diese sofort<br />

abweisen, denegare actionem. In den meisten Fällen jedoch erteilt er den Parteien eine Art Verfahrensprogramm<br />

in der schriftlichen Prozessformel. Daher nennt man das in klassischer Zeit übliche Verfahren das „Schriftformelverfahren“<br />

oder einfach „Formularprozess“. Die Schriftformel enthält eine höchst konzentrierte Zusammenfassung<br />

der Anspruchsvorausset<strong>zu</strong>ngen und den Befehl an den iudex, bei Vorliegen der Vorausset<strong>zu</strong>ngen der<br />

Klage statt<strong>zu</strong>geben und bei Fehlen der Vorausset<strong>zu</strong>ngen die Klage ab<strong>zu</strong>weisen..<br />

Der Prozess wird bei dem Richter, apud iudicem, entsprechend der Klagformel durchgeführt und abgeschlossen,<br />

hier werden auch Beweise erhoben, und der Iudex spricht schließlich das Urteil.<br />

Daneben entwickelte sich bereits in republikanischer Zeit eine „Untersuchung und Entscheidung außerordentlicher<br />

Art“, cognitio extra ordinem. Daher spricht man nun vom „Kognitionsprozess“. Dieser wurde ohne Zweiteilung<br />

des Prozesses von Anfang bis Ende durch einen einzigen Beamten oder Richter, den iudex unus, durchgeführt.<br />

Damit haben wir drei Perioden der Prozessrechtsgeschichte: Spruchformelverfahren, Schriftformelverfahren,<br />

Kognitionsverfahren.<br />

Rechtsmittel gab es anfangs nicht 54<br />

. Eine Überprüfung einer Entscheidung in der Art einer Berufung oder Revision<br />

war anfangs kaum möglich. Erst gegen Entscheidungen in der cognitio extra ordinem war ein Rechtsmittel<br />

an die höhere Instanz, in letzter Instanz an den Kaiser, gegeben.<br />

Dem antiken oder mittelalterlichen Verfahrens- und Beweisrecht entstammt eine Reihe wichtiger Rechtsmaximen:<br />

Actori incumbit probatio. Der Kläger trägt (normalerweise) die Beweislast.<br />

Actor sequitur forum rei. Der Kläger folgt dem Gerichtsstand des Beklagten (s. § 13 ZPO).<br />

Audiatur et altera pars. Man muß auch die Gegenseite anhören.<br />

Confessio est regina probationum. Das Geständnis ist die Königin der Beweise.<br />

Da mihi factum, dabo tibi ius. Gib du mir den Sachverhalt, so geb' ich dir das Recht.<br />

Die Parteien liefern die Tatsachen und das Gericht das Recht.<br />

Ei incumbit probatio Derjenige trägt die Beweislast, der behauptet,<br />

qui dicit, non qui negat. nicht derjenige, der bestreitet.<br />

Iudex non calculat. Der Richter rechnet nicht; er zählt nicht die Argumente,<br />

sondern wägt sie ab.<br />

Iura novit curia. Das Gericht kennt die Rechte,<br />

die Parteien brauchen das Recht nicht nach<strong>zu</strong>weisen.<br />

Minima non curat praetor. Der Gerichtsherr kümmert sich nicht um Kleinigkeiten.<br />

Ne bis in idem (ne sit actio). Nicht zweimal wegen derselben Angelegenheit prozessieren.<br />

Ne ultra petita. Genauer: Der Richter darf nicht über den Parteiantrag hinausgehen.<br />

Ne eat iudex ultra petita partium. § 308 Abs. 1 ZPO.<br />

54<br />

Dulckeit/Schwarz/Waldstein, RRG, 9. A., 1995, § 23 I 6, S. 162: In dem Verfahren, das vor die Vollstreckung<br />

geschaltet war, actio iudicati, konnte der Beklagte das vorangegangene Urteil als unrechtmälßig beanstanden,<br />

wurde aber im Falle des abermaligen Unterliegens auf das Doppelte verurteilt.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

60


Quod non est in actis, Was nicht in den Akten,<br />

non est in mundo. ist nicht in der Welt<br />

Res ipsa loquitur. Die Sache spricht für sich.<br />

Roma locuta, causa finita. Rom (d. h. der Papst) hat gesprochen, die Sache ist entschieden.<br />

M. Kaser, K. Hackl, Das römische ZivilProzessrecht, 2. Aufl., München 1997.<br />

Ausdrücke<br />

accusare anklagen<br />

actio Klage, Anspruch<br />

advocatus Gerichtsbeistand<br />

ágere klagen<br />

appelláre ansprechen; eine höhere Behörde anrufen<br />

exceptio Einrede, Einwendung<br />

ex officio von Amts wegen<br />

forum in Rom öffentlicher Platz für Versammlungen und Verhandlungen;<br />

daher allgemein Gerichtshof<br />

inter omnes zwischen allen Personen, für und gegen jedermann<br />

inter partes nur zwischen den Vertrags- oder Prozessparteien<br />

non liquet es ist unklar<br />

obiter dictum nebenher gesagt, kein tragender Entscheidungsgrund<br />

pétere bitten, verlangen, einklagen<br />

postulare verlangen<br />

praesumptio Vermutung<br />

provocare hervorrufen, aufrufen; aufreizen; Berufung einlegen<br />

pro domo für das eigene Haus, d. h. im eigenen Interesse argumentieren<br />

replicatio Erwiderung auf eine Klage oder eine Einrede<br />

KAPITEL 4. EINZELNE KLAGFORMELN UND RECHTSMITTEL<br />

Inst. Iust. 4, 6 pass.<br />

Zur Zeit der Zwölftafeln herrschte noch ein sehr altertümliches und höchst formales Verfahren, das durch das<br />

feierliche Sprechen bestimmter Spruchformeln eröffnet wurde, es handelte sich um Legis actiones, wörtlich:<br />

Klagansprüche nach dem Gesetz (gemeint ist das Zwölf-Tafel-Gesetz), daher Legisaktionenprozess oder Spruchformelverfahren<br />

genannt.<br />

Schon in republikanischer, also vorklassischer Zeit, wurde der "Formularprozess" eingeführt, in dem das Prozessprogramm<br />

durch weniger strenge, aber immer noch formalistische, meistens schriftlich erteilte Prozess-<br />

Formeln durchgeführt wurde, daher auch Schriftformelverfahren genannt.<br />

Im Prinzipat, am Ende der klassischen Periode, wurde der Formularprozess durch das Kognitionsverfahren,<br />

wörtlich: Untersuchungsverfahren, abgelöst, nämlich vor einem beamteten Richter (also nicht mehr der republikanische<br />

Praetor und iudex), und ohne Zweiteilung.<br />

Jede Actio hat ihre eigene Prozessformel, formula. Sie beginnt mit der Einset<strong>zu</strong>ng des Richters, z. B. Lucius Titius<br />

soll Richter sein.<br />

30. September 2011<br />

61


An der Spitze der Formel steht meistens die demonstratio, mit der der Sachverhalt umschrieben wird, z. B.<br />

Abschluß des Kaufvertrages. Es folgt meistens die intentio, mit der der Kläger sein Klagbegehren bekanntgibt, z.<br />

B. auf Zahlung des Preises.<br />

Am Ende steht die condemnatio, mit der der Praetor den iudex anweist, je nach dem Ergebnis des Verfahrens der<br />

Klage statt<strong>zu</strong>geben oder sie ab<strong>zu</strong>weisen. Es heißt: verurteile - condemna; wenn es nicht so scheint, sprich frei -<br />

si non paret, absolve.<br />

Zivilrechtliche oder honorarrechtliche Klagen Inst. Iust. 4, 6, 1 + 3.<br />

Auf Grund ihrer rechtlichen Grundlage beruhen die Klagansprüche bald auf dem ius civile, das sind die actiones<br />

civiles, bald auf dem Amtsrecht, ius honorarium, des Praetors oder Aedils, daher actiones honorariae. Die Klagansprüche<br />

auf Grund ius civile nennen das oportére, verpflichtet sein. Für die meisten actiones honorariae lieferte<br />

der Praetor eine ausdrückliche Rechtsschutzverheißung im Edikt: ich werde eine Klage <strong>zu</strong>lassen - iudicium<br />

dabo. Zivile Klagen sind die wichtigsten, z. B. condictio, Klagen mit der bona-fides-Klausel, Klagen auf Grund<br />

der lex Aquilia, Eigentumsherausgabeklage (rei vindicatio). Praetorische Klagen sind aber z. B. die a. Publiciana<br />

und die adjektizischen Klagen.<br />

Persönliche oder dingliche Klagen Inst. Iust. 4, 6, 1.<br />

Eine weitere Unterscheidung hat Ähnlichkeit mit der heutigen Trennung zwischen Schuld- und Sachenrecht,<br />

Verpflichtung und Verfügung, nämlich actio in personam (gegen die Person) und actio in rem (wörtlich: gegen<br />

die Sache). Zwar richtet sich eine Klage immer gegen eine Person, im ersten Fall wird aber ein persönliches<br />

Recht (z. B. Anspruch auf Lieferung der Kaufsache) geltend gemacht, und im zweiten ein dingliches Recht (z. B.<br />

Herausgabe auf Grund Eigentums); Inst. 4, 17, 2.<br />

Actiones bonae fidei oder stricti iuris Inst. 4, 6, 28 und 30.<br />

Besonders wichtige, aber wohl erst nach den Zwölf Tafeln <strong>zu</strong>gelassene Klagen enthielten in ihrer formlula den<br />

Hinweis auf Treu und Glauben, bona fides; so Kauf, locatio conductio (Miete, Dienstvertrag und Werkvertrag),<br />

Gesellschaft und Auftrag. Im Gegensatz hier<strong>zu</strong> fehlte dieser Hinweis in den der Rechtsentwicklung nach älteren<br />

Klagen des strengen Rechts, der stricti iuris iudicia, insbesondere condictio und a. ex stipulatu.<br />

Inst. Iust. 4, 15 pass.<br />

Interdikte waren Befehle des Praetors, vor allem <strong>zu</strong>m Besitzschutz (heute sogenannte possessorische Klagen),<br />

wenden sich aber häufig an beide Streitteile, dann ein interdictum duplex.<br />

In integrum restitutio - Wiedereinset<strong>zu</strong>ng in den vorigen Stand. Aufhebung einer Rechtsfolge durch den Praetor,<br />

z. B. Aufhebung einer Vertragspflicht oder einer erfolgten Verfügung, insbes. wenn der Verpflichtete oder Verfügende<br />

infolge einer <strong>Dr</strong>ohung gehandelt hat oder wenn er als Minor benachteiligt worden ist. Der Praetor gewährte<br />

nach Bedarf Klagen, um die bereits eingetretenen Rechtswirkungen <strong>zu</strong> beseitigen. Das konnte meistens<br />

mit fiktizischen Klagen erfolgen, damit der Beklagte den Kläger so stellte, wie der Kläger stünde, wenn sich der<br />

fragliche Sachverhalt (z. B. die <strong>Dr</strong>ohung oder die Benachteiligung) nicht ereignet hätte.<br />

KAPITEL 5. CONDICTIO 55<br />

Condictio Inst. Iust. 4, 6, 15.<br />

Die condictio ist eine Klage aus der Zwölf-Tafel-Zeit, aus der Zeit der legis actiones, die aber auch noch im<br />

Formularprozess und im klassischen materiellen Recht eine sehr große Rolle spielte.<br />

55<br />

Kaser I S. 593.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

62


Für die Condictio genügen die intentio und die condemnatio:<br />

"wenn es sich ergibt, dass der Beklagte dem Kläger z. B. 10 000 Sesterzen <strong>zu</strong> zahlen verpflichtet ist,<br />

dann verurteile" etc.;<br />

"si paret ... decem milia dare oportere, ... condemna."<br />

Die condictio hatte also keine demonstratio <strong>zu</strong>r Umschreibung des <strong>zu</strong> Grunde liegenden Rechtsverhältnisses.<br />

Es ist eine actio in personam darauf,<br />

- dass eine bestimmte Geldsumme gegeben werde, certam pecuniam dari, oder<br />

- dass eine bestimmte Sache geleistet werde, certam rem dari.<br />

Die condictio gilt als "abstrakt", weil sie den Verpflichtungsgrund nicht nennt.<br />

Eingesetzt für<br />

- Rückzahlung eines Darlehens = Klage wegen bestimmten dargeliehenen Geldes,<br />

actio certae creditae pecuniae, wegen Darlehens, mutuum,<br />

- Litteralkontrakt 56<br />

,<br />

- Klage auf Grund Stipulationsversprechens einer bestimmten Geldleistung oder Sache<br />

(bei Versprechen eines incertum statt deren: actio ex stipulatu [incerti]),<br />

- Diebstahl, condictio furtiva,<br />

- sonstige Bereicherung, condictio indebiti 57<br />

.<br />

KAPITEL 6. RECHTSSCHÖPFUNGEN DES PRAETORS, ANALOGIE<br />

1. Actio in factum. Wenn Zivilrecht und Edikt für einen Fall nicht ausreichten, der Praetor aber Klage und<br />

gegebenenfalls Verurteilung für erforderlich ansah, konnte er eine Klage auf Grund des vorgetragenen<br />

Sachverhalts gewähren, eine actio in factum; z. B. im Fall des Tauschs.<br />

Diese actio in factum ist nicht <strong>zu</strong> verwechseln mit der formula in factum. Bei der formula in factum handelt es sich um die intentio<br />

einer Formel, die im Edikt steht, aber nicht auf ius civile, sondern ius honorarium beruht. Die formula in factum verweist nicht auf das<br />

ius civile (mit dare oportere), sondern umschreibt den ganzen Sachverhalt, das factum, z. B. umschreibt sie bei der älteren honorarrechtlichen<br />

Verwahrung, actio depositi, die Hinterlegung und die böswillige Nichtrückgabe.<br />

2. Wenn der Sachverhalt der Klage vorangestellt wurde, konnte man auch von einer Klage mit vorangestellten<br />

Worten, actio praescriptis verbis, sprechen, insbesondere in Gebrauch für atypische Rechtsverhältnisse<br />

58<br />

.<br />

3. Actiones ficticiae - Klagen mit einer Fiktion („Fiktion“ bedeutet im Wesentlichen die Annahme eines<br />

Umstandes, der nicht wahr sein kann). Z. B. bei der actio Publiciana unterstellt der Praetor, die Ersit<strong>zu</strong>ng<br />

sei vollendet, so dass der Kläger ziviler Eigentümer geworden sei, obwohl die Ersit<strong>zu</strong>ng in Wahrheit gerade<br />

nicht vollendet ist.<br />

4. Actio utilis. Analoge Klage für andere Fälle, die das ius civile nicht vorgesehen hatte. Z. B. die Klage des<br />

Zedenten (Abtretenden) für den Zessionar (Abtretungsempfänger) gegen den Schuldner; oder Schutz des<br />

56<br />

57<br />

58<br />

Kaser I S. 543 f.<br />

Zu den Bereicherungsklagen im einzelnen unten.<br />

Inst. 3, 24, 2.<br />

30. September 2011<br />

63


Pfandrechts durch die lex Aquilia; oder vindicatio utilis, nämlich Anspruch des früheren Eigentümers gegen<br />

den neuen, der infolge gutgläubiger Verbindung oder Verarbeitung Eigentum erlangt hatte. Utilis bedeutet<br />

sehr oft nicht bloß "nützlich", sondern im Verfahren auch "erfolgreich".<br />

5. Actio ad exemplum. Klage nach Art, z. B. in Anlehnung an die lex Aquilia, wenn die eng verstandene Kausalität<br />

des "Töten - occidere" verneint wurde, das Opfer aber trotzdem gestorben war.<br />

6. Actio quasi institoria, actio quasi Serviana etc.: in Fällen, in denen der eigentliche Ediktstatbestand nicht<br />

gegeben war, gewährte man "gewissermaßen" eine Geschäftsführer- oder eine Pfandrechtsklage etc.<br />

Analogie - Übertragung der Rechtsfolge eines geregelten Tatbestandes auf einen mit diesem<br />

wesensgleichen, aber ungeregelten Tatbestand.<br />

KAPITEL 7. EINREDEN = EXCEPTIONES, GEGENEINREDEN = REPLICATIONES<br />

Inst. Iust. 4, 13 pass.<br />

Exceptio - Ausnahme von dem Verurteilungsbefehl, wenn nämlich der Beklagte ein Gegenrecht gegenüber dem<br />

Kläger hatte. Auch die Exzeptionen waren im Edikt aufgeführt und wurden im Einzelfall in der Prozessformel<br />

vom Praetor genannt.<br />

Inst. Iust. 4, 14 pass.<br />

Die replicatio ist die Gegeneinrede des Klägers gegen die Einrede des Beklagten.<br />

Die exceptiones konnten auf einer lex beruhen, z. B. exceptio legis (P)Laetoriae <strong>zu</strong>m Schutz eines Minor gegen<br />

ein nachteiliges Geschäft,<br />

oder auf einem Senatusconsultum, z. B. exceptio Scti Macedoniani, <strong>zu</strong>r Abwehr der Klage auf Rückzahlung eines<br />

Darlehens, das einem Haussohn gewährt worden war,<br />

oder exceptio Scti Vellaeani, <strong>zu</strong>r Abwehr der Klage auf Erfüllung einer Sicherheit, die eine Frau für einen anderen<br />

bestellt hatte.<br />

Inst. Iust. 4, 13, 1. Rein praetorische Schöpfungen sind die Einrede der <strong>Dr</strong>ohung = e. metus causa und die Einrede<br />

der Arglist, exceptio doli.<br />

Inst. Iust. 4, 13, 3. Die exceptio pacti bedeutet wörtlich nur die Einrede der Vereinbarung. Sie hatte aber ihre<br />

Hauptbedeutung in der Stundung oder dem Erlass einer Forderung. Aus der Ediktsverheißung des Praetors, er<br />

werde vereinbarte Übereinkommen schützen, pacta conventa servabo, folgt die berühmte Maxime: Pacta (sunt)<br />

servanda - Verträge müssen gehalten werden.<br />

Inst. Iust. 4, 13, 5. Das Verbot der mehrmaligen Klage mit demselben Anspruch auf Grund desselben Sachverhalts<br />

(„nicht zweimal wegen desselben = ne bis in idem) wurde mit der Einrede der entschiedenen Angelegenheit,<br />

exceptio rei iudicatae, verwirklicht.<br />

Einrede des Bürgen / Akzessorietätsprinzip Inst. 4, 14, 4. „Die Einreden aber, mit denen der Schuldner geschützt<br />

geschützt wird, pflegen meistens (!) auch den Bürgen erteilt <strong>zu</strong> werden...“<br />

KAPITEL 8. EINREDE DER ARGLIST = EXCEPTIO DOLI, UND ÄHNLICHE FÄLLE<br />

Die weitaus größte Bedeutung hatte die Einrede der Arglist, exceptio doli. Sie lautete: "wenn in dieser Angelegenheit<br />

nichts durch böse List des Klägers geschehen ist oder geschieht" - si in ea re nihil dolo malo Ai. Ai. factum<br />

sit neque fiat.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

64


Bereits ihre Formel zeigt, dass sie zwei große Anwendungsbereiche hatte:<br />

Erstens kann die Klage des Klägers arglistig sein, weil er von Anfang an dolos gehandelt hat, exc. doli praeteriti<br />

= exc. doli specialis "durch böse List ... geschehen ist - factum sit". Diese Arglisteinrede wurde vor allem bei<br />

wirklicher Bösartigkeit des Klägers gewährt (s. unten <strong>zu</strong> „Treu und Glauben“).<br />

Zweitens, und das ist fast der wichtigere Fall, kann in der Vergangenheit alles in Ordnung gewesen, jetzt aber die<br />

einschränkungslose Geltendmachung eines Rechts unangemessen sein, exc. doli praesentis, wegen ihrer generellen<br />

Bedeutung ist diese die exc. doli generalis: "durch böse List ... geschieht - fiat".<br />

Für sie wurden auch Fallgruppen gebildet wie etwa das noch im modernen Recht <strong>zu</strong> beachtende Verbot, eine Sache<br />

ein<strong>zu</strong>klagen, die man gleich wieder <strong>zu</strong>rückgeben muss: dolo petit qui petit quod statim redditurus est. Ebenso<br />

war damals und ist heute das widersprüchliche Verhalten treuwidrig, venire contra factum proprium.<br />

Gegenüber der Klage aus einer Stipulation, konnte gegebenenfalls eingewendet werden, dass der eingeklagte Betrag<br />

von dem Kläger an den Beklagten gar nicht ausbezahlt worden war, exceptio non numeratae pecuniae.<br />

Wenn aus einer Stipulation <strong>zu</strong>r Sicherung einer Kaufpreisforderung geklagt wurde, konnte der Beklagte die Einrede<br />

der nichtgelieferten Ware erheben, exceptio mercis non traditae, erheben.<br />

Wurde aus einer nicht-titulierten (= abstrakten) Novationsstipulation geklagt, obwohl die ursprüngliche Schuld<br />

nicht bestanden hatte, dann hatte der beklagte Schuldner ebenfalls die exceptio doli.<br />

Für besondere Fallgruppen wurden statt der exceptio oder replicatio doli besondere Einreden formuliert, z. B. in<br />

Fällen der actio Publiciana.<br />

Klagte der wirkliche Grundeigentümer auf Herausgabe des Grundstücks gegen den nichtberechtigten Besitzer,<br />

der gutgläubig ein Bauwerk errichtet hatte, so hatte der Besitzer möglicherweise die exceptio doli, wenn ihm<br />

nicht die Aufwendungen erstattet wurden (D. 6, 1, 38).<br />

KAPITEL 9. SANKTIONEN<br />

1. Die Verurteilung durch den iudex im klassischen Formularprozess ergeht immer in Geld<br />

nach der Rechtsmaxime: Omnis condemnatio pecuniaria.<br />

2. Man darf wohl annehmen, dass der verurteilte Schuldner im allgemeinen den Urteilsspruch erfüllte.<br />

3. Die Zwangsvollstreckung begann mit einem zweiten Gerichtsverfahren, der Klage des Urteilsspruches,<br />

actio iudicati.<br />

4. Die Zwangsvollstreckung ist furchtbar: zwar nicht mehr Tötung oder Verkauf,<br />

wie angeblich nach den Zwölf Tafeln.<br />

5. Aber nach wie vor „Personalexekution“, d. h. zeitweilige Schuldhaft <strong>zu</strong>m Abarbeiten der Schuld.<br />

6. Daneben tritt die Vermögensexekution, indem der Praetor den siegreichen Kläger in das gesamte Vermögen des Beklagten einweist,<br />

missio in bona (also nicht, wie heute, Einzelzwangsvollstreckung in einen bestimmten Gegenstand). Im allgemeinen wird dann das Gesamtvermögen<br />

an einen Vermögenskäufer, den bonorum emptor, verkauft. Dieser übernimmt dann die Befriedigung der Gläubiger des<br />

Verurteilten. Damit ist der wirtschaftliche und gesellschaftliche Ruin des Verurteilten besiegelt. Dieser „Konkurs“ hat auch die Infamie<br />

<strong>zu</strong>r Folge.<br />

30. September 2011<br />

65


7. Infamia<br />

1. als Folge bestimmten ehrlosen Verhaltens, z. B. Konkurs, Prostitution, Doppelehe,<br />

2. Verurteilung wegen bestimmter Verbrechen, crimina,<br />

3. Verurteilung im Zivilverfahren wegen<br />

- Delikten (furtum, iniuria, dolus malus)<br />

- Treueverhältnissen (societas, tutela mandatum u. a.) 59<br />

.<br />

Folgen der Infamie:<br />

- keine öffentlichen Ämter<br />

- keine Prozesse führen, auch nicht durch andere.<br />

NEUNTER TEIL<br />

PERSON UND FAMILIE<br />

KAPITEL 1. CAPUT - BEGRIFFE UND SYSTEM DES PERSONENRECHTS<br />

Allgemein Inst. Iust. 1, 2, 12: Alles Recht aber, das wir anwenden, bezieht sich auf Personen, auf Gegenstände<br />

oder auf Klagen. Und <strong>zu</strong>erst wollen wir die Personen betrachten. Denn man hat wenig vom Recht erfaßt, solange<br />

man nicht über die Personen unterrichtet ist, für die es geschaffen ist.<br />

Die modernen Begriffe der Rechtsfähigkeit (Träger von Rechten und Pflichten <strong>zu</strong> sein) und Handlungsfähigkeit<br />

(durch eigenes Handeln Rechtsfolgen hervorrufen) mit ihren Unterbegriffen (Geschäftsfähigkeit, Deliktsfähigkeit<br />

etc.) stammen nicht aus der Antike, sondern aus dem Naturrecht und dem 19. Jahrhundert; noch verwirrender<br />

ist die Vorstellung der Vermögensfähigkeit. Kaser spricht von der "Vermögensunfähigkeit" der Hauskinder<br />

und Sklaven. Aber wenn diese Ausdrücke für die Antike gebraucht werden, stiften sie mehr Unheil als Klarheit.<br />

Für die Römer war anderes entscheidend, nämlich<br />

der status einer Person, d. h. ihr Stand, ihre Stellung, schulmäßig unterteilt in<br />

status libertatis - Freiheit oder Sklaverei<br />

liber - frei, oder: servus - Sklave<br />

status civitatis - Bürgerstand, nämlich Römer oder Fremder (peregrinus)<br />

status familiae - Familienstand, aber in dem Sinne: gewaltfrei, sui iuris<br />

insbes. paterfamilias,<br />

oder gewaltunterworfen, alieni iuris (wörtlich: fremden Rechts, d. h.)<br />

als Haussohn, filius familias, oder Ehefrau in manu (wenn manus-Ehe).<br />

Gewissermaßen auf der anderen Seite steht die status-Veränderung, die capitis deminutio.<br />

Inst. 1, 16 60<br />

.<br />

Capitis deminutio maxima: Verlust des Bürgerrechts und der Freiheit<br />

(Sonderregeln für römische Kriegsgefangene - ius postliminii).<br />

Capitis deminutio minor vel media: Verlust des Bürgerrechts, aber Bewahrung der Freiheit.<br />

59<br />

60<br />

K I 274.<br />

Gai. 1, 159 - 163; K I S. 271.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

66


Capitis deminutio minima: sonstige Statusveränderungen, insbes. infolge<br />

Adoption, coemptio, emancipatio, noxae deditio<br />

(hieran zeigt sich, dass capitis deminutio nicht immer status-Minderung bedeutet).<br />

Weiterhin Institutionen 1, 8 pr.<br />

Alieni iuris sind:<br />

1. Hauskinder (solange nicht emanzipiert; da<strong>zu</strong> u.),<br />

2. ausnahmsweise Ehefrau (wenn manus-Ehe; da<strong>zu</strong> u.) und<br />

3. immer Sklaven.<br />

Ausdrücke<br />

alieni iuris gewaltunterworfen<br />

caput (Gen. capitis) das Haupt (auch oft übertragen: die Person)<br />

civitas Bürgerschaft<br />

libertas Freiheit<br />

KAPITEL 2. FAMILIE; AGNATEN, GENS; PERSONENNAME; COGNATES<br />

Das Wort familia hat viele Bedeutungen 61<br />

. Familia bedeutet in der Rechtssprache vor allem den Hausverband als<br />

Ganzes mit seinen Personen und seinen Sachgütern oder den Personenkreis der Kleinfamilie, der dem paterfamilias<br />

untergeordnet ist.<br />

Der Agnatenverband wird aus den Kleinfamilien gebildet, die durch den Tod eines paterfamilias entstehen.<br />

Agnaten sind diejenigen Personen, die unter derselben patria potestas stehen würden, wenn dieser pater familias<br />

noch leben würde. Kurz: Verwandte über den Mannes-(genauer: Männer-)Stamm; also "über" Vater, Großvater<br />

etc.; z. B. Bruder oder Schwester, wenn derselbe Vater (auch wenn mit anderer Ehefrau) (Vorsicht: hingegen<br />

dann nicht Bruder oder Schwester, wenn nur dieselbe Mutter, aber mit anderem Ehemann); z. B. Onkel oder<br />

Tante, wenn Bruder oder Schwester des Vaters (hingegen nicht, wenn Bruder der Mutter); Vetter oder Cousine,<br />

wenn vom Bruder des Vaters abstammt oder vom Sohn des Bruders des Großvaters. Der nächste Agnat, adgnatus<br />

proximus, ist gesetzlicher Erbe, wenn Erblasser ohne Hauskind oder Ehefrau in manu verstirbt.<br />

Gens ist ein Verband mehrerer Großfamilien mit demselben nomen gentile, die sich auf denselben Stammvater<br />

(pater gentis) <strong>zu</strong>rückführen, z. B. die gens Iulia, <strong>zu</strong> der sich Caesar rechnete. In diesem Bereich findet das gesetzliche<br />

Erbrecht nach den XII-Tafeln statt, wenn keine Hauserben oder Agnaten vorhanden sind.<br />

Das Namenwesen ist nicht rechtlich geregelt. Herkömmlicherweise erhielt das Kind seinen Namen bald nach<br />

seiner Geburt vom Vater oder Onkel. Wichtig ist die Vererblichkeit des nomen gentilicium. Seit Kaiser Mark<br />

Aurel wurden offizielle Geburtslisten geführt. Die offizielle Bezeichnung des römischen Bürgers bestand am<br />

Ende der Republik (Beispiele: Cicero und Caesar) aus<br />

(1) Praenomen, bezeichnet das Individuum innerhalb der Familie, z. B. Marcus / Gaius (fehlt bei Frauen)<br />

(2) Gentile, gibt die Familien<strong>zu</strong>gehörigkeit an, z. B. Tullius / Iulius<br />

[(3) Angabe des Vaters]<br />

[(4) Tribus-Zugehörigkeit]<br />

(5) Cognomen, zweiter Individualname, z. B. Cicero / Caesar.<br />

61<br />

Ulp. D. 50, 16, 195.<br />

30. September 2011<br />

67


Im allgemeinen benutzte man nur zwei Namen. Frauen führen meistens nur das nomen gentilicium (z. B. Tullia,<br />

die Tochter von Marcus Tullius Cicero) und verändern den Namen nicht durch die Eheschließung 62<br />

.<br />

Kognaten sind die Blutsverwandten, nach Gaius "die durch Personen weiblichen Geschlechts verwandtschaftlich<br />

Verbundenen", die anfangs fast ohne rechtliche Bedeutung waren, dann aber vom Praetor <strong>zu</strong>r praetorischen<br />

"Erbschaft", bonorum possessio, berufen wurden 63<br />

.<br />

KAPITEL 3. ANFANG UND ENDE DER PATRIA POTESTAS<br />

Inst. Iust. 1, 9 pr. + 3; Inst. Iust. 1, 10, 12.<br />

Die Hauskinder hatten ihren wirtschaftlich und gesellschaftlich gesicherten Platz in der Kleinfamilie, deshalb<br />

war ihr Streben, emanzipiert <strong>zu</strong> werden, relativ gering. In ihrer rechtlichen Eigenschaft als Gewaltunterworfene<br />

waren sie an der wirtschaftlichen Entfaltung ihrer Kleinfamilie beteiligt, daher auch das Interesse der Kleinfamilie<br />

an ihnen. Starb der pater familias, so erbten sie von Gesetzes wegen, d. h. falls kein wirksames Testament<br />

vorhanden war, den ihnen entsprechenden Teil des Gesamtvermögens. Die Eigenschaft als Haussohn oder Haustochter<br />

dauerte grundsätzlich solange, wie der Hausvater lebte, konnte aber ausnahmsweise auch schon vorher<br />

enden, insbesondere durch Freilassung (emancipatio) oder bestimmte Formen der Eheschließung für eine Frau<br />

(manus-Ehe) oder Adoption. Wenn der paterfamilias starb, wurden sie ohne weiteres und ohne Rücksicht auf ihr<br />

Alter gewaltfrei, sui iuris, hatten selbst den Status des pater familias und bildeten mit ihrer eigenen Ehefrau<br />

(falls manus-Ehe) und jedenfalls mit ihren Kindern eine neue familia.<br />

Institutionen 1, 9; 1, 12 pr.; 1, 12, 6; 1, 12, 10.<br />

Einzelheiten<br />

Für Haussöhne und Haustöchter gelten weitgehend (mit geringen Ausnahmen) dieselben Regeln.<br />

Entstehung der patria potestas durch eheliche Geburt<br />

oder durch Adoption eines Gewaltunterworfenen oder adrogatio eines Gewaltunterworfenen.<br />

Keine patria potestas an außerehelichem Kind, Mutter hat keine väterliche Gewalt,<br />

außereheliches Kind ist von Anfang an gewaltfrei.<br />

Verhältnismäßig wenige Texte hier<strong>zu</strong>.<br />

Falls Vater stirbt, Mutter aber schwanger ist, kann <strong>zu</strong>r Sicherung der Rechte des erwarteten Kindes,<br />

der heute sogenannte nasciturus, wenn das Kind geboren ist: der postumus,<br />

der curator ventris bestellt werden 64<br />

; vor allem im Hinblick auf das Erbrecht 65<br />

.<br />

Das ungeborene Kind wird im Rechtssinne nicht als Mensch angesehen.<br />

Die Abtreibung würde den Ehemann berechtigen, sich von der Ehefrau <strong>zu</strong> trennen,<br />

wird als schwere Unsittlichkeit angesehen,<br />

war aber <strong>zu</strong>nächst kein strafrechtliches crimen, erst seit den Severern,<br />

d. h. am Ende des klassischen Zeitalters bestraft 66<br />

.<br />

62<br />

63<br />

64<br />

65<br />

66<br />

DTV-Lexikon der Antike, Kulturgeschichte, s. v. Personennamen.<br />

Gai. 3, 24 und 30.<br />

K I S. 272 f.<br />

Unten Erbrecht.<br />

Th. Mommsen, Röm. Strafrecht, 1899, S. 636.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

68


Rechtsmaximen<br />

Mater semper certa est. Wer die Mutter ist, steht immer fest.<br />

Pater semper incertus est. Der Vater ist immer unbekannt.<br />

Pater est quem nuptiae demonstrant. Vater ist, wen die Ehe ausweist.<br />

Wichtiger Unterschied <strong>zu</strong>m modernen Recht: Väterliche Gewalt endet in Rom nicht durch Alter des Haussohns.<br />

Sondern Hauptfall für Ende der väterlichen Gewalt: Tod des Hausvaters.<br />

Außerdem Entlassung aus patria potestas mittels emancipatio, in klassischer Zeit mittels dreimaligen Scheinverkaufs<br />

durch den pater familias, in Anwendung des XII-Tafel-Satzes 4, 2: Wenn ein Vater seinen Sohn dreimal<br />

<strong>zu</strong>m Verkauf gegeben hat, soll der Sohn von der väterlichen Gewalt frei sein. (Die Freilassung eines Sklaven<br />

hingegen wurde anders bezeichnet, nämlich als manumissio, und erfolgte in verschiedenen anderen Formen.).<br />

Kein Recht auf Emanzipation Inst. 1, 12, 10.<br />

Wenn die filia familias durch manus-Ehe eine uxor in manu wird (s. u.), dann endet<br />

dann mit ihrem Übertritt in die manus-Gewalt ihres Ehemanns die patria potestas ihres eigenen Vaters.<br />

Ausdrücke<br />

alieni iuris (wörtlich: unter fremdem Recht) gewaltunterworfen<br />

filia familias Haustochter<br />

filiusfamilias Haussohn<br />

emancipáre Haussohn aus der väterlichen Gewalt entlassen<br />

manumissio Freilassung eines Sklaven<br />

paterfamilias Hausvater<br />

patria potestas väterliche Gewalt<br />

sui iuris (wörtl.: eigenen Rechts) gewaltfrei<br />

KAPITEL 4. VÄTERLICHE UNTERHALTSPFLICHT<br />

Codex Iustiniani, Buch 5, Titel 25 (Die Unterhaltspflicht gegenüber Kindern und Eltern), Konstitution 3 = C. 5, 25, 3. Die Kaiser Marc Aurel<br />

und Lucius Verus an Tatiana. Wenn du dem <strong>zu</strong>ständigen Richter beweist, dass der Knabe, den du nach Deiner Behauptung von Claudius<br />

geboren hast, wirklich dessen Kind ist, dann wird der Richter dem Claudius befehlen, nach Maßgabe seines Vermögens dem Kinde Alimente<br />

<strong>zu</strong> gewähren. Der Richter wird auch nach seinem Ermessen entscheiden, ob das Kind bei Claudius erzogen werden soll. Rom, den 17. Februar<br />

162.<br />

Rechtsmaxime: In praeteritum non vivitur.<br />

In der Vergangenheit lebt man nicht; kein Unterhaltsanspruch für abgelebte Zeiten.<br />

KAPITEL 5. HAUSKINDER ALS TEILNEHMER AM RECHTSVERKEHR<br />

1. Haussohn“ und „Haustochter“ sind nur solche Personen,<br />

die noch unter der patria potestas ihres Vaters, Großvaters oder Urgroßvaters stehen.<br />

2. Wenn die patria potestas beendet ist<br />

(insbesondere durch Tod des pater familias oder durch emancipatio des Hauskindes),<br />

sind sie zwar noch Abkömmlinge und Blutsverwandte, auch Söhne oder Töchter,<br />

aber nicht mehr im juristischen Sinne fililus familias oder filia familias.<br />

3. Wir würden mit den modernen Begriffen zwar sagen, der Haussohn sei rechtsfähig;<br />

30. September 2011<br />

69


aber derartige Begriffe entsprechen nicht dem römischen Recht.<br />

Entscheidend ist der status des filiusfamilias.<br />

4. Rechtsstellung des filius familias:<br />

status libertatis: frei, liber,<br />

status civitatis: römischer Bürger, civis Romanus,<br />

status familiae: aber gewaltunterworfen, alieni iuris (nicht eigenen Rechts = sui iuris).<br />

5. Damit gelten für ihn weitgehend (aber mit Ausnahmen) dieselben Regeln wie für Sklaven:<br />

Er kann am Rechtsverkehr teilnehmen 67<br />

, aber meistens nicht für sich.<br />

Die Wirkungen seiner Handlungen treffen in den meisten Fällen seinen paterfamilias.<br />

6. Erwerb<br />

Haussohn kann durch Rechtsgeschäfte erwerben, auch durch förmliche, wie mancipatio oder stipulatio,<br />

mit Ausnahme der in iure cessio (da Scheinprozess für sich selbst)<br />

ebenso wie Sklave.<br />

7. Aber Haussohn kann von Rechts wegen nicht Inhaber von Rechten sein,<br />

noch nicht einmal eigener Besitz, ebensowenig wie ein Sklave<br />

(insofern mag man von Vermögensunfähigkeit sprechen).<br />

Also kein Erwerb des Haussohns für sich selbst, sondern aller Erwerb für paterfamilias,<br />

ebenso wie Sklave.<br />

8. Verpflichtungen<br />

67<br />

68<br />

69<br />

70<br />

71<br />

Haussohn verpflichtet sich selbst 68<br />

,<br />

damit Gegensatz <strong>zu</strong> Sklaven;<br />

auch keine eigene Verpflichtung der Haustochter 69<br />

.<br />

Aber er kann sich dann nicht selbst verpflichten, wenn es auch ein Gewaltfreier in seinem Alter<br />

nicht ohne auctorias tutoris könnte 70<br />

.<br />

Seine Verbindlichkeit gilt als Naturalobligation, als naturalis obligatio 71<br />

, das bedeutet:<br />

- wenn sie erfüllt wird, kann Leistung nicht kondiziert werden,<br />

- sie kann wirksam durch Bürgschaft, Pfand und andere Rechte gesichert werden.<br />

Aber er hat kein eigenes Vermögen, ist "vermögensunfähig" (Kaser),<br />

er kann also, solange er Haussohn ist, seine Verpflichtungen nicht erfüllen.<br />

Haussohn kann sich sogar rechtswirksam für seinen Hausvater verbürgen: D. 46, 1, 10, 2 (aber nicht klausurgeeignet).<br />

Gai. D. 44, 7, 39; Ulp. D. 5, 1, 57.<br />

K I S. 343 / 16.<br />

D. 45, 1, 141, 2.<br />

K I 481 / 18 ff.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

70


9. Der Haussohn kann sogar im Zivilprozess verklagt und verurteilt werden 72<br />

.<br />

Jedoch ist die Zwangsvollstreckung gegen ihn auch aus Rechtsgründen ausgeschlossen,<br />

außer in Militärerwerb, peculium castrense.<br />

10. Sonderregel des Sc. Macedonianum: Wenn Haussohn ohne Erlaubnis Darlehen aufgenommen hat,<br />

steht ihm gegen den Gläubiger eine Einrede, exceptio, <strong>zu</strong> (s. u.).<br />

11. Nur ausnahmsweise verpflichtet der Haussohn außer sich selbst auch den paterfamilias<br />

1. durch Rechtsgeschäft (mit Weiterhaftung des pater familias<br />

sogar nach der Emanzipation des Haussohns, s. u. <strong>zu</strong> adjektizischen Klagen)<br />

2. oder Delikt (s. u. <strong>zu</strong>r Noxalhaftung).<br />

12. Verfügungen<br />

Er (dasselbe gilt für Haustochter 73<br />

) kann<br />

1. über Rechte seines Vaters verfügen (aber nicht mittels mancipatio oder in iure cessio),<br />

soweit Vater ihn hier<strong>zu</strong> ermächtigt hat 74<br />

.<br />

2. Kann Pekulium haben und in dessen Rahmen ebenfalls formfreie Verfügungen treffen,<br />

beides wie auch ein Sklave (s. u.).<br />

Aber kann nicht über eigene Gegenstände verfügen, weil er ja keine eigenen Rechte haben kann.<br />

13. Wenn filius gewaltfrei wird<br />

Schicksal der von ihm begründeten Rechte und Pflichten, wenn er gewaltfrei wird:<br />

1. Rechte hat ja bereits der pater familias erlangt, der behält sie, oder sie gehen auf Erben über.<br />

2. Verbindlichkeiten<br />

1. Es bleibt bei Haftung des p. f. (z. T. auf 1 Jahr beschränkt, actio annalis),<br />

aber nur soweit sich diese Haftung etwa aus adjektizischen Klagen ergibt 75<br />

.<br />

2. Haftung geht auf Erben des p. f., und aus diesem Grunde evtl auf Haussohn, über;<br />

wenn mehrere Erben: nomina divisa 76<br />

;<br />

3. Sohn haftet (<strong>zu</strong>mindest nach seiner emancipatio)<br />

für die von ihm unter patria potestas begründeten Geschäftsschulden selbst 77<br />

72<br />

73<br />

74<br />

75<br />

76<br />

77<br />

D. 5, 1, 57; Gai. D. 44, 7, 39. Ungeschmälerte Verurteilung des Haussohns, D. 14, 5, 5, pr.; s. auch D. 15, 1,<br />

44 und 45; nach Emanzipation oder Tod (wessen, des p. f.?) dann, wie immer für die ZV: actio iudicati.<br />

Beispiele für peculium der filia:D. 15, 4, 2, 1; D. 23, 3, 24.<br />

K I S. 267.<br />

Z. B. Paul. D. 17, 1, 61 am Anfang.<br />

Vgl. D. 14,5, 2, 4, und D. 14, 5, 7: aber nomina divisa.<br />

K I 481 / 20 und andere: Afr. D. 12, 6, 38 pr.-2.; Paul. D. 14, 6, 5; Paul. D. 17, 1, 61 a. E.; vgl. auch D. 17, 1,<br />

12, 6. - Nach prätorischem Recht, Edikt "Quod cum eo, qui in aliena potestate est", Dig. 14, 5. Nach richterlicher<br />

Voruntersuchung, causa cognita, entsprechend seiner Leistungsfähigkeit, in id quod facere potest; D. 14,<br />

5, 2 pr. Im Edikt werden entweder iussum oder Vermögensvermehrung des Vaters oder des Pekuliums, sowie<br />

Emanzipation oder Enterbung vorausgesetzt. Auch im Erbfall nach dem Vater volle, nicht anteilige Haftung: D.<br />

14, 5, 4 pr.; 14, 5, 7. Id quod facere kann m. E. <strong>zu</strong> ungeschmälerter Haftung führen, wenn Sohn genügend<br />

wohlhabend ist. K I S. 343.<br />

D. 17, 1, 61. Paulus 2 ad Nerat. Quod filio familias ut peteret mandavi, emancipatus exegit: de peculio intra annum<br />

utiliter agam. Paulus: sed et cum filio agendum est.<br />

30. September 2011<br />

71


(anders: freigelassener Sklave, dieser haftet gar nicht),<br />

aber nur im Maße des Möglichen, in id quod facere potest.<br />

4. wegen Delikten haftet er ebenfalls selbst, sobald er frei ist, unbeschränkt 78<br />

,<br />

da das Delikt der Person folgt, noxa caput sequitur 79<br />

(ebenso Sklave).<br />

14. Familienrecht<br />

Eheschließung des Hauskindes nur mit Erlaubnis des Vaters<br />

(aber nicht etwa: durch den Vater).<br />

Gründung eines eigenen Hausstandes macht Hauskinder in Rom nicht etwa gewaltfrei.<br />

15. Die Kinder des filiusfamilias stehen dann in der patria potestas des paterfamilias, d. h. ihres Großvaters.<br />

Die Kinder der verheirateten Tochter stehen in der patria potestas ihres Ehemanns oder dessen Vaters.<br />

16. Erbrecht<br />

Die Kinder können <strong>zu</strong> Erben eingesetzt werden.<br />

Nach den Zwölf Tafeln sind die Hauskinder und die Ehefrau in manu,<br />

die also erst durch seinen Tod gewaltfrei werden, gesetzliche Erben des Hausvaters,<br />

„Hauserben“, sui heredes,<br />

falls er kein Testament hinterlassen hat.<br />

Erst in späterer Zeit erteilt der Praetor auch den bereits vorher emanzipierten Hauskindern<br />

die erbrechtliche Stellung eines Vermögensbesitzers, bonorum possessio (<strong>zu</strong>m Erbrecht s. u.).<br />

KAPITEL 6. ALTERSSTUFEN: INFANS, PUPILLUS, MINOR<br />

Die Altersstufen spielen vor allem für Rechtsgeschäfte durch Gewaltfreie<br />

und für die deliktische Haftung eine Rolle,<br />

aber auch für Handlungen eines filius oder einer filiafamilias 80<br />

, also auch Frauen 81<br />

.<br />

Alter hat, wie gesagt, in Rom nichts damit <strong>zu</strong> tun, ob eine Person gewaltfrei ist oder nicht.<br />

Keine Begriffsbildung der Römer i. S. "Geschäftsfähigkeit".<br />

Wenn kein pater familias:<br />

für Infans und Pupillus: Tutor,<br />

für Minor: Curator.<br />

1. Infans gehört <strong>zu</strong> den Impuberes,<br />

bis <strong>zu</strong> 7 Jahren,<br />

78<br />

79<br />

80<br />

81<br />

Ich hatte einen Haussohn beauftragt, eine Forderung für mich ein<strong>zu</strong>klagen. Er hat die Forderung eingezogen,<br />

nachdem er aus der väterlichen Gewalt emanzipiert worden war. Ich kann ein Jahr lang erfolgreich ,die actio de<br />

peculio (gegen den Vater) erheben. – Paulus: Aber man kann auch gegen den Sohn klagen.<br />

D. 14, 5, 4, 1 und 2.<br />

I. 4, 8, 5 = Gai. 4, 77.<br />

D. 4, 4, 3, 4 und D. 45, 1, 141, 2!<br />

D. 4, 4, 9, 1.<br />

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72


geschäftsunfähig, dafür Tutor;<br />

wohl auch deliktsunfähig;<br />

Fähigkeit <strong>zu</strong> Besitzerwerb war in klassischer Zeit kontrovers.<br />

2. Pupillus = impubes infantia maior<br />

von 7 Jahren bis <strong>zu</strong>r pubertas (s. sogleich)<br />

können rechtsgeschäftlich allein für den Erwerb eigener Rechte oder Ansprüche handeln.<br />

Für Verpflichtungen oder Belastungen benötigen sie „Vollwort“, auctoritas, des Tutors (s. u.).<br />

3. Minor = Minor viginti quinque annis, jünger als 25 Jahre = pubes, d. h.<br />

Frauen: ab 12 Jahren,<br />

Männer: ab Geschlechtsreife (so die Sabinianer) bzw. 14 Jahren (Prokulianer).<br />

Erhalten auf Antrag Curator.<br />

Werden durch lex Laetoria und Praeator gegen Nachteilige Vorgänge geschützt.<br />

Können dennoch Rechtsgeschäfte aller Art wirksam selbst abschließen.<br />

4. Maior, Großjährig, ab 25 Jahren: kein Schutz, keine Beschränkung.<br />

"Deliktsfähigkeit" als "Zurechnungsfähigkeit" je nach Einzelfall, Frage der Schuld, Culpa.<br />

KAPITEL 7. IMPUBERES = PUPILLI<br />

Impuberes = pupilli, aber nach der infantia und vor der pubertas,<br />

stehen entweder in der patria potestas<br />

oder sind gewaltfrei, unterstehen dann aber der Tutela eines Tutors.<br />

D. 50, 16, 239 pr. „Pupillus“ ist eine Person, die noch nicht pubes ist [,aber nicht mehr in der patria potestas<br />

steht, infolge Todes des Vaters oder Emanzipation].<br />

Hinsichtlich der Rechtsgeschäfte der Impuberes ist <strong>zu</strong> unterscheiden:<br />

0. Besitzerwerb ohnehin, weil Besitz factum ist und nicht ius.<br />

1. Wirksam ist jedes Rechtsgeschäft, das ihre Rechtslage verbessert,<br />

etwa Geschenkannahme, sonstiger Erwerb (ebenso noch BGB)<br />

und jeglicher Forderungserwerb,<br />

z. B. Kaufpreisforderung aus Verkauf<br />

oder Warenforderung aus Kauf (insofern also anders als BGB).<br />

2. Wirksam ist auch jedes Rechtsgeschäft auf Anordnung, iussum, des Vaters<br />

(wenn noch unter patria potestas),<br />

oder mit Zustimmung, auctoritas, des Tutors (ebenso BGB).<br />

3. Grundsatz: Rechtsgeschäfte, die ihre Rechtslage nicht nur verbessern<br />

und ohne Anordnung oder Zustimmung vorgenommen wurden,<br />

wirken nur <strong>zu</strong> ihren Gunsten, nicht <strong>zu</strong> ihrem Nachteil (insofern anders BGB).<br />

Z. B. Kaufvertrag begründet nur für sie, nicht für ihren Geschäftsgegner<br />

klagbare Forderung auf Preis oder Ware;<br />

insofern „hinkendes Geschäft“, negotium claudicans.<br />

Sie können nicht wirksam: über eigene Sache verfügen,<br />

30. September 2011<br />

73


Sklaven freilassen, Schulderfüllung annehmen.<br />

Ihre Verbindlichkeit gilt als naturalis obligatio 82<br />

.<br />

4. Begren<strong>zu</strong>ngen des Grundsatzes<br />

1. Sie können ihren Anspruch nur geltendmachen,<br />

wenn sie Gegenleistung erbringen;<br />

andernfalls handeln sie gegen bona fides, Gegner hat exceptio doli<br />

(s. u.).<br />

2. Gegner hat gegen sie besondere Klage (rescriptum divi Pii)<br />

auf Herausgabe einer Bereicherung aus nichtautorisiertem Geschäft 83<br />

.<br />

5. Schulderfüllung<br />

1. Zahlung an den Mündel ohne Zustimmung des Tutor macht den Mündel zwar <strong>zu</strong>m Eigentümer, befreit<br />

nicht den Schuldner, gibt aber dem Schuldner eine exceptio doli.<br />

2. Zahlung durch den Mündel ohne Zustimmung des Tutor überträgt <strong>zu</strong>nächst kein Eigentum am Geld<br />

und befreit den Mündel nicht, befreit aber, sobald der Gläubiger den Wert durch Vermengung, Ersit<strong>zu</strong>ng<br />

etc erlangt hat.<br />

KAPITEL 8. TUTOR 84<br />

tutor impuberis Minderjährigenvormund<br />

tutor mulieris Frauenvormund = Geschlechtsvormund<br />

1. Die Ausdrücke, tutela, Vormundschaft, und tutor, Vormund, leiten sich ab von tueri, schützen.<br />

2. Es ist der rechtliche Schutz für bestimmte Personen, die schutzbedürftig sind, weil kein Familienvater oder<br />

Ehegatte rechtlich für sie handelt; Inst. Iust. 1, 13, 1.<br />

Einen tutor erhalten, falls sie gewaltfrei sind,<br />

1. impuberes, also freie Männer (Hauptfall: Vater und Großvater gestorben),<br />

die noch nicht volljährig sind (geschlechtsreif bzw. 14 Jahre), „Altersvormundschaft“,<br />

Inst. 1, 13, 3 Satz 1, sowie<br />

2. Frauen, mulieres, während ihres ganzen Lebens<br />

(aber schon in klassischer Zeit eingeschränkte Regel).<br />

3. Bestellt durch Testament des pater familias<br />

oder kraft XII-Tafel-Gesetz (tutela legitima, ähnlich wie „gesetzliche“ Erbfolge nach den XII-Tafeln)<br />

oder durch Beamten (magistratus).<br />

4. Nur Mann kann Vormund sein.<br />

5. Geschäftsabschluss 85<br />

1. Entweder: tutor schließt Rechtsgeschäft statt Mündels und mit Wirkung für und gegen Mündel ab,<br />

Inst. Iust. 2, 8, 2.<br />

82<br />

83<br />

84<br />

85<br />

K I S. 481.<br />

K I S. 276.<br />

K I §§ 20 f., S. 83 ff.; §§ 85 ff., S. 352 ff.<br />

D.19, 1, 13, 29: Mündelgeschäft.<br />

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74


Tutor impuberis verfügt wirksam über das Vermögen des impubes im eigenen Namen,<br />

erwirbt aber Besitz und Eigentum für den impubes;<br />

tutor selbst hat nur die Stellung wie ein Eigentümer und steht domini loco.<br />

2. Oder Mündel handelt selbst, wenn Tutor seine Zustimmung, auctoritas, erteilt,<br />

bei der Vornahme des Geschäfts, Inst. 1, 21 pr. + 2.<br />

6. Im Prozess kann tutor für den impubes klagen und verklagt werden.<br />

7. Aus Schuldverträgen des Tutors mit <strong>Dr</strong>itten erwachsen nach beendeter Tutel<br />

Verpflichtungen und Rechte des impubes, die mittels analoger Klage, actio utilis,<br />

gegen und durch den (früheren) impubes geltend <strong>zu</strong> machen sind 86<br />

.<br />

8. Haftung des tutor impuberis gegenüber dem pupillus auf Grund besonderer Bestimmungen bei Schädigung des Mündels 87<br />

.<br />

9. Wenn hingegen eine Person in der patria potestas oder in manu mariti steht,<br />

ist neben dem pater familias oder dem Ehemann für einen Tutor kein Platz.<br />

KAPITEL 9A. MINOR<br />

1. Minor = Minor viginti quinque annis, jünger als 25 Jahre = pubes, d. h.<br />

Frauen: ab 12 Jahren,<br />

Männer: ab Geschlechtsreife (so die Sabinianer) bzw. 14 Jahren (Prokulianer),<br />

bis <strong>zu</strong> 25 Jahren.<br />

86<br />

87<br />

88<br />

89<br />

90<br />

Erhalten auf Antrag einen Curator; curator erteilt consensus.<br />

Aber <strong>zu</strong>mindest anfangs hing Gültigkeit des Geschäfts nicht vom Konsens ab<br />

und Minor behielt trotz Konsens den rechtlichen Schutz, falls Minor dennoch übervorteilt war.<br />

Jedoch bildete Konsens des Curator wahrscheinlich in tatsächlicher Weise eine Sicherstellung des Geschäftspartners.<br />

Können Rechtsgeschäfte aller Art wirksam abschließen,<br />

sind aber geschützt, wenn sie übervorteilt wurden, circumscríbere.<br />

Rechtsbehelfe:<br />

1. Lex Plaetoria (oder: Laetoria) 88<br />

begründet bei Übervorteilung eine poenale Popularklage.<br />

2. Daher gewährt Praetor dem Minor gegen eine Actio aus dem Geschäft,<br />

bei dem er übervorteilt worden ist, eine exceptio legis Laetoria.<br />

3. Außerdem verheißt der Praetor in seinem Edikt.<br />

er werde nach seinem Ermessen, also auch ohne Übervorteilung durch den Gegner 89<br />

,<br />

dem Minor die Wiedereinset<strong>zu</strong>ng in den vorigen Stand, in integrum restitutio, gewähren,<br />

D. 4, 4, 1, 1. Bei einem Geschäft, das angeblich mit einem Minderjährigen unter 25 Jahren durchgeführt worden ist,<br />

werde ich prüfen, wie sich die Sache verhält. - Quod cum minore quam viginti quinque annis natu gestum esse dicetur,<br />

uti quaeque res erit, animadvertam.<br />

Nach überwiegender Meinung der römischen Juristen auch <strong>zu</strong> Gunsten von Haussöhnen<br />

(weil diese ja verklagt werden können und nach Selbständigkeit selbst haften) und Haustöchtern,<br />

zweifelhaft bei gewaltfreien Frauen, da diese ja Tutor haben, nicht für Sklaven unter 25 Jahren etc. 90<br />

K I § 62, S. 266 f.; § 87, S. 360 ff.<br />

K I § 88, S. 363 ff. Aber keine Haftung des tutor mulieris; K I § 89 I, S. 368.<br />

Um 200 v. Chr.<br />

Ulp. D. 4,4, 7, 2, z. B. auch nach Zahlung an den Minor, wenn dieser das empfangene Geld verloren hat.<br />

Umfangreiche Kommentierung in <strong>Dr</strong>. 4, 4.<br />

30. September 2011<br />

75


KAPITEL 9B. CURATOR 91<br />

Inst. 1, 23, 1 – 4<br />

curator furiosi oder prodigi Pfleger für Geisteskranken oder Verschwender<br />

curator minoris Pfleger für noch nicht 25 Jährigen<br />

Die Pflege, cura, betrifft den freien, mündigen Mann, der nicht in patria potestas steht, und zwar<br />

1. den Geisteskranken, furiosus, und den Verschwender, prodigus,<br />

2. vor allem den pubes, zwischen 14 Jahren bzw. Geschlechtsreife, und 25 Jahren.<br />

Nur wenige rechtliche Unterschiede gegenüber der Tutela 92<br />

.<br />

Curator minoris erteilt formlosen consensus <strong>zu</strong> Rechtsgeschäften des minor<br />

(nicht auctoritas, nicht erforderlich Gleichzeitigkeit und Anwesenheit).<br />

Verschwender, prodigus im technischen Sinne bleibt geschäfts- und deliktsfähig.<br />

Aber kann durch Magistrat entmündigt werden, interdictio (nicht: interdictum wie bei Besitz),<br />

kann dann keine ws. Verpflichtungen oder Verfügungen treffen,<br />

nur pure Bereicherung kommt ihm <strong>zu</strong> Gute,<br />

erhält dann Curator prodigi (nicht: tutor).<br />

Haftung des Curator <strong>zu</strong>meist auf Grund Geschäftsführung (ohne Auftrag), negotiorum gestio.<br />

KAPITEL 10. FRAUEN 93<br />

1. Frauen stehen ebenso wie Männer unter der patria potestas ihres Vaters oder Großvaters,<br />

werden gewaltfrei mit dessen Tod und können emanzipiert werden.<br />

2. Emanzipation durch nur einmaligen Scheinverkauf (nicht dreimal wie Männer).<br />

3. Wenn sie gewaltfrei sind<br />

sind sie fast in der gleichen Weise vermögens- und geschäftsfähig wie Männer.<br />

Sie sind z. B. gesetzliche Erben <strong>zu</strong>m selben Anteil wie ihre Brüder etc.<br />

4. Aber in gewissen Fällen sind sie doch anders gestellt als Männer:<br />

Zu vielen Rechtsakten brauchen sie die Zustimmung, auctoritas, eines besonderen Tutors,<br />

tutela mulierum.<br />

91<br />

92<br />

93<br />

94<br />

1. Der Tutor wird bestimmt durch Gesetz,<br />

durch Testament des paterfamilias oder des Ehegatten (wenn uxor in manu) oder durch Magistrat.<br />

Wenn von Gesetzes wegen, dann bei verwitweter uxor in manu der eigene Sohn 94<br />

.<br />

2. Auctoritas tutoris erforderlich bei Eingehung von Schulden, Veräußerung von res mancipi,<br />

K I § 20 V; § 22, S. 90 f.; § 65 V; §§ 85 und 90, S. 352 ff.<br />

Z. B. keine testamentarische Bestellung, keine auctoritas des curator.<br />

Lesenswert, wenn Sie historisches Interesse und gelegentlich Zeit haben: W. Schuller, Frauen in der griechischen<br />

Geschichte, Konstanz; W. Schuller, Frauen in der römischen Geschichte, Konstanz 1987.<br />

K I § 89 II 1, S. 368.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

76


Erbschaftsannahme, Errichtung eigenen Testaments, coemptio;<br />

aber nicht für formfreie Geschäfte, Veräußerung von res nec mancipi, Formularprozess.<br />

3. Einengung der Frau durch ihren Tutor schon in klassischer Zeit erleichtert:<br />

1. Sie können Tutor selbst wählen oder leicht wechseln.<br />

2. Ius (trium) liberorum, (<strong>Dr</strong>ei-)-Kinderrecht nach den Ehegesetzen des Augustus: Frauen,<br />

die mind. drei Kinder geboren haben, sind von Geschlechtsvormundschaft (d. h. Tutor) frei.<br />

3. Praetor kann widerstrebenden Tutor auf Antrag der Frau <strong>zu</strong> einer Zustimmung zwingen.<br />

4. Im klassischen Recht der Digesten praktisch verschwunden.<br />

5. Klausurwichtig! Alle gewaltfreien Frauen (irrelevant, wenn gewaltunterworfen, z. B. als uxor in manu)<br />

genießen die Einrede aus dem Sc. Vellaeanum bei Sicherungsgeschäften <strong>zu</strong> Gunsten eines <strong>Dr</strong>itten<br />

(gleich, ob Ehemann oder nicht), nicht nur Ehefrauen, (dieses hat nichts mit der Frauen-Tutel <strong>zu</strong> tun).<br />

6. Sie haben aber keine rechtliche Gewalt über ihre Kinder.<br />

7. Sie verlieren ihre rechtliche Selbständigkeit im Falle der manus-Ehe,<br />

d. h. wenn sie durch Eheschließung in feierlicher Form oder durch Gewohnheit (usus)<br />

in die Hand (manus) ihres Ehemannes (maritus) gelangen.<br />

Als uxor in manu haben sie im positiven (Erbrecht!) wie negativen Sinne die Stellung einer Tochter,<br />

sie stehen filiae loco.<br />

Im klassischen Recht der Digesten praktisch verschwunden (s. unten).<br />

8. Erbrecht s. u.<br />

9. Keine öffentlich-rechtlichen Funktionen für Frauen.<br />

Mittelalterliche Formulierung: Die Frau schweige in der Öffentlichkeit. Mulier taceat in ecclesia [= Volksversammlung].<br />

Obwohl im mittelalterlichen Kirchenrecht:<br />

Una lex de mulieribus et viris - Dasselbe Recht für Frauen wie für Männer 95<br />

).<br />

10. Neuere Rechtsgeschichte<br />

(Suffragetten: Frauen die für das Suffragium, Wahlrecht, kämpften)<br />

Erst 1919 Wahlrecht <strong>zu</strong>r deutschen Nationalversammlung<br />

1922 Zulassung <strong>zu</strong> richterlichen Funktionen.<br />

Ausdrücke<br />

ancilla, serva Sklavin<br />

filiafamilias Tochter in patria potestas<br />

manus mariti ehemännliche Gewalt im Rechtssinne (in klass. Zeit selten)<br />

mater Mutter<br />

mulier Frau<br />

tutela Vormundschaft<br />

uxor Ehefrau.<br />

KAPITEL 11. ABSCHLUSS UND INHALT DER EHE<br />

Man überlege: was ist heute die Funktion der Ehe, welche kann ihre Funktion in Rom gewesen sein?<br />

95<br />

Hattenhauer 157.<br />

30. September 2011<br />

77


Inst. 1, 10 pr.: Begriff der Ehe.<br />

Besteht eine wirksame Ehe zwischen einem Römer und einer nicht römischen Frau?<br />

Inst. Iust. 1, 2 pr.<br />

Auf welche theoretische Rechtsgrundlage stellen hier die justinianischen Institutionen die Ehe?<br />

Eheschließung<br />

Der Abschluß der Ehe war im römischen Recht<br />

1. kein Vertrag, nicht formalisiert, keine erforderliche Mitwirkung einer Behörde oder eines Priesters,<br />

2. hing aber auch nicht vom Voll<strong>zu</strong>g der Ehe (d. h. vom Beischlaf) ab.<br />

Ulp. D. 50, 17, 30. Nicht die Beiwohnung, concubitus, sondern die Übereinstimmung, consensus,<br />

macht die Ehe aus.<br />

Rechtsmaxime<br />

Consensus facit nuptias. Einigung allein macht die Eheschließung<br />

(nicht etwa Zwang, Zeremonien oder Beischlaf).<br />

"Die Ehe, matrimonium, ist kein Rechtsverhältnis, sondern eine soziale Tatsache, die freilich schon früh mit juristischen<br />

Wirkungen ausgestattet wurde.<br />

Sie ist 'verwirklichte Lebensgemeinschaft' von Mann und Frau, getragen von der affectio maritalis, dem dauernden<br />

Willen beider Gatten...<br />

(Sie) umfaßt die während der ganzen Ehe im gesamten Verhalten betätigte eheliche Gesinnung, gerichtet auf eine<br />

lebenslange, monogamische, mit Hausgemeinschaft verbundene Lebensgemeinschaft <strong>zu</strong>m Zwecke der Kindererzeugung"<br />

(Kaser).<br />

Inst. Iust. 1, 10 pr.<br />

1. Welche Erfordernisse werden für eine gültige Ehe aufgestellt?<br />

2. Beachten Sie das conubium<br />

1. nur unter römischen Bürgern, also Eherecht als Teil des ius civile,<br />

2. nach den XII-Tafeln kein conubium zwischen Plebejern und Patriziern,<br />

bald aufgehobene Diskriminierung.<br />

I. 1, 10, 12: Rechtsfolgen einer nicht gültigen Ehe.<br />

Ehegesetze des Augustus<br />

1. Ehe-Verbote mit anrüchigen Frauen, z. B. Prostituierten.<br />

2. Ehe-Pflicht für Männer und Frauen bestimmten Alters, zwecks Kindererzeugung.<br />

Wer die Ehepflicht nicht erfüllt, hat Nachteile beim Erbschaftserwerb.<br />

3. (<strong>Dr</strong>ei-)-Kinderrecht - Ius (trium) liberorum: Vorteile für Frauen und Männer,<br />

die drei oder mehr Kinder hatten.<br />

Aber Fehlschlag dieser Gesetzgebung.<br />

Frage der Rechtsgewalt des Ehemannes, manus mariti.<br />

Wichtig ist die Unterscheidung zwischen der eigentlichen Eheschließung und Ehe einerseits<br />

und dem Übertritt der Frau in den Hausverband des Mannes andererseits.<br />

Vor der Eheschließung<br />

1. stand die Frau in der patria potestas ihres eigenen Vaters oder<br />

2. sie war gewaltfrei, etwa nach dem Tode ihres Vaters oder nach Emanzipation.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

78


Neben der Eheschließung<br />

1. konnte sie in die Rechtsgewalt des Ehemannes, in die manus mariti, eintreten.<br />

Übertritt in die manus mariti durch conventio in manum<br />

1. entweder durch den feierlichen sakralen Akt der confarreatio, oder<br />

2. durch die Manzipation an den Ehegatten nach dem Vorbild des Kaufs, coemptio, oder<br />

3. durch Leben im Haus des Ehemannes während eines Jahres, usus.<br />

2. Aber schon gegen Ende der Republik, in der vorklassischen Zeit, wird die manus-Ehe selten,<br />

die manus-freie Ehe wird die Regel.<br />

D. h. Ehefrau ist gewaltfrei.<br />

Freie, formlose, einseitig erklärte Ehescheidung, auch bei manus-Ehe,<br />

seitens des Mannes wie seitens der Frau möglich.<br />

KAPITEL 12A. VERMÖGENSRECHTLICHE WIRKUNGEN DER EHE, ALLGEMEIN 96<br />

1. Unterschiedlich, ob manus-Ehe (cum manu) oder manus-freie Ehe (sine manu).<br />

- Cum manu ist Ehefrau ohnehin vermögensunfähig, wie eine Haustochter, filiafamilias.<br />

- Eigenes Vermögen etc hat Ehefrau nur, wenn sie gewaltfrei ist.<br />

2. Häufig Geschenke von Mann an Frau und umgekehrt,<br />

- vor Ehe voll wirksam: donatio ante (vorher) oder propter (wegen) nuptias,<br />

ebenso wirksam nach der Ehescheidung.<br />

- während Ehe immer nichtig,<br />

sowohl bei Ehe cum manu wie sine manu.<br />

Quelle dieses streng beachteten Verbots ist unbekannt,<br />

D. 24, 1.<br />

muss von der Dos unterschieden werden,<br />

3. Sehr wichtig ebenfalls (s. schon oben):<br />

Jede Frau (nicht nur Ehefrau) hat exceptio aus Sc. Vellaeanum, wenn sie<br />

für irgendjemanden, z. B. für Ehemann oder für anderen Mann,<br />

in fremdem Interesse interzediert hatte, d. h. im Wesentlichen: Kreditsicherung übernommen hatte.<br />

4. Keine rechtlich sanktionierte Unterhaltspflicht unter Ehegatten während Ehe<br />

(aber natürlich sittliche Verpflichtung), erst recht nicht nach Scheidung.<br />

Erbrecht (s. u.).<br />

Zur neueren Rechtsentwicklung: Hattenhauer, Grundbegriffe § 8.<br />

Ausdrücke<br />

adgnatus (pl. -i) diejenigen Blutsverwandten, die unter derselben Hausgewalt stehen<br />

oder stünden, wenn der gemeinsame pater familias noch lebte,<br />

aber nur vermittelt durch eheliche Abstammung von der Vaterseite,<br />

nicht vermittelt durch Frauen (wichtiger Unterschied <strong>zu</strong> Cognaten)<br />

96<br />

K I § 79.<br />

30. September 2011<br />

79


adoptio, adrogatio Adoption<br />

cognatus Blutsverwandter<br />

cura Sorge, Fürsorge, Sorgfalt, Pflegschaft<br />

dos Mitgift von der Familie oder Freunden der Frau an den Ehemann<br />

gens Geschlechtsverband, Sippe; Volk<br />

matrimonium Ehestand<br />

nasci geboren werden<br />

nuptiae Eheschließung<br />

tutela Schutz, Fürsorge, Vormundschaft.<br />

KAPITEL 12B. MITIGFT = DOS<br />

1. Üblicherweise gewährt der Vater der Ehefrau oder andere, meistens der Ehefrau nahestehende Person<br />

oder sogar (künftige) Ehefrau selbst<br />

ihrem Ehemann bei der Eheschließung eine Mitgift, dos.<br />

2. Damit<br />

1. trägt die Familie der Frau <strong>zu</strong>m Familienunterhalt bei und<br />

2. wird die Frau bei Beendigung der Ehe durch Tod oder Scheidung materiell gesichert,<br />

denn bei Beendigung der Ehe muß der Ehemann der Frau die dos wieder herausgeben,<br />

3. Es wird aber auch die Frau hinsichtlich des gesetzlichen Erbrechts<br />

nach ihrem eigenen Vater abgefunden,<br />

denn nach XII-Tafeln kein gesetzliches Erbrecht für Personen außerhalb der patria potestas,<br />

filia familias verläßt jedoch meistens die patria potestas ihres eigenen Vaters mit Eheschließung.<br />

3. Große Bedeutung der Dos in vielfacher Hinsicht im Recht,<br />

z. B. auch Ersit<strong>zu</strong>ng einer fremden Sache, die Ehemann „pro dote“ empfangen hatte.<br />

4. Von der Dos <strong>zu</strong> unterscheiden: Schenkung von Mann an Frau oder umgekehrt.<br />

5. Bestellung der dos<br />

1. Durch Vater der Ehefrau (sogen. dos profecticia)<br />

oder durch Ehefrau selbst (vor allem, wenn sie schon gewaltfrei war)<br />

oder durch <strong>Dr</strong>itte, Verwandte oder Freunde (sogen. dos adventicia).<br />

2. Verpflichtung <strong>zu</strong>r Bestellung der dos durch förmliche dotis promissio wie eine Stipulation<br />

oder ein besonderes Rechtsgeschäft, die dotis dictio,<br />

oder auch durch Vermächtnis.<br />

6. Dotis datio ist die Bestellung der dos, gewissermaßen das Bargeschäft.<br />

Dos ist wirksame causa für traditio, usucapio.<br />

Leistung der Dos durch Übereignung, Zession, Forderungserlass etc.<br />

7. An Ehemann. Er wird Eigentümer, Rechtsinhaber etc.<br />

8. Dos wird faktisch ein besonderer Teil des Mannesvermögens;<br />

dos ist "Frauengut - res uxoria".<br />

9. Veräußerungsverbot für Dotalgrundstücke, <strong>zu</strong>mindest in Italien.<br />

10. Kam die Ehe nicht <strong>zu</strong>stande, dann Herausgabepflicht auf Grund condictio causa data causa non secuta.<br />

11. Rückgabe der dos<br />

1. Besondere Vereinbarungen über Schicksal der dos nach Ende der Ehe weit verbreitet,<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

80


meistens in Form der Stipulation.<br />

2. Wenn keine Vereinbarung, dann nach Ende der Ehe durch Ehescheidung oder<br />

durch Tod des Ehemannes, Rückgabe der dos an Ehefrau.<br />

3. Wenn Frau <strong>zu</strong>erst stirbt, behält Ehemann die dos endgültig,<br />

wenn nicht früher besondere Rückgabevereinbarung getroffen wurde (dos recepticia)<br />

oder wenn nicht dos vom pater familias der Frau bestellt und dieser noch lebt (dos profecticia).<br />

4. Wer ist Schuldner der Rückgabepflicht?<br />

Ehemann im Fall der Scheidung, Erbe des Ehemanns im Falle seines Todes vor der Ehefrau.<br />

12. Besondere Klage auf Rückgabe, nämlich Klage wegen der Frauensache:<br />

actio rei uxoriae. Andernfalls actio ex stipulatu.<br />

13. Haftung des Mannes in gewissen Grenzen für Beschädigung oder Verlust von Dotalgegenständen.<br />

14. Abzüge von der dos <strong>zu</strong> Gunsten des Ehemannes (Zurückbehaltung = retentio),<br />

wenn Ehescheidung von Frau verschuldet, Zurückbehaltung aus Gründen der Sitte, propter mores,<br />

oder <strong>zu</strong>r Versorgung von Kindern (propter liberos).<br />

KAPITEL 13. EHESCHEIDUNG = DIVORTIUM<br />

1. Scheidung 97<br />

nur ein faktischer TB des sozialen Lebens,<br />

kein Rechtsakt, nicht im Privatrecht geregelt, wohl aber vorausgesetzt,<br />

sondern ein sozialer Vorgang, von Sozialordnung, Sitte und Sakralordnung geregelt.<br />

Dort auch Beschränkungen, z. B. bei grundloser Scheidung.<br />

Später Scheidungsbeschränkung nach Ehegesetzen des Augustus<br />

(insofern wie Ehe).<br />

2. Grundsätzlich "Scheidungsfreiheit", C. 8, 38, 2:<br />

„Unsere Vorfahren wollten, dass die Ehe frei sei - Libera matrimonia esse antiquitus placuit“.<br />

Daher keine wirksame Vereinbarung unter Eheleuten zwecks Beschränkung Scheidung.<br />

3. Vielleicht einmal in Urzeit unscheidbar.<br />

Ursprünglich in manus-Ehe nur von Seiten Mann.<br />

Schon in der Republik auch Scheidung von Seiten Ehefrau.<br />

4. Scheidungserklärung: repudium.<br />

Formeln, aber nicht verbindlich: Wegnahme der Schlüssel<br />

oder "Nimm Deine Sachen mit - Res tuas tibi habeto"<br />

oder über Scheidungsboten, nuntius.<br />

5. Bei manus-Ehe neben der Scheidung: Aufhebung der manus-Gewalt, insbes. durch remancipatio,<br />

meistens mit manumissio.<br />

6. Pflicht des Mannes <strong>zu</strong>r Rückgabe der dos 98<br />

, actio rei uxoriae,<br />

da ja Scheidung die Ehe beendet.<br />

Aber Zurückbehaltungsrechte des Mannes, wenn Frau Scheidung verschuldet hat,<br />

97<br />

98<br />

K I § 19, S. 81 ff., und § 77, S. 325 ff.<br />

K I § 81, insbes. S. 338 ff.<br />

30. September 2011<br />

81


- in Anbetracht der Kinder (die ja beim Ehemann blieben) - propter liberos oder<br />

- aus Gründen der Moral - propter mores (bei Ehebruch der Frau).<br />

7. Nicht selten, dass sich nach der Scheidung dieselben Ehegatten<br />

erneut mit einander verheiraten, dann Frage des Fortbestandes der ursprünglichen dos 99<br />

.<br />

KAPITEL 14. ENTSTEHUNG DER SKLAVEREI<br />

Inst. Iust. 1, 3 pr. + 1 + 2 + 4.<br />

Entstehung der Sklaverei: Inst. Iust. 1, 3, 4.<br />

Auch das Kind, das ein freier Römer mit einer Sklavin gezeugt hat, ist Sklave.<br />

KAPITEL 15. BEENDIGUNG DER SKLAVEREI<br />

Freilassung, manumissio: Inst. 1, 5 pr. etc. Motive der Freilassung u. a.<br />

- Eigenes (natürliches) Kind des Freilassenden<br />

- Anordnung des Erblassers von Todes wegen<br />

- Freikauf durch <strong>Dr</strong>itte oder durch Sklaven selbst (evtl. aus Pekulium)<br />

- Versprechen künftiger Dienste durch freigelassenen Sklaven.<br />

Vertragsklausel bei Sklavenverkauf kann die Freilassung sein 100<br />

.<br />

Iusta manumissio nach ius civile in bestimmten Formen<br />

(vindicta [Berührung durch Stab, Mitwirkung eines Liktors],beim Zensus = censu, oder durch Testament = testamento),<br />

oder formlose = prätorische Freilassung<br />

(unter Freunden = inter amicos,durch Brief = per epistulam oder auf andere Weise)<br />

(ganz andere Formen und Wirkungen für die emancipatio eines [freien] Hauskindes) 101<br />

.<br />

Eigentlich keine auflösend bedingte Freiheit 102<br />

.<br />

Der Freigelassene ist libertus, libertinus.<br />

Rechtsfolge nach iusta manumissio: Freiheit und römisches Bürgerrecht.<br />

Nach prätorischer Freilassung sind sie (nach einer lex Iunia) nur Latini Iuniani,<br />

genießen nur eine beschränkte Freiheit, kein Bürgerrecht.<br />

Der Freilasser behält als patronus eine gewisse Gewalt über Freigelassenen,<br />

insbesondere Bevorrechtigung des patronus als Erbe des Freigelassenen,<br />

lässt sich regelmäßig bei Freilassung Dienste, operae, versprechen.<br />

Gesetzliche Freilassungsbeschränkungen.<br />

99<br />

100<br />

K I § 77 / 23; § 80 / 43; z. B. D. 23, 24, 29, 1 (WS 2003-04). Dos tacita.<br />

K I S. 293: Wird ein Sklave verkauft oder fid<strong>zu</strong>iarisch manzipiert mit der Auflage, ut intra tempus manumitteretur,<br />

wird er nach den Erlassen der Kaiser mit Zeitablauf frei; z. B. D. 40, 1, 23: lex venditionis. Freiheit auch,<br />

wenn der Erbe die testamentarische Freilassung vereitelt oder wenn Sklave sich selbst suis nummis, d. h. aus<br />

seinem Peculium, freigekauft hat.<br />

101<br />

102<br />

S. auch K-K § 15 / 19.<br />

K I S. 257. Aber wohl aufschiebend bedingt oder aufschiebend befristet.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

82


KAPITEL 16. SKLAVEN ALS OBJEKTE<br />

Stellung der Sklaven Inst. 1, 8, 1 und 2.<br />

Die Sklaverei hat in der Gesellschaft und dementsprechend in der Rechtsordnung<br />

eine sehr große Bedeutung.<br />

Viele Sachverhalte in den Digesten handeln von Sklaven als bloßen Objekten des Handelns,<br />

z. B. von deren Verkauf oder Übereignung.<br />

Andere Rechtsfälle erörtern die Wirkungen von Rechtsgeschäften<br />

und unerlaubten Handlungen der Sklaven, sehen diese also insofern als Rechtssubjekte an.<br />

Institutionen Buch 1, Titel 3 (Recht der Personen), Anfang = I. 1, 3 pr.<br />

Die oberste Einteilung des Rechts der Personen ist nun die,<br />

dass alle Menschen entweder Freie oder Sklaven sind.<br />

Inst. 1, 3, 1. Und die Freiheit, libertas, nach der man auch von freien Menschen, liberi, spricht,<br />

ist die natürliche Fähigkeit, das <strong>zu</strong> tun, was einem jeden <strong>zu</strong> tun beliebt,<br />

sofern es nicht durch Gewalt oder Recht verhindert wird.<br />

Inst. 1, 3, 2. Dagegen ist die Sklaverei eine Einrichtung des Völkergemeinrechts,<br />

durch die jemand entgegen dem Natur<strong>zu</strong>stand dem Eigentum eines anderen unterworfen wird.<br />

S. auch Institutionen 1, 3, 3.<br />

Viele schwere Sklavenaufstände, sogenannte Sklavenkriege 103<br />

.<br />

Sc. Silanianum ordnet Folter und Tötung sämtlicher Sklaven an, wenn dominus ermordet wird.<br />

Vertragsklauseln, lex (leges) venditionis, bei Sklavenverkäufen z. B.<br />

Exportanordnung,<br />

aber auch z. B. Exportverbot oder Prostitutionsverbot,<br />

oder Bedingung der Freilassung 104<br />

.<br />

Sklave ist alieni iuris (s. o.), in Gewalt des Herrn, dominica potestas.<br />

Herr hat Gewalt über Leben und Tod über den Sklaven,<br />

jedoch früh durch den Zensor, später durch die Gesetzgebung begrenzt.<br />

Verlet<strong>zu</strong>ng oder Tötung eines Sklaven durch einen <strong>Dr</strong>itten<br />

begründet privatrechtlichen Ersatzanspruch<br />

des Herrn nach XII-Tafeln und vor allem nach der lex Aquilia (<strong>zu</strong> dieser s. u.).<br />

Sklave kann verkauft werden.<br />

Besondere Regeln des Aedils über Sachmängelhaftung<br />

beim Verkauf von Sklaven auf dem Markt.<br />

Auch alle anderen schuldrechtlichen Geschäfte betreffend Sklaven sind möglich.<br />

Textbeispiel<br />

Gai. I. 3, 146. Desgleichen ist kontrovers, ob Kauf oder Miete vorliegt, wenn ich dir Gladiatoren mit der<br />

Abrede übergebe, dass du für die einzelnen, die gesund bleiben, für deren Schweiß, zwanzig Denare bezahlst,<br />

für die einzelnen hingegen, die getötet oder verstümmelt wurden, tausend Denare ...<br />

103<br />

104<br />

136 - 132, 104 - 100, 73 - 71 (Spartakus) v. Chr.<br />

K I S. 562 mwN: dingliches Zugriffsrecht des Veräußerers auf Grund lex dicta in mancipio (nuncupatio).<br />

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Übereignung von Sklaven durch mancipatio, traditio oder in iure cessio (s. u. Sachenrecht).<br />

Miteigentum an Sklaven weit verbreitet.<br />

Auch Verpfändung, Nießbrauch etc.<br />

Sklavenkind, partus 105<br />

ancillae, ist zwar nach h. M. der Römer im juristischen Sinne keine Frucht der Sache,<br />

wird aber rechtlich weitgehend wie eine solche behandelt.<br />

Da Sklave völlig rechtlos ist, kann er im Rechtssinne keine Vermögensrechte haben.<br />

Tatsächlich war es weit verbreitet,<br />

dass der Dominus einzelnen Sklaven ein Sondervermögen <strong>zu</strong>r Verfügung stellte, das sogenannte Pekulium;<br />

aber dieses gehörte dem Sklaven nur bei einer tatsächlichen Betrachtungsweise;<br />

im Rechtssinne gehörte das Pekulium nicht dem Sklaven, sondern weiterhin dem Dominus.<br />

Da Sklave völlig rechtlos ist, tritt er auch nicht in familienrechtliche Beziehungen:<br />

im Rechtssinne keine Sklavenehe (contubernium), keine Eltern-Kind-Beziehung etc.,<br />

wohl aber in verschiedener Hinsicht außerrechtlich anerkannt.<br />

Freiheitsprozess 106<br />

darum, ob eine Person frei oder unfrei ist;<br />

die Person, um die es geht, ist in diesem Prozess gewissermaßen Objekt,<br />

um das sich der angebliche dominus und, <strong>zu</strong> Gusten der umstrittenen Person,<br />

der Freiheitsbehauptende, der adsertor in libertatem, streiten 107<br />

.<br />

Wenn in dem Prozess die Frage, ob eine bestimmte Person ein Freier oder ein Sklave sei,<br />

nicht <strong>zu</strong> klären war,<br />

gab die Vermutung <strong>zu</strong> Gunsten der Freiheit der betreffenden Person den Ausschlag<br />

nach der Rechtsmaxime: In dubio pro libertate. - Im Zweifel für die Freiheit.<br />

Neuere Rechtsgeschichte<br />

Das ausgedehnteste private Sklavensystem in Nord- und Südamerika.<br />

„Gutsuntertänigkeit“, früher Leibeigenschaft, galt nicht als Sklaverei.<br />

Naturrechtskodifikationen ALR, Code civil und ABGB erkannten Sklaverei nicht an.<br />

Im 19. Jahrhundert Kampf gegen die Sklaverei in der ganzen Welt,<br />

England Abolition 1807, Frankreich (nach Zwischenakt 1789) 1848,<br />

USA Sezessionskrieg 1861-1865; völkerrechtliche Antisklaverei-Akte 1926.<br />

Zum heutigen § 1 BGB s. Motive I, 25.<br />

Zur neueren Rechtsentwicklung: Hattenhauer, Grundbegriffe § 1.<br />

Ausdrücke<br />

ancilla Sklavin, Sklavenmutter<br />

dominus Herr<br />

homo, mancipium, Sklave<br />

puer, servus<br />

105<br />

106<br />

107<br />

Liberalis causa, status quaestio. Da<strong>zu</strong> Digesten-Titel 40, 12 “De liberali causa”.<br />

Bei der vindicatio in libertatem einer in Sklaverei gehaltenen Person tritt als Kläger der adsertor in libertatem<br />

auf, der die Freiheit der umstrittenen Person behauptet; Beklagter ist derjenige, der die Person als Sklaven in<br />

Anspruch nimmt. Dieselbe Form für Freilassung, vgl.Knütel. Bei der vindicatio in servitutem sind die Parteirollen<br />

umgekehrt.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

84


homo liber bona fide serviens Scheinsklave (in Wahrheit: freier Mensch)<br />

libertas Freiheit<br />

libertinus, libertus Freigelassener<br />

mancipium Sklave<br />

manumittere freilassen, aus der Sklaverei entlassen<br />

partus (m.) ancillae Sklavenkind<br />

peculium Sondervermögen,<br />

das Herr dem Sklaven (oder Haussohn) <strong>zu</strong>r Verfügung stellt<br />

(s. u. <strong>zu</strong> Handeln für andere)<br />

serva, ancilla Sklavin<br />

servitus Sklaverei (personenrechtlich); Dienstbarkeit (sachenrechtl.)<br />

servus Sklave<br />

(seltener homo oder puer).<br />

KAPITEL 17. SKLAVEN ALS TEILNEHMER AM RECHTSVERKEHR<br />

1. Sklaven können am Rechtsverkehr teilnehmen. Sie können z. B. durch Stipulationen<br />

1. Verpflichtungen 108<br />

2. oder Rechte 109<br />

begründen.<br />

2. Mancipatio<br />

1. Die Verfügung durch mancipatio ist ihnen verschlossen (bei der sie schweigen müssten)<br />

2. nicht jedoch der Erwerb (bei dem sie Formelworte sprechen müssen).<br />

3. Aber die rechtlichen Wirkungen ihrer Handlungen können im Rechtssinne<br />

1. nie sie selbst (ausgenommen Delikte nach ihrer Freilassung),<br />

2. allenfalls ihren Herrn treffen.<br />

4. (Vermögensunfähigkeit) Sklave kann von Rechts wegen nicht Inhaber von Rechten sein,<br />

noch nicht einmal selbst Besitzer sein.<br />

5. Aller Erwerb erfolgt für Dominus, ohne Rücksicht auf Kenntnis oder Willen<br />

des Sklaven, des Herrn oder des Veräußerers, betrifft<br />

1. schuldrechtliche Forderungen, z. B. durch Stipulation oder Kaufvertrag,<br />

2. dingliche Rechte, z. B. Erwerb durch mancipatio (nicht: Verfügung durch m.) oder traditio,<br />

3. sowie Besitz 110<br />

.<br />

Erwerb also auch durch Formalgeschäfte wie Stipulation und Manzipation<br />

(kein „Offenheitsprinzip“ i. S. BGB-Stellvertretung).<br />

6. Sklave kann sich selbst nicht verpflichten 111<br />

(hier also Unterschied <strong>zu</strong>m Haussohn).<br />

108<br />

109<br />

Vgl. D. 45, 1, 1 pr.; 45, 1, 38, 6; 45, 1, 118 pr.<br />

K I S. 286; ausdrückl Dig. 45, Tit. 3, De stipulatione servorum; Beispiele auch D. 45, 1, 38, 6 und 8; 45, 1, 45<br />

pr.; 45, 1, 62 etc. Auch mancipatio-Erwerb durch Sklaven.<br />

110<br />

111<br />

Zum Besitzerwerb durch Gewaltabhängige s. u. <strong>zu</strong>m Besitz.<br />

Gai. 3, 104; D. 15, 1, 41 pr.; 46, 1, 20; 50, 17, 32. Vgl. K I 287/43.<br />

30. September 2011<br />

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7. Er haftet für eigene frühere<br />

1. rechtsgeschäftliche Schulden auch dann nicht, wenn er freigelassen ist<br />

(Fortdauer der Haftung des dominus auf Grund einer actio annalis, falls dominus bis dahin haftete) 112<br />

.<br />

2. Wegen seiner Delikte haftet er aber selbst, sobald er frei ist,<br />

da das Delikt der Person folgt, noxa caput sequitur 113<br />

(ebenso Haussohn).<br />

8. Ausnahmsweise verpflichtet Sklave den dominus durch Rechtsgeschäft oder Delikt<br />

(s. u. <strong>zu</strong> adjektizischen Klagen und <strong>zu</strong>r Noxalhaftung).<br />

Deswegen gelten die Verpflichtungen eines Sklaven als Naturalobligationen.<br />

9. Da Sklave keine eigenen Rechte hat, kann er auch nicht über eigene Rechte verfügen.<br />

Er kann über Rechte des Dominus verfügen,<br />

soweit ihm der Dominus hier<strong>zu</strong> die Ermächtigung, iussum, erteilt 114<br />

.<br />

10. Ergebnis: obwohl Sklave selbst rechtsunfähig ist,<br />

kann er doch für seinen Herrn im Rechtsverkehr tätig werden.<br />

11. „Forderungen des Sklaven“<br />

1. Gegen einen <strong>Dr</strong>itten, extraneus: Anspruch, actio, des dominus gegen extraneus 115<br />

.<br />

2. " Forderungen des Sklaven“ gegen seinen dominus:<br />

1. keinerlei Anspruch des Sklaven (oder des dominus),<br />

2. sondern bloße Verrechnungsposten für Pekulium;<br />

sie erhöhen Wert des Pekuliums, wenn <strong>Dr</strong>itter a. de peculio gegen Dominus erhebt 116<br />

.<br />

12. „Rechtsgeschäftliche Schulden des Sklaven“<br />

1. Wenn Schulden gegenüber <strong>Dr</strong>itten:<br />

adjektizische Klagen (falls deren Vorausset<strong>zu</strong>ngen gegeben sind) des <strong>Dr</strong>itten gegen Dominus.<br />

2. Wenn „Schulden des Sklaven“ gegenüber dominus:<br />

kann dominus den Betrag für sich einbehalten gegenüber a. de peculio <strong>Dr</strong>itter,<br />

das heißt: Haftungswert des Pekuliums verringert sich.<br />

Actio de peculio und a. de in rem verso eines <strong>Dr</strong>itten gegen Dominus<br />

kommen nebeinander in Betracht 117<br />

.<br />

13. Unerlaubte Handlungen des Sklaven<br />

begründen Noxalhaftung des dominus; wenn Sklave freigelassen ist, haftet er selbst.<br />

112<br />

113<br />

114<br />

Pomp. D. 46, 3, 83: Zahlung des früheren Sklaven nach seiner Freilassung an den Gläubiger.<br />

I. 4, 8, 5 = Gai. 4, 77.<br />

Aber Nichteigentümer kann auch mit Ermächtigung nicht ws manzipieren wohl aber formfrei tradieren, K I<br />

267.<br />

115<br />

116<br />

117<br />

D. 15, 1, 41 u. ö.<br />

D. 15, 1, 7, 6 u. ö.<br />

D. 15, 3, 1.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

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KAPITEL 18. ADJEKTIZISCHE KLAGEN, ÜBERBLICK / GRUNDLAGEN<br />

Inst. Iust. 4, 7 pass.<br />

Hauskinder und Sklaven als Gewaltunterworfene Inst. 4, 7 pr. + Inst. 4, 7, 6.<br />

1. Besonders wichtiges, typisch römisches Hilfsmittel,<br />

ausgehend von Geschäften der Gewaltunterworfenen<br />

später auch teilweise angewandt auf Geschäfte von Gewaltfreien.<br />

2. Bis auf 1 Punkt war die rechtliche Regelung einfach:<br />

1. Jeder Erwerb (Forderungen, dingliche Rechte und Besitz)<br />

durch Gewaltunterworfene<br />

gehörte ohnehin von Rechts wegen dem Gewalthaber,<br />

auch wenn dieser den Erwerb tatsächlich dem Gewaltunterworfenen beließ.<br />

2. Jede Verfügung durch den Gewaltunterworfenen<br />

betraf im Rechtssinne einen Gegenstand des Gewalthabers<br />

und war wirksam, wenn der Gewalthaber der Verfügung <strong>zu</strong>stimmte.<br />

3. Problematisch war aber als einziger Punkt der der rechtsgeschäftlichen Verpflichtungen.<br />

Denn Schuldverträge<br />

1. konnten einen Sklaven überhaupt nicht verpflichten.<br />

Sklave konnte in einem Prozess nicht verklagt werden.<br />

2. Die Verpflichtungen konnten bei einem Haussohn<br />

1. zwar <strong>zu</strong> dessen Verpflichtung und <strong>zu</strong> dessen Verurteilung führen,<br />

2. aber nicht <strong>zu</strong>r Zwangsvollstreckung gegen ihn.<br />

3. Aber ein anderer würde mit einem Gewaltunterworfenen keine Geschäfte abschließen,<br />

wenn für diese Geschäfte nicht irgendjemand mit seinem Vermögen haftete.<br />

Wenn nicht der Gewaltunterworfene haftete,<br />

mussten in der Rechtsordnung Mittel gefunden werden,<br />

dass der Gewaltunterworfene den Gewalthaber verpflichten konnte.<br />

Im Rechtssinne mußte also der Gewalthaber verpflichtet werden.<br />

Zu diesem Zweck gewährte der Praetor die adjektizischen Klagen.<br />

4. Die fünf adjektizischen Klagen setzen stets voraus<br />

1. rechtsgeschäftliche Verpflichtung, z. B. Kauf oder Stipulation<br />

2. eines gewaltunterworfenen Haussohns oder Sklaven,<br />

ausnahmsweise eines Gewaltfreien (a. institoria oder a. exercitoria)<br />

3. unter den besonderen Vorausset<strong>zu</strong>ngen des Handelns<br />

1. für das Pekulium,<br />

daher actio de peculio des <strong>Dr</strong>itten gegen paterfamilias bzw. Dominus, oder<br />

2. wegen Verwendung des Gewaltunterworfenen<br />

<strong>zu</strong> Gunsten des Vermögens des Gewalthabers,<br />

daher actio de in rem verso, oder<br />

3. auf Anordnung, iussum, des Gewalthabers,<br />

30. September 2011<br />

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daher actio quod iussu, oder<br />

4. sogar wegen Handelns eines Freien oder auch eines Gewaltunterworfenen<br />

als Schiffsführer, magister navis,<br />

so kommt es <strong>zu</strong> der Klage des <strong>Dr</strong>itten gegen den Schiffseigentümer, exercitor,<br />

daher actio exercitoria, oder<br />

5. wegen Handelns eines Freien oder auch eines Gewaltunterworfenen<br />

als Geschäftsleiter, institor,<br />

daher actio institoria.<br />

5. Rechtsfolge:<br />

1. Anspruch = Klage, actio, des <strong>Dr</strong>itten<br />

gegen den Geschäftsherrn. Dieser wird also verpflichtet.<br />

2. Ist der Handelnde ein Haussohn oder gewaltfrei,<br />

kommt auch Klage gegen ihn in Betracht.<br />

6. Das bedeutet prozessual:<br />

verklagt wird der Gewalthaber,<br />

er erscheint in der Prozessformel (condemnatio) als Beklagter,<br />

er soll schließlich <strong>zu</strong>r Leistung verurteilt werden.<br />

Das Rechtsgeschäft wurde aber abgeschlossen vom Gewaltunterworfenen,<br />

und auf diesen weist die Prozessformel (in der intentio) hin.<br />

Daher Klagen mit Subjektsumstellung.<br />

Wenn der Gewalthaber verurteilt wird,<br />

wird er tatsächlich meistens die Streitsache aus dem Pekulium nehmen.<br />

7. Bezeichnung dieser Klagen nach ihrer Konstruktion.<br />

Die Klagen des <strong>Dr</strong>itten gegen den Geschäfts-Herrn sind so konstruiert,<br />

als lehnten sie sich an die Klagen gegen den, meistens gewaltunterworfenen Geschäfts-Führer an;<br />

daher angelehnte Klagen - actiones adiecticiae.<br />

8. Daher also die fünf adjektizischen Klagen (in der Reihenfolge der Institutionen Justinians)<br />

1. a. quod iussu Inst. Iust. 4, 7, 1<br />

2. a. exercitoria Inst. 4, 7, 2 + 2 a<br />

3. a. institoria Inst. 4, 7, 2 + 2 a<br />

4. a. de peculio Inst. 4, 7, 4 – 4 c<br />

5. a. de in rem verso Inst. 4, 7, 4 – 4 c,<br />

da<strong>zu</strong> „Verteilungsklage = a. tributoria“, Inst. 4, 7, 3,<br />

Wenn ein Haussohn oder Sklave mit Einverständnis seines Gewalthabers sein Peculium für einen kaufmännischen oder gewerblichen<br />

Betrieb verwendet und dann das Betriebsvermögen überschuldet, wird das Betriebsvermögen anteilig auf die Gläubiger<br />

verteilt. Die Gläubiger verlieren also, ähnlich wie im modernen Konkurs, ihre Forderungen anteilig, werden aber nicht, wie<br />

üblich, nach dem Prioritätsprinzip befriedigt, so dass der frühere möglicherweise ganz, der spätere aber überhaupt nicht befriedigt<br />

wird 118<br />

.<br />

9. Die actiones<br />

quod iussu,<br />

a. de peculio,<br />

118<br />

K I § 141 II 5, S. 609.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

88


a. de in rem verso,<br />

nur wegen Handlungen von Gewaltunterworfenen.<br />

Aber die actiones<br />

actiones exercitoriae und<br />

actiones institoriae<br />

werden auch gewährt, wenn der Geschäftsführer gewaltfrei ist.<br />

10. Würde der Geschäftspartner stattdessen gegen denjenigen, der das Geschäft geführt hat,<br />

klagen können?<br />

1. Keine Klagen gegen Sklaven,<br />

2. keine Klage gegen Haustochter (wohl auch nicht gegen uxor in manu),<br />

3. Klagen gegen Haussöhne, aber keine Vollstreckung,<br />

Klage gegen Haussohn nach Emanzipation auf Überrest, in id quod facere potest 119<br />

,<br />

4. Klagen gegen Gewaltfreie, also gegebenenfalls gegen Kapitän oder Geschäftsleiter.<br />

Vorstellung der naturalis obligatio des Gewaltunterworfenen.<br />

11. Damit führen viele,<br />

aber längst nicht alle Schulden, die von Gewaltunterworfenen begründet wurden,<br />

<strong>zu</strong> einem Anspruch gegen den Gewalthaber.<br />

Es gab etliche Fälle, in denen die Kontrahenten eines Gewaltunterworfenen keinerlei Anspruch erlangten.<br />

12. Welche Rechtsfolge tritt ein, wenn das Gewaltverhältnis beendet ist?<br />

Hier ist <strong>zu</strong> differenzieren nach<br />

1. Art des Rechtsverhältnisses: Delikt oder Rechtsgeschäft?<br />

2. Umstand, durch den Gewaltverhältnis beendet oder übertragen wurde:<br />

- Tod des bisherigen Gewalthabers,<br />

- Emanzipation oder Freilassung,<br />

- Veräußerung oder Erbgang?<br />

3. Status libertatis: Bisheriger Haussohn oder Sklave?<br />

13. Für Delikte gilt Noxalhaftung, d. h.<br />

- im Falle der Freiheitserlangung durch<br />

Tod des bisherigen pater familias, durch Emanzipation oder Freilassung<br />

haftet bisheriger Gewaltunterworfener;<br />

- im Falle der Veräußerung oder des Erbgangs haftet neuer Gewalthaber,<br />

denn der Schaden folgt dem Kopf – Noxa caput sequitur.<br />

14. Rechtsgeschäft<br />

119<br />

120<br />

121<br />

1. bei Tod des bisherigen Gewalthabers tritt Erbfolge mit Erbenhaftung ein 120<br />

Vorsicht: falls und soweit Erblasser haftete,<br />

wenn also Vorausset<strong>zu</strong>ngen einer adjektizischen Klage geben war,<br />

sowohl für Rechtsgeschäftsschulden des Haussohns wie des Sklaven.<br />

2. Veräußerung des Sklaven (in klassischer Zeit nicht mehr des Haussohns)<br />

ändert an ursprünglicher Haftung nichts:<br />

K I S. 343.<br />

Vgl. D. 14,5, 2, 4, und D. 14, 5, 7: aber nomina divisa.<br />

Falls diese schon vorher hafteten. - K I § 141, S. 607.<br />

30. September 2011<br />

/ 121<br />

,<br />

89


Falls bisheriger Gewalthaber haftete, haftet dieser weiter 122<br />

.<br />

Erwerber haftet von Gesetzes wegen nicht (allenfalls vertragliche Schuldübernahme).<br />

3. Entlassung aus dem Gewaltverhältnis<br />

1. Bisherige Gewaltunterworfene<br />

1. Haussohn haftete ja schon vorher, haftet jetzt auch weiter 123<br />

.<br />

2. Sklave haftete vor Freilassung nicht, und haftet jetzt auch nicht.<br />

2. Bisheriger Gewalthaber haftet noch 1 Jahr lang, actio annalis,<br />

falls ihn vorher adjektizische Haftung getroffen hatte.<br />

a. quod iussu Inst. 4, 7, 1<br />

1. Verpflichtung durch Haussohn oder Sklaven<br />

auf Anordnung 124<br />

, iussum, des Gewalthabers,<br />

falls<br />

KAPITEL 19. ACTIO QUOD IUSSU<br />

- dem <strong>Dr</strong>itten oder in dessen Gegenwart erklärt 125<br />

- oder nachträgliche Zustimmung, ratihabitio.<br />

Daher a. quod iussu gegen p. f. bzw. Dominus; I. 4, 7, 1.<br />

2. Sedes materiae Dig. 15, 4 (nicht lernen).<br />

3. Weitere Bedeutungen von iussum s. unten.<br />

KAPITEL 20. REEDERKLAGE = ACTIO EXERCITORIA<br />

a. exercitoria Inst. 4, 7, 2 + 2 a<br />

1. Wegen Handelns eines Freien oder auch eines Gewaltunterworfenen<br />

als Schiffsführer = Kapitän, magister navis;<br />

Klage des <strong>Dr</strong>itten gegen den Schiffseigentümer (Reeder), exercitor,<br />

actio exercitoria.<br />

122<br />

123<br />

Z. B. Paul. D. 17, 1, 61 am Anfang.<br />

K I 481 / 20: Afr. D. 12, 6, 38 pr.-2. Paul. D. 17, 1, 61 a. E.; vgl. auch D. 17, 1, 12, 6. - Nach prätorischem<br />

Recht, Edikt "Quod cum eo, qui in aliena potestate est", Dig. 14, 5. Nach richterlicher Voruntersuchung, causa<br />

cognita, entsprechend seiner Leistungsfähigkeit, in id quod facere potest; D. 14, 5, 2 pr. Im Edikt werden entweder<br />

iussum oder Vermögensvermehrung des Vaters oder des Pekuliums, sowie Emanzipation oder Enterbung<br />

vorausgesetzt. Auch im Erbfall nach dem Vater volle, nicht anteilige Haftung: D. 14, 5, 4 pr.; 14, 5, 7. Id<br />

quod facere kann m. E. <strong>zu</strong> ungeschmälerter Haftung führen, wenn Sohn genügend wohlhabend ist. K I S. 343.<br />

D. 17, 1, 61. Paulus 2 ad Nerat. Quod filio familias ut peteret mandavi, emancipatus exegit: de peculio intra annum<br />

utiliter agam. Paulus: sed et cum filio agendum est.<br />

Ich hatte einen Haussohn beauftragt, eine Forderung für mich ein<strong>zu</strong>klagen. Er hat die Forderung eingezogen,<br />

nachdem er aus der väterlichen Gewalt emanzipiert worden war. Ich kann ein Jahr lang erfolgreich ,die actio de<br />

peculio (gegen den Vater) erheben. – Paulus: Aber man kann auch gegen den Sohn klagen.<br />

124<br />

125<br />

Widerruf bis <strong>zu</strong>m Beginn der Ausführung, Ulp. D. 15, 4, 1, 2.<br />

K I 608. - Aber das Erfordernis der Erklärung an <strong>Dr</strong>itten oder in dessen Gegenwart wird fraglich sein und<br />

dürfte m. E. wohl nicht für andere Fälle der Ermächtigung verallgemeinert werden.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

90


2. Inst. 4, 7, 1. Wenn also ein Geschäft mit Ermächtigung des Eigentümers abgeschlossen worden ist, verheißt der Praetor gegen den Eigentümer<br />

eine Klage auf das Ganze, weil nämlich, wer so kontrahiert, sich auf das Wort des Eigentümers verlässt.<br />

§ 2. Aus demselben Grund verheißt der Praetor zwei andere Klagen auf das Ganze, von denen die eine Reederklage genannt wird, die<br />

andere Geschäftsleiterklage. Die Reederklage findet dann statt, wenn jemand seinen Sklaven <strong>zu</strong>m Kapitän bestellt und wenn it diesem<br />

um der Aufgabae willen, für die er bestellt ist, kontrahiert wird...<br />

2a. Jene beiden Klagen erteilt der Praetor aber auch, wenn jemand einen Freien oder einen fremden Sklaven <strong>zu</strong>r Führung eines Schiffes<br />

oder eines Ladens oder eines beliebigen anderen Erwerbsgeschäfts bestellt, weil nämllich auch in diesen Fällen derselbe Gerechtigkeitsgedanke<br />

gegeben ist 126<br />

.<br />

3. Umfangreiche Erörterung bei Ulpian, 28. ad ed. = D. 14, 1, 1 pr. über Ediktszweck. Dann Kommentierung <strong>zu</strong>m magister navis (§§ 1<br />

ff.), navis (§ 6), praepositio (§§ 7, 12 ff.), gesicherte Darlehen (§§ 8 ff.) etc.<br />

4. Wichtig: Magister navis kann auch ein Gewaltfreier oder ein fremder Sklave sein.<br />

5. Daneben eigene Haftung des magister navis, falls gewaltfrei 127<br />

.<br />

6. Ausnahmsweise Anspruch des Schiffseigners<br />

aus Getreidekäufen des Schiffsführers gegen Lieferanten 128<br />

.<br />

7. Rechtsverhältnis exercitor – magister navis (falls gewaltfrei): locatio conductio oder Auftrag 129<br />

.<br />

8. Sedes materiae: Inst. 4, 7, 2 und 2 a; Dig. 14, 1, 7 pr.<br />

KAPITEL 21. GESCHÄFTSHERRENKLAGE = ACTIO INSTITORIA<br />

1. Anspruch gegen einen Geschäftsherrn, Dominus,<br />

wegen Handelns eines Freien oder auch eines Gewaltunterworfenen<br />

als Leiter eines Ladens (taberna) oder sonstigen Gewerbebetriebes (negotiatio), Institor.<br />

2. Inst. 4, 7, 1. Wenn also ein Geschäft mit Ermächtigung des Eigentümers abgeschlossen worden ist, verheißt der Praetor gegen den Eigentümer<br />

eine Klage auf das Ganze, weil nämlich, wer so kontrahiert, sich auf das Wort des Eigentümers verlässt.<br />

§ 2. Aus demselben Grund verheißt der Praetor zwei andere Klagen auf das Ganze, von denen die eine Reederklage genannt wird, die<br />

andere Geschäftsleiterklage... Die Geschäftsleiterklage findet dann statt, wenn jemand einen Sklaven etwa <strong>zu</strong>rFührung eines Ladens<br />

oder eines beliebigen anderen Erwerbsgeschäfts bestellt und wenn mit diesem um der Aufgabe willen, für die er bestellt ist, kontrahiert<br />

wird...<br />

2a. Jene beiden Klagen erteilt der Praetor aber auch, wenn jemand einen Freien oder einen fremden Sklaven <strong>zu</strong>r Führung eines Schiffes<br />

oder eines Ladens oder eines beliebigen anderen Erwerbsgeschäfts bestellt, weil nämllich auch in diesen Fällen derselbe Gerechtigkeitsgedanke<br />

gegeben ist 130<br />

.<br />

3. Beispielstext D. 15, 1, 47 pr. (Fall „Allgemeiner Geschäftsbedingungen“).<br />

4. Rechtserwerb für den Dominus<br />

1. Wenn der Institor sein eigener Sklave oder Haussohn ist, in der üblichen Weise,<br />

126<br />

127<br />

128<br />

129<br />

130<br />

Überset<strong>zu</strong>ng von Behrends u. a.<br />

D. 14, 1, 1, §§ 17, 24 u. ö.<br />

K I S. 263.<br />

Vgl. D. 14, 1, 1, 18 (verderbt?).<br />

Überset<strong>zu</strong>ng von Behrends u. a.<br />

30. September 2011<br />

91


denn aller Erwerb gehört dann ohnehin dem Gewalthaber.<br />

2. Falls Institor gewaltfrei oder fremder Sklave ist,<br />

1. nicht ohne weiteres Erwerb <strong>zu</strong> Gunsten des Geschäftsherrn, sondern<br />

Erwerb des Institor in sein eigenes Vermögen oder in das des fremden Dominus.<br />

2. Aber<br />

1. Auftrags- oder Geschäftsführungsklage (negotiorum gestio)<br />

des Geschäftsherrn gegen gewaltfreien Institor oder dessen Dominus<br />

auf Herausgabe des Erlangten 131<br />

.<br />

2. Oder actio utilis (für Geschäftsherrn gegen Geschäftspartner) 132<br />

.<br />

5. Sedes materiae: Inst. 4, 7, 2 und 2 a; D. 14, 3.<br />

KAPITEL 22. PECULIUM UND ACTIO DE PECULIO 133<br />

a. de peculio Inst. 4, 7, 4 – 4 c und Inst. 4, 6, 10.<br />

1. Pekulium.<br />

Es war weit verbreitet, dass der Paterfamilias oder Dominus einzelnen Hauskindern oder Sklaven ein Sondervermögen<br />

<strong>zu</strong>r Verfügung stellte, das sogenannte Peculium. Dieses konnte Vermögensgegenstände aller<br />

Art umfassen, Sachen und Rechte, Besitz, auch andere Sklaven, servus vicarius 134<br />

, sogar Forderungegen<br />

gegen den Gewalthaber. Dieses gehörte dem Sklaven oder Hauskind zwar bei tatsächlicher Betrachtungsweise<br />

(in diesem Sinne spricht Kaser von der „faktischen Vermögensfähigkeit“ des Gewaltunterworfenen.).<br />

Das ging so weit, dass zwischen Gewalthaber und Gewaltunterworfenem Rechtsgeschäfte abgeschlossen,<br />

erfüllt und abgerechnet wurden. Diese Rechtsgeschäfte waren bei rechtlicher Betrachtungsweise nicht<br />

wirksam, bildeten aber Rechnungsposten bei der Berechnung der Aktiva und Passiva des Pekuliums (insbesondere<br />

im Hinblick auf die a. de peculio durch außenstehenden <strong>Dr</strong>itten gegen den Gewalthaber).<br />

Aber im Rechtssinne gehörte das Pekulium nicht dem Hauskind oder Sklaven, sondern weiterhin dem<br />

Hausvater oder Herrn.<br />

Daher konnte der dominus das Pekulium in jedem Augenblick einziehen, allerdings nicht in einer arglistigen<br />

Weise, um den Gläubiger <strong>zu</strong> benachteiligen.<br />

Zweck des Pekuliums war es, dass der damit ausgestattete Haussohn bzw. die Haustochter oder der Sklave<br />

selbstständig wirtschaftete, ohne wegen aller Einzelheiten den Vater oder Herrn fragen <strong>zu</strong> müssen. Unter<br />

wirtschaftlichen Gesichtspunkten traten hier keine Probleme auf, wohl aber in rechtlicher Hinsicht.<br />

2. Auch Haustöchter oder Sklavinnen konnten Pekulium haben 135<br />

.<br />

3. Pekulium konnte nur ein Gewaltunterworfener haben.<br />

Keine actio de peculio, auch nicht analog, utilis, wegen Handlungen eines Gewaltfreien,<br />

allenfalls wegen Handlungen eines Scheinsklaven, der in Wirklichkeit gewaltfrei war, bona fide serviens.<br />

131<br />

132<br />

133<br />

134<br />

135<br />

Ulp. D. 14, 3, 1.<br />

K I S. 263 und 267; vgl. Ulp.-Marcell. D. 14, 3, 1 a. E.<br />

K I § 141 II, S. 606.<br />

K I S. 287.<br />

Vgl. D.15, 1, 27.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

92


4. Erklärung in den Institutionen: I. 4, 6, 10 und 4, 7, pr. und 4.<br />

5. Actio de peculio - Haftungsumfang. „Die actio de peculio setzt voraus,<br />

dass der Gewalthaber seinem Haussohn oder Sklaven ein Pekulium ... überlassen hat.<br />

Der Gewalthaber haftet dann aus allen Geschäftsschulden des Unterworfenen,<br />

gleichgültig ob sie mit dem Pekulium <strong>zu</strong>sammenhängen oder nicht,<br />

bis <strong>zu</strong> dem Wertbetrag, den das Pekulium im Augenblick der Verurteilung hat“ (Kaser).<br />

Die Klagformel enthielt die ausdrückliche Einschränkung:<br />

„bis <strong>zu</strong>m Pekulium - dumtaxat de peculio“.<br />

Haftungsminderung oder Wegfall der Haftung des Gewalthabers,<br />

wenn Pekulium verringert oder weggefallen ist,<br />

- weil es etwa der Gewalthaber ohne Arglist eingezogen hat,<br />

- oder weil andere Gläubiger bereits früher ihre Forderungen durchgesetzt haben,<br />

- oder weil Sklave „Schulden“ bei dominus hat.<br />

Haftung, soweit die Aktiva des Pekuliums reichen. Zu diesen Aktiva gehört<br />

- Bestand an Sachen, Rechten, Forderungen<br />

(obwohl diese alle im Rechtssinne dem dominus <strong>zu</strong>stehen),<br />

- „Forderungen“ des Sklaven gegen den dominus,<br />

- arglistig vom dominus eingezogene Gegenstände aus dem Pekulium.<br />

6. Wichtig, dass es nicht darauf ankam, welche Sachen sich tatsächlich im Pekulium befanden,<br />

sondern welchen Wert das Pekulium hatte.<br />

Dabei werden alle Forderungen dem Wert des Pekuliums hin<strong>zu</strong>gerechnet<br />

und dabei auch "Forderungen" gegen den Gewalthaber selbst<br />

(d. h. was der Gewalthaber dem Pekulium schuldet),<br />

als Aktiva des Pekuliums.<br />

Und von dem Wert des Pekuliums werden die Verbindlichkeit abgezogen<br />

und dabei auch "Verbindlichkeiten" gegenüber dem Gewalthaber<br />

(d. h. was das Pekulium dem Gewalthaber schuldet),<br />

als Passivposten des Pekuliums.<br />

7. Im allgemeinen irrelevant, ob Gewaltunterworfener<br />

subjektiv für das Pekulium gehandelt hat oder nicht, oder in wessen Namen,<br />

peculii nomine oder patris (domini) nomine,<br />

in den weitaus meisten Fällen griff die a. de peculio ein.<br />

Aber erheblich oft,<br />

ob ein Erwerb, eine Verfügung oder Verpflichtung durch den Gewaltunterworfenen<br />

das Pekulium oder das Herrenvermögen direkt betreffen sollte 136<br />

.<br />

8. Wenn die actio de peculio versagt,<br />

136<br />

kann die actio de in rem verso in Betracht kommen 137<br />

.<br />

Vgl. K I S. 262.<br />

30. September 2011<br />

93


Beide Klagen waren in einer einzigen Formel <strong>zu</strong>sammengefasst. Danach haftete der dominus<br />

sowohl, wenn die Vorausset<strong>zu</strong>ngen der a. de peculio gegeben waren,<br />

als auch, wenn die Vorausset<strong>zu</strong>ngen der a. de in rem verso <strong>zu</strong> bejahen waren (da<strong>zu</strong> sogleich).<br />

Beide Klagen sind ihrem Inhalt nach begrenzt:<br />

die actio de peculio beschränkt auf den Wert des Pekuliums,<br />

die actio de in rem verso auf die Bereicherung im Vemögen des Geschäftsherrn.<br />

9. Sedes materiae: Digesten Titel 15, 1.<br />

10. Textbeispiel. D. 15, 1, 47 pr. (Paulus im vierten Buch <strong>zu</strong> Plautius).<br />

Wenn in einem Verkaufslokal angeschrieben worden ist: „Ich verbiete, mit meinem Sklaven Januarius Geschäfte<br />

ab<strong>zu</strong>schließen“, so steht fest, dass der Dominus nur erreicht hat, dass er nicht aus der Geschäftsherrnklage,<br />

actio institoria, hafte, nicht auch, dass die actio de peculio ausgeschlossen ist.<br />

D. 15, 1, 47 pr. (Paulus libro quarto ad Plautium). Quotiens in taberna ita scriptum fuisset, cum Ianuario<br />

servo meo geri negotium veto, hoc solum consecutum esse dominum constat, ne institoria teneatur, non etiam<br />

de peculio.<br />

Unterschied: Haftung als Geschäftsherr unbeschränkt, als Dominus wegen Pekuliums auf dessen Wert beschränkt.<br />

11. Peculium castrense<br />

Seit Augustus gewähren Kaiser den Haussöhnen im Soldatenstand das Recht,<br />

über das im Heeresdienst erworbene Vermögen, in castris adquisitum, <strong>zu</strong> verfügen 138<br />

.<br />

12. Wenn Gewaltunterworfener<br />

- nicht mehr lebt,<br />

- emanzipiert oder manumittiert worden ist<br />

- oder veräußert (keine Haftung des neuen Gewalthabers) worden ist:<br />

dann a. de peculio annalis gegen bisherigen Gewalthaber 139<br />

, 140<br />

.<br />

13. A. de peculio und a. de in rem verso waren in einer einzigen Klagformel mit einander verbunden 141<br />

.<br />

KAPITEL 23. VERWENDUNGSKLAGE = VERSIONSKLAGE = A. DE IN REM VERSO<br />

a. de in rem verso Inst. 4, 7, 4 – 4 c<br />

1. Die Klage eines <strong>Dr</strong>itten gegen Gewalthaber<br />

wegen Verwendung des Gewaltunterworfenen aus dem Vermögen des <strong>Dr</strong>itten<br />

137<br />

138<br />

Beispiel: D. 15, 3, 16.<br />

K I S. 344: Anfangs nur vTw, dann auch durch Rechtsgeschäfte unter Lebenden. Ob gerichtliche Geltendmachung<br />

von Ansprüchen, die sich auf das peculium castrense beziehen, zwischen Vater und Sohn wenigstens in<br />

Ansätzen schon in klassischer Zeit anerkannt war, ist heute nicht mehr deutlich <strong>zu</strong> erkennen.<br />

139<br />

140<br />

Digestentitel D. 15, 2.<br />

Ob ausnahmsweise Gewalthaber aus Schulden vor Begründung des Gewaltverhältnisses haftete, war kontrovers.<br />

M. E. spricht für Verneinung, dass neuer Gewalthaber gegen früheren Gewalthaber keinen Anspruch aus<br />

Kauf , also keinen Regress, hat (anders bei Noxalhaftung als noxa non solutus). K I S. 607: D.15, 1, 42<br />

betr.Arrogation.<br />

141<br />

Hausmaninger-Selb, RPR, 9. Aufl., S. 323.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

94


<strong>zu</strong> Gunsten des Vermögens des Gewalthabers.<br />

2. Beispiel: Sklave nimmt Darlehen auf, um Schulden des Gewalthabers <strong>zu</strong> bezahlen, oder er<br />

kauft Lebensmittel für die Familie des Gewalthabers. Dann Klage des Darlehensgebers oder Lebensmittelverkäufers<br />

gegen Dominus. Weitere treffende Beispiele bei Ulp. D. 15, 3, 3, 1.<br />

3. Wörtlich: Klage wegen verwendeten Wertes in das Vermögen, actio de in rem verso<br />

(Vorsicht: darf keineswegs mit actio in rem verwechselt werden;<br />

ist auch anders als Geschäftsführungsklage, negotiorum gestio, wenn auch vergleichbar).<br />

4. Setzt voraus,<br />

1. dass der Haussohn oder Sklave<br />

2. ohne Zustimmung des Gewalthabers (gleich, ob ein Pekulium vorhanden war oder nicht)<br />

3. mit einem <strong>Dr</strong>itten ein Verpflichtungsgeschäft abgeschlossen hat;<br />

4. dass der Gewaltunterworfene auf Grund dieses Geschäfts etwas erlangt und<br />

5. dieses <strong>zu</strong>r Vermehrung des Vermögens des Gewalthabers verwandt hat.<br />

5. Aber kein Grundsatz, dass die Haftung des Gewalthabers fortdauere,<br />

auch wenn die Vermögensvermehrung weggefallen wäre.<br />

6. Rechtsfolge:<br />

Dann hat der <strong>Dr</strong>itte die Klage aus dem Verpflichtungsgeschäft gegen den Gewalthaber.<br />

7. Ähnlich wie ein Anspruch wegen Geschäftsführung ohne Auftrag oder wie eine Bereicherungsklage.<br />

Ulpian (D. 15, 3, 3, 2) sagt sogar als "Regel, dass die actio de in rem verso immer dann gegeben ist,<br />

wenn ein Prokurator die Auftragsklage oder der Geschäftsführer die actio der negotiorum gestio hätte".<br />

8. Höchstwerte für die Klage 142<br />

:<br />

- Wert der Auslagen und<br />

- Wert der Bereicherung des Vermögens des Gewalthabers im Urteilszeitpunkt.<br />

9. Die Prozessformel der Klage, die de peculio gegen den Gewalthaber gegeben wurde,<br />

enthielt neben der Klausel dumtaxat de peculio (soweit das Peculium reicht)<br />

als <strong>zu</strong>sätzliche Anspruchsgrundlage den Hinweis auf die Vermögensvermehrung des Gewalthabers:<br />

„oder wenn durch das Geschäft etwas in das Vermögen des Beklagten gelangt ist“ 143<br />

.<br />

10. Siehe Inst. Iust. 4, 7, 4a.<br />

Sedes materiae: Digesten Titel 15, 3<br />

11. Beispielsfall D. 15, 3, 16.<br />

1. Procurator 144<br />

142<br />

143<br />

144<br />

ist ein Gewaltfreier,<br />

KAPITEL 24. PROCURATOR<br />

der meistens ganz allgemein die Vermögensangelegenheiten für einen anderen erledigt 145<br />

,<br />

Da<strong>zu</strong> ganz klar: Gai. D. 15, 3, 12.<br />

Also Ergän<strong>zu</strong>ng der beiden alternativen Formelteile; Ulp. D. 15, 3 1.<br />

Genauer hierfür: procurator omnium bonorum.<br />

30. September 2011<br />

95


ein Mann, den ein reicher Römer <strong>zu</strong>r Verwaltung seines Vermögens eingesetzt hat, etwa deshalb, weil er wegen des sehr großen Umfangs<br />

seines Vermögens oder wegen Abwesenheit, z. B. im Ausland oder im Heer, Hilfe benötigte,<br />

meistens ein besonders befähigter Freigelassener dieses Römers.<br />

Heute vergleichbar einem modernen angestellten Generalbevollmächtigten für einen Privatmann.<br />

2. Da Geschäftsherr, Dominus, seinen Procurator gerade für Verwaltung eingesetzt hat,<br />

kann Procurator auch ohne speziellen Auftrag Gegenstände seines Geschäftsherrn veräußern,<br />

Gedanke der Ermächtigung.<br />

3. Aber aus den Handlungen des Prokurators entstehen gegen den Geschäftsherrn<br />

- weder adjektizische Klagen (Ausnahme: a. institoria utilis = Analogie <strong>zu</strong>r a. institoria)<br />

- noch Noxalklagen.<br />

4. Daher haftet Geschäftsherr aus Verpflichtungen des Procurator nur ausnahmsweise in einzelnen Fällen:<br />

1. wohl vor allem mittels actiones utiles 146<br />

2. oder actio quasi institoria gegen Geschäftsherrn.<br />

3. Darlehen an Prokurator begründet Anspruch des Darlehensgebers gegen Geschäftsherrn 147<br />

.<br />

5. Procurator kann, obwohl er Freier ist, ohne Zwischenerwerb für den Geschäftsherrn<br />

Besitz und Eigentum erwerben. D. h. traditio an Pocurator für Geschäftsherrn<br />

bewirkt unmittelbaren Besitz- und Eigentumserwerb des Geschäftsherrn 148<br />

.<br />

6. Infolgedessen bewirken Zahlungen an Procurator Schuldtilgung gegenüber dem Geschäftsherrn.<br />

7. Aber Forderungen, die Procurator begründet,<br />

1. kann Dominus nicht ohne weiteres geltend machen,<br />

2. sondern allenfalls mittels analoger Klage, actio utilis, einklagen 149<br />

.<br />

8. Rechtsprobleme und klassische Kontroversen, wenn jemand als Procurator auftrat,<br />

in Wirklichkeit aber kein Procurator war, sogenannter falsus procurator 150<br />

.<br />

9. Das Innenverhältnis Geschäftsherr - Procurator wurde <strong>zu</strong>nächst als negotiorum gestio aufgefasst,<br />

später 151<br />

aber als Mandat.<br />

10. Eine andere Funktion 152<br />

145<br />

hatte der Prozess-Vertreter, procurator ad litem 153<br />

.<br />

H. H. Seiler, Der TB der negotiorum gestio, 1968; Kaser, SZ 91 (1974), 146 ff., insbes. 186 – 192; Quellen<br />

bei M. A.Ligios, zit. bei Bürge, TR 68 (2000), 573 ff.<br />

146<br />

147<br />

148<br />

149<br />

150<br />

151<br />

152<br />

153<br />

Vgl. K I S. 264 - 266.<br />

K I § 62 / 33; S. 264.<br />

K I § 62 / 32 und § 95 II 4.<br />

K I S. 263 und 265: Ulp.-Pap. D. 19, 1, 13, 25.<br />

Schutz guter Glaube an Prokurator 46, 3, 28, 3; 46, 3, 34, 3; 46, 3, 51; falsus procurator 46, 3, 28, 4.<br />

Seit Iul.-Afr. D. 15, 3, 17 pr. und D. 21, 1, 51, 1.<br />

Unklar ist die Figur des procurator unius rei.<br />

Gai. 4, 84.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

96


KAPITEL 25. GRUNDSATZ: AUSSCHLUSS DER STELLVERTRETUNG<br />

Grundsätzlich keine Stellvertretung in Rom 154<br />

:<br />

1. Zurückhaltung in der Rechtsordnung gegenüber Einbeziehung <strong>Dr</strong>itter in Rechtsgeschäft 155<br />

(abgesehen von eigenen Gewaltunterworfenen).<br />

1. Das galt für Verpflichtungen aus Schuldverträgen,<br />

da<strong>zu</strong> Rechtsmaxime und Quelle:<br />

Keiner kann sich etwas <strong>zu</strong> Gunsten eines <strong>Dr</strong>itten stipulationsweise versprechen lassen -<br />

Alteri stipulari nemo potest, Inst. 3, 19, 19 156<br />

.<br />

2. Das galt aber auch für den Erwerb<br />

von Forderungen oder dinglichen Rechten (insbesondere Eigentum),<br />

da<strong>zu</strong> Rechtsmaxime und Quelle:<br />

Durch eine hausfremde Person kann man nichts erwerben 157<br />

–<br />

Per extraneam personam nihil adquiri posse, Inst. 2, 9, 5.<br />

2. Gründe für diese Beschränkung<br />

1. Die Forderung sei ein persönliches Rechtsband, vinculum iuris.<br />

2. Vielleicht eine "ideologische Sperre": "Selbst ist der Mann"?<br />

3. Die Rechte hingen an den Knochen des Berechtigten, "iura ossibus inhaerent"<br />

(so sagte man im Mittelalter) 158<br />

.<br />

4. Schließlich ausreichende sonstige juristische Möglichkeiten.<br />

5. Stipulationen seien nur dafür eingeführt worden, damit jeder das erwirbt, woran er ein eigenes Interesse<br />

hat. Man habe aber kein Interesse daran, dass an einen anderen geleistet wird 159<br />

.<br />

3. Daher grundsätzlich im römischen Recht<br />

im modernen Sinne<br />

1. keine direkte Stellvertretung,<br />

2. keine eigentliche Abtretung durch Vertrag Altgläubiger – Neugläubiger,<br />

3. kein Vertrag <strong>zu</strong> Gunsten <strong>Dr</strong>itter (s. u.).<br />

Aber andere klassische Konstruktionen, um dieselben Zwecke <strong>zu</strong> erreichen.<br />

KAPITEL 26. AUSNAHMEN: WIRKSAMKEIT DES HANDELNS FÜR ANDERE<br />

1. Aber ein entwickeltes Wirtschaftssystem ist arbeitsteilig und kommt deswegen ohne Regeln darüber,<br />

154<br />

Anders jedoch außerhalb: M.Cohn, Die Stellvertretung im jüdischen Recht, Zeitschr. f. Vgl. Rechtswissenschaft<br />

36 (1920), S. 124 ff., 354 ff.<br />

155<br />

156<br />

D. 44, 7, 11; 45, 1, 38, 17; C. 5, 12, 19; C. 8, 38 [39], 3.<br />

So schon Gai. 3, 103; Ulp. D. 45, 1, 38, 17; allgemein auch Scaev. D. 50, 17 (de diversis regulis iuris antiqui),<br />

73, 4.<br />

157<br />

158<br />

159<br />

Gai. 2,95 a. E. Ausführlicher vorher in § 95; ähnlich Inst. 2, 9, 5.<br />

Andere Interpretation bei Liebs J 168: Personalitätsprinzip.<br />

Ulp. D. 45, 1, 38, 17; Inst. 3, 19, 19.<br />

30. September 2011<br />

97


wie das rechtsgeschäftliche und außerrechtsgeschäftliche Handeln einer Person<br />

einer anderen <strong>zu</strong>gerechnet werden soll, nicht aus.<br />

2. Deswegen im römischen Recht als Ausnahmen eine lange Reihe von Einrichtungen,<br />

die das rechtsgeschäftliche Handeln<br />

einer Person mit Wirkung für eine andere Person ermöglichen:<br />

1. Wie im modernen Recht: mittelbare Stellvertretung unter Freien<br />

2. Besonders wichtiges, typisch römisches Hilfsmittel: adjektizische Klagen<br />

3. Sonderstellung des procurator<br />

4. Die wirksame Verfügung über Sachen eines anderen mit dessen Zustimmung<br />

5. Erwerb durch Gewaltunterworfene<br />

6. Bote <strong>zu</strong>r Überbringung von Erklärungen (aber nicht für stipulatio oder mancipatio)<br />

7. Haftung des Gewalthabers für Delikte des Gewaltunterworfenen mittels Noxalklage<br />

8. Darlehensvertrag 160<br />

oder -auszahlung in fremdem Namen<br />

9. Spezielle Einrichtungen (z. T. griechischer Herkunft), insbesondere für Bankgeschäfte<br />

10. Rechtshandlung des Tutor oder Curator etc.<br />

(Zu den meisten dieser Regelungen s. besondere Kapitel).<br />

3. Aber, wie gesagt: diese bunte Sammlung von Institutionen führt keineswegs da<strong>zu</strong>,<br />

dass die römischen Juristen <strong>zu</strong> dem einheitlichen Begriff der „Stellvertretung“ des BGB<br />

gekommen wären.<br />

4. Mittelalterliche und neuzeitliche Entwicklungen<br />

1. Entwicklung im Mittelalter vorangetrieben<br />

160<br />

161<br />

1. durch kanonisches Recht, erstaunlicherweise Eheschließung durch Stellvertreter 161<br />

,<br />

2. in den Statuten der italienischen Seestädte seit dem 12. Jh. für den Handel.<br />

Mittelalterliche Rechtsmaximen:<br />

Qui facit per alium, facit per se. - Wer durch einen anderen handelt, handelt selbst.<br />

Potest quis per alium, quod potest facere par se ipsum - Man kann durch andere das tun, was man selbst tun kann.<br />

2. Dogmatische Trennung zwischen Vertretung und Auftrag erst im 19. Jh. durch Laband,<br />

eine "juristische Entdeckung".<br />

3. Im gemeinen Recht des 19. Jahrhunderts<br />

1. Repräsentationstheorie Windscheids, heute § 166 I,<br />

2. dagegen Geschäftsherrntheorie Savignys, heute §§ 165 und 166 II.<br />

4. Im BGB anscheinend wenig systematische Ordnung der Beteiligung <strong>Dr</strong>itter an Rechtsgeschäften, z. B.<br />

1. (direkte) Stellvertretung (wiederholen Sie Vorausset<strong>zu</strong>ngen und Rechtsfolgen)<br />

2. mittelbare Stellvertretung<br />

3. Einwilligung, Genehmigung, Zustimmung<br />

4. Vertrag <strong>zu</strong> Gunsten <strong>Dr</strong>itter<br />

5. Abtretung<br />

6. Schuldübernahme<br />

7. Leistung durch <strong>Dr</strong>itte<br />

8. Haftung für Erfüllungsgehilfen<br />

9. Haftung für Verrichtungsgehilfen<br />

10. Besitzdiener, Besitzmittler<br />

11. Auftrag, Geschäftsführung ohne Auftrag etc.<br />

(Wiederholen Sie im Hinblick auf das moderne Recht die entsprechenden Regeln des BGB)<br />

Jedenfalls sind Kategorien des BGB ganz andere als die des römischen Rechts.<br />

Nachweise bei K I § 62 Anm. 27.<br />

Angeblich noch modernes brasilianisches und italienisches Recht.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

98


5. Der wichtigste Fall im BGB: (direkte) Stellvertretung, § 164. Lesen und Wiederholen:<br />

1. Zwei Vorausset<strong>zu</strong>ngen,<br />

1. Handeln namens des Vertretener<br />

2. mit Vertretungsmacht,<br />

2. mit der doppelten Wirkung<br />

1. für und gegen den Vertretenen,<br />

2. aber nicht für und gegen den Vertreter.<br />

Ausdrücke<br />

Alter ego Zweites Ich (d. h. Vertreter)<br />

falsus procurator Vertreter ohne Vertretungsmacht<br />

procurator Vermögensverwalter<br />

KAPITEL 27. ZUSTIMMUNGEN<br />

1. Allgemein anerkannt<br />

war die Wirksamkeit der Verfügung über fremde Rechte<br />

mit der<br />

- vorherigen oder<br />

- nachträglichen<br />

Zustimmung des Berechtigten,<br />

Übereignung durch einen anderen, z. B. einen Procrator, Inst. 2, 1, 42 + 43<br />

2. Geschäfte<br />

1. wie: Übereignung / traditio, Verpfändung, Annahme als Schulderfülung,<br />

2. aber nicht förmliche Geschäfte wie mancipatio oder in iure cessio.<br />

3. Der Verfügende konnte<br />

- ein Gewaltfreier oder<br />

- ein Gewaltutnerworfener (Haussohn oder Sklave) sein,<br />

dabei konnte er in eigenem wie in fremdem Namen handeln.<br />

4. Im übrigen kennt das römische Recht<br />

die Zustimmung in dem weiten Anwendungsbereich wie noch das moderne,<br />

als auctoritas, Zustimmung einer Autoritätsperson <strong>zu</strong> den Rechtsgeschäften eines anderen<br />

in Be<strong>zu</strong>g auf Rechte des anderen, tutor (pupillus oder mulier), curator (mino XXV annis).<br />

5. Bedeutung des "iussum"<br />

1. Zustimmung <strong>zu</strong> einer Verfügung eines anderen (s. soeben).<br />

Vorher Einwilligung, iussum; hinterher Genehmigung, ratihabitio.<br />

2. Befehl des Gewalthabers, der <strong>zu</strong>r actio quod iussu führt.<br />

3. Auftrag des Auftraggebers an den Beauftragten, mandatum,<br />

mit der Folge der actio mandati directa oder contraria.<br />

4. Anweisung des Deleganten an Delegaten,<br />

an den Delegatar <strong>zu</strong> leisten oder ihm <strong>zu</strong> versprechen<br />

(s. u. <strong>zu</strong>r Anweisung).<br />

30. September 2011<br />

99


5. Überhaupt ganz generell: Anordnung.<br />

1. Betrifft Eigentum und Forderungsrechte.<br />

KAPITEL 28. ERWERB DURCH ANDERE<br />

2. 2 Grundsätze<br />

1. „Negativ“: Grundsätzlich kein Erwerb durch Gewaltfreie,<br />

also nicht durch Vertreter oder Beauftragte im modernen Sinne,<br />

aber Ausnahmen <strong>zu</strong> dem Grundsatz,<br />

2. aber „positiv“: Jeglichen Erwerb durch Gewaltunterworfene erlangt der Gewalthaber 162<br />

.<br />

3. Wichtigste Hauptregel<br />

Jeglichen Erwerb durch Gewaltunterworfene erlangt der Gewalthaber<br />

(Grundsatz Inst. 2, 9 pr.; s. auch Inst. 3, 28 pass.)<br />

- also durch Ehefrau in manus-Gewalt,<br />

- Haussohn oder Haustochter, Inst. Iust. 2, 9, 1 am Anfang,<br />

- Sklaven, Inst. 2, 9, 3<br />

(die Gewaltunterworfenen selbst können weder eigene Rechte noch Besitz haben),<br />

4. Ohne<br />

- Kenntnis des Gewalthabers<br />

(jedoch Besitzerwerb nur bei Anordnung des Gewalthabers oder bei Erwerb für das Peculium, str.),<br />

- ohne Zwischenerwerb des Gewaltunterworfenen<br />

also ohne besonderes Rechtsgeschäft zwischen Gewaltunterworfenem und Gewalthaber, und<br />

- ohne Handeln im Namen des Gewalthabers, ohne Kenntnis des Geschäftspartners.<br />

5. Gewalthaber erlangt auf diese Weise<br />

1. Forderungen, Eigentum und sonstige Rechte,<br />

z. B. auch mittels stipulatio oder mancipatio<br />

2. Besitz.<br />

6. Ausnahmsweise 163<br />

162<br />

163<br />

164<br />

- Forderungserwerb durch Gewaltfreie:<br />

procurator (Inst. 2, 9, 5), magister navis, institor,<br />

dann actiones utiles für den Geschäftsherrn.<br />

- Eigentumserwerb mittels traditio durch Procurator für Geschäftsherrn<br />

und durch Tutor (Inst. 2, 8, 2) für das Mündel 164<br />

.<br />

Inst. 3, 28 initio.<br />

K I S. 263.<br />

K I S. 263.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

100


1. Wie im modernen Recht,<br />

in Rom unter Gewaltfreien.<br />

KAPITEL 29. MITTELBARE STELLVERTRETUNG<br />

2. Beispielsfall Bronzeskulptur. A läßt seine Bronzeskulptur durch seinen Freund B an den C verkaufen und<br />

übereignen<br />

und lässt den Kaufpreis von C über B an sich auszahlen.<br />

3. <strong>Dr</strong>ei Personen<br />

1. Auftraggeber = Geschäftsherr = mittelbar Vertretener (hier: A)<br />

2. Beauftragter = Ausführender = mittelbarer Vertreter (hier: B)<br />

3. Außenstehender = Geschäftspartner (hier: C)<br />

(Vermeiden Sie hier wie auch sonst den missverständlichen Ausdruck: "<strong>Dr</strong>itter").<br />

4. Im Innenverhältnis zwischen dem mittelbaren Vertreter und dem mittelbar Vertretenen<br />

ein Auftrag, mandatum (heute oft entgeltlicher Geschäftsbesorgungsvertrag).<br />

1. Mit den beiden wichtigen Pflichten des Beauftragten,<br />

1. den Auftrag aus<strong>zu</strong>führen (falls er den Auftrag angenommen hat) und<br />

2. das Erlangte an den Auftraggeber heraus<strong>zu</strong>geben.<br />

2. Pflicht des Auftraggebers vor allem,<br />

dem Beauftragten die Aufwendungen <strong>zu</strong> ersetzen.<br />

5. Abwicklung ist unterschiedlich für Verfügungen, Schuldverträge und Erwerb.<br />

6. Verfügung über Sache des Auftraggebers an den außenstehenden Geschäftspartner<br />

typischerweise durch Beauftragten<br />

auf Grund Ermächtigung (heute auch: direkte Stellvertretung), iussum,<br />

ohne Zwischenerwerb des Beauftragten.<br />

7. Schuldrechtlich wird gegenüber dem außenstehenden Geschäftspartner<br />

allein der Beauftragte (= mb. Stellvertreter)<br />

berechtigt und verpflichtet, z. B. hinsichtlich<br />

- Besitz- und Eigentumsverschaffung<br />

- oder bei Vertragsstörungen oder Mängeln,<br />

- sowie hinsichtlich Kaufpreisforderung.<br />

8. Erwerb des Geldes oder anderer Sachen für einen anderen, hier für den mb. Vertretenen = Auftraggeber,<br />

prinzipiell durch zwei Übereignungen:<br />

- vom Außenstehenden an den Beauftragten, dann<br />

- vom Beauftragten an Auftraggeber.<br />

ZEHNTER TEIL<br />

RECHTSGESCHÄFTE<br />

30. September 2011<br />

101


KAPITEL 1. BEGRIFFE DES SCHULDRECHTS<br />

Nach den wissenschaftlichen Fortschritten im Naturrecht (17. und 18. Jh.) und in der historischen Rechtsschule<br />

(19. Jh.) hat das BGB die Begriffe der Willenserklärung und des daraus gebildeten Rechtsgeschäfts verwandt.<br />

Soweit ist das römische Recht nicht gekommen. Es hat jedoch eine Reihe allgemein gebräuchlicher Ausdrücke<br />

und gemeinsamer Regeln für alle Schuldverhältnisse gebildet.<br />

Rechtsmaximen (wichtig auch noch für moderne Rechte im In- und Ausland)<br />

Dies interpellat pro homine. Der Tag mahnt statt des Gläubigers (§ 286 II Nr. 1 BGB n. F.).<br />

Genus perire non potest. Eine Gattung kann nicht untergehen (einschränkend § 279 BGB a. F.).<br />

Ausdrücke<br />

Actio Anspruch, Klage<br />

bonae fidei iudicium Urteil (Klage, Anspruch) auf Grund einer Prozessformel<br />

mit der bona-fides-Klausel (Kauf, Miete etc., Auftrag, Gesellschaft)<br />

bona fides (wörtlich: gute Treue) Treu und Glauben<br />

(eigentlich: gute Treue, im Gegensatz <strong>zu</strong> mala fides - bösgläubig)<br />

contractus Vertrag<br />

contrahere (wörtl.: <strong>zu</strong>sammenziehen) Vertrag abschließen<br />

creditor Gläubiger<br />

culpa Schuld allgemein; Fahrlässigkeit<br />

culpa in contrahendo Verschulden beim Vertragsschließen (R. von Ihering)<br />

culpa in eligendo Auswahlverschulden<br />

datio in solutum Leistung an Erfüllungs Statt<br />

debitor Schuldner (debere = schulden)<br />

diligens pater familias ordentlicher Hausvater<br />

diligentia Sorgfalt<br />

diligentia quam in suis diejenige Sorgfalt, die jemand in eigenen<br />

(rebus adhibere solet) (Angelegenheiten an<strong>zu</strong>wenden pflegt)<br />

do, ut des Ich gebe, damit du gibst; Leistung und Gegenleistung<br />

Exkulpation Entschuldigung (culpa - die Schuld)<br />

fides Vertrauen, Redlichkeit, Treue<br />

genus Gattung<br />

lex dicta, lex contractus Vertragsklausel<br />

naturalis obligatio Verbindlichkeiten mit gewissen Rechtswirkungen,<br />

aus denen aber nicht geklagt oder <strong>zu</strong>mindest nicht vollstreckt werden kann<br />

negotium Geschäft<br />

nomen Namen; Forderungsrecht<br />

novatio Novation, Schuldumschaffung<br />

Obligation Verbindlichkeit, Schuldverhältnis<br />

pactum (s. pax - Frieden) Vereinbarung<br />

res Gegenstand, Angelegenheit<br />

solutio / solvere Erfüllung / erfüllen<br />

species Stück<br />

sui generis von eigener Art<br />

Synallagma (griech.) (heute:) Gegenseitigkeit im Schuldrecht.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

102


KAPITEL 2. SYSTEM DES SCHULDRECHTS<br />

Einteilung in Personen und Sachen, res, Inst. 1, 2, 12,<br />

dingliche und persönliche Ansprüche bzw. Klagen, Inst. 4, 6, 1.<br />

Lehrerartige und schulbuchgemäße Überleitung Inst. 3, 13, pr. Satz 1: Jetzt wollen wir <strong>zu</strong> den Schuldverhältnissen<br />

übergehen.<br />

Definition der obligatio Inst. 3, 13 pr. Satz 2: Das Schuldverhältnis ist ein rechtliches Band, durch das uns nach<br />

dem Recht unseres Gemeinwesens der Zwang auferlegt wird, einen bestimmten Gegenstand <strong>zu</strong> leisten.<br />

Einteilung der Schuldverhältnisse nach der Art der Entstehung, Inst. 3, 13, 2, Satz 1. Die weitere Einteilung ergibt<br />

vier Arten. Denn entweder beruhen die Schuldverhältnisse auf Vertrag oder Quasivertrag oder auf Delikt<br />

oder Quasidelikt.<br />

Einteilung der Verträge nach der Art der Begründung Inst. 3, 13, 2 letzter Satz.<br />

Beispiele aus dem römischen Recht<br />

Realkontrakt: Darlehen<br />

Verbalkontrakt: Stipulation<br />

Litteralkontrakt: Korrespondierende Eintragungen in den Geschäftsbüchern des Gläubigers und des Schuldners,<br />

schon in klassischer Zeit kaum mehr in Gebrauch<br />

Konsensualkontrakt: Kauf.<br />

Rechtsmaxime<br />

Pacta (sunt) servanda. Verträge muß man halten.<br />

Ausdrücke<br />

do ut des Ich gebe, damit du gibst ; Gedanke von Leistung und Gegenleistung<br />

Synallagma Gegenseitigkeit des Vertrages;<br />

gegenseitige Abhängigkeit der Vertragsverpflichtungen und -leistungen<br />

(genetisches, funktionelles, konditionelles S.)<br />

BGB Motive I, 126 f. und II, 2 f.<br />

Wiederholung BGB:<br />

Im geltenden Recht werden die Rechtsgeschäfte unterschieden<br />

nach dem betroffenen Gebiet: Personen-, Schuld-, Sachenrecht etc.<br />

Nach der Art des Abschlusses: einseitige (selten, z. B. Stiftung, Auslobung, Testament) und mehrseitige.<br />

Nach der Art der Verpflichtung: einseitig, unvollkommen zweiseitig, gegenseitig.<br />

KAPITEL 3. NATURALIS OBLIGATIO 165<br />

1. Naturalis bedeutet in derartigen Zusammenhängen den Gegensatz <strong>zu</strong> „voll anerkannt vom Recht“:<br />

das betroffene Objekt ist gar nicht oder nicht voll vom Recht anerkannt.<br />

165<br />

Natürliche Verbindlichkeiten haben zwar gewisse Rechtswirkungen,<br />

P. L. Landoldt, Naturalis obligatio, Köln etc. 2000 (FU B. VII K 65).<br />

30. September 2011<br />

103


aus denen aber nicht geklagt oder jedenfalls nicht vollstreckt werden kann.<br />

Gegensatz: obligatio civilis.<br />

2. D. 44.7.10. Ulpianus 47 ad Sab. Naturales obligationes non eo solo aestimantur, si actio aliqua eorum nomine<br />

competit, verum etiam eo, si soluta pecunia repeti non possit.<br />

3. Hauptfälle:<br />

- Geschäftsschulden von Gewaltunterworfenen<br />

- Forderungen von Gewaltunterworfenen<br />

- sogar Forderungen und Schulden zwischen Gewalthaber und Gewaltunterworfenem<br />

- Verbindlichkeiten des Mündels, wenn ohne auctoritas tutoris<br />

- gewisse einredebehaftete Obligationen 166<br />

(z. B. Sc. Macedonianum).<br />

4. Hauptbedeutung<br />

- kann häufig wirksam durch Bürgschaft oder Pfand gesichert werden,<br />

aber je nachdem: z. B. hat auch Bürge exceptio 167<br />

aus dem Sc. Macedonianum 168<br />

.<br />

- vor allem ist Erfüllung wirksam; Leistung kann nicht kondiziert werden,<br />

- vorausgesetzt, die Verfügung (oder sonstige Leistung) als solche war wirksam<br />

(z. B. <strong>zu</strong> verneinen, wenn Gewaltunterworfener oder Mündel ohne Einwilligung zahlen),<br />

- aber schwankend, je nachdem, ob Leistender<br />

Unwirksamkeit oder Einredemöglichkeit kannte oder nicht.<br />

Vorsicht: hier wie in anderen Fällen war die Begrifflichkeit in Rom nicht fest.<br />

5. Im heutigen Privatrecht Forderungen,<br />

- die im Klagweg nicht durchgesetzt werden können, insbes<br />

verjährte Forderung, für die ja Pfandrecht oder Hypothek weiter haftet, § 216 n. F.,<br />

- aus Spiel, Wette, Ehemäklervertrag: hierfür auch keine Sicherung,<br />

aber Geleistetes kann nicht <strong>zu</strong>rückgefordert werden (d. h. wirksame bzw verlorene Vorauszahlung).<br />

KAPITEL 4A. UNWIRKSAMKEIT<br />

„Über unwirksame Stipulationen“ ausdrücklich Inst. Iust. Titel 3, 19.<br />

Dasselbe Problem (aber möglicherweise andere Lösungen)<br />

bei allen Rechtsgeschäften, z. B. bei Kauf und Testamenten.<br />

Unwirksamkeit eines Rechtsgeschäfts infolge von<br />

- Fehlen der Geschäftsfähigkeit,<br />

- Irrtum oder Dissens,<br />

- Formmangel (z. B. bei stipulatio, mancipatio, Testament),<br />

- anfängliche objektive Unmöglichkeit 169<br />

,<br />

- Rechtsgeschäft über res extra commercium (im einzelnen vielleicht kontrovers 170<br />

),<br />

166<br />

167<br />

K I S. 481, 533. K sagt an dser Stelle nichts über Sc. Vell.<br />

Einrede des Bürgen auf Grund Sc. Vellaeanum D. 16, 1, 8, 4; aber kein Textzeugnis, dass die Frauenverbindlichkeit<br />

selbst als naturalis obligatio galt; vgl. K I 481.<br />

168<br />

169<br />

170<br />

Ulp. D. 14, 6, 7, 1; 14, 6, 9, 3 und 4.<br />

S. <strong>zu</strong>m Kaufvertrag.<br />

S. <strong>zu</strong>m Kaufvertrag.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

104


- Gesetzwidrigkeit, wenn Gesetz selbst Unwirksamkeit anordnet, lex perfecta,<br />

Beispiel: auf Grund ungeschriebenen Rechts Unwirksamkeit der Ehegatten- Schenkung<br />

(bei Verstoß gegen Gesetz,<br />

das Strafe, aber nicht Unwirksamkeit androht, daher lex minus quam perfecta<br />

oder gegen Gesetz ohne Sanktion, lex imperfecta:<br />

exceptio), z. B. lex Plaetoria.<br />

Desgleichen exceptiones bei Verstoß gegen Scta, z. B. Macedonianum und Vellaeanum 171<br />

.<br />

Gesetzesumgehung, fraus legi facta,<br />

- Sittenwidrigkeit, contra bonos mores,<br />

- weiteren Regelungen, z. B. verbotene Schenkung unter Ehegatten,<br />

Versprechen <strong>zu</strong> Gunsten oder Lasten <strong>Dr</strong>itter usw.<br />

Ausdrücke für ein unwirksames Rechtsgeschäft, aber ohne scharfe Definitionen:<br />

nullum, nullius momenti, non esse, invalidum (non valere), nihil agere, inutile, imperfectum, vitiosum.<br />

Sanktion der Rechtsordnung insbesondere<br />

- völlige Unwirksamkeit, oder<br />

- Erklärung einer Klausel als nicht geschrieben, pro non scripto, oder<br />

- Klagverweigerung durch praetor, denegatio actionis, oder<br />

- Einrede des Beklagten, exceptio<br />

(z. B. Verstoß gegen Sc. Macedonianum oder Vellaeanum), oder<br />

- Wiedereinset<strong>zu</strong>ng in den vorigen Stand, in integrum restitutio.<br />

Beachten Sie, dass römische Juristen scharf unterscheiden, ob völlige Unwirksamkeit oder ob nur exceptio.<br />

KAPITEL 4B. BEDINGUNG = CONDICIO<br />

1. „Bedingung“, condicio oder conditio, im eigentlichen Sinn, d. h.<br />

(nach römischem wie noch nach heutigem Recht) ein künftiges, ungewisses Ereignis,<br />

von dessen Eintritt die Wirkung des abgeschlossenen Rechtsgeschäfts abhängig gemacht ist.<br />

(Vorsicht: Vokabel nicht verwechseln mit condictio).<br />

„Condicio“ manchmal auch untechnisch i. S. Vertragsklausel gebraucht.<br />

Wichtiges Mittel, um durch gegenwärtiges Rechtsgeschäft<br />

in der Zukunft die Sachlage veränderten Umständen an<strong>zu</strong>passen.<br />

Außerdem ein Instrument der Spekulation.<br />

2. Zufall oder auch Willensabhängigkeit? Bedingendes Ereignis kann<br />

1. vom Willen des Berechtigten unabhängig (und in diesem Sinne <strong>zu</strong>fällig) sein,<br />

casualis,<br />

Standardbeispiel in den Quellen: wenn das Schiff aus Asien (nicht) kommt,<br />

oder<br />

171<br />

172<br />

2. oder vom Willen des Berechtigten abhängig sein, condicio potestativa,<br />

Willkürbedingung 172<br />

, z. B. bei Kauf auf Probe, oder<br />

K I 249/38: Si quid contra legem senatusve consultum factum esse dicetur.<br />

(In Rom und) Heut<strong>zu</strong>tage nicht unwirksam, s. z. B. Medicus, AT, Rdnr. 830.<br />

30. September 2011<br />

105


3. teilweise abhängig, condicio mixta.<br />

3. Art des bedingenden Ereignisses. Das Ereignis kann<br />

1. positiv sein (Eintreten eines Ereignisses),<br />

z. B. wenn das Schiff aus Asien eintrifft, si navis ex Asia venerit, oder<br />

2. oder negativ (Nichteintreten eines Ereignisses),<br />

si navis ex Asia non venerit.<br />

4. Arten der Wirkungen. Mit diesem Ereignis können bestimmte Rechtswirkungen bei Bedingungseintritt,<br />

- entweder eintreten, d. h. aufschiebend, suspensiv,<br />

- oder endigen, auflösend, resolutiv (zwar klassisch, aber seltener).<br />

1. Aufschiebende Bedingung = Suspensivbedingung, allgemein anerkannt.<br />

2. Aber auflösende Bedingung = Resolutivbedingung im römischen Recht<br />

ist in der heutigen Forschung umstr. 173<br />

. Beispiele für derart fragliche auflösende Bedingungen: Rücktrittsvorbehalte beim Kauf,<br />

s. dort.<br />

Wahrscheinlich römische Denkweise:<br />

1. unbedingtes Rechtsgeschäft, verbunden mit einem zweiten Rechtsgeschäft, nämlich<br />

2. Vereinbarung der Vertragsaufhebung (ähnlich wie pactum de non petendo),<br />

welche aber aufschiebend bedingt war 174<br />

.<br />

5. Zeitpunkt der Wirkungen<br />

1. im allgemeinen ex nunc (so auch BGB),<br />

2. fraglich, ob stattdessen auch ex tunc (d. h. rückwirkend).<br />

6. Bei den meisten Rechtsgeschäften möglich: Schuldrecht, Sachenrecht, Erbrecht.<br />

173<br />

174<br />

175<br />

Beispiele: Rücktrittsvorbehalte bei Kaufvertrag (da<strong>zu</strong> besonderes Kapitel)<br />

Stipulationen <strong>zu</strong>r Gewährleistung, Vertragsstrafe in Stipulationsform.<br />

Es konnte auch die Übereignung mittels traditio aufschiebend bedingt vorgenommen werden.<br />

Beispiel: Verkauf, Übergabe und Vermietung der Ware von Verkäufer an Käufer, bis dieser den Kaufpreis gezahlt hat.<br />

Versprechen einer dos unter der Bedingung der Eheschließung.<br />

Vermächtnisse unter aufschiebender Bedingung,<br />

Erbeinset<strong>zu</strong>ng unter aufschiebender Bedingung wirksam, Inst. 2, 15 pr. und 16 pr.,<br />

daher Substitution - Einset<strong>zu</strong>ng eines zweiten Erben.<br />

Vulgarsubstitution - Ersatzerbschaft: Erblasser setzt eine Person für den Fall ein<br />

(juristisch: unter der aufschiebenden Bedingung),<br />

dass der ursprünglich Eingesetzte gar nicht Erbe wird<br />

(weil er noch gar nicht gezeugt ist, weil er schon wieder gestorben ist oder weil er ausschlägt).<br />

„A soll mein Erbe sein. Wenn A nicht mein Erbe wird, soll B mein Erbe sein“ 175<br />

. Ersatzerbe Inst. 2, 15 pr.<br />

Kaser-Knütel § 10/11 ff.<br />

K/K § 10/11 ff.<br />

K/K § 68 Rdnr. 9.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

106


Pupillarsubstitution - Einset<strong>zu</strong>ng eines zweiten Erben für den Fall,<br />

dass der Testator einen unmündigen Hauserben, pupillus, einsetzt,<br />

so dass dieser wirklich Erbe wird,<br />

dass er aber danach stirbt und zwar noch als Unmündiger<br />

(so dass er noch kein wirksames Testament hat machen können):<br />

für diesen Fall kann der Testator (der erste Erblasser) einen zweiten Erben einsetzen 176<br />

(ähnlich wie moderne Nacherbschaft, aber nur ähnlich):<br />

„Mein Sohn Titius soll mein Erbe sein. Wenn er mein Erbe wird,<br />

aber stirbt, bevor er mündig wird, dann soll Seius Erbe sein“; Inst. 2, 16 pr.<br />

7. Bedingungsfeindlich waren die actus legitimi, insbesondere emancipatio, acceptilatio<br />

und der förmliche Erbschaftsantritt der cretio.<br />

KAPITEL 5A. TREU UND GLAUBEN<br />

Die Beobachtung der guten Sitten allgemein und von Treu und Glauben gegenüber dem Geschäftspartner und<br />

die Zurückdrängung von Arglist gehörten <strong>zu</strong> den Zielen des römischen Rechts.<br />

Der Praetor bzw. Iudex berücksichtigte Treu und Glauben bzw. Arglist im Prozess. Der Praetor konnte von vorneherein<br />

es ablehnen, dem Kläger die erforderliche Klagformel <strong>zu</strong> erteilen – in diesem Sinne Anspruchsablehnung,<br />

denegatio actionis, insbesondere, wenn der Sittenverstoß offensichtlich war.<br />

Der iudex berücksichtigte einen Sittenverstoß entweder von Amts wegen, wenn die Klagformel die Klausel enthielt<br />

„ex fide bona“, so die Klagen aus den Konsensualkontrakten Kauf, Miete, Auftrag, Gesellschaft. Oder er<br />

berücksichtigte dies auf Antrag einer Partei, wenn diese die exceptio doli geltend machte. Daher wurde die Klage<br />

abgewiesen, wenn der Kläger die bona fides verletzt hatte.<br />

Das galt insbesondere, wenn der Kläger gegen die guten Sitten verstoßen hatte, contra bonos mores 177<br />

.<br />

Wenn hingegen der Beklagte etwa Nebenpflichten nicht erfüllt hatte, die sich aus der bona fides ergeben, wurde<br />

er <strong>zu</strong>m Schadenersatz verpflichtet. Wenn die böswillige Schädigung einer Partei besonders stark war, konnte der<br />

Geschädigte auf Grund der actio doli auf Schadensersatz klagen.<br />

Rechtsmaximen<br />

Dolo facit, qui petit, Arglistig handelt, wer fordert,<br />

quod (statim) redditurus est. was er gleich <strong>zu</strong>rückgeben muß.<br />

Malitiis non est indulgendum. Schikanen braucht man nicht hin<strong>zu</strong>nehmen.<br />

Venire contra factum proprium Handeln entgegen einer selbst gesetzten Tatsache<br />

(nulli conceditur). (wird niemandem <strong>zu</strong>gestanden).<br />

Ausdrücke<br />

aequitas Billigkeit<br />

actio doli = actio de dolo Arglistklage (vgl. § 826 BGB)<br />

bona fides guter Glaube<br />

boni mores gute Sitten<br />

exceptio doli Einrede der Arglist<br />

176<br />

177<br />

K/K § 68 Rdnr. 10: in erster Linie als Erbe des Testators, nach klassischer Lehre auch als Erbe des pupillus.<br />

K I § 60/63: denegatio oder auf Grund b. f. oder exceptio. Aber keine besondere exc. mali moris.<br />

30. September 2011<br />

107


fides Glauben, Treue, Redlichkeit<br />

mala fides böser Glauben.<br />

KAPITEL 5B. GEWALT ODER FURCHT = VIS ODER METUS<br />

Das unter <strong>Dr</strong>ohung <strong>zu</strong>standegekommene Geschäft 178<br />

- ist zwar nach ius civile wirksam:<br />

„Obgleich gezwungen, so habe ich doch gewollt = Tamen coactus, volui“.<br />

- Aber gegenüber der Leistungsklage auf Grund eines solchen erpresserischen Geschäfts<br />

- exc. metus causa des beklagten Erpressungsopfers,<br />

- bei b. f. iudicia, wie z. B. Kauf, Berücksichtigung von Amts wegen auf Grund b. f. – Klausel.<br />

- Oder Wiedereinset<strong>zu</strong>ng in den vorigen Stand, restitutio in integrum,<br />

z. B. nach Übereignung vom Opfer an einen anderen.<br />

- Strafklage wegen Furcht, a. quod metus causa.<br />

1. Erfüllung durch <strong>Dr</strong>itte wirksam 179<br />

.<br />

KAPITEL 6. ERFÜLLUNG = SOLUTIO, INST. 3, 29 PR.<br />

2. Leistung an <strong>Dr</strong>itte mit vorheriger oder nachträglicher Zustimmung des Gläubigers 180<br />

,<br />

generell ermächtigt ist der Prokurator 181<br />

.<br />

3. Leistung an Erfüllungs Statt mit Zustimmung des Gläubigers 182<br />

.<br />

KAPITEL 7. AUFRECHNUNG = COMPENSATIO 183<br />

1 Bei den b. f. i. (Kauf, Miete, Auftrag, Gesellschaft)<br />

kann der Richter Gegenforderungen des Beklagten<br />

von der Klagforderung abziehen.<br />

2 Einverständliches pactum zwischen Gläubiger und Schuldner.<br />

3 In besonderen Fällen exc. doli des Beklagten.<br />

4. Sonderregel (nicht für Examen):Bankier, argentarius, kann gegen Bankkunden nur auf Saldo klagen.<br />

178<br />

179<br />

180<br />

181<br />

182<br />

183<br />

Gute Zusammstellg bei Knütel § 8 IV.<br />

D. 3, 5, 58; 46, 3, 23; 46, 3, 49; 46, 3, 53.<br />

D. 46, 3, 12, 4.<br />

D. 46, 3, 12 pr./2.<br />

D. 46, 3, 46.<br />

K I Seite 644 ff.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

108


KAPITEL 8. ERLASS, STUNDUNG<br />

Zwei Formen für Erlass<br />

1. Förmlich, Frage des bisherigen Schuldners und Antwort des bisherigen Gläubigers,<br />

Inst. Iust. 3, 29, 1: acceptilatio.<br />

Sch fragt: "Was ich dir versprochen (!) habe, hast du das erhalten"? Gl antwortet mit: "Ja".<br />

Gilt wegen des Wortlauts nur für Stipulation.<br />

Forderungen aus anderen Gründen müssen als Stipulation neu begründet werden,<br />

d. h. noviert werden; das gilt insbesondere für Forderung aus Darlehen oder aus Kauf.<br />

2. Eine formlose Abrede wird als Vereinbarung mit dem Gläubiger angesehen,<br />

dass er die Forderung nicht mehr geltend machen wird, pactum de non petendo.<br />

Wirkung:<br />

1. Das pactum begründet eine besondere exceptio pacti oder exceptio doli<br />

gegenüber der actio des Klägers, z. B. aus Stipulation oder Darlehen.<br />

2. Bei bonae fidei iudicia, insbes. Kauf, locatio conductio, Mandat, Gesellschaft,<br />

wirkt das pactum ohne besondere exceptio,<br />

wird gewissermaßen von Amts wegen vom iudex berücksichtigt.<br />

Pactum de non petendo konnte auch für eine bestimmte Zeit als Stundung vereinbart werden.<br />

Ausdrücke<br />

Moratorium Zahlungsaufschub.<br />

KAPITEL 9. ABTRETUNG<br />

Häufiger Gebrauch der Abtretung, cessio, aber keine eigentliche dogmatische Herausbildung,<br />

sondern Hilfsmittel:<br />

1. Delegation, oder<br />

2. analoge Klage, actio utilis, oder<br />

3. oder durch Prozessvertretung<br />

KAPITEL 10. LITTERALKONTRAKTE ALLGEMEIN, GAI. 3, 128 FF.<br />

Gai. 3, 128, Satz 1. Der Littealkontrakt erfolgt vor allem durch die Eintragung von Forderungen.<br />

Gai. 3, 129. Die Eintragung „vom Gegenstand <strong>zu</strong>r Person“ erfolgt, z. B. wenn ich das, was Du mir wegen Kaufs oder Miete oder Gesellschaft<br />

schuldest, als deine Belastung eintrage.<br />

Gai. 3, 130. Die Eintragung „von Person <strong>zu</strong> Person“ erfolgt, wenn ich z. B. das, was mir Titius schuldet, als Deine Belastung eintrage, das<br />

heißt, wenn Titius Dich an mich delegiert hat.<br />

S. auch Inst. Iust. 3, 21.<br />

In den Digesten kaum noch als Spuren <strong>zu</strong> erkennen (nicht relevant für Examensexegesen).<br />

KAPITEL 11. KONSENSUALKONTRAKTE ALLGEMEIN, INST. 3, 22 PASS.<br />

Zustandekommen Inst. 3, 22 pr. – 2<br />

Unterschied <strong>zu</strong> anderen Vertragstypen Inst. 3, 22, 1 – 3<br />

4 Verträge Inst. 3, 22 pr.<br />

Mehrseitigkeit der Verpflichtungen Inst. 3, 22, 3<br />

Hinweis auf die bona-fides-Klausel Inst. 3, 22, 3.<br />

30. September 2011<br />

109


KAPITEL 12. KAUFVERTRAG = EMPTIO VENDITIO, INST. 3, 23 PASS.<br />

Preis Inst. 3, 23, 1.<br />

Beispiel für sogenannten Schulenstreit Inst. 3, 23, 2<br />

Gefahrtagung = periculum emptoris Inst. 3, 23, 3<br />

custodia-Haftung des Verkäufers Inst. 3, 23, 3a<br />

Bedingung Inst. 3, 23, 4<br />

anfängliche objektive rechtliche Unmöglichkeit<br />

Kenntnis des Käufers Inst. 3, 23, 5 (allgemein 3, 19, 2)<br />

Täuschung durch Verkäufer 3, 23, 5<br />

KAPITEL 13. ABSCHLUSS UND INHALT DES KAUFVERTRAGES<br />

I. 3, 23 pr., Satz 1<br />

1. Wodurch kommt ein Kaufvertrag <strong>zu</strong>stande?<br />

2. Welche zwei essentialia negotii müssen von den Parteien für den Kaufvertrag vereinbart sein?<br />

Die Vereinbarung von accidentalia negotii kann hin<strong>zu</strong>kommen, Beispiele:<br />

Verschärfung oder Milderung der Haftung,<br />

Zusicherung von bestimmten Eigenschaften oder von Lastenfreiheit,<br />

besondere Bedingungen für Sklavenverkauf 184<br />

,<br />

Rücktrittsvorbehalte 185<br />

,<br />

Verkauf mit Rückkaufsabrede (Wiederkauf),<br />

Verkauf mit Vorkaufsabrede,<br />

Wohnbefugnis für Mieter,<br />

und andere formlose Nebenabreden 186<br />

, pacta adiecta (pl.),<br />

oder Geschäftsklauseln, lex venditionis (= lex contractus = lex privata = lex dicta) 187<br />

,<br />

auch für locatio conductio.<br />

Diese werden bei der Kauf- oder Verkaufsklage vom iudex mitberücksichtigt,<br />

ihre schuldhafte Verlet<strong>zu</strong>ng kann einen Schadenersatzanspruch begründen.<br />

Der Kaufpreis wird frei ausgehandelt, <strong>zu</strong> den Grenzen wegen Wuchers s. dort.<br />

Gegenstände des Kaufvertrages können Dinge aller Art sein, wenn überhaupt die Leistung objektiv möglich ist,<br />

auch z. B. existierende Erbschaft.<br />

Hinsichtlich künftiger Sachen wird unterschieden:<br />

- Hoffnungskauf, emptio spei, wörtlich: Kauf einer Chance 188<br />

.<br />

Kaufvertrag ist ws, K muss Prs bezahlen,<br />

auch wenn Sache später nicht entsteht und wenn V deswegen Sache später nicht liefern kann.<br />

„Reine Spekulation“, gesellschaftsvertragsähnlich, Risikoübernahme oder –beteiligung des K.<br />

184<br />

185<br />

186<br />

187<br />

188<br />

K I Seite 562.<br />

K I S. 561 f. Da<strong>zu</strong> u.<br />

K I S. 47, 229, 487, 554, 556/26, 561/73,<br />

K I Seite 229.<br />

D.19, 1, 12 emptio spei.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

110


Bsp Pomponius: Fischfang, Vogelfang, Münzwurf.<br />

M. E. wohl auch Bergbau und andere riskante Investitionen.<br />

- Im Unterschied da<strong>zu</strong> der Kauf einer künftigen Sache, emptio rei speratae.<br />

Kaufvertrag soll nur gelten, wenn Sache wirklich entsteht.<br />

Aufschiebend bedingter Kauf.<br />

Nur dann sollen V und K die versprochenen Leistungen erbringen.<br />

K und V können vereinbaren, dass Kfprs abhängig von der Ware<br />

(z. B. ein bestimmter Preis je Tonne der Ernte).<br />

(Bsp. Ernte, Tierjunges).<br />

- Kauf einer erwarteten Erbschaft war kontrovers 189<br />

.<br />

I. 3, 22, 3. Gegenseitig verpflichtender Vertrag, Synallagma.<br />

Die Verpflichtungen sind nach Treu und Glauben <strong>zu</strong> erfüllen, s. schon Inst. 3, 22, 3.<br />

Arglist wird von Amts wegen berücksichtigt.<br />

Denn die Prozessformel enthält die Klausel „ex fide bona“, daher bonae fidei iudicium.<br />

Die Klagformel für den Käufer für den Kauf eines Sklaven lautete beispielsweise 190<br />

:<br />

Demonstratio: Wenn der Kläger von dem Beklagten den Sklaven, um den es hier geht, gekauft hat<br />

Quod Aulus Agerius (Blankettnamen für den Kläger) de Numerio Negidio (Blankettnamen für den Beklagten)<br />

hominem quo de agitur emit,<br />

Intentio: was deswegen der Beklagte dem Kläger geben und machen muss nach guter Treue,<br />

quidquid ob eam rem Numerium Negidium Aulo Agerio dare facere oportet ex fide bona,<br />

Condemnatio: da<strong>zu</strong>, Richter, verurteile den Numerius Negidius <strong>zu</strong> Gunsten des Aulus Agerius,<br />

eius, iudex, Nm. Nm. Ao. Ao. condemna,<br />

andernfalls sprich ihn frei,<br />

si non paret, absolve.<br />

Die Klagformel für den Verkäufer lautete ähnlich, nur heißt es am Anfang "verkauft hat" - vendidit.<br />

Haupttitel:<br />

D. 18, 1: De contrahenda emptione = über den Abschluss des Kaufvertrages.<br />

D. 19, 1: De actionibus emplti venditi = Über die Klagen aus Kauf und Verkauf.<br />

Ausdrücke<br />

accidentalia negotii nicht wesentliche Teile eines Rechtsgeschäfts<br />

actio em(p)ti Kaufklage, Anspruch des Käufers<br />

actio venditi Verkaufsklage, Anspruch des Verkäufers<br />

consentire übereinstimmen, <strong>zu</strong>stimmen<br />

émere kaufen<br />

emptio venditio Kauf- und Verkaufsvertrag<br />

emptor Käufer<br />

essentialis wesentlich<br />

essentialia negotii unverzichtbare Vertragsbedingungen<br />

merx Ware<br />

189<br />

190<br />

K 548 f./ 27 + 35: D. 18, 4, 1; D. 18, 4, 7; D. 18, 4, 11.<br />

Vgl. Gai.4, 41. KK § 83/5.<br />

30. September 2011<br />

111


pecunia Geld<br />

pretium Preis, Kaufpreis<br />

res Sache, Gegenstand<br />

véndere verkaufen<br />

vénditor Verkäufer<br />

ven-ire verkauft werden (nicht verwechseln mit: veníre = kommen).<br />

KAPITEL 14. AUSLEGUNG<br />

Wenn Unklarheiten über den Inhalt oder die beabsichtigte Abwicklung eines Rechtsgeschäftes auftraten, kam es<br />

den Parteien wie den Juristen in erster Linie darauf an, heraus<strong>zu</strong>finden, was die Parteien gewollt haben.<br />

id quod actum est das, was die Parteien im konkreten Einzelfall<br />

oder auch generell, typischerweise gewollt haben 191<br />

Auslegungsmaximen<br />

Ambiguitas (oder: In dubio) Bei Unklarheiten (oder: Im Zweifel) (von Geschäftsbedingungen)<br />

contra venditorem (Auslegung) <strong>zu</strong>m Nachteil des Verkäufers, heute § 305 c II BGB n. F.<br />

in maiore minus inest Bei Regelung einer größeren Angelegenheit<br />

gilt die kleinere erst recht als geregelt 192<br />

.<br />

Qui tacet, consentire videtur Schweigen gilt als Zustimmung, aber nur dann,<br />

ubi loqui potuit et debuit. wenn man sich hätte äußern können und müssen<br />

(Vorsicht: nur beide Satzteile <strong>zu</strong>sammen).<br />

Heute beachten: Auslegung geht vor Irrtumsanfechtung (wichtig auch im Erbrecht).<br />

KAPITEL 15. KONSENS UND IRRTUM<br />

In jeder entwickelten Rechtsordnung wird vorausgesetzt, dass im Normalfall die Rechtsfolgen eines Rechtsgeschäfts<br />

der Vorstellung aller Geschäftsbeteiligter entsprechen, und es werden Regeln geschaffen für die Ausnahmefälle,<br />

in denen dieses Ziel verfehlt wird. Die Regeln für diese Ausnahmefälle sind immer komplex. Sie<br />

sind für das römische Recht nicht mehr sicher <strong>zu</strong> erkennen. Denn im römischen Recht wurden derartige Regeln<br />

allein durch die Juristen (und nicht die Gesetzgebung oder Rechtsprechung) entwickelt, sie waren kontrovers und<br />

wurden im Lauf der Zeit verändert, sie waren für die verschiedenen Rechtsgeschäfte und tatsächlichen Sachverhalte<br />

unterschiedlich und sind in der justinianischen Kodifikation in ungeschickter Weise überliefert worden. Die<br />

römischen Juristen hatten noch nicht so scharfe Begriffe wie die, die seit der mittelalterlichen Scholastik und den<br />

Glossatoren, weiter im Naturrecht und dann im 19. und 20. Jh. nochmals entwickelt wurden (Wille / Erklärung,<br />

einseitig / beidseitig, Irrtum / offener oder versteckter Dissens / Geschäftsgrundlage etc.). Infolgedessen sind die<br />

Darstellungen in den modernen Werken <strong>zu</strong>m römischen Recht nicht klar und übereinstimmend.<br />

Irrtum als "Demonstrationsobjekt"<br />

Lösung von Interessenwidersprüchen, nämlich zwischen<br />

191<br />

192<br />

Pringsheim, SZ 78, 1961, 49 ff.<br />

Hausmaninger, Sachenrecht, Case 71: D. 32, 29, 1; 50, 17, 110 pr,; Proc.-Paul. D. 30, 15 pr.; Pomp. D. 19,<br />

2, 52; s. auch D. 12, 1, 18 pr.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

112


- dem Erklärenden, der sich geirrt hat,<br />

- dem Erklärungsempfänger, der auf die Wirksamkeit der Erklärung vertraut hat,<br />

- eventuell archaisch-formalistischen Vorstellungen über die endgültige Wirkung eines Formalaktes,<br />

- eventuell der Öffentlichkeit, die das Rechtsgeschäft für wirksam hält.<br />

Hauptquelle<br />

Digesta Iustiniani, Buch 18, Titel 1 (Abschluß des Kaufvertrages), Fragment 9; Ulpian im 28. Band seines<br />

Kommentars <strong>zu</strong>m Zivilrecht des Sabinus = D. 18, 1, 9 (Ulp. 28 ad Sab.) pr.: Es ist offensichtlich, dass beim<br />

Kauf Willensübereinstimmung (consensus) gegeben sein muß. Wenn die Parteien bezüglich des Kaufes selbst<br />

oder des Preises (in pretio) oder eines anderen Aspektes uneinig sind, ist kein Kauf <strong>zu</strong>standegekommen. Wenn<br />

ich also glaube, das Landgut Cornelianus <strong>zu</strong> kaufen, du jedoch geglaubt hast, das Landgut Sempronianus <strong>zu</strong><br />

verkaufen, ist der Kauf unwirksam, weil wir uns über den Kaufgegenstand (in corpore) nicht geeinigt haben (dissentire)...<br />

Ausgangspunkt: Kauf und die anderen drei Konsensualkontrakte (Miete, Auftrag, Gesellschaft)<br />

erfordern Willensübereinstimmung, consensus.<br />

Daraus folgt, dass kein wirksamer Kaufvertrag, wenn Konsens fehlt.<br />

Fest steht:<br />

Immer erheblich nach Ulp. D. 18, 1, 9 pr. 193<br />

:<br />

- Irrtum oder Dissens bezüglich der Identität des Gegenstandes,<br />

Error in obiecto = error in corpore; Beispiele<br />

Landgut S statt Landgut C, abwesender Sklave S statt abwesenden Sklaven P.<br />

- Irrtum über den Preis, error in pretio,<br />

- Irrtum über den Vertragstyp (der eine Teil will verkaufen, der anderen will nur mieten).<br />

Nie erheblich, ebenfalls nach Ulpian D. 18, 1, 9 § 1:<br />

- Irrtümliche Falschbezeichnung = error in nomine;<br />

Beispiel ist der Verkauf eines ganz bestimmten Sklaven,<br />

den die eine Partei als Stichus, die andere als Pamphilus bezeichnet,<br />

„Falschbezeichnung schadet nicht“ - „falsa demonstratio non nocet“.<br />

Quellen<br />

Konsens, I. 3, 22<br />

Treu und Glauben, I. 4, 6, 28 + 30<br />

Irrtum, D. 18, 1, 9; 18, 1, 14; Iul. D. 18, 1, 41, 1 (massiv silbern oder versilbert).<br />

KAPITEL 16. IRRTUM ÜBER WESENTLICHE EIGENSCHAFTEN 194<br />

1. Eigenschafts- oder Qualitätsirrtum 195<br />

, error in materia, substantia, qualitate.<br />

2. Klassische Kontroversen, Differenzierungen, Überlieferungsstörungen<br />

„quaeritur“ (Ulp. D. 18, 1, 9, 2); „quid dicemus“ (Ulp. D. 18, 1, 14); „puto“ (Ulp. D. 18, 1, 9, 2).<br />

193<br />

194<br />

195<br />

Paul. D. 45, 1, 83, 1 [Stipulation].<br />

Noch heute erhebliches Problem im deutschen wie im französischen Recht.<br />

Alles heute noch heftig umstritten, s. K I § 58; K/K § 8 Rdnr. 20.<br />

30. September 2011<br />

113


3. Beispiele (nicht auswendig lernen!)<br />

1. Blei statt Silber<br />

error in substantia = materia, nullam venditionem (Ulp. D. 18, 1, 9, 2),<br />

aber emptionem esse (Marcell. bei Ulp. D. 18, 1, 9, 2)<br />

versilbert statt Silber, nulla est emptio (Iul. D. 18, 1, 41, 1).<br />

2. Bronze statt Gold,<br />

error in substantia = materia, nullam venditionem (Ulp. D. 18, 1, 9, 2; Ulp. D. 18, 1, 14)<br />

aber emptionem esse (Marcell. bei Ulp. D. 18, 1, 9, 2; Iul.-Marcian.D. 18, 1, 45)<br />

Vergoldete Bronze statt Gold, Kaufvertrag wirksam (Ulp. D. 18, 1, 14).<br />

3. Tische aus Zitrusholz, sind es aber nicht, Kaufvertrag wirksam Haftung des V<br />

(Paul. D. 19, 1, 21, 2).<br />

4. Essig statt Wein<br />

differenzierend Ulpian (Ulp. D. 18, 1, 9, 2),<br />

aber wirksamer Vertrag nach Marcellus (Marcell. bei Ulp. D. 18, 1, 9, 2).<br />

5. Frau statt Knabe, nulla emptio (Ulp. D. 18, 1, 11, 1).<br />

6. Frau statt Jungfrau, Kaufvertrag wirksam (Ulp. D. 18, 1, 11, 1; Ulp. D. 19, 1, 11, 5).<br />

7. Generalisierend: bei Einigkeit über den Gegenstand,<br />

aber Uneinigkeit über die Eigenschaft, gilt der Kauf<br />

(Marcellus bei Ulpian D. 18, 1, 9, 2; Paul. D. 19, 1, 21, 2).<br />

4. Im römischen Recht nur Alternative: wirksam oder unwirksam,<br />

keine „Anfechtung“ wie nach BGB.<br />

5. Einzelne Juristen (nicht auswendig lernen!)<br />

1. Irrtum anerkannt und erheblich, Vertrag unwirksam<br />

- Iulian, versilbert statt Silber, V und K irren sich:<br />

nulla est emptio, condictio des Preises (Iul. D. 18, 1, 41, 1)<br />

- Ulpian, Bronze statt Gold, Blei statt Silber<br />

nullam esse venditionem puto, quotiens in materia erratur (Ulp. D. 18, 1, 9, 2)<br />

- Ulpian, Frau statt Knabe, in sexu error, nulla emptio, nulla venditio (Ulp. D. 18, 1, 11, 1).<br />

2. Irrtum unerheblich, Vertrag wirksam, allenfalls Sachmangel<br />

- Marcellus, Bronze statt Gold, Blei statt Silber, Essig statt Wein,<br />

mit generalisierender Begründung<br />

emptionem esse et venditionem, quia in corpus consensum est,<br />

etsi in materia ist erratum (bei Ulp. D. 18, 1, 9, 2)<br />

- Iulian-Marcian, unwissentl Verkf eines Gefäßes aus Messing für Gold,<br />

dann Haftung des V, tenetur ut aurum quod vendidit praestet (Iul.-Marcian.D. 18, 1, 45 a. E.)<br />

- Paulus, Tische aus Zitrusholz, sind es aber nicht,<br />

auch bei beiderseitigem Irrtum, Haftung des V,<br />

mit generalisierender Begründung: bei Einigkeit über den Gegenstand,<br />

aber Uneinigkeit über die Eigenschaft, gilt der Kauf,<br />

cum in corpore consentiamus, de qualitate autem dissentiamus,<br />

emptionem esse (Paul. D. 19, 1, 21, 2)<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

114


- Ulpian, Frau statt Jungfrau, emptio valebit, in sexu non est erratum, aber SM<br />

(Ulp. D. 18, 1, 11, 1), bei Kenntnis des Verkäufers (Ulp. D. 19, 1, 11, 5)<br />

3. Differenzierende Lösungen bei Ulpian<br />

- Bronze statt Gold, gleicher Irrtum von V und K,<br />

- wenn vergoldet ist, venditionem esse, denn etwas Gold sei enthalten,<br />

- aber wenn gar kein Gold, non valet (Ulp. D. 18, 1, 14)<br />

- Essig statt Wein,<br />

- wenn Wein sauer geworden ist, dann liegt dieselbe Substanz vor,<br />

also Kf ws, aber SM<br />

- wenn von vorneherein, dann aliud pro alio venisse, deswegen unws (Ulp. D. 18, 1, 9, 2)<br />

(<strong>zu</strong>r Gefahrtragg bei Wein Gai. D. 18, 6, 16 (15)).<br />

6. Haupttext: D. 18, 1, 9, 2. Ulp. 28 ad Sab. § 2. Daher ist kontrovers, ob Kauf und Verkauf wirksam sind,<br />

wenn man sich über den Gegenstand selbst nicht geirrt hat (in ipso corpore non erratur), wenn jedoch ein<br />

Irrtum über die Substanz eingetreten ist (in substantia error sit), z. B. wenn Essig statt Wein verkauft wird,<br />

Kupfer statt Gold, Blei (oder etwas anderes Silberähnliches) für Silber. Marcellus hat im sechsten Buch der<br />

Digesten geschrieben, ein Kauf und Verkauf sei gegeben, weil in Be<strong>zu</strong>g auf den Gegenstand Übereinstimmung<br />

bestehe (in corpus consensum est), auch wenn über die Substanz geirrt worden sei (in materia sit erratum).<br />

Ich stimme bezüglich des Weines <strong>zu</strong>, wenn der Wein erst sauer geworden ist, weil es beinahe derselbe<br />

Stoff ist.<br />

Wenn aber der Wein nicht erst sauer geworden ist, sondern von Anfang an Essig war, etwa eine Essiglauge,<br />

dann muß man annehmen, dass die eine Sache statt der anderen verkauft wurde.<br />

In den übrigen Fällen glaube ich, dass der Verkauf nichtig ist, wenn über die Substanz geirrt wird (in materia<br />

erratur).<br />

7. Exkurs Privatrechtsgeschichte der Neuzeit / Entstehung des BGB / Regelung des BGB<br />

Bei der BGB-Entstehung<br />

1. Umgang mit dem historischen Material<br />

1. Bei Irrtum kein Rechtsgeschäft, Errantis voluntas nulla est, nach römischem Recht,<br />

2. aber: Ein Mann, ein Wort. Augen auf, Kauf ist Kauf, nach älterem deutschen Recht,<br />

3. sehr umstritten im Naturrecht 16. bis 18. Jh.<br />

2. Verschiedene Lösungsansätze im gemeinen Recht<br />

1. Erklärungstheorie, den Erklärenden an seiner Erklärung festhalten,<br />

auch wegen der Verantwortlichkeit für eigene Handlungen,<br />

2. Vertrauenstheorie, wegen des hervorgerufenen Vertrauens.<br />

3. Veränderung der Regelung vom Entwurf des ersten Redaktors und dem I. Entwurf über den Beschluß der Vorkommission des Reichsjustizamts<br />

bis <strong>zu</strong>m Beschluß der II. Kommission.<br />

4. Raffinierte Lösung des BGB<br />

Vor Irrtumsanfechtung ist Auslegung <strong>zu</strong> prüfen.<br />

1. Grundsätzlich ist Rechtsgeschäft wirksam, trotz Irrtum; also nicht ohne weiteres unwirksam.<br />

2. Irrender kann Nichtigkeit herbeiführen durch Anfechtung seiner eigenen Willenserklärung.<br />

3. Ganz enger Begriff des erheblichen Irrtums, beschränkt auf 4 Fälle<br />

1. Inhaltsirrtum, § 119 I Alt.1,<br />

2. Erklärungsirrtum, § 119 I Alt. 2 ,<br />

3. Eigenschaftsirrtum, § 119 II,<br />

4. Übermittlungsirrtum, § 120.<br />

Ausschluß der irrelevanten Fälle, insbes. Motiv-Irrtum.<br />

30. September 2011<br />

115


4. Ohne Rücksicht darauf, ob Irrtum <strong>zu</strong>rechenbar ist oder nicht,<br />

Irrtumsanfechtung auch bei eigenem Verschulden des Anfechtenden.<br />

5. Willenserklärung und Rechtsgeschäft werden durch Anfechtung vernichtet,<br />

aber ohne dass das ursprünglich Gewollte wirksam würde.<br />

6. Schadenersatzpflicht des Anfechtenden (d. h. des Irrenden), § 122,<br />

dem Grunde nach wiederum ohne Rücksicht auf Verschulden,<br />

Höhe begrenzt auf Vertrauensschaden (= negatives Interesse) des Anfechtungsgegners.<br />

7. Weitere tatsächliche Begren<strong>zu</strong>ng der Irrtumsanfechtung: Beweis des eigenen Irrtums.<br />

8. Unterscheidung zwischen Dissens und Irrtum.<br />

Beispiel für den Gang der Gesetzgebungsarbeiten:<br />

Zuerst Vorlage Gebhards, des Redaktors für den Allgemeinen Teil, in der I. Kommission.<br />

Dann die verkürzte Wiedergabe dieser Erörterungen und der Diskussionen<br />

innerhalb der I. Kommission<br />

in Motive I, 190 f.<br />

Das Ergebnis waren §§ 98 f. E I.<br />

Man sieht weiter die Beratung in dem diskreten Zirkel der Vorkommission des Reichsjustizamts<br />

(bei Jakobs-Schubert).<br />

Das Resultat dieser Vorkommisison wurde in der II. Kommission<br />

als eigener Vorschlag eines Mitglieds eingebracht<br />

und dort verhandelt, Protokolle (der II. Kommission),<br />

- in der sogenannten metallographierten Form für die Mitglieder, später<br />

- in der gedruckten Fassung, Prot. I 94 ff.,<br />

- heute meistens in der Ausgabe von Mugdan.<br />

So entstand der zweite BGB-Entwurf.<br />

Den Abschluß bildet die Denkschrift des Reichsjustizamts,<br />

die den BGB-Entwurf an den Reichstag begleitete, S. 32.<br />

Ausdrücke<br />

animus Wille, Absicht<br />

consensus (Willens-)-Übereinstimmung<br />

credere glauben, meinen<br />

creditor Gläubiger<br />

debére schulden<br />

debitor Schuldner<br />

dissentire uneinig sein, verschiedener Meinung sein<br />

errare irren<br />

error Irrtum<br />

- in obiecto, - über Gegenstand,<br />

- in persona, - über die Person,<br />

- iuris - über die Rechtslage<br />

existimare glauben<br />

id quod actum est entsprechend dem wirklichen oder üblichen Parteiwillen<br />

ignorantia Unwissenheit<br />

ignorare nicht wissen<br />

metus Furcht<br />

nullus keiner; nichtig<br />

opinio Meinung<br />

putare glauben<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

116


(Vorsicht: bedeutet in den juristischen Texten)<br />

a) wenn es sich um Sachverhalte [Tatbestände] handelt,<br />

dass in der Wirklichkeit die Angelegenheit anders ist,<br />

b) wenn es sich um juristische Lösungen handelt,<br />

dass die geäußerte Rechtsansicht nicht bedenkenfrei ist.<br />

scire wissen<br />

sentire meinen (s. soeben <strong>zu</strong> "putare")<br />

voluntas Wille.<br />

Rechtsmaximen<br />

Errare humanum est. Irren ist menschlich (allgemein, aber nicht rechtlich).<br />

Errantis voluntas nulla est. Die Willenserklärung ist bei Irrtum nichtig.<br />

Error iuris (non) nocet. Rechtsirrtum schadet (nicht).<br />

Falsa demonstratio non nocet. Falsche Bezeichnung schadet nicht.<br />

KAPITEL 17. KAUFPREIS UND WUCHER<br />

1. Gegenleistungsfreiheit. D. 19, 2, 22, 3 (Paulus im 34. Buch seines Ediktskommentars). Ebenso wie beim Kauf natürlicherweise erlaubt<br />

ist, eine Sache von höherem Wert um einen geringeren Preis <strong>zu</strong> kaufen, eine Sache geringeren Wertes um einen höheren Preis<br />

<strong>zu</strong> verkaufen und einander auf diese Weise <strong>zu</strong> übervorteilen, ist dies auch bei der locatio conductio rechtens.<br />

D. 19, 2, 22, 3 (Paulus libro trigesimo quarto ad edictum). Quemadmodum in emendo et vendendo naturaliter concessum est quod<br />

pluris sit minoris emere, quod minoris sit pluris vendere et ita invicem se circumseribere, ita in locationibus quoque et conductionibus<br />

iuris est.<br />

2. Pretium certum, Inst. Iust. 3, 23, 1; Gai. Inst. 3, 140<br />

3. Pretium verum. D. 18, 1, 36 (Ulpian im siebenten Buch seiner Streitgespräche). Wenn jemand schenkungshalber<br />

<strong>zu</strong> einem geringeren Preis verkauft, ist der Verkauf gültig. Nur wenn der Verkauf <strong>zu</strong>r Gänze schenkungshalber<br />

stattfindet, entscheiden wir, dass der Verkauf völlig ungültig ist. Wenn jedoch eine Sache<br />

schenkungshalber <strong>zu</strong> einem niedrigeren Preis verkauft wird, besteht kein Zweifel, dass der Verkauf gültig<br />

ist. Dies gilt normalerweise; unter Ehegatten ist jedoch ein Verkauf, der schenkungshalber <strong>zu</strong> einem niedrigeren<br />

Preis stattfindet, nicht rechtswirksam.<br />

D. 18, 1, 36 (Ulpianus). Si quis donationis causa minoris vendat, venditio valet: totiens enim dicimus in totum<br />

venditionem non valere, quotiens universa venditio donationis causa facta est: quotiens vero viliore<br />

pretio res donationis causa distrahitur, dubium non est venditionem valere. hoc inter ceteros: inter virum<br />

vero et uxorem donationis causa venditio facta pretio viliore nullius momenti est.<br />

4. Pretium iustum: verschiedene Erwähnungen in den Digesten; aber selten relevant für Exegese.<br />

5. Dann Höchstpreisedikt Kaiser Diokletians (284 - 305); damals praktisch sehr wichtig, auch historisch interessant (aber ebenfalls selten<br />

relevant für Exegese, allenfalls für mündliches Examen).<br />

6. Am wichtigsten für Mittelalter und Neuzeit:<br />

Sogenannte Laesio enormis (wörtlich: übermäßige Schädigung), C. 4, 44, 2.<br />

Ausdruck: laesio, -nis f. (enormis) - Verlet<strong>zu</strong>ng, rechtlicher Nachteil (übermäßig)<br />

Ausdruck im 19. Jh.: "Verlet<strong>zu</strong>ng über die Hälfte".<br />

C. 4, 44, 2 (Kaiser Diokletian und Maximian an Aurelius Lupus) Wenn du oder dein Vater eine Sache höheren Wertes um einen geringeren<br />

Preis verkauft hast, ist es menschlich, dass du kraft richterlichen Einschreitens entweder bei Rückzahlung des Kaufpreises an<br />

die Käufer das Grundstück <strong>zu</strong>rückerhalten sollst, oder, wenn der Käufer das vorzieht, eine Aufzahlung dessen, was auf den gerechten<br />

Preis fehlt, erhalten sollst. Ein geringerer Preis liegt dann vor, wenn nicht einmal die Hälfte eines echten Preises gezahlt worden ist.<br />

(285 n. Chr.).<br />

30. September 2011<br />

117


C. 4, 44, 2 (Impp. Diocletianus et Mamimianus AA. Aurelio Lupo). Rem maioris pretii si tu vel pate uus minoris pretii distraxit, humanum<br />

est, ut vel pretium te restituente emptoribus fundum vendicum recipias auctoritate intercedente iudicis, vel, si emptor elegerit,<br />

quod deest iusto pretio recipies. minus autem pretium esse videtur, si nec dimidia pars veri pretii soluta sit.(a. 285)<br />

Im Laufe der Jahrhundert das "Spiel" in Rechtswissenschaft und Rechtspolitik mit der Laesio enormis:<br />

1. Auch <strong>zu</strong> Gunsten Käufer?<br />

2. Auch andere Gegenstände als Land?<br />

3. Auch andere Verträge als Kauf?<br />

4. Ergän<strong>zu</strong>ngsrecht des Übervorteilenden?<br />

5. Verzicht auf die Geltendmachung durch Übervorteilten?<br />

6. Einschränkungen des Verbots?<br />

7. Warum nicht im BGB übernommen?<br />

Hier<strong>zu</strong> meinte F. C. von Savigny, Juristische Methodenlehre 196<br />

: „Wenn ein Verkauf so geschlossen ist, dass viel weniger bezahlt wurde, als<br />

der wahre Preis ist, so soll der Verkauf ungültig sein oder das übrige nachbezahlt werden. Der Kaiser führt als allgemeinen Grund dieser<br />

Vorschrift die Billigkeit an (humanum est). Hieraus hat man gefolgert, das Gesetz sei auf alle onerose (= belastende) Geschäfte, namentlich<br />

Kauf und Pacht und so fort, auch an<strong>zu</strong>wenden. Hier ist also von einer interpretatio extensiva (= ausdehnende Anwendung) die Rede... Der<br />

angegebenen Regel der Billigkeit steht also eine andere, weit wichtigere Regel, die der Heiligkeit der Verträge, entgegen, sie hebt also jene<br />

auf. Soll die Aufhebung nicht statthaben, so muss sich ein besonderer Grund da<strong>zu</strong> finden. Dieser findet sich beim Verkauf oft. Nämlich häufig<br />

wird der Verkäufer aus Not, um nur Geld <strong>zu</strong> bekommen, gezwungen sein, eine Sache <strong>zu</strong> verkaufen, ohne dass ein dolus dabei <strong>zu</strong> Grunde<br />

liegt. Eine solche Not lässt sich bei anderen Rechtsgeschäften wohl nicht denken. Das Gesetz ist also sehr einfach, geht bloß auf den Verkauf“.<br />

Aber modifizierte Regelung der laesio enormis in den Naturrechtskodifikationen<br />

1. ALR (von 1794) I 11 §§ 58 - 69 und 250 - 256 sowie § 876<br />

2. Code civil (von 1804) Art. 1674<br />

3. ABGB (von 1811) § 934.<br />

Ausdrücklich abgelehnt in den BGB-Kommissionen.<br />

Wucherproblem vor allem bei Darlehenszinsen.<br />

KAPITEL 18A. RÜCKTRITTSVORBEHALTE ALLGEMEIN 197<br />

1. Käufer und Verkäufer vereinbarten oft bei Abschluss des Kaufvertrages<br />

als Nebenabrede, pactum adiectum, eine spezielle Rücktrittsklausel.<br />

2. Gelten als Vertragsinhalt, wenn bei Abschluss des Hauptvertrages vereinbart,<br />

in continenti; nicht wenn hinterher, ex intervallo 198<br />

.<br />

Aber Haupttext Ulp. D. 2, 14, 7, 5 und 6 ist undeutlich<br />

und lässt in einigen Fällen spätere Abreden <strong>zu</strong>.<br />

Pap.-Paul. D. 18, 1, 72 lassen formlose Abreden postea facta <strong>zu</strong>,<br />

wenn sie Leistung abbedingen, das könnte man vielleicht hier annehmen,<br />

nicht aber, wenn sie Leistungsinhalt erhöhen.<br />

3. Falls der Kaufpreis bereits gezahlt, wohl meistens Eigentum des Verkäufers am Preis,<br />

dieser muss das empfangene Geld gegebenenfalls an Käufer <strong>zu</strong>rück übereignen 199<br />

.<br />

196<br />

<strong>Universität</strong> Marburg, WS 1802-1803, nach der Ausarbeitung des Jakob Grimm (!), hrsg. v. G. Wesenberg,<br />

Stuttgart 1951, S. 39 f. und 44.<br />

197<br />

198<br />

199<br />

(Mein) F. <strong>Peter</strong>s, Die Rücktrittsvorbehalte, 1973! Kaser-Knütel § 10/11 ff., 41/49 ff.<br />

K I § 114 / 29 und 31.<br />

Frank <strong>Peter</strong>s, Die Rücktrittsvorbehalte, 1973, S. 254 ff.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

118


4. Besonders häufig und gewissermaßen standardisiert waren die folgenden drei:<br />

- in diem addictio Vorbehalt des Verkäufers für den Fall eines besseren Verkaufs<br />

- lex commissoria Vorbehalt des Verkäufers für den Fall der Nichtzahlung des Preises<br />

- pactum displicentiae Vorbehalt des Käufers für den Fall der Nicht<strong>zu</strong>friedenheit.<br />

5. (Weiteres s. oben im Kapitel Bedingung = Condicio).<br />

KAPITEL 18B. BESSERGEBOTSKLAUSEL = IN DIEM ADDICTIO 200<br />

1. In diem addictio<br />

Falls Verkäufer binnen einer bestimmten Frist einen anderen Käufer findet,<br />

der einen höheren Preis zahlt als jetzt vereinbart ist<br />

oder sonst bessere Vertragsbedingungen gewährt,<br />

kann Verkäufer von dem Kaufvertrag <strong>zu</strong>rücktreten.<br />

2. Je nach Parteivereinbarung 201<br />

1. aufschiebend bedingter Kaufvertrag 202<br />

,<br />

2. oder auflösend, d. h. wirksamer Vertrag mit aufschiebender Aufhebungsabrede 203<br />

.<br />

3. In den meisten Fällen der Kaufvertragsklausel<br />

tritt die Vertragsbeendigung nicht schon durch den genannten Umstand ein,<br />

z. B. durch das bessere Gebot eines <strong>Dr</strong>itten oder durch die Nichtzahlung durch den Käufer,<br />

sondern erst dann, wenn der Berechtigte den Rücktritt wegen des Umstandes erklärt.<br />

Damit ist dem Berechtigten die Entscheidung darüber offengehalten,<br />

ob er bei Eintritt der Bedingung von seinem Rücktrittsrecht Gebrauch machen<br />

und damit das Geschäft auflösen will oder nicht.<br />

Das Ende des Kaufvertrages steht damit unter einer doppelten Bedingung:<br />

1. Eintritt des vereinbarten Umstandes und<br />

2. Erklärung des Berechtigten.<br />

4. Rückgewährklage, nach Ausübung des Rechts durch Verkäufer 204<br />

1. schuldrechtlich<br />

1. Sabinianer (z. B. Pomponius): Vertragsklage, also a. venditi.<br />

2. Prokulianer: a. in factum.<br />

200<br />

201<br />

202<br />

2. Bedingung kann auch dingliche Wirkung haben, also rei vindicatio des Verkäufers 205<br />

auf Rückgewähr der Ware<br />

Sedes materiae: D. 18, 2.<br />

Ulp. D. 18, 2, 2.<br />

Ulp. D. 18, 2, 2 pr. – Schiemann, Pendenz, S. 20 f.: Sabinianus, vielleicht in älterer Zeit die allgemeine Ansicht<br />

unter römischen Juristen.<br />

203<br />

204<br />

205<br />

Schiemann, Pendenz, S. 21: bei Ulpian (D. 18, 3, 1) herrschende Ansicht; K/K § 41 / 50.<br />

<strong>Peter</strong>s, Rücktrittsvorbehalte, S. 262 ff.<br />

Ulp. D. 6, 1, 41 pr.<br />

30. September 2011<br />

119


(s. da<strong>zu</strong> im Kapitel „Auflösungsvorbehalt = Lex commissoria“).<br />

KAPITEL 18C. AUFLÖSUNGSVORBEHALT = LEX COMMISSORIA 206<br />

1. Rücktrittsrecht des Verkäufers, wenn der Kaufpreis nicht innerhalb bestimmter Zeit bezahlt wird.<br />

Muss also zwischen Verkäufer und Käufer vereinbart werden, nicht von Gesetzes wegen<br />

(vgl. hingegen §§ 323 ff. BGB n. F.).<br />

Am ehesten als auf-lösende Bedingung ex nunc <strong>zu</strong> verstehen.<br />

2. Nach überwiegender Ansicht der römischen Juristen:<br />

1. auflösend 207<br />

, d. h. wirksamer Vertrag mit aufschiebender Aufhebungsabrede,<br />

d. h. Recht des Verkäufers <strong>zu</strong>r Auflösung steht unter der aufschiebenden Bedingung der Nichtzahlung 208<br />

,<br />

2. nicht aufschiebend bedingter Kaufvertrag 209<br />

.<br />

3. Schuldrechtliche Wirkung<br />

1. Pomponius (Sabinianer) und damals h. M.: a. venditi 210<br />

.<br />

2. Aber es gab auch Gegenansicht.<br />

Keine exc. rei venditae et traditae, weil ja Sache nicht mehr vendita ist.<br />

4. Hinsichtlich der dinglichen Rechtslage des Kaufgegenstandes<br />

206<br />

207<br />

208<br />

209<br />

210<br />

211<br />

gibt es für den Eigentumsrückfall zwei verschiedene Lösungen 211<br />

,<br />

falls der Kaufvertrag auflösend bedingt war,<br />

vielleicht unter den klassischen Juristen kontrovers, jedenfalls heute streitig:<br />

1. entweder muss bei Bedingungseintritt die Sache vom Käufer an den Verkäufer<br />

mittels besonderen Rechtsgeschäfts (ausdrücklich) <strong>zu</strong>rückübereignet werden,<br />

darauf kann Verkäufer<br />

1. entweder mit einer actio in factum<br />

2. oder mit der actio venditi klagen.<br />

3. Kein Quellenbelegt für condictio 212<br />

.<br />

2. Interessanter ist aber Folgendes:<br />

Nch wirksamem Rücktritt bei auflösend bedingtem Kauf<br />

ist mehrfach in den Quellen bezeugt,<br />

dass Eigentum an dem Kaufgegenstand von dem Käufer an den Verkäufer <strong>zu</strong>rückfällt,<br />

ohne besonderen Übertragungsak 213<br />

,<br />

dagegen jedoch Itp.-Verdacht wegen Wesens des absoluten Rechts im römischen Recht,<br />

infolgedessen werden dem Verkäufer gegen Käufer rei vindicatio oder a. in rem<br />

ausdrücklich <strong>zu</strong>gesprochen.<br />

Sedes materiae: D. 18, 3. Vgl. Pomp. D. 18, 3, 2.<br />

Ulp. D. 18, 2, 2 pr.<br />

<strong>Peter</strong>s, Rücktrittsvorbehalte, S. 95.<br />

Ulp. D. 18, 3, 1.<br />

K/K § 41 / 49: D. 18, 3, 2; 18, 3, 4, pr.; 18, 1, 6, 1.<br />

Schiemann, Pendenz, S. 21, <strong>zu</strong>r lex commissoria: keine dingliche Wirkung nach C. 4, 54, 3; aber Vindikation<br />

nach C. 4, 54, 4, und a. in rem nach D. 6, 1, 41 pr.<br />

212<br />

213<br />

<strong>Peter</strong>s, Rücktrittsvorbehalte, S. 272.<br />

<strong>Peter</strong>s, Rücktrittsvorbehalte, S. 164 ff., mwN.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

120


Konstruktion:<br />

Der nachträgliche Wegfall des Kaufvertrages,<br />

also des Rechtsgrundes (causa) für die Übereignung mittels traditio,<br />

bewirkt, dass der Eigentumsübergang auf den Käufer entfällt,<br />

so dass die Sache dem Verkäufer wieder gehört, mit der Folge<br />

dass er gegen Käufer die Eigentumsherausgabeklage hat, rei vindicatio;<br />

vgl. Ulp. D. 6, 1, 41 pr. <strong>zu</strong>r in diem addictio 214<br />

.<br />

3. Wahrscheinlich wird eine auf-lösende Bedingung für die Übereignung<br />

als eine Bedingung, die der traditio oder mancipatio direkt beigefügt worden wäre,<br />

nicht anerkannt gewesen sein.<br />

4. Zweifelhaft, ob emptor überhaupt Eigen- und Interdiktenbesitzer<br />

und damit passiv legitimiert gegenüber reil vindicatio war 215<br />

5. Hauptprobleme in Digesten-Titel 18,3<br />

1. Gefahrtragung<br />

2. Früchte<br />

3. Vereinbarung der Zahlung der Preisdifferenz.<br />

6. (Andere Bedeutung des Ausdrucks lex commissoria im Pfandrecht).<br />

7. Wirtschaftliche Bedeutung der Sicherung des Verkäufers gegen Nichtzahlung des Kaufpreises,<br />

wirtschaftlich (aber nicht rechtstechnisch) entsprechend<br />

- dem modernen Eigentumsvorbehalt<br />

(letzterer heute aufschiebend konstruiert, nicht wie die meistens auflösend wirkende lex commissoria in Rom),<br />

214<br />

215<br />

- sowie dem Rücktritt von Gesetzes wegen wegen Nichterfüllung, § 323 n. F.<br />

KAPITEL 18D. MISSBILLIGUNGSABREDE = PACTUM DISPLICENTIAE<br />

1. Rücktrittsrecht des Käufers binnen bestimmter Frist, falls ihm die Ware nicht gefällt 216<br />

.<br />

Meistens Kaufvertrag konstruiert als auflösend bedingt 217<br />

:<br />

D. 18, 1, 3. Ulpianus 28 ad Sab. Si res ita distracta sit, ut si displicuisset inempta esset, constat non esse sub condicione distractam,<br />

sed resolvi emptionem sub condicione.<br />

2. Etwas anderes ist: Kauf „auf“ Probe i. e. S., nämlich Kauf unter der aufschiebenden Bedingung,<br />

dass dem Käufer die Sache innerhalb einer bestimmten Frist gefällt (Inst. Iust. 3, 23, 4).<br />

3. Nicht <strong>zu</strong> verwechseln mit Kauf „<strong>zu</strong>r“ Probe oder mit<br />

4. Kauf „nach“ Probe.<br />

Schiemann, Pendenz, S. 22, mit Wesel, SZ 85 (1968), 97 ff.<br />

<strong>Peter</strong>s, Rücktrittsvorbehalte, S. 271: meistens in dieser Situation bloß Detentor und deswegen nicht passivlegitimiert.<br />

216<br />

Ulp. D. 18, 1, 3: "si displicuisset inempta" bedeute nicht aufschiebende, sondern auflösende Bedingung, resolvi<br />

emptionem sub condicione.<br />

217<br />

D. 18, 1, 3; D. 18, 5, 6.<br />

30. September 2011<br />

121


KAPITEL 19A. ANFÄNGLICHE TATSÄCHLICHE OBJEKTIVE UNMÖGLICHKEIT<br />

1. Im römischen Recht nicht grundsätzlich / abstrakt behandelt (wie heute im Allgemeinen Schuldrecht),<br />

sondern jeweils gesondert für Stipulationen, Kaufvertrag, Vermächtnis etc.<br />

2. Das Rechtsgeschäft ist nach heute überwiegender Ansicht unwirksam 218<br />

,<br />

wenn die Leistung von Anfang an tatsächlich objektiv unmöglich ist 219<br />

,<br />

emptionem non videri contractam 220<br />

, nec emptio nec venditio 221<br />

, nulla emptio est 222<br />

,<br />

nihil esse acti 223<br />

.<br />

3. Hauptfälle der gewissermaßen physischen = tatsächlichen = natürlichen Unmöglichkeit:<br />

- Die versprochene Sache, z. B. der Pferdmensch, Hippocentaurus, kann gar nicht existieren 224<br />

.<br />

- Die verkaufte Sache war bereits vollständig verbrannt (D. 18, 1, 57 pr. Anfang; vgl. D. 18, 1, 58).<br />

- Der verkaufte Sklave war schon verstorben 225<br />

.<br />

- Die verkaufte Erbschaft existiert nicht 226<br />

(hingegen wirksam:<br />

-- die verkaufte Erbschaft existiert, aber gehört nicht dem V, sondern dem X 227<br />

,<br />

-- veräußerte Forderung existiert überhaupt nicht 228<br />

).<br />

4. Ebenso unwirksam, wenn die verkaufte Sache schon dem Käufer<br />

oder Stipulationsgläubiger selbst gehört 229<br />

(anders BGB).<br />

5. Rückforderung des Kaufpreises durch Käufer<br />

- Condictio 230<br />

.<br />

6. Aber dem Käufer „nützt“ seine unverschuldete Unkenntnis, jedenfalls wenn sie unverschuldet ist 231<br />

,<br />

<strong>zu</strong>mindest dann, wenn der Verkäufer Kenntnis der Unmöglichkeit hatte,<br />

218<br />

219<br />

220<br />

221<br />

222<br />

223<br />

224<br />

225<br />

226<br />

227<br />

228<br />

229<br />

K I S. 549; ansprechende Zusammenfassung bei Benke-Meissel, SchuldR, 4. A., S. 99 ff.<br />

Generalisierende Regel: Paul. D. 18, 1, 15 pr.<br />

Pap. D. 18, 1, 58 initio (Olivenhain).<br />

Generalisierend: Pomp. D. 18, 1, 8 pr.<br />

Generalisierende Regel: Paul. D. 18, 1, 15 pr.<br />

Pomp. D. 18, 4, 1.<br />

Inst. Iust. 3, 19, 1 (<strong>zu</strong>r Stipulation).<br />

Inst. Iust. 3, 19, 1 (<strong>zu</strong>r Stipulation).<br />

Pomp. D. 18, 4, 1 (in rerum natura non sit); Paul D. 18, 4, 7; Iav. D. 18, 4, 8.<br />

Iav. D. 18, 4, 8; Paul. D. 18, 4, 13.<br />

Cels.-Ulp. D. 18, 4, 4: Einstandspflicht des Veräußerers.<br />

Iul. D. 12, 6, 37; generalisierend Pomp. D. 18, 1, 16 pr.; Gai. D. 44, 7, 1, 10 (Stipulation); Ulp. D. 45, 1, 82<br />

pr.; generalisierend Ulp. D. 50, 17, 45 pr.; Sonderfall Paul. D. 18, 1, 34, 4; Gai. 3, 99; Inst. 3, 19l, 2/22. – Hier<strong>zu</strong><br />

gibt es neuere Untersuchung.<br />

230<br />

231<br />

D. 18, 1, 57 pr. a. A.<br />

Generalisierend Paul. D. 18, 1, 15, 1: Ignorantia emptori prodest...<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

122


- vielleicht Ersatzanspruch mittels a. in factum,<br />

- Rückzahlungsanspruch mittels Bereicherungsklage, condictio 232<br />

indebiti oder sine causa.<br />

7. Tatsächliche Teil-Unmöglichkeit, z. B. villa combusta oder umgeworfene Bäume 233<br />

:<br />

Je nach Fallgestaltung und Kontroverse 234<br />

.<br />

8. Zur res extra commercium s. sogleich. Auch weitere Sonderfälle 235<br />

.<br />

9. Rechtsmaximen (haben aber nur den Wert von bloßen Faustregeln):<br />

Impossibilium nulla obligatio. Zu Unmöglichem ist man nicht verpflichtet.<br />

Ultra posse nemo obligatur. Niemand wird über sein Können hinaus verpflichtet<br />

(differenzierend BGB).<br />

KAPITEL 19B. ERGÄNZUNG: UNMÖGLICHKEIT<br />

1. Im römischen Recht nicht grundsätzlich / abstrakt behandelt (wie heute im Allgemeinen Schuldrecht),<br />

Die römischen Juristen wissen noch nichts von Allgemeinen Teil, weder allgemein <strong>zu</strong>m Zivilrecht, noch allgemein<br />

<strong>zu</strong>m Schuldrecht. Nur gelegentlich stellen sie uns die Systeme vor, in denen sie sich bewegen, nur <strong>zu</strong>rückhaltend<br />

formulieren sie allgemeine Maximen, die von den Späteren dann mit Begierde aufgenommen wurden,<br />

relativ selten sind ausgesprochene Definitionen. Sie erörtern vielmehr in lose aneinander angefügten Fällen und<br />

keineswegs flächendeckend für jeden Kontraktstyp neu das Zustandekommen, die Vertragspflichten und ihre Erfüllung<br />

oder Verlet<strong>zu</strong>ng.<br />

a. Schuldinhalte<br />

Wo<strong>zu</strong> Schuldner verpflichtet war, ergab sich aus der intentio der formula für die jeweilige actio: bei der abstrakten<br />

Geldschuldklage, der condictio certae creditae pecuniae, auf Geldhingabe, nummos dare; bei der condictio<br />

certae rei auf certam rem dare; bei der actio ex stipulatu auf ein incertum, nämlich ein facere; bei den bonae fidei<br />

iudicia auf ein dare facere ex fide bona 236<br />

.<br />

1. Stipulation<br />

a) Anfängliche (objektive) Unmöglichkeit<br />

Die klarsten Äußerungen der römischen Juristen betreffen das einseitige Schuldversprechen, die Stipulation.<br />

Diese kam <strong>zu</strong>stande, indem der künftige Gläubiger an den künftigen Schuldner die Frage stellte: "Wirst Du mir<br />

die - näher bestimmte - Sache übereignen?" Oder: "Wirst Du eine bestimmte Handlung vornehmen?" Oder:<br />

"etwas bestimmtes leisten?" 237<br />

, und indem der Schuldner einfach antwortete: "Ja".<br />

232<br />

233<br />

234<br />

235<br />

236<br />

Iul. D. 12, 6, 37: puto.<br />

Paul. und andere Juristen: D. 18, 1, 57 pr. - § 3; Pap. D. 18, 1, 58.<br />

Vielleicht nachklassisch überarbeitet oder itp? S. Kaser I S. 549 Anm. 38.<br />

Paul. D. 19, 1, 21 pr. (Leibesfrucht einer unfruchtbaren Sklavin, m. E. Sonderfall / Sachmangel o. ä.).<br />

Franz Wieacker, Leistungshandlung und Leistungserfolg im Bürgerlichen Schuldrecht, in Festschrift für <strong>Hans</strong><br />

Carl Nipperdey <strong>zu</strong>m 70. Geburtstag,e hrsg. v. R. Diletz und H. Hübner, München und <strong>Berlin</strong> 1965, S. 783 ff.,<br />

abgredruckt in F. Wieacker, Kleine juristische Schriften, Göttingen 1988, S. 171 bis 195, S. 176.<br />

237<br />

Dare, facere, praestare.<br />

30. September 2011<br />

123


Mit diesem Vertragstyp wurden Verpflichtungen über beliebige Leistungen begründet, <strong>zu</strong>m Beispiel: Versprechen<br />

der Sachübereignung auf Grund Gattungskaufs, Darlehens, Schenkung oder Mitgift; Rechts- oder Sachmängelgarantien;<br />

Bürgschaften oder Vertragsstrafen, Abtretungen oder Schuldübernahmen 238<br />

.<br />

Aber was sollte der Schuldner tun, wenn die versprochene Leistung gar nicht erbracht werden konnte? Und wenn<br />

es <strong>zu</strong>m Prozess kam: wie sollte der Richter den Wert der etwa gar nicht existierenden Sache schätzen?<br />

Die römischen Juristen beriefen sich dafür auf die rerum natura 239<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

und auf die impossibilitas 240<br />

.<br />

Auch wenn es <strong>zu</strong>treffen sollte, dass die Ausdrücke possibilis und impossibilis erst im ersten oder zweiten Jahrhundert<br />

unserer Zeitrechung aus der griechischen in die lateinische Sprache übernommen sein sollten 241<br />

. Allgemeine<br />

Interpolation diesbezüglich nicht nachgewiesen 242<br />

. In den Digesten 40 mal impossibilis oder inpossibilis<br />

sowie acht mal possibilis 243<br />

,überwiegend <strong>zu</strong>r Bedingung, nur elf Texte <strong>zu</strong> unserem Hauptproblem 244<br />

.<br />

Die allgemeine Meinung gibt ein römischer Jurist so wieder:<br />

"Wenn das, was jemand sich hat versprechen lassen, gar nicht gegeben werden kann, dari non possit,<br />

dann ist die Stipulation ungültig, inutilis est stipulatio 245<br />

.<br />

Stipulation auf ein facere, was natura fieri non concedit, ist nichtig, genauso wie Stipulation auf dare, das dari<br />

non potest 246<br />

.<br />

Ebenso Bedingung und Stipulation mit Bedingung, quae natura impossibilis est, ist unwirksam 247<br />

.<br />

Versprechen einer Sache, quae in rerum natura non est aut esse non potest, oder qui esse non possit unwirksam<br />

248<br />

.<br />

Sache aus nicht vorhandener Gattung 249<br />

Ebenso ungültig ist die Stipulation einer Sache, die gar nicht existieren kann, z. B. eines Pferdmenschen,<br />

Hippocentaurus 250<br />

".<br />

238<br />

239<br />

Kaser, RPR I, S. 538 ff.<br />

Ernst Rabel, Mélanges Gérardin, Paris 1907, S. 473 - 512: Origine de la règle: "Impossibilium nulla obligatio",<br />

insbes. S. 478 ff.<br />

240<br />

241<br />

242<br />

243<br />

244<br />

245<br />

Rabel, Origine, insbes. S. 488 ff.<br />

Rabel, Origine, S. 488 f., mit Hinweis auf Scialoja und Wölfflin sowie auf Cicero und Quintilian.<br />

Rabel, Origine, S. 488 ff.<br />

Rabel, Origine, S. 491.<br />

Rabel, Origine, S. 491.<br />

Gai. 3, 97 und 97a; vgl. Inst. Iust. 3, 19, 1 und 2. Ähnliche Aufzählungen bei Gai. D. 44, 7, 1, 9 und 10; Paul.<br />

D. 45, 1, 83, 5; liber homo oder mortuus auch Mod. D. 45, 1, 103. Weitere Fälle sind der Anspruch auf eine<br />

Sache, die dem scheinbaren Gläubiger schon gehört (Gai. 3, 99); ein unsterblicher Sklave (C. 8, 37, 8; a. 294;<br />

kann aber Sonderfall sein); (anfänglich) verbrannte Gebäude (Gai. D. 44, 7, 1, 9.).<br />

246<br />

247<br />

248<br />

249<br />

250<br />

D. 45, 1, 35 pr.<br />

D. 45, 1, 137, 6.<br />

Inst. Iust. 3, 19, 1.<br />

Darauf macht Rabel, Origine, S. 482, <strong>zu</strong> D. 33, 6, 7, 1, aufmerksam.<br />

Gai. 3, 97 und 97a; vgl. Inst. Iust. 3, 19, 1 und 2. Ähnliche Aufzählungen bei Gai. D. 44, 7, 1, 9 und 10; Paul.<br />

D. 45, 1, 83, 5; liber homo oder mortuus auch Mod. D. 45, 1, 103. Weitere Fälle sind der Anspruch auf eine<br />

124


Nichtig ist auch das stipulationsartige Versprechen des Schuldners, einen freien Menschen <strong>zu</strong> übereignen 251<br />

, den<br />

der Gläubiger für einen Sklaven hielt 252<br />

.<br />

Dieselbe Folge hat das Versprechen einer res extra commercium: eine sakrale oder religiöse Sache oder eine<br />

dem Gemeingebrauch gewidmete Sache 253<br />

. Unwirksam und verboten ist des weiteren die Veräußerung einer<br />

streitbefangenen Sache 254<br />

. Ganz generell sagen die Kaiser Theodosius und Valentianus: nullum enim pactum,<br />

nullam conventionem, nullum contractum inter eos videri volumus subsecutum, qui contrahunt lege contrahere<br />

prohibente. 255<br />

Auch die eigene Sache kann man sich nicht wirksam versprechen lassen 256<br />

. Anfängl R-Mgel bei<br />

Stip unbeachtl 257<br />

.<br />

Dieselben Regeln für Bedingung und Vermächtnisse.<br />

Zusammenstellung der Stellen bei Rabel, Origine 258<br />

.<br />

Warum sind derartige Stipulationen ungültig 259<br />

? Die römischen Juristen sagen es nicht.<br />

- Die römischen Juristen sagen gelegentlich, die versprochene Sache, die nicht existiere,<br />

gehöre gar nicht <strong>zu</strong>r Welt der materiellen Dinge, sei nicht in rerum natura 260<br />

, und das Versprechen sei deswegen<br />

gewissermaßen widernatürlich 261<br />

.<br />

- Sicherlich hatte der Schuldner keine Pflicht, z. B. diesen versprochenen Sklaven<br />

<strong>zu</strong> übereignen, der gar nicht als Sklave existiert, weil er ein Freier ist, oder der überhaupt nicht mehr existiert,<br />

weil er gestorben ist 262<br />

. In diesem Sinne mag man von natürlicher Gegebenheit, naturali ratione, sprechen<br />

263<br />

. Der iudex konnte wegen eines dare opportere gar nicht verurteilen, wenn die geschuldete Sache im<br />

Urteilszeitpunkt gar nicht existierte 264<br />

.<br />

- Unvernunft, Scherz, mangelnde Ernstlichkeit, Schenkung, Irrtum, Betrug,<br />

Sache, die dem scheinbaren Gläubiger schon gehört (Gai. 3, 99); ein unsterblicher Sklave (C. 8, 37, 8; a. 294;<br />

kann aber Sonderfall sein); (anfänglich) verbrannte Gebäude (Gai. D. 44, 7, 1, 9.).<br />

251<br />

252<br />

253<br />

254<br />

255<br />

256<br />

257<br />

258<br />

D. 45, 1, 83, 5.<br />

Inst. Iust. 3, 19, 2; D. 18, 1, 34, 2;<br />

Inst. Iust. 3, 19, 2.<br />

Papinianus 35, 4.<br />

C. 1, 14, 5 (a. 439).<br />

Inst. Iust. 3, 19, 2.<br />

Jakobs, S. 132: D. 45, 1, 34; 42, 3, 15, 31 i. f.<br />

Ernst Rabel, Mélanges Gérardin, Paris 1907, S. 473 - 512: Origine de la règle: "Impossibilium nulla obligatio".<br />

259<br />

260<br />

261<br />

262<br />

263<br />

264<br />

Wohl vollständige Stellen-Sammlung bei Dilcher 260/145.<br />

Fehlt noch Stellen-Zitat.<br />

Constantin, S. 428 f. unter Anführung von Rabel, Origine 473 ff., 509, und Unmöglichkeit 174 ff., 194 - 198.<br />

Wollschläger, S. 10 f.; a. A. Medicus, SZ 86, 69; aber dort Anm. 6 die neuere Lit.<br />

Gai. D. 44, 7, 1, 9 (itp.?).<br />

Wieacker, S. 185 f.<br />

30. September 2011<br />

125


Sittenverstoß, kein Schaden 265<br />

. Diese Komponenten werden durch die Hinweise der römischen Juristen auf<br />

die Unkenntnis des Gläubigers betont 266<br />

.<br />

- Fehlendes Vermögensinteresse des Gläubigers 267<br />

.<br />

- Besonderheiten des römischen Verfahrensrechts werden eine Rolle gespielt haben 268<br />

.<br />

- Vielleicht wirkten sich auch Einflüsse der griechischen Philosophie aus 269<br />

.<br />

Auf Kenntnis oder Unkenntnis der Parteien scheint es hierbei, entgegen dem Wortlaut in den Fallgeschichten,<br />

nicht angekommen <strong>zu</strong> sein 270<br />

.<br />

265<br />

266<br />

Rabel, RPR; Rabel, Origine, S. 504 ff.; Rabel, Unmöglichkeit, S. 56 f.; Medicus, SZ 86, 81 mit Quellen.<br />

Auffälligerweise verbinden die Juristen (Gai. Inst. u. ö.) die Unwirksamkeit teilweise mit der Vorausset<strong>zu</strong>ng,<br />

dass der scheinbare Gläubiger vernünftigerweise die Leistungsmöglichkeit annimmt, weil er den verkauften<br />

Menschen für einen Sklaven, der noch lebt, hält (ebenso Paul. D. 18, 1, 34, 2) oder weil er das Grundstück als<br />

eine verkehrsfähige Sache ansieht, oder weil er nicht weiß, dass die versprochene Sache ihm schon gehört. Sogar<br />

beiderseitige Unkenntnis, stipulatio inter eos qui ignoraverint (Gai. D. 44, 7, 1, 9.).<br />

Die Unwirksamkeit tritt auch ein, wenn der Gläubiger die Unmöglichkeit nicht kennt, aber kennen muss: so bei<br />

der Forderung eines Hippozentaurus oder eines unsterblichen Sklaven, die gar nicht existieren können.<br />

Wie ist es, wenn der Gläubiger die anfängliche Unmöglichkeit kennt, ist dann die Stipulation wirksam? Wahrscheinlich<br />

erst recht nicht.<br />

Paul. D. 45, 1, 35 pr.; Paul. D. 45, 1, 83, 5; Mod. D. 45, 1, 103; Cels. D. 50, 17, 185, sagen allerdings nichts über<br />

die Fehlvorstellung des scheinbaren Gläubigers (liber homo oder mortuus u. a.).<br />

Da<strong>zu</strong> nichts Erhebliches bei Medicus, SZ 86, 1969, 67 ff., "Zur Funktion der Leistungsunmöglichkeit im römischen<br />

Recht".<br />

267<br />

Vgl. G. F. Puchta, Cursus der Institutionen, 9. Aufl., hersg. v. P. Krüger, Bd. 2, Leipzig 1881, § 258, S. 299,<br />

Anm.d; S. 302, Anm. q.<br />

268<br />

Medicus, SZ 86, 70 ff.: Wäre es in Rom, wie heute, direkt Verurteilung auf Leistung gewesen: weil keine<br />

Vollstreckung, wenn Objekt nicht übereignet werden kann. Da aber in Rom Verurteilung in Geld, omnis condemnatio,<br />

weil Schät<strong>zu</strong>ng des Marktwerts schwer möglich; so Medicus, gestützt auf D. 45, 1, 103 "nec aestimatio<br />

eius praestari potest".<br />

269<br />

270<br />

Rabel, Origine, S. 494 ff.; Annahme aber reduziert von Medicus, SZ 86, 82 ff.<br />

Auffälligerweise verbinden die Juristen (Gai. Inst. u. ö.) die Unwirksamkeit teilweise mit der Vorausset<strong>zu</strong>ng,<br />

dass der scheinbare Gläubiger vernünftigerweise die Leistungsmöglichkeit annimmt, weil er den verkauften<br />

Menschen für einen Sklaven, der noch lebt, hält (ebenso Paul. D. 18, 1, 34, 2) oder weil er das Grundstück als<br />

eine verkehrsfähige Sache ansieht, oder weil er nicht weiß, dass die versprochene Sache ihm schon gehört. Sogar<br />

beiderseitige Unkenntnis, stipulatio inter eos qui ignoraverint (Gai. D. 44, 7, 1, 9.).<br />

Die Unwirksamkeit tritt auch ein, wenn der Gläubiger die Unmöglichkeit nicht kennt, aber kennen muss: so bei<br />

der Forderung eines Hippozentaurus oder eines unsterblichen Sklaven, die gar nicht existieren können.<br />

Wie ist es, wenn der Gläubiger die anfängliche Unmöglichkeit kennt, ist dann die Stipulation wirksam? Wahrscheinlich<br />

erst recht nicht.<br />

Paul. D. 45, 1, 35 pr.; Paul. D. 45, 1, 83, 5; Mod. D. 45, 1, 103; Cels. D. 50, 17, 185, sagen allerdings nichts über<br />

die Fehlvorstellung des scheinbaren Gläubigers (liber homo oder mortuus u. a.).<br />

Da<strong>zu</strong> nichts Erhebliches bei Medicus, SZ 86, 1969, 67 ff., "Zur Funktion der Leistungsunmöglichkeit im römischen<br />

Recht".<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

126


Bemerken wir, dass in diesen Zusammenhängen die Juristen kaum jemals von "unmöglich", impossibilis 271<br />

, oder<br />

von "nicht können", non possit" 272<br />

, sprechen, sondern dass sie sich mit der Darstellung des Sachverhalts begnügen.<br />

Außerhalb des Corpus Iuris erklärt das Breviar: Possibilis est, quae per rerum naturam admitti potest: impossibilis,<br />

quae non potest 273<br />

.<br />

Litis aestimatio ist nicht möglich für liber homo oder mortuum hominem odaer fundum hostium 274<br />

.<br />

Im Ergebnis also ist (in heutiger Terminologie) das stipulationsmäßige Versprechen einer von Anfang an objektiv<br />

physisch oder rechtlich unmöglichen Leistung unwirksam.<br />

b) Unvermögen (anfgl Stip)<br />

In einer spätklassischen Monographie über die Stipulation heißt es weiter:<br />

Wenn ich mir etwas habe von jemandem versprechen lassen, stipulatus sim, der die Leistung nicht<br />

erbringen kann, efficere non possit, die jedoch einem anderen möglich ist, alio possibile sit, dann ist die<br />

Verbindlichkeit richtig begründet worden, iure factam obligationem... 275<br />

Erklärung, dass ja bei subjektivem Unvermögen die Sache durchaus in rerum natura ist. Zusammenstellung bei<br />

Rabel 276<br />

.<br />

Vgl. Ven. 45, 1, 137, 4 und 5.<br />

Also das heute sogenannte anfängliche Unvermögen 277<br />

entlastet den Stipulationsschuldner auch in Rom nicht 278<br />

.<br />

Wirksam ist die Stipulation, obwohl die versprochene Sache einem <strong>Dr</strong>itten gehört oder obwohl der Schuldner<br />

wegen Geldmangels die Leistung nicht <strong>zu</strong> erbringen vermag 279<br />

. Auf diese Äußerung 280<br />

werden fast 2000 Jahre<br />

271<br />

"impossibile" (Ulp. D. 50, 17, 31); "impossibilis promissio" (C. 8, 37, 8); possibilis (Ven. D. 45, 1, 137, 5). Zu<br />

"impossibilis" Wollschläger, S. 15 f.<br />

272<br />

273<br />

274<br />

275<br />

"dari non possit/ potest" (Gai. 3, 97/ 99; Gai. D. 47, 7, 1, 9; Ven. D. 45, 1, 137, 5).<br />

PS 3, 6, 7.<br />

D. 45, 1, 103.<br />

Ven. D. 45, 1, 137, 5, Sabinus scribit. Da<strong>zu</strong> Medicus, SZ 86, 83 und 100; Wollschläger, S. 9 f. Kann vielleicht<br />

kontrovers gewesen sein, vielleicht <strong>zu</strong> einer bestimmten Zeit.<br />

276<br />

277<br />

Rabel, Origine, S. 508 ff.<br />

Medicus, SZ 86, 82 ff.: In den überlieferten Beispielsfällen kann niemand die versprochene Leistung erbringen.<br />

Der Fall, dass der Schuldner hier<strong>zu</strong> unfähig ist, andere aber das Versprechen erfüllen könnten, wird kaum<br />

erörtert.<br />

278<br />

Paul. D. 45, 1,35 pr.: Wenn ich mir etwas stipuliere, das geschehen werde, was die Natur als Ereignis nicht erlaubt,<br />

dann ist die Verbindlichkeit ebensowenig beständig... Es sei denn, es liege an dem Schuldner, dass er das<br />

Versprochene nicht machen kann.<br />

279<br />

Ven. D. 45 (!), 1, 137: § 4. Es ist nunmehr <strong>zu</strong> untersuchen, ob derjenige, welcher hundert Goldstücke <strong>zu</strong> geben<br />

versprochen hat, sogleich gehalten ist... Wie aber, wenn er das Geld weder <strong>zu</strong> Hause hat, noch sogleich einen<br />

Geldgeber findet? Doch sind dies nicht in der Natur der Sache liegende Hindernisse, sondern sie beziehen sich<br />

auf die persönliche Fähigkeit <strong>zu</strong>m Geben. Es ist aber die persönliche Fähigkeit ein Vorteil oder Nachteil für die<br />

Person und geht hingegen nicht die versprochene Sachen selbst an... Und im allgemeinen gehört die Ursache der<br />

Schwierigkeit <strong>zu</strong> dem Nachteile in der Person des Versprechenden, nicht <strong>zu</strong> den Hindernissen in der Person des<br />

Stipulationsgläubigers. Denn sonst könnte man ja so weit gehen <strong>zu</strong> behaupten, auch der könne nicht geben, welcher<br />

einen fremden Sklaven, den der Herr nicht verkaufen mag, <strong>zu</strong> geben versprochen hat.<br />

280<br />

Isbesondere D. 45, 1, 137, §§ 4 und 5.<br />

30. September 2011<br />

127


später <strong>zu</strong>erst Savigny, dann auch Friedrich Mommsen <strong>zu</strong>rückgreifen und damit den Boden für § 306 BGB vorbereiten<br />

281<br />

.<br />

c) Difficultas<br />

Verkaufter Sklave in hostium potestate: Verkauf zwar ws, aber solange keine Verurteilung des V 282<br />

.<br />

2. Kauf<br />

a) Anfängliche Unmöglichkeit (Kauf)<br />

So klar das Bild der Stipulation war - anfängliche Unmöglichkeit bedeutet Nichtigkeit -, so widesprüchlich ist<br />

die Darstellung des Kaufs:<br />

Zum Kauf-Vertrag über eine Sache, die gar nicht existiert, weil es sie nie gegeben hat oder weil sie bei Vertragsschluss<br />

bereits wieder untergegangen ist, gibt es die generalisierende Äußerung<br />

Wenn eine Einigung über den Kaufgegenstand vorgelegen hat, dieser jedoch vor Vertragsschluss untergegangen<br />

ist, ist der Kauf ungültig, nulla emptio est 283<br />

.<br />

Ausführlich wird das Ganze am Beispiel eines Hauses durchgespielt, das vor Verkauf abgebrannt ist, die domus<br />

combusta: ist es ganz abgebrannt, ist der Kauf unwirksam, ist es<br />

nur halb oder noch weniger abgebrannt, ist der Kauf wirksam etc., außerdem kommt es für Wirksamkeit,<br />

Leistungs- und Ersatzpflichten auf die Kenntnis des Verkäufers oder Käufers an 284<br />

. Ähnlich sind die klassischen<br />

Ausführungen <strong>zu</strong>m Verkauf eines Olivenhains 285<br />

.<br />

Der Verkauf einer hereditas inexistens ist unwirksam 286<br />

, während der Verkauf einer Erbschaft, die zwar existiert,<br />

aber einem <strong>Dr</strong>itten <strong>zu</strong>steht, wirksam ist, aber die Haftung des Verkäufers auslöst 287<br />

. Wohingegen der Verkauf einer<br />

nicht existenten Forderung wirksam sein soll 288<br />

.<br />

Als Erklärung für die Unwirksamkeit wegen Unmöglichkeit wird heut<strong>zu</strong>tage angeführt, dass, vielleicht ausgehend<br />

vom Barkauf, Kaufgegenstand 289<br />

und Kaufpreisvereinbarung <strong>zu</strong> den unverzichtbaren Essentialia negotii<br />

gehörten.<br />

Befand sich der verkaufte Sklave in Feindesgewalt, so war die Leistung bis <strong>zu</strong> seiner Rückkehr ausgesetzt 290<br />

.<br />

KAPITEL 20. VERKEHRSUNFÄHIGE SACHEN = RES EXTRA COMMERCIUM<br />

1. Inst. Iust. 2, 1: „außerhalb der einzelnen Vermögen<br />

= extra nostrum patrimonium“, Inst. Iust. 2, 1 pr.<br />

281<br />

282<br />

Wollschläger, S. 130.<br />

Pomp. D. 19, 1, 55; wahrscheinlich itp., aber wirkungsgeschichtlich bis Ende 19. Jh. ws.; Jakobs, S. 132 Anm.<br />

57.<br />

283<br />

Paul. D. 18, 1, 15 pr.<br />

284<br />

Paul. D. 18, 1, 57.<br />

285<br />

286<br />

287<br />

288<br />

289<br />

290<br />

Pap. D. 18, 1, 58.<br />

D. 18, 4, 8; 18, 4, 1; 18, 4, 7.<br />

Tit. D. 18, 4, 7 + 8 + 9, sowie fr. 10 - 13.<br />

D. 18, 4, 4 und 5; Medicus, Id quod interest, S. 167 f.<br />

D. 18, 1, 8 pr.: ohne Kaufgegenstand kein Kaufvertrag. Medicus, SZ 86, 95 f.; Wollschläger, S. 12.<br />

D. 19, 1, 55.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

128


2. Einzelfälle nach Gaius / Iustinian:<br />

- Inst. 2, 1, 1: allen gemeinsame Sachen, wie Luft,fließendes Wasser, Meer<br />

- Inst. 2, 1, 6: Einrichtungen in Städten, wie Theater<br />

- Inst. 2, 1, 7: Res sacrae, res religiosae, res sanctae, nämlich<br />

sakrale = geheiligte Sachen - res sacrae, insbes. Tempel, später Kirchen<br />

religiose Sachen – res religiosae, insbes. Grabstätte<br />

(wichtig in vielen Digesten-Fragmenten)<br />

sakrosankte Sachen - res sanctae, insbes. Stadtmauern und –tore.<br />

3. Die Übereignung dieser Sachen<br />

- ist nach römischem Recht unmöglich und<br />

- kann wohl nicht verlangt werden.<br />

4. Stipulation über res extra commercium war wahrscheinlich unwirksam.<br />

Die Hauptzeugnisse sind aber nicht völlig eindeutig:<br />

291<br />

292<br />

1. Dig. 44.7.1.9. Gaius 2 aur. Si id, quod dari stipulemur, tale sit, ut dari non possit, palam est naturali<br />

ratione inutilem esse stipulationem, veluti si de homine libero vel iam mortuo vel aedibus deustis facta<br />

sit stipulatio inter eos, qui ignoraverint eum hominem liberum esse vel mortuum esse vel aedes<br />

deustas esse. idem iuris est, si quis locum sacrum aut religiosum dari sibi stipulatus fuerit.<br />

Wenn eine Sache <strong>zu</strong> geben (dari) stipuliert worden ist, die nicht gegeben werden kann, dann ist aufgrund naturgemäßer Vernunft<br />

die Stipulation ohne Zweifel rechtsunwirksam. So ist es <strong>zu</strong>m Beispiel, wenn eine Stipulation über einen freien Menschen,<br />

über einen bereits verstorbenen Sklaven oder ein abgebranntes Haus abgeschlossen worden ist, falls die Beteiligen nicht<br />

gewusst haben, dass der Mensch frei, der Sklave bereits tot, das Haus abgebrannt ist. Dasselbe ist Rechtens, wenn jemand einen<br />

Tempelplatz oder einen Begräbnisplatz stipuliert hat. 291<br />

Zu bemerken, dass Gaius<br />

einschränkend schreibt, „Kenntnis der Stipulationsparteien = inter eos, qui ignoraverint eum<br />

hominem liberum esse vel mortuum esse vel aedes deustas (verbrannt) esse.“<br />

Wahrscheinlich <strong>zu</strong> argumentieren: wenn sogar Stipulation für gutgläubigen Gläubiger unwirksam ist,<br />

dann erst recht für bösgläubigen.<br />

Gaius’ Begründung: offensichtlich – nach naturgemäßer Vernunft.<br />

2. Dig. 45.1.103. Modestinus 5 pand. Liber homo in stipulatum deduci non potest, quia nec dari oportere<br />

intendi nec aestimatio eius praestari potest, non magis quam si quis dari stipulatus fuerit mortuum<br />

hominem aut fundum hostium.<br />

Zu bemerken, dass Modestin<br />

1. nur „Scheinsklaven = homo liber“ nennt, und<br />

2. dass seine beiden anderen Fälle sich der tatsächlichen Unmöglichkeit nähern,<br />

3. während die wichtigen Fälle der res publica und der res religiosa fehlen.<br />

Aber Modestin gibt Begründungen:<br />

1. Diese Stipulation betreffe keine wirkliche Verbindlichkeit,<br />

2. eine Wertschät<strong>zu</strong>ng (für den Prozess) sei nicht möglich.<br />

3. Inst. Iust. 3, 19, 1. At si quis rem quae in rerum natura non est aut esse non potest dari stipulatus<br />

fuerit, veluti Stichum, qui mortuus sit, quem vivere credebat, aut hippocentaurum, qui esse non<br />

possit, inutilis erit stipulatio.<br />

Inst. Iust. 3, 19, 2. Idem iuris est, si rem sacram aut religiosam, quam humani iuris esse credebat, vel<br />

publicam, quae usibus populi perpetuo eita sit, ut forum vel theatrum, vel liberum hominem, quem<br />

servum esse credebat, vel rem cuius commercium non habuit, vel rem suam, dari quis stipuletur... 292<br />

Nicht in Casebooks.<br />

Vgl. Gai. 3, 97 – 99.<br />

30. September 2011<br />

129


Inst. 3, 19, 1. Auch wenn jemand stipuliert hat, dass eine Sache, die in der Natur nicht existiert oder gar nicht existieren kann,<br />

gegeben werde, z. B. den Sklaven Stichus, der schon gestorben ist, den er aber für noch lebend hielt, oder einen Pferdmenschen,<br />

der gar nicht existieren kann, ist die Stipulation unwirksam.<br />

2. Dasselbe gilt, wenn jemand stipuliert, dass ihm eine geweihte Sache oder eine Begräbnisstätte, die der Stipulationsgläubiger<br />

als weltlich ansah, oder wenn eine öffentliche Sache, die auf immer dem Volksgebrauch gewidmet ist, wie der<br />

Marktplatz oder das Theater, oder wenn ein freier Mensch, den jemand für einen Sklaven hielt, oder eine Sache, deren Verwendung<br />

ihm nicht <strong>zu</strong>stand, oder seine eigene Sache, gegeben werde...<br />

Auch die Institutionen erwähnen, dass der Gläubiger gutgläubig ist.,<br />

so dass man auf das Argument angewiesen ist,<br />

dass bösgläubiger Gläubiger (d. h. welcher Kenntnis hatte)<br />

erst recht nicht wirksam stipulieren kann 293<br />

.<br />

5. Heute ist hinsichtlich Kaufvertrages unklar,<br />

- ob der Kaufvertrag unwirksam war<br />

- und/oder ob eine der Parteien gegen die andere<br />

irgendwelche Geld- oder Rückgewähransprüche hatte,<br />

- und ob es hierfür auf Kenntnis oder Unkenntnis der Parteien ankam.<br />

6. Die überlieferten Texte sprechen<br />

1. entweder generalisierend<br />

2. oder behandeln nur einen Scheinsklaven, liber homo,<br />

3. oder ein Grundstück, das in Wirklichkeit ein Begräbnisplatz ist,<br />

locus religiosus 294<br />

.<br />

7. Die heutige Unklarheit mag vielleicht<br />

aus der Entwicklung des Rechts in klassischer Zeit, aus klassischen Kontroversen<br />

oder aus nachklassischen oder byzantinischen Veränderungen (u. a. Interpolationen)<br />

<strong>zu</strong> erklären sein 295<br />

.<br />

8. Folgende Hauptstellen:<br />

1. Dig. 18, 1, 4. Pomponius 9 ad Sab. Et liberi hominis et loci sacri et religiosi, qui haberi non potest,<br />

emptio intellegitur, si ab ignorante emitur,<br />

293<br />

294<br />

D. 18, 1, 4. Auch der Kauf eines freien Menschen und eines geweihten Ortes und einer Begräbnisstätte, die man nicht besitzen<br />

kann, ist anerkannt, wenn der Käufer es nicht weiß,<br />

Dig. 18, 1, 5. Paulus 5 ad Sab. Quia difficile dinosci potest liber homo a servo.<br />

Weil ein freier Mann von einem Sklaven nur schwer unterschieden werden kann.<br />

2. Dig. 18, 1, 6 pr. Pomponius 9 ad Sab. Sed Celsus filius ait hominem liberum scientem te emere non<br />

posse nec cuiuscumque rei si scias alienationem esse: ut sacra et religiosa loca aut quorum commercium<br />

non sit, ut publica, quae non in pecunia populi, sed in publico usu habeatur, ut est campus Martius.<br />

D. 18, 1, 6 pr. Aber Celsus der Sohn sagt, dass du wissentlich einen freien Menschen nicht kaufen kannst und dass auch die<br />

Veräußerung einer anderen Sache nicht an<strong>zu</strong>erkennen sei, wenn du es weißt...<br />

Wie ist es hinsichtlich Kenntnis des Schuldners?<br />

Cels.-Pomp. D. 18, 1, 6 pr. (Umkehrschluss?); Mod. D. 18, 1, 62, 1 (emptio non teneat - ex empto tamen); Licinnius<br />

Rufinus D. 18, 1, 70 (wirksam); Iul. D. 21, 2, 39, 3 (Rechtsmangel wegen homo liber); Ulp. D. 11, 7,<br />

8, 1: a. in factum; Inst. Iust. 3, 23, 5 (frustra emit - actionem ex empto).<br />

295<br />

Heute sehr str., für Unwirksamkeit von Stipulation und Kaufvertrag, wenn auch differenzierend: Kaser I S.<br />

490, S. 549 m. Anm. 40 und 41.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

130


3. Dig. 18.1.70. Licinnius Rufinus 8 reg. Liberi hominis emptionem contrahi posse plerique existimaverunt,<br />

si modo inter ignorantes id fiat.<br />

quod idem placet etiam, si venditor sciat, emptor autem ignoret.<br />

quod si emptor sciens liberum esse emerit, nulla emptio contrahitur.<br />

Dass der Kauf eines freien Menschen gültig sein kann, war die Meinung der meisten Juristen, sofern freilich die Vertragspartner<br />

seinen Status nicht kennen. Das ist auch dann herrschende Lehre, wenn der Verkäufer davon Kenntnis hat, der Käufer sich<br />

jedoch in Unkenntnis befindet. Wenn allerdings der Käufer wusste, dass er einen Freien kaufte, kommt kein Kaufvertrag <strong>zu</strong>stande.<br />

4. Dig. 18.1.62.1. Modestinus 5 reg. Qui nesciens loca sacra vel religiosa vel publica pro privatis comparavit,<br />

licet emptio non teneat, ex empto tamen adversus venditorem experietur, ut consequatur quod<br />

interfuit eius, ne deciperetur.<br />

D. 18, 1, 62, 1. Wer unwissentlich geweihte Orte oder Begräbnisstätten oder öffentliche Plätze an Stelle von privaten gekauft<br />

hat, hat eine Kaufklage gegen den Verkäufer, obwohl der Kauf nicht wirksam ist, um Ersatz für das Interesse <strong>zu</strong> erlangen, dass<br />

er nicht getäuscht werde.<br />

5. Inst. Iust. 3, 23, 5. Loca sacra vel religiosa, item publica, veluti forum, basilicam, frustra quis sciens<br />

emit, quas tamen si pro privatis vel profanis, deceptus a venditore, emerit, habebit actionem ex<br />

empto, quod non habere ei liceat ut consequatur quod sua interest deceptum eum non esse. idem iuris<br />

est, si hominem liberum pro servo emerit.<br />

9. M. E. liefern die überlieferten Fragmente das folgende Bild 296<br />

:<br />

Gewiss für alle Varianten:<br />

keine Übereignung möglich (fraglich, ob Besitzverschaffung möglich),<br />

Gegenleistung Preis ist aber möglich,<br />

Schadenersatzpflicht des V ist auch möglich.<br />

Über Zahlungsanspruch des V gegen K wird nichts gesagt.<br />

296<br />

1. Nach Theorie I: immer unwirksam; arg. 18, 1, 70 Satz 1: „plerique ... placet“.<br />

2. Nach Theorie II kommt es auf Kenntnis von V und K an:<br />

1. Wenn es V nicht weiß und wenn K nicht weiß: wirksam; 18, 1, 70 Satz 1.<br />

(2. Wenn es V nicht weiß und K weiß, unwirksam).<br />

3. Wenn es V weiß und wenn K weiß: unwirksam; 18, 1, 70 Satz 3.<br />

4. Ohne Hinweis auf Unkenntnis oder Kenntnis des V, aber wenn K weiß,<br />

unwirksam: 18, 1, 6 pr.; Inst. Iust. 3,23, 5.<br />

5. Wenn es V weiß und wenn K nicht weiß: wirksam; 18, 1, 70 Satz 2;<br />

6. Ohne Hinweis auf Unkenntnis oder Kenntnis des V, aber wenn K nicht weiß,<br />

wirksam: 18, 1, 4 und 5.<br />

Einfacher:<br />

1., 5., 6. Wenn K nicht weiß: wirksam,<br />

2., 3., 4. Wenn K weiß: unwirksam.<br />

3. Nach „vermittelnder“, III., Theorie:<br />

Kaufvertrag ist in jedem Fall unwirksam.<br />

Aber trotzdem a. empti K gegen V, wenn V weiß und K nicht weiß; 18, 1, 62, 1;<br />

s. auch Inst. Iust. 3, 23, 5: frustra...emit.<br />

Damit weitgehend übereinstimmend: Kauf einer gestohlenen Sache, Pomp.-Paul. D. 18, 1, 34, 3: (a) wenn nur<br />

Verkäufer Kenntnis hatte, ist wirksam. (b) Wenn beide Kenntnis haben, ist unwirksam. (c) Wenn nur Käufer<br />

Kenntnis hatte, im Ergebnis ebenfalls unwirksam.<br />

30. September 2011<br />

131


10. Anspruch des Käufers gegen den Verkäufer auf<br />

- negatives Interesse oder<br />

- positives Interesse oder<br />

- Rückgewähr schon gezahlten Kaufpreises,<br />

je nach Kenntnis oder Unkenntnis des Käufers oder Verkäufers.<br />

11. Anspruch des Verkäufers eventuell auf Rückgewähr der Sache?<br />

12. Es gibt eine Reihe von Texten,<br />

die anscheinend die Abwicklung meinen, falls V an K bereits übertragen hatte:<br />

1. Dig.21.2.39.3. Iulianus 57 dig. Pater sciens filium suum quem in potestate habebat ignoranti emptori<br />

vendidit: quaesitum est, an evictionis nomine teneatur. respondit: qui liberum hominem sciens vel<br />

ignorans tamquam servum vendat, evictionis nomine tenetur: quare etiam pater, si filium suum tamquam<br />

servum vendiderit, evictionis nomine obligatur.<br />

D. 21, 2, 39, 3. Iul. 57 dig. Ein Vater hat wissentlich seinen Sohn, den er in seiner Gewalt hat, an einen Käufer, der dies nicht<br />

wusste, verkauft. Es fragt sich, ob er wegen Rechtsmangels (evictionis nomine) hafte. Der Jurist antwortete, wer wissentlich<br />

oder unwissentlich einen freien Menschen als Sklaven verkauft, hafte wegen Rechtsmangels. Daher werde der Vater, wenn er<br />

seinen Sohn als Sklaven verkauft hat, auf Grund Rechtsmangels verpflichtet.<br />

Rechtsmängelhaftung des V bei Unkenntnis des K.<br />

6. Dig. 11.7.8.1. Ulpianus 25 ad ed. Si locus religiosus pro puro venisse dicetur, praetor in factum actionem<br />

in eum dat ei ad quem ea res pertinet: quae actio et in heredem competit, cum quasi ex empto<br />

actionem contineat.<br />

Actio in factum, anscheinend für den Käufer gegen den Verkäufer.<br />

13. Im modernen Recht und in modernen Lehrbüchern <strong>zu</strong>m römischen Recht 297<br />

meistens abgehandelt unter<br />

Gesichtspunkt der „(anfänglichen) rechtlichen Unmöglichkeit“.<br />

Aber anscheinend hatten römische Juristen nicht diesen hohen Abstraktionsgrad.<br />

KAPITEL 21. ANFÄNGLICHES SUBJEKTIVES UNVERMÖGEN<br />

Das Rechtsgeschäft ist wirksam, selbst wenn Verkäufer nicht Eigentümer der Sache ist<br />

oder wenn er persönlich sie nicht liefern kann 298<br />

.<br />

KAPITEL 22. NACHTRÄGLICHE UNMÖGLICHKEIT<br />

Welche Rechtsfolge, wenn nach Vertragsschluss z. B. der verkaufte Sklave nicht mehr geliefert werden kann?<br />

Muss Verkäufer Schadenersatz leisten? Oder muss Käufer zahlen, ohne Sache <strong>zu</strong> erhalten?<br />

1. Frage stellt sich nur, wenn Kaufvertrag wirklich "perfekt" ist,<br />

nicht z. B. bei aufschiebend bedingtem Kauf (wohl aber bei auf-lösender Bedingung).<br />

2. Maßgeblich in erster Linie Parteivereinbarung<br />

oder besondere Handelsbräuche, z. B. beim Weinverkauf.<br />

297<br />

298<br />

Kaser/Knütel § 34.2.<br />

K I S. 549: Ulp. D. 18, 1, 28; Paul. D. 19, 1, 46. Zur gestohlenen Sache aber Paul. D. 18, 1, 34, 3.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

132


3. Wenn keine spezielle Vereinbarung, dann in Rom:<br />

Keine Haftung des Verkäufers für höhere Gewalt nach römischem Recht, vis maior, nämlich<br />

Schiffbruch, Feuer, bewaffnete Banden, natürlicher Tod des verkauften Sklaven.<br />

Verkäufer braucht nicht mehr <strong>zu</strong> leisten, wird von Leistungspflicht frei, keine Ersatzpflicht,<br />

also trägt Käufer die Leistungsgefahr (wie heute).<br />

4. Der Käufer muss trotzdem zahlen,<br />

er trägt außerdem die Preisgefahr = Gegenleistungsgefahr.<br />

Insoweit gilt die Regel:<br />

Die Gefahr trägt in Rom der Käufer, periculum emptoris. Wichtige Maxime des römischen Rechts,<br />

sehr wichtiger Unterschied <strong>zu</strong>m BGB (§ 446 a. F.).<br />

5. Anders als das moderne Recht,<br />

und wesentliche Einschränkung der Gefahrtragungslast des Käufers,<br />

ist die weitere Regel in Rom, dass der Verkäufer für "Wachsamkeit", custodia, haftet,<br />

genauer wohl: dass dem Verkäufer die Garantie für den Erfolg der Wachsamkeit obliegt 299<br />

.<br />

Es müsste eine derartige Sorgfalt ... wie sie ein allersorgfältigster Familienvater<br />

für seine Sachen anwendet, beachtet werden,<br />

talis diligentia,.. quam quisque diligentissimus paterfamilias<br />

suis rebus adhibet.<br />

Das bedeutet nicht, dass wirklich geprüft wird, ob der Verkäufer die Sache nicht genügend bewacht hätte.<br />

Sondern Haftung des Verkäufers für typische Risiken, wie<br />

- Diebstahl der verkauften Sache, oder<br />

- Flucht des verkauften Sklaven.<br />

Umgekehrt ist keine custodia-Haftung gegeben z. B. bei Feuersbrunst, Aufruhr, Räuberbanden<br />

oder Feinden 300<br />

.<br />

Wenn aber die Unmöglichkeit der Leistung nach Vertragsschluss<br />

auf custodia-Mangel in diesem Sinne beruht,<br />

dann gilt NICHT periculum emptoris, sondern:<br />

Käufer braucht nicht <strong>zu</strong> zahlen, aber auch keine Ersatzpflicht des Verkäufers.<br />

Aber Eintritt der custodia-Haftung des Verkäufers führt nur da<strong>zu</strong>,<br />

dass Verkäufer keinen Kaufpreis erhält,<br />

führt nicht etwa <strong>zu</strong> einer Schadenersatzpflicht des Verkäufers wegen Verlet<strong>zu</strong>ng der custodia.<br />

6. Nachträglich vom Verkäufer verschuldete Unmöglichkeit,<br />

d. h. mit Vorsatz, dolus, oder Fahrlässigkeit, culpa (im engeren Sinne):<br />

Schadenersatzpflicht des Verkäufers 301<br />

(wie §§ 280 ff. n. F.),<br />

im einzelnen – wie nicht anders <strong>zu</strong> erwarten - kontrovers 302<br />

.<br />

299<br />

300<br />

301<br />

302<br />

K I 506 ff., 508/39, 551: D. 18, 6, 3 und 4 etc.<br />

K I S. 508/31: Gai. D. 13, 6, 18 pr.<br />

D. 19, 1, 1 pr.<br />

Vgl. z. B. D. 19, 1, 54 pr.<br />

30. September 2011<br />

133


6. Also in diesem Zusammenhang Probleme der<br />

- Unmöglichkeit, und zwar der nachträglichen,<br />

- Gefahrtragung, periculum emptoris,<br />

Leistungsgefahr / Preisgefahr,<br />

- custodia-Haftung des Verkäufers<br />

- "Vertretenmüssen".<br />

7. Lesen Sie Inst. 3, 23, 3<br />

1. Was verstehen die Institutionen unter dem periculum rei venditae?<br />

2. Wen trifft dieses periculum?<br />

3. Wann geht die Gefahr über?<br />

4. Welche Regel ist <strong>zu</strong> vermuten, falls den Verkäufer Vorsatz oder Fahrlässigkeit,<br />

dolus oder culpa, an der Verschlechterung oder dem Untergang der Kaufsache trifft?<br />

5. Was gilt vor dem Gefahrübergang?<br />

6. Was versteht das BGB unter Gefahrtragung?<br />

7. Wie regelt das BGB die Gefahrtragung? Warum?<br />

Ausdrücke<br />

Casus Zufall, Fall, Ereignis<br />

culpa Schuld allgemein, Fahrlässigkeit<br />

custodia Bewachung, besondere Haftung<br />

diligentia Sorgfalt<br />

diligentia quam suis rebus adhibere solet Sorgfalt in eigenen Angelegenheit<br />

dolus Arglist, Vorsatz<br />

periculum Gefahr.<br />

KAPITEL 23. KAUFKLAGE = ACTIO EMPTI<br />

1. Klage des Käufers gegen Verkäufer hauptsächlich auf Lieferung, a. empti.<br />

Musterformel im prätorischen Edikt: „Weil der Kläger Aulus Agerius von dem Beklagten Numerius Negidius<br />

den Sklaven Stichus gekauft hat, was deswegen Numerius Negidius dem Aulus Agerius geben und tun<br />

muss nach guter Treue, da<strong>zu</strong>, Richter, verurteile den Numerius Negidius <strong>zu</strong> Gunsten des Aulus Agerius,<br />

andernfalls sprich ihn frei“.<br />

Quod Aulus Agerius de Numerio Negidio hominem Stichum emit, quidquid ob eam rem Numerium Negidium<br />

Aulo Agerio dare facere opertet ex fide bona, eius iudex Nm. Nm. Ao. Ao. condemnato, si non paret,<br />

absolvito 303<br />

.<br />

2. Vor allem gerichtet auf Lieferung der Ware.<br />

KAPITEL 24. RECHTSMÄNGEL<br />

1. Käufer hat Anspruch gegen Verkäufer auf Besitzverschaffung an der verkauften Sache,<br />

actio empti,aber keinen Anspruch auf Eigentumsverschaffung 304<br />

.<br />

303<br />

K I 551/48.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

134


2. Kaufvertrag über fremde Sache ist grundsätzlich (schuldrechtlich) wirksam.<br />

3. Wenn der Verkäufer dem Käufer den Besitz an der Sache nicht beschafft<br />

oder auch nicht beschaffen kann, weil sie einem anderen gehört oder weil er sie nicht in Besitz hat,<br />

schuldet er Schadenersatz<br />

- wegen anfänglichen Unvermögens<br />

- oder gegebenenfalls wegen nachträglicher Unmöglichkeit in den Fällen des Verschuldens<br />

- oder auch wegen Schuldnerver<strong>zu</strong>ges, mora.<br />

4. Kein sogenanntes Verschaffungsprinzip.<br />

Infolgedessen kein Anspruch des Käufers mit der bloßen Begründung,<br />

dass der Käufer nicht Eigentümer geworden sei.<br />

5. Aber umgekehrt ist Haftung wegen Rechtsmängeln im römischen Recht besonders wichtig,<br />

weil kein gutgläubiger Erwerb (sondern nur Ersit<strong>zu</strong>ng, aber diese gerade nicht an gestohlenen Sachen).<br />

304<br />

305<br />

306<br />

307<br />

308<br />

309<br />

310<br />

Wenn dem Käufer der ungestörte Besitz und Genuß auf Grund dinglichen Rechts<br />

mittels dinglicher Klage, actio in rem, entzogen wurde, „evictus fuerit“,<br />

z. B. auf Grund Eigentums oder Pfandrechts eines <strong>Dr</strong>itten,<br />

dann Rechte aus verschiedenen Wurzeln, sogenanntes Eviktionsprinzip.<br />

1. Actio auctoritatis (nicht mehr in den Digesten) auf den doppelten Preis, duplum,<br />

wenn res mancipi verkauft und manzipiert und Preis bezahlt oder kreditiert wurde 305<br />

.<br />

2. Stipulationsklage in Form der condictio, wenn Verkäufer bei Kaufvertrag<br />

besonderes Haftungsversprechen mittels Stipulation abgegeben hat.<br />

Dabei aber sorgfältig auf den Inhalt der Stipulation achten:<br />

1. entweder stipulatio duplae, der a. auctoritatis nachgestaltet,<br />

2. oder Stipulation der erlaubten Innehabung, stipulatio habére licére,<br />

ursprüngliches Anwendungsgebiet vielleicht res nec mancipi,<br />

3. oder Stipulation 306<br />

, dass Verkäufer dem Käufer das Eigentum verschaffen werde 307<br />

.<br />

Praktischer Vorteil der Stipulationen: ausdrückliche und ziemlich genau umschriebene<br />

Haftung des V,<br />

praktischer Nachteil: erfordert ausdrückliches Rechtsgeschäft.<br />

3. Auf Grund der bona-fides-Klausel der actio empti 308<br />

, und zwar<br />

1. man könnte sagen als "Nachholeklage" in bestimmten Fällen 309<br />

Klage auf Abschluss der stipulatio duplae oder der stipulatio habere licere 310<br />

.<br />

2. Direkt auf Schadenersatz 311<br />

K I S. 550: D. 18, 1, 25, 1; 19, 1, 11 pr. - 2; 19, 1, 30, 1; 19, 4, 1 pr.<br />

K I § 131 I 2.<br />

Dieses ist wohl Rabels "stipulatio simpla".<br />

Ulp. D. 18, 1, 25, 1.<br />

Iul. D. 21, 2, 8; Iul.-Afr. D. 19, 1, 30, 1; Iav. D. 21, 2, 60.<br />

Ulpl. D. 21, 2, 37, 1 (res pretiosiores); Gai. D. 21, 2, 6 (Grundstücksgeschäfte je nach Region).<br />

Quellen bei Honsell, S. 21 f.<br />

30. September 2011<br />

135


1. immer bei Arglist des Verkäufers bei Vertragsschluß,<br />

insbesondere wenn er wissentlich fremde oder belastete Sache verkauft hat 312<br />

,<br />

2. bei formloser Zusicherung der Freiheit von Rechtsmängeln,<br />

auch wenn hierfür nicht die Form der Stipulation,<br />

3. seit Iulian (etwa 150 n. Chr.) in allen Eviktionsfällen,<br />

auch ohne Arglist, Stipulation oder Zusicherung.<br />

6. Parteien können Rechtsmängelhaftung vertraglich ausschließen 313<br />

.<br />

Keine Haftung des Verkäufers, wenn Käufer Mangel kannte.<br />

7. Digesten Buch 21, Titel 2, Fragment 8. Iulian im 15. Buch der Digesten. Der Verkäufer eines Sklaven muß<br />

dem Käufer soviel Ersatz leisten, wie sein Interesse daran beträgt, dass der Sklave im Eigentum des Verkäufers<br />

gestanden hat. Deswegen kann man auf Grund des Kaufvertrages klagen, wenn ein Sklavenkind<br />

oder eine Erbschaft, die der Sklave auf Anordnung des Käufers angetreten hat, evinziert worden ist. Und<br />

ebenso wie der Verkäufer verpflichtet ist, für den ungestörten Besitz an dem Sklaven, den er verkauft hat,<br />

ein<strong>zu</strong>stehen, so muß er dem Käufer auch für den Besitz jener Sachen einstehen, die durch jenen erworben<br />

werden konnten.<br />

D. 21, 2, 8 (Iulianus libro quinto decimo digestorum). Venditor hominis emptori praestare debet, quanti<br />

eius interest hominem venditoris fuisse. quare sive partus ancillae sive hereditas, quam servus iussu emptoris<br />

adierit, evicta fuerit, agi ex empto potest: et sicut obligatus est venditor, ut praestet licere habere<br />

hominem quem vendidit, ita ea quoque quae per eum adquiri potuerunt praestare debet emptori, ut habeat.<br />

Zur Erklärung: der partus ancillae ist ein Sklavenkind.<br />

Besondere Fragen <strong>zu</strong> dieser Stelle<br />

1. In wessen Eigentum muß der verkaufte Sklave gestanden haben, in welchem Zeitpunkt?<br />

2. In wessen Eigentum steht nach Ihrer Ansicht ein Sklavenkind?<br />

3. Wofür muß der Verkäufer einstehen, wofür nicht?<br />

4. Was bedeutet es, dass der Verkäufer für einen bestimmten Umstand einstehen muß, praestare debet?<br />

KAPITEL 25. SACHMÄNGEL<br />

Rechtsgrundlagen für die römische Sachmängelhaftung 314<br />

1. Ursprünglich Haftung für <strong>zu</strong>gesicherte Grundstücksgröße, actio de modo agri;<br />

in den Digesten geringere Bedeutung.<br />

2. Stipulationsklage auf Grund besonderen Haftungsversprechens des Verkäufers<br />

für Fehlerfreiheit der Sache 315<br />

.<br />

3. Auf Grund des Edikts der kurulischen Ädilen 316<br />

, beim Marktkauf von Sklaven oder Zugtieren,<br />

311<br />

312<br />

313<br />

314<br />

315<br />

316<br />

"Interessefunktion" der a. empti, nach Rabel.<br />

Iul.-Afr. D. 19, 1, 30, 1.<br />

S. auch D. 21, 2, 37 pr.<br />

K I S. 557 ff.; K, Ausgewählte Schriften II, 313ff.<br />

Ulp. D. 21, 2, 31.<br />

D. 21, 1, 1, 1: Aiunt aediles: Qui mancipia vendunt certiores faciant emptores quid morbi vitiive cuique sit,<br />

quis fugitivus errove sit noxave solutus non sit....sive adversus quod dictum promissumve fuerit cum veniret,<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

136


sogen. ädilizische Rechtsbehelfe,<br />

mit Alternative nach Wahl des Käufers<br />

1. Klage des Käufers auf Abschluss einer Garantiestipulation,<br />

mittels deren Verkäufer für Abwesenheit von Mängeln garantiert 317<br />

.<br />

Falls sich dann später entegegen Garantie Mangel zeigt,<br />

hat K Stipulationsklage gegen V.<br />

2. Auch ohne Garantiestipulation,<br />

falls sich nach Kauf Mangel zeigt,<br />

steht dem K wiederum Alternative offen, K kann klagen entweder auf<br />

1. Wandlung, actio redhibitoria, oder auf<br />

2. Minderung, actio quanti minoris,<br />

und zwar<br />

1. wegen Nichtanzeige bestimmter Mängel,<br />

z. B. Kankheiten des verkauften Sklaven oder Tieres, oder<br />

2. unrichtiger Erklärungen 318<br />

oder<br />

3. sonstiger Arglist des Verkäufers.<br />

4. Actio empti auf Schadenersatz, und zwar<br />

1. immer bei Arglist des Verkäufers bei Vertragsschluß,<br />

insbesondere wenn er wissentlich fehlerhafte Sache verkauft hat,<br />

2. bei formloser Zusicherung<br />

- der Fehlerfreiheit der Ware oder<br />

- sonstiger Umstände 319<br />

,<br />

5. Seit Iulian (etwa 150 n. Chr.) a. empti zwecks Wandlung oder Minderung ohne Verschulden,<br />

auch auf Grund Kaufes anderer Sachen als Sklaven oder Zugtiere, auch außerhalb Marktes.<br />

Als Sachmangel (!) eines Sklaven gilt u. a. die Belastung mit einer Noxalhaftung wegen unerlaubter Handlung<br />

(s. u.).<br />

Digesten Buch D. 19, Titel 1, Fragment 13, am Anfang. Ulpian im 32. Buch des Kommentars <strong>zu</strong>m Edikt. Iulian<br />

unterscheidet im 15. Buch bezüglich der Verurteilung aus der Kaufklage zwischen demjenigen, der wissentlich,<br />

und demjenigen, der unwissentlich eine mangelhafte Sache verkauft hat. Er sagt nämlich, wenn jemand ein<br />

krankes Tier oder einen faulen Balken verkauft und dieses unwissentlich getan hat, müsse er nur soviel auf<br />

Grund der Kaufklage leisten, wie ich weniger bezahlt hätte, wenn ich die Sachlage gekannt hätte. Wenn aber der<br />

Verkäufer wissentlich geschwiegen und den Käufer getäuscht hat, müsse er alle Schäden ersetzen, die der Käufer<br />

auf Grund des Kaufes erlitten hat: Wenn also ein Haus wegen des Fehlers des Balken eingestürzt ist, muß der<br />

Schätzwert des Hauses gezahlt werden, oder wenn Vieh durch Ansteckung mit dem kranken Tier gestorben ist,<br />

muß das gezahlt werden, was es wert gewesen wäre, dass gesunde Tiere verkauft werden.<br />

fuisset, quod eius praestari opportere dicetur, emptori ... iudicium dabimus ... hoc amplius si quis adversus ea<br />

sciens dolo malo vendidisse dicetur..."<br />

317<br />

318<br />

319<br />

Weitere Einzelheiten Kaser-Knütel § 41 Rdnr. 43.<br />

D. 21, 1, 19, 2: Dicta et promissa. Dieses dictum in venditione <strong>zu</strong> unterscheiden vom dictum in mancipio.<br />

ZB D. 19, 1, 53 pr.: Erklärung des Grundstücksverkäufers über Mietzinseinnahmen.<br />

30. September 2011<br />

137


D 19, 1, 13 pr. (Ulpianus libro trigesimo secundo ad edictum). Iulianus libro quinto decimo inter eum, qui sciens<br />

quid aut ignorans vendidit, differentiam facit in condemnatione ex empto: ait enim, qui pecus morbosum aut tignum<br />

vitiosum vendidit, si quidem ignorans fecit, id tantum ex empto actione praestaturum, quanto minoris essem<br />

empturus, si id ita esse scissem: si vero sciens reticuit et emptorem decepit, omnia detrimenta, quae ex ea<br />

emptione emptor traxerit, praestaturum ei: sive igitur aedes vitio tigni corruerunt, aedium aestimationem, sive<br />

pecora contagione morbosi pecoris perierunt, quod interfuit idonea venisse erit praestandum.<br />

Text: D. 19, 1, 13 pr.<br />

Ausdrücke<br />

Actio quanti minoris Minderungs-klage und -anspruch<br />

a. redhibitoria Wandlungs-klage und -anspruch.<br />

KAPITEL 26. EXKURS: SCHENKUNG = DONATIO 320<br />

1. Die Schenkung ist in allen Rechtsordnungen einerseits besonders wichtig;<br />

andererseits leicht verdächtig, weil scheinbar ohne Gegenleistung;<br />

und schließlich gefährlich wegen der Gefahr der später bereuten Augenblicksentscheidung.<br />

2. Im klassischen römischen Recht kein eigentlicher Vertragstyp 321<br />

,<br />

häufiger Fehler der Studierenden, die Schenkung in einem Digestenfragment als „Vertrag“ <strong>zu</strong> behandeln,<br />

sondern eine „Zuwendung“ (Kaser).<br />

1. Ausgangsfall für die „Zuwendung“ ist die Übereignung einer Sache.<br />

2. Zuwendung kann auch Vorgang des Obligationenrechts sein wie<br />

Leistungsversprechen in Stipulationsform,<br />

Abtretung einer Forderung (meistens im Wege der Delegation),<br />

Erlass, Zahlung einer fremden Schuld,<br />

3. oder sonstiger rechtlicher Vorgang wie Ausschlagung einer Erbschaft,<br />

4. oder tatsächlicher Vorgang wie Bewirtschaftung eines Landguts, Gebäudeerichtung.<br />

3. Zuwendung muss unentgeltlich sein, da<strong>zu</strong> animus donandi des Schenkers 322<br />

.<br />

4. Aber wichtig als Rechtsgrund<br />

1. für das Behaltendürften einer Leistung,<br />

gewissermaßen <strong>zu</strong>r Abwehr einer condictio indebiti.<br />

2. Wichtig auch als Rechtsgrund im Sachenrecht<br />

- für die traditio und<br />

- für die Ersit<strong>zu</strong>ng „pro donato“ (s. u.).<br />

- Auch mancipatio 323<br />

und in iure cessio 324<br />

konnten von früher Zeit an auch <strong>zu</strong>m Zwecke einer Schenkung erfolgen.<br />

5. Sehr streng beachtetes Schenkungsverbot unter Ehegatten<br />

320<br />

321<br />

K I § 140, S. 601 ff.<br />

Kaser-Knütel § 47/3 – 5: Daher fraglich die Einordnung in das System. Bei Justinian das Schenkungsversprechen<br />

als selbständig obligierender, durch Konsens begründeter contracatus, pactum legitimum. – M. E. könnte<br />

man vielleicht bei Konstantin einen Realakt annehmen, vielleicht.<br />

322<br />

323<br />

324<br />

K I § 58 I 4,S. 237; § 140 I 1, S. 601.<br />

K I § 9 III 1, S. 46; § 33 I 2, S. 133.<br />

K I § 10, S. 49.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

138


(an uxor in manu ohnehin praktisch unwirksam).<br />

6. Strenge Formvorschriften in nachklassischer Zeit durch Konstantin 325<br />

.<br />

7. Schenkung konnt mit einer Auflage an den Beschenkten verbunden werden 326<br />

.<br />

8. Schenkungs-Versprechen in klassischer Zeit nur als Stipulation wirksam.<br />

Ausdruck<br />

donare schenken.<br />

KAPITEL 27. LOCATIO CONDUCTIO 327<br />

1. Zustandekommen der locatio conductio, Inst. Iust. 3, 24 pr. Daher welcher Kontraktstyp?<br />

2. Gegenstände der locatio conductio.<br />

3. Worin stimmen Mietvertrag und Dienstvertrag (im modernen Sinne) überein?<br />

Worin unterscheiden sie sich?<br />

4. Worin stimmen Dienstvertrag und Werkvertrag (im modernen Sinne) überein?<br />

Worin unterscheiden sie sich?<br />

5. In Rom kein begrifflicher Unterschied zwischen Miete und Pacht.<br />

6. Der Vermieter stellt die Sache <strong>zu</strong>r Verfügung, daher locator und actio locati.<br />

7. Der Mieter führt die Mietsache mit sich fort, daher conductor und actio conducti.<br />

8. Begründet die locatio conductio ein dingliches Recht?<br />

9. Haftung des Vermieters / locataor für Sach- und Rechtsmängel.<br />

1 einheitlicher Vertragstyp, vereinigt in sich<br />

Miete und Pacht,<br />

Werkvertrag<br />

Dstvertrag.<br />

Locare = Hinstellen, conducere = mit sich mitführen,<br />

daher: Vermieter = locator, Mieter = conductor;<br />

Wohnungsmieter = inquilinus;<br />

Mietshaus = insula.<br />

Verpflichtung des locator, dem conductor die Sache für die Vertragszeit <strong>zu</strong>m Gebrauch und ggf. <strong>zu</strong>r Nut<strong>zu</strong>ng <strong>zu</strong><br />

überlassen und sie in dem dafür tauglichen Zustand erhalten. Bei schuldhafter Nichterfüllung: Schadenersatz,<br />

insbesondere, wenn <strong>Dr</strong>itter die Sache vom conductor evinziert.<br />

Werkbesteller = locator, W.-Unternehmer = conductor,<br />

Dienstleistender = locator, Dienstherr = conductor,<br />

325<br />

Kaser-Knütel § 7/28: wohl 323 n. Chr.: Beurkundung, Registrierung der Urkunde, Übergabe der Sache vor<br />

Nachbarzeugen.<br />

326<br />

Kaser I § 61 III, S. 259: Eine Schenkung kann mit einer Auflage verbunden werden, manchmal als condicio<br />

oder modus bezeichnet, etwa durch eine Abrede bei der mancipatio oder durch besondere stipulatio. Bei Verstoß<br />

gegen die Auflage manchmal condictio ob rem dati auf Rückgewähr der Schenkung. Gelegentlich actio utilis für<br />

Begünstigten gegen Beschenkten.<br />

327<br />

K I S. 563.<br />

30. September 2011<br />

139


se locare, operas suas locare = sich verdingen.<br />

Entgelt schuldet der conductor aus Miet- oder Dienstvertrag,<br />

der locator aus Werkvertrag.<br />

Entsprechende Klagen:<br />

a. locati des Vermieters, Dienstleistenden oder W.-Bestellers,<br />

a. conducti des Mieters, Dienstherrn, W.-Unternehmers.<br />

Mieter und Pächter sind in Rom nicht Besitzer i. e. S., also nicht possessor.<br />

Sie haben die Sache bloß inne, detenire, detentor.<br />

Infolgedessen kein Besitzschutz des Mieters oder Pächters durch Interdikte in Rom<br />

(umgekehrt werden gegen sie bei unberechtigter Besitzanmaßung Interdikte gewährt).<br />

"Logischerweise" folgt daraus Antwort auf die folgenden Fragen:<br />

1. Kann locator als Eigentümer wirksam verkaufen?<br />

2. ... übereignen?<br />

3. ... verpfänden (kein Unterschied in Rom zwischen Verpfändung bewegliche Sachen und Grundstücke)?<br />

4. Kann das conductor gegenüber locator verhindern?<br />

5. ... gegenüber <strong>Dr</strong>itten als neuem Eigentümer oder Pfandgläubiger?<br />

6. Zwischen wem ist ursprünglich die locatio conductio vereinbart worden?<br />

7. Ändern sich die Parteien der locatio conductio infolge Rechtsgeschäfts des Eigentümers mit <strong>Dr</strong>itten?<br />

8. Welche Rechte hat <strong>Dr</strong>itter als neuer Eigentümer oder Pfandgläubiger gegenüber condcutor?<br />

9. Jedenfalls hat conductor kein Verteidigungsrecht, z. B. keine exceptio, gegenüber <strong>Dr</strong>itten.<br />

10. Anspruch conductor gegenüber locator?<br />

In welchem Sinne kann man sagen: „Kauf bricht Miete“ in Rom?<br />

Übereignung des Mietobjekts vom Vermieter=Verkäufer führt da<strong>zu</strong>, dass neuer Eigentümer auf Grund seines<br />

Eigentums dem Mieter das Mietobjekt entziehen kann, weil neuer Eigentümer nicht durch Mietvertrag gegenüber<br />

dem Mieter verpflichtet ist.<br />

Aber ist Mieter völlig rechtlos?<br />

Digesten Buch 19, Titel 2, Fragment 25, Paragraph 1. Gaius im zehnten Buch des Kommentars <strong>zu</strong>m Provinzialedikt.<br />

Wer einem anderen ein Grundstück <strong>zu</strong>r Fruchtziehung verpachtet oder eine Wohnung vermietet hat und später<br />

aus irgendeinem Grund das Grundstück oder Gebäude (an einen <strong>Dr</strong>itten) verkauft, muß dafür sorgen, dass auch<br />

beim Käufer <strong>zu</strong> derselben Vereinbarung dem Pächter die Fruchtziehung und dem Mieter das Wohnen erlaubt ist.<br />

Andernfalls, wenn dem Pächter oder Mieter dieses (von dem Käufer) verboten wird, klagt er gegen den (ursprünglichen)<br />

Vermieter auf Grund des Pacht- oder Mietvertrages.<br />

Fragen <strong>zu</strong> D. 19, 2, 25, 1<br />

1. Meint hier Gaius nur den Verkauf oder auch die Übereignung an den emptor?<br />

2. Von wem könnte dem Pächter oder Mieter etwas verboten werden?<br />

3. Müßten Pächter oder Mieter dem Verbot gehorchen?<br />

4. Wieso könnten diese ex conducto gegen den locator klagen?<br />

5. Welche Rat gibt deswegen der Jurist?<br />

Privatrechtsgeschichte der Neuzeit<br />

1. Älteres deutsches Recht teilweise: "Heuer (im Sinne von Miete) geht vor Kauf",<br />

d. h. "Kauf bricht nicht Miete".<br />

2. Ähnlich wie älteres deutsches Recht: ALR.<br />

3. BGB I. Entwurf (mit Motiven) wie römisches Recht; dann Kritik, vor allem Gierke;<br />

daraufhin II. Entwurf <strong>zu</strong> § 571 BGB a. F. = § 566 n. F.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

140


colonus Pächter<br />

inquilinus Mieter<br />

insula Mietshaus<br />

KAPITEL 28. PERSONENVERBINDUNGEN, INSB. GESELLSCHAFT = SOCIETAS<br />

Societas Inst. 3, 25.<br />

Rechtsmaximen<br />

Communio mater rixarum. Gemeinschaft ist die Mutter von Streit.<br />

Tres faciunt collegium. <strong>Dr</strong>ei Leute bilden einen Verein (heute: fünf).<br />

Ausdrücke<br />

Actio communi dividundo Teilungsklage<br />

actio pro socio Gesellschafterklage<br />

collegium Verein<br />

communio Gemeinschaft, Miteigentum<br />

publicanus Staatspächter, meistens in Gesellschaften, societas publicanorum<br />

societas Gesellschaft<br />

universitas Personengesamtheit; Sachgesamtheit, Vermögen.<br />

KAPITEL 29. AUFTRAG = MANDATUM<br />

1. Auch der Auftrag hat im römischen Recht schon weitgehend dieselbe Ausgestaltung wie noch im BGB<br />

(außerdem Funktion der modernen Geschäftsbesorgungsverträge,<br />

auch diese in Rom ohne Gegenleistung).<br />

2. Auftrag ist Konsensualkontrakt 328<br />

; Institutionen 3, 22 pr.; unentgeltlich:<br />

Mandatum nisi gratuitum nullum est. Ein Auftrag, der nicht unentgeltlich ist, ist unwirksam.<br />

3. Tätigkeiten aller Art, s. Anwendungs- und Beispielsfälle Inst. 3, 26, 1 – 5. Häufig<br />

- sogenannte mittelbare Stellvertretung,<br />

- Eintritt des Beauftragten als Bürge für Auftraggeber,<br />

- Kreditgewährung des Beauftragten an <strong>Dr</strong>itte,<br />

- Einziehung einer Forderung durch Beauftragten für Auftraggeber.<br />

4. Nicht als Auftrag sind anerkannt:<br />

- unverbindlicher Rat, consilium, oder<br />

- Maßnahme im alleinigen Interesse des scheinbar Beauftragten, tua gratia,<br />

- oder Versprechen der Gegenleistung.<br />

5. Keine Mandatsverpflichtung, wenn gegen gute Sitten, contra bonos mores; Inst. 3, 26, 7 329<br />

.<br />

Kein rechtswirksamer Auftrag bei Sittenwidrigkeit, rei turpis nullum mandatum est 330<br />

.<br />

328<br />

329<br />

330<br />

Widerruf durch Mandanten bis <strong>zu</strong>m Beginn der Ausführung, u. a. Ulp. D. 15, 4, 1, 2; u. ö.<br />

Inst. 3, 26, 7; vgl. 3, 19, 24; Gai. 3, 157.<br />

Dig.17, 1, 63.<br />

30. September 2011<br />

141


6. Rechtslagen bei Auftragsüberschreitung?<br />

1. bei Erwerbsauftrag oder Verbürgung, Schulenstreit, Inst. 3, 26, 8<br />

ob gar keine Aufwendungsklage (Sabinianer)<br />

oder nur bis <strong>zu</strong>r Höhe des Auftrages (Prokulianer),<br />

2. bei Verfügung: diese ist schlicht unwirksam 331<br />

.<br />

7. Auftraggeber hat actio mandati (directa) auf Ausführung,<br />

und evtl Schadenersatz wegen Schlechtausführung.<br />

8. Wortlaut der Klagformel des Auftraggebers: Weil der Kläger dem Beklagten beauftragt hat, dass..., was deswegen der Beklagte dem<br />

Kläger <strong>zu</strong> geben und <strong>zu</strong> tun verpflichtet ist nach guter Treue, da<strong>zu</strong>, Richter, verurteile den Beklagten gegenüber dem Kläger, wenn es<br />

sich nicht erweist, sprich ihn frei.<br />

Actio mandati: quod Aulus Agerius Numerio Negidio mandavit, ut ..., quidquid ob eam rem Numerium Negidium Aulo Agerio dare<br />

facere oportet ex fide bona, eius iudex Numerum Negidium Aulo Agerio condemna, si non paret absolve 332<br />

.<br />

9. Beauftragter hat actio mandati (contaria) auf Aufwendungsersatz.<br />

10. Wortlaut der Klagformel des Beauftragten: Weil der Beklagte den Kläger beauftragt hat, dass..., was deswegen der Beklagte dem<br />

Kläger <strong>zu</strong> geben und <strong>zu</strong> tun verpflichtet ist nach guter Treue, da<strong>zu</strong>, Richter, verurteile den Beklagten gegenüber dem Kläger, wenn es<br />

sich nicht erweist, sprich ihn frei.<br />

Actio mandati contraria: quod Numerius Negidius Aulo Agerio mandavit, ut ..., quidquid ob eam rem Numerium Negidium Aulo Agerio<br />

dare facere oportet ex fide bona, eius iudex Numeriumo Negidium Aulo Agerio condemna, si non paret absolve 333<br />

.<br />

11. Die actiones mandati enthalten die Klausel ex fide bona<br />

(wie Kauf, locatio conductio und Gesellschaft (societas).<br />

12. Institutionen 3, 26 pass.; Digesten 17, 1 pass.<br />

Ausdrücke<br />

actio mandati Auftragsklage<br />

iussum Auftragserteilung<br />

mandare Auftrag erteilen<br />

mandatarius Beauftragter, Auftragnehmer<br />

mandator Auftraggeber, Mandant<br />

mandatum Auftrag i. S. Auftragsvertrag und i. S. Auftragserteilung.<br />

KAPITEL 30. REALKONTRAKTE ALLGEMEIN, INST. 3, 14 PASS.<br />

Die Institutionen zählen auf:<br />

- Darlehen, mutuum<br />

- Empfang einer Nichtschuld, non debitum<br />

- Leihe, commodatum<br />

- Hinterlegung/Verwahrung, depositum<br />

- Faustpfand, pignus.<br />

331<br />

332<br />

333<br />

D. 21, 3, 1, 3 (WS03).<br />

K/K § 83 Rdnr. 11, 15, 16.<br />

K/K § 83 Rdnr. 11, 15, 16.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

142


KAPITEL 31. GELD 334<br />

In Frühzeiten „Geld“ in verschiedenen Substanzen und Formen. Z.B. als Tauschmittel und Wertmaßstab in Italien in Frühzeit Vieh, pecus;<br />

daher Geld = pecunia (und Sklavenvermögen = peculium).<br />

Dann in einzelnen Regionen Metalle von einheitlicher, gleicher Substanz und einheitlichem, gleichen Wert; z. B. in Troja Goldbarren von<br />

ziemlich einheitlichem Gewichtstyp. Diese dann mit Zeichen versehen; z. B. auf Kreta und Zypern Gold- und Silberkügelchen mit Schriftzeichen<br />

in Linear-B.<br />

Münzgeld wurde etwa 600 v. Chr. im Westen Kleinasiens, in Lydien, erfunden. Dadurch Erleichterung des kleinen Marktverkehrs und des<br />

Fernhandels, dadurch erhebliche Wirtschaftsförderung.<br />

Schekel ist im Nahen Orient ursprünglich Silbergewicht von 180 Getreidekörnern = 8,4 gSilber.<br />

<strong>Dr</strong>achme ist Silbermünze auf dem Peloponnes. Um 600 hat Solon in Athen eine Münzreform durchgeführt. Weitere Verbreitung des Münzwesens<br />

durch Alexander d. Gr.<br />

Auf der italischen Halbinsel vor allem Rohkupfer in oft pfundschweren Metallbrocken, Aes rude. In Mittelitalien im 5. bis 4. Jh. v. Chr. teilweise<br />

regelmäßig geformte und gemusterte und mit “Romanom” bezeichnete Bronzebarren, Aes signatum. So allmählich <strong>zu</strong> Münzen, als<br />

Tauschmittel mit staatlich garantiertem Wert und als Wertmesser, insofern unabhängig von seinem wirklichen Metallwert, also schon gezählt<br />

und nicht mehr gewogen.<br />

Römisches Münzwesen eigentlich erst entwickelt unter dem Einfluss der hochentwickelten griechischen Münzgeldwirtschaft in Süditalien,<br />

Magna Graecia. Beginn der Münzprägung in Rom wahrscheinlich erst um 300 v. Chr.; da<strong>zu</strong> Münzmeister, tresviri monetales, als besonderes<br />

Amt der Republik. Kult der Iuno Moneta 335<br />

, da Münzprägung in der Nähe ihres Tempels (heute: Sta Maria in Aracoeli) auf der Arx 336<br />

(Kapitol);<br />

daher die Ausdrücke „Münze“ und „Moneten“, money und monaie..<br />

1 As unterteilt in 12/12 = Uncia(e). Denarius (= Zehner) römische Silbermünze im Betrag von 10, später 16 As. Ein Vierteldenar ist ein<br />

Sestertius. 25 Denare sind 1 Goldstück, Aureus (vgl. „Gulden“). Konstantin d. Gr. führte als Goldstück das sogenannte „massive Goldstück“,<br />

den Solidus, ein, blieb in Geltung bis <strong>zu</strong>m Unterang von Byzanz = Ostrom 1453.<br />

12/12 Uncia(e) = 10, später 16 As = 4 Sesterti = 1 Denarius. 25 Denare sind 1 Goldstück, Aureus (vgl. „Gulden“). Konstantin d. Gr. führte<br />

als Goldstück das sogenannte „massive Goldstück“, den Solidus, ein, blieb in Geltung bis <strong>zu</strong>m Unterang von Byzanz = Ostrom 1453.<br />

„Papiergeld“ / „Banknoten“ in China seit 1000 n. Chr.<br />

In den englischen Kolonien Nordamerikas seit 1690 Papiergeldemissionen.<br />

In Europa Banknoten ausgegeben von John Law in Frankreich seit 1716.<br />

1789 bis 1796 Assignaten in Frankreich,<br />

d. h. angeblich durch Hypotheken auf konfiszierte Güter gesichertes staatliches Papiergeld.<br />

Etymologische Herkunft des deutschen „Pfennigs“ ist noch ungeklärt.<br />

„Mark“ wegen „Markierung = Zeichen“ auf dem Geldstück.<br />

„Taler“ nach Silberprägung in Joachimstal / Böhmen, daher „Dollar“.<br />

In Rom konnte der Eigentümer sein Geld (falls es nicht inzwischen Eigentum eines anderen geworden war) mittels rei vindicatio von einem<br />

nichtberechtigten Besitzers herausverlangen, vindicatio nummorum; das war um so leichter, als häufig Geld in Beuteln, identifizierbar, übergeben<br />

wurde 337<br />

. Übereignung von Geld erfolgte mittels traditio, vielleicht mit geringeren Anforderungen als üblich an die erforderliche causa<br />

traditionis 338<br />

.<br />

334<br />

DTV-Lexikon der Antike, “Geld” etc. Kl. Pauly, „Iuno“; „Uncia“ etc. W. Pfeifer, Etymolog. Wörterbuch,<br />

DTV, 1997, “Münze”; Handwörterbuch der Staatswissenschaften, „Assignaten“, „Banken“, „Papiergeld“. Weitere<br />

Nachweise unten bei „Banken“.<br />

335<br />

336<br />

337<br />

338<br />

Unbekannt heute, in welcher Beziehung „monere“ (ermahnen, erinnern).<br />

Kl. Pauly II Sp. 1566 und „Moneta“ shv.<br />

ZB. D. 46, 1, 19.<br />

S. unten <strong>zu</strong>r traditio im Sachenrecht.<br />

30. September 2011<br />

143


Wurde Geld des einen Eigentümers in nicht unterscheidbarer Weise mit dem Geld eines anderen Eigentümers vermischt, so fiel es in das Alleineigentum<br />

des Besitzers des gesamten Betrages, das galt auch bei gestohlenem 339<br />

Geld.<br />

Sonderregel für gutgläubigen Verbrauch fremden Geldes 340<br />

.<br />

Redewendungen<br />

(Pecunia) non olet. Geld stinkt nicht.<br />

Ausdrücke<br />

aes Kupfer, Kupfergeld, Geld<br />

aes alienum Schulden<br />

argentarius Kleinbankier, Geldwechsler<br />

argentum Silber<br />

as Kupfermünze<br />

aurum Gold<br />

nervus rerum heute: der Nerv der Dinge, gemeint ist Geld<br />

nummi (pl. m.) Geldstücke, Münzen<br />

pecunia Geld<br />

KAPITEL 32. DARLEHEN = MUTUUM<br />

1. Inst. 3, 14 pr. Re contrahitur obligatio veluti mutui datione. mutui autem obligatio in his rebus consistit<br />

quae pondere, numero mensurave constant, veluti vino, oleo, frumento, pecunia numerata, aere, argento,<br />

auro, quas res aut numerando aut metiendo aut adpendendo in hoc damus ut accipientium fiant, et<br />

quandoque nobis non eaedem res, sed aliae eiusdem naturae et qualitatis reddantur. unde etiam mutuum<br />

appellatum sit, quia ita a me tibi datur, ut ex meo tuum fiat. ex eo contractu nascitur actio quae vocatur<br />

condictio.<br />

2. Interpretation<br />

1. Wie kommt ein Darlehen nach römischem Recht <strong>zu</strong>stande 341<br />

,<br />

2. ... wie nach geltendem?<br />

3. Zu welcher Art Kontrakten gehört das Darlehen nach römischen Recht?<br />

4. Wer wird Eigentümer der Darlehenssache?<br />

5. Welche Unterschiede bestehen zwischen Darlehen und Miete oder Leihe?<br />

3. Erforderlich die Einigung über das Darlehensgeschäft, conventio.<br />

4. Erforderlich neben der "conventio" die "datio",<br />

1. Hauptfall: Besitz- und Eigentumsübertragung, mittels traditio, an den Geldstücken<br />

vom Darlehensgeber (Gläubiger, creditor)<br />

direkt an den Darlehensnehmer (Schuldner, debitor).<br />

Dieses war auch das ursprüngliche Erfordernis.<br />

339<br />

340<br />

Aber keine eigentliche usucapio gestohlenen Geldes.<br />

Vor allem da<strong>zu</strong> Kaser, Geld, TR 29 (1961), S. 169 ff. Offengelassen bei Kunkel-Mayer-Maly § 63, S. 169<br />

f./66.<br />

341<br />

Erforderlich: datio und conventio.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

144


In klassischer Zeit genügten jedoch 342<br />

, nach z. T. sehr str. Ansicht unter den Klassikern 343<br />

,<br />

vereinfachende Formen:<br />

Dabei konnte man sich meistens vorstellen (oder mochte vielleicht fingieren), dass<br />

die Münzen <strong>zu</strong>erst an den Darlehensgeber und dann von diesem an den Darlehensnehmer gingen,<br />

dass man sich aber diese Umwege sparte und die Übereinstimmung genügen ließ,<br />

dass das Geld sogleich, ohne Hin und Her, beim Darlehensnehmer blieb.<br />

2. Anweisungsdarlehen (s. u.),<br />

3. Vereinbarungsdarlehen,<br />

d. h. ursprüngliche Schuld z. B. aus mandatum, aber nun vereinbart 344<br />

30. September 2011<br />

mutuum 345<br />

.<br />

4. Depositum irregulare, verstanden als Hinterlegung mit Gebrauchserlaubnis 346<br />

.<br />

1. sei es von Anfang an 347<br />

,<br />

2. sei es nachträglich 348<br />

.<br />

5. Hingabe einer bestimmten Sache des Darlehensgebers, die Darlehensnehmer verwerten darf,<br />

um Erlös als Darlehen <strong>zu</strong> behalten, sogenannter "contractus mohatrae" 349<br />

.<br />

6. Darlehensgeber gibt fremdes Geld als Darlehen,<br />

Darlehensnehmer verbraucht gutgläubig 350<br />

,<br />

Condictio de bene depensis nach Verbrauch durch Geldempfänger;<br />

die Condictio hat der Geld-Geber, in praktisch derselben Weise,<br />

als wenn Darlehen völlig in Ordnung gewesen wäre.<br />

Keine condictio des Eigentümers<br />

gegen den gutgläubigen Darlehensemfänger 351<br />

, sobald dieser verbraucht hat.<br />

5. Von diesen (wenn auch z. T. umstrittenen) Darlehensfällen ist <strong>zu</strong> unterscheiden:<br />

342<br />

343<br />

Ulp. D. 12, 1, 15 Satz 1 [Case 2]: Singularia quaedam recepta sunt circa pecuniam creditam.<br />

Die folgenden "Cases" bei Hausmaniger, Casebook Vertrag. Nachweise <strong>zu</strong> Fällen "indirekter Eigentumsverschaffung"<br />

als datio zwecks Darlehens erwartungsgemäß bei Windscheid-Kipp, 9. A., § 370 Anm. 10.<br />

344<br />

Aus D. 2, 14, 7, 5 folgt gerade das Bedenken gegen nachträgliche Vertragsveränderung.<br />

345<br />

Ulp. D. 12, 1, 15 [Case 2] mit Konstruktion, gegen Iul. D. 17, 1, 34 pr. Anfang und Ende [Case 4, ablehnend]<br />

und gegen Ulp.(!) D. 17, 1, 10, 3; da<strong>zu</strong> K 531/13<br />

346<br />

Iul. D. 17, 1, 34 pr. [Case 4]; Paul., Coll. 10, 7, 9 [Case 19]: mutua magis videtur quam deposita; [K I 536 /<br />

15].<br />

347<br />

348<br />

Ulp. D. 12, 1, 4 pr. Anfang; Ulp. D. 12, 1, 10 [Case 17].<br />

Nerva-Proculus-Marcellus-Ulp. D. 12, 1, 9, 9 [Case 16].<br />

349<br />

Ulp. D. 12, 1, 11 pr. [Case 3]; 19, 5, 19pr.[Case 210]: Darlehen anscheinend erst, wenn Darlehensnehmner Valuta<br />

von Verkäufer empfangen hat; bis dahin a. praescriptis verbis. - Iul. 17, 1, 34 pr. [Case 4] unklar, ob und,<br />

bejahendenfalls, ab welchem Zeitpunkt Iul. hier Darlehen annimmt. - Diocl. C. 4, 2, 8..<br />

350<br />

K I § 124, S. 530 f., Anm. 16; TR 29, 1961, S. 204 ff.; Windscheid-Kipp, 9. A., § 370 Anm. 8: Pap.-Ulp. D.<br />

12, 1, 13 pr./1; Iul. eod. 19, 1; Paul. D. 46, 1, 56, 2: condictio de bene depensis (aber erst ab Verbrauch), und<br />

zwar condictio durch Darlehensgeber, nicht etwa durch bisherigen Eigentümer des Geldes. Bei Bösgläubigkeit<br />

des Darlehensnehmers: Diebstahlsklagen des bisherigen Eigentümers.<br />

351<br />

Vgl. K, Studien I 531 / 16.<br />

145


1. Verwahrung (mit b.-f.-Klausel) und daher mit Zins-Verpflichtung<br />

1. mit Verwendungserlaubnis 352<br />

2. Eigentumsübergang von Verwahrer auf Hinterlegung,<br />

aber ohne ausdrückliche Verwendungserlaubnis 353<br />

.<br />

2. Auftrag, mandatum, des Auftraggebers (z. B. A) an einen anderen (z. B. B),<br />

dass der andere (B) einem Darlehensnehmer (C) ein Darlehen gewähre.<br />

Dann besteht Darlehen zwischen dem anderen (B) und dem Darlehensnehmer (C).<br />

Auftrag mit Bürgen-Effekt zwischen Auftraggeber (A wie ein Bürge)<br />

und dem anderen Darlehensgeber (B wie ein Gläubiger).<br />

Rechtsverhältnis zwischen Auftraggeber (A) und Darlehensnehmer (C) je nach Vereinbarung.<br />

3. Trödelvertrag = aestimatum: Hingabe einer Sache <strong>zu</strong>m Verkauf durch Empfänger<br />

(insoweit gleich mit contractus mohatrae);<br />

aber da<strong>zu</strong> Abreden: sofort Abrechnung;<br />

Rückgabe der Sache, falls bestimmter Preis nicht erreicht wird;<br />

wenn teurer verkauft, verbleibt Gewinn bei Empfänger;<br />

Verlustrisiko trägt Auftraggeber 354<br />

.<br />

Im Unterschied <strong>zu</strong>m contractus mohatrae ist hier das Wesentliche die Veräußerung der Sache<br />

mit den Besonderheiten von Chance und Risko,<br />

keine Bedeutung hat hier die zeitweilige Nut<strong>zu</strong>ng des Erlöses durch den Empfänger.<br />

Actio in factum, a. praescriptis verbis 355<br />

.<br />

Noch im gemeinen Recht. Im modernen Recht ähnlich wie Kommission.<br />

6. Klassische Kontroversen:<br />

Unwirksame Zahlung durch impubes 356<br />

oder furiosus 357<br />

.<br />

7. Die Frage, ob Darlehen vorliegt oder nicht, ist wichtig u. a. in folgenden Situationen:<br />

1. Welche ist die richtige Klageart, Quae sit actio? Bei falscher Klage Prozessverlust in Rom.<br />

2. Zinsen nur bei stipulatio oder b.-f.iudicia, z. B. Mandat oder Hinterlegung mit Verwendung 358<br />

.<br />

3. Gefahrtragung 359<br />

.<br />

8. Manchmal wohl Spaltung, sei es<br />

1. nach Parteiinteressen,<br />

352<br />

353<br />

354<br />

355<br />

Paul. D. 16, 3, 29, 1 (2 sent.)[Case 18]; K I 536 / 17.<br />

Pap. D. 16, 3, 25, 1 [Case 20]; Pap. D. 16, 3, 24 [Case 20a].<br />

Ulp. D. 19, 5, 17, 1 [Case 209].<br />

Ulp. D. 19, 5, 17, 1 [Case 209]; 19, 5, 19, 5 pr.[Case 210]: a. praescriptis verbis; Darlehen anscheinend erst,<br />

wenn Darlehensnehmner Valuta von Verkäufer empfangen hat.<br />

356<br />

357<br />

358<br />

K I 531 / 17: Iul. D. 12, 1, 19, 1; Gai. D. 26, 8, 9, 2; Ulp. D. 46, 3, 14, 8; gegen Ulp. (!) D. 12, 6, 29.<br />

K I 531 / 18: Pomp. D. 12, 1, 12 mit 44, 7, 24 pr.<br />

Pap. D. 16, 3, 25, 1 [Case 20]; Pap. D. 16, 3, 24 [Case 20a]; Scaev. D. 16, 3, 28 [Case 20 b]: ex bonae fidei iudicio<br />

usuras.<br />

359<br />

Paul. Coll. 10, 7, 9 [Case 19]: da Darlehen, deswegen Gefahr des Schuldners.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

146


2. sei es zeitlich 360<br />

.<br />

9. Auf Grund Darlehens: Klage des Gläubigers gegen Schuldner wegen bestimmten dargeliehenen Geldes,<br />

actio certae creditae pecuniae = condictio 361<br />

.<br />

10. Bisweilen wurde die Forderung des Gläubigers gegen den Schuldner auf Rückzahlung<br />

verstärkt durch eine Stipulation zwischen denselben Parteien 362<br />

,<br />

in diese Stipulation konnten auch die Zinsen hineingenommen werden.<br />

Dann hat der Gläubiger sowohl Klage aus Darlehenshingabe wie auch Stipulation,<br />

aber er hat nur Anspruch auf eine einmalige Leistung.<br />

Diese parallel laufende Stipulation wohl abstrakt gefasst.<br />

Wenn daraus geklagt wurde,obwohl G Darlehen gar nicht an S ausgezahlt hatte, hatte S exceptio non numeratae pecuniae.<br />

11. In bestimmten Fällen können Gewaltunterworfene oder sogar Gewaltfreie<br />

Darlehen in der Weise aufnehmen, dass der Geschäftsherr auf Rückzahlung haftet, s. o.<br />

12. Wegen Zinsen s. u.<br />

13. Unterschied <strong>zu</strong>r Leihe Inst. 3, 14, 2.<br />

14. Inst. 3, 13, 2; 3, 14 pr.; 3, 27 pr. und 1.<br />

Ausdrücke<br />

aes alienum Schulden<br />

creditor Gläubiger, Darlehensgeber<br />

debitor Schuldner, Darlehensnehmer<br />

mutuum Darlehen<br />

nomen Forderung, Namen<br />

nummi Münzen<br />

pecunia Geld.<br />

KAPITEL 33. DARLEHEN MIT WIRKUNG FÜR ANDERE<br />

1. Zahlung 363<br />

durch einen <strong>Dr</strong>itten 364<br />

, sogen. Anweisungsdarlehen,<br />

a) nämlich typischerweise durch Schuldner (B) des Darlehensgebers (A) 365<br />

an Darlehensnehmer (C ).<br />

360<br />

Dahinter steht der Gedanke,<br />

19, 5, 19, 5 pr.[Case 210]: a. praescriptis verbis; Darlehen anscheinend erst, wenn Darlehensnehmner Valuta<br />

von Verkäufer empfangen hat.<br />

361<br />

362<br />

363<br />

S. oben verschiedene Anwendungsbereiche der condictio.<br />

Darlehen gedoppelt m Stip 46, 2, 6, 1.<br />

K I S. 531: Ulp. D. 12, 1, 15 (Hausmaninger-Case); Iul.-Afr. D. 17, 1, 34pr. (Hausmaninger-Case); Pap.-Ulp.<br />

D. 17, 1, 10, 4. Bloß Stipulation und Irrtum Cels. D. 12, 1, 32 (Hausmaninger-Case). S.auch Iul. D. 46, 1, 18.<br />

Anderer SV aber D. 17, 1, 10, 5 (Hausmaninger-Case).<br />

364<br />

K I S. 531: Ulp. D. 12, 1, 15 (Hausmaninger-Case); Iul.-Afr. D. 17, 1, 34pr. (Hausmaninger-Case); Pap.-Ulp.<br />

D. 17, 1, 10, 4. S.auch Iul. D. 46, 1, 18. Anderer SV aber D. 17, 1, 10, 5 (Hausmaninger-Case).<br />

365<br />

S. auch Pap.-Ulp. D. 17, 1, 10, 4, und Iul. D. 46, 1, 18 [da<strong>zu</strong> K I 531/11].<br />

30. September 2011<br />

147


dass Schuldner (B) <strong>zu</strong>erst solvendi causa an Gl (A) zahlt<br />

und dieser dann, nach einer logischen Sekunde, als Darlehensgeber,<br />

wiederum <strong>zu</strong>rück an Schuldner<br />

und Schuldner weiter (zwecks datio des Darlehensgebers)<br />

an den Darlehensnehmer (C) 366<br />

,<br />

Celsinische „Durchgangstheorie“ 367<br />

.<br />

aa) wegen (vorherigen) iussum des Darlehensgebers<br />

an den künftigen Darlehensnehmer 368<br />

/ 369<br />

,<br />

bb) auf Grund iussum des Darlehensgebers an seinen bisherigen Schuldner 370<br />

.<br />

b) Durch <strong>Dr</strong>itten mit Münzen des <strong>Dr</strong>itten, aber namens des Darlehensgebers an Darlehensnehmer<br />

aa) mit Willen des Darlehensgebers 371<br />

,<br />

bb) sogar ohne Wissen des Darlehensgebers 372<br />

;<br />

D. 12, 1, 9, 8: Wenn ich in deiner Abwesenheit und ohne dein Wissen meine Münzen in deinem Namen gleichsam als deine<br />

gebe, erwirbst du ... eine Kondiktion....<br />

(c M.E. Stip.-Versprechen durch <strong>Dr</strong>itten auf Anweisung des Gl<br />

begründet anscheinend schon Darlehen, ohne dass Münzen gezahlt wurden; aber unklarer SV. 373<br />

).<br />

Im <strong>Dr</strong>eiecksverhältnis: Darlehensschuldner irrt sich über Person des Darlehensgebers, Cels. D. 12, 1, 32 374<br />

.<br />

2. Darlehen an den Prokurator begründet Anspruch des Darlehensgebers<br />

gegen Geschäftsherrn.<br />

KAPITEL 34. DARLEHENSZINSEN UND WUCHER<br />

1. Wichtig, dass Darlehenszinsen nicht ohne weiteres geschuldet werden.<br />

(ebenso § 488 I 2 n. F.).<br />

2. Sie müssen besonders vereinbart werden.<br />

- Es genügt in Rom aber beim Darlehen i. e. S. nicht formfreie Zinsabrede,<br />

sondern notwendig ist für Zinsen im Zusammenhang mit Darlehen i. e. S. immer Stipulation<br />

366<br />

367<br />

368<br />

369<br />

370<br />

- bei Auftrag 375<br />

, bei der Verwahrung und anderen bonae fidei iudicia jedoch formlos.<br />

Vgl. K, Rquell 279.<br />

Endemann 30 und 37; K.<br />

Iul. 17, 1, 34 pr. [Case 4]: benigne receptum est; Pap.-Ulp. D. 17, 1, 10, 4.<br />

Vgl. K, Rquell 279.<br />

Ulp. D. 12, 1, 15 Anfang [Case 2]: recipitur; Cels. D. 12, 1, 32.<br />

371<br />

Iul.-Ulp. D. 12, 1, 9, 8 am Ende [Hausmaniger, Case 5]: voluntate tua.<br />

372<br />

Aristo-Ulp. D. 12, 1, 9, 8 Anfang [Hausmaniger, Case 5]: absente te et ignorante;<br />

373<br />

374<br />

Irrtumsfall Cels. D. 12, 1, 32 (condictio Iuventiana); K I 531/11 und § 152 / 44.<br />

Case 236; K I 531 / 11.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

148


3. Beschränkung der Zinshöhe, Kampf gegen den Wucher. Hierbei handelt es sich um ein soziales und wirtschaftliches<br />

Problem, das sich in allen Gesellschaftssystemen stellt, sobald es Rechtsgeschäfte gibt. Die<br />

römische Lösung ist nicht einheitlich, sondern richtet sich nach dem betroffenen Geschäft. Die Regeln für<br />

das Darlehen und für den Kaufvertrag sind ganz unterschiedlich.<br />

1. Altes Problem in allen Rechtsordnungen, schon in vorchristlicher Zeit, dann kanonisches Zinsverbot,<br />

allgemeinen verbindlich im Mittelalter innerhalb der Christenheit, ebenso Fortbestand des jüdischen<br />

Zinsverbots innerhalb der jüdischen Gemeinschaft, aber immer umstritten und in der Praxis umgangen,<br />

vor allem seit Aufklärung und Individualismus des 18. Jahrhunderts, wechselnde Gesetzgebung<br />

im 19. Jahrhundert, Lösung teils über Strafrecht (Wirtschaftsstrafrecht), teils über Verwaltungsrecht<br />

(Höchstpreise), teils über Zivilrecht (heute § 138 II).<br />

2. Oberbegriff des Wuchers erst im BGB. Bis dahin Trennung zwischen übermäßigem Preis für Geldüberlassung<br />

(= Zins) und Preis für Ware.<br />

3. Als Hauptgegenstand der Digestenexegese nicht häufig. Kann aber einmal Antwort auf eine Zusatzfrage<br />

bilden.<br />

4. Es gab gesetzliche Zinsverbote und Zinsbeschränkungen, z. B.<br />

1. XII-T. 18 a und b. Durch die Zwölf Tafeln wurde festgesetzt, dass niemand mehr als ein Zwölftel<br />

des Kapitals an Zinsen nehmen sollte. Unsere Vorfahren legten in den Gesetzen fest, dass<br />

der Dieb <strong>zu</strong>m doppelten Wertersatz verurteilt werde, der Wucherer <strong>zu</strong>m vierfachen.<br />

2. Zinsgesetze dürfte es auch in der klassischen Zeit gegeben haben, spielen aber in der Überlieferung<br />

der Digesten keine Rolle 376<br />

.<br />

5. Naturrechtskodifikationen<br />

1. ALR I 11 §§ 803 - 852 (Vorschriften über Darlehenszinsen)<br />

2. ABGB § 993 - 1000 (Zinsbeschränkung<br />

und Hinweis auf das „besonders bestehende Wuchergesetz“).<br />

KAPITEL 35. SC. MACEDONIANUM 377<br />

1. Ausgangssituation: Ein Haussohn, filius familias, schuldet zwar persönlich.<br />

Aber solange er in väterlicher Gewalt ist, ist die Zwangsvollstreckung gegen ihn ausgeschlossen,<br />

und sein Vater haftet nur ausnahmsweise (insbes. auf Grund adjektizischer Klagen)<br />

für Schulden, die der Haussohn kontrahiert hatte.<br />

Nach Emanzipation haftet bisheriger Haussohn für bisherige Schulden<br />

entsprechend seinen Vermögensverhältnissen, in id quod facere potest.<br />

2. All’ dieses und das Folgende gilt aber nur für den Haussohn i. e. S., der also noch unter patria potestas steht.<br />

Dieselben Regeln gelten nicht, sobald der Sohn emanzipiert ist. Der emanzipierte ist selbst pater familias.<br />

Es handelt sich um Sonderrecht des filius familia; für Schulden durch Sklaven gilt nichts Vergleichbares.<br />

375<br />

376<br />

377<br />

Iul. D. 17, 1, 34 pr.<br />

Höchstzinsen D. 19, 1, 13, 26 .<br />

Wacke, SZ 112 (1995), 239 – 329.<br />

30. September 2011<br />

149


3. Aber Sonderregel für Darlehen:<br />

Nachdem ein Haussohn namens Macedo soviele Schulden gemacht hatte<br />

und danach so sehr von seinem Gläubiger bedrängt wurde, dass er seinen Vater umbrachte,<br />

um mit der Erbschaft seine Schulden <strong>zu</strong> bezahlen, erging das Senatusconsultum Macedonianum 378<br />

.<br />

1. Auf Grund des Senatusconsultum<br />

verweigert entweder schon der Praetor die Darlehensklage gegen den Haussohn, denegatio actionis,<br />

oder er gewährt dem Haussohn eine besondere Einrede, exceptio, gegen die Darlehensklage,<br />

um von Anfang an eventuelle Interessenten von der Darlehensgewährung an Haussöhne ab<strong>zu</strong>halten.<br />

2. Früherer Haussohn hat die Einrede auch<br />

nach der Emanzipation oder nach dem Tod des Hausvaters. Das ist sogar der Hauptfall.<br />

3. Ob dieselbe Einrede dem pater <strong>zu</strong>stehen würde, wird aus den Quellen nicht ganz klar 379<br />

.<br />

4. Dieselbe Einrede hat Bürge 380<br />

,<br />

a) auf Grund Akzessorietät der Bürgschaft,<br />

b) vor allem: um den Haussohn vor einem Rückgriff durch Bürgen <strong>zu</strong> schützen.<br />

4. Dennoch: "Naturalobligation" 381<br />

.<br />

5. Einverständnis<br />

1. des Hausvaters:<br />

- vorher, i. S. Einwilligung, sogar bloßes, stillschweigendes Wissen, oder<br />

- nachträgliche, i. S. Genehmigung 382<br />

oder<br />

2. Zustimmung des Haussohns, nachdem dieser gewaltfrei geworden ist 383<br />

,<br />

macht Darlehen vollwirksam.<br />

6. Außerdem weitere Einschränkungen der Anwendbarkeit des Sc., je nach Interessenlage,<br />

Tit. D. 14, 6, z. B. (nicht auswendiglernen!)<br />

1. In vielen Fällen der adjektizischen Klagen, wie<br />

- a. institoria gegen p. f. 384<br />

378<br />

379<br />

380<br />

381<br />

382<br />

- a. de in rem verso 385<br />

- a. quod iussu 386<br />

2. Ausgaben des Sohns für eigene auswärtige Studien<br />

3. Darlehensgeber hielt Schuldner für gewaltfrei (aber strenge Prüfung) 387<br />

.<br />

Inst. 4, 7, 7. Ebenso Bericht in D. 14, 6, 1 pr.<br />

S. <strong>zu</strong> den adjektizischen Klagen.<br />

Ulp. D. 14, 6, 9, 3 und 4.<br />

Ausdrückl D.12, 6, 19 pr., und Paul. D. 14, 6, 10; D. 14, 6, 18.<br />

Wacke, SZ 112 (1995) 287 f.: Z. B. D. 14, 6, 7, §§ 11, 12, 15; 14, 6, 9, 3; 14, 6, 12; 14, 6, 16; u. ö. Just. C.<br />

4, 28, 7 pr.- Gelegentlich mit Hinweis auf Rechtslage zZt der Darlehensgewährung; Widerrufbarkeit bis <strong>zu</strong>r<br />

Auszahlung.<br />

383<br />

384<br />

385<br />

386<br />

387<br />

D. 12, 6, 40 pr.; 14, 6, 7, 16.<br />

D. 14, 6, 7, 11.<br />

D. 14, 6, 7, 12.<br />

Vgl. D. 14, 6, 16.<br />

Ulp. D. 46, 3, pr.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

150


7. Einige Fälle sind noch fraglich, z. B.<br />

a. de peculio gegen den Hausvater 388<br />

wegen des Darlehens 389<br />

.<br />

8. Rückzahlung trotz Sc. Macedonianum<br />

1. durch pater familias: gilt als Genehmigung 390<br />

; infolgedessen keine condictio indebiti,<br />

sogar Pflicht <strong>zu</strong>r Rückzahlung des Restes, wenn Vater mit Teilzahlung begonnen hat 391<br />

.<br />

2. Durch früheren Haussohn, nachdem er gewaltfrei geworden ist 392<br />

, desgleichen,<br />

sogar bei irrtümlicher Zahlung 393<br />

. Erklärungen für Haussohn versuchsweise:<br />

- Genehmigung,<br />

- Zweck des Sc. sei die Bestrafung der Darlehensgläubiger 394<br />

,<br />

- Naturalobligation 395<br />

.<br />

Ob Haussohn bei eigener Teilzahlung <strong>zu</strong> Restzahlung verpflichtet ist, ergibt sich nicht aus Quellen, ist heute str.<br />

3. Aber wenn Hss <strong>zu</strong>rückzahlt, wenn er noch gewaltunterworfen ist und<br />

ohne Genehmigung p. f., dann<br />

a) keine Interpretation als Genehmigung und<br />

b) unberechtigte Verfügung des Hss über Vermögen des Hsvaters,<br />

also r. v 396<br />

oder cond. ind. 397<br />

.<br />

9. Digesten 14, 6,<br />

dort insbesondere Ulpians Kommentar, ganz ähnlich wie noch heute Gesetzeskommentare,<br />

beginnend mit dem Text des Sc.: "Verba senatus consulti haec sunt:.."<br />

10. Berühmter Aufsatz von David Daube (emigriert in der NS-Zeit, <strong>Prof</strong>essor in Oxford und in Berkeley),<br />

Savigny-Zeitschrift für Rechtsgeschichte 1947: "Did Macedo murder his father?" 398<br />

388<br />

389<br />

390<br />

391<br />

392<br />

Vgl. D. 14, 6, 9, 2 und 3.<br />

D. 14, 6, 18 a. E.; D. 46, 1, 12.<br />

D. 14, 6, 7, 15: quasi ratum habuerit.<br />

D. 14, 6, 7, 15.<br />

Marcian. D. 12, 6, 40 pr. a. E. („pater familias factus“); D. 14, 6, 7, 16; D. 14, 6, 9, pr.; D. 14,6, 9, 1 am<br />

Anfang. - In dieser Hinsicht unklar D. 12, 1, 14 am Ende; D. 14, 6, 9, 4 am Ende bis D. 14, 6, 11.<br />

393<br />

394<br />

395<br />

396<br />

D. 12, 6, 19 pr.; D. 12, 6, 40 pr.; D. 14, 6, 9, 4.<br />

Ulp. D. 14, 6, 9, 4, hier<strong>zu</strong> besondere Itpretation von Wacke, SZ 112, S. 301 f.<br />

K I S. 481/33: Paul. D. 14, 6, 10.<br />

D. 12, 1, 14 am Anfang, aber anscheinend keine condictio (da<strong>zu</strong> Windscheid-Kipp II § 373.5, S. 588, Anm.<br />

16).<br />

397<br />

398<br />

D. 14, 6, 9, 1 a. E.<br />

Neuer: Wacke, SZ 112, 1995.<br />

30. September 2011<br />

151


KAPITEL 36. BANKEN 399<br />

Seit dem 3. Jh. v. Chr. in Ägypten, seit dem 2. Jh. v. Chr. in Rom soll man “Schreibgeld” mit “Inhaberpapieren”<br />

benutzt haben. „Bankwesen“ für die Hinterlegung und das Ausleihen von Gegenständen schon um 7000 v. Chr.<br />

Um 2000 habe man angeblich sogar schon „Inhaberpapiere“ gekannt. Alsbald auch „Geldüberweisungen“.<br />

Anfangs wurden diese Geschäfte in Tempeln und Adelshäusern betrieben, später auch von Privatleuten. Bankgeschäfte<br />

wurden besonders entwickelt in Mesopotamien, in Griechenland, später auch im griechischen und römischen<br />

Ägypten, desgleichen in Rom von der republikanischen Zeit an.<br />

Argentarius ist ein kleiner Bankier, Geldwechsler, dieselbe Bezeichnung wie für Kaufleute, Handwerker und<br />

Sklaven, die mit Silbergerät <strong>zu</strong> tun haben.<br />

KAPITEL 37. BÜRGSCHAFT<br />

1. Notwendigkeit von Kreditsicherungen sowohl in rudimentären als auch in hochentwickelten Wirtschaftssystemen.<br />

In Rom eine wichtige Funktion, officium, eines Standesgenossen, amicus, für einen anderen. Die<br />

Bürgschaft ist auch heute eines der wichtigsten Sicherungsgeschäfte, in Rom noch wichtiger. Deswegen<br />

schöne Digestenfälle.<br />

Inst. Iust. 3, 20, pr. Für denjenigen, der eine Leistung verspricht, werden üblicherweise noch andere, welche Bürgen, Fideiussores,<br />

heißen, verpflichtet. Diese Bürgen nimmt man üblicherweise an, wenn man dafür sorgen will, dass man besonders gut gesichert sei.<br />

Inst. Iust. 3, 20, pr. Pro eo qui promittit solent alii obligari, qui fideiussores appellantur, quos homines accipere solent dum curant ut<br />

diligentius sibi cautum sit.<br />

2. In den Digesten-Fällen um die Bürgschaft geht es sehr oft<br />

- entweder um Anspruch des Gläubigers gegen den Bürgen oder<br />

- um Rückgriff des Bürgen gegen den Hauptschuldner.<br />

3. Abschluss der Bürgschaft<br />

1. Nur zwischen dem Bürgen und dem Gläubiger<br />

2. mittels Stipulation<br />

1. älteste Zeit durch Gebrauch des Wortes „spondére“, feierlich geloben,<br />

Gläubiger fragte Bürgen: „Versprichst du an Eides statt, dass dasselbe gegeben wird?“<br />

„Idem dari spondesne?“, daher: sponsio<br />

399<br />

2. später: fidepromissio<br />

Gläubiger fragt: „Versprichst du auf deine Treue, dass dasselbe gegeben wird?“, „Idem dari fide promittisne?“<br />

3. schließlich allgemeinüblich: fideiussio, so im Corpus Iuris.<br />

3. Bürgschaft setzt aber immer voraus, dass Hauptschuld existiert,<br />

das ergibt sich schon aus Stipulationsformular.<br />

4. Wortlaut der Bürgschaftsstipulation, fideiussio:<br />

Gläubiger Ego fragt den Bürgen Tu wegen Hauptschuld des Maevius:<br />

„Was Maevius mir schuldet, bestimmst du, dass das auf deine Treue genommen sein soll?-<br />

Quod Maevius mihi debet, id fide tua esse iubesne?“<br />

Darauf bejahende Antwort des Bürgen Tu: „Ich bestimme es. – Iubeo.“<br />

Kl. Pauly, “Bankwesen”; DTV-Lexikon der Antike, „Bankwesen“; Kl. Pauly, „Argentarius“. Weitere Nachweise<br />

s. o. bei „Geld“.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

152


Aus diesem Formular ergibt sich: wenn Forderung Ego gegen Maevius gar nicht besteht,<br />

dann kann der scheinbare Bürge Tu „logischerweise“ dem Ego auch nicht das schulden,<br />

was Maevius dem Ego angeblich schuldet.<br />

4. Durch fideiussio-Bürgschaft gesichert werden können Forderungen aller Art,<br />

auch Naturalobligationen, d. h. gewisse Verbindlichkeiten,<br />

aus denen nicht geklagt oder jedenfalls nicht vollstreckt werden kann,<br />

insbesondere Geschäftsschulden von Gewaltunterworfenen 400<br />

,<br />

die aber gesichert und erfüllt werden können<br />

(insofern ist also Akzessorietätsprinzip eingeschränkt).<br />

Inst. 3, 20, 1. In omnibus autem obligationibus adsumi possunt, id est sive re sive verbis sive litteris sive consensu contractae fuerint.<br />

ac ne illud quidem interest, utrum civilis an naturalis sit obligatio cui adiciatur fideiussor, adeo quidem ut pro servo quoque obligetur,<br />

sive extraneus sit qui fideiussorem a servo accipiat, sive ipse dominus in id quod sibi naturaliter debetur.<br />

5. Damit können auch Forderungen des Gläubigers gegen Gewaltunterworfene<br />

durch Bürgschaft gesichert werden.<br />

6. Inhalt<br />

Der Bürge haftet dem Gläubiger in derselben Weise wie der (Haupt-)-Schuldner,<br />

sowohl auf Erfüllung der Hauptschuld als auch wegen Nebenpflichten und Schadenersatz.<br />

7. Rechtsfolge: Gläubiger erhält<br />

nach der Entstehung der Hauptforderung und der Bürgschaftsforderung zwei Ansprüche<br />

1. Gegen (Haupt-)Schuldner und<br />

2. gegen Bürgen oder dessen Erben 401<br />

.<br />

8. Rechte des Gläubigers gegen den Bürgen: auf Zahlung<br />

9. Actio des Gläubigers gegen den Bürgen auf Grund der Stipulation: a. ex stipulatu<br />

auch wenn andersartige actio des Gläubigers gegen den Hauptschuldner (z. B. aus Kauf).<br />

10. Dagegen Schutz des Bürgen...<br />

vor allem durch heute sogenannte Akzessorietät<br />

d. h. Bürge haftet nicht für mehr als Hauptschuldner.<br />

In heutiger Wissenschaft kontrovers, ob man von „Akzessorietät“ im römischen Recht sprechen soll.<br />

400<br />

401<br />

Inst. 3, 20, 5. Fideiussores ita obligari non possunt ut plus debeant quam debet is pro quo obligantur: nam eorum obligatio accessio<br />

est principalis obligationis nec plus in accessione esse potest quam in principali re. at ex diverso, ut minus debeant, obligari possunt.<br />

itaque si reus decem aureos promiserit, fideiussor in quinque recta obligatur: contra vero non potest obligari...<br />

1. Bei Entstehung der Hauptforderung entsteht Bürgschaftsforderung,<br />

solange Hauptforderung nicht entstanden, auch keine Bürgschaftsforderung.<br />

2. bei Untergang der Hauptforderung geht auch Bürgschaftsforderung unter.<br />

3. Einreden des Hauptschuldners stehen grundsätzlich auch dem Bürgen <strong>zu</strong> 402<br />

,<br />

K I S. 481.<br />

Gai. 3, 121 = Inst. Iust. 3, 20, 2. "Fideiussoris autem etiam heres tenetur" (anders für ältere Bürgschaftsformen).<br />

402<br />

K I § 155 II 4 a, S. 664, insbes. Anm. 42 ff., insbes. Ulp. D. 46, 1, 32; Marcian. D. 44, 1, 19; differenzierend<br />

Paul. D. 44, 1, 7 pr. und 1. Aber "personengebundene" Einreden hat allein Sch, nicht der Bürge, z. B. Haftung<br />

30. September 2011<br />

153


Inst. Iust. 4, 14, 4,<br />

- z. B. auf Grund Sc. Macedonianum 403<br />

- wohl auch auf Grund Sc. Vellaeanum 404<br />

,<br />

- <strong>zu</strong> differenzieren bei Erlass-pactum 405<br />

.<br />

Aber für Naturalobligationen der Gewaltunterworfenen ist Bürgschaft voll wirksam.<br />

11. Prüfungspunkte für Anspruch Gläubiger gegen Bürgen<br />

- Ist Bürgschaftsstipulation zwischen G und B wirksam abgeschlossen worden,<br />

- ist auch Anspruch des Gläubigers gegen Hauptschuldner entstanden<br />

und noch nicht erloschen,<br />

- hat Bürge Einreden?<br />

12. Frage: Bürge hat <strong>zu</strong> Unrecht an Gläubiger gezahlt,<br />

z. B. weil Hauptschuld nicht wirksam entstanden war<br />

oder weil Hauptschuldner schon an Gläubiger geleistet hatte,<br />

welche Rechte hat Bürge?<br />

1. meistens Bereicherungsklage (condictio indebiti)<br />

Bürge gegen Gläubiger 406<br />

,<br />

2. falls Bürge nicht wusste, dass Hauptschuld nicht existierte,<br />

und falls ohne Fahrlässigkeit des Bürgen,<br />

dann kann sich Bürge auch gegen Hauptschuldner wenden,<br />

auf Grund a. mandati contraria.<br />

13. Durch Klage des Gläubigers gegen Schuldner<br />

erlischt Klage des Gläubigers gegen Bürgen<br />

und umgekehrt,<br />

wegen prozessualen Verbots „ne bis in idem“<br />

(aber im klass. Recht keine eigentl Einrede der Vorausklage;<br />

beneficium excussionis personalis bei Bürgschaft stammt erst von Justinian).<br />

14. Digestentitel insbesondere D. 46, 1 (Fideiussio und Mandat); 17, 1 (Mandat); 16, 1 (Sc. Vellaeanum).<br />

Ausdrücke<br />

Akzessorietät Abhängigkeit der Wirksamkeit eines Sicherungsrechts<br />

von der Wirksamkeit der gesicherten Forderung<br />

Creditor Gläubiger<br />

debitor (Haupt-)-Schuldner<br />

fideiussio Bürgschaft<br />

fideiussor Bürge mittels fideiussio<br />

interecessio (wörtlich: Dazwischentreten, daher:)<br />

des Sch beschränkt auf id quod facere potest; vgl. K I S. 664 m. Anm. 42 und 43; K I S. 482: Aszendent, Patron,<br />

Ehemann, Dos-Versprechender, Schenkungs-Versprechender, Gesellschafter.<br />

403<br />

404<br />

405<br />

Ulp. D. 14, 6, 9, 3 und 4; D. 20, 3, 2.<br />

Iul. D. 16, 1, 16, 1; vgl. D. 20, 3, 2; 44, 1, 7, 1.<br />

K I § 155 II 4 a, S. 664, insbes. Anm. 42: Ulp., Paul. D. 2, 14, 7, 8; 2, 14, 21, 5; 2, 14, 22;"unpersönl" (d.h.<br />

überhaupt keine actio); hingegen "persönl" (nur gegen 1 bestimmte Person keine actio); Paul. D. 2, 14, 23 pr.<br />

(Erlass mögl nur für Hauptschuldner, nicht für Bürgen); etc.<br />

406<br />

D.12, 6, 25 = Hausmaninger, Casebook Vertragsrecht, Nr. 51e.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

154


a) im Privatrecht: Sicherungs- und Darlehensgeschäft im Interesse eines <strong>Dr</strong>itten,<br />

u. a. Bürgschaft und Pfandbestellung,<br />

b) im öffentlichen Recht: Eintreten eines höheren Amtsträgers<br />

oder eines gleichgestellten oder eines Volkstribuns<br />

gegen die Maßnahme eines Beamten, Veto.<br />

KAPITEL 38. FRAUENBÜRGSCHAFT, SC. VELLAEANUM 407<br />

1. Das Senatusconsultum Vellaeanum verbot den Frauen Interzessionsgeschäfte,<br />

insbes. Bürgschaft, Pfandrecht, Schuldübernahme, Schuldbeitritt<br />

(also nicht etwa allein Bürgschaft ist verboten),<br />

wenn sie diese Geschäfte im Interesse eines <strong>Dr</strong>itten (Ehemann oder sonstige <strong>Dr</strong>itte)<br />

vorgenommen hatten.<br />

Mitte des 1. Jh. n. Chr., nach Vorläufern.<br />

2. Zum Schutz gewalt-freier Frauen<br />

(denn solange noch unter patria potestas oder wenn in manus-Gewalt des Hausvaters,<br />

können sie sich nicht rechtsgeschäftlich verpflichten [im Gegensatz <strong>zu</strong>m Haussohn]).<br />

3. Wortlaut und Begründung sowie Vorgeschichte des Sc. in D. 16, 1, 1.<br />

4. Das Interzessionsverbot greift nicht ein, u. a.<br />

- wenn Interzessionsgeschäft im eigenen wirtschaftlichen Interesse der Frau,<br />

- wenn Frau keinen Schaden erleidet, z. B. weil sie Deckung erhielt,<br />

- wenn Gläubiger entschuldbarer Weise nicht wusste, dass Frau interzedierte,<br />

- wenn Frau nicht interzediert, sondern endgültig die Schuld beseitigt 408<br />

, etwa schenkungshalber an Gläubiger zahlt.<br />

5. Die Interzessionsgeschäfte sind nicht nichtig 409<br />

,<br />

- aber Frau hat gegenüber Klage des Gläubigers die exceptio Senatusconsulti Vellaeani,<br />

meistens auch die Bürgen für die Frauen 410<br />

.<br />

- Frau kann kondizieren, wenn sie aus Irrtum über die Verbindlichkeit der Interzession<br />

gezahlt hatte 411<br />

,<br />

wenn aber Frau wissentlich <strong>zu</strong>rückgezahlt hat, kein Bereicherungsanspruch.<br />

6. Zum Ausgleich erhält Gläubiger gegen den begünstigten ursprünglichen Schuldner<br />

1. eine actio restituioria, wenn Schuldner durch Eintreten der Frau freigeworden war, oder<br />

2. eine sogenannte actio institutoria, wenn das Geschäft von Anfang an gar nicht mit dem begünstigten Schuldner,<br />

sondern von Anfang an nur mit der Frau abgeschlossen worden war.<br />

7. Sedes materiae, mit Rechtspolitik, Inhaltsangabe, historischen Vorläufern und Einzelkommentierung: D. 16, 1.<br />

(8. „Intercédere“ bedeutet im römischen Verfassungsrecht die Ausübung des Verbotsrechts, veto = ich verbiete,<br />

des höheren oder gleichrangigen Magistrats oder des Volkstribunen, tribunus plebis).<br />

407<br />

408<br />

409<br />

410<br />

411<br />

Dig.-Titel 16,1. Sehr knapp Kaser, Knütel & Co. Sehr einsichtig: Dernburg II § 83.<br />

D. 16, ,1, 4, 1; D. 16, 1, 5.<br />

Kein direktes Textzeugnis über Naturalobligation, vgl. K I 481.<br />

Iul. D. 16, 1, 16, 1; vgl. D. 20, 3, 2; 44, 1, 7, 1.<br />

D. 12, 6, 40 pr.; D. 16, 1, 8, 3.<br />

30. September 2011<br />

155


KAPITEL 39. MITBÜRGEN<br />

Mitbürgen<br />

1. Gegenüber Gläubiger<br />

1. Haften aus fideiussio gegenüber Gläubiger als Gesamtschuldner,<br />

jeder einzelne Bürge kann also auf die volle Hauptschuld in Anspruch genommen werden 412<br />

(in der Republik hingegen für beide älteren Formen der Bürgschaft<br />

Haftungsbeschränkungen <strong>zu</strong> Gunsten Mitbürgen).<br />

2. Aber „Rechtswohltat der Teilung“, beneficium divisionis<br />

nach einem Brief des Kaisers Hadrian, epistula Hadriani:<br />

Jeder Mitbürge kann sich auf diesen kaiserlichen Erlass berufen<br />

und braucht nur Anteil <strong>zu</strong> zahlen 413<br />

.<br />

2. Mitbürgen untereinander<br />

kein Ausgleich von Gesetzes wegen (anders: § 774 II, 426 BGB),<br />

wohl aber, wenn untereinander vereinbart.<br />

3. Rückgriff gegen Hauptschuldner: wie Alleinbürge.<br />

4. Inst. 3, 20, 4. Si plures sint fideiussores, quotquot erunt numero, singuli in solidum tenentur. itaque liberum est creditori, a quo velit<br />

solidum petere. sed ex epistula divi Hadriani compellitur creditor a singulis qui modo solvendo sint litis contestatae tempore partes<br />

petere. ideoque si quis ex fideiussoribus eo tempore solvendo non sit, hoc ceteros onerat. sed et si ab umo fideiussore creditor totum<br />

consecutus fuerit, huius solius detrimentum erit, si is pro quo fideiussit solvendo non sit: et sibi imputare debet, cum potuerit adiuvari<br />

ex epistula divi Hadriani, et desiderare ut pro parte in se detur actio.<br />

5. Zur Ergän<strong>zu</strong>ng D. 12, 6, 25 (Ulpian im 47. Buch seines Kommentars <strong>zu</strong>m ius civile des Sabinus). Wenn sich zwei Personen für einen<br />

Hauptschuldner in Höhe von zehn Goldstücken verbürgt haben, darauf der Hauptschuldner drei (an den Gläubiger) gezahlt hat und<br />

danach die Bürgen je fünf, so wird heute angenommen, dass derjenige (Bürge), der als letzter gezahlt hat, drei <strong>zu</strong>rückfordern kann.<br />

Das ist ganz richtig, weil nach der Zahlung von drei durch den Hauptschuldner nur noch sieben als geschuldet übrigblieben, so dass<br />

nach deren Bezahlung drei als Nichtschuld gezahlt worden sind.<br />

D. 12, 6, 25 (Ulpianus libro quadragensimo septimo ad Sabinum). Cum duo pro reo fideiussissent decem, deinde reus tria solvisset et<br />

postea fideiussores quina, placuit eum qui posterior solvit repetere tria posse: hoc merito, quia tribus a reo solutis septem sola debita<br />

supererant, quibus persolutis tria indebita soluta sunt.<br />

KAPITEL 40. RÜCKGRIFF, BÜRGENREGRESS<br />

Regress des Bürgen gegen Schuldner,<br />

wenn er an Gläubiger gezahlt hat,<br />

1. Nur ausnahmsweise besonderes Gesetz mit besonderem Anspruch<br />

(lex Publilia bei Sponsio eröffnete actio depensi; kaum in Digesten).<br />

2. Je nach Innenverhältnis Aufwendungsersatz aus<br />

1. Auftrag (a. mandati contraria) 414<br />

, sehr oft,<br />

Inst. 3, 20, 56. Si quid autem fideiussor pro reo solverit, eius reciperandi causa habet cum eo mandati indicium,<br />

2. seltener: Geschäftsführung ohne Auftrag (negotiorum gestio).<br />

3. Rechtswohltat der abgetretenen Klagen = beneficium cedendarum actionum,<br />

412<br />

Gai. 3, 121 = Inst. Iust. 3, 20, 4. "Quotquot erunt numero, singulo in solidum obligantur, itaque liberum est<br />

creditori a quo velit solidum petere".<br />

413<br />

"Sed nunc ex epistula divi Hadriani conpellitur creditor a singulis qui modo solvendi sint partes petere"; Gai.<br />

3, 121 = Inst. Iust. 3, 20, 4; K I 664 f.: Gai. 3, 121 a; da<strong>zu</strong> K I 664 f.<br />

414<br />

I. 3, 20, 6.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

156


d. h. Recht des Bürgen gegen Gläubiger,<br />

dass Gläubiger seine Forderung gegen Schuldner an Bürgen abtritt,<br />

daraus dann Klage Bürge gegen Schuldner<br />

(Vorsicht: in Rom noch kein „automatischer“ Forderungsübergang, d. h. cessio legis wie nach BGB).<br />

„Abtretung“, cessio, mittels<br />

- delegatio, oder<br />

- actio utilis, oder<br />

- Prozessvertretung (s. o.).<br />

4. Sonderfall Kreditauftrag 415<br />

Falls Auftraggeber dem Beauftragten Auftrag erteilt hatte,<br />

einem <strong>Dr</strong>itten ein Darlehen <strong>zu</strong> gewähren,<br />

dann meistens Auftragsklage des Beauftragten gegen Auftraggeber zwecks Regress,<br />

actio mandati contraria,<br />

falls der <strong>Dr</strong>itte Darlehen nicht <strong>zu</strong>rückzahlte (vgl. § 778 BGB n. F.).<br />

KAPITEL 41. SCHUTZ DES BÜRGEN<br />

1. Akzessorietät.<br />

2. Eine gesetzliche Höchstgrenze für Bürgschaften aller Art<br />

(Lex Cornelia, Weiteres aus Digesten nicht bekannt) 416<br />

.<br />

3. Anspruchskonkurrenz.<br />

4. Die Regreßmöglichkeiten, und zwar<br />

1. auf Grund Innenverhältnis Bürge - Schuldner, insbesondere Mandat,<br />

2. Recht auf Abtretung der Klage, die Gläubiger gegen Schuldner hatte, an den Bürgen,<br />

beneficium cedendarum actionum.<br />

5. Verschiedene gesetzliche Erleichterungen für Mitbürgen,<br />

insbes. beneficium divisionis durch die in den Institutionen genannte epistula Hadriani,<br />

d. h. Einrede der Teilhaftung.<br />

(6. Erst Justinian führte die „Einrede der Vorausklage“, das beneficium excussionis personalis 417<br />

, ein, nämlich die Eirede des Bürgen,<br />

dass sich der Gläubiger <strong>zu</strong>erst an den Hauptschuldner <strong>zu</strong> halten habe, so dass der Bürge nur noch subsidiär haftete; ganz anders das<br />

klassische Recht, welches mit der Klage gegen den einen von beiden die Klage gegen den anderen ausschloss 418<br />

.)<br />

KAPITEL 42. VERWAHRUNG – HINTERLEGUNG = DEPOSITUM<br />

(Nicht eigentliche Klausur-Materie)<br />

Ebenfalls heute noch so ähnlich wie im alten Rom; Inst. 3, 14, 3.<br />

Realkontrakt, Inst. 3, 13, 2, aber mit bona-fides-Klausel.<br />

Hinterleger – Verwahrer, depositar 419<br />

.<br />

Hinterleger behält Eigentum, Verwahrer hat noch nicht einmal possessio, sondern bloß Detention.<br />

Klage des Hinterlegers auf Rückgabe oder, bei dolus des Verwahrers, auf Schadenersatz,<br />

iudicium contrarium des Verwahrers auf Ersatz von Aufwendungen und Schäden.<br />

415<br />

416<br />

417<br />

K I 666 mit Quellen.<br />

Gai. 3, 124 f.; K I S. 664 Anm. 49.<br />

Im nachklassischen Pfandrecht: das beneficium excussionis „personalis“, d.h.Einrede des Besitzers der<br />

Pfandsache (wenn dieser Besitzer nicht der Hauptschuldner ist), dass sich Pfandgläubiger <strong>zu</strong>erst an den Hauptschuldner<br />

persönlich halten soll; K II 321.<br />

418<br />

419<br />

K II<br />

K I § 126, S. 534 ff.<br />

30. September 2011<br />

157


Geld kann so hinterlegt werden, dass Verwahrer Eigentum erlangt und Geld für sich verwenden darf,<br />

„uneigentliche Verwahrung“, depositum irregulare 420<br />

,<br />

dafür kann Zinszahlung durch Verwahrer vereinbart werden, formlos, da bonae fidei iudicium.<br />

KAPITEL 43. STIPULATION 421<br />

1. Wieder eine geniale römische Schöpfung!<br />

Die Stipulation ist aus fünf Gründen sehr wichtig:<br />

1. Eine besondere Art und Weise der Anspruchsbegründung zwischen zwei Personen.<br />

2. Nur streng einseitige Verpflichtung.<br />

3. Tausendfache Vielseitigkeit der Anwendung.<br />

4. Damit Öffnung für Vertragsfreiheit.<br />

5. Keine unmittelbare Nachfolge im modernen Recht.<br />

2. Abschluss<br />

Vertragsabschluß: Inst. 3, 15 pr. Satz 1 und 3, 15, 1 am Anfang<br />

pr. Satz 1.Verbis obligatio contrahitur ex interrogatione et responsione, cum quid dari fierive nobis<br />

stipulamur.<br />

§ 1. In hac re olim talia verba tradita fuerunt: SPONDES? SPONDEO, PROMITTIS? PROMITTO,<br />

FIDEPROMITTIS? FIDEPROMITTO, FIDEIUBES? FIDEIUBEO, DABIS? DABO, FACIES?<br />

FACIAM.<br />

... sufficit congruenter ad interrogatum respondere.<br />

1. Wer stellt die Frage? Mit welchem Wort?<br />

2. Wer gibt die Antwort? Mit welchem Wort?<br />

S. schon Inst. 3, 13, 2.<br />

3. Beteiligte<br />

Für das Zustandekommen sind zwei Parteien erforderlich.<br />

(Vorsicht: häufige Ausdrucksfehler der Studierenden, führt <strong>zu</strong> Missverständnissen und <strong>zu</strong> Fehlern)<br />

1. Versprechender, promissor,<br />

und Versprechensempfänger, stipulator.<br />

Versprechender wird Schuldner,<br />

Versprechensempfänger wird Gläubiger.<br />

2. Ausdrucksweise<br />

stipulari (Grammatikform: Deponens) - sich versprechen lassen,<br />

z. B. der Gläubiger stipuliert eine Leistung von dem Schuldner.<br />

Promíttere - versprechen, z. B. Schulder verspricht mittels Stipulation.<br />

4. Beteiligung von Gewaltunterworfenen<br />

420<br />

1. Auf Gläubigerseite: Wenn Sklave oder Haussohn stipuliert, wird der Gewalthaber berechtigt 422<br />

.<br />

Ulp. D. 12, 1, 4 pr. Anfang; Nerva-Proculus-Marcellus-Ulp. D. 12, 1, 9, 9 [Case 16] ; Ulp. D. 12, 1, 10<br />

[Case 17]; Iul. D. 17, 1, 34 pr. [Case 4] [K I 536 / 15]; Paul., Coll. 10, 7, 9 [Case 19]: mutua magis videtur<br />

quam deposita.<br />

421<br />

422<br />

K I § 128.<br />

Einzelheiten s. u.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

158


2. Auf Schuldnerseite: Wenn Sklave oder Haussohn stipulationsweise verspricht:<br />

1. Gewalthaber wird nur dann verpflichtet, wenn Vorausset<strong>zu</strong>ngen einer adjektizischen Klage.<br />

2. Hinsichtlich der Verpflichtung des Gewaltunterworfenen persönlich ist <strong>zu</strong> unterscheiden:<br />

1. Haussohn wird verpflichtet, gegen ihn kann aber nicht vollstreckt werden.<br />

2. Sklave wird überhaupt nicht selbst verpflichtet.<br />

5. Kein echter oder unechter Vertrag <strong>zu</strong> Gunsten <strong>Dr</strong>itter<br />

Berühmt ist die römische Rechtsmaxime (z. B. Inst. 3, 19, 4):<br />

Alteri stipulari nemo potest Niemand kann <strong>zu</strong> Gunsten eines <strong>Dr</strong>itten stipulieren,<br />

d. h. Unwirksamkeit des Vertrages <strong>zu</strong> Gunsten <strong>Dr</strong>itter. Denn<br />

6. Gegenwärtige Anwesenheit der beiden Parteien<br />

Begründung dieses Verbalkontrakts verlangt Anwesenheit aller Beteiligter 423<br />

(nicht: Brief oder Bote).<br />

Aber verschiedene Aushilfsmittel 424<br />

.<br />

7. „Über unwirksame Stipulationen“ 425<br />

Inst. Iust. 3, 19<br />

- Anfängliche objektive sachliche Unmöglichkeit Inst. 3, 19, 1,<br />

z. B. versprochener Sklave ist bereits verstorben, oder Pferdmensch, hippocentaurus,<br />

- Objektive rechtliche Unmöglichkeit Inst. 3, 19, 2,<br />

insbesondere verkehrsunfähige Sache, res extra commercium,<br />

- Versprochene Sache gehört bereits dem Versprechensempfänger.<br />

8. Tausendfache Vielseitigkeit der Anwendung.<br />

Die Bedeutung der Stipulation liegt darin, dass jegliche Verpflichtung in die Form der Stipulation gebracht<br />

werden konnte: Prozesshandlungen wie sonstige Rechtsgeschäfte, betreffend Handlungen, Sachleistungen,<br />

Geldleistungen, seien sie bedingt, seien sie unbedingt. Damit konnten Vertragsstrafen, Forderungsabtretungen,<br />

Schuldbeitritte und -übernahmen, Geldanweisungen und Spekulationsgeschäfte, Rechts- und<br />

Sachmängelgewährleistungen, Gattungsschulden, Versprechen einer Schenkung, Darlehenszinsen, Bürgschaften<br />

und sonstige Forderungen begründet werden. Bestehende Forderungen, etwa auf Kaufpreiszahlung<br />

oder auf Darlehensrückzahlung, konnten durch eine Stipulation zwischen denselben Geschäftsparteien<br />

entweder ergänzt oder ersetzt (d. h. „noviert“) werden.<br />

Der Inhalt der Stipulation wurde allein durch die Parteien bestimmt.<br />

9. Öffnung für Vertragsfreiheit<br />

1. Da immer die Klage, actio, aus der Stipulation als solcher erhoben wurde,<br />

kam es auf den numerus clausus der klagbaren Ansprüche nicht an.<br />

2. Außerdem konnte mittels Strafversprechens, insbesondere durch aufschiebende Bedingung, mittelbar<br />

ein andernfalls nicht geschützter Anspruch durchgesetzt werden, nach dem Muster: "Wirst Du mir<br />

100 000 Sesterzen bezahlen, wenn Du nicht bis dann und dann das und das getan haben wirst?".<br />

10. Inhaltliche Ausgestaltung<br />

423<br />

424<br />

425<br />

Weitere Begründungen s. u., Ausschluss der Stellvertretung.<br />

Da<strong>zu</strong> unten.<br />

S. auch Gai. D. 44, 7, 1, 9 bis 13.<br />

30. September 2011<br />

159


1. Die Stipulation kann ausdrücklich auf eine andere Rechtsbeziehung Be<strong>zu</strong>g nehmen,<br />

1. etwa auf den Zweck des Versprechens, causa,<br />

z. B. Kaufpreiszahlung, Schenkung, Darlehensrückzahlung,<br />

dann kann man von einer kausalen Stipulation sprechen,<br />

2. oder auf die Beziehung <strong>zu</strong> einer anderen Person,<br />

- z. B. was der promissor dem Titius schuldet oder<br />

- was der Titius dem stipulator schuldet<br />

dann kann man von einer titulierten Stipulation sprechen.<br />

2. Oder die Stipulation kann die sonstige Rechtsbeziehung verschweigen<br />

völlig abstrakt gefasst sein<br />

und sich auf das alleinige Versprechen einer bestimmten Leistung beschränken 426<br />

.<br />

11. Auslegungsmaxime<br />

Ambiguitas (oder: In dubio) Bei Zweideutigkeit (von Geschäftsbedingungen):<br />

contra stipulatorem. Auslegung gegen den Versprechensempfänger (Gläubiger).<br />

12. Streng einseitige Verpflichtung<br />

1. Die Stipulation kann nur eine streng einseitige Verpflichtung allein des Promissors begründen.<br />

2. Es ist möglich, dass auch die andere Vertragspartei sich im Wege einer Stipulation verpflichtet,<br />

so dass es zwar <strong>zu</strong> zwei einander gegenüberstehenden,<br />

aber nicht synallagmatischen, nich <strong>zu</strong> von einander abhängigen, Verpflichtungen kommt.<br />

Z. B. kann eine Partei eine Getreidelieferung versprechen, die andere eine Geldzahlung.<br />

3. Aber Einrede der nicht gelieferten Ware, exceptio mercis non traditae,<br />

oder Arglisteinrede, exceptio doli,<br />

wenn Stipulation für eine Ware versprochen wurde, welche noch nicht geliefert worden war.<br />

4. Auch kann eine Stipulation unter die aufschiebende Bedingung gestellt werden,<br />

dass der Stipulator eine Leistung erbringt.<br />

13. Klagen 427<br />

Die Klagen aus Stipulation sind strengrechtlich = iudicium stricti iuris.<br />

Zwei unterschiedliche Klagen aus Stipulation:<br />

1. 1 bestimmter Gegenstand, insbes. bestimmte Geldsumme, bestimmte Sache, Gattungsschuld:<br />

condictio.<br />

2. Unbestimmter Gegenstand = incertum, z. B. eine Handlung, facere: actio ex stipulatu.<br />

14. Haftung wegen Obligationenverlet<strong>zu</strong>ngen 428<br />

426<br />

427<br />

428<br />

1. Wenn bestimmte Menge Geld (certa pecunia) oder Gattungssache geschuldet wird,<br />

ist Erfüllung immer möglich,<br />

also keine Frage von Unmöglichkeit, sei sie verschuldet oder nicht verschuldet.<br />

K I 541.<br />

K I 542 und 492.<br />

Knütel § 37 I.<br />

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160


2. Wenn<br />

1. individuell bestimmte Sache geschuldet wird<br />

(entweder Übereignung, dare, oder Rückgabe, reddere),<br />

2. aber unmöglich wird,<br />

3. weil Schuldner daran „schuld“ ist, si per eum stat, oder quotiens culpa intervenit,<br />

weil Schuldner<br />

- Untergang verschuldet hat oder<br />

- im Schuldnerver<strong>zu</strong>g war,<br />

4. dann wird „Verewigung des Schuldverhältnisses“, perpetuatio obligationis, fingiert,<br />

als ob die Sache <strong>zu</strong>r Zeit der Prozessbegründung noch existierte,<br />

so dass der Schuldner in den Sachwert verurteilt wird.<br />

14. Regelungsort - sedes materiae<br />

Ausführlich: Inst. 3, 15 – 3,19<br />

D. 45, 1 (De verborum obligationibus) und D. 45, 3 (De stipulatione servorum).<br />

15. Andere Verbalkontrakte<br />

Die Stipulation stellt den wichtigsten der Verbalkontrakte dar<br />

(weitere: sponsio als ältere Versprechensform, das Mitgiftversprechen dotis dictio,<br />

das Versprechen künftiger Leistungen durch Freigelassenen, die promissio operarum;<br />

außerdem votum gegenüber der Gottheit, pollicitatio gegenüber der Gemeinde).<br />

16. Zur neueren Rechtsentwicklung<br />

Hattenhauer, Grundbegriffe, §§ 4 und 5<br />

S. da<strong>zu</strong> auch §§ 780 f. BGB.<br />

17. Ausdrücke<br />

Promissor Versprechender, Schuldner<br />

promittere förmlich versprechen<br />

stipulári sich in bestimmter, feierlicher Form versprechen lassen<br />

stipulatio förmliches Versprechen<br />

stipulator Versprechensempfänger.<br />

KAPITEL 44. STIPULATION, REGELUNG IN INST. 3, 15 – 3, 20<br />

Abschluss Inst. Iust. 3, 15<br />

Klagen Inst. 3, 15 pr.<br />

Zustandekommen Inst. 3, 15, 1<br />

absolute formale Deckung von Frage und Antwort Inst. 3, 19, 4<br />

keine Stipulation mit Stummen oder Tauben Inst. 3, 19, 7.<br />

Befristung Inst. 3, 15, 2<br />

Bedingung Inst. 3, 15, 4<br />

Stipulation einer Handlung Inst. 3, 15, 7<br />

Vertragsstrafe Inst. 3, 15, 7.<br />

„Über die Stipulation der Sklaven“ Inst. Iust. 3, 17<br />

Stipulationsforderung durch einen Gewaltunterworfenen für Gewalthaber Inst. 3, 17, 1.<br />

„Über unwirksame Stipulationen“ Inst. Iust. 3, 19<br />

Anfängliche objektive sachliche Unmöglichkeit Inst. 3, 19, 1<br />

Objektive rechtliche Unmöglichkeit Inst. 3, 19, 2.<br />

Kein ws Versprechen der Leistung eines <strong>Dr</strong>itten Inst. 3, 19, 3 und 21<br />

Kein ws Versprechen <strong>zu</strong> Gunsten eines <strong>Dr</strong>itten Inst. 3, 19, 4<br />

aber ws Versprechen für <strong>Dr</strong>itten als Zahlstelle, solutionis causa adiectus Inst. 3, 19, 4<br />

und Hilfsmittel der Vertragsstrafe Inst. 3, 19, 19.<br />

30. September 2011<br />

161


Beschränkungen in der Person der Parteien Inst. 3, 19, 6 – 10.<br />

Dissens Inst. 3, 19, 23<br />

Sittenwidrigkeit Inst. 3, 19, 24<br />

Bürgschaft (mittels Stipulation) Inst. 3, 20 pass.<br />

KAPITEL 45. KEIN VERTRAG ZU GUNSTEN DRITTER,<br />

1. Grundsatz: Alteri stipulari nemo potest.<br />

- Weder echter Vertrag <strong>zu</strong> Gunsten <strong>Dr</strong>itter,<br />

- meistens auch nicht „unechter“:<br />

ABER WICHTIGE EINSCHRÄNKUNGEN<br />

kein Anspruch des Gläubigers gegen Schuldner auf Leistung an <strong>Dr</strong>itten 429<br />

.<br />

- Bei der Stipulation <strong>zu</strong> Gunsten des Versprechensempfängers und eines <strong>Dr</strong>itten,<br />

Sabinianer: volle Forderung für den Versprechensempfänger,<br />

P.: nur halbe Forderung für den Versprechensempfänger, anderer Teil unwirksam 430<br />

.<br />

2. Aber wichtige Aushilfsmittel 431<br />

. Wirksam ist<br />

1. Gesamtgläubiger oder Gesamtschuldner,<br />

wenn mehrere Anwesende sich versprechen lassen oder Versprechen abgeben 432<br />

.<br />

429<br />

2. Bei Gegenwart des <strong>Dr</strong>itten: als Mitgläubiger <strong>zu</strong> Gunsten des Hauptgläubigers,<br />

adstipulator, mit eigener Klagbefugnis 433<br />

.<br />

3. <strong>Dr</strong>itter als Zahlstelle, solutionis causa adiectus 434<br />

,<br />

z. B. Stipulationstext „mir oder Seius“, mihi aut Seio,<br />

aber ohne eigene Klagbefugnis des <strong>Dr</strong>itten.<br />

Danach Gl gegen diesen <strong>Dr</strong>itten: Auftragsklage 435<br />

.<br />

4. Vielleicht 436<br />

Procurator 437<br />

.<br />

Kaser II S. 339 Anm. 30: „...Aus Verträgen auf incertum (dare oder facere) kann dagegen geklagt werden,<br />

wenn der Stipulant an der Leistung an den <strong>Dr</strong>itten ein eigenes geldwertes Interesse hat..., wenn der Gläubiger für<br />

die Leistung, die der Schuldner erbringen soll, dem <strong>Dr</strong>itten haftet...“.<br />

430<br />

431<br />

Gai. 3, 103.<br />

Wesenberg, Verträge <strong>zu</strong> Gunsten <strong>Dr</strong>itter, 1949, pass., <strong>zu</strong> Sonderfällen, ebenso K I 491/32 („spätklassisches<br />

Kaiserrecht“ etc.).<br />

432<br />

433<br />

434<br />

435<br />

436<br />

437<br />

Inst. 3, 16, pass.; Dig. Tit. 45, 2 (De duobus reis constituendis).<br />

Gai. 3, 110 f.: a. mandati des Gl gegen den adstipulator.<br />

Solutionis causa adiectus etc. D. 46, 3, 28, 2; 46, 3, 10.<br />

Inst. 3, 19, 4; Scaev. D. 45, 1, 131, 1; Gai. D. 45, 1, 141, 3.<br />

Hat Procurator Klagrecht?<br />

Ulp. D. 45, 1, 38, 23, und 45, 1, 79.<br />

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162


5. Selten und ausnahmsweise Stipulationen <strong>zu</strong> Gunsten <strong>Dr</strong>itter<br />

als „unechter Vertrag <strong>zu</strong> Gunsten <strong>Dr</strong>itter“<br />

in bestimmten Interessensituationen (teilweise nachklassisch?) 438<br />

.<br />

D. h. Stipulationsgläubiger hat Klage gegen Schuldner,<br />

falls Schuldner nicht an <strong>Dr</strong>itten leistet.<br />

Auch „Sorge“ des Verkäufers eines Grundstücks für Pächter oder Mieter 439<br />

.<br />

6. Wichtiges Aushilfsmittel: Vertragsstrafe.<br />

„Wenn jemand sich daher versprechen lässt, dass dem Titius gegeben werde, bewirkt er nichts. Wenn<br />

er aber, um eine Vertragsstrafe <strong>zu</strong> vereinbaren, hin<strong>zu</strong>fügt: ‚Versprichst du mir soundsoviele Goldstücke<br />

<strong>zu</strong> geben, wenn du nicht (gemeint ist: an Titius) leistest’, dann kommt die Stipulation <strong>zu</strong>stande“(Inst.<br />

3, 19, 19 a. E. 440<br />

) 441<br />

.<br />

7. Wirksam ist Kreditauftrag 442<br />

(s. u.) u. ä.<br />

(8. Bei der Stipulation <strong>zu</strong> Gunsten des Versprechensempfängers und eines <strong>Dr</strong>itten,<br />

Sabinianer: volle Forderung für den Versprechensempfänger,<br />

Proculianer: halbe Forderung für den Versprechensempfänger, anderer Teil unwirksam 443<br />

).<br />

3. Gewaltunterworfener 444<br />

438<br />

439<br />

440<br />

441<br />

442<br />

443<br />

444<br />

445<br />

1. GU kann als Gläubiger 445<br />

stipulationsweise Versprechen annehmen 446<br />

1. ausdrücklich für seinen Gewalthaber 447<br />

2. und/oder für sich 448<br />

(das bedeutet im Ergebnis für GH),<br />

2. kann als Schuldner verpflichten 449<br />

ausdrücklich<br />

1. nur sich selbst (als Haussohn bzw. adjektizische Klagen 450<br />

),<br />

2. nicht seinen Gewalthaber (dieser haftet aber evtl auf Grund adjektizischer Klagen).<br />

K I 491 / 33, <strong>zu</strong> Fällen des sog. unechten Vertrages <strong>zu</strong> Gunsten <strong>Dr</strong>itter; Inst. 3, 19, 20.<br />

19, 2, 25, 1 (Echtheit str.).<br />

Zum inhaltsgleichen Fragment Ulp. D. 45, 1, 38, 7: Knütel, Stipulatio, 45 ff.<br />

Verschiedene Fälle: Paul. D. 46, 3, 98, 5.<br />

K I 666.<br />

Gai. 3, 103.<br />

Paul. D. 46, 1, 56, 1.<br />

Florent. D. 45, 3, 15; Pomp. D. 45, 3, 40; Iul. D. 45, 1, 62: wirksame Stipulationsforderung, sogar wenn gegen<br />

Verbot des Herrn.<br />

446<br />

447<br />

448<br />

449<br />

Tit. D. 45, 3, und Inst. 3, 16. De stipulatione servorum.<br />

Ulp. D. 45, 1, 38, 17; Paul. D. 45, 1, 130.<br />

D. 45, 3, 1 pr. und 15.<br />

Inst. 3, 19, 6 = Gai. 3, 104 (keine Stipulationsverpflichtung des Sklaven) meint m. E. lediglich, dass Sklave<br />

selbst nicht Stipulationsschuldner mit der Wirkung wird, dass er verklagt werden könnte. Wohl aber adjektizische<br />

Haftung in der üblichen Weise, wenn Vorausset<strong>zu</strong>ngen gegeben sind.<br />

450<br />

M. E. missverständlich Gai. 3, 104; Inst. 3, 19, 6: Sklave könne sich überhaupt nicht verpflichten. Gemeint ist<br />

m. E., dass Sklave gegen sich selbst, auch nicht mit Wirkung nach der Freilassung, keine Forderung begründen<br />

kann (wohl aber, wenn Vorausset<strong>zu</strong>ngen, adjektizische Forderung).<br />

30. September 2011<br />

163


4. GH kann ws für GU stipulieren 451<br />

.<br />

KAPITEL 46 A. SCHULDUMSCHAFFUNG = NOVATIO<br />

In Rom sehr verbreitet, dass eine bestehende Schuld in eine andere umgewandelt wird, Schulderneuerung, daher<br />

„novatio“, mittels Stipulation 452<br />

,<br />

vor allem zwecks Gläubigerwechsels, Schuldnerwechsels, sonstiger Inhaltsänderung.<br />

Es entstand damit eine neue Forderung, die alte erlosch und mit ihr auch alle Sicherungsrechte<br />

(anders heute § 401 BGB [lesen!]; aber ebenso heute § 418 BGB).<br />

In einigen Fällen erforderlich, z. B. für späteren förmlichen Erlasses mittels acceptilatio,<br />

und für die in klass. Zeit seltene Sponsionsbürgschaft (nicht für andere Bürgschaftsformen).<br />

Die novierende Stipulation konnte die alte nennen, "tituliert" sein,<br />

so die obigen Bsp, in denen<br />

- Tu die Schuld des Seius übernimmt oder<br />

- in denen Tu dem Ego verspricht, was er <strong>zu</strong>vor dem Titius geschuldet hatte.<br />

Ob die novierende Stipulation die alte verschweigen konnte<br />

und damit "abstrakt" sein konnte, ist heute ungewiss 453<br />

.<br />

Bei einem Mangel der alten Schuld: bei der titulierten Stipulation, also im ersten Fall,<br />

auch keine neue Forderung.<br />

Der neuen Obligation können auch dieselben Exzeptionen entgegengehalten werden wie der alten.<br />

Im zweiten Fall, bei untitulierter Stip, wegen Unwirksamkeit der alten Schuld<br />

exceptio doli des Schuldners erforderlich.<br />

KAPITEL 46 B. ANWEISUNG = DELEGATIO 454<br />

1. Beschreibung<br />

Die Anweisung, delegatio, ist in Rom die Aufforderung des Anweisenden (A) an den Angewiesenen (B),<br />

dem Anweisungsempfänger (C) etwas <strong>zu</strong><strong>zu</strong>wenden. Sie ist mit der Novation eng verbunden.<br />

2. Beispiel<br />

Beispielsweise bittet A den B,<br />

an C 100 Goldstücke <strong>zu</strong> bezahlen oder sie ihm <strong>zu</strong> versprechen.<br />

3. Beteiligte drei Personen<br />

<strong>Dr</strong>ei Personen:<br />

Anweisender = Delegant (hier: A)<br />

Angewiesener = Delegat(hier: B)<br />

(vielleicht kann man sich<br />

451<br />

Paul. D. 45, 1, 39; Paul. D. 45, 1, 130; Pap. D. 46, 3, 95, 5. Inst.3, 19, 4 a. E. S.auch Iul. D. 45,1, 56 § 2. Erklärungsbedürftig<br />

§ 3 „soli filio“.<br />

452<br />

453<br />

454<br />

D. 46, 2, 2; 46, 2, 1 pr.<br />

So etwa Feenstra. K I § 152/11 lehnt hingg Novation durch eine Stip ohne Be<strong>zu</strong>gnahme ab.<br />

Da<strong>zu</strong> auch K, Ausgewählte Schriften I, und Röm R.quellen. Zusammenfassung sogar bei Heumann-Seckel<br />

adhl.<br />

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164


- die deutsche Ausdrucksweise irgendwie merken:<br />

wem der Anweisende die Anweisung erteilt;<br />

- die lateinische Ausdrucksweise merken:<br />

–aat als die grammatikalische Endung für das Passiv/Objekt;<br />

Delegant gibt Befehl, Delegat kriegt Befehl.).<br />

Anweisungs-empfänger (Begünstigter) = Delegatar (hier: C)<br />

(<strong>zu</strong>m Merken: „Begünstigter = Empfänger“<br />

„Empfänger kriegt was“, sei es Zahlung, sei es Forderung!).<br />

4. Bezeichnung und Inhalt der drei Rechtsbeziehungen<br />

Deckungsverhältnis: Delegant - Delegat<br />

Valutaverhältnis: Delegant - Delegatar<br />

Zuwendungsverhältnis: Delegat - Delegatar.<br />

Dabei besteht häufig im Deckungsverhältnis<br />

eine Forderung des Deleganten gegen den Delegaten,<br />

während im Valutaverhältnis<br />

eine Forderung des Delegatar gegen den Deleganten besteht.<br />

Dann erfolgt die Delegation von Delegant an Delegat<br />

<strong>zu</strong>m Zweck der Erfüllung der Verpflichtung des Delegaten gegenüber Deleganten.<br />

Es kann aber auch darum gehen,<br />

ein neues Rechtsverhältnis überhaupt erst her<strong>zu</strong>stellen,<br />

z. B. um eine Schenkung des Delegaten an Deleganten <strong>zu</strong> bewirken<br />

oder um eine Mitgift (dos) des Delegaten für den Deleganten <strong>zu</strong> bestellen<br />

oder um ein Darlehen <strong>zu</strong> gewähren.<br />

5. Zahlungsanweisung oder Verpflichtungsanweisung<br />

- Zahlungs-Anweisung: Delegant A weist Delegat B an, an Delegatar C <strong>zu</strong> zahlen, oder<br />

- Verpflichtungs-Anweisung: B soll sich gegenüber C im Wege der Stipulation verpflichten;<br />

diese ist wichtiger.<br />

Bei der Zahlungsanweisung erteilte der Anweisende A dem Angewiesenen B die Anweisung, an den Anweisungsempfänger<br />

C <strong>zu</strong> Lasten des A <strong>zu</strong> zahlen. Mit der Zahlung des B an den C erbrachte (mittelbar) gleichzeitig<br />

der B eine „Leistung“ an den A (= Leistung an einen <strong>Dr</strong>itten) und der A eine „Leistung“ (durch einen <strong>Dr</strong>itten) an<br />

den C.<br />

6. Zwei unterschiedliche Funktionen der Verpflichtungsanweisung:<br />

Aktivdelegation oder Passivdelegation<br />

a) Aktivdelegation (Wirkung vergleichbar der Abtretung)<br />

In der ersten Alternative, der Aktivdelegation,<br />

wird im Deckungs-verhältnis<br />

eine Forderung des Deleganten gegen den Delegaten vorausgesetzt.<br />

Dann weist der Delegant A den Delegaten B in einem iussum an,<br />

dass der Delegat B dem Delegatar C<br />

genau das in einer Stipulation verspricht, was bisher B dem A schuldete.<br />

Wenn z. B. der Delegant (A) Seius hieß,<br />

dann stipulierte C von B: „Was du dem Seius schuldest, versprichst du das mir <strong>zu</strong> geben?“<br />

„Quod Seio debes, mihi dari spondesne?“<br />

30. September 2011<br />

165


Dann sehen die Parteien die Hauptbedeutung der Delegation darin,<br />

dass der Delegat einen neuen Gläubiger bekommt,<br />

so dass im Ergebnis der Delegatar gegenüber dem Delegaten<br />

die Forderung des Deleganten übernimmt<br />

= Gläubigerwechsel = Forderungsübernahme = Abtretung = Aktivdelegation.<br />

b) Passivdelegation (Wirkung vergleichbar der Schuldübernahme)<br />

In der zweiten Alternative, der Passivdelegation,<br />

wird im Valuta-verhältnis<br />

eine Forderung des Delegatars C gegen den Deleganten A vorausgesetzt.<br />

Im Deckungsverhältnis wird irgendeine Rechtsbeziehung<br />

zwischen dem Deleganten A und dem Delegaten B vorausgesetzt.<br />

Dann weist der Delegant A den Delegaten B in einem iussum an,<br />

dass der Delegat B dem Delegatar C<br />

genau das in einer Stipulation verspricht, was bisher der A dem C schuldete.<br />

Wenn z. B. der Delegant Titius hieß,<br />

dann stipulierte C von B: „Was mir der Titius schuldest, versprichst du das mir <strong>zu</strong> geben?“<br />

„Quod Titius mihi debet, id mihi dari spondesne?“<br />

Dann beabsichtigen die Parteien in erster Linie,<br />

dass der Delegatar einen neuen Schuldner bekommt, so dass im Ergebnis<br />

der Delegat gegenüber dem Delegatar die Schuld des Deleganten übernimmt.<br />

= Schuldnerwechsel = Schuldübernahme = Passivdelegation.<br />

In beiden Fällen scheidet der Delegant aus dem <strong>Dr</strong>eiecksverhältnis aus:<br />

Bei der Forderungsübernahme<br />

wird die Forderung des Deleganten von dem Delegatar übernommen.<br />

Bei der Schuldübernahme<br />

wird die Schuld des Deleganten von dem Delegaten übernommen.<br />

7. Funktionieren durch Iussum und Stipulation<br />

Wie funktionierte nun die Delegation in Rom?<br />

Ganz einfach: mittels Iussum und (Zahlung oder) Stipulation.<br />

- Immer erteilte der Delegant dem Delegaten das iussum,<br />

an den Delegatar <strong>zu</strong> zahlen oder <strong>zu</strong> versprechen,<br />

d. h. eine „Anordnung, Befehl“, gänzlich formlos,<br />

- und immer musste da<strong>zu</strong> der Delegat<br />

- an den Delegatar entweder zahlen oder<br />

- ihm stipulationsweise versprechen.<br />

Nach der Anweisung des Deleganten an den Delegaten<br />

wurde von dem Delegatar die Stipulation mit dem Delegaten abgeschlossen,<br />

indem der Delegatar den Delegaten fragte: "Versprichst Du mir ....".<br />

8. Art der Stipulation zwischen Delegatar und Delegat<br />

In der Stipulation zwischen Delegatar und Delegaten<br />

nahm der Delegatar immer, oder jedenfalls meistens,<br />

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166


auf die ursprüngliche Forderung Be<strong>zu</strong>g, also<br />

entweder: "versprichst Du mir die hundert, die mir Titius schuldete?" (Schuldübernahme),<br />

oder: "Versprichst Du mir die hundert, die du dem Seius schuldetest?" (Forderungsübernahme).<br />

Man sagt, die Stipulation sei tituliert gewesen und nicht abstrakt.<br />

Ob auch eine abstrakte Stipulation geeignet gewesen sei, ist heute fraglich.<br />

9. Wirkung der Delegation<br />

Rechtswirkung<br />

- von iussum des Deleganten,<br />

- verbunden mit Stipulation oder Zahlung im Verhältnis Delegatar – Delegat:<br />

sobald der Delegat an den Delegatar<br />

gezahlt oder versprochen hatte, trat die Wirkung ein,<br />

dass die beiden Forderungen Delegatar - Delegant 455<br />

und Delegant - Delegat erloschen.<br />

Denn der Delegatar hatte von dem Delegaten und damit mittelbar von dem Deleganten entweder Zahlung<br />

oder Stipulationsversprechen erhalten.<br />

Insofern konnten die Römer sagen:<br />

"Erfüllung erfolgt auch durch Anweisung = Solvit et qui delegat" 456<br />

.<br />

10. Fehlerhaftigkeit der ursprünglichen Forderung<br />

Welche Bedeutung hatte es,<br />

wenn eine der ursprünglichen Forderungen unwirksam oder einredebehaftet war?<br />

Das kann im römischen Recht differenziert oder kontrovers gesehen worden sein.<br />

Im Grundsatz ergibt sich die Antwort aus der Formulierung der Stipulation.<br />

- War sie abstrakt oder tituliert?<br />

- Handelte es sich um eine titulierte Stipulation<br />

- zwecks Forderungsübernahme (Aktivdelegation) oder<br />

- zwecks Schuldübernahme (Passivdelegation)?<br />

11. Fehlerhaftigkeit bei abstrakter Stipulation<br />

War die neue Stipulation, zwischen Delegatar (als neuem Gläubiger)<br />

und Delegatem (als neuem Schuldner) abstrakt formuliert,<br />

also ohne Hinweis auf eine andere, <strong>zu</strong> Grunde liegende Forderung,<br />

dann konnte der Delegat im allgemeinen<br />

nur solche Unwirksamkeitsgründe oder Einreden geltend machen,<br />

die sich gerade aus dem Verhältnis zwischen Delegatar und Delegaten ergaben.<br />

Im übrigen blieb die Möglichkeit, dass ein Ausgleich zwischen<br />

Delegat und Delegant, oder zwischen Delegatar und Delegant erfolgte.<br />

Aber Ausnahmen und Kontroversen.<br />

12. Fehlerhaftigkeit bei Aktivdelegation,<br />

wenn die Stipulation tituliert war.<br />

- Bei der Forderungsübernahme (Aktivdelegation) versprach der Delegat dasjenige <strong>zu</strong> leisten,<br />

was er bisher dem Deleganten (z. B. Seius) geschuldet hatte.<br />

455<br />

456<br />

Gai. 3, 176; K I § 152 m. Anm. 16 ff.<br />

K I § 152/43. So ausdrücklich z. B. D. 16, 1, 8, 3.<br />

30. September 2011<br />

167


- Wenn also die Forderung Delegant - Delegat fehlerhaft war,<br />

dann haftete derselbe Fehler der Stipulationsforderung Delegatar - Delegat an 457<br />

:<br />

die eine war also ebenso unwirksam wie die andere,<br />

oder die ein war so einredebehaftet wie die andere.<br />

- Wenn hingegen die Forderung Delegatar - Delegant fehlerhaft war,<br />

dann war diese Rechtsbeziehung im Verhältnis Delegatar - Delegat irrelevant<br />

und konnte von dem Delegaten gegenüber dem Delegatar nicht geltend gemacht werden.<br />

13. Fehlerhaftigkeit bei Passivdelegation,<br />

wenn die Stipulation tituliert war.<br />

- Bei der Schuldübernahme hingegen versprach der Delegat nur das <strong>zu</strong> leisten,<br />

was bisher der Delegant (z. B. Titius) dem Delegatar geschuldet hatte.<br />

- Wenn also die Forderung Delegatar - Delegant fehlerhaft war,<br />

dann haftete derselbe Fehler der Stipulationsforderung Delegatar - Delegat an 458<br />

.<br />

- Wenn hingegen die Forderung Delegant - Delegat fehlerhaft war,<br />

dann war das im Verhältnis Delegatar - Delegat irrelevant<br />

und konnte von dem Delegaten gegenüber dem Delegatar nicht geltend gemacht werden.<br />

14. Rückabwicklung wohl meistens in Rom wie noch heute<br />

in den „Leistungsbeziehungen“ (wie man heute wohl sagen würde)<br />

zwischen Delegat und Delegant<br />

oder zwischen Delegant und Delegatar<br />

Bei Doppelmangel häufig Durchgriff 459<br />

.<br />

15. Terminologische Warnung<br />

Vermeiden Sie hier (wie auch sonst!) den Ausdruck des "<strong>Dr</strong>itten":<br />

wer von den drei Personen soll denn der <strong>Dr</strong>itte sein?<br />

16. Vorsicht: BGB<br />

Hingegen §§ 783 ff. BGB besondere Vorausset<strong>zu</strong>ngen und Rechtsfolgen der Anweisung.<br />

457<br />

Digesten 46, 2, 19. Paulus im 69. Buch <strong>zu</strong>m Edikt. Die Einrede der Arglist, die dem Deleganten hatte entgegengesetzt<br />

werden können, entfällt gegenüber der Person des Gläubigers, an den jemand delegiert wurde. Dasselbe<br />

gilt auch für andere ähnliche Einreden, sogar für diejenige, die auf Grund des Senatsconsultum dem<br />

Haussohn gewährt wird. Denn gegenüber dem Gläubiger, an den der Haussohn von demjenigen, der ein Darlehen<br />

entgegen dem Senatusconsultum gegeben hatte, delegiert wurde, verwendet er die Einrede deswegen nicht,<br />

weil er mit seinem Versprechen nicht gegen das Senatusconsultum verstößt. Das gilt um so mehr, als dieser das<br />

Geleistete nicht <strong>zu</strong>rückverlagen kann. Anders ist es hinsichtlich einer Frau, die entgegen dem Senatusconsultum<br />

etwas versprochen hat. Denn auch in ihrem zweiten Versprechen liegt eine Interzession. Dasselbe gilt für<br />

den Minor, der übervorteilt worden ist und delegiert wird. Denn er wird wiederum übervorteilt, wenn er bei der<br />

Delegation noch ein Minor ist. Anders ist es, wenn er schon das Alter von 25 Jahren überschritten hat, obgleich<br />

er bis dahin gegenüber dem ersten Gläubiger wieder in den vorigen Stand eingesetzt werden konnte. Aber aus<br />

dem Grund werden die Einreden gegenüber dem zweiten Gläubiger verweigert, weil bei privaten Verträgen<br />

und Abmachungen der Kläger nicht ohne weiteres wissen kann, was zwischen demjenigen, der delegiert wurde,<br />

und dem Schuldner vorgegangen ist. Oder, selbst wenn er es weiß, muss er sein Wissen verbergen, um nicht als<br />

neugierig <strong>zu</strong> gelten. Und deswegen muss richtigerweise ihm gegenüber die Einrede aus der Person des Schuldners<br />

verweigert werden.<br />

458<br />

459<br />

K I § 152 / 13.<br />

Vgl. D. 12,4, 7 pr. (Case 234).<br />

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168


KAPITEL 47. DELEGATION STATT MODERNER ABTRETUNG<br />

Eigentlich keine Abtretung im Sinne des BGB,<br />

denn: „Forderungen hängen an den Knochen von Gl und Sch“ – nomina ossibus inhaerent.<br />

Abneigung im römischen Recht gegen Einbeziehung <strong>Dr</strong>itter in Vertrag<br />

wie bei Ausschluss der direkten Stellvertretung und bei Unwirksamkeit des Vertrages <strong>zu</strong> Gunsten <strong>Dr</strong>itter.<br />

Aber gewissermaßen Ersatz-Konstruktionen im römischen Recht für Ergebnis der Abtretung 460<br />

:<br />

1. Ausgangssituation für Abtretungserfolg mittels Delegation<br />

Es ist davon aus<strong>zu</strong>gehen, dass B (Delegat) der Schuldner des A (Delegant) war,<br />

im Deckungsverhältnis besteht also eine Forderung.<br />

A (Delegant) könnte vielleicht der Schuldner des C (Delegatar) sein,<br />

im Valutaverhältnis hätte dann ebenfalls eine Forderung bestanden;<br />

es könnte stattdessen sein, dass A dem C etwas schenken oder ihm eine Dos bestellen<br />

oder ihm ein Darlehen gewähren wollte.<br />

Im Zuwendungs- oder Abwicklungsverhältnis, d. h. zwischen B und C<br />

bestand bisher keine Rechtsbeziehung;<br />

diese wird nun erst das Zuwendungsverhältnis hergestellt.<br />

2. Herstellung des Abtretungsergebnisses<br />

Der Delegatar tritt nunmehr an die Stelle des ursprünglichen Gläubigers, des Deleganten<br />

(in Rom: Aktivdelegation),<br />

also Erfolg der modernen Abtretung. Wichtig, weil das römische Recht<br />

eine Abtretung als Vereinbarung zwischen dem bisherigen Gläubiger und dem Abtretungsempfänger,<br />

ohne Beteiligung des Schulders (§ 398 BGB), nicht kannte.<br />

In Rom mittels<br />

1. formloser Anordnung, iussum, des Deleganten an den Delegaten (B),<br />

der Delegat solle dem Delegatar etwas <strong>zu</strong>wenden, verbunden mit<br />

2. Stipulation des Delegatars (C) von dem Delegaten (B).<br />

Vorgehensweise in Rom. Wenn ursprünglich der A eine Forderung gegen B hatte und<br />

1. wenn der bisherige Gläubiger (A), der anweisende Delegant,<br />

seinen Schuldner (B), den angewiesenen Delegaten, anwies und damit das Iussum erteilte,<br />

an einen <strong>Dr</strong>itten, den Delegatar, <strong>zu</strong> leisten, und<br />

2. wenn der <strong>Dr</strong>itte (C), als Anweisungsempfänger (Delegatar) die Forderung,<br />

welche bisher dem Anweisenden <strong>zu</strong>stand, von dem Angewiesenen stipulierte,<br />

etwa mit den Worten: "Was Du dem Seius schuldest, versprichst Du es jetzt mir?",<br />

"Quod Seio debes, mihi dari spondesne?"<br />

3. Warum Delegation? Innenverhältnis zwischen Delegatar - Deleganten - Delegaten?<br />

Warum<br />

1. Erteilung der Anweisung durch den Anweisenden A an den Angewiesenen B?<br />

460<br />

Definition Delegation = Abtretung 46, 2, 11 pr.<br />

30. September 2011<br />

169


Frage des Valutaverhältnisses zwischen A und C:<br />

1. Häufig, damit der Delegant A seine eigene Schuld<br />

gegenüber dem Delegatar C erfüllt, entsprechend der Rechtsmaxime:<br />

Solvit qui delegat. Es erfüllt, wer anweist.<br />

(Auch umgekehrt: Qui delegat, solvit.).<br />

2. Oder<br />

- Darlehen oder<br />

- Schenkung oder Dosbestellung des A an C.<br />

2. Warum Annahme des Iussum durch den Angewiesenen B<br />

und Stipulationsversprechen des B gegenüber Anweisungsempfänger C?<br />

Frage des Deckungsverhältnisses zwischen B und A:<br />

1. Häufig wegen Schuld des Delegaten B gegenüber dem Deleganten A.<br />

2. Oder Darlehen, Schenkung, Dosbestellung etc. des B an den A.<br />

4. Nachteil<br />

Infolge neuer Stipulation zwischen Delegatar und Delegaten, d. h. Novation,<br />

erlöschen die Sicherheiten für ursprüngliche Forderung des Delegatars gegen Deleganten.<br />

5. Andere Möglichkeiten <strong>zu</strong>m Abtretungserfolg<br />

Nach römischem Recht gab es neben der<br />

- Delegation<br />

andere Möglichkeiten, um die Folgen einer heutigen Abtretung <strong>zu</strong> erzielen, insbesondere durch<br />

- eine analoge Klage, actio utilis,<br />

- oder durch Prozessvertretung.<br />

6. Unterschied römische Delegation / moderne Abtretung<br />

Beachten Sie Unterschied zwischen Weg <strong>zu</strong>m Erfolg des Gläubigerwechsels<br />

in Rom: Rechtsgeschäft im Wesentlichen zwischen Schuldner und Neugläubiger,<br />

nach BGB: Rechtsgeschäft zwischen Altgläubiger und Neugläubiger.<br />

KAPITEL 48. DELEGATION STATT MODERNER SCHULDÜBERNAHME<br />

Ähnlich wie die Delegation <strong>zu</strong>r Forderungsübertragung eingesetzt wurde,<br />

wurde sie <strong>zu</strong>r Schuldübernahme benutzt.<br />

Der Gläubiger (C) brauchte den Neuschuldner (B) lediglich stipulationsweise <strong>zu</strong> fragen:<br />

"Was mir der Altschuldner Titius (A) schuldet, versprichst jetzt Du es mir, dass das mir geleistet werde?",<br />

"Quod Titius mihi debet, mihi dari spondesne?" oder "Decem quae mihi Titius debet...?",<br />

und der Neuschuldner B musste die Frage bejahen, mit der Folge,<br />

dass der Altschuldner Titius (A) nunmehr von der Schuld gegenüber dem Gläubiger (C) befreit war.<br />

Also in Rom, ähnlich wie heute,<br />

Rechtsgeschäft zwischen Gläubiger (C) und Neuschuldner (B).<br />

Beim Schuldnerwechsel<br />

erlischt die ursprüngl Forderung des Gl gegen den Altschuldner,<br />

weil dies im allgemeinen dem Willen des Gläubigers und der beiden Schuldner entspricht.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

170


Kapitel 49. Schuldumschaffung. verschoben<br />

Kapitel 50. Bedingungen. verschoben<br />

11 A. TEIL<br />

VERTRAGSÄHNLICHE VERHÄLTNISSE<br />

KAPITEL 51. QUASIKONTRAKTE, INST. 3, 27 PASS.<br />

Lehrerartige und schulbuchgemäße Überleitung und Erläuterung Inst. 3, 27 pr.<br />

KAPITEL 52. GESCHÄFTSFÜHRUNG OHNE AUFTRAG = NEGOTIORUM GESTIO<br />

Inst. Iust. 3, 27 pr. + 1.<br />

Ebenfalls heute noch so ähnlich wie im alten Rom.<br />

KAPITEL 53. UNGERECHTFERTIGTE BEREICHERUNG = CONDICTIO INDEBITI 461<br />

1. Institutionen 3, 13, 2; 3, 14, 1; 3, 27 pr. und 6.<br />

2. Klage war die aus der XII-Tafel-Zeit stammende condictio 462<br />

.<br />

Diese war besonders gut als Bereicherungsklage geeignet wegen ihrer sogen. abstrakten Fassung,<br />

denn es genügten die folgende, sehr allgemein gehaltene intentio und die condemnatio:<br />

"wenn es sich ergibt, dass der Beklagte dem Kläger z. B. 10 000 Sesterzen <strong>zu</strong> zahlen verpflichtet ist,<br />

dann verurteile" etc.,<br />

ohne Nennung des Verpflichtungsgrundes.<br />

Auch eingesetzt für Ersatzforderung (nicht: Schadenersatz wegen Delikts) gegen Dieb,<br />

Rückzahlung eines Darlehens, Litteralkontrakt und Stipulation.<br />

3. Die condictio wegen Bereicherung setzte voraus<br />

1. eine Zuwendung, datio 463<br />

,<br />

1. Leistung, z. B. Geldzahlung 464<br />

oder Schuldenerlass,<br />

461<br />

462<br />

463<br />

K I § 139, S. 592. Jörs-Kunkel, 4. A., § 127.<br />

Kaser I S. 593.<br />

Deswegen z. B. nur Direkt-Kondiktion nach Mod. 12. 6. 49: Nur von demjenigen wird Geld kondiziert, an den<br />

es in irgendeiner Weise gezahlt worden ist, nicht von denjenigen, denen es <strong>zu</strong>gute kommt.<br />

464464<br />

Leistung mittels Anweisung genügt, K I § 139/9.<br />

30. September 2011<br />

171


2. Im römischen Recht einen rechtsgeschäftsähnlichen Vorgang, ein negotium contractum 465<br />

(deswegen z. B. keine condictio bei eigenem Bau auf fremdem Grund).<br />

2. Außerdem, wie bei der heutigen Bereicherungsklage,<br />

das Fehlen einer Zweckvereinbarung oder das Nichterreichen des beabsichtigten Zwecks,<br />

also Fehlen oder Mangelhaftigkeit einer causa 466<br />

(diese aber eine andere causa als für traditio oder usucapio).<br />

Z. B. infolge abstrakter Zuwendung (mancipatio)<br />

oder infolge Vermischen fremden Geldes mit eigenem;<br />

später auch wegen grundloser Stipulation.<br />

4. Bereicherungsfälle u. a.:<br />

- Häufig: angeblicher Schuldner zahlt Geld an angeblichen Gläubiger <strong>zu</strong>rück,<br />

obwohl er Darlehen gar nicht erhalten oder schon wieder <strong>zu</strong>rückgezahlt hat,<br />

oder Bürge zahlt an Gl <strong>zu</strong>rück, obwohl Haupschuldner schon gezahlt hat.<br />

- Auch wenn ohne Rechtsgrund ein Stipulationsversprechen abgegeben worden war,<br />

konnte dieses kondiziert werden.<br />

Kondfiktionsgrund auch, wenn einer Stipulationsforderung<br />

eine dauernde Einrede entgegenstand.<br />

- Sonderfall der Condictio de bene depensis,<br />

wenn Darlehensnehmer fremdes Geld gutgläubig verbraucht hatte.<br />

Dann konnte der Darlehens-Geber, nicht etwa der Eigentümer, die Condictio haben 467<br />

.<br />

5. Verschiedene Fallgruppen 468<br />

,<br />

wenn auch sehr schwer <strong>zu</strong> unterscheiden:<br />

- Condictio sine causa (Dig. 12, 7): sonstige Bereicherungsfälle 469<br />

465<br />

Bsp: Kleiderreiniger hat seinem Kunden verlorengegangene Kleider ersetzt,<br />

die aber wiedergefunden werden (D.12,7,2).<br />

- Condictio indebiti (Dig. 12, 6): Rückforderung einer in entschuldbarem Irrtum gezahlten Nichtschuld<br />

Bsp: Hauptschuldner zahlt Schuld an Gl <strong>zu</strong>rück, daraufhin zahlen Bürgen nochmals (D. 12,6, 25).<br />

- Condictio ob rem = Datio ob rem = condictio ob causam datorum = causa data causa non secuta:<br />

(Dig. 12, 4): in (fehlgeschlagener) Erwartung einer Gegenleistung oder eines Erfolges<br />

oder einer künftiger Eheschließung<br />

Bsp: Ego gibt dem Tu Geld, damit Tu seinen Sklaven Stichus freilässt; Tu tut es aber nicht (D. 12, 4,3, 2);<br />

Differenziert bei Mündel, pupillus: wenn pupillus Zahlung annimmt, anscheinend kein negotium, deswegen<br />

keine condicito. Wenn aber pupillus zahlt, dann negotium mit Folge der condictio des pupillus. K I 139/16 – 18.<br />

466<br />

Kontrovers: Wenn jemand etwas Geschuldetes erlangt, dennoch Rückforderung, wenn nicht der Leistende geschuldet<br />

hat; vgl. D. 12, 6, 19, 1; 46. 3. 38. 2; 5, 3, 31 pr.; 12, 6, 65, 9; C. 4, 5, 5; C. 3, 31, 5. - Aber nach a. A.<br />

keine Rückforderung gegen denjenigen, der das ihm Zustehende erhält, auch wenn von einem anderen als dem<br />

wahren Sch; D. 12, 6, 44; 2, 6, 8; 26; 53.<br />

467<br />

468<br />

469<br />

Vgl. K, Studien I 531 / 16.<br />

Vgl. K I § 139 III, S. 596 ff.; K II § 270 III 1, S. 422.<br />

Sonderfall der sogenannten condictio Iuventiana des Celsus, D. 12, 1, 32: Condctio des wirklichen Darlehensgebers<br />

gegen den Darlehensnehmer, wenn im Falle der Darlehensgewährung mittels Delegation Darlehensnehmer<br />

über Person des Darlehensgebers irrt; K I § 139 Anm. 20, § 152 Anm. 44.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

172


- Condictio ob causam finitam - Rückgabe wegen Erledigung,<br />

Bsp: Schuldschein nach Bezahlung.<br />

- Condictio ob turpem vel iniustam causam (Dig. 12, 5):<br />

Anspruch, wenn dem Empfänger Verstoß gegen gute Sitten oder gegen Rechtsordnung <strong>zu</strong>r Last fiel,<br />

Bsp: Ego gibt dem Tu Geld, damit Tu ein geplantes Verbrechen unterlässt (D. 12, 5, 2 pr.).<br />

Aber kein Anspruch, wenn auch der Leistende gegen gute Sitten gehandelt hatte (vgl. § 817 BGB),<br />

denn bei gleicher Untat ist die Sache des Besitzenden die bessere,<br />

in pari turpitudine melior est causa possidentis,<br />

- Condictio furtiva (Dig. 13, 1): Eigentümer gegen Dieb.<br />

6. Grundsätzl Haftung auf den ursprgl empfangenen Ggstd (also wie bei Darlehen)<br />

ohne modernrechtliche Entreicherungseinrede,<br />

bei Untergang der heraus<strong>zu</strong>gebenden Sache Fiktion des Fortbestandes der Bereicherungsschuld,<br />

„perpetuatio obligationis“,<br />

aber Einschränkungen / Ausnahmen 470<br />

.<br />

7. Digesten-Titel 12, 6 De condictione indebiti,<br />

12, 7 De condictione sine causa.<br />

8. Vgl. § 812 I 1 Alt. 1 BGB.<br />

9. Andere Möglichkeiten des Bereicherungsausgleichs, vor allem, wenn condictio nicht passt:<br />

- Geschäftsführung ohne Auftrag, a. negotiorum gestorum contraria,<br />

- a. in factum,<br />

- Zurückbehaltungsrecht des Entreicherten gegenüber Anspruch des Bereicherten, exc. doli,<br />

- Analogie <strong>zu</strong>r Eigentumsherausgabeklage, vindicatio utilis.<br />

Ausdrücke<br />

condictio Kondiktion<br />

(Vorsicht: condictio nicht verwechseln mit conditio = condicio, d. h. Bedingung)<br />

indebitum nicht geschuldet<br />

sine causa ohne Rechtsgrund.<br />

KAPITEL 54. GELDKONDIKTION<br />

1. Sachverhalt: Auf Grund Kaufvertrages zahlt K an V den Kaufpreis. Dann stellt sich heraus, dass der Kaufvertrag unwirksam ist, etwa<br />

wegen Irrtums 471<br />

oder wegen objektiv anfänglicher Unmöglichkeit 472<br />

. Deshalb fragt es sich, mit welcher actio der K den <strong>zu</strong> Unrecht<br />

gezahlten Kaufpreis von V <strong>zu</strong>rückbekommt. Die Juristen gewähren gelegentlich die condictio. Wie ist diese <strong>zu</strong> begründen?<br />

2. Eigentl Übereignung Geld von Kfer an Verkfer mittels traditio,<br />

diese verlangte ws causa traditionis wahrscheinl auch für Geldstücke, nummi 473<br />

.<br />

Aber keine ws emptio venditio.<br />

470<br />

In der intentio der condictio konnten auch Ansprüche auf gewisse Nebenleistungen geltend gemacht werden,<br />

z. B. auf Früchte; K I § 115, S. 493, Anm. 45.<br />

471<br />

472<br />

473<br />

D. 18, 1, 41, 1.<br />

D. 18, 4, 7.<br />

Sturm, in Schlosser, Sturm, Rechtsgeschichtl Ex, 2. A., S. 68, Anm. 32, verweist jedoch auf Bedenken bei Kaser,<br />

TR 29, 1961, 223.<br />

30. September 2011<br />

173


Deswegen kann man annehmen, dass die Geldübereignung von K an V unwirksam ist,<br />

so dass K Eigentümer des Geldes geblieben ist<br />

und dieses vindizieren kann.<br />

Dann scheidet aber condictio aus (abgesehen von dem wenig praktischen Fall der Besitzkondiktion).<br />

3. Condictio kommt nur in Betracht, wenn V Eigentümer des Geldes geworden ist.<br />

Vielleicht lässt sich argumentieren:<br />

- Verkauf (emptio) war in einzelnen anderen Fällen 474<br />

sogar dann ausreichende causa, wenn Kaufvertrag unwirksam war.<br />

- Vielleicht genügt causa solvendi,<br />

näml Zweckvereinbarung der Erfüllung einer Schuld,<br />

auch wenn diese Schuld in Wirklk nicht besteht 475<br />

.<br />

4. Wenn trotz Übergabe von K an V das Geld noch Eigentum des K blieb,<br />

weil es an Kfvertrag als causa fehlt, dann vielleicht <strong>zu</strong> unterstellen<br />

- entweder Vermischung Geld des Kfers mit Geld des Verkäufers,<br />

- oder: Geld des K wurde von V an <strong>Dr</strong>itten ausgegeben,<br />

so dass <strong>Dr</strong>itter Eigentümer wurde.<br />

5. Bereicherungs-Kondiktion verlangt außerdem negotium contractum,<br />

so hier Zweckvereinbarung K - V.<br />

6. Sine causa (gemeint: Fehlen der Bereicherungs-Causa,<br />

trotz Annahme einer traditio-causa): hier Unwsk des Kaufvertrages.<br />

7. Aber es gibt auch Fälle der Vindikation von Geld 476<br />

, so dass condictio entfiel.<br />

11 B. TEIL<br />

UNERLAUBTE HANDLUNGEN<br />

KAPITEL 1. DELIKTE 477<br />

1. Unterscheiden privatrechtliche unerlaubte Handlungen, delicta,<br />

und öffentlich verfolgte Straftaten, crimina (sing. crimen, n.).<br />

2. Systematik: Inst. 3, 13, 2 (Anfang) und Inst. 4, 1 pr.<br />

3. Beispiele für (privatrechtliche) Delikte in Inst. 3, 13, 2 (Ende):<br />

Diebstahl, Raub, Sachbeschädigung, Personenverlet<strong>zu</strong>ng 478<br />

.<br />

4. Wegen eines (privatarechtlichen) Delikts erwächst in Rom Strafklage, actio poenalis.<br />

(Eine solche Strafklage ist eine „richtige“ Strafverfolgung,<br />

allerdings erfolgt die Strafverfolgung nicht, wie heute, durch Staatsanwalt, oder wie in Rom durch Magistrat,<br />

sondern durch den geschädigten Privatmann.<br />

Die Strafsumme ging in Rom an den klagenden Privatmann, nicht wie heute an den Staat.).<br />

474<br />

475<br />

Kunkel/MM 159/26: Kauf vom Geschäftsunfähigen bei Gutgläubigkeit des Käufers.<br />

Sturm (oben Anm. 1); K I 417 m Anm 39: Gai. 3, 91; D. 44, 7, 5, 3. Das gilt nach Sturm vielleicht auch f Solutionen,<br />

die nicht Stipulation oder Damnationslegat betreffen (sondern wahrscheinl, wie hier, einen, in Wirklk<br />

nicht vorhandenen, Kfvertrag). Beste Übersicht <strong>zu</strong>r causa traditionis bei Kunkel/Mayer-Maly S. 156 ff.<br />

476<br />

477<br />

478<br />

ZB. D. 46, 1, 19.<br />

Kaser-Knütel §§ 35 und 50.<br />

Ebenso die „einzelnen Delikte“ bei Kaser-Knütel § 51.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

174


5. Actio poenalis ist in Rom Anspruch auf Grund Privatrechts,<br />

also Klagerhebung vor Praetor, Formelerteilung durch Praetor,<br />

Klagdurchführung und Urteil durch iudex.<br />

6. Ebenso wie im modernen Recht die „Strafe“ und der Anspruch wegen der betroffenen Sache<br />

auseinandergehalten werden, ebenso schon in Rom.<br />

Deswegen steht neben der sogenannten „reinen Poenalklage“, z. B. wegen Diebstahls, a. furti,<br />

die Klage bezüglich der betroffenen Sache, z. B. auf Rückgabe der gestohlenen Sache, rei vindicatio,<br />

oder auf Erstattung des Wertes der gestohlenen Sache, condictio furtiva.<br />

Die Klage auf Rückgabe oder Erstattung wegen der Sache<br />

nennt man in diesem Zusammenhang sachverfolgend, „reipersekutorisch“.<br />

Inst. Iust. 4, 6, 16. Es folgt jene Unterteilung, dass einige Klagen <strong>zu</strong>r Sachverfolgung gewährt sind und einige <strong>zu</strong>r Strafverfolgung...<br />

Inst. Iust. 4, 6, 16. Sequens illa divisio est, quod quaedam actiones rei persequendae gratia comparatae sunt, quaedam poenae<br />

persequendae...<br />

Inst. Iust. 4, 6, 17. Zur Sachverfolgung gewährt sind alle dinglichen Klagen. Von den Klagen aber, die gegen die Person gerichtet<br />

sind, sind fast alle Vertragsklagen <strong>zu</strong>r Sachverfolgung gewährt, z. B. auf Grund Darlehens oder Stipulation...<br />

Inst. Iust. 4, 6, 17. Rei persequendae causa comparatae sunt omnes in rem actiones. earum vero actionum quae in personam sunt, hae<br />

quidem quae ex contractu nascuntur fere omnes rei persequendae causa comparatae videntur: veluti quibus mutuam pecuniam vel in<br />

stipulatum deductam petit actor...<br />

Ebenso wie heute, so wurden schon in Rom beide Klagen,<br />

die Poenalklage und die sachverfolgende Klage, gehäuft gegen den Schädiger gegeben.<br />

Dieb muss daher Duplum oder Quadruplum als Strafe wegen des Diebstahls an Bestohlenen zahlen<br />

und außerdem gestohlene Sache oder deren Wert an Bestohlenen erstatten.<br />

Das gilt aber nur bei der sogenannten „reinen Poenalklage“.<br />

Inst. Iust. 4, 6, 18. Aus den Übeltaten werden die einen ausschließlich <strong>zu</strong>m Zwecke der Bestrafung gewährt ... Die Bestrafung erlangt<br />

jemand mit der Diebstahlsklage, actio furti; ob wegen offensichtlichen Diebstahls auf das Vierfache oder wegen nicht offensichtlichen<br />

Diebstahls auf das Doppelte geklagt wird, stets handelt es sich nur um die poena, Strafe. Denn man erlangt die Sache selbst<br />

durch die eigentliche Klage, indem man sein Eigentum geltend macht...<br />

Inst. Iust. 4, 6, 18. Ex maleficiis vero proditae actiones aliae tantum poenae persequendae causa comparatae sunt ... poenam tantum<br />

persequitur quis actione furti; sive enim manifesti agatur quadrupli sive nec manifesti dupli, de sola poena agitur: nam ipsam rem<br />

propria actione persequitur quis, id est suam esse petens...<br />

7. In anderen Fällen hat der Geschädigte aber allein die Poenalklage,<br />

er hat nicht außerdem eine weitere Klage auf Rückgabe, Erstattung oder Ersatz.<br />

Man nahm an, dass in derartigen Fällen die Poenalklage gleichzeitig die Funktion der sachverfolgenden Klage hatte.<br />

Diese waren die gemischten Poenalklagen.<br />

Hauptfall: Klage auf Grund der lex Aquilia wegen Sachbeschädigung.<br />

Der Geschädigte hatte wegen Sachbeschädigung nur einen einzigen Anspruch,<br />

dieser jedoch galt als Poenalklage.<br />

8. Strafklagen<br />

1. erlöschen stets mit dem Tod des Täters, richten sich also nicht gegen dessen Erben,<br />

sind daher passiv unvererblich,<br />

2. einige gehen auf den Erben des Geschädigten über, sind aktiv vererblich;<br />

andere sind aktiv unvererblich, so a. iniuriarum.<br />

9. Klagziel: privatrechtliche Bußzahlung als Vergeltung,<br />

Schadenersatz nicht in erster Linie.<br />

10. Einfacher oder mehrfacher Wert Inst. 4, 6, 21 – 23.<br />

1. Diebstahl,<br />

1. offenkundiger Diebstahl, a. furti manifesti, auf das Vierfache,<br />

2. nicht offenkundiger Diebstahl, a. furti nec manifesti,<br />

30. September 2011<br />

175


Buße auf den doppelten Wert, duplum,<br />

2. Sachbeschädigung, lex Aquilia,<br />

1. bei Anerkennung: einfacher Wert,<br />

2. bei Bestreiten der Tat: duplum.<br />

11. Bußberechnung durch richterliche Schät<strong>zu</strong>ng, litis aestimatio.<br />

entsprechend dem Vermögensobjekt, quanti ea res est / fuit / erit,<br />

und entsprechend dem Interesse des Geschädigten, id quod interest.<br />

12. Noxalhaftung wegen Taten durch Hauskinder oder Sklaven.<br />

Rechtsmaximen<br />

Casus a nullo praestantur. Zufallsschäden werden von niemandem ersetzt.<br />

Casum sentit Dominus. Den Zufall trägt der Eigentümer.<br />

Qui suo iure utitur, Wer nur von seinem Recht Gebrauch macht, schädigt niemanden.<br />

neminem laedit.<br />

Versari in re illicita Beim Handeln in verbotener Sache,<br />

imputantur omnia werden einem alle Folgen <strong>zu</strong>gerechnet,<br />

quae sequuntur ex delicto. die aus dem Delikt folgen 479<br />

.<br />

Vim vi repéllere naturaliter licet. Gewalt durch Gewalt ab<strong>zu</strong>wehren ist nach Naturrecht gestattet<br />

Volenti non fit iniuria. Wer einwilligt, dem geschieht keine Unrecht.<br />

KAPITEL 2. DIEBSTAHL = FURTUM<br />

1. Begriff. Inst. 4, 1, 1.Diebstahl ist die tückische (fraudulosus) Wegnahme einer Sache, sei es dieser selbst,<br />

sei es ihres Gebrauches oder Besitzes...<br />

Furtum est contrectatio rei fraudulosa vel ipsius rei vel etiam usus eius possessionisve...<br />

2. furtum umfaßt außer dem Diebstahl im heutigen Sinne einen weiten Bereich der unerlaubten Aneignung<br />

mit Fällen des Betruges (einschließlich der wissentlichen Annahme der irrtümlichen Leistung einer Nichtschuld),<br />

der Unterschlagung und Veruntreuung, des Gebrauchsdiebstahls und der Pfandkehr.<br />

Diese Klagen kommen auch als Ausgleichsklagen für den Eigentumsverlust infolge Verbindung, Vermischung, Verarbeitung in Betracht.<br />

3. Der rechte Kläger ist in erster Linie der Eigentümer,<br />

sowie derjenige, der das Interesse daran hat, dass die Sache unangetastet bleibe.<br />

Statt des Eigentümers ist derjenige klageberechtigt, der dem Eigentümer für custodia haftet<br />

und damit die Diebstahls-Gefahr trägt, aber hier<strong>zu</strong> klassische Kontroversen 480<br />

.<br />

4. Infolge Diebstahls kommen typischerweise zwei unterschiedliche Klagen nebeneinander, gehäuft,<br />

in Betracht<br />

1. die actio furti und<br />

2. die condictio furtiva.<br />

5. Betrag:<br />

1. Die eigentliche Diebstahlsklage, actio furti, geht auf den doppelten Wert, das duplum,<br />

479<br />

480<br />

Liebs V 16.<br />

K I § 143 II 2 b, S. 616 f.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

176


isweilen auf den vierfachen Wert.<br />

2. Die condictio furtiva erfasst hingegen lediglich die Bereicherung des Diebes.<br />

6. Für das furtum eines Gewaltunterworfenen haftet der Gewalthaber auf Grund der Noxalklage.<br />

7. Wichtig ist, dass an einer gestohlenen Sache Eigentumserwerb eines <strong>Dr</strong>itten<br />

durch Ersit<strong>zu</strong>ng ausgeschlossen war (vgl. § 935 BGB) 481<br />

.<br />

8. Inst. 4, 1 pass.<br />

KAPITEL 3. UNERLAUBTE VERMÖGENSSCHÄDIGUNG, LEX AQUILIA 482<br />

1. „Widerrechtlich <strong>zu</strong>gefügte Schädigung“ = damnum iniuria datum.<br />

2. Geschichte und System<br />

Digesten Buch 9, Titel 2, Fragment 1 pr. (Ulpian im 18. Buch des Ediktskommentars) Die lex Aquilia<br />

setzte alle Gesetze, die vorher von widerrechtlichem Schaden sprachen, außer Kraft: seien es die XII-<br />

Tafeln, seien es andere Gesetze.<br />

§ 1. Diese lex Aquilia ist ein Plebiszit, weil der Volkstribun Aquilius sie bei der Plebs beantragt hat 483<br />

.<br />

D. 9, 2, 1 pr. (Ulpianus libro octavo decimo ad edictum) Lex Aquilia omnibus legibus, quae ante se damno<br />

iniuria locutae sunt, derogavit, sive duodecim tabulis, sive alia quae fuit...<br />

§ 1. Quae lex Aquilia plebiscitum est, cum eam Aquilius tribunus plebis a plebe rogaverit.<br />

Fragen <strong>zu</strong> D. 9, 2, 1 pr. und § 1:<br />

1. Welche Regeln über unerlaubte Handlungen gab es vor der lex Aquilia?<br />

2. Was ist<br />

1. die Plebs,<br />

2. ein Plebiszit,<br />

3. ein Volkstribun?<br />

3. Welche allgemeine, noch heute weitgehend gültige Regel ist dem principium-Satz <strong>zu</strong> entnehmen?<br />

3. 286 v.Chr. (nach anderer heutiger Ansicht jüngere Datierung)<br />

Auf Grund der lex Hortensia auf alle römischen Bürger (also nicht allein auf Plebejer) erstreckt.<br />

.<br />

4. Inhalt des 1. Kapitels der lex Aquilia<br />

Digesten Buch 9, Titel 2 (lex Aquilia), Fragment 2, Anfang; Gaius im 7. Band seines Kommentars <strong>zu</strong>m<br />

Provinzialedikt = D. 9, 2, 2 pr. (Gai. 7 ad ed. prov.). In der lex Aquilia wird im ersten Kapitel bestimmt:<br />

"Wer einen fremden Sklaven oder eine fremde Sklavin oder ein vierfüßiges Herdentier widerrechtlich tötet,<br />

soll verpflichtet sein, dem Eigentümer den Höchstwert der Sache in diesem Jahr in Geld <strong>zu</strong> ersetzen".<br />

Übereinstimmend <strong>zu</strong>m 1. Kapitel der lex Aquilia Inst. Iust. 4, 3 pr.<br />

5. Inst. Iust. 4, 3 pr.<br />

1. Aufgabe: formulieren Sie präzise die Tatbestandsmerkmale und die Rechtsfolge.<br />

3. Wie hoch ist also die Buße?<br />

2. Zur Ergän<strong>zu</strong>ng: Beachten Sie die Aufzählung, das Enumerativsystem, in dieser Vorschrift,<br />

481<br />

482<br />

483<br />

Wenn bezahlt, dann ersitzbar?<br />

H. Hausmaninger, Das Schadenersatzrecht, 5. Aufl., Wien 1996; B. Winiger, La responsabilité, Basel 1997.<br />

286 v. Chr., im Gefolge einer secessio plebis.<br />

30. September 2011<br />

177


ebenso § 823 I BGB.<br />

Der franz. Code civil hingegen hatte sich für eine Generalklausel entschlossen.<br />

6. Inst Iust. 4, 3, 2<br />

1. Wie ist die entsprechende Regel nach dem BGB?<br />

2. Mit welchem heutigen Begriff ist iniuria insofern <strong>zu</strong> übersetzen?<br />

3. Welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang die Maxime:<br />

Qui suo iure utitur, neminem laedit (s. Überset<strong>zu</strong>ng)?<br />

4. Beispiel: Magistrat,.<br />

7. Inst Iust. 4, 3, 3<br />

1. Wie ist die entsprechende Regel nach dem BGB?<br />

2. Mit welchem heutigen Begriff ist iniuria jetzt <strong>zu</strong> übersetzen?<br />

- Culpa i. w. S. – Verschulden allgemein<br />

- culpa i. e. S., ähnlich neglegentia – Fahrlässigkeit.<br />

3. Beispiele: Zurechnungsunfähigkeit, bindender Befehl, Mitverschulden des Geschädigten;<br />

nach römischer Auffassung auch Notwehr und Notstand als culpa-ausschließend.<br />

4. Seit alters her bestraft man den Schadensverursacher wegen typisierten dolus malus.<br />

In den XII-T ist das Element des Vorsatzes vermutlich im Namen der Delikte enthalten.<br />

„Iniuria“ in der lex Aquilia mag ursprünglich vielleicht nur „Vorsatz“ (im modernen Sinne) gemeint haben.<br />

jedenfalls Sabinus zieht auch die „culpa“ in der Bedeutung von „Fahrlässigkeit“ (im modernen Sinne)<br />

in die iniuria ein 484<br />

.<br />

Nichtvorsätzliches (also auch bloß fahrlässiges) Handeln war vielleicht ursprünglich straffrei 485<br />

.<br />

Lesen Sie auch Inst. Iust. 4, 3, 3 bis 8, und Inst. Iust. 4, 3, 14.<br />

8. Gibt es eine Haftung ohne Verschulden<br />

1. nach römischem Recht,<br />

2. nach geltendem Recht?<br />

3. Wie könnte eine Haftung ohne Verschulden <strong>zu</strong> begründen sein?<br />

9. D. 9, 2, 27, 4. Das 2. Kapitel dieses Gesetzes ist außer Gebrauch gekommen.<br />

D. 9, 2, 27, 4. Ulpianus 18 ad ed. Huius legis secundum quidem capitulum in desuetudinem abiit. 486<br />

(Beachten Sie hier das Gegenstück <strong>zu</strong>m „Gewohnheitsrecht“ für die Begründung eines Rechtssatzes.)<br />

10. D. 9, 2, 27, 5. In ihrem 3. Kapitel jedoch erklärt dieselbe lex Aquilia: „Wenn jemand einem anderen einen<br />

Schaden an anderen Sachen als an einem Sklaven oder Herdentier, die getötet wurden, <strong>zu</strong>gefügt hat, weil er<br />

diese Sache <strong>zu</strong> Unrecht verbrannt, zerbrochen oder verletzt hat, soll er verpflichtet sein, dem Eigentümer<br />

soviel Geld <strong>zu</strong> zahlen, wie diese Sache in den nächsten 30 Tagen wert ist“.<br />

484<br />

485<br />

486<br />

D. 9, 2, 27, 5. Ulpianus 18 ad ed. Tertio autem capite ait eadem lex Aquilia: "ceterarum rerum praeter hominem<br />

et pecudem occisos si quis alteri damnum faxit, quod usserit fregerit ruperit 487<br />

iniuria, quanti ea res<br />

erit in diebus triginta proximis, tantum aes domino dare damnas esto".<br />

K/K § 36/9: Alf. D. 9, 2, 52, 3-4; Lab.-Iav.D. 9, 2, 57.<br />

Vgl. K I 155.<br />

Gai. 3, 215: Capite secundo adversus adstipulatorem, qui pecuniam in fraudem stipulatoris acceptam fecerit ...<br />

actio constituitur.<br />

487<br />

„Urere“ ist zweifelsohne „(Ver)-Brennen“. „Frangere“ ist „Brechen“. Aber „Rumpere“ ist: (Zer)-Reißen und<br />

(Zer)-Brechen, Verderben und Beschädigen, Verletzen. Gai.3,217 i. f. (= Inst.4, 3, 13) bezeichnet „Rumpere“<br />

als Oberbegriff, „non solum usta aut rupta aut fracta, sed etiam scissa et collisa et effusa et quoquo modo vitiata<br />

au perempta atque deteriora facta hoc verbo continentur“.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

178


Weite Auslegung von „Rumpere“, eigentlich: „brechen, zerbrechen“„zerreißen“, „sprengen“,<br />

aber auch: „verletzen“.<br />

Für „verbrennen“ = „urere“, und „frangere“ =zerbrechen“ bleibt kaum mehr Bedeutung.<br />

11. Inst. Iust. 4, 3, 13.<br />

Wie könnte der Befund <strong>zu</strong> erklären sein, dass das Plebiszit angeblich<br />

<strong>zu</strong>erst die enge Vorschrift des 1. Kapitels<br />

und dann die allgemeiner gefasste des 3. Kapitels enthielt?<br />

12. Kausalität Inst. 4, 3, 16. Ceterum placuit, ita demum ex hac lege actionem esse, si quis praecipue corpore<br />

suo damnum dederit. ideoque in eum qui alio modo damnum dederit, utiles actiones dari solent:<br />

Aber enge Kausalität sowohl für „occidere“ im 1. Kap.,<br />

als auch für urere, frangere, rumpere (verbrennen, zerbrechen, beschädigen) im 3. Kap.<br />

Schaden muss durch<br />

1. aktives Tun (ursprünglich genügt nicht: bloßes Unterlassen) und<br />

2. unmittelbare Verursachung des Erfolge (genügt nicht: bloß indirekte Einwirkung)<br />

herbeigeführt worden sein.<br />

Der Schaden muss von dem einen Körper an dem anderen Gegenstand <strong>zu</strong>gefügt worden sein,<br />

d. h. „durch den Körper an einem Körper = corpore corpori“.<br />

Wegen Schädigungen durch indirekte Einwirkung oder durch <strong>zu</strong>rechenbares Unterlassen:<br />

actiones utilies oder actiones in factum.<br />

Z. B. bei bloßem mortis causam praestare, dann bloß a. in factum.<br />

13. Berechnung der Haftungssumme Inst. 4, 3, 9 + 10 + 14 + 15.<br />

1. Wie hoch ist die Buße nach dem 3. Kapitel?<br />

2. Wie erfolgt die Geldschät<strong>zu</strong>ng, litis aestimatio? Im allgemeinen durch den iudex 488<br />

.<br />

14. Da die lex Aquilia <strong>zu</strong>r Bestrafung und <strong>zu</strong>m Ersatz wegen Sachbeschädigung (Sklaven, Tiere, sonstige Sachen)<br />

geschaffen wurde, kam sie ursprünglich nicht wegen Beleidigung, Verlet<strong>zu</strong>ng oder Tötung eines<br />

freien Römers in Betracht. Da<strong>zu</strong> die Rechtsmaximen:<br />

Corpus liberi non habet pretium. Der Körper eines Freien hat keinen Kaufpreis.<br />

Liberum corpus nullam recipit aestimationem. Ein freier Mensch kann nicht in Geld<br />

abgeschätzt werden.<br />

Wegen Beleidigung (actio iniuriarum) sowie wegen Verlet<strong>zu</strong>ng oder Tötung eines freien Römers gab es<br />

besondere Klagen und Verfahren.<br />

Aber anscheinend wurde schon im klassischen Recht die lex Aquilia in gewissen Fällen auch wegen der<br />

Verlet<strong>zu</strong>ng eines Freien gewährt.<br />

15. Materiell-rechtliche und prozessuale Besonderheiten der lex Aquilia<br />

1. Erkannte der Täter vor Gericht an, dann keine eigentliche a. legis Aquiliae,<br />

sondern a. confessoria bloß <strong>zu</strong>r Ermittlung der Bußsumme.<br />

488<br />

2. Erkannte Täter nicht an, a. legis Aquiliae,<br />

mit Verurteilung in duplum 489<br />

.<br />

Auch wegen iniuria-Delikts bemisst Richter die Geldbuße nach Umständen des Einzelfalls,<br />

(ausnahmsweise durch den Kläger, ius iurandum in litem, aber unter Aufsicht des iudex,<br />

vor allem bei actiones in rem.)<br />

489<br />

Ulp. D. 9, 2, 23, 10.<br />

30. September 2011<br />

179


16. Die aqulische Klage ist Strafklage/Pönalklage,<br />

mit sachverfolgender Funktion, daher „gemischte Strafklage“ 490<br />

.<br />

Gai.4, 6-9:<br />

- Sachverfolgende Klagen, gehen auf rem tantum, daher reipersekutorisch,<br />

z. B. rei vindicatio, condictio ex causa furtiva<br />

- Reine Strafklagen, z. B. actio furti,<br />

rein reipersekutorische Klagen und reine Strafklagen nebeneinander <strong>zu</strong>lässig,<br />

- Gemischte Strafklagen, z. B. aus lex Aqulia,<br />

umfassen sowohl Buße als auch Vermögensschaden,<br />

deswegen nicht kumulierbar mit anderen Klagen 491<br />

.<br />

17. Besonderheiten der Strafklage Inst. 4, 3, 9<br />

Unterschied <strong>zu</strong>m crimen Inst. 4, 3, 11.<br />

18. Textbeispiel I<br />

Digesten Buch 9, Titel 2, Fragment 27, Paragraph 29 (Ulpian im 18. Buch des Kommentars <strong>zu</strong>m Edikt).<br />

Wenn du ein Diatretglas (d. h. einen mehrfarbigen Glasblock <strong>zu</strong>m Herstellen eines Kelches) <strong>zu</strong>m Schleifen<br />

hingegeben hast und der Glasschleifer es aus Ungeschicklichkeit zerbrochen hat, so haftet er wegen unerlaubter<br />

Handlung. Wenn er es aber nicht aus Ungeschicklichkeit zerbrochen hat, sondern weil das Diatretglas<br />

Risse hatte, dann kann er entschuldigt sein: und daher pflegen meistens die Handwerker <strong>zu</strong> vereinbaren,<br />

dass sie das Risiko nicht übernehmen, wenn ihnen Material dieser Art hingegeben wird. Diese Vereinbarung<br />

schließt einen Anspruch auf Grund Werkvertrages und lex Aquilia aus.<br />

D. 9, 2, 27, 29 (Ulp. 18 ed.). Si calicem diatretum faciendum dedisti, si quidem imperitia fregit, damni iniuria<br />

tenebitur: si vero non imperitia fregit, sed rimas habebat vitiosas, potest esse excusatus: et ideo plerumque<br />

artifices convenire solent, cum eiusmodi materiae dantur, non periculo suo se facere, quae res ex locato<br />

tollit actionem et Aquiliae.<br />

Fragen <strong>zu</strong> D. 9, 2, 27, 29<br />

1. Welche 3 Sachverhaltsvarianten sind in der Stelle verborgen?<br />

2. Welche 2 actiones kommen in Betracht, wie wäre es nach heutigem Recht?<br />

3. Wäre eine Vereinbarung, wie sie hier angegeben wird, auch nach heutigem Recht wirksam?<br />

19. Textbeispiel II<br />

Digesten Buch 9, Titel 2, Fragment 39, Anfang. Pomponius im 17. Band seines Kommentars <strong>zu</strong> Quintus<br />

Mucius. Quintus Mucius schreibt: eine trächtige Stute, die auf fremder Weide graste, hatte eine Fehlgeburt,<br />

als sie vertrieben wurde: es wurde gefragt, ob der Eigentümer der Stute denjenigen aus der lex Aquilia verklagen<br />

könne, der sie vertrieben hatte, weil er sie durch das Schlagen verletzt hätte. Wenn er sie geschlagen<br />

oder absichtlich <strong>zu</strong> heftig verjagt hätte, ist entschieden worden, dass man klagen könne.<br />

490<br />

491<br />

D. 9, 2, 39 pr. Pomp. 17 ad Quintum Mucium. Quintus Mucius scribit: equa cum in alieno pasceretur, in<br />

cogendo quod praegnas erat eiecit: quaerebatur, Dominus eius possetne cum eo qui coegisset lege Aquilia<br />

agere, quia equam in iciendo ruperat. si percussisset aut consulto vehementius egisset, visum est agere posse1.<br />

Fragen <strong>zu</strong> D. 9, 2, 39 pr.<br />

1. Welche Personen kommen hier als Kläger bzw. als Beklagter in Betracht?<br />

K/K § 36/13.<br />

K/K § 35/11 ff.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

180


Wem gehört die Weide, wem die Stute?<br />

2. Wird von Quintus Mucius Scaevola selbst eine Begründung überliefert?<br />

3. Welche Argumente - wenn man eine Regelung ähnlich dem heutigen § 823 Abs. 1 BGB <strong>zu</strong> Grunde<br />

legt - können dafür gesprochen haben, den Eigentümer der Weide nicht haften <strong>zu</strong> lassen?<br />

4. Welche Gründe können dagegen, also für Schadenersatz, gesprochen haben?<br />

5. Werten Sie das Gutachten aus rechtspolitischer Sicht.<br />

6. Wie hätten Sie den Fall heute entschieden?<br />

20. Praetorische Erweiterungsklagen,<br />

- a. in factum oder<br />

- a. utilis (ad exemplum legis Aquiliae)<br />

wenn Schäden nicht direkt nach lex Aquilia verfolgt werden können, nämlich<br />

1. <strong>zu</strong>r Klagbarkeit von TB’en, die durch Wortlaut der lex Aquilia nicht erfasst waren:<br />

1. Töten ohne gewaltsame Verursachung,<br />

z. B. bloße Bereitstellung des Giftes; mittelbares Verursachen wie Verhungern lassen 492<br />

:<br />

2. Zum dritten Kapitel: mittelbare Einwirkung,<br />

Sachentziehung ohne Sachbeschädigung und ohne Diebstahl, Konsumtion, sowie<br />

2. Klageberechtigung für andere Personen neben dem Eigentümer,<br />

- z. B. für Nießbraucher und Pfandgläubiger 493<br />

,<br />

- für Pfandgläubiger und gutgläubigen Besitzer und Pächter 494<br />

.<br />

Die Formeln dieser actiones in factum und actiones utiles sind nicht überliefert 495<br />

.<br />

Sie waren jedenfalls eng an den Wortlaut der a. legis Aquliae angelehnt.<br />

Wahrscheinlich enthielt a. in factum teilweise Be<strong>zu</strong>gnahme auf tatsächlichen Sachverhalt,<br />

während a. utlilis eine Fiktion enthielt,z. B. „wie der Eigentümer = ac si dominus esset“<br />

Wahrscheinlich dieselben Ersatzbeträge, aber kein duplum wegen Leugnens.<br />

Scheinbar widersprüchliche Aussagen in den Quellen darüber,<br />

in welchen Fällen a. in factum, oder in welchen Fällen a.utilis 496<br />

.<br />

21. Noxalhaftung des Gewatlhabers wegen Schadens<strong>zu</strong>fügung durch Gewaltunterworfenen.<br />

492<br />

493<br />

494<br />

495<br />

496<br />

D. 9,2,7,6: „qui mortis causam praestitiit, non Aquilia, sed in factum actione tenetur“.<br />

a. utilis.<br />

a. in factum.<br />

fraglich ob sie im Edikt enthalten waren.<br />

Verschiedenartige Systematisierungen in den Quellen.<br />

Anscheinend<br />

- a. utilis<br />

wenn Schadens<strong>zu</strong>fügung nur mittelbar,<br />

d. h. wenn nicht corpore corpori (Gai. 3,219; Inst. Iust. 4, 3, 16)<br />

- a. in factum<br />

generell, wenn Schäden nicht direkt unter lex Aquilia fallen<br />

(Paul. D. 9, 2, 33, 1; Inst. Iust. 4, 3, 16; aber nicht falls mittelbarer Schaden).<br />

30. September 2011<br />

181


22. Sedes materiae: D. 9, 2 und Inst. 4, 3.<br />

23. Bedeutung der lex Aquilia in der weiteren Rechtsgeschichte<br />

1. Hauptregel für Sachbeschädigungen.<br />

2. Anwendung auch bei Körperverlet<strong>zu</strong>ng eines Freien und Ehrverlet<strong>zu</strong>ng.<br />

3. Nach dem BGB kein deliktischer Ersatz für bloßen Vermögensschaden.<br />

Da<strong>zu</strong> Fragen<br />

1. Woraus ergibt sich diese Einschränkung?<br />

2. Welcher war hierfür der entscheidende Grund?<br />

3. Welche Rechtsinstitute wurden erfunden, um dennoch <strong>zu</strong>m Ersatz derartiger Schäden <strong>zu</strong> gelangen?<br />

4. Generalklausel der Art. 1382 und 1383 im französischen Recht schützt auch gegen bloße Vermögensschäden.<br />

4. Ersatz immateriellen Schadens nach § 253 II BGB n. F.<br />

Zur neueren Rechtsentwicklung: Hattenhauer, Grundbegriffe § 6.<br />

Ausdrücke<br />

crimen Straftat, Verbrechen<br />

culpa Schuld allgemein; Fahrlässigkeit<br />

damnum Schaden<br />

damnum iniuria datum unrechtmäßige Schadens<strong>zu</strong>fügung<br />

delictum unerlaubte Handlung<br />

diligens paterfamilias ordentlicher Hausvater<br />

dolus Arglist; Vorsatz<br />

fraus, -dis (f.) betrügerisches Verhalten<br />

fraus legi facta Gesetzesumgehung<br />

iniuria Unrecht, Widerrechtlichkeit<br />

im Text der lex Aquilia „Rechtswidrigkeit + Verschulden“<br />

interesse Schadenersatz<br />

lucrum cessans entgehender Gewinn (vgl. § 252 BGB)<br />

mala fides böser Glaube, Unredlichkeit<br />

malus schlecht<br />

neglegentia, culpa Fahrlässigkeit<br />

vis Gewalt.<br />

D. 47, 10.<br />

KAPITEL 4A. VERLETZUNGEN DER PERSON = INIURIA, INST. 4, 4 PASS. 497<br />

KAPITEL 4B. ARGLIST = ACTIO DE DOLO<br />

Der Praetor gewährte wegen arglistiger Schädigung, dolus malus, eine Strafklage, die <strong>zu</strong>gleich sachverfolgend<br />

war. Die Klage wurde im Edikt nur für den Fall verheißen, dass eine andere nicht in Betracht kam, si alia actio<br />

non erit, war also subsidiär 498<br />

.<br />

D. 4, 3.<br />

497<br />

498<br />

M. Hagemann, Iniuria (= Forschungen <strong>zu</strong>m römischen Recht 43). Böhlau, Köln-Weimar Wien 1998.<br />

K I S. 627 f.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

182


KAPITEL 5. QUASIDELIKTE 499<br />

Inst. Iust. 4, 5 pass.<br />

Außervertragliche Haftung wegen typisierter Fahrlässigkeit<br />

oder ohne nach<strong>zu</strong>weisendes Verschulden<br />

Vielleicht erst nachklassische Schuldoktrin:<br />

der Richter, der das Recht falsch anwendet,iudex qui litem suam fecit,<br />

der Wohnungsinhaber wegen herausgeworfener oder -gegossener Sachen, de deiectis vel effusis,<br />

ebenfalls der Wohnungsinhaber wegen der Gefahr durch aufgestellte oder aufgehängte Sachen, de posito vel suspenso,<br />

Schiffer, Gastwirt oder Stallwirt, nauta, caupo, stabularius, wegen Schädigung durch ihre Leute).<br />

Einzelheiten des iudex qui litem suam fecit,sind heute kontrovers 500<br />

:<br />

Wahrscheinlich typisierte culpa wegen Judizierens ohne erforderliche Fähigkeit 501<br />

.<br />

Wegen dolus haftet iudex wahrscheinlich ohnehin 502<br />

.<br />

Inst. Iust. 4, 5 pr. und 1. Si iudex litem suam fecerit, non proprie ex maleficio obligatus videtur. sed quia neque ex contractu obligatus est et<br />

utique peccasse aliquid intellegitur, licet per imprudentiam: ideo videtur quasi ex maleficio teneri, et in quantum de ea re aequum religioni<br />

iudicantis videbitur, poenam sustinebit 503<br />

. (1.) Item is ex cuius coenaculo vel proprio ipsius vel conducto vel in quo gratis habitabat, deiectum<br />

effusumve aliquid est, ita ut alicui noceretur, quasi ex maleficio obligatus intellegitur: ideo autem non proprie ex maleficio obligatus<br />

intellegitur, quia plerumque ob alterius culpam tenetur aut servi aut liberi. cui similis est is qui ea parte qua vulgo iter fieri solet id positum<br />

aut suspensum habet quod potest, si ceciderit, alicui nocere: quo casu poena decem aureorum constituta est. de eo vero quod deiectum<br />

effusumve est, dupli quanti damnum datum sit, constituta est actio. ob hominem vero liberum occisum quinquaginta aureorum poena<br />

constituitur: si vero vivet nocitumque ei esse dicetur, quantum ob eam rem aequum iudici videtur, actio datur: iudex enim computare debet<br />

mercedes medicis praestitas ceteraque impendia quae in curatione facta sunt, praeterea operarum quibus caruit, aut cariturus est, ob id quod<br />

inutilis factus est.<br />

KAPITEL 6. HAFTUNG FÜR DELIKTE GEWALTUNTERWORFENER, NOXALKLAGE<br />

1. Vorausset<strong>zu</strong>ng und alternative Rechtsfolge:<br />

Inst. 4, 8, pr. Wegen der Delikte der Sklaven, beispielsweise wenn sie einen Diebstahl begangen, Sachen<br />

geraubt, eine Vermögensschädigung begangen oder eine persönliche Verlet<strong>zu</strong>ng (iniuria) vogenommen<br />

haben, sind Noxalklagen vorgesehen worden, mittels deren dem deswegen verurteilten Herrn erlaubt wird,<br />

entweder die Urteilssumme <strong>zu</strong> entrichten oder den Sklaven wegen seines Delikts aus<strong>zu</strong>liefern.<br />

Ex maleficiis servorum, veluti si furtum fecerint aut bona rapuerint aut damnum dederint aut iniuriam<br />

commiserint, noxales actiones proditae sunt, quibus domino damnato permittitur, aut litis aestimationem<br />

sufferre aut hominem noxae dedere.<br />

Ähnl. Inst. 4, 17, 1.<br />

2. In der klassischen Zeit galt diese Regel auch noch für unerlaubte Handlungen der Hauskinder.<br />

(Aber Inst. 4, 8, 7 erklärt die Änderung gegenüber dem klassischen Recht.).<br />

3. Inst. 4, 8, 1. Daher der allgemeine Ausdruck „Noxalhaftung“.<br />

4. Inst. 4, 8, 2. Begründung für diese Art Haftungsbefreiung des Gewalthabers.<br />

5. In der klassischen Zeit mußten die Hauskinder, vermutlich auch die Sklaven,<br />

nach Abarbeiten der Schuld <strong>zu</strong>rückübertragen werden. (Inst. 4, 8, 3, ist nicht klassisch.).<br />

499<br />

500<br />

K I 628; K II 428.<br />

Hackl/Kaser § 26 I 5, S. 196, Anm. 38 u. ö.<br />

501<br />

Hackl/Kaser § 26 I 5, S. 196, Anm. 38: Haftung wegen nicht ordnungsgemäßer Vertagung oder Urteilsfällung?<br />

502<br />

503<br />

S.jedoch Ulp. D. 5, 1, 15, 1: Vorsatz = litem suam facere.<br />

Hier<strong>zu</strong> Hackl/Kaser lt. Inh.-Verz.<br />

30. September 2011<br />

183


6. Inst. 4, 8, 4. Noxa caput sequitur. - Der Schaden folgt dem Kopf.<br />

7. Wird der gewaltunterworfene Täter gewaltfrei, haftet allein er selbst.<br />

8. Beim Verkauf eines Sklaven gilt die noch nicht beseitigte Noxalhaftung als Sachmangel.<br />

Der Käufer hat deswegen Sachmängel-Anspruch gegenüber dem Verkäufer.<br />

9. Die ausdrückliche Beseitigung der Auslieferung der Hauskinder durch Inst. 4, 8, 7,<br />

ist ein gutes Beispiel für Justinians Änderung der Gaius-Vorlage für seine Institutionen.<br />

10. Beachten Sie den Unterschied <strong>zu</strong>r Haftung aus Rechtsgeschäften.<br />

11. Frage: Mit welcher Regel des BGB wird das Problem der außervertraglichen<br />

Schadens<strong>zu</strong>fügung durch <strong>Dr</strong>itte gelöst?<br />

12. Digesten-Titel 9, 4; Inst.4, 8.<br />

12. TEIL<br />

SACHENRECHT<br />

KAPITEL 1. SACHENRECHT, SYSTEMATIK<br />

Inst. Iust. 4, 6, 1<br />

1. Vergleichen Sie die Einteilung der actiones mit der Einteilung im materiellen Recht.<br />

2. Gibt es eine ähnliche Unterscheidung im geltenden Recht?<br />

Institutionen Buch 2, Titel 2 (Unkörperliche Gegenstände) = I. 2, 2 pr. Im übrigen sind manche Gegenstände<br />

körperlich, manche unkörperlich.<br />

I. 2, 2, 1. Körperlich sind Gegenstände, die sich ihrer Natur nach anfassen lassen, <strong>zu</strong>m Beispiel ein Grundstück,<br />

ein Sklave, ein Kleid, Gold, Silber und weitere zahllose Sachen.<br />

I. 2, 2, 2. Unkörperlich sind dagegen Gegenstände, die man nicht anfassen kann; dieser Art sind Gegenstände,<br />

die nur rechtlich vorhanden sind, <strong>zu</strong>m Beispiel die Erbschaft, der Nießbrauch und Schuldverhältnisse jeder Art.<br />

(...).<br />

Institutionen 2, 1 pr. + 1 + 6 + 7<br />

1. Wie ist die Einteilung der Sachen unter dem Gesichtspunkt der Verkehrsfähigkeit der Sachen?<br />

2. Kaufvertrag ist nicht immer unwirksam, Stipulation ist immer unwirksam 504<br />

.<br />

3. Gibt es auch im geltenden deutschen Recht verkehrsunfähige Sachen, res extra commercium?<br />

Res sacrae, sanctae, religiosae Inst. 2, 1, 7 – 9.<br />

Max Weber, Agrarverhältnisse im Altertum, Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 1. Aufl. 1897 505<br />

, <strong>zu</strong>rückgehend auf seine Habilitationsschrift<br />

506<br />

. Max Weber, 1864 – 1920, Jurist, habilitiert in <strong>Berlin</strong> für Handelsrecht und deutsches Recht, Schüler Levin Goldschmidts (Handelsrecht)<br />

und Theodor Mommsens (Römische Geschichte, römisches Recht), Nationalökonom, der einflussreichste nicht-marxistische Soziologe.<br />

<strong>Prof</strong>essor in <strong>Berlin</strong>, Freiburg und Heidelberg und kurz in München. Hauptwerk: „Wirtschaft und Gesellschaft“, posth. 1922, mit ei-<br />

504<br />

505<br />

S. oben <strong>zu</strong>r res extra comercium.<br />

Bd. 1, 3. Aufl., 1909, S. 52 – 188 = ders., Gesammelter Aufsätze <strong>zu</strong>r Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Tübingen,<br />

2. Aufl., 1988.<br />

506<br />

Die Römische Agrargeschichte in ihrer Bedeutung für das Staats- und Privatrecht, 1891/92.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

184


nem selbständigen Kapitel <strong>zu</strong>r Rechtssoziologie. Begründer der Religionssoziologie, u. a. „Das antike Judentum“ 507<br />

und „Die protestantische<br />

Ethik und der Geist des Kapitalismus“. Weiterhin berühmt „Wissenschaft als Beruf“, „Politik als Beruf“. Gesammelte politische Schriften;<br />

Gesammelte Aufsätze <strong>zu</strong>r Religionssoziologie; <strong>zu</strong>r Wissenschaftslehre; <strong>zu</strong>r Soziologie und Sozialpolitik; <strong>zu</strong>r Sozial- und Wirtschaftsgeschichte;<br />

Wirtschaftsgeschichte. Max Webers berühmte Begriffe und Kategorien: Idealtypus; zweckrationales oder wertrationales Handeln<br />

des Individuums; Verantwortungsethik oder Gesinnungsethik; Herrschaft , und zwar traditionale oder rationale oder charismatische.<br />

KAPITEL 2. BESITZ = POSSESSIO<br />

1. Eigentum und Besitz haben nichts gemein: Nihil commune habet proprietas cum possessione.<br />

2. Besitz<br />

1. Besitzerwerb corpore et animo (s. u.).<br />

2. Besitzverlust im allgemeinen durch Verlust der tatsächlichen Sachherrschaft.<br />

3. Eine Fülle von Rechtstexten <strong>zu</strong> Besitzerwerb und -verlust.<br />

4. In vielen Fällen, in denen nur scheinbar „Besitz“ gegeben war,<br />

wurde dennoch „Besitz“ i. e. S., also „pssessio“, nicht angenommen (s. u.).<br />

3. Funktionen - vergleichbar dem geltenden deutschen Recht<br />

1. Schutzfunktion, dafür eigentlicher Besitzschutzanspruch, Interdictum (s. u.).<br />

2. Heute am wichtigsten: Publizitätsfunktion = Erwerbsfunktion des Besitzes.<br />

1. Übertragungwirkung bei der Übereignung in Rom und heute,<br />

2. Gutglaubenswirkung für Ersit<strong>zu</strong>ng, usucapio (<strong>zu</strong> beiden Punkten s. u.).<br />

4. Man unterscheidet<br />

- Unqualifizierte Innehabung (z. B. Sklave, Haussohn)<br />

- Detentio = naturalis possessio (insbes. Mieter)<br />

- Interdiktenbesitz<br />

- civilis possessio - Eigenbesitz, der <strong>zu</strong>r Ersit<strong>zu</strong>ng führen kann.<br />

Als „possessio“ im eigentlichen Sinne gelten meistens nur<br />

der Interdiktenbesitz und der Ersit<strong>zu</strong>ngsbesitz.<br />

5. Aus Rechtsgründen können Gewaltunterworfene (d. h. Hauskinder oder Sklaven)<br />

keinen eigenen Besitz für sich haben,<br />

(noch nicht einmal sogenannte detentio)<br />

statt ihrer kann ihr Gewalthaber possessio haben.<br />

6. Nicht als Besitz, possessio, i. e. S. angesehen<br />

(insbesondere nicht als durch Interdikte geschützte possessio)<br />

ist die Innehabung des (heute sogenannten) Fremdbesitzers oder Besitzmittlers<br />

507<br />

(Ausnahmen nicht auswendig lernen: Erbpächter, Pignorist, Prekarist, Sequester 508<br />

).<br />

Insbesondere keine eigentliche possessio des Mieters oder Pächters!<br />

ebenso wenig Beauftragter, Geschäftsführer o. A. 509<br />

, Verwahrer.<br />

Max Weber, Das antike Judentum, in: Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen, in: Gesammelte Aufsätze<br />

<strong>zu</strong>r Religionssoziologie, Bd. 3, Tübingen 1921, jetzt: 8. Aufl., Tübingen 1988, utb. Max Weber, Nachtrag, Die<br />

Pharisäer, in: Die Wirtschaftsethik etc.<br />

508<br />

K, RPR S. 390: „quasi possessio“ als günstigere besitzer-ähnliche Stellung jedoch des Usufruktuars, gewisser<br />

Servitutsberechtigter, Erbbauberechtigter.<br />

509<br />

K, RPR S. 389 f.<br />

30. September 2011<br />

185


(Vielleicht wegen Fehlens des Eigenbesitzes?).<br />

Unrömisch: Detentio.<br />

Römische Juristen sprechen eher von naturalis possessio oder in possessione esse.<br />

Der heute sogenannte „Besitzdiener“ (§ 855 BGB) war als solcher im römischen Recht unbekannt.<br />

7. Mitbesitz nach Bruchteilen,<br />

aber kein heute sogenannter und umstrittener 510<br />

Nebenbesitz 511<br />

.<br />

Rechtsmaximen<br />

Beati possidentes. Glücklich, wer besitzt. Denn...<br />

In pari causa/ In gleicher tatsächlicher Situation / bei gleicher Sittenwidrigkeit<br />

In pari turpitudine, ist der Besitzer in der besseren rechtlichen Situation.<br />

melior est conditio possidentis.<br />

Ausdrücke<br />

detentio Innehabung (kein eigentlicher Besitz im Rechtssinne)<br />

constitutum possessorium (unröm.) mittelbarer Besitz (§ 868 BGB)<br />

anticípere vorwegnehmen.<br />

KAPITEL 3. BESITZERWERB<br />

1. Besitzerwerb in Rom durch zwei Elemente:<br />

1. tatsächliches Ergreifen (das [!] corpus)<br />

2. mit Erwerbsabsicht (der animus),<br />

Wille, die Sache faktisch <strong>zu</strong> beherrschen<br />

(bedeutet aber nicht etwa: Sache als Eigentümer <strong>zu</strong> haben),<br />

also corpore et animo (gramm. Ablativ-Form); vgl. § 854 BGB.<br />

2. Keinen Besitz für sich können erwerben:<br />

1. Sklaven und Hauskinder.<br />

2. Geisteskranker, furiosus, ebenso wenig ein Schlafender<br />

3. Infans 512<br />

,<br />

- weil ein kleines Kind keinen rechtlich erheblichen Willen (animus) bilden kann,<br />

- wohl aber Besitz des gewaltfreien Infans<br />

- durch Tutor,<br />

- durch eigenen Pekuliarsklaven des Infans,<br />

- mit auctoritas tutoris (wohl kontrovers),<br />

- und Besitzerwerb des pupillus allein 513<br />

.<br />

3. Besitzerwerb ohne tatsächliches Ergreifen<br />

1. auch ohne tatsächliches Betreten des Grundstücks oder Ergreifen der Sache,<br />

wenn die Grundstücksgrenzen gezeigt.<br />

510<br />

511<br />

Lehrbücher modernes Sachenrecht.<br />

Siber, RR II, S. 133: Paul. D. 41, 2, 3, 5. Im Ergebnis auch abgelehnt Paul. D. 41, 2, 32, 1. Anders Trebat. bei<br />

Paul. D. 41, 2, 3, 5. Unklar Ulp. D. 41, 2, 17 pr. und D. 43, 17, 3 pr.<br />

512<br />

513<br />

K I 392/25: D. 41, 2, 32, 2 ; D. 41, 2, 1, 3 (Case 22) etc. Klassische Entwicklung bzw. Kontroverse.<br />

D. 41, 2, 32, 2. Allerdings in D. 41, 2, 1, 3 (Case 22) wird auch p. auf Tutor angewiesen.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

186


514<br />

Oder wenn bewegliche Sache in Machtbereich des Erwerbers gebracht wird:<br />

z. B. die Sache vor dem Erwerber niedergelegt 514<br />

oder in seinem Haus abgegeben wird<br />

oder wenn Speicherschlüssel für eingelagerte Waren vor dem Speicher übergeben werden etc. 515<br />

:<br />

„Übergabe mit langer Hand“ - longa manu traditio,<br />

hier sprechen römische Juristen ausdrücklich vom Erwerb animo 516<br />

(ähnlich § 854 II, beachten Sie aber die Unterschiede!).<br />

2. Keine Übergabe mehr erforderlich, wenn Erwerber Sache bereits tatsächlich innehat,<br />

z. B. Mieter oder anderer Detentor erwirbt Sache vom Vermieter oder sonstigem Eigentümer 517<br />

,<br />

„Übergabe kurzer Hand“ - brevi manu traditio (vgl. § 929 Satz 2),<br />

gelegentlich bezeichnet als Besitzerwerb „allein mit dem Willen“ = solo animo.<br />

Wenn der bisherige Besitzer seinen Eigenbesitzwillen aufgibt<br />

und damit dem bisherigen Detentor erlaubt,<br />

seinerseits rechtmäßig Eigenbesitzwillen <strong>zu</strong> begründen.<br />

Auch hier ist das körperliche Naheverhältnis des (neuen) Besitzers <strong>zu</strong> der Sache vorhanden,<br />

das corpus.<br />

Andernfalls wäre es oft erforderlich, dass Detentor Sache an Besitzer <strong>zu</strong>rückgibt<br />

und dann Besitzer dieselbe Sache wieder dem früheren Detentor übergibt 518<br />

.<br />

Nuda voluntas domini sufficit ad rem transferendam 519<br />

,<br />

Inst. Iust. 2, 1, 44: für Eigentumsübergang mittels traditio genügt hier die „voluntas“.<br />

3. Übergabe ist auch nicht erforderlich, wenn Veräußerer (und nicht Erwerber) Besitzer ist,<br />

wenn aber Veräußerer die Sache faktisch weiter innehaben soll<br />

und der Erwerber die possessio (und möglicherweise das Eigentum) bekommen soll,<br />

z. B. Veräußerer = bisheriger Eigentümer überträgt Sache an Erwerber und mietet gleich <strong>zu</strong>rück 520<br />

,<br />

heute sogen. constitutum possessorium - Besitzkonstitut 521<br />

(vgl. §§ 930, 868 BGB)<br />

(anders aber römische Kaufmiete: Veräußerer = bisheriger Eigentümer verkauft und übergibt und vermietet Sache an Käufer).<br />

In den Quellen nicht ausdrücklich als Fall des Besitzerwerbs solo animo angesprochen 522<br />

.<br />

Konstruktion dieses Verfahrens?<br />

Iavol. D. 46, 3, 79: quod a nullo corporaliter eius rei possessio detinetur, adquisita mihi et quodammodo manu<br />

longa tradita existimanda est. - Inst. Iust. 2, 1, 45 Schlüsselübergabe, ohne Hinweis auf Ortsnähe.<br />

515<br />

516<br />

Niederlegen im Erwerberhaus, Aufstellen Wächter: K I 391 f.<br />

Labeo-Iavol. D. 41, 2, 51. Trebatius bei Ulp. D. 18, 6, 1, 2 (gesiegeltes Weinfass „traditum videri“, aber a. A.<br />

Labeo-Ulp. an derselben Stelle).<br />

517<br />

518<br />

519<br />

520<br />

521<br />

522<br />

D. 41, 1, 9, 5, und 12, 1, 9, 9 (H 12 u 13).<br />

Hausmaninger-Selb, 181 f.<br />

Gai. D. 41, 1, 9, 5.<br />

Ähnlich auch D. 41, 2, 19 pr.<br />

A. Wacke, Das Besitzkonstitut, Köln 1974. K I 394 / 37.<br />

Hausmaninger, Casebook Sachenrecht, 8. A., S. 26, vor Case 12. H.-S., 9. A., S. 131 mit Hinweis auf Cases<br />

15 ff. bejahen Besitzerwerb solo animo bei Besitzkonstitut; aber m. E. zweifelhaft, weil Possessor das corpus<br />

über den neuen Detentor hält.<br />

30. September 2011<br />

187


- Entweder wie Besitzerwerb solo animo behandeln.<br />

Aber in den Quellen nicht ausdrücklich als Fall des Besitzerwerbs solo animo<br />

angesprochen 523<br />

.<br />

Zumal ja Nahebeziehung zwischen neuem possessor und Sache gegeben ist,<br />

wenn auch nur mittelbar über den Detentor.<br />

Oder die römischen Juristen haben vielleicht eine Art Durchgangserwerb fingiert wie bei der<br />

delegatio, nämlich (nach dem Erwerb der Hilfsperson von einem <strong>Dr</strong>itten) die Hingabe der Sache<br />

von der Hilfspersonen an den (künftigen) possessor und dann von diesem wieder Rückgabe<br />

derselben Sache an die Hilfsperson.<br />

- M. E. Vorhandensein des Corpus des Erwerber-Possessors dadurch <strong>zu</strong> erklären,<br />

- entweder dass der eigentl Possessor die Sache durch den Detentor beherrscht<br />

und jederzeit auf diese Sache <strong>zu</strong>greifen kann,<br />

- oder dass der Detentor für den Erwerber<br />

die faktische Gewalt ausübt 524<br />

.<br />

- M. E. jedenfalls der „animus“ i. t. S. stets beim Possessor nötig, nicht beim Detentor.<br />

Davon <strong>zu</strong> unterscheiden: m.E. muss Detentor für den Possessor besitzen wollen,<br />

natürliche voluntas des Detentors m. E. erforderlich;<br />

4. Bei ursprünglichem Besitzerwerb ist Betätigung des Besitzwillens erforderlich,<br />

insbesondere wenn Detentor sich <strong>zu</strong>m Besitzer aufschwingen will 525<br />

,<br />

sofern dem nicht ohnehin die Regel entgegensteht, nemo sibi ipse possessionem mutare potest.<br />

KAPITEL 4. ERWERB DES BESITZES DURCH ANDERE<br />

1. Besitzerwerb durch Gewaltunterworfene, d. h. durch Sklaven oder Hauskinder<br />

für Gewalthaber, bildlich<br />

1. als Werkzeug oder verlängerter Arm des Gewalthabers,<br />

2. oder Besitz des dominus am Sklaven<br />

bedeutet auch Besitz an den Sachen, die Sklave hat.<br />

3. Besitz des dominus mittels corpus und animus des Sklaven 526<br />

.<br />

Dieses ist eines der Mittel, damit infans Besitz erwerben kann.<br />

2. Vorausset<strong>zu</strong>ng, dass Gewaltunterworfener mit Wissen des Gewahlthabers oder für sein peculium gehandelt hat<br />

(aber in Quellen unklar und heute str.).<br />

3. Sogar Besitzerwerb durch Gewaltfreie in Ausnahmefällen anerkannt<br />

jedenfalls in Spätklassik:<br />

1. Erwerb des Tutors oder Curators für das Mündel<br />

wird ohne weiteres sofort dem Mündel <strong>zu</strong>gerechnet,<br />

523<br />

Hausmaninger, Casebook Sachenrecht, 8. A., S. 26, vor Case 12. H.-S., 9. A., S. 131 mit Hinweis auf Cases<br />

15 ff. bejahen Besitzerwerb solo animo bei Besitzkonstitut; aber m. E. zweifelhaft, weil Possessor das corpus<br />

über den neuen Detentor hält.<br />

524<br />

525<br />

K I 394: Cels. D. 41, 2, 18 pr.<br />

D. 47, 2, 1, 1 (Ableugnen der Innehabung genügt nicht, Detentor muss verstecken). D. 41, 2, 32, 1 (Weiterverkauf<br />

und Zurückmieten genügt nicht). D. 41, 2, 25, 1, und D. 41, 2, 30, 6 (Weitervermietung durch Mieter<br />

entzieht dem Vermieter nicht die possessio).<br />

526<br />

D. 41, 2, 3, 12 (Case 24).<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

188


2. ebenso Besitzergreifen des Procurator für Geschäftsherrn,<br />

3. heute sogen. constitutum possessorium - Besitzkonstitut,<br />

wenn aber Veräußerer die Sache faktisch weiter innehaben soll<br />

und der Erwerber die possessio (und möglicherweise das Eigentum) bekommen soll,<br />

z. B. Veräußerer = bisheriger Eigentümer überträgt Sache an Erwerber und mietet gleich <strong>zu</strong>rück .<br />

.<br />

Aber in den Augen der röm Juristen und Kasers hat ds Fall mit<br />

Besitzerwerb durch Freie nichts <strong>zu</strong> tun.<br />

Wichtige Folge: infolge Besitzerwerbs auch unmittelbarer Eigentumserwerb<br />

durch traditio, auch ohne ausdrücklichen Befehl des Mündels oder Geschäftsherrn.<br />

Aber: kein Besitz- und Eigentumserwerb unmittelbar ohne weiteres<br />

des Mandanten durch Mandatar.<br />

KAPITEL 5. ERHALTUNG DES BESITZES DURCH ANDERE<br />

Besitz bleibt erhalten<br />

1. Auch wenn Besitzer Sache an Gewaltunterworfenen gab.<br />

2. Ebenfalls Besitzbewahrung mittels Detentor.<br />

Die römischen Juristen sagen wenig Genaues in Be<strong>zu</strong>g auf a + c.<br />

M. E. wird in ds Zusammhang nicht mit Lehre von a + c operiert.<br />

- M. E. rechnet man mit animus des Possessor und<br />

- corpus ebenfalls des eigentlichen Possessor 527<br />

.<br />

Paul. D. 41, 2, 3, 8, Satz 2. quod si servus vel colonus, per quos corpore possidebam, decesserint discesserintve, animo retinebo possessionem.<br />

527<br />

M. E. sahen die römischen Juristen hier nichts dogmatisch Interessantes.<br />

Sie gebrauchen die Formeln (oft bei Frage des Besitz-Verlustes):<br />

- Fragmente: Possessor besitzt „per servum, colonum, nosmet ipsos, alios, eos“ 528<br />

.<br />

- nostro nomine 529<br />

.<br />

- Domino possidere 530<br />

, d. h. für den Possessor den Besitz ausüben.<br />

- ministerio des Detentors für Posessor, Detentor praestet ministerium 531<br />

.<br />

Inst. 4, 15, 5 (= Gai. 4, 153):<br />

- der Besitzer besitze „per“ 532<br />

Detentor,<br />

- der Detentor sei in possessione in Be<strong>zu</strong>g „eius nomine“:<br />

Possidere autem videtur quisque non solum si ipse possideat, sed et si eius nomine aliquis in possessione sit, licet is eius iuri subiectus<br />

non sit, qualis est colonus et inquilinus: per eos quoque apud quos deposuerit quis aut quibus commodaverit ipse possidere videtur: et<br />

hoc est quod dicitur, retinere possessionem posse aliquem per quemlibet qui eius nomine sit in possessione.<br />

Pap. D. 41, 2, 44, 2. „servi vel coloni corpore possideatur“. Paul. D. 41, 2, 3, 8: „servus vel colonus, per quos<br />

corpore possidebam“ (d. h. also bei Paulus: corpus des Possessor, nicht des Detentor).<br />

528<br />

K, RPR S. 395 / A 44: D. 4, 3, 31; Pomp. D. 41, 2, 25, 1; Afr. D. 41, 2, 40, 1; Pap. D. 41, 2, 44, 2; Ulp. D. 43,<br />

16, 1, 45.<br />

529<br />

530<br />

531<br />

532<br />

Gai. D. 41, 2, 9.<br />

Lab. D. 19, 2, 60, 1.<br />

Cels. D. 41, 2, 18 pr.<br />

So auch Ulp. D. 6, 1, 77; Pap. D. 41, 2, 48.<br />

30. September 2011<br />

189


1. Bedeutung von Besitzfortdauer oder -erwerb<br />

1. Wichtig f Ersit<strong>zu</strong>ng,<br />

2. Desgleichen für Interdiktenbesitz.<br />

2. Besitzverlust jedenfalls, wenn bisheriger Besitzer<br />

1. freiwillig tatsächliche Gewalt aufgibt<br />

KAPITEL 6. BESITZVERLUST<br />

3 Besitzverlust, wenn Possessor Sache durch anderen besaß<br />

Wenn bisheriger Detentor des bisherigen Possessors entsetzt wurde und wenn neuer Besitzer faktische<br />

Gewalt übernommen hat, dann verliert bisheriger Besitzer possessio 533<br />

.<br />

Aber wenn Detentor stirbt oder wenn er faktische Gewalt, die er für Besitzer ausübt, nicht mehr hat,<br />

oder wenn Mieter weitervermietet 534<br />

oder sogar weiterverkauft mit Besitzkonstitut 535<br />

,<br />

trotzdem Fortdauer der Possessio des bisherigen Besitzers 536<br />

.<br />

Zweck: möglichst lange Bewahrung der Besitzvorteile (Interdiktenschutz und Ersit<strong>zu</strong>ng),<br />

obwohl äußerliche Beziehung, „corpus“ scheinbar unterbrochen.<br />

KAPITEL 7. BESITZSCHUTZ, INTERDICTA<br />

1. Das interdictum, Plural: die interdicta,<br />

wörtlich: die „Untersagung“.<br />

Einzelanordnung des Praetors.<br />

Keine Beteiligung des iudex, kein zweiteiliges Verfahren.<br />

Nur im Ausnahmefall Geldverurteilung.<br />

Eigentlicher Besitzschutzanspruch. Hier zeigt sich „Schutzfunktion“ des Besitzes.<br />

2. Interdictum des Praetors<br />

wegen Entziehung oder auch nur Störung des Besitzes als solchen,<br />

also unabhängig<br />

- von dinglichem Recht (a. in rem)<br />

- oder von schuldrechtlichem Anspruch (a. in personam).<br />

3. Wegen Besitzentziehung oder -störung an einem Grundstück<br />

„Interdictum uti possidetis“ - „wie ihr besitzt“.<br />

4. Interdiktenschutz genießt<br />

- jeder Eigenbesitzer (auch der Dieb, Dieb aber nicht gegen Eigentümer),<br />

possessor suo nomine,<br />

533<br />

- nur wenige, bestimmte Fremdbesitzer (nämlich, nicht lernen:<br />

Pächter an Staatsland, ager publicus 537<br />

; außerdem: Prekarist, Pignorist, Sequester).<br />

Bei Eindringling anscheinend sofort, wenn Detentor vertrieben ist (Pap. D. 41, 2, 44, 2). Im übrigen kontrovers<br />

ob sofort (Labeo-Ulp. D. 41, 2, 6, 1) oder erst nach Scheitern des bisherigen Possessor (K, RPR S. 394:<br />

Paul. D. 41, 2, 3, 8; Cels. D. 41, 2, 18, 3 und 4; Pomp. D. 41, 2, 25, 1).<br />

534<br />

535<br />

536<br />

Pomp. D. 41, 2, 25, 1; Paul. D. 41, 2, 30, 6.<br />

D. 41, 2, 32, 1.<br />

K, RPR S. 395 / A 44: D. 4, 3, 31 (Sklave verlässt Besit<strong>zu</strong>ng); Afr. D. 41, 2, 40, 1 (Pächter stirbt; Pächter verlässt<br />

freiwillig Besitztum); Pap. 41, 2, 44, 2. Zweck: Fortdauer der Ersit<strong>zu</strong>ng des bisherigen Possessor). Extremformulierung,<br />

dass Possessor erst Besitz verliert, wenn animus und corpus des Possessor verloren sind.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

190


5. Interdiktenschutz genießen gerade nicht<br />

1. die anderen „Fremdbesitzer“, sogenannte Detentoren,<br />

vor allem nicht: Mieter und Pächter;<br />

2. auch nicht die Gewaltabhängigen.<br />

6. Interdiktenschutz gegenüber<br />

1. Eigenbesitzer<br />

oder bestimmte Fremdbesitzer (s. soeben), auch gegenüber Mieter oder Pächter<br />

2. wenn dieser den Besitz unmittelbar vom Anspruchsteller erlangt hat,<br />

oder den Besitz des Anspruchstellers gestört hat,<br />

und zwar<br />

3. - entweder mit Gewalt, vi;<br />

- oder heimlich, clam;<br />

- oder auf Grund von Leihe, precario;<br />

kurz: vi clam precario.<br />

7. Rechtsfolge<br />

1. Rückgabebefehl oder Störungsverbot an Anspruchsgegner<br />

(2. eigentl, nach Formel:<br />

Anspruchssteller darf nun gg Anspruchsgegner ungestört Gewalt üben,<br />

wenn Anspruchsgegner weiterhin vorenthält oder stört).<br />

Wenn der Anspruchsgegner den Rückgabebefehl („Restitution“) nicht erfüllt,<br />

dann Geldverurteilung.<br />

8. Ähnliche Interdikte<br />

1. wegen beweglicher Sachen<br />

interdictum utrubi („bei wem“)<br />

2. oder wegen gewaltsamer Verdrängung aus einem Grundstück<br />

interdictum unde vi („von wo mit Gewalt“)<br />

usw 538<br />

.<br />

9. Inst. 4, 15 pass.; vor allem in Dig. Buch 43.<br />

10. Heute spricht man von possessorischen Ansprüchen, §§ 858 ff.<br />

(im Gegensatz <strong>zu</strong> petitorischen Ansprüchen auf Grund eines Rechts, z. B. §§ 985, 1004; 1007).<br />

KAPITEL 8. EIGENTUMSERWERB, EIGENTUMSARTEN, ÜBERBLICK<br />

1. Nach römischem und geltendem Recht <strong>zu</strong> unterscheiden<br />

1. Originärer (= ursprünglicher = natürlicher) Eigentumserwerb,<br />

insbes. durch Verbindung, Vermischung, Verarbeitung,<br />

insbes. Inst. 2, 1 pr. – 39,<br />

537<br />

538<br />

2. derivativer (= von einem Voreigentümer abgeleiteter),<br />

im allgemeinen rechtsgeschäftlicher Erwerb,<br />

insbes. Inst. 2, 1, 40 – 46.<br />

Zur Erbpacht etc: K I 387 ff., 455.<br />

K I S. 396 ff.<br />

30. September 2011<br />

191


2. <strong>Dr</strong>ei Übereignungsformen bei derivativem Erwerb<br />

1. mancipatio nur für bestimmte Sachen, die res mancipi,<br />

(italische Grundstücke, Sklaven, einheimische Tiere, gewisse Dienstbarkeiten)<br />

2. in iure cessio für alle Gegenstände,<br />

3. traditio für alle Sachen, aber mit unterschiedlichen Rechtswirkungen für<br />

1. nicht manzipierbare Sachen, res nec mancipi, und für<br />

2. res mancipi<br />

3. Sachen vom nichtberechtigten Nichteigentümer.<br />

3. Eigentumsarten 539<br />

1. Normalerweise haben die römischen Bürger (= Quiriten) an ihren Sachen quiritisches<br />

(= ziviles) Eigentum, das nach altrömischem Recht, ius civile oder ius Quiritium,<br />

durch die rei vindicatio, geschützt ist.<br />

Das gilt für die Fälle, dass an einen römischen Bürger<br />

- eine res nec mancipi tradiert oder in iure zediert wurde, oder<br />

- dass eine res mancipi manzipiert oder in iure zediert wurde.<br />

2. In dem (sogleich <strong>zu</strong> behandelnden) Sonderfall,<br />

dass eine res mancipi nicht manzipiert oder in iure zediert, sondern nur tradiert wurde,<br />

wurde das Recht des Erwerbers nur nach Honorarrecht (= prätorischem Recht)<br />

durch die a. Publiciana geschützt.<br />

Man sagte, der Erwerber habe die Sache nur in seinem Vermögen, in bonis,<br />

und spricht deswegen von „bonitarischem Eigentum“.<br />

3. Der Jurist Gaius erklärt, in einem derartigen Sonderfall bestehe an derselben Sache<br />

ein doppeltes Eigentum, duplex dominium,<br />

nämlich das zivile Eigentum des Veräußerers und gleichzeitg<br />

das bonitarische Eigentum des Erwerbers 540<br />

.<br />

4. Hingegen im römischen Recht kaum Unterschied zwischen beweglichen Sachen<br />

und Grundstücken,<br />

dieser Unterschied besonders ausgeprägt im germanischen und deutschen Recht bis ins BGB.<br />

5. Inst. 2, 1, 11.<br />

Ausdrücke<br />

Dominium Eigentum, Herrschaft<br />

dominus Herr, Eigentümer, Geschäftsherr<br />

proprietas Eigentum<br />

KAPITEL 9. MANCIPATIO<br />

Wie funktionierte die mancipatio? Da<strong>zu</strong> Institutionen des Gaius 1. Buch, § 119: Die mancipatio ist, wie wir auch<br />

oben gesagt haben, eine Art symbolischen Verkaufs; sie ist auch eine Rechtsfigur, die den römischen Bürgern<br />

vorbehalten ist, die folgendermaßen vor sich geht: In Anwesenheit von mindestens 5 mündigen römischen Bür-<br />

539<br />

540<br />

K I S. 402 f.<br />

Gai. 1, 54; 2, 40 f.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

192


gern als Zeugen und außerdem in Anwesenheit eines anderen von gleicher Rechtsfähigkeit, der eine Waage aus<br />

Erz hält, des sogenannten Waaghalters (libripens), spricht der, welcher <strong>zu</strong> mancipium erwirbt, indem er ein<br />

Stück Erz mit der Hand erfaßt, so: ‘Ich erkläre, dass (z. B.) dieser Sklave nach dem Recht der römischen Bürger<br />

meiner ist, und dass er für mich durch dieses Erz und die Waage aus Erz gekauft sein soll’ (Hunc ego hominem<br />

ex iure Quiritium meum esse aio isque mihi emptus esto hoc aere aeneaque libra). Dann stößt er mit dem Erz an<br />

die Waage und gibt dieses Erz demjenigen, von dem er <strong>zu</strong> mancipium empfängt, gewissermaßen anstatt eines<br />

Kaufpreises.<br />

1. Wer war Gaius, welche Bedeutung haben seine Institutionen?<br />

2. Wie mußten Übereignungen vorgenommen werden, an denen Nichtrömer beteiligt waren?<br />

3. Wiederholen Sie den äußeren Vorgang der mancipatio.<br />

4. Wie verhält sich bei diesem Vorgang der Veräußerer?<br />

5. In welcher Weise werden bei der mancipatio<br />

1. das Publizitätserfordernis und<br />

2. das Abstraktionsprinzip beachtet?<br />

6. Warum fehlt dieser Abschnitt aus den Institutionen des Gaius in den Institutionen Justinians?<br />

2. Wegen der notwendig Benut<strong>zu</strong>ng einer Waage, libra, spricht man auch von Libralakten.<br />

3. Erklärung und Einschränkung des Publizitätserfordernisses, Gai. 1, 121. Nur darin unterscheidet sich die mancipatio<br />

der Grundstücke von der mancipatio der anderen Gegenstände ... dass diese, wenn sie nicht gegenwärtig<br />

sind, nicht manzipiert werden können ... Deswegen wird ja von mancipatio gesprochen, weil die Sache mit der<br />

Hand ergriffen wird, manu res capitur. Nur Grundstücke werden für gewöhnlich in Abwesenheit manzipiert.<br />

Frage: Wie erklärt also Gaius das Wort mancipatio?<br />

4. Zur historischen Erklärung der mancipatio, Gai. 1, 122. Deshalb aber werden Erz und Waage benutzt, weil<br />

früher Erzmünzen in Gebrauch waren ... wie wir aus dem XII-Tafel-Gesetz entnehmen können; und ihr Wert bestand<br />

nicht in einer Zahlenangabe, sondern im Gewicht... Wer früher Geld zahlte, zählte die Münzen nicht <strong>zu</strong>,<br />

sondern wog sie ab.<br />

5. Der mancipatio konnte wirksam mündlich eine Nebenabrede beigefügt werden,<br />

lex mancipio dicta,<br />

z. B. Grundstücksgröße (bei Unterschreitung: actio de modo agri),<br />

Zurückbehaltung einer Dienstbarkeit für bisherigen Eigentümer = Verkäufer.<br />

Oder bei Sklavenkäufen so, dass bei Verstoß gegen die Abrede die Übereignung unwirksam wurde,<br />

also auflösende Bedingung, insbesondere:<br />

- dass die manzipierte Sklavin nicht prostituiert werden soll, oder<br />

- dass der manzipierte Sklave freigelassen werde, oder<br />

- dass der Sklave nicht freigelassen werden darf, oder<br />

- dass er nicht <strong>zu</strong> exportieren sei, oder<br />

- ungekehrt, dass er gerade exportiert werden muss.<br />

Diese Bedingungen hatten dingliche Wirkung: wenn sie verletzt wurden,<br />

konnte der Veräußerer die Sklavin oder den Sklaven vindizieren.<br />

6. Preiszahlung ist nicht erforderlich für Wirksamkeit der mancipatio in klassischer Zeit,<br />

wohl aber für auctoritas-Haftung.<br />

7. Auf Grund der mancipatio muß der Verfügende, mancipium dans, dem Erwerber<br />

wegen Rechtsansprüchen <strong>Dr</strong>itter beistehen, auctoritatem praestare.<br />

Wenn ein <strong>Dr</strong>itter gegenüber dem Erwerber erfolgreich einen Rechtsanspruch durchsetzt<br />

und dem Erwerber damit die Sache entzieht,<br />

haftet der Veräußerer wegen des Rechtsmangels, auctoritas-Haftung<br />

(s. o. <strong>zu</strong>r Rechtsmängelhaftung des Verkäufers).<br />

30. September 2011<br />

193


8. "Nachgeformte Rechtsgeschäfte". Die mancipatio wurde alsbald auch <strong>zu</strong> anderen Zwecken<br />

als <strong>zu</strong> dem der Übereignung im Rahmen eines Kaufvertrages verwandt, insbesondere<br />

1. als Manzipation für nur 1 Geldstück, mancipatio nummo uno, <strong>zu</strong> anderen Geschäftszwecken,<br />

z. B. <strong>zu</strong>r Schenkung oder Mitgift, dos,<br />

2. als Brautkauf, coemptio, für eine feierliche Form der Begründung der ehemännlichen Gewalt<br />

für die manus-Ehe,<br />

3. <strong>zu</strong>r Entlassung aus der väterlichen Gewalt, emancipatio,<br />

4. für die adoptio,<br />

5. für das testamentum per aes et libram.<br />

Ernst Rabel sprach in derartigen Fällen von nachgeformten Rechtsgeschäften.<br />

Ernst Rabel (1874 - 1955), <strong>Prof</strong>essor in <strong>Berlin</strong> für Privatrecht und Rechtsgeschichte, Rechtsvergleichung und Internationales<br />

Privatrecht. Von manchen als der bedeutendste Jurist des Jahrhunderts angesehen. Stammte aus einer<br />

österreichischen Juristenfamilie. In der modernen und antiken Rechtsvergleichung suchte er danach, "welche<br />

Lösungen sich aus der Gesamtheit des ganzen vollen Rechtslebens in dem einen und dem anderen Staat in den<br />

gleichen Lebensfragen ergeben und warum und mit welchem Erfolg sie sich ergeben". Rechtspolitisch war er tätig<br />

für die Rechtsvereinheitlichung, deswegen sein Werk "Das Recht des Warenkaufs". Er gründete das Kaiser-<br />

Wilhelm-Institut, spätere Max-Planck-Institut für Rechtsvergleichung, (jetzt in Hamburg) und die maßgebende<br />

Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht (heute: RabelsZ). Als Jude mußte er 1937 in die<br />

USA emigrieren.<br />

9. Keine mancipatio (d. h. Verfügung) durch Sklaven, Haussohn oder Freien kraft Ermächtigung 541<br />

,<br />

wohl aber an (d. h. Erwerb mittels) Sklaven oder Haussohn für den Gewalthaber 542<br />

,<br />

d. h. merkwürdigerweise, dass Sklave oder Haussohn für Manzipationserwerb<br />

die Erwerbsformel ws sprechen konnte,<br />

dass er aber das für die Veräußerung mittels mancipatio erforderlich Schweigen<br />

nicht ws erbringen konnte. (s. u.).<br />

10. Das Ende der mancipatio: Codex Buch 7, Titel 31, Fragment 1, § 5 (C. 7, 31, 1, 5). Kaiser Justinian an Johannes.<br />

Da ja die Einteilung der Sachen in res mancipi und nec mancipi ziemlich veraltet ist, muß sie vernünftigerweise<br />

abgeschafft werden, so dass in Be<strong>zu</strong>g auf alle Sachen und alle Anwendungsorte dieselbe Regelung gilt und nutzlose<br />

Zweifel und Unterscheidungen aufgehoben sind (im Jahre 531).<br />

1. Infolgedessen wurde der Textabschnitt von Gai. 1, 19 bis 1, 123<br />

in den Institutionen Justinians ausgelassen.<br />

2. Außerdem wurden fast zahllose Stellen im Corpus Iuris, die ursprünglich von der mancipatio handelten,<br />

auf die traditio umgeschrieben, "interpoliert".<br />

Dieses ist das bekannteste Beispiel für justinianische Interpolationen.<br />

Eine Interpolation könnte auch die Erklärung für D. 41, 1, 36 sein (s. u.).<br />

3. Infolgedessen wird im Text für Ihre Digesten-Exegese nie ausdrücklich von der mancipatio die Rede sein.<br />

Es kann sich allenfalls die Frage stellen, ob<br />

- eine nicht näher beschriebene rechtsgeschäftliche Übereignung<br />

mittels mancipatio erfolgt sein kann, oder ob<br />

541<br />

542<br />

K I S. 267; anders bei form-freien Verfügungen.<br />

Wenn Gewalthaber in der Erwerbsformel genannt wurde: Gai. 3, 167.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

194


- ein Text, der in der überlieferten Gestalt von der traditio spricht, ursprünglich die mancipatio meinte.<br />

KAPITEL 10. IN IURE CESSIO<br />

Gai. 2, 24. Die in iure cessio erfolgt auf die folgende Weise: Derjenige, dem eine Sache vor Gericht übertragen<br />

werden soll, hält diese Sache fest<br />

und erklärt vor einem Amtsinhaber des römischen Volkes, etwa einem Praetor: ‘Ich erkläre, dass (beispielsweise)<br />

dieser Sklave nach dem Recht der Quiriten mir gehört, meum esse’. Damit klagt er die Sache<br />

ein,<br />

und der Praetor fragt denjenigen, der die Sache übertragen will, ob er die Gegenbehauptung aufstellt.<br />

Wenn dieser die Frage verneint oder schweigt, spricht der Praetor dem Kläger die Sache <strong>zu</strong>. Und dies wird<br />

eine Klage nach dem Gesetz, legis actio, genannt.<br />

Sie kann auch vor den Provinzstatthaltern durchgeführt werden.<br />

Zusatzfragen<br />

1. Wie steht es mit dem Publizitätsprinzip?<br />

2. Kommt es auf die causa, wegen der übereignet werden soll, an?<br />

Ergän<strong>zu</strong>ng<br />

Sowohl res mancipi, als auch res nec mancipi.<br />

Da in Form eines Prozesses, nur für Bürger (nicht Sklaven), die gewaltfrei sind (nicht Hauskinder).<br />

Gai 2, 25: Aber meistens und fast immer gebrauchen wir die mancipatio. Denn für das, was wir selbst im<br />

Kreis von Freunden erledigen können, ist es nicht nötig, es mit größerer Schwierigkeit bei dem Praetor oder<br />

dem Provinzstatthalter <strong>zu</strong> betreiben.<br />

Ergän<strong>zu</strong>ng: Auch die in iure cessio war in Justinians Zeit nicht mehr in Gebrauch,<br />

Justinian hat sie aus den Digesten getilgt 543<br />

.<br />

KAPITEL 11. TRADITIO 544<br />

1. In den Digesten fast die einzige Übereignungsform.<br />

2. Inst. 2, 1, 40, Satz 1 + 2. Per traditionem quoque iure naturali res nobis adquiruntur: nihil enim tam conveniens<br />

est naturali aequitati, quam voluntatem domini, volentis rem suam in alium transferre, ratam haberi.<br />

et ideo cuiuscumque generis sit corporalis res, tradi potest et a domino tradita alienatur.<br />

1. Beachten Sie die (nach heutigem Verständnis) doppelte Bedeutung von traditio, nämlich<br />

1. Eigentumsübertragung oder<br />

2. tatsächliche Übergabe des Sachbesitzes.<br />

2. Auf welche allgemeine Rechtsgrundlage stützen sich hier die Institutionen?<br />

3. Inst. 2, 1, 41. Sed si quidem ex causa donationis aut dotis aut qualibet alia ex causa tradantur, sine dubio<br />

transferentur: venditae vero et traditae non aliter emptori adquiruntur, quam si is venditori pretium solverit<br />

vel alio modo ei satisfecerit, veluti expromissore aut pignore dato. quod cavetur quidem etiam lege duodecim<br />

tabularum.<br />

1. Welche Erfordernisse werden in §§ 40 und 41<br />

543<br />

544<br />

K-K § 7/19.<br />

K I § 100 IV, S. 416.<br />

30. September 2011<br />

195


für eine wirksame Eigentumsübertragung aufgestellt? 545<br />

2. In welcher Weise werden diese Erfordernisse in Inst. 2, 1, 44 und 45 gemildert?<br />

3. Bestehen dieselben Erfordernisse bei der mancipatio und der in iure cessio?<br />

4. Erforderlich ist also für die Eigentums-traditio<br />

1. Formfreie Übergabe der Sache, also Besitz-traditio <strong>zu</strong>r Verschaffung der possessio,<br />

2. Eigentumsübertragungswille des bisherigen Eigentümers,<br />

3. wirksames Grundgeschäft, causa.<br />

5. 1. Die traditio bewirkte nur dann den Eigentumsübergang (an einer res nec mancipi),<br />

wenn ihr ein bestimmter Rechtsgrund <strong>zu</strong> Grunde lag,<br />

die sogenannte causa, später auch genannt titulus.<br />

545<br />

546<br />

547<br />

548<br />

2. Die häufigsten causae: Mitgift (dos), Schenkung (donatio),<br />

Darlehensgewährung (causa credendi).<br />

Der Verkauf (emptio, venditio) war in einzelnen Fällen 546<br />

sogar dann ausreichende causa,<br />

wenn Kaufvertrag unwirksam war.<br />

Erfüllung (solutio, solvendi causa) <strong>zu</strong>r Erfüllung einer Verbindlichkeit<br />

aus Stipulation oder Damnationslegat,<br />

Übereignung wirksam, selbst wenn diese Verbindlichkeit in Wirklichkeit nicht bestand 547<br />

.<br />

Ob diese causa solvendi auch in anderen Fällen anerkannt war, ist unklar.<br />

Weniger häufig eine sonstige Vereinbarung (pactum). 548<br />

3. Diese iusta causa traditionis ist ähnlich, aber nicht identisch mit<br />

- der iusta causa usucapionis = iustus titulus, für die Ersit<strong>zu</strong>ng, oder<br />

- derjenigen causa, wegen deren Fehlens die condictio in Betracht kommt.<br />

4. Es galt die Rechtsmaxime<br />

Numquam nuda traditio transfert dominium.<br />

Nie überträgt die einfache Übergabe das Eigentum.<br />

Grundsätzlich: Digesten Buch 41, Titel 1, Fragment 31, Anfangsparagraph (Paulus im 31. Buch des<br />

Kommentars <strong>zu</strong>m Edikt). Niemals überträgt die bloße Übergabe das Eigentum, sondern nur, wenn ein<br />

Verkauf oder ein anderer anerkannter Rechtsgrund vorangeht, wegen dessen die Übergabe folgt.<br />

D. 41, 1, 31 pr. (Paulus libro trigensimo primo ad edictum). Numquam nuda traditio transfert dominium,<br />

sed ita, si venditio aut ali[qu]a iusta causa praecesserit, propter quam traditio sequeretur.<br />

Dieses sogenannte Kausalitätsprinzip wurde in klassischer Zeit wohl nicht aufgegeben.<br />

5. Aber vielleicht wurde das Prinzip nicht sehr eng gesehen,<br />

Tatsächliche Übergabe, Rechtsgrund (causa = titulus), Preis-Zahlung oder -Kreditierung.<br />

Kunkel/MM 159/26: Kauf vom Geschäftsunfähigen bei Gutgläubigkeit des Käufers.<br />

Kaser I § 100 IV 2 Anm. 39; KK § 24 IV 2. Ebenso bei Ersit<strong>zu</strong>ng, usucapio, Kaser I § 101 I 3 Anm. 28.<br />

Gut informativ: Kunkel/MM 158 f.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

196


s. die berühmte Äußerung Iulians:<br />

Digesten Buch 41, Titel 1, Fragment 36 (Iulian im 13. Buch der Digesten). Wenn wir hinsichtlich<br />

des Gegenstandes, der übereignet werden soll (andere Überset<strong>zu</strong>ng: der übergeben wird), übereinstimmen,<br />

bezüglich der Rechtsgründe aber verschiedener Meinung sind, dann sehe ich nicht ein, warum<br />

die Übereignung unwirksam sein sollte.<br />

Etwa wenn ich glaube, ich sei dir auf Grund eines Testaments/Vermächtnisses verpflichtet, ein<br />

Grundstück <strong>zu</strong> übereignen, du jedoch glaubst, dass es dir auf Grund einer Stipulation geschuldet werde.<br />

Denn auch wenn ich dir abgezähltes Geld als Geschenk übereigne, du es aber gewissermaßen als Darlehen<br />

entgegennimmst, dann steht fest, dass das Eigentum auf Dich übergeht und dass es keinen Hinderungsgrund<br />

bildet, dass wir wegen des Rechtsgrundes des Gebens und Empfangens verschiedener<br />

Meinung sind.<br />

D.1, 1, 36 (Iul. 13 dig.). Cum in corpus quidem quod traditur consentiamus, in causis vero dissentiamus,<br />

non animadverto, cur inefficax sit traditio, veluti si ego credam me ex testamento tibi obligatum<br />

esse, ut fundum tradam, tu existimes ex stipulatu tibi eum deberi. nam et si pecuniam numeratam tibi<br />

tradam donandi gratia, tu eam quasi creditam accipias, constat proprietatem ad te transire nec impedimento<br />

esse, quod circa causam dandi atque accipiendi dissenserimus.<br />

Digesten Buch 12, Titel 1, Fragment 18, Anfangsparagraph (Ulpian im 7. Buch der Kontroversen).<br />

Wenn ich dir Geld gebe, gewissermaßen, um es dir <strong>zu</strong> schenken, du es aber gewissermaßen als Darlehen<br />

entgegennimmst, so schreibt Iulian, dass eine Schenkung nicht vorliege: ob aber ein Darlehen<br />

gegeben sei, müsse man prüfen.<br />

Und ich bin der Ansicht, dass auch kein Darlehen gegeben sei und dass auch mehr dafür spricht, dass<br />

die Geldstücke nicht Eigentum des Empfängers werden, wenn er sie in anderer Meinung angenommen<br />

hat (als der Geber sie hingegeben hat).<br />

Wenn er sie also verbraucht hat, würde er auf Grund der Bereicherungsklage haften, kann aber die<br />

Einrede der Arglist erheben, weil die Geldstücke entsprechend dem Willen des Gebers verbraucht<br />

worden sind.<br />

D. 12, 1, 18 pr. (Ulpian. 7 disp.). Si ego pecuniam tibi quasi donaturus dedero, tu quasi mutuam accipias,<br />

Iulianus scribit donationem non esse: sed an mutua sit, videndum. et puto nec mutuam esse magisque<br />

nummos accipientis non fieri, cum alia opinione acceperit. quare si eos consumpserit, licet<br />

condictione teneatur, tamen doli exceptione uti poterit, quia secundum voluntatem dantis nummi sunt<br />

consumpti.<br />

6. Das Preis- oder Kreditierungserfordernis war wohl klassisch,<br />

hatte aber in klassischer Zeit an Bedeutung verloren.<br />

7. Aufschiebende Bedingung wirksam; auflösende fraglich, wohl in seltenen Fällen klassisch.<br />

KAPITEL 12. WIRKUNGEN DER TRADITIO 549<br />

1. Traditio für alle Sachen, aber mit unterschiedlichen Rechtswirkungen für<br />

1. nicht manzipierbare Sachen, res nec mancipi, und für<br />

2. res mancipi, sowie für<br />

3. Sachen vom nichtberechtigten Nichteigentümer<br />

4. sowie in weiteren Fällen.<br />

549<br />

K I § 97, S. 402 ff.<br />

30. September 2011<br />

197


2. Die traditio einer res nec mancipi begründete volles, ziviles Eigentum<br />

für den Erwerber.<br />

3. Wenn aber in klassischer Zeit der zivile Eigentümer<br />

eine res mancipi nicht manzipierte, sondern nur tradierte,<br />

1. dann erlangte der Erwerber nicht sofort ziviles Eigentum.<br />

2. Eigentumserwerb erfolgte dann erst durch Ersit<strong>zu</strong>ng während 1 oder 2 Jahren,<br />

auch wenn Erwerber wußte, dass er <strong>zu</strong>nächst mittels traditio kein Eigentum erworben konnte.<br />

3. Während Ersit<strong>zu</strong>ngszeit war Erwerber bereits geschützt durch<br />

1. eigene Klage analog <strong>zu</strong>r Eigentumsherausgabeklage, actio Publiciana,<br />

2. und gegenüber Anspruch oder Einrede des Veräußerers<br />

durch besondere Einrede wegen der verkauften und übergebenen Sache,<br />

exceptio (oder replicatio) rei venditae et traditae.<br />

4. Faktisch hat also der Erwerber die Sache schon in seinem Vermögen, in bonis,<br />

daher "bonitarischer Eigentümer",<br />

5. während der Veräußerer nur ein inhaltsleeres Recht hat, nudum ius.<br />

6. Gaius spricht darum von einem doppelten Eigentum, duplex dominium.<br />

7. Ob auch in anderen Fällen bonitarisches Eigentum begründet wurde,<br />

etwa infolge Veräußerung durch den Nichteigentümer, der nachträglich ziviles Eigentum erwirbt,<br />

ist heute nicht mehr klar <strong>zu</strong> erkennen.<br />

4. Provinzialboden stand im allgemeinen im Staatseigentum<br />

privates Eigentum war an ihm nicht möglich,<br />

sondern nur eine Nut<strong>zu</strong>ngs-, Fruchtziehungs- und Besitzposition, das uti frui habere possidere.<br />

Ebenfalls durch traditio übertragen.<br />

KAPITEL 13. ÜBEREIGNUNGEN MITTELS HILFSPERSONEN<br />

1. Übereignung i. S. Verfügung, insbesondere mittels traditio,<br />

z. B. E ist Eigentümer einer Vase und bittet seinen Freund F, diese an K <strong>zu</strong> übereignen.<br />

Übereignung<br />

durch gewaltfreie Hilfsperson wie Bauftragten (Mandat) oder Prokurator,<br />

oder durch Gewaltunterworfenen, Haussohn oder Sklaven,<br />

2. Allgemein anerkannt<br />

war die Wirksamkeit der Verfügung über fremde Rechte<br />

mit der formlosen<br />

- vorherigen, untechnisch iussum oder mandatum, oder<br />

- nachträglichen, ratihabitio,<br />

Zustimmung des Berechtigten.<br />

Prinzip: Inst. 2, 1, 42 und 43.<br />

3. Geschäfte<br />

1. wie: Übereignung / traditio, Verpfändung, Annahme als Schulderfülung,<br />

2. aber nicht förmliche Geschäfte wie mancipatio oder in iure cessio.<br />

4. Der Verfügende konnte<br />

- ein Gewaltfreier oder<br />

- ein Gewaltutnerworfener (Haussohn oder Sklave) sein.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

198


5. D. h. wenn Eigentümer der Übereignung durch einen anderen an einen <strong>Dr</strong>itten <strong>zu</strong>stimmt,<br />

ist Übereignung wirksam und <strong>Dr</strong>itter wird Eigentümer.<br />

Dieses ist wichtiges Stück für die heute sogenannte mittelbare Stellvertretung.<br />

Aber wenn Hilfsperson die Ermächtigung überschreitet,<br />

z. B. Sache unter dem vorgegebenen Preis verkauft,<br />

dann nützt Ermächtigung nichts, Verfügung ist unwirksam 550<br />

.<br />

6. Einschränkung:<br />

Aber keine mancipatio (d. h. Verfügung) durch den Nichteigentümer,<br />

die Ermächtigung nützt hier<strong>zu</strong> nichts 551<br />

.<br />

Also Ermächtigung nützt im Wesentlichen nur etwas für traditio,<br />

<strong>zu</strong> deren Wirkungen s. o.<br />

Wenn jedoch res mancipi mit Ermächtigung des Eigentümers (z. B. E)<br />

durch den Nichteigentümer (z. B. F) an einen anderen (z. B. K) tradiert wird,<br />

dann erhält der andere, der Empfänger (K), bereits gesicherte Rechtsposition an der Sache,<br />

mittels a. Publiciana gegen einen neuen Besitzer (z. B. B)<br />

und exceptio gegen zivilen Eigentümer (E).<br />

7. Klarstellung:<br />

1. Diese Ermächtigung<br />

an eine gewalt-freie Hilfsperson kann nur Verfügung betreffen,<br />

begründet also keine Verpflichtung des Ermächtigenden<br />

gegenüber außenstehendem <strong>Dr</strong>itten.<br />

Vertragsbeziehungen werden nur zwischen Hilfsperson und <strong>Dr</strong>ittem begründet<br />

(evtl. gewisse Ausnahmen).<br />

2. Eine Verpflichtung des Geschäftsherrn kann nur begründet werden<br />

durch einen Gewaltunterworfenen,<br />

wenn TB einer adjektizischen Klage gegeben ist.<br />

4. Keine Unterscheidung je nachdem, ob Hilfsperson<br />

im eigenen (BGB: Zustimmung) oder fremden (BGB: Stellvertretung) Namen handelt.<br />

8. Aber, wie gesagt, grundsätzlich in Rom kein Erwerb durch einen Gewaltfreien.<br />

1. D. h.: wenn jemand (E) seine Sache an einen anderen (den A) übereignen will,<br />

indem er sie der gewaltfreien Hilfsperson (P) des anderen (A) übergibt,<br />

so erlangt der andere (A) in der Regel noch nicht das Eigentum.<br />

550<br />

551<br />

2. Ausnahme: Procurator, sowie Tutor oder Curator.<br />

D. h. in dem häufigen Fall, wenn der Schuldner des Geschäftsherrn<br />

dem Procurator des Geschäftsherrn die Schulden bezahlt,<br />

dann wird der Geschäftsherr Eigentümer des Geldes<br />

und der Schuldner wird damit von seiner Schuld befreit wird.<br />

D. 21, 3, 1, 3 (WS 03).<br />

K I S. 267; anders bei form-freien Verfügungen.<br />

30. September 2011<br />

199


3. Aushilfsmittel: doppelte Übereignung.<br />

D. h. es müssen zwei Übereignungen durchgeführt werden:<br />

vom Veräußerer an die Hilfsperson<br />

und von der Hilfsperson an den endgültigen Erwerber.<br />

4. Anerkannt ist aber der Erwerb mittels eines Gewaltunterworfenen<br />

für den Gewalthaber,<br />

und zwar sowohl im Wege der traditio wie im Wege der mancipatio 552<br />

,<br />

Besitzerwerb und traditio erfordern aber Wissen des Gewalthabers<br />

oder Handeln des Gewaltunterworfenen für sein Pekulium (str.).<br />

KAPITEL 14. ERSITZUNG = USUCAPIO<br />

Schon nach den XII-Tafeln 553<br />

. Ausführlich Inst. Iust. 2, 6.<br />

1. Erste Funktion: Erwerb vom Nichtberechtigten.<br />

D. h. die Römer erklärten den gutgläubigen Erwerber, der eine fremde Sache<br />

eine gewisse Zeit besessen hatte, <strong>zu</strong>m Eigentümer,<br />

weil er die Sache durch Gebrauch (usus) erlangt (cápere) habe.<br />

Anstelle der klassischen usucapio<br />

später die Einrede der langen Zeit, longi temporis praescriptio.<br />

2. Fünf Vorausset<strong>zu</strong>ngen:<br />

1. Ersit<strong>zu</strong>ngsfähige Sache - res habilis,<br />

ausgeschlossen: gestohlene Sache - res furtiva.<br />

552<br />

553<br />

554<br />

Wenn gestohlene Sache wieder <strong>zu</strong>m Eigentümer <strong>zu</strong>rückgekehrt ist,<br />

hat sie ihre Ersitzbarkeit <strong>zu</strong>rückgewonnen.<br />

An Grundstücken kein Diebstahl (nach durchgedrungener Ansicht),<br />

jedoch kaiserliches Ersit<strong>zu</strong>ngsverbot 554<br />

.<br />

2. Eigenbesitz - possessio civilis<br />

(nicht ausreichend sonstige Innehabung wie etwa sogenannte Detention),<br />

3. Ablauf der Ersit<strong>zu</strong>ngsfrist - tempus,<br />

- ein Jahr bei beweglichen Sachen,<br />

- zwei Jahre bei Grundstücken,<br />

4. Erwerbsgrund - iusta causa, titulus,<br />

wie bei Traditio, insbesondere<br />

„als Käufer“ - pro emptore, „auf Grund Schenkung“ - pro donato,<br />

Wenn Gewalthaber in der Erwerbsformel genannt wurde: Gai. 3, 167.<br />

XII-T. 6, 3.<br />

Inst. Iust. 2, 6, 7; C. 7, 31, 1. Wohl auch keine Ersit<strong>zu</strong>ng an gewaltsam entzogenem Grundstück.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

200


„als Heiratsmitgift“ – pro dote, „als Vindikationslegat“ – pro legato (per vindicationem),<br />

„<strong>zu</strong>r Erfüllung einer Stipulationsschuld“ - pro soluto.<br />

Sonderfälle: auf Grund wirklicher Dereliktion durch den Eigentümer – pro derelicto,<br />

auf Grund Erbfalls, sogar bei Kenntnis der Nichtberechtigung – pro herede.<br />

Subsidiär „als Eigenberechtigter“ – pro suo.<br />

Strittig, ob bei Fehlen einer causa der gute Glaube genügt, sogen. Putativtitel.<br />

Jedenfalls galt die Rechtsmaxime, dass ein bloßer Sachinhaber, sogenannter Detentor,<br />

sich nicht eigenmächtig eine Ersit<strong>zu</strong>ngs-causa schaffen könne:<br />

Nemo sibi ipse causam possessionis mutare potest.<br />

Niemand kann für sich selbst den Besitzgrund ändern.<br />

5. Guter Glaube - bona fides, <strong>zu</strong>r Zeit des Erwerbes.<br />

Wichtige Rechtsmaxime<br />

Mala fides superveniens non nocet - Spätere Bösgläubigkeit schadet nicht (in Rom)<br />

(anders im Mittelalter kanonisches Recht: mala fides superveniens nocet;<br />

superveniens nocet auch bei der seltenen Ersit<strong>zu</strong>ng beweglicher Sachen im BGB, § 937;<br />

aber gar kein guter Glaube bei Buchersit<strong>zu</strong>ng erforderlich, § 900.).<br />

Bona fides nicht erforderlich in Sonderfällen:<br />

- Eigentumserwerb vom Eigentümer (!) an res mancipi durch bloße traditio,<br />

- res (a domino !) derelicta,<br />

- an Erbschaftssache trotz Wissen nicht Erbe <strong>zu</strong> sein.<br />

3. Zweite Funktion der usucapio:<br />

Herstellung des vollen Eigentums römischer Bürger, sogenanntes quiritisches Eigentum,<br />

des Erwerbers, der eine res mancipi durch bloße traditio erlangt hatte.<br />

Hierfür kommt es auf b. f. des Erwerbers nicht an (es sei denn vom Nichtberechtigten).<br />

4. Außerdem Klage des bisherigen Ersit<strong>zu</strong>ngsbesitzers, der Besitz wieder verloren hat,<br />

gegen den neuen Besitzer analog <strong>zu</strong>r rei vindicatio: actio Publiciana (s. u.).<br />

5. Für den Fall des bonitarischen Erwerbs,<br />

d. h. wenn Eigentümer seine res mancipi an Käufer nur tradiert hatte:<br />

Zwar rei vindicatio des Eigentümers gegen Käufer nach ius civile,<br />

aber beklagter Käufer hat die Einrede der verkauften und übergebenen Sache,<br />

exceptio rei venditae et traditae, oder exceptio doli, gegen klagenden Eigentümer.<br />

Gilt aber selbstverständlich nicht, wenn Käufer von nichtberechtigtem <strong>Dr</strong>itten erworben hatte<br />

und nun wirklicher Eigentümer vor Vollendung der Ersit<strong>zu</strong>ng vom Käufer herausverlangt.<br />

6. Hingegen in Rom kein sofortiger gutgläubiger Erwerb.<br />

Denn niemand kann mehr an Rechten (auf einen anderen) übertragen,<br />

als er selbst hat; so der Jurist Paulus in D. 50, 17, 54.<br />

Nemo plus iuris transferre (ad alium) potest quam ipse haberet.<br />

7. Usucapio dürfte eine Mittelstellung zwischen ursprünglichem und abgeleitetem Erwerb einnehmen.<br />

8. Entwicklungen vom römischen und mittelalterlichen Recht bis <strong>zu</strong>r Neuzeit abgeschlossen<br />

30. September 2011<br />

201


1. durch §§ 932, 892 BGB,<br />

2. aber auch noch Ersit<strong>zu</strong>ng im BGB, §§ 937 ff. und 900.<br />

Ausdruck<br />

mala fides böser Glaube, Unredlichkeit.<br />

KAPITEL 15. TIERE<br />

Inst. 2, 1, 11 – 13 und 15 am Ende<br />

Tierjunge Inst. 2, 1, 19.<br />

Eigentumsverlust an Tieren, m. E. <strong>zu</strong> detailliert, nämlich:<br />

- wilde Tiere, wenn sie Freiheit wiedererlangen und Verfolgung ohne Aussicht ist,<br />

- gezähmtes Tier, wenn es den Willen <strong>zu</strong>r Rückkehr, animus revertendi, verliert,<br />

- Haustier bleibt im Eigentum, auch wenn es sich verläuft 555<br />

.<br />

KAPITEL 16. VERARBEITUNG<br />

Interessenkonflikt zwischen Materialeigentümer und Verarbeiter.<br />

I. 2, 1, 25.<br />

1. Es handelt sich hierbei um eine der berühmtesten Kontroversen zwischen der Rechtsschule der Sabinianer<br />

und der Rechtsschule der Prokulianer.<br />

2. Derselbe Text ist, ausführlicher, aber im übrigen nur wenig verändert, auch in den Digesten überliefert,<br />

Gaius D. 41, 1, 7, 7: Wenn jemand aus fremdem Material einen Gegenstand für sich hergestellt hat 556<br />

,<br />

meinen Nerva und Proculus, dass derjenige Eigentümer sei, der ihn hergestellt hat, weil das, was hergestellt<br />

worden ist, vorher niemandem gehört hat. Sabinus und Cassius meinen, dass die natürliche Vernunft (naturalis<br />

ratio) eher da<strong>zu</strong> führe, dass der Eigentümer des Materials auch Eigentümer der Sache werde, die aus<br />

diesem Material erzeugt wird, weil ohne Material kein Gegenstand hergestellt werden könne, so z. B.,<br />

wenn ich aus deinem Gold, Silber oder Kupfer irgendein Gefäß mache ... Es gibt jedoch auch eine mittlere<br />

Meinung (media sententia) derer, die <strong>zu</strong> Recht die Ansicht vertreten, wenn die bearbeitete Sache wieder in<br />

den ursprünglichen Roh<strong>zu</strong>stand <strong>zu</strong>rückgeführt werden könne, sei die Auffassung von Sabinus und Cassius<br />

richtiger, wenn das jedoch nicht möglich sei, dann die Auffassung von Nerva und Proculus. So kann z. B.<br />

das Gefäß eingeschmolzen und dadurch wieder <strong>zu</strong>m Rohmaterial Gold, Silber oder Kupfer gemacht werden;<br />

der Wein aber oder das Getreide kann nicht wieder <strong>zu</strong> Trauben oder Ähren gemacht werden ... 557<br />

.<br />

Fragen<br />

1. Welche Begründung führen<br />

1. die Prokulianer (= Produktionsprinzip)<br />

2. die Sabinianer (= Sacheigentümer = Substanzprinzip) für ihre Ergebnisse an?<br />

2. Was spricht schließlich für die media sententia?<br />

Die media sententia war auch im gemeinen Recht die herrschende.<br />

Das ALR folgte den Prokulianern, wenn der Hersteller gutgläubig war.<br />

Der Code civil übernahm die Ansicht der Sabinianer.<br />

555<br />

Kaser/Knütel § 26 Rdnr. 2,<br />

556<br />

Speciem ... fecerit, daher nennen Juristen die Verarbeitung auch Spezifikation.<br />

557<br />

Überset<strong>zu</strong>ng nach Hausmaniger, Casebook <strong>zu</strong>m römischen Sachenrecht, Fall 120.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

202


Was sagt BGB?<br />

Heute vor allem Konflikt zwischen den Kreditgebern = Sicherungsnehmern<br />

des Materialeigentümers und denen des Verarbeiters.<br />

Wie ist die Lösung des § 950 BGB ein<strong>zu</strong>ordnen?<br />

Warum Entscheidung des BGB für den Hersteller?<br />

"Die Würde der menschlichen Arbeit, in welcher der Geist mittels der von ihm beherrschten und in Geschicklichkeit<br />

umgewandelten Körperkraft aus Gegebenem neue Mittel für bessere Befriedigung menschlicher Bedürfnisse<br />

schafft, überwiegt bei der Abwägung der beteiligten Interessen das Gewicht des Stoffes weitaus" 558<br />

.<br />

Vorausset<strong>zu</strong>ngen für § 950 BGB<br />

1. "Verarbeitung oder Umbildung"<br />

2. "Neue bewegliche Sache", nach Verkehrsanschauung, neue Bezeichnung kann Indiz sein.<br />

3. Durch den Hersteller.<br />

4. Berechnung, § 950 I 1, Halbs. 2, d. h.<br />

1. Wert der neuen Sache,<br />

2. abzüglich "Wert des Stoffes",<br />

3. ergibt "Wert der Verarbeitung".<br />

4. Dieser "Wert der Verarbeitung" (Punkt 3.)<br />

darf nicht "erheblich geringer sein" als "Wert des Stoffes" (Punkt 2.).<br />

Rechtsfolgen der Verarbeitung nach BGB (ebenso wie bei § 946, 947 II und 948 BGB)<br />

1. Eigentumsverlust der bisherigen Eigentümer der einzelnen Stoffe.<br />

2. Hersteller wird Eigentümer der neuen Sache.<br />

3. Obligatorische Ausgleichspflicht, §§ 951, 812.<br />

Rechtsfolgen aber nicht: Miteigentum, sondern "Alles oder Nichts".<br />

KAPITEL 17. VERMISCHUNG, INST. 2, 1, 27 + 28<br />

KAPITEL 18. SACHVERBINDUNG VON BEWEGLICHEN SACHEN<br />

1. Bei untrennbarer Verbindung beweglicher Sachen miteinander<br />

ist entscheidend, ob sie <strong>zu</strong> einer einheitlichen Sache verbunden wurden. Dann kam es darauf an,<br />

welche Sache generell als die Hauptsache angesehen wird, z. B.<br />

- Purpur folgte der Wolle, Inst. 2, 1, 26,<br />

- Schrift der Schreibtafel, Inst. 2, 1, 33,<br />

- die Bemalung einer fremden Tafel ist kontrovers, Inst. 2, 1, 34,<br />

- der angeschweißte Arm folgt der Statue<br />

(anders bei angelöteten Teilen, adplumbare);<br />

diese Fälle nicht auswendiglernen!<br />

Verkehrsanschauung, vielleicht auch philosophische Lehren sind wichtiger als bloße Wertverhältnisse.<br />

Ergebnis: Eigentum an der Hauptsache erstreckt sich auf Nebensache, denn<br />

Accessio cedit principali - Das Recht an der Nebensache folgt dem Recht an der Hauptsache<br />

(res principalis).<br />

558<br />

Johow, Sachenrecht (s. o.), Bd. 1, S. 949.<br />

30. September 2011<br />

203


2. Ausgleichsanspruch des "enteigneten" bisherigen Eigentümers der Nebensache<br />

a. utilis, a. in factum; evtl. Zurückbehaltungsrecht mittels exc. doli<br />

(aber nicht eigentliche condictio wegen Bereicherung).<br />

Außerdem, bei Diebstahl: actio furti oder condictio furtiva, Insdt. 2, 1, 26.<br />

3. Bei Verbindung von beweglichen Sachen <strong>zu</strong> einem Schiff oder Statue (durch Anlöten)<br />

oder anderer <strong>zu</strong>sammengesetzter Sache<br />

- blieb das Eigentum an den Einzelsachen bestehen,<br />

deren Eigentümer können deswegen mit actio ad exhibendum Lostrennung verlangen<br />

und dann vindizieren.<br />

- Gleichzeitig entstand <strong>zu</strong>sammengesetzte Sache,<br />

die als solche dem Eigentümer der Hauptsache gehörte<br />

und die dieser vindizieren konnte.<br />

Ebenso bei Viehherde, grex.<br />

KAPITEL 19. SACHVERBINDUNG MIT GRUNDSTÜCK<br />

Bau auf fremdem Boden Inst. 2, 1, 29 – 32.<br />

1. In dem Konflikt, dass Grundstück und bewegliche Sache verschiedenen Eigentümern gehören 559<br />

,<br />

ist das Grundstück die Hauptsache. Wenn also eine bewegliche Sache<br />

fest mit einem Grundstück verbunden ist, dann hat ihr bisheriger Eigentümer<br />

keinen Herausgabeanspruch gegen den Grundstückseigentümer.<br />

Das gilt etwa für Balken oder Mauersteine, aber auch für Fenster und Türen.<br />

Er kann von dem Grundstückseigentümer auch nicht die Herauslösung der Sache verlangen,<br />

also in diesem Fall keine actio ad exhibendum 560<br />

.<br />

Die dogmatische Erklärung liegt darin,<br />

1. dass sich das Eigentumsrecht an dem Grundstück vorerst auf die bewegliche Sache erstreckt,<br />

so dass der bisherige Eigentümer der beweglichen Sache damit vorerst sein eigenes Recht verliert,<br />

auch wenn das Eigentum an der beweglichen Sache<br />

nach einer Lösung von beweglicher Sache und Grundstück wieder aufleben sollte,<br />

2. oder dass das bisherige Eigentum an der beweglichen Sache bis <strong>zu</strong> ihrer Trennung ruht.<br />

2. Das meinen die Rechtsmaximen<br />

Superficies solo cedit. Das Recht an dem Bau auf dem Boden<br />

weicht dem Recht an dem Boden.<br />

Accessio cedit principali. Die Nebensache weicht der Hauptsache.<br />

3. Das gilt für den Bau mit fremdem Baumaterial auf dem eigenen Grundstück, Inst. Iust. 2, 1, 29.<br />

559<br />

560<br />

Hausmaninger, Casebook Sachenrecht, Cases 105 ff.<br />

Der Pächter oder Mieter hat ausnahmsweise ein Wegnahmerecht, ius tollendi, durch<strong>zu</strong>setzen mittels Mieterklage,<br />

a. conducti, D. 19, 2, 19, 4.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

204


4. Aber der bisherige Materialeigentümer, dem das Material abhanden 561<br />

gekommen war,<br />

hat gegen den Grundstückseigentümer die Klage wegen des eingebauten Balkens,<br />

actio de tigno iuncto,<br />

auch wenn es sich nicht um "Balken", sondern um sonstiges Material handelt,<br />

auf den doppelten Wert des abhanden gekommenen Materials,<br />

so schon die XII-Tafeln.<br />

5. Ebensowenig Eigentumsrecht und Herausgabeanspruch des bisherigen Materialeigentümers<br />

bei Bau mit eigenem Material auf fremdem Grundstück,<br />

insbesondere nach gutgläubigem Erwerb, vor Vollendung der Grundstücksersit<strong>zu</strong>ng.<br />

D. h. der wirkliche Grundstückseigentümer kann Grundstück mit Gebäude<br />

von dem bisherigen Besitzer herausverlangen, Inst. 2, 1, 30.<br />

6. Aber der bisherige Eigentümer der eingebauten Sache oder der Pflanzen<br />

hat Zurückbehaltungsrecht, <strong>zu</strong>mindest exceptio doli, Inst. 2, 1, 30,<br />

wenn Grundstückseigentümer Grundstück herausverlangt,<br />

so dass dieser Wert des Einbaus oder der Pflanzen erstatten muß.<br />

7. Sobald jedoch das Gebäude <strong>zu</strong>sammengefallen ist,<br />

etwa nach Abbruch oder Erdbeben,<br />

lebt das Eigentum des ursprünglichen Eigentümers an den verbauten Sachen wieder auf,<br />

oder: fällt das Eigentum an den verbauten Sachen an den ursprünglichen Eigentümer wieder <strong>zu</strong>rück;<br />

jedenfalls „wenn jemand auf eigenem Grundstück mit fremdem Material gebaut hat“, Inst. 2, 1, 29.<br />

8. Ebenso Eigentumswechsel bei fremder Saat und fremden Pflanzen, Inst. 2, 1, 31 + 32.<br />

9. Kein eigentlicher Bereicherungsanspruch des bisherigen Eigentümers der beweglichen Sache,<br />

1. abgesehen von der actio de tigno iuncto<br />

2. und abgesehen von mittelbarem Zwang mittels Zurückbehaltungsrechts kraft exc. doli,<br />

3. außerdem in gewissen Fällen rei vindicatio utilis.<br />

KAPITEL 20. FRÜCHTE = FRUCTUS 562<br />

1. Früchte, z. B. Feld- und Baumfrüchte, Holz, Tierjunge. Mineralien (kontrovers).<br />

2. Keine Früchte sind die Kinder einer Sklavin 563<br />

;<br />

denn Sklavinnen würden eigentlich nicht <strong>zu</strong> dem Zweck angeschafft, dass sie gebären sollen;<br />

die Natur habe doch alle Sachfrüchte um des Menschen willen geschaffen.<br />

Doch gehört das Sklavenkind dem Eigentümer der Sklavin-Mutter.<br />

3. Vor der Trennung sind Früchte unselbständige Teile der Muttersache,<br />

stehen also im Eigentum des Eigentümers der Muttersache.<br />

561<br />

562<br />

563<br />

Es war wohl nicht notwendig so, dass das Material wirklich gestohlen worden war.<br />

K I § 93 IV, S. 384 und § 102 II, S. 427.<br />

K I 284: Ulp. D. 5, 3, 27 pr.; D. 7, 1, 68 pr.; Gai. D. 22, 1, 28, 1 = I. 2, 1, 37. Einzelheiten K, SZ 75 (1958)<br />

156 ff.<br />

30. September 2011<br />

205


4. Natürliche Früchte fallen<br />

1. mit der Trennung<br />

1. an den Eigentümer der Muttersache, sogen. Substantialprinzip,<br />

2. bei gutem Glauben eines Nichteigentümers fallen sie an diesen, an den bonae fidei possessor 564<br />

(vgl. §§ 953, 955 BGB),<br />

2. erst mit dem Ergreifen<br />

an den Nießbraucher (usufructuar) oder den Pächter (conductor)<br />

(in der Zeit zwischen Trennung und Ergreifen also zwischenzeitlich an den Eigentümer).<br />

5. Fruchtziehung Inst. 2, 1, 35 – 37<br />

KAPITEL 21. SCHATZ = THESAURUS<br />

Schatzfund Inst. 2, 1, 39.<br />

Schatz, thesaurus 565<br />

, eine Wertsache, die solange verborgen geblieben ist,<br />

dass ihr Eigentümer nicht mehr fest<strong>zu</strong>stellen ist.<br />

Res nullius, daher ist occupatio durch Besitzergreifung<br />

zwecks Eigentumserwerbs möglich und nötig 566<br />

.<br />

Aber Kaiser Hadrian sprach Hälfte des Schatzes dem Grundstückseigentümer <strong>zu</strong><br />

und die Hälfte dem Entdecker 567<br />

(vgl. § 984 BGB).<br />

Wichtiger Unterschied, sowohl nach römischem Recht wie nach BGB,<br />

zwischen Schatz und verlorener Sache.<br />

An verlorener Sache kein Eigentumsverlust (nur Besitzverlust) des Verlierers,<br />

kein Eigentumserwerb des Finders, kein Ersit<strong>zu</strong>ngserwerb (oder gutgläubiger Erwerb) eines <strong>Dr</strong>itten.<br />

KAPITEL 22. ANEIGNUNG = OCCUPATIO UND EIGENTUMSAUFGABE = DERELIC-<br />

TIO<br />

1. Occupatio ist sowohl die bloße Besitzergreifung einer Sache<br />

als auch der Eigentumserwerb einer herrenlosen Sache durch die Besitzergreifung (ebenso § 958 BGB).<br />

2. Gai. D. 41, 1, 3 pr. Die niemandem gehörende Sache gehört dem ersten Ergreifenden.<br />

Res nullius cedit primo occupanti.<br />

3. Aneignung, occupatio,<br />

1. vor allem an wilden, herrenlosen Tieren (vgl. § 960 BGB),<br />

auch an der Perle am Meeresstrand.<br />

564<br />

565<br />

566<br />

567<br />

2. Sodann an derelinquierten Sachen:<br />

Selbst wenn Hauptsache wegen Diebstahls unersitzbar.<br />

Exegesen-Fälle WS 2001: D. 41, 2, 44 pr. und D. 41, 2, 3, 3 (Case 100) <strong>zu</strong>m Besitz am Schatz.<br />

Definition Paul. D. 41, 1, 31, 1.<br />

K I S. 426 f.: Ursprünglich fiel wohl aller Bodeninhalt an den Grundeigentümer.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

206


Wenn der wirkliche Eigentümer absichtlich Besitz und Eigentum aufgegeben hat,<br />

sogen. „Dereliktion“,<br />

dann wird das betroffene Grundstück oder die betroffene bewegliche Sache herrenlos, res derelicta,<br />

jedoch Schulenstreit (s. o.).<br />

Dann neuer Eigentumserwerb eines Okkupanten, Inst. 2, 1, 47 568<br />

.<br />

3. Ein Anwendungsfall der occupatio ist auch die Ergreifung feindlicher Personen und ihrer Sachen<br />

in einem als rechtmäßig anerkannten Krieg.<br />

KAPITEL 23. EIGENTUM AN GELD 569<br />

1. Geldstücke standen (wie heute) im Privateigentum.<br />

2. Eigentümer (A) kann<br />

1. seine Geldstücke vindizieren,<br />

wenn ein anderer (B) an seinen Geldstücken Besitz, aber nicht Eigentum erlangt hat 570<br />

,<br />

- z. B. wenn Mündel ohne Zustimmung des Tutors Geld ausgibt 571<br />

- oder wenn Sklave ohne Erlaubnis des Gewalthabers gezahlt hat 572<br />

- oder wenn Haussohn entgegen dem Sc. Macedonianum gezahlt hat 573<br />

- oder wenn Beauftragter für sich selbst Geld des Auftraggebers ausgibt<br />

- oder wenn Besitzer fremdes Geld bösgläubig verbraucht,<br />

dann wird Empfänger nicht Eigentümer, sondern haftet auf Herausgabe mittels rei vindicatio.<br />

2. Eigentümer (A) hat die condictio indebiti 574<br />

gegen den bisherigen Besitzer (B),<br />

wenn dieser das Geld verbraucht hat 575<br />

, oder condictio furtiva 576<br />

gegen Dieb.<br />

3. Geld (res nec mancipi) wird rechtsgeschäftlich mittels traditio übereignet.<br />

568<br />

Traditio nummorum ohne causa bewirkt anscheinend trotzdem Eigentumserwerb,<br />

wenn zwecks Erfüllung, causa solvendi, selbst wenn Obligation nicht bestand 577<br />

z. B. wegen Nichtigkeit des Kaufvertrages 578<br />

.<br />

Eigentumserwerb an res mancipi erst durch usucapio (aber ohne Erfordernis einer bona fides), hinsichtlich derelinquierter<br />

res nec mancipi sind heute Einzelheiten des Erwerbes unklar. Einzelheiten bei K-K § 26/2.<br />

569<br />

570<br />

571<br />

572<br />

573<br />

574<br />

Kaser, Das Geld im römischen Sachenrecht, Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 29 (1961), S. 169 ff.<br />

D. 12, 1, 31, 1.<br />

Inst. 2, 8, 2. Gai. Inst. 2, 82.<br />

D. 12, 1, 11, 2; D. 15, 1, 37, 1; D. 23, 3, 67; D. 26, 8, 9, 2.<br />

D. 12, 1, 14 Satz 1; D.12, 6, 26, 9; 14, 6, 9, 1 [Schluss verändert ?].<br />

K I 531 / 16: D. 12, 1, 11, 2 a. E.; Afr. D. 19, 1, 30 pr. S. auch D. 12, 1, 12 (Geisteskranke, nicht ganz<br />

klar); D. 12, 1, 13 pr. (aber unklar); D. 12, 1, 14 (als Regel); 14, 6, 9, 1 [a. E. bezüglich Verbrauchs?]; D. 46,<br />

1, 56, 2 (WS03).<br />

575<br />

M. E. Condictio des Mündels gegen denjenigen, an den Mündel ohne auctoritas tutoris gezahlt hat, wenn Zahlungsempfänger<br />

Geld weitergegeben hat. Inst. 2, 8, 2. D. 12, 1, 19, 1.<br />

576<br />

577<br />

578<br />

Pap. D. 46, 3, 94, 2 a. E.<br />

K, TR 29, 216 ff.<br />

Vielleicht auch bei Zahlung durch Pupillus aber ohne auctoritas tutoris.<br />

30. September 2011<br />

207


4. Unter den üblichen Vorausset<strong>zu</strong>ngen Ersit<strong>zu</strong>ng, usucapio, der Geldstücke 579<br />

.<br />

5. Wurde fremdes Geld ununterscheidbar mit eigenem vermischt, commixtio,<br />

so wurde der Besitzer des Geldes Eigentümer des gesamten Betrages 580<br />

.<br />

6. Sonderregel für gutgläubigen Verbrauch fremden Geldes 581<br />

.<br />

1. Zwar kann man (z. B. der B) grundsätzlich nicht mit fremdem Geld (z. B. des A)<br />

gegenüber einem <strong>Dr</strong>itten (z. B. dem C)<br />

- eine Schuld erfüllen 582<br />

oder<br />

- ein Darlehen gewähren<br />

(es sei denn mit Zustimmung des wirklichen Eigentümers).<br />

579<br />

580<br />

581<br />

2. Aber wenn der weitere Empfänger des Geldes (z. B. der C)<br />

dieses gutgläubig 583<br />

verbraucht 584<br />

,<br />

indem er das Geld an einen Vierten zahlt (z. B. an den D),<br />

macht er den Vierten <strong>zu</strong>m Eigentümer 585<br />

.<br />

Damit gelangt das Eigentum des Geldes an den neuen Geldempfänger (D)<br />

und der Wert des Geldes gelangt mittelbar an den vorherigen Empfänger des Geldes (C).<br />

Wahrscheinlich ist dabei<br />

außer dem guten Glauben des Verfügenden (C)<br />

weiter voraus<strong>zu</strong>setzen, dass bei dem Vierten das Geld<br />

nicht mehr individualisierbar ist.<br />

Denn individualisierbares Geld kann der Eigentümer (A) vindizieren,<br />

es bleibt also nicht endgültig bei dem Empfänger,<br />

dieser ist also weder Eigentümer geworden noch hat er eine endgültige Bereicherung erlangt.<br />

Auf diese Weise ist also durch seinen gutgläubigen Verbrauch<br />

der C gewissermaßen bereichert.<br />

In diesem Sinne sprechen die Quellen von einer Verbrauch der Geldstücke,<br />

consumptio nummorum.<br />

3. Diese Bereicherung soll aber dem Empfänger C nicht sine causa verbleiben.<br />

D. 23, 3, 67.<br />

D. 46, 3, 78.<br />

Kaser, Geld, TR 29 (1961), S. 169 ff. Offengelassen bei Kunkel-Mayer-Maly § 63, S. 169 f./66. S. auch D.<br />

46, 3, 14, 8 und 46, 3, 17 a. E.<br />

582<br />

583<br />

Pap. D. 46, 3, 94 pr.; s.auch Pomp.-Cass. D. 46, 3,17 am Anfang.<br />

K I 431 / 52; 531 / 16: Afr. D. 19, 1, 30 pr.; Gai. D. 26, 8, 9, 2; Cass.-Pomp. D. 46, 3, 17. S. auch D. 12, 1,<br />

11, 2; D. 12, 1, 13 pr.<br />

584<br />

585<br />

Nicht bei bösem Glauben, vgl. D. 12, 1, 11, 2 letzter Satz.<br />

K I 431 / 52; 531 / 16: ll.cc. Pomp. D. 12, 1, 12; Pap. D. 23, 3, 81; Gai. D. 26, 8, 9, 2; Ulp. D. 46, 3, 14, 8;<br />

Cass.-Pomp. D. 46, 3, 17 etc. S. auch D. 12, 1, 14 S. 2; D. 23, 3, 67.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

208


586<br />

587<br />

588<br />

589<br />

590<br />

4. Sondern C muss sich diese Bereicherung gegenüber dem Leistenden B anrechnen lassen,<br />

z. B. je nach den Schuldbeziehungen zwischen B und C.<br />

- als Schulderfüllung 586<br />

, Leistung solvendi causa, von B an C 587<br />

,<br />

- Zahlung des Kaufpreises durch Käufer B, sobald Verkäufer C redlich verbraucht hat 588<br />

,<br />

- Zahlung als Dos vom Vater der Ehefrau an Ehemann 589<br />

,<br />

- oder als Darlehensgewährung des B an C 590<br />

,<br />

sogen. condictio de bene depensis 591<br />

.<br />

Man kann dann von einer „nachträglichen Vollendung<br />

einer <strong>zu</strong>nächst unvollkommenen datio“ sprechen (Knütel).<br />

Aber die Quellen ergeben nicht mit Sicherheit,<br />

ob nicht statt Darlehens Bereicherungshaftung des Empfängers C,<br />

denn die in den Quellen genannte „condictio“ ist dieselbe Rückzahlungsklage<br />

wegen Darlehens als auch wegen ungerechtfertigter Bereicherung.<br />

Vorsicht: es wäre jedenfalls falsch, dem verfügenden C oder gar dem B<br />

irgendwie nachträglich Eigentum an den Münzen <strong>zu</strong><strong>zu</strong>sprechen,<br />

die ursprünglich dem Eigentümer A gehörten und nun dem Empfänger D gehören.<br />

Richtig ist nur die Ansicht, dass der Empfang des Wertes des Geldes<br />

nun dem C <strong>zu</strong>gerechnet wird.<br />

5. Unklarheiten 592<br />

oder Kontroversen oder Interpolationen 593<br />

in den Quellen<br />

- bei Diebstahl 594<br />

, furtum 595<br />

, oder Bösgläubigkeit,<br />

- bei Darlehensgewährung und Geisteskrankheit auf Gläubigerseite 596<br />

- Darlehensgewährung oder Erfüllung durch pupillus sine tutoris auctoritate 597<br />

.<br />

Iul. D. 12, 1, 19, 1 a. E. Pomp. D. 46, 3, 17; Pap. D. 46, 3, 94, 2.<br />

D. 12, 1, 19, 1; Pomp. D. 46, 3, 17 (WS03); 46, 3, 94, 2, Satz 1.<br />

Kompliziert: 12, 1, 31, 1.<br />

D. 23, 3, 81.<br />

D. 12, 1, 13, pr. und 1; D. 12, 1, 19, 1 a. E.; D. 46, 1, 56, 2. – Aber nicht immer sicher, ob Condictio wegen<br />

Darlehens oder wegen Diebstahls oder wegen Bereicherung. Auch nicht immer sicher, ob Condictio des Darlehensgebers<br />

oder des ursprünglichen Eigentümers der Geldmünzen.<br />

591<br />

592<br />

593<br />

594<br />

Wenig da<strong>zu</strong> bei K I 531 / 16.<br />

D.12, 6, 53; D. 46, 3, 19.<br />

Kaser <strong>zu</strong> Pap. D. 46, 3, 94, 2 Satz 2.<br />

Kaser 202 mit Haymann, JJ 77 (1927) 197, 221, für Wirksamkeit: Ulp. D. 12, 1, 13 pr. (vielleicht); 46, 3, 17.<br />

Aber gegen Wirksamkeit der Erfüllung, wenn der Dieb selbst (B) das gestohlene Geld an den „Verbraucher“<br />

(C) weitergegeben hatte, Pap. D. 46, 3, 94, 2 Satz 2: Sonderfall (vielleicht weil eigener Diebstahl des zahlenden<br />

B) oder Kontroverse oder Itp.?<br />

595<br />

Ulp. D. 12, 1, 13 pass. (bejahend); Pomp.-Paul. D.46, 1, 56, 2 (Eigentümer – Tu – Darlehensnehmer – <strong>Dr</strong>itter).<br />

596<br />

Pomp. D. 12, 1, 12; D. 44, 7, 24, 2.<br />

30. September 2011<br />

209


6. Außerdem Ansprüche des Eigentümers A gegen den Verfügenden, B,<br />

je nach Innenverhältnis und Sachverhalt.<br />

aber anscheinend kein Anspruch des Eigentümers A gegen den Empfänger C.<br />

7. Wissentliche Annahme fremden Geldes und sogar wissentliche Annahme einer Nichtschuld<br />

bedeuten furtum des Annehmenden mit Haftung aus condictio furtiva 598<br />

.<br />

8. Klare Ausführungen hier<strong>zu</strong>: Kaser/Knütel § 39 Rdnr. 4; § 48 Rdnr. 6.<br />

KAPITEL 24. EIGENTUMSSCHUTZ ALLGEMEIN<br />

1. Vier Klagen sind hier von Bedeutung<br />

1. Am wichtigsten die eigentliche Eigentumsherausgabeklage, rei vindicatio<br />

(daher der heutige Ausdruck der Vindikationslage),<br />

2. für den Ersit<strong>zu</strong>ngsbesitzer die actio Publiciana,<br />

3. die Abwehrklage gegen Störungen, actio negatoria,<br />

4. <strong>zu</strong>r Vorbereitung eines dinglichen Prozesses die actio ad exhibendum.<br />

Hin<strong>zu</strong> kommen obligatorische Ansprüche, insbesondere<br />

lex Aquilia (Schadenersatz wegen Sachbeschädigung und<br />

a. furti sowie condictio furtiva wegen Diebstahls (furtum).<br />

2. Gelegentlich sagen die Quellen „dingliche Klage, actio in rem“ und meinen damit<br />

rei vindicatio oder actio Publiciana.<br />

“Herausverlangen, petere” meint meistens: die Herausgabeklage anstrengen.<br />

3. Rechtsmaxime für das römische Vindikationsprinzip:<br />

Ubi rem meam invenio, ibi vindico. - Wo ich meine Sache finde, da verlange ich sie heraus 599<br />

.<br />

KAPITEL 25. EIGENTUMSHERAUSGABEKLAGE = REI VINDICATIO<br />

1. Inst. 4, 6, 1 am Ende: Rei vindicatio<br />

(dieser Ausdruck ist richtig. Falsch ist es, hier<strong>zu</strong> noch actio hin<strong>zu</strong><strong>zu</strong>fügen).<br />

Die Formel der rei vindicatio schon oben bei Gai. 2, 24,<br />

wenn auch im Zusammenhang mit einem Akt der (heute sogenannten) freiwilligen Gerichtsbarkeit.<br />

2. Aktivlegitimation: Klage des zivilen Eigentümers einer res.<br />

3. Passivlegitimation:<br />

ursprünglich nur gegen den possessor civilis,<br />

597<br />

dann auch gegen Interdiktenbesitzer, später auch gegen Detentor 600<br />

.<br />

Iul. D. 12, 1, 19, 1. Gai. D. 26, 8, 9, 2 (Mündel zahlt mit eigenem Geld, ohne auctoritas tutoris, eigene Schulden,<br />

dann verbraucht Empfänger das Geld; dadurch sei Mündel frei geworden.).<br />

598<br />

599<br />

D. 13, 1, 18; 47, 2,43 pr. und 1 (s. auch D. 12, 6, 55, und D. 46, 3, 94, 2 Satz 2).<br />

Liebs U 18. Anders germanisch-deutsches Recht: „Wo du deinen Glauben gelassen hast, da sollst du ihn suchen“.<br />

– „Hand wahre Hand“.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

210


4. Wenn der Beklagte verurteilt wird,<br />

dann hat er nicht Sache heraus<strong>zu</strong>geben,<br />

denn es erfolgt stets Verurteilung in Geld, omnis condemnatio pecuniaria.<br />

Sondern <strong>zu</strong>vor wurde Wert der Sache geschätzt<br />

und Beklagter muss Schätzwert bezahlen,<br />

darf dann aber Sache behalten, als hätte er Sache vom Eigentümer gekauft 601<br />

.<br />

5. Auf Grund rei vind. muss dem Eigentümer das restituere gewährt werden. Er muss so gestellt werden, wie<br />

er stünde, wenn ihm seine Sache bei Klagbeginn herausgegeben worden wäre. Das gilt insbesondere für<br />

Früchte und sonstige Nut<strong>zu</strong>ngen.<br />

Wegen Haftung des beklagten Besitzers für Schäden der Sache nach dem Beginn der Klage (litis contestatio)<br />

klassische Kontroversen. Wahrscheinlich Schulenstreit: Proculianer für Zufallshaftung, Sabinianer nur<br />

für Haftung bei dolus oder wohl auch bei culpa (wegen Schäden vor Klagbeginn im Wesentlichen nur lex<br />

Aquilia) 602<br />

.<br />

6. Für den Fall des bonitarischen Erwerbs,<br />

d. h. wenn Eigentümer seine res mancipi an Käufer nur tradiert hatte:<br />

Zwar rei vindicatio des Eigentümers gegen Käufer nach ius civile,<br />

aber beklagter Käufer hat die Einrede der verkauften und übergebenen Sache,<br />

exceptio rei venditae et traditae, oder exceptio doli, gegen klagenden Eigentümer.<br />

KAPITEL 26. ACTIO PUBLICIANA<br />

1. Inst. 4, 6, 4. Besonderheit des römischen Rechts:<br />

Klage des Ersit<strong>zu</strong>ngsbesitzers, dessen Ersit<strong>zu</strong>ngszeit noch nicht abgelaufen war,<br />

gegen neuen Besitzer analog <strong>zu</strong>r rei vindicatio: actio Publiciana 603<br />

.<br />

Es wurde fingiert, dass der Käufer bereits Eigentum durch Ersit<strong>zu</strong>ng erlangt hätte.<br />

2. Doppelter Anwendungsbereich:<br />

1. <strong>zu</strong>m Schutz des bonitarischen Eigentümers,<br />

der nämlich res mancipi mittels traditio vom zivilen Eigentümer erworben hatte, und<br />

2. <strong>zu</strong>m Schutz des gutgläubigen Ersit<strong>zu</strong>ngsbesitzers,<br />

der res mancipi oder res nec mancipi vom Nichteigentümer erworben hatte.<br />

3. Wichtiges Beispiel für Fiktion:<br />

In der Klagformel wird fingiert, der Kläger habe die umstrittene Sache bereits ersessen.<br />

4. Wenn der zivile Eigentümre eine res mancipi verkauft,<br />

aber an den Käufer nicht manzipiert, sondern nur tradiert hatte,<br />

und wenn der Käufer den Besitz an dieser Sache wieder verloren hatte,<br />

dann hatte der Käufer gegen den neuen Besitzer nicht die rei vindicatio,<br />

weil der Käufer noch nicht zivile Eigentümer geworden war.<br />

600<br />

601<br />

602<br />

603<br />

K I S. 386.<br />

K I S. 437.<br />

K I § 103 I 5, S. 436.<br />

S. im Kapitel <strong>zu</strong>r Ersit<strong>zu</strong>ng.<br />

30. September 2011<br />

211


Es wurde fingiert, dass der Käufer bereits Eigentum durch Ersit<strong>zu</strong>ng erlangt hätte.<br />

5. Vorausset<strong>zu</strong>ngen<br />

Da die a. Publiciana die Vollendung der Ersit<strong>zu</strong>ng bei dem Kläger fingiert,<br />

muss der Kläger die Ersit<strong>zu</strong>ngsvorausset<strong>zu</strong>ngen dartun, nämlich von den 5 Vorausset<strong>zu</strong>ngen:<br />

1. Ersit<strong>zu</strong>ngsfähige Sache - res habilis,<br />

2. ursprünglichen, dann verlorenen Eigenbesitz - possessio civilis,<br />

4. Erwerbsgrund - iusta causa, titulus,<br />

5. Guter Glaube - bona fides, <strong>zu</strong>r Zeit des Erwerbes.<br />

Befreit ist der Kläger nur von der 3. Vorausset<strong>zu</strong>ng der Ersit<strong>zu</strong>ng,<br />

nämlich der Vollendung der Ersit<strong>zu</strong>ngszeit, diese wird ja gerade fingiert.<br />

6. Mit der actio Publiciana konnte jemand sogar gegen zivilen Eigentümer klagen.<br />

Gegen die a. Publiciana hatte der zivile Eigentümer aber die Einrede des richtigen Eigentums,<br />

exceptio iusti dominii.<br />

Wenn aber dieser zivile Eigentümer dem Kläge diese Sache verkauft<br />

und, obwohl eine res mancipi, nur tradiert hatte,<br />

dann hatte der Kläger die Gegeneinrede der verkauften und tradierten Sache,<br />

replicatio rei venditae et traditae,<br />

und der Käufer obsiegte sogar gegenüber dem zivilen Eigentümer.<br />

7. Formel (nach Knütel): “Wenn (z. B.) der Sklave, den der Kl. redlich gekauft hat und der ihm übergeben<br />

worden ist, sofern ihn der Kl. ein Jahr besessen hätte, wenn dann dieser Sklave, um den es hier geht, ihm<br />

nach dem Recht der Quiriten gehören würde und diese Sache nicht (gemäß deiner Ermessensentscheidung<br />

= arbitrio tuo?) herausgegeben wird, verurteile Richter…”<br />

8. Aber nachdem die Kompilatoren aus den Digesten die mancipatio weitgehend getilgt hatten,<br />

kommt für die Digesten Justinians fast nur noch die 2. Alternative in Betracht,<br />

Schutz des gutgläubigen Ersit<strong>zu</strong>ngsbesitzers.<br />

KAPITEL 27. STÖRUNGSBESEITIGUNGSKLAGE = ACTIO NEGATORIA<br />

Eigentümer gegen Störer 604<br />

.<br />

Vorausset<strong>zu</strong>ngen (nicht lernen, sind selbstverständlich)<br />

- Eigentum des Kl<br />

- Immission und zwar übermäßige durch Bekl<br />

- kein ImmissionsR des Bekl<br />

- aber (ausreichend: konkludente) Behauptung des Bekl, er sei berechtigt (so in Rom),<br />

Klagziel: Abwehr der Anmaßung des Beklagten, er habe eine Servitut o. ä. 605<br />

, im einzelnen:<br />

- Feststellung der Freiheit des Eigentums von der behaupteten Beschränkung und<br />

- Herstellung des störungsfreien Zustandes,<br />

- evtl. Kautionsleistung gegen künftige Störung (cautio de amplius non turbando).<br />

604<br />

605<br />

K I § 103 II, S. 437.<br />

K I § 103 II, S. 437.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

212


Anders: Interdikt für Besitzer gegen Störer.<br />

Inst. 4, 6, 2 (vgl. heute § 1004).<br />

KAPITEL 28. ACTIO AD EXHIBENDUM<br />

Seltener<br />

Keine dingliche Klage, keine a. in rem, sondern a. in personam.<br />

Klage des angeblichen Eigentümers gegen den angeblichen Besitzer<br />

auf Vorlage der Sache bei Gericht, in iure.<br />

a) Wenn Beklagter sich weigert, Verurteilung in Wert.<br />

b) Dient der Vorbereitung einer dinglichen Klage:<br />

mb Zwang, damit sich Bekl auf Prozess,<br />

auf litis contestatio wegen r. v., einlässt.<br />

Wenn Beklagter sich weigert, dann Ermächtigung des Praetors an Kläger in iure,<br />

Sache an sich <strong>zu</strong> nehmen, duci vel ferri iubere.<br />

KAPITEL 29. SCHADENERSATZ WEGEN ZERSTÖRUNG ODER BESCHÄDIGUNG<br />

1. Durch die (schuldrechtliche) lex Aquilia.<br />

2. Durch (dingliche) rei vindicatio aber klassische Kontroversen 606<br />

.<br />

KAPITEL 30. PRIVATES NACHBARRECHT 607<br />

Privates Nachbarrecht 608<br />

schon in XII-Tafeln und dann erweitert, z. B.<br />

- Überhang von Zweigen darf gestörter Nachbar auslichten,<br />

später geschützt durch spezielle Interdikte de arboribus caedendis,<br />

aber wenn Nachbar <strong>zu</strong>viel Baum abschneidet, hat Eigentümer gegen ihn<br />

a. arborum furtim caesarum,<br />

- Überfall: Früchte von seinen eigenen Bäumen darf Eigentümer vom Nachbargrundstück abholen,<br />

später geschützt durch spezielles Interdikt de glande (Eichel) legenda,<br />

- bei Störung durch Regenwasser Anspruch auf Beseitigung und Wiedergutmachung,<br />

a. aquae pluviae arcandae,<br />

b. später auch interd. uti possidetis und<br />

c. a. negatoria,<br />

- gegen drohenden Einsturz des Nachbargebäudes: a. damni infecti,<br />

später gibt Praetor dem Nachbarn auf, Sicherheit gg künftige Schäden <strong>zu</strong> leisten,<br />

cautio damni infecti,<br />

- gegen unerlaubtes Bauvorhaben<br />

Bauverbot mittels operis novi nuntiatio.<br />

606<br />

607<br />

608<br />

K I § 103 I 5, S. 436.<br />

Nur <strong>zu</strong>r Information, nicht Klausurmaterie.<br />

K I § 31 V S. 125 f. und 98 III S. 406 f.<br />

30. September 2011<br />

213


KAPITEL 31. HEUTE SOGENANNTE DINGLICHE NUTZUNGSRECHTE 609<br />

Grunddienstbarkeit = Servitus 610<br />

Recht am Grundstück = Ius praediorum<br />

Der jeweilige Eigentümer des 'herrschenden' Grundtücks<br />

erhält ein Recht am 'dienenden' Grundstück,<br />

auf Grund dessen der jeweilige Eigentümer dieses dienenden Grundstücks<br />

eine bestimmte Einwirkung des Berechtigten dulden muss oder<br />

eine bestimmte eigene Einwirkung unterlassen muss 611<br />

.<br />

Aber eine Servitut kann nicht in einer Tätigkeit des dienenden Grundstücks bestehen,<br />

servitus in faciendo consistere nequit.<br />

Keine Servitut am eigenen Grundstück: nulli res sua servit.<br />

Bestellung<br />

1. Felddienstbarkeiten (iter, actus, via, aquae ductus etc.) durch mancipatio oder i. i. c.<br />

2. Gebäudeservituten durch i. i. c.<br />

3. Aber auch durch Vorbehalt bei Veräußerung, Vindikationslegat etc.<br />

Schutz der Servituten<br />

vindicatio servitutis = a. confessoria<br />

des Berechtigten gegen Eigentümer des dienenden Grundstücks,<br />

gerichtet auf<br />

- Feststellung der Servitut und<br />

- Herstellung des servitut-gemäßen Zustandes.<br />

Da<strong>zu</strong> gewisse Interdikte.<br />

Umgekehrt a. negatoria des quiritischen Eigentümers <strong>zu</strong>r Abwehr der Anmaßung des Beklagten,<br />

er habe eine Servitut o. ä. 612<br />

Daneben stehen höchstpersönliche Nut<strong>zu</strong>ngsrechte, insbesondere ususfructus<br />

(auch an Vermögen und beweglichen Sachen und Geld und Rechten), usus (d. h. ohne Fruchtziehung)<br />

da<strong>zu</strong> auch habitatio.<br />

Pfandrecht, pignus = hypotheca.<br />

KAPITEL 32. PFANDRECHT 613<br />

(Nicht Hauptgegenstand einer Prüfungsexegese)<br />

Das Pfandrecht ist eine dingliche Belastung einer Sache, Recht an einer Sache, ius in rem, Plural: iura in rem.<br />

Das Pfandrecht ist auch in Rom ein wichtiges Kreditsicherungsmittel. Es wurde durch Vertrag des Eigentümers der <strong>zu</strong> verpfändenden Sache<br />

mit dem Gläubiger der <strong>zu</strong> sichernden Forderung begründet. Erforderlich war damals wie heute die Existenz einer Forderung, das Pfandrecht<br />

ist ein akzessorisches Sicherungsrecht. Übergabe der Pfandsache an den Gläubiger (Faustpfand) war nicht erforderlich, das besitzlose Pfand,<br />

häufig hypotheca genannt, war voll anerkannt. Es bestand kein Unterschied zwischen dem Pfand an einer beweglichen Sache und an einem<br />

Grundstück.<br />

609<br />

610<br />

611<br />

612<br />

613<br />

Eigentlich nicht Klausurmaterie.<br />

K I §§ 105 ff.<br />

S. bei Eigentumsschutz.<br />

K I § 103 II, S. 437.<br />

Eigentlich nicht Klausurmaterie.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

214


Die Verpfändung hindert nicht eine wirksame Veräußerung der Sache, das Pfandrecht bleibt an der Sache bestehen, der Sacherwerber kann<br />

gegen den Veräußerer einen Anspruch wegen Rechtsmangels haben.<br />

Das Interzessionsverbot für Frauen durch das Sc. Vellaeanum fand auf das Pfandrecht Anwendung.<br />

In älteren Zeiten gab es auch das Treuhandgeschäft mit dem Gläubiger, die fiducia cum creditore, eine Art Sicherungsübereignung.<br />

Rechtsregel: Hypotheca est obligationis filia. Die Hypothek ist von der gesicherten Schuld abhängig (genauso heute!).<br />

KAPITEL 33. WEITERE ENTWICKLUNG DES SACHENRECHTS<br />

D. h. das moderne deutsche Sachenrecht ist nicht <strong>zu</strong> hundert Prozent römischer Herkunft.<br />

1. Spezialitätsprinzip (im Wesentlichen Rom und BGB).<br />

2. Publizitätsprinzip, Öffentlichkeitsgrundsatz (BGB):<br />

Verfügungen über dingliche Rechte sind nur wirksam, wenn sie offenkundig sind; §§ 873, 929 ff.<br />

Historische Wurzeln des Publizitätsprinzips sind die Eigentumsübertragungen<br />

1. sowohl im römischen Recht,<br />

2. als auch die Gewere im alten deutschen Recht,<br />

3. dem folgte das Mittelalter mit dem Erfordernis<br />

der Art und Weise der Übertragung, d. h. modus,<br />

4. ebenso das preußische ALR von 1794 sowie das österreichische ABGB von 1811.<br />

Erklärung des Redaktors des Sachenrechts des BGB, Johow: „die Rücksicht auf das Interesse der bei dem Geschäfte beteiligten<br />

sowohl wie auf das Interesse dritter Personen.<br />

Den Beteiligten soll die Anwendung der Form <strong>zu</strong>m klaren Bewußtsein bringen, dass nunmehr das Stadium der Vorbereitung<br />

der besprochenen Rechtsveränderung vorüber ist, die Sache endgültig aus dem Vermögen des einen Teils heraus- und in das<br />

des anderen übergeht; dritten Personen soll die angewendete Form die Möglichkeit gewähren, das durch das Rechtsgeschäft<br />

begründete Rechtsverhältnis <strong>zu</strong> erkennen...<br />

...In Deutschland ist dagegen, abgesehen von den Gebietsteilen französischen Rechts, der Satz, dass <strong>zu</strong> den Erfordernissen der<br />

vertragsmäßigen Eigentumserwerbung die Übergabe gehört, für bewegliche Sachen durchweg bestehendes Recht. Die ältere,<br />

in dem Institute der Gewere verkörperte deutsche Rechtsanschauung stand hierin mit dem römischen Rechte, von welchem seit<br />

der Rezeption die Lehre der Eigentumserwerbung im wesentlichen beherrscht wird, im Einklange. Das Rechtsbewußtsein ist in<br />

Deutschland von diesem Grundsatze so durchdrungen, dass alle neueren und neuesten landesgesetzlichen Kodifikationen, mit<br />

Einschluß der Gesetzbuchentwürfe, sich <strong>zu</strong> demselben einmütig bekennen“.<br />

3. Typenzwang, Typenfixierung, numerus clausus der Sachenrechte (Rom und BGB)<br />

1. Typenzwang. Die Arten der im (objektiven) Sachenrecht möglichen Berechtigungen<br />

sind gesetzlich festgelegt.<br />

Damit ist die Zahl der Sachenrechte erschöpfend festgelegt, numerus clausus der Sachenrechte.<br />

2. Typenfixierung. Inhalt der möglichen Berechtigung weitgehend durch Gesetz festgelegt.<br />

4. Absolutheit der dinglichen Rechte (Rom und BGB).<br />

5. Trennungsprinzip (nicht so klar in Rom, aber BGB)<br />

6. Abstraktionsprinzip (nicht traditio, wohl aber mancipatio und in iure cessio; BGB)<br />

Rechtliche Wirksamkeit des dinglichen Rechtsgeschäfts ist unabhängig<br />

von der Wirksamkeit der <strong>zu</strong> Grunde liegenden Forderung.<br />

Deswegen heute keine Nennung der causa als Tatbestandsmerkmal für Verfügung, z. B. in §§ 873 und 929.<br />

1. Aber Mittelalter und Neuzeit verlangten<br />

im Anschluß an das Recht der römischen Traditio<br />

eine wirksame Causa, damals genannt Titulus, daher Maxime für Übereignung:<br />

Titulus (und Modus). So auch ALR und ABGB.<br />

2. Erfinder des Abstraktionsprinzips ist Savigny,<br />

ihm folgen die h. M. im 19. Jahrhundert und die BGB-Redaktoren.<br />

30. September 2011<br />

215


Daher Gesetzesvorschlag im Entwurf des Redaktors für das Sachenrecht, Johow: "Der Übergang des Eigentums wird ... nicht gehindert<br />

durch die Meinungsverschiedenheit der Beteiligten über den Grund der Übertragung, auch nicht durch die irrige Vorausset<strong>zu</strong>ng<br />

eines <strong>zu</strong>r Übertragung verpflichtenden Rechtsgeschäfts".<br />

Übereignung als Rechtsgeschäft: Begründung von Johow, Redaktor des Sachenrechtsentwurfs: "Dabei lassen sich in der Tradition<br />

zwei Bestandteile unterscheiden: der Inhalt und die Form. Der Inhalt ist, um mit Windscheid <strong>zu</strong> reden, ‘der auf das Geben und Nehmen<br />

des Rechts an der Sache gerichtet Wille’, die Form, in welcher dieser Wille seinen Ausdruck finden muß, das ‘Geben und Nehmen<br />

des Körpers der Sache’, die Übergabe. Beide Bestandteile in ihrer Vereinigung bilden die Eigentumserwerbungsart".<br />

Zur neueren Rechtsentwicklung: Hattenhauer, Grundbegriffe §§ 3 und 7.<br />

7. Akzessorietät des Pfandrechts und der Hypothek (Rom und BGB)<br />

8. Fortdauer beschränkter dinglicher Recht bei Eigentumswechsel (Rom und BGB).<br />

Rechtsmaxime: Res transit cum onere suo.<br />

Die Sache geht mit ihrer Belastung auf einen neuen Eigentümer über.<br />

9. Rangprinzip (Rom und BGB),<br />

ähnlich wie Prioritätsprinzip, Rechtsmaxime<br />

Prior tempore, potior iure. Früher in der Zeit, stärker im Recht<br />

(deutsch-rechtliche Formulierung: wer <strong>zu</strong>erst kommt, mahlt <strong>zu</strong>erst).<br />

10. Heute: Gutgläubiger Erwerb (aber nicht in Rom).<br />

11. In Rom kein prinzipieller, wohl aber mehrfach praktischer Unterschied<br />

zwischen beweglichen Sachen und Grundstücken.<br />

12. Heute: Unterordnung unter das Verfassungsrecht.<br />

1. Man überlege: was ist heute die Funktion des Erbrechts,<br />

welche kann seine Funktion in Rom gewesen sein?<br />

13. TEIL<br />

ERBRECHT<br />

KAPITEL 1. ERBRECHT, ÜBERBLICK<br />

2. Vielleicht gab es eine Entwicklung<br />

1. Entwicklungsstufe: Vermögensübergang auf eine bestimmte Personeneinheit,<br />

z. B. Familie oder Allgemeinheit, nach allgemeinen, nicht abänderbaren Regeln.<br />

2. Entwicklungsstufe: Vermögensübergang auf bestimmte Einzelpersonen,<br />

ebenfalls nach allgemeinen Regeln, nicht nach individuellem Willen des Verstorbenen.<br />

3. Entwicklungsstufe: Vermögensübergang auf bestimmte Einzelpersonen,<br />

aber nach Bestimmung des Erblassers,<br />

und dabei weitere Zwischenstufen.<br />

3. Zu weiteren Definitionen vgl. heute § 1922 BGB.<br />

4. Berufung <strong>zu</strong>r Erbschaft<br />

- mit Willen des Erblassers, auf Grund Testaments,<br />

- oder ohne Willen des Erblassers, gesetzliche oder prätorische Erbfolge,<br />

- oder gegen Willen des Erblassers, contra tabulas, in Rom sogenanntes Noterbrecht.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

216


5. Anerkannter Erwerbsgrund für eine Erbschaft, heute sogenannter Berufungsgrund,<br />

Inst. 2, 9, 6, ab den Worten ac prius.<br />

1. Welche sind also in Rom die Berufungsgründe,<br />

2. welchen dritten Berufungsgrund kennt daneben das BGB?<br />

6. Unterschied Erbschaft / Vermächtnis (wie heute)<br />

- Erwerb der gesamten Erbschaft oder eines Bruchteils, d. h. Universalsukzession,<br />

des Erben und bonorum possessor,<br />

- aber Erwerb nur eines bestimmten Gegenstandes, d. h. Singularsukzession, des Vermächtnisnehmers.<br />

7. Rechtsquellen<br />

1. Recht der Zwölf Tafeln, eigentliches Erbrecht, Erbrecht nach ius civile, hereditas<br />

2. Praetorische Regelungen, Erbschaftsbesitz, bonorum possessio (wörtl.: Besitz der Güter)<br />

3. Außerdem Gesetze, Senatusconsulte u. a.<br />

8. Erbfolge<br />

1. Testament<br />

2. Ohne Testament = intestatus (heute sogen. gesetzliche Erbfolge)<br />

1. XII-Tafeln<br />

1. Hauserben, sui heredes: Hauskinder und uxor in manu<br />

2. Danach der nächste Agnat 614<br />

, adgnatus proximus<br />

3. Danach die Mitglieder des Gentilenverbandes, gentiles<br />

2. Sonderregeln zahlreicher Senatusconsulta<br />

3. Praetorisches Erbrecht = ius honorarium = bonorum possessio intestati<br />

1. Blutsverwandte eheliche Abkömmlinge, unde liberi<br />

2. Danach die Berechtigten nach den XII-Tafeln, unde legitimi<br />

3. Danach die anderen Blutsverwandten, unde cognati<br />

4. Danach überlebender Ehemann oder überlebende Ehefrau, unde vir et uxor.<br />

(3. Kein Erbvertrag in Rom!).<br />

9. Wieso "der lachende Erbe"?<br />

Aus einem Bühnenstück: "Des Erben Weinen ist, unter der Maske, Lachen" 615<br />

.<br />

10. Gefährdetes Leben des Erblassers:<br />

Macedo ermordete seinen Vater, um mit der Erbschaft seine Gläubiger <strong>zu</strong> befriedigen; daher Sc. Macedonianum (s. o.).<br />

Ausdrücke<br />

bonorum possessio (wörtlich: Besitz an den Gütern des Erblassers)<br />

Erbschaft auf Grund des prätorischen Edikts<br />

bonorum possessor Berechtigter auf Grund des Edikts des Praetors<br />

heres Erbe 616<br />

nach ius civile (entsprechend XII-T, Scta, oder Kaiser-Konstitutionen)<br />

hereditas Erbschaft nach ius civile<br />

614<br />

615<br />

616<br />

Zur agnatischen Verwandtschaft s. o.<br />

Heredis fletus (flere - weinen) sub persona (Maske!) risus (ridere - lachen) est, Publilius Syrus, z. Zt Caesars.<br />

Ausgang für das deutsche Wort aus dem Germanischen und Keltischen: das einer Waise gehörende Vermögen.<br />

30. September 2011<br />

217


Zwangserben Inst. 2, 19 pr. + 1<br />

Haus- und Zwangserben Inst. 2, 19, 2<br />

Außenerben Inst. 2, 19, 3 + 5.<br />

KAPITEL 2. ARTEN DER ERBEN, INST. 2, 19 PASS.<br />

KAPITEL 3. ERBRECHT FÜR FRAUEN<br />

1. Als Erblasserin, testamenti factio activa<br />

1. Testament?<br />

1. Wenn uxor in manu oder in patria potestas<br />

kann sie keine Rechtsgeschäfte mit Wirkung für sich selbst abschließen<br />

und hat kein eigenes Vermögen, also auch nicht testierfähig.<br />

2. Wenn sie als frühere uxor in manu nach ihrem Ehemann stirbt oder wenn sie emanzipiert ist,<br />

kann sie nach klassischem Recht im allgemeinen testieren (im einzelnen <strong>zu</strong> differenzieren).<br />

2. Intestaterbrecht nach Frauen?<br />

1. Als frühere uxor in manu nach ihrem Ehemann oder wenn sie emanzipiert ist,<br />

beerbt von ihren Agnaten, insbes. eigene Kinder aus manus-Ehe.<br />

2. Bonorum possessio wie nach Männern 617<br />

.<br />

2. Als Erbin, testamenti factio passiva<br />

1. Kann durch Testament eingesetzt werden.<br />

2. Intestaterbrecht<br />

1. XII-Tafeln<br />

1. Als uxor in manu beerbt sie ihren Ehemann, das sie filiae loco steht,<br />

als filia familias beerbt sie ihren Vater,<br />

und zwar <strong>zu</strong> gleichem Erbteil wie jeder einzelne Sohn.<br />

2. Wenn jedoch emanzipiert, kein gesetzliches Erbrecht nach XII-Tafeln,<br />

ebensowenig wie emanzipierter Sohn.<br />

2. Wichtige Änderungen durch Praetor, ius honorarium,<br />

Emanzipierte Tochter erbt wie emanzipierter Sohn, 1. Klasse, unde liberi.<br />

Ehefrau wie Ehemann in manus-freier Ehe erben, aber erst in 4. Klasse, unde vir et uxor,<br />

nämlich nach Kindern, gesetzlichen Erben und Blutsverwandten (Kognaten).<br />

3. Erst Justinian gewährt der bedürftigen Ehefrau das Anrecht auf ein Viertel der Erbschaft,<br />

die „Quart der armen Witwe“.<br />

4. Wenn der Ehemann <strong>zu</strong>erst stirbt, kann die Ehefrau Herausgabe der dos<br />

von den Erben des Mannes verlangen;<br />

wenn aber die Frau <strong>zu</strong>erst stirbt, behält der Ehemann die dos endgültig.<br />

Da<strong>zu</strong> verschiedene Änderungen, vor allem durch die Senatusconsulta Tertullianum und Orfitianum.<br />

617<br />

Abgesehen von der 1. Klasse, unde liberi.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

218


KAPITEL 4. TESTIERFREIHEIT, GEWILLKÜRTE ERBFOLGE, TESTAMENT,<br />

1. In Rom Testierfreiheit.<br />

Deswegen kein Erbvertrag.<br />

Kein Testamentsvollstrecker.<br />

TESTAMENTSAUSLEGUNG<br />

2. Testierfähigkeit und Erbfähigkeit, testamti factio<br />

Testierfähigkeit: nur römische Bürger (in klass. Zeit auch Frauen)<br />

können wirksam Testament errichten (t. f. activa).<br />

3. Als Erben eingesetzt werden (t. f. passiva) können auch Gewaltunterworfene,<br />

sogar Sklaven, sei es für ihren dominus,<br />

sei es für sich selbst, wenn sie mit dem Erbfall die Freiheit erhalten.<br />

"Erwerbsunfähig" nach den Ehegesetzen des Augustus sind gänzlich oder teilweise Unverheiratete und Kinderlose.<br />

4. Begriff des Testaments: „Das Testament ist der rechtmäßige Ausdruck unseres Willens über das, was jemand<br />

will, dass es nach seinem Tode geschehen soll“. – D. 28, 1, 1. Mod. 2 pand.<br />

Testamentum est voluntatis nostrae iusta sententia de eo, quod quis post mortem suam fieri velit.<br />

5. Testament<br />

Individualerbrecht nach Bestimmung des Erblassers:<br />

Solon (594 v. Chr.) "gab nun jedem das Recht, sein Vermögen <strong>zu</strong> hinterlassen,<br />

an wen er wollte, indem er den guten Willen dem Zwange vorzog;<br />

und dadurch machte er erst die Begüterten <strong>zu</strong> wahren Eigentümern" (Plutarch, Solon Nr.21).<br />

XII-Tafeln, 449 v. Chr.:<br />

„Wie jemand hinsichtlich seines Vermögens<br />

und der Vormundschaft über seine Angelegenheit letztwillig bestimmt,<br />

so soll es rechtens sein“.<br />

„Wenn jemand ohne Testament verstirbt ...“<br />

Also in dieser Zeit bereits Vorrang des Testaments.<br />

6. Testamentsformen, Inst. Iust. 2, 10, 1 ff.<br />

1. Frühere Testamentsformen. Dann:<br />

2. Zivilrechtliches testamentum per aes et libram, Inst. 2, 10, 1.<br />

genus testamentorum, quod dicebatur per aes et libram, scilicet quia per emancipationem, id est imaginariam quandam<br />

venditionem agebatur, quinque testibus et libripende, civibus Romanis puberibus, praesentibus et eo qui familiae emptor<br />

dicebatur.<br />

3. Honorarrechliches 7-Zeugen-Testament, Inst. 2, 10, 2<br />

(d. h. von früher her: libripens, bonorum emptor, fünf Zeugen)<br />

7. In jedem Fall: Sehr strenge Formerfordernisse. Von Anfang an unwirksam ist Testament, z. B.<br />

1. wenn Testator nicht testierfähig war,<br />

2. wenn das Testament keine Erbeinset<strong>zu</strong>ng enthält,<br />

3. wenn Testator Hauserben, sui heredes, nicht ordnungsgemäß<br />

entweder eingesetzt oder enterbt hat, Inst. Iust. 2, 13, pr.<br />

8. Durch Testament insbesondere<br />

1. Erbeinset<strong>zu</strong>ng<br />

2. Vermächtnisse<br />

3. Enterbung.<br />

9. Eine testamentsähnliche Wirkung haben<br />

30. September 2011<br />

219


1. das "kleine Schriftstück", codicillus (pl. -i) und<br />

2. die Erklärung des "Anvertrauens an die Redlichkeit des Empfängers", das fidei commissum (pl. -a).<br />

10. Von Erbeinset<strong>zu</strong>ng <strong>zu</strong> unterscheiden<br />

1. Vermächtnis (s. u.) und<br />

2. Schenkung von Todes wegen (vgl. § 2301 BGB).<br />

11. Testament konnte vor allem zwei Zwecke haben:<br />

1. Einset<strong>zu</strong>ng einer Person als Erben, die andernfalls nicht oder in geringerem Umfang Erbe geworden wäre,<br />

2. Enterbung einer Person.<br />

12. Erbeinset<strong>zu</strong>ng unter aufschiebender Bedingung wirksam, Inst. 2, 15 pr. und 16 pr.,<br />

daher Substitution - Einset<strong>zu</strong>ng eines zweiten Erben.<br />

Vulgarsubstitution - Ersatzerbschaft: Erblasser setzt eine Person für den Fall ein<br />

(juristisch: unter der aufschiebenden Bedingung),<br />

dass der ursprünglich Eingesetzte gar nicht Erbe wird<br />

(weil er noch gar nicht gezeugt ist, weil er schon wieder gestorben ist oder weil er ausschlägt).<br />

„A soll mein Erbe sein. Wenn A nicht mein Erbe wird, soll B mein Erbe sein“ 618<br />

. Ersatzerbe Inst. 2, 15 pr.<br />

Pupillarsubstitution - Einset<strong>zu</strong>ng eines zweiten Erben für den Fall,<br />

dass der Testator einen unmündigen Hauserben, pupillus, einsetzt,<br />

so dass dieser wirklich Erbe wird,<br />

dass er aber danach stirbt und zwar noch als Unmündiger<br />

(so dass er noch kein wirksames Testament hat machen können):<br />

für diesen Fall kann der Testator (der erste Erblasser) einen zweiten Erben einsetzen 619<br />

(ähnlich wie moderne Nacherbschaft, aber nur ähnlich):<br />

„Mein Sohn Titius soll mein Erbe sein. Wenn er mein Erbe wird,<br />

aber stirbt, bevor er mündig wird, dann soll Seius Erbe sein“; Inst. 2, 16 pr.<br />

Stirbt der Unmündige vor dem Erblasser,<br />

so fragt es sich, ob die Pupillarsubstitution die Vulgarsubstitution in sich schließe.<br />

In einem berühmten Streit über die Auslegung eines Testaments 620<br />

, der causa Curiana,<br />

hatte der große Jurist Q. Mucius Scaevola (pontifex) die Fage verneint.<br />

Er verteidigte die wörtliche Auslegung des Testaments, verba,<br />

in dem der Testator lediglich die Pupillarsubstitution angeordnet hatte.<br />

Der berühmte Redner L. Licinnius Crassus aber hatte die Frage bejaht,<br />

indem er mit dem vermuteten Willen des Testators, der voluntas, argumentierte,<br />

und diese Ansicht obsiegte.<br />

Das ist noch die heutige Regel (heute noch § 2102 I BGB).<br />

Der Erbe kann nach römischem Recht nicht unter auflösender Bedingung eingesetzt werden<br />

(anders nach geltendem Recht!) nach der Rechtsmaxime:<br />

Semel heres, semper heres. - Einmal Erbe, immer Erbe (Keine Vor- und Nacherbschaft).<br />

13. Testament kann nachträglich unwirksam werden, z. B. durch Widerruf des Testators.<br />

14. Auslegung des Testaments<br />

1. Zunächst streng, am Wortlaut haftend,<br />

"Wenn die Worte zweifelsfrei sind, darf die Frage nach dem Willen nicht gestellt werden<br />

- cum in verbis nulla ambiguitas est, non debet admitti quaestio voluntatis" 621<br />

.<br />

618<br />

619<br />

620<br />

621<br />

2. Dann freiere Auslegung wegen Fehlens schutzwürdiger Verkehrsinteressen<br />

und aus Pietät für voluntas des Erblassers.<br />

K/K § 68 Rdnr. 9.<br />

K/K § 68 Rdnr. 10: in erster Linie als Erbe des Testators, nach klassischer Lehre auch als Erbe des pupillus.<br />

Jörs-Kunkel 4. Aufl. S. 89 und 456: Im Jahre 92/93 v. Chr. vor dem Zentumviralgericht.<br />

Paul. D. 32, 25, 1.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

220


3. Dann vier "Begünstigungsrichtlinien", favores, nämlich<br />

1. Erhaltung und Durchführung des Testaments, favor testamenti,<br />

gelegentlich in der Weise,<br />

dass eine nachteilige Bestimmungen als "nicht geschrieben angesehen" wird,<br />

pro non scripto habetur.<br />

2. Begünstigung des Erben, favor heredis (meistens gegenüber dem Vermächtnsnehmer),<br />

3. <strong>zu</strong> Gunsten der Freiheit eines bisherigen Sklaven, favor libertatis,<br />

4. Begünstigung der Ehefrau, favor uxoris.<br />

4. Außerdem sonstige Auslegungsregeln, insbesondere<br />

Falschbezeichnung schadet nichts - falsa demonstratio non nocet.<br />

Ausdrücke<br />

actio ex testamento Klage des Vermächtnisnehmers, des Legatars,<br />

auf Grund des Testaments, Damnationslegats, gegen Erben<br />

bonorum possesio Erbschaftsbesitz (wörtlich: Vermögensbesitz)<br />

Erbschaft nach dem Recht des Praetors, d. h. nach ius honorarium<br />

codicillus (pl. -i) (wörtl.: kleines Schriftstück) testamentsähnliches Schriftstück<br />

defunctus der Verstorbene<br />

fidei commissum testamentsähnliches Treuhandgeschäft<br />

hereditas Erbschaft nach ius civile<br />

hereditas iacens ruhende Erbschaft, herrenlos, solange nicht angetreten<br />

hereditatis petitio Erbschaftsklage, -anspruch<br />

heres Erbe nach ius civile<br />

querela inofficiosi testamenti Beschwerde wegen pflichtwidrigen Testaments<br />

succédere an die Stelle oder in das Recht des Verstorbenen treten.<br />

testamentum (wörtlich: Zeugenakt; testis = Zeuge) Testament.<br />

KAPITEL 5. NOTERBRECHT, QUERELA INOFFICIOSI TESTAMENTI<br />

1. Zuwendungen an bestimmte gesetzliche Erben entgegen dem Testament:<br />

Man spricht von einem Noterbrecht, wenn es <strong>zu</strong> einer (direkten) Beteiligung am Nachlass führt,<br />

vom Pflichtteil spricht man eher, wenn es sich lediglich um eine Geldforderung (wie nach BGB) handelt.<br />

"Materielles" Noterbrecht liegt vor, wenn der Erblasserwille inhaltlich korrigiert wird.<br />

2. lm römischen Recht gibt es auch ein "formelles" Noterbrecht in der Bedeutung,<br />

dass die vom Erblasser angeordnete Ent-erbung nicht eintritt, dass also Intestaterbfolge eintritt,<br />

wenn die Enterbung durch das Testament bestimmten, in Rom sehr strengen, formalen Anforderungen nicht genügt,<br />

denn bestimmte nächste Verwandte müssen ausdrücklich enterbt werden.<br />

3. Sedes materiae: Inst. 2, 13, pr.<br />

Sehr wichtig: I. 2, 18 pr. + 1 + 3: Beschwerde wegen pflichtwidrigen Testaments,<br />

querela inofficiosi testamenti.<br />

Das ist Ursprung des heutigen Pflichtteilsrechts.<br />

Dig. 5, 2.<br />

4. Erklärung<br />

30. September 2011<br />

221


D. 5, 2, 5, Satz 2 und 3. Marcell. 3 dig... Die Bedeutung des Ausdrucks „pflichtwidrig“, de inofficioso, ist,<br />

wie gesagt, die, dass man nachweist, man sei ohne Schuld und daher unverdient übergangen oder durch<br />

Enterbung ausgeschlossen worden. Und das wird mit dem Argument vor dem Richter geltend gemacht, der<br />

Erblasser scheine gewissermaßen nicht bei klarem Verstand gewesen <strong>zu</strong> sein, als er das unangemessene<br />

Testament errichtete.<br />

huius autem verbi " de inofficioso" vis illa ut dixi est docere immerentem se et ideo indigne praeteritum vel<br />

etiam exheredatione summotum: resque illo colore defenditur apud iudicem, ut videatur ille quasi non sanae<br />

mentis fuisse, cum testamentum inique ordinaret.<br />

5. Zur Querel berechtigt sind die übergangenen Kinder, vielleicht auch weitere nahe Verwandte.<br />

6. Klaggegner ist der eingesetzte Testamentserbe.<br />

7. Rechtsfolge<br />

Man kann diese querela als Anfechtung des (fremden) Testaments verstehen.<br />

Folge: das ganze Testament wird aufgehoben. Es tritt gesetzliche Erbfolge ein.<br />

8. Justinian gewährt der überlebenden Ehefrau, die keine dos hat, neben den Kindern<br />

ein Viertel der Erbschaft, die sogenannte "Quart der armen Witwe".<br />

9. Die lex Falcidia verbot es, Vermächtnisse aus<strong>zu</strong>setzen, die mehr als ein Viertel der Erbschaft ausmachten.<br />

Begriff des Intestatus Inst. 3, 1 pr.<br />

KAPITEL 6. INTESTATERBRECHT NACH IUS CIVILE<br />

Nach ius civile, XII-T. "Wenn jemand ohne Testament verstirbt,<br />

der keinen Abkömmling hinterläßt,<br />

so soll der nächste Agnat sein Familiengut erben.<br />

Wenn ein solcher Agnat nicht vorhanden ist, dann sollen die Angehörigen der gens das Familiengut haben."<br />

Also gesetzliche Erbfolgeordnung in drei Klassen:<br />

- „Eigene Erben“, sui heredes, sogen. Hauserben, sind die Hauskinder und die uxor in manu,<br />

die durch den Tod des Erblassers gewaltfrei wurden<br />

(Hauserben Inst. 3, 1, 1 + 2 + 3 + 9),<br />

(also gerade nicht: Sohn, der bereits <strong>zu</strong> Lebzeiten des Vaters emanzipiert wurde,<br />

Tochter, die emanzipiert wurde oder die eine manus-Ehe eingegangen ist,<br />

Ehefrau, die in manus-freier Ehe lebte).<br />

- Wenn keine sui, dann adgnatus proximus; Inst. 3, 2 pr. + 1 + 5.<br />

- Wenn kein Agnat, dann Mitglieder der gens.<br />

Agnaten und Gentiles sind Außenerben, extranei,<br />

sie erwerben Erbschaft erst mit Antritt, aditio hereditatis, der in ihrem Belieben steht; sie können ausschlagen.<br />

Sui treten an die Stelle des Verstorbenen, succédere in locum defuncti.<br />

Sie erwerben Erbschaft ohne weiteres mit dem Tod des Erblassers (keine Frage der hereditas iacens),<br />

alle <strong>zu</strong> gleichen Teilen<br />

können Erbschaft nicht ausschlagen, sind „Zwangserben“, necessarii heredes nach ius civile<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

222


(aber praetorisches Eingreifen <strong>zu</strong> ihren Gunsten).<br />

Außerdem eine größere Zahl wichtiger Senatusconsulta <strong>zu</strong>m Erbrecht, Sonderregeln für Soldaten,<br />

und Änderungen im Dominat (seit Diokletian, 284 n. Chr.) bis <strong>zu</strong> Justinian.<br />

KAPITEL 9. INTESTATERBRECHT NACH IUS HONORARIUM<br />

Der Praetor korrigierte im Rahmen des Amtsrechts die Rechtslage,<br />

indem er neben der hereditas nach ius civile<br />

den Erbschaftsbesitz, die bonorum possessio, einführte,<br />

vor allem in Fällen, in denen der Erblasser kein gültiges Testament hinterlassen hatte.<br />

So eröffnete der Praetor<br />

- auch den emanzipierten Hauskindern (1. Klasse: unde liberi) 622<br />

,<br />

- nochmals den Erben nach den XII-Tafeln (2. Klasse: unde legitimi),<br />

- allen Blutsverwandten, Kognaten Inst. 3, 5 pr.,<br />

einschl. unehelichen Kindern nach der Mutterseite (3. Klasse: unde cognati) 623<br />

, Inst. 3, 5 4, und<br />

- der überlebenden Ehefrau oder dem überlebenden Ehemann (4. Klasse: unde vir et uxor)<br />

die bonorum possessio.<br />

Als bonorum possessor berücksichtigt wurde auch ein Kind, das <strong>zu</strong>r Zeit des Erbfalls bereits gezeugt,<br />

aber noch nicht geboren war, das heute sogenannte „Wesen, das geboren werden wird“,<br />

der nasciturus. Dafür die Rechtsmaxime:<br />

Nasciturus (oder: conceptus) pro iam nato habetur (quotiens de commodo eius quaeritur).<br />

Das gezeugte Kind wird als schon geboren behandelt, (soweit es für ihn vorteilhaft ist). (§ 1923 II BGB)<br />

Ausdruck<br />

Parentel Verwandte, die von derselben Person abstammen.<br />

KAPITEL 10. BERUFUNG ZUR ERBSCHAFT, ERBSCHAFTSERWERB, RUHENDE<br />

ERBSCHAFT<br />

Hier sind verschiedene Zeitpunkte und Vorgänge <strong>zu</strong> unterscheiden.<br />

1. Mit dem Tod des Erblassers tritt der Erbfall ein.<br />

2. Mit dem Erbfall wird eine Person oder werden mehrere Personen<br />

als Erbe oder bonorum possessor berufen.<br />

3. Die Berufung <strong>zu</strong>r Erbschaft bedeutet aber nicht ohne weiteres,<br />

dass die berufene Person auch wirklich die Erbschaft hat<br />

(so ist es aber im geltenden deutschen Recht).<br />

622<br />

623<br />

Nur die Hauserben, die sui heredes, werden mit dem Erbfall Erben,<br />

sie brauchen nichts weiter <strong>zu</strong> tun (genauso heute § 1922 I am Anfang).<br />

Sui heredes sind alle Personen, die durch den Tod des Erblassers gewaltfrei werden, also:<br />

- uxor in manu, dann wenn eine Ehe cum manu vorgelegen hatte,<br />

- Söhne und Töchter, dann wenn sie nicht vorher emanzipiert worden sind,<br />

- Sklaven des Erblassers, dann wenn sie von dem Erblasser<br />

gleichzeitig <strong>zu</strong> Erben eingesetzt und freigelassen worden sind.<br />

Gai. 3, 18 und 19 und 26.<br />

Gai. 3, 24 und 25 und 30.<br />

30. September 2011<br />

223


Gleich, ob sie durch Testament eingesetzt oder gesetzliche Erben sind.<br />

Da die Erbschaft ohne weiteres auf sie übergeht,<br />

kommt es nicht <strong>zu</strong>m Problem der ruhenden Erbschaft.<br />

4. Die Außenerben, extranei heredes, müssen hingegen die ihnen angefallene Erbschaft erst ergreifen.<br />

Sie müssen die Erbschaft antreten, adire hereditatem,<br />

entweder durch eine förmliche Erklärung<br />

der durch erbengemäßes Verhalten, pro herede gérere; Inst. 2, 19, 3 + 5.<br />

5. Solange der Berufene die Erbschaft nicht angetreten hat, gehört sie niemandem,<br />

sie ruht, daher ruhende Erbschaft, hereditas iacens.<br />

Eigentum, Forderungen und Schulden des Erblassers bleiben bestehen,<br />

können aber nur ausnahmsweise gerichtlich geltend gemacht werden.<br />

Die Erbschaft gehört niemandem, ein Diebstahl an ihr ist ausgeschlossen.<br />

Die Erbschaft oder jedenfalls einzelne Erbschaftsgegenstände können<br />

in privilegierter Weise ersessen werden, usucapio pro herede.<br />

Die Nachlassgläubiger können den Berufenen <strong>zu</strong>r Erklärung über Annahme<br />

oder Ausschlagung veranlassen.<br />

6. Die bonorum possessio hingegen<br />

fällt niemals von selbst an, für diese genügt auch nicht der Erbschaftsantritt,<br />

sondern für deren Erwerb muss Antrag an Praetor gestellt werden<br />

und Praetor verleiht / gewährt / erteilt die bonorum possessio.<br />

KAPITEL 11. ERBENGEMEINSCHAFT<br />

Die Miterben bilden eine Bruchteilsgemeinschaft, communio<br />

(in keiner Weise vergleichbar mit der Erbengemeinschaft des BGB).<br />

Solche Forderungen und Schulden, die teilbare Leistungen betreffen, insbesondere Geld,<br />

gelten ohne weiteres als entsprechend den Erbquoten geteilt, nomina ipso iure divisa.<br />

KAPITEL 12. ERBSCHAFTSKLAGE<br />

Erbschaftsklage, hereditatis petitio<br />

D. 5, 3 (Erbschaftsklage), 9; Ulpian im 15. Band seines Ediktskommentars = D. 5, 3, 9 (Ulp. 15 ad ed.). Man<br />

kann als Regel aufstellen, dass überhaupt derjenige auf Grund der Erbschaftsklage hafte, der ein Recht oder eine<br />

Sache aus der Erbschaft als (unberechtigter) Erbe oder Besitzer inne hat. (ähnlich § 2018 BGB)<br />

Schutz der Erbschaft durch Klage des wirklichen Erben gegen den unberechtigten Besitzer der Erbschaft:<br />

Sie ist eine Gesamtklage auf Herausgabe der gesamten Erbschaft 624<br />

, soweit sie der Beklagte besitzt,<br />

einschließlich Forderungen, mit Früchten und Erlösen für eine bereits verkaufte Erbschaftssaches.<br />

Statt mit der hereditatis petitio kann der Kläger auch mit den Einzelklagen vorgehen, insbes. rei vindicatio.<br />

Zu unterscheiden von der actio ex testamento des Vermächtnisnehmers auf Grund Damnationslegats.<br />

624<br />

Also nicht Einzelklage, wie etwa die rei vindicatio, auf Herausgabe einzelner bestimmter Gegenstände.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

224


KAPITEL 13. ERBENHAFTUNG<br />

1. Grundsätzlich haften Erbe und bonorum possessor auch mit ihrem eigenen Vermögen,<br />

wenn sie wirklich Erbe geworden sind.<br />

2. Konnte man den Erwerb der Erbschaft und damit die Haftung vermeiden?<br />

1. Hauserben werden ohne weiteres Erben,<br />

sie sind nach ius civile Zwangserben, heredes necessarii,<br />

aber Praetor gestattet ihnen, sich der Erbschaft <strong>zu</strong> enthalten, se abstinere,<br />

so dass sie nicht haften,<br />

ausgenommen der cum libertate eingesetzte eigene Sklave;<br />

Inst. 2, 19, pr. – 2.<br />

2. Außenerben und <strong>zu</strong>r bonorum possessio Eingesetze<br />

müssen es lediglich unterlassen, die für den Antritt erforderlichen Maßnahmen <strong>zu</strong> setzen,<br />

können aber auch ausdrücklich ausschlagen,<br />

so dass es nicht <strong>zu</strong>r ihrer Haftung kommt.<br />

3. Haftungsbeschränkung nur ausnahmsweise.<br />

KAPITEL 14. VERKAUF UND ÜBERTRAGUNG DER ERBSCHAFT<br />

Eine Erbschaft kann wirksam verkauft werden 625<br />

,<br />

da<strong>zu</strong> Dig.-Titel 18, 4.<br />

Besondere Probleme<br />

1. Nichtexistenz der Erbschaft, weil<br />

Entweder Erblasser noch lebt,<br />

oder weil angeblicher Erblasser nie existiert hat.<br />

Kaufvertrag ist unws<br />

wegen objektiver anfänglicher Unmöglichkeit.<br />

Wenn Erblasser noch lebt, außerdem sittenwidrig 626<br />

.<br />

Rechtsfolgen aus Unwsk des Vertrages<br />

Hinsichtlich Kfprs: condictio sine causa.<br />

2. Vorhandensein der Erbschaft,<br />

jedoch Erbe ist gerade nicht V, sondern ein <strong>Dr</strong>itter<br />

Das ist die Hauptunterscheidung in derartigen Fällen.<br />

625<br />

626<br />

Wirksamkeit des Kaufvertrages.<br />

So wie in anderen Fällen das Rechtsgeschäft wirksam ist,<br />

selbst wenn Verkäufer nicht Eigentümer der verkauften Sache ist<br />

oder wenn er persönlich sie nicht liefern kann.<br />

Verpflichtung nicht obj unws.<br />

Wenn V nicht leistet, dann wird er in den Schätzwert verurteilt.<br />

K I S. 723; K I § 130 Anm. 27, 35, 42.<br />

K, Erbschaftskauf 59/47.<br />

30. September 2011<br />

225


„Garantiepflicht“ nach Kaser.<br />

3. Erfüllung des Erbschaftskaufvertrages durch V 627<br />

1. in gewissen Fällen durch in iure cessio hereditatis 628<br />

.<br />

2. In anderen Fällen 629<br />

überträgt die in iure cessio nur das Eigentum an den körperlichen Sachen.<br />

Die Forderungen müssen dann gesondert übertragen werden. Die Schulden erlöschen 630<br />

.<br />

KAPITEL 15. VERMÄCHTNIS = LEGATUM<br />

Arten Inst. 2, 20, 2 am Anfang<br />

(Gegenstände Inst. 2, 20, 4 – 23)<br />

Falcidische Quart Inst. 2, 22 pr., <strong>zu</strong>m Schutze des Erben.<br />

1. Zur Definition vgl. §§ 1939 und 2087 II.<br />

Nach römischem Recht können nur Testamentserben<br />

mit einem Vermächtnis beschwert werden 631<br />

.<br />

2. Verschiedene Arten nach römischem Recht.<br />

1. Vor allem kannten die Römer auch Vermächtnisse,<br />

kraft deren das vermachte Recht unmittelbar vom Erblasser auf den Vermächtnisnehmer überging,<br />

also ohne Zwischenerwerb des Erben, die also dinglich wirkten, anders BGB.<br />

Der Vermächtnisnehmer wurde also z. B. sofort mit dem Erbfall Eigentümer der vermachten Sache<br />

und konnte diese mit der "gewöhnlichen" rei vindicatio vom Erben herausverlangen,<br />

daher Vindikationslegat (anders BGB).<br />

627<br />

628<br />

2. Es gab auch das Vermächtnis, durch das der Erblasser den Erben verpflichtete,<br />

den vermachten Gegenstand an Vermächtnisnehmer <strong>zu</strong> übertragen;<br />

dieses wirkte also nur obligatorisch. D. h. <strong>zu</strong>erst wurde Erbe voller Rechtsinhaber.<br />

Wegen der da<strong>zu</strong> üblichen Testamentsformel,<br />

der Erbe werde <strong>zu</strong> dieser Übertragung verpflichtet, damnas esto,<br />

sogen. Damnationslegat (so das BGB).<br />

Vermächtnisnehmer erhielt da<strong>zu</strong> die Klage aus dem Testament, actio ex testamento.<br />

3. Legatum sinendi modo (sinere = dulden) verpflichtet ursprünglich den Erben,<br />

die Ergreifung durch den Vermächtnisnehmer <strong>zu</strong> gestatten, in klassischer Zeit wie Damnationslegat behandelt.<br />

4. Ohne Bedeutung in klass. Zeit auch das legatum per praeceptionem:<br />

Vorausvermächtnis für Miterben in der Erbteilungsklage, oder behandelt als Vindikationslegat 632<br />

.<br />

K I § 178 III 1 und 2, S. 722 und 723.<br />

In iure cessio durch Intestaterben, wenn ihm die Erbschaft deferiert ist (d. h. wenn er <strong>zu</strong>r Erbschaft berufen<br />

ist), er sie aber noch nicht angetreten hat. Sie bewirkt dann den vollen Übergang der Erbenstellung auf den Zessionar<br />

(vermutlich durch Fiktion).<br />

629<br />

630<br />

631<br />

Wenn ein Erbe die Erbschaft bereits erworben hat.<br />

K, Erbschaftskauf 57/45; K I 722: Gai. 2, 35 – 37; Gai. 3, 86 – 87.<br />

Nach § 2147 BGB können Erben aller Art und Vermächtnisnehmer beschwert werden.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

226


3. Erwerb<br />

1. des Rechts aus dem Legat (aber noch nicht des eigentlichen Legatsrechts selbst) mit dem Stichtag,<br />

dies cedens, im allgemeinen der Augenblick des Todes des Erblassers,<br />

2. aber eigentlicher Vollerwerb des Legatsrechts gegen Außenerben (also nicht Hauserbe = heres suus)<br />

erst mit dessen Erbantritt 633<br />

.<br />

Sedes materiae: Dig. 30 – Dig. 34.<br />

(Nicht Gegenstand einer Digesten-Exegese)<br />

Erschaftsfideikommisse Inst. 2, 23.<br />

KAPITEL 16. DAS FIDEI COMMISSUM 634<br />

„Fidei commissum“ ist ursprünglich eine formlose Bitte des Erblassers an einen Erben oder Vermächtsnisnehmer: „Ich vertraue es deiner<br />

Treue an“, fidei tuae committo, eine bestimmte Bitte des Erblassers <strong>zu</strong> erfüllen, z. B. an einen <strong>Dr</strong>itten eine bestimmte Sache <strong>zu</strong> leisten, ein<br />

Recht <strong>zu</strong> übertragen oder einen Sklaven frei<strong>zu</strong>lassen. Gegenstand eines Fideikommiss kann sogar die Bitte sein, die ganze Erbschaft oder einen<br />

gewissen Teil der Erbschaft an einen <strong>Dr</strong>itten <strong>zu</strong> leisten.<br />

Anfangs war es unklagbar, seit Augustus wurde es einklagbar. Es wurde dann weitgehend wie ein Damnationslegat behandelt. Es wirkte nur<br />

obligatorisch 635<br />

.<br />

<strong>Dr</strong>ei Besonderheiten sind hervor<strong>zu</strong>heben:<br />

1. Das Fideikommiss war ursprünglich formfrei.<br />

2. Als es sich durchsetzte, dass der Erblasser den Erben und sogar einen Fideikommissar mit einem Fideikommiss<br />

belasten konnte, konnte auf diese Weise im römischen Recht weitgehend die Wirkung der modernen<br />

Nacherbschaft erreicht werden.<br />

3. Aus dem antiken Fideikommiss entwickelte sich das mittelalterliche, bis in das 20. Jahrhundert hinein anerkannte<br />

(Familien-)-Fideikommiss, nämlich die Bindung eines Familiengutes, das der Verwaltung eines Familienmitgliedes<br />

anvertraut ist und das nicht veräußert werden kann 636<br />

.<br />

Kodizille Inst. 2, 25 pr.<br />

Inst. Iust. 4, 18<br />

632<br />

633<br />

634<br />

635<br />

636<br />

K I 744.<br />

K I 752.<br />

K I §§ 189 f., II § 299.<br />

Also wie das BGB-Vermächtnis.<br />

14. TEIL<br />

STRAFRECHT<br />

Z. B. preußisches Allgemeines Landrecht II. Teil, 4. Titel, §§ 47 ff. Adalbert Erler, Artt. Famlilienfideikommiss<br />

und Familienstammgüter in Handwörterbuch <strong>zu</strong>r Rechtsgeschichte, Bd. 1, 1971, Sp. 1071 ff.<br />

30. September 2011<br />

227


Weniger entwickelt und nur bruchstückartig ist das Strafrecht überliefert. Das noch heute maßgebende Werk<br />

stammt, wie gesagt, von Theodor Mommsen, nur in einzelnen Teilen inzwischen überholt. Das Strafrecht ist in<br />

den Institutionen, in den zwei „schrecklichen Büchern“, den libri terribiles, der Digesten (D. 47 und D. 48) und<br />

im Codex erhalten, wurde im Mittelalter ebenfalls behandelt, war eine der Grundlagen für das mittelalterliche<br />

kirchliche, d. h. kanonische Recht, wurde jedenfalls teilweise rezipiert und ist wiederum eine wichtige Grundlage<br />

für die Carolina von 1532 637<br />

.<br />

Wichtige Rechtsmaximen:<br />

Ignorantia iuris (non) nocet. Rechtsunkenntnis schadet (nicht).<br />

Unkenntnis schützt vor Strafe (nicht).<br />

In dubio pro reo. Im Zweifel für den Angeklagten.<br />

Necessitas non habet legem. Not kennt kein Gebot.<br />

Nemo tenetur se ipsum accusare Niemand muß sich selbst anklagen<br />

(pródere) (keiner braucht gegen sich selbst Zeugnis ab<strong>zu</strong>legen).<br />

Non omne quid licet, honestum. Nicht alles, was erlaubt ist, ist anständig.<br />

Nulla poena sine lege. Keine Strafe ohne Gesetz 638<br />

.<br />

Nullum crimen sine lege. Kein Verbrechen ohne Strafgesetz.<br />

Quod licet Iovi, non decet bovi. Was Jupiter darf, ist nicht dem Ochsen angemessen.<br />

Ausdrücke<br />

accusare anklagen<br />

(Akkusationsprinzip unrömisch: Anklage durch den Geschädigten)<br />

Crimen Verbrechen (strafrechtlich, im Gegensatz <strong>zu</strong>m zivilrechtlichen delictum)<br />

crimen laesae maiestatis Majestätsbeleidigung<br />

delictum (zivilrechtlich) unerlaubte Handlung<br />

talio Vergeltung einer Rechtsverlet<strong>zu</strong>ng durch ein gleichartiges Übel.<br />

15. TEIL<br />

NEUERE UND NEUESTE RECHTSGESCHICHTE<br />

KAPITEL 1. HISTORISCHE WURZELN DES MODERNEN RECHTS<br />

1. Jüdische und christliche Rechtsvorstellungen<br />

2. Griechische Staatsordnung und griechisches Rechtsdenken<br />

3. Römisches Recht<br />

637<br />

638<br />

Z. B. H. Rüping, Grundriss der Strafrechtsgeschichte.<br />

Paul Johann Anselm von Feuerbach (1775 – 1833; bay. StGB 1813); vollständig: Nulla poena sine lege certa<br />

(bestimmt, keine Unbestimmtheit), previa (für künftige Fälle, Rückwirkungsverbot), scripta (geschrieben, kein<br />

Gewohnheitsrecht), stricta (bindend, Analogieverbot im Besonderen Teil des materiellen Strafrechts).<br />

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4. Mittelalterliches Kirchenrecht, sogen. kanonisches Recht,<br />

im Mittelalter und in der Neuzeit auch verbindlich für viele Materien,<br />

die heute <strong>zu</strong>m staatlichen Recht gehören, z. B. Eherecht,<br />

5. Germanisch-deutsche Traditionen, vor allem Sachsenspiegel<br />

6. Grundgesetze des Heiligen römischen Reichs deutscher Nation,<br />

vor allem Goldene Bulle von 1356 über Königswahl und Kurfürsten,<br />

7. Handelsrecht, ausgehend von Norditalien und den deutschen Ostseestädten<br />

8. Strafrecht, vor allem die „Carolina“ Kaiser Karls V.<br />

9. Stadtrechte<br />

10. Verwaltungsvorschriften seit dem 15. Jh., sogen. Policeyordnungen<br />

11. Naturrechtslehre im 17. und 18. Jahrhundert,<br />

begründet von Hugo Grotius, Völkerrecht (De iure belli ac pacis libri tres),<br />

12. Naturrechtskodifikationen,<br />

preußisches Allgemeines Landrecht (ALR) 1794, Code civil (Napoléon) 1804,<br />

österr. Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch 1811.<br />

13. Verfassungen seit der Französischen Revolution von 1789<br />

14. Gewerbe-, Wirtschafts- und Arbeitsrecht <strong>zu</strong>r Begleitung der industriellen Revolution<br />

15. Aufwertung der Grundrechte seit 1945<br />

16. Veränderungen durch europäisches Gemeinschaftsrecht<br />

KAPITEL 2. RECHTSENTWICKLUNGEN IM MITTELALTER UND IN DER NEUZEIT<br />

1. Germanenreiche, insbesondere das Frankenreich, 4. bis 9. Jh. n. Chr.<br />

Die Germanen üben ihre Rechte in der Volksversammlung (Thing) aus. Es ist <strong>zu</strong>gleich Heeresversammlung,<br />

Wahlort für den König oder Herzog und Gerichtsstätte. Hierbei und in anderen gesellschaftlichen Äußerungen<br />

kommt der "genossenschaftliche" Charakter der germanischen Rechte besonders <strong>zu</strong>m Ausdruck. Der "herrschaftliche"<br />

Charakter zeigt sich vor allem bei der Rechtsmacht (Munt), die der Hausvater über seine Ehefrau,<br />

seine Kinder und seine Leute hat. Das Zusammenspiel von Genossenschaft und Herrschaft ist für die germanistische<br />

Rechtswissenschaft des 19. und 20. Jh. von besonderer Bedeutung. In der Völkerwanderungszeit bilden<br />

sich vorübergehend germanische Reiche. Sie geben sich umfangreiche, lateinisch geschriebene Gesetze; unter<br />

ihnen ragt die lex Salica der Franken hervor (um 500 n. Chr.). Zur Zeit der Volksrechte war es für die Übertragung<br />

eines Grundstücks u. a. erforderlich, dass der bisherige Eigentümer sein bisheriges Grundstück in feierlicher<br />

Weise verließ, daher Auflassung (heute § 925 BGB).<br />

Das Fränkische Reich erreicht seinen Höhepunkt mit der Kaiserkrönung Karls d. Gr. im Jahre 800. Im Fränkischen<br />

Reich bildet sich das Lehnswesen, der Feudalismus im verfassungsgeschichtlichen Sinne, aus. Dabei verpflichtet<br />

sich der Herr <strong>zu</strong>r Gewährung von Schutz und Unterhalt, wogegen der Vasall Gehorsam und (meistens<br />

militärische) Dienste verspricht. Der Herr belehnt den Vasall mit einem Lehen (feudum), hauptsächlich Land,<br />

das der Vasall nutzen darf. Wenn der Vasall das Lehen weitergibt, entsteht eine vom König abwärts reichende<br />

Lehnspyramide, der nach Auffassung der mittelalterlichen Juristen ein in Ober- und Untereigentum geteiltes Eigentum<br />

entspricht. Der Obereigentümer, Inhaber des dominium directum, konnte über die Sache rechtsgeschäftlich<br />

verfügen, der Untereigentümer jedoch hatte das Nut<strong>zu</strong>ngsrecht, das dominium utile. Dieses Rechtsinstitut<br />

wurde noch 1794 in das preußische Allgemeine Landrecht aufgenommen und erst im 19. Jahrhundert ad acta gelegt.<br />

Das mittelalterliche Grundstücksrecht, das Familienrecht und teilweise auch das Erbrecht wirken im modernen<br />

Recht noch stark nach.<br />

2. Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation, 9.Jh. bis 1806<br />

Im Unterschied <strong>zu</strong> England und Frankreich erreicht Deutschland in dieser Zeit nicht die Zentralisierung. Das<br />

Recht ist unvorstellbar zersplittert. Fast jede Gemeinde und Berufsgruppe lebt nach eigenen Rechtsgewohnheiten.<br />

Für einzelne größere Gebiete Europas gibt es private Rechtssammlungen, beginnend mit dem Sachsenspiegel<br />

Eike von Repgows im 13. Jh. In ganz Europa bildet sich von Italien und von der Ostsee aus ein einheitliches<br />

Handelsrecht. Das Recht der Kirche wird im Corpus Iuris Canonici <strong>zu</strong>sammengefaßt. Es ist für viele<br />

Bereiche, insbesondere für das Familienrecht, allgemeinverbindlich, und es bildet eine wichtige Grundlage für<br />

das heutige Prozess- und Verwaltungsrecht.<br />

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Entscheidend ist für die europäische Zivilisation, dass seit dem 11. Jh. das antike Römische Recht in Bologna<br />

wiederentdeckt wird. Es wird mit wissenschaftlichen Erklärungen, sogen. Glossen, von den als Glossatoren bezeichneten<br />

<strong>Prof</strong>essoren versehen. Das Römische Recht, vor allem das Schuldrecht und das Recht der beweglichen<br />

Sachen, wird allmählich in ganz Europa aufgenommen, d. h. "rezipiert", und fast überall als Gemeines<br />

Recht anerkannt; es ist in Deutschland bis 1900 in Geltung. <strong>Universität</strong>en werden gegründet, und dementsprechend<br />

gibt es seit dieser Zeit studierte Juristen.<br />

3. Absolutismus, Policeyrecht, Merkantilismus, Naturrecht, 17. bis 18. Jh.<br />

Im <strong>Dr</strong>eißigjährigen Krieg werden so viele Menschen umgebracht und Sachwerte zerstört, dass Deutschlands<br />

Entwicklung erheblich behindert wird. Im Westfälischen Frieden (1648) erlangen die Territorialherren das<br />

Recht, eine selbständige Außenpolitik <strong>zu</strong> treiben. Gleichzeitig machen sie sich im Innern von den Ständen weitgehend<br />

unabhängig ("Absolutismus"). Die Verwaltung ergreift weite Bereiche der Gesellschaft ("Policeystaat"<br />

im verfassungsgeschichtlichen Sinne). Eine aktive Wirtschaftspolitik sorgt für Steigerung der Produktion und<br />

des Exports ("Merkantilismus").<br />

Auf der Grundlage antiker und christlicher Lehren begründet der Niederländer Hugo Grotius mitten im <strong>Dr</strong>eißigjährigen<br />

Krieg das Vernunft- oder Naturrecht. Ihm folgen in Preußen Pufendorff, Christian Wolff und Christian<br />

Thomasius. Ihre Lehren und die gesamteuropäische Aufklärung sind miteinander verbunden. Das Naturrecht soll<br />

aus wenigen einleuchtenden Prinzipien abgeleitet werden und über dem positiven Recht stehen. Damit fördert es<br />

<strong>zu</strong>gleich eine Rechtswissenschaft, die systematisch ist, und eine Rechtspolitik, die kritisch (gegen Folter, Todesstrafe<br />

und Hexenprozesse) vorgeht. Völkerrecht, Verfassungsrecht, Strafrecht, Zivilrecht etc. werden davon<br />

beeinflußt. Am Ende stehen die sogenannten drei Naturrechts-Kodifikationen: das preußische Allgemeine Landrecht,<br />

ALR, von 1794, der französiche Code Civil, zeitweilig Code Napoléon genannt, von 1804 und das österreichische<br />

Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch, das ABGB (1811).<br />

4. Französische Revolution (1789) und deutsche Reformen<br />

Die Französische Revolution bringt mit der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte die erste moderne Verfassung<br />

in Europa hervor. Bedeutsam ist u. a. der Schutz des Eigentums als ein unverletzbares und heiliges<br />

Recht (un droit inviolable et sacré). Die Revolution und die folgenden Kriege erschüttern das Reich und die Einzelstaaten:<br />

1803 werden die Grenzen aller Territorien durch den Reichsdeputationshauptschluß ganz erheblich<br />

verändert. 1806 schließt sich eine größere Zahl der mächtigsten deutschen Fürsten im Rheinbund <strong>zu</strong>sammen und<br />

trennt sich vom Reich. Im selben Jahr legt der Kaiser die Kaiserkrone und Regierung nieder, und damit erlischt<br />

das Ancien Régime, genauer: das Heilige Römische Reich Deutscher Nation.<br />

In vielen Einzelstaaten werden Verfassungen beschlossen, allerdings noch nicht in Österreich und Preußen. Besonders<br />

in Preußen und Bayern beginnen grundlegende Reformen wie die Bauernbefreiung, die freie Berufswahl<br />

und -ausübung, die Gewerbefreiheit, der ungehinderte Erwerb und die ungehinderte Veräußerlichkeit von<br />

Grundeigentum, die Judenemanzipation und die Bildungsreform.<br />

5. Deutscher Bund, 1815 bis 1866<br />

Nachdem Napoleon endgültig geschlagen ist, schließen sich die 39 deutschen Fürsten und Freien Städte auf dem<br />

Wiener Kongreß 1815 <strong>zu</strong>m Deutschen Bund <strong>zu</strong>sammen. Der Heidelberger <strong>Prof</strong>essor Thibaut schlägt vergebens<br />

ein einheitliches Gesetzbuch für ganz Deutschland vor. Friedrich Carl von Savigny (1779 - 1861) wendet dagegen<br />

ein, dass das Recht durch innere still wirkende Kräfte (die später als der Volksgeist bezeichnet wurden),<br />

nicht durch die Willkür eines Gesetzgebers entsteht, und dass außerdem die Fähigkeit <strong>zu</strong>r Herstellung eines guten<br />

Gesetzbuches fehle. Diese Schrift von 1814, "Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft",<br />

ist überhaupt das berühmteste deutsche rechtswissenschaftliche Werk. In diesem Werk stellt Savigny<br />

es als eine der Hauptleistungen der Juristen dar, dass sie mit ihren Begriffen gewissermaßen rechnen.<br />

Weitere Hauptwerke Savignys sind die "Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter" und vor allem das<br />

"System des heutigen römischen Rechts". Mit ihnen und mit seinem Wirken an der neuen <strong>Berlin</strong>er <strong>Universität</strong><br />

begründet Savigny die Historische Rechtsschule und führt die deutsche Rechtswissenschaft <strong>zu</strong> weltweitem Ansehen.<br />

Auf der Grundlage des Römischen Rechts errichtet er das moderne Privatrechtssystem.<br />

1848 erschüttert die Revolution Deutschland. Die in der Frankfurter (Main) Paulskirche beschlossene Reichsverfassung<br />

wird nicht wirksam. Der damals formulierte Grundrechtskatalog wird die Quelle für die spätere Weima-<br />

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er Verfassung. Die wirtschaftliche Einigung Deutschlands wird durch den Deutschen Zollverein herbeigeführt.<br />

Um die Mitte des Jahrhunderts erreicht die Industrielle Revolution Deutschland. Der Staat fördert die wirtschaftliche<br />

Entwicklung u. a. durch das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch von 1861. Der <strong>Dr</strong>esdner Entwurf eines<br />

Schuldrechtsgesetzbuchs für ganz Deutschland von 1866 bleibt Entwurf, bildet aber die Grundlage für das<br />

zweite Buch des späteren BGB. Der preußisch-österreichische Krieg von 1866 setzt dem Deutschen Bund ein<br />

Ende.<br />

6. Norddeutscher Bund, 1866<br />

Der Norddeutsche Bund ist ein Bundesstaat, den Preußen mit weiteren norddeutschen Staaten bildet. Seine Verfassung<br />

wird kurz darauf vom Kaiserreich übernommen. Er führt wichtige Gesetze <strong>zu</strong>r Rechtsvereinheitlichung<br />

und -modernisierung ein, u. a. das Strafgesetzbuch, die Gewerbeordnung <strong>zu</strong>r Regelung von Arbeit, Handwerk<br />

und Industrie und die Einrichtung eines obersten Gerichts sowie die vollständige Emanzipation der Juden durch<br />

das Gesetz.<br />

7. Kaiserreich, 1871 bis 1918<br />

Das Deutsche Reich wird nach dem deutsch-französischen Krieg ausgerufen. Das Reich, ein Bundesstaat, wird<br />

von den deutschen Einzelstaaten (aber ohne Österreich) gebildet. Diese werden im Bundesrat repräsentiert. Das<br />

Volk wählt die Abgeordneten <strong>zu</strong>m Reichstag. Das Präsidium des Bundes steht dem König von Preußen <strong>zu</strong>, welcher<br />

den Namen Deutscher Kaiser führt. Der Kaiser ernennt den Reichskanzler (als ersten Bismarck) und die<br />

Reichsbeamten und hat den militärischen Oberbefehl. Rechtsstaat, unabhängige Verwaltungsgerichtsbarkeit und<br />

modernes Verwaltungsrecht werden jetzt durchgesetzt. Die vier Reichsjustizgesetze (Gerichtsverfassungsgesetz,<br />

ZPO, StPO und Konkursordnung) treten 1879 in Kraft. Infolgedessen kann das Reichsgericht in Leipzig seine<br />

Tätigkeit aufnehmen.<br />

Die Wirtschaftsentwicklung hatte <strong>zu</strong> einem Gründerrausch geführt, und dieser brach im Gründerkrach <strong>zu</strong>sammen.<br />

Es folgt die Große Depression bis gegen Ende des Jahrhunderts. Auf Bismarcks Initiative wird in den achtziger<br />

Jahren die Sozialversicherung eingeführt. Die sozialdemokratische Arbeiterpartei wird durch das Sozialistengesetz<br />

von 1878 bis 1890 verboten. Sie nimmt aber an den Reichstagswahlen teil und wird 1912 stärkste<br />

Fraktion im Reichstag.<br />

Nach wie vor gilt das römische Recht, dessen wichtigste Grundlage der zweite Teil des Corpus Iuris Civilis ist,<br />

die Pandekten oder Digesten, und dessen Lehrer nun Pandektisten genannt werden. Windscheid schreibt hier<strong>zu</strong><br />

das maßgebende Lehrbuch und formuliert gewissermaßen als das Prinzip des Rechtspositivismus, dass ethische,<br />

politische oder volkswirtschaftliche Erwägungen nicht Sache des Juristen als solchen (in der engen Bedeutung<br />

des Richters bei der Streitentscheidung) seien. Ihering sieht den "Kampf ums Recht", dann den "Zweck im<br />

Recht" als Schöpfer der Entwicklung an und eröffnet damit den Weg <strong>zu</strong>r modernen Interessenjurisprudenz. Die<br />

Germanisten, allen voran Otto von Gierke ("Deutsches Privatrecht"; "Deutsches Genossenschaftsrecht"), sind<br />

zwar am Recht des Mittelalters orientiert und trotzdem gegenüber den sozialen und politischen Gegenwartsproblemen<br />

besonders aufgeschlossen. Das Handelsrecht wird vor allem von Levin Goldschmidt weiterentwickelt. Mit<br />

dem I. Weltkrieg (1914 - 1918) enden die deutschen Monarchien.<br />

KAPITEL 3. SAVIGNY UND DIE RECHTSWISSENSCHAFT DES 19. JH.<br />

Wohl alle Bereiche der Rechtswissenschaft in Deutschland erlebten Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts<br />

ihre größte Blüte. Besonders wichtig war das Privatrecht. Die Privatrechtswissenschaft wirkte schließlich auch<br />

auf die Herstellung des BGB ein. Da<strong>zu</strong> muß man ein paar wichtige Begriffe und Dinge kennen, die immer wieder<br />

erwähnt werden 639<br />

.<br />

1. Gemeines Recht i. e. S.: Römisches und kanonisches Recht.<br />

2. Historische Rechtsschule<br />

639<br />

Schröder, Rechtsgeschichte, Kap. 9 und 10; Quellen, S. 91 - 99.<br />

Grundlegend Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl., 1967.<br />

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Die von Friedrich Carl von Savigny begründete rechtswissenschaftliche Richtung,<br />

in der zweiten Hälfte des 19. Jh. in Deutschland herrschend.<br />

Grundvorstellung, daß das Recht an seine geschichtlichen Vorausset<strong>zu</strong>ngen gebunden ist,<br />

es erwachse aus dem Innersten der Nation und aus ihrer Geschichte, aus dem „Volksgeist“,<br />

sei Teil der Gesamtkultur.<br />

Nach dieser Vorstellung kann und soll das Recht nicht etwa willkürlich produziert werden.<br />

Gleichzeitig soll das Recht konstruktiv-dogmatisch erfaßt werden,<br />

so wie die Römer gewissermaßen mit den Rechtsbegriffen rechneten.<br />

Zur historischen Rechtsschule gehörten sowohl Romanisten als auch Germanisten (da<strong>zu</strong> sogleich).<br />

3. Savigny<br />

Friedrich Carl von Savigny, 1779 - 1861, <strong>Prof</strong>essor in <strong>Berlin</strong>,<br />

wird als der größte deutsche Jurist angesehen.<br />

1. Werke Savignys:<br />

1. Sein berühmtes Jugendwerk betrifft das „Recht des Besitzes“.<br />

2. Seine bekannteste Schrift verneint für seine Zeit<br />

die Möglichkeit und Sinnhaftigkeit einer Kodifikation,<br />

„Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“.<br />

3. Umfangreich und bis heute grundlegend für die rechtshlistorische Forschung:<br />

„Die Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter“.<br />

4. Ebenfalls sehr umfangreich,<br />

für die Rechtswissenschaft und -praxis des 19. Jahrhunderts maßgebend:<br />

das „System des heutigen römischen Rechts“.<br />

2. Rechtslehre Savignys:<br />

Die selbstverständliche Grundlage für Savigny ist das römische Recht.<br />

1. Entwicklung des Rechts aus dem „Volksgeist“, daher<br />

- die Forderung nach einer „geschichtlichen“ Rechtswissenschaft<br />

(konsequent: „Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter“) und<br />

- Ablehnung einer Kodifikation (kein „Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung“).<br />

Damit Begründung einer „historischen“ Rechtsschule.<br />

2. Die systematische Erfassung und Fortentwicklung des Rechts<br />

(konsequent: „System des heutigen römischen Rechts“),<br />

Gedanke des „Rechnens mit Begriffen“.<br />

Damit Vorbereitung der späteren „Begriffs-jurisprudenz“.<br />

4. Romanisten, Pandektisten<br />

1. <strong>Prof</strong>essoren des römischen Rechts, insbes. am Ende des 19. Jh.<br />

2. Rechtsquelle: Corpus Iuris civilis Kaiser Justinians von 533 n. Chr., insbesondere<br />

Pandekten = Digesten, der 2., wichtigste Teil des Corpus Iuris Civillis (wiederholen!).<br />

Pandektistik: Wissenschaft vom römischen Recht am Ende des 19. Jahrhunderts.<br />

3. Einzelne Romanisten<br />

1. Bernhard Windscheid, erfolgreicher Rechtslehrer,<br />

Verfasser des berühmten „Lehrbuchs des Pandektenrechts“, 9. Aufl., posthum 1906,<br />

von großem Einfluß auf die Abfassung des BGB.<br />

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2. Rudolf von Jhering,<br />

u. a. Entdecker der culpa in contrahendo,<br />

juristische Analyse in seinem mehrbändigen „Geist des römischen Rechts“,<br />

Wegbereiter der Rechtssoziologie und der Interessenjurispurdenz<br />

- in seinem Werk über den „Zweck im Recht“ und<br />

- in seiner großen Rede über den „Kampf ums Recht“.<br />

3. Heinrich Dernburg,<br />

Autor von mehrbändigen, in der Praxis sehr verbreiteten, Lehrbüchern<br />

des Pandektenrechts, des preußischen Rechts und des neuen bürgerlichen Rechts.<br />

5. Germanisten<br />

1. <strong>Prof</strong>essoren des deutschen Rechts,<br />

2. verschiedene Rechtsquellen, u. a. Tacitus „Germania“,<br />

Germanenrechte, mittelalterliche Stadt- und Landrechte,<br />

ALR bis <strong>zu</strong>m Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch (ADHGB) von 1861.<br />

3. Die wichtigsten: Eichhorn, Jakob Grimm, Beseler, von Gerber und, alle überragend, Gierke.<br />

Otto von Gierke (1841 - 1921) war <strong>Prof</strong>essor für deutsche Reichs- und Rechtsgeschichte,<br />

<strong>zu</strong>letzt in <strong>Berlin</strong>.<br />

Grundlage für Gierke ist das alte germanische und deutsche Recht,<br />

(im erklärten Gegensatz <strong>zu</strong>m römischen Recht).<br />

1. Die beiden umfangreichen Hauptwerke in mehreren dicken Bänden:<br />

1. Das deutsche Genossenschaftsrecht und<br />

2. Deutsches Privatrecht.<br />

2. Da<strong>zu</strong> seine berühmten Kritiken am BGB.<br />

6. Rechtspositivismus und Begriffsjurisprudenz<br />

1. Rechtspositivismus<br />

Annahme, daß die Rechtssätze und ihre Anwendung ausschließlich aus<br />

System, Begriffen und Lehrsätzen der Rechtswissenschaft ab<strong>zu</strong>leiten seien,<br />

ohne Rücksicht auf außerjuristische Wertungen und Zwecke.<br />

Am wichtigsten: Windscheid und der junge Jhering.<br />

2. Begriffsjurisprudenz<br />

Annahme, daß die Rechtsordnung aus einem lückenlos geschlossenen System<br />

von Begriffen (Begriffspyramide) bestehe,<br />

aus welchem allein durch logische Operationen die Lösung für jeden Einzelfall ab<strong>zu</strong>leiten sei.<br />

KAPITEL 4. AUSARBEITUNG DES BGB<br />

Nachdem Napoleon endgültig geschlagen ist, schließen sich die 39 deutschen Fürsten und Freien Städte auf dem<br />

Wiener Kongreß 1815 <strong>zu</strong>m Deutschen Bund <strong>zu</strong>sammen. Der Heidelberger <strong>Prof</strong>essor Thibaut schlägt vergebens<br />

ein einheitliches Gesetzbuch für ganz Deutschland vor. Friedrich Carl von Savigny (1779 - 1861) wendet dagegen<br />

ein, dass das Recht durch innere still wirkende Kräfte (die er später als den Volksgeist bezeichnet), aber<br />

nicht durch die Willkür eines Gesetzgebers entsteht und fortgebildet wird, und dass außerdem <strong>zu</strong> seiner Zeit in<br />

Europa die Fähigkeit <strong>zu</strong>r Herstellung eines guten Gesetzbuches fehle.<br />

Diese Schrift von 1814, "Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft", ist überhaupt das<br />

berühmteste deutsche rechtswissenschaftliche Werk. Weitere Hauptwerke Savignys sind "das Recht des Besit-<br />

30. September 2011<br />

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zes", "Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter" und vor allem das "System des heutigen römischen<br />

Rechts". Mit ihnen und mit seinem Wirken an der neuen <strong>Berlin</strong>er <strong>Universität</strong> begründet Savigny die Historische<br />

Rechtsschule und führt die deutsche Rechtswissenschaft <strong>zu</strong> weltweitem Ansehen. Auf der Grundlage des Römischen<br />

Rechts errichtet er das moderne Privatrechtssystem.<br />

Theoretisch begründet mit Savignys Ausführungen, vor allem aber aus politischen Gründen, weil nämlich die<br />

deutschen Einzelstaaten auf ihrer Souveränität beharrten, unterblieb die Zivilrechtskodifikation.<br />

Nach der Reichsgründung 1871 war das Recht noch immer sehr zersplittert. Neben dem Allgemeinen Deutschen<br />

Handelsgesetzbuch, der Gewerbeordnung und einer <strong>zu</strong>nehmenden Zahl von Einzelgesetzen des Reichs galten in<br />

den verschiedenen Gebieten das ALR (in einem großen Teil Preußens und also auch in <strong>Berlin</strong>), das gemeine (d.<br />

h. das römische und das kanonische) Recht, das französische Recht, das sächsische Bürgerliche Gesetzbuch und<br />

außerdem eine Fülle von Partikularrechten. Die Verfassung des Norddeutschen Bundes von 1867 und die<br />

Reichsverfassung von 1871 räumten dem Reich nicht die Gesetzgebungskompetenz für das gesamte Zivilrecht<br />

ein. Dafür war also eine Verfassungsänderung notwendig. Nur nach mehreren Anläufen erreichten es die Abgeordneten<br />

der nationalliberalen Partei, Lasker und Miquel, dass das Reich durch übereinstimmende Beschlüsse<br />

des Reichstags und des Bundesrats die Gesetzgebungs<strong>zu</strong>ständigkeit für das Bürgerliche Recht erhielt.<br />

Die wesentlichen Perspektiven für die Organisation der Redaktionsarbeit und für das BGB selbst wurden unter<br />

der Federführung Levin Goldschmidts, <strong>Prof</strong>essor für Handelsrecht und Mitglied des Reichsoberhandelsgerichts,<br />

im Gutachten der Vorkommission des Bundesrats von 1874 niedergelegt. Dieses Gutachten bestimmte bis <strong>zu</strong>r<br />

Vollendung des BGB die Organisation der Kodifizierung sowie Form und Inhalt des BGB.<br />

Die erste Kommission erbrachte in 16 Jahre währender Arbeit (1874 - 1889) die für Inhalt und System entscheidende<br />

Leistung. Ihr bedeutender Vorsitzender war Pape, Präsident des Reichsoberhandelsgerichts. Zur Ausarbeitung<br />

des Entwurfs wurden fünf Redaktoren bestellt: für den Allgemeinen Teil Gebhard, für das Schuldrecht von<br />

Kübel, für das Sachenrecht Johow, für das Familienrecht Planck und für das Erbrecht Schmitt. Unter den weiteren<br />

Mitgliedern ist vor allem Windscheid, Verfasser des damals angesehensten Lehrbuchs des römischen Rechts,<br />

<strong>zu</strong> nennen. Die von den Redaktoren gelieferten Entwürfe und Begründungen nehmen 16 dicke Bände ein. Hin<strong>zu</strong><br />

kommen die ausführlichen Beratungsprotokolle. Diese Materialien gelangten damals nicht an die Öffentlichkeit,<br />

sondern wurden erst seit 1978, vor allem von Schubert, herausgebracht. Damals wurde nur eine auf fünf Bände<br />

verkürzte Zusammenfassung in den seitdem wohlbekannten Motiven publiziert. Der erste Entwurf wurde als sozial<br />

rückständig (Anton Menger, "Das Bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen"), als lebensfremd<br />

und als undeutsch (Otto von Gierke), sowie als stilistisch verfehlt kritisiert.<br />

Es war bis vor kurzem unbekannt, dass nach dem Ende der Beratung der I. Kommission und vor weiteren Beratungen<br />

eine Vorkommission des Reichsjustizamtes den I. Entwurf einer Revision unterzog und damit die Weichen<br />

für die künftigen Änderungen stellte.<br />

Die II. Kommission, unter Gottlieb Planck als "Generalreferent", hatte auch nichtständige Mitglieder aus Wirtschaftskreisen.<br />

Die Protokolle ihrer Beratungen wurden <strong>zu</strong>sammen mit dem II. Entwurf veröffentlicht.<br />

Nach Änderungen im Bundesrat wurde der Entwurf mit der Denkschrift des Reichsjustizamts an den Reichstag<br />

übermittelt. Die Verhandlungen des Reichstags und der Reichstagskommission erbrachten nochmals Modifikationen.<br />

1896 wurde das BGB im Reichstag und Bundesrat verabschiedet. 1900 trat es in Kraft. Die genannten Materialien<br />

dienen noch heute <strong>zu</strong>m Verständnis der einzelnen Regelungen und <strong>zu</strong>r unerläßlichen historischen Auslegung.<br />

Die meisten Materialien sind von Mugdan <strong>zu</strong>sammengefaßt. Eine Literaturliste folgt unten.<br />

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KAPITEL 5. NEUESTE RECHTSGESCHICHTE<br />

1. Weimarer Republik, 1919 bis 1933<br />

Der Friedensvertrag in Versailles 1919 bedeutet eine schwere psychologische, wirtschaftliche und politische Belastung.<br />

Am Beginn der Weimarer Republik steht die Inflation, die den bürgerlichen Mittelstand praktisch enteignet<br />

(am Höhepunkt, 1923, müssen 4,2 Billionen "Papiermark" für 1 Dollar bezahlt werden), am Ende steht<br />

die Massenarbeitslosigkeit (1932/33 rund 6 Mio. Arbeitslose).<br />

Die in Weimar <strong>zu</strong>sammengetretene Verfassunggebende Nationalversammlung, erstmals auch von Frauen gewählt,<br />

verabschiedet 1919 die Reichsverfassung, die auch Grundrechte und Grundpflichten festlegt. Eine besondere<br />

weitere Leistung ist die Fortführung des Arbeits- und Sozialrechts, vor allem die Arbeitsgerichtsbarkeit und<br />

die Arbeitslosenversicherung.<br />

2. Nationalsozialismus, 1933 bis 1945<br />

Adolf Hitlers Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei hatte 1930 und 1932 große Wahlerfolge errungen.<br />

1933 wird Hitler von Reichspräsident von Hindenburg <strong>zu</strong>m Reichskanzler ernannt. Sofort werden die Grundrechte<br />

außer Kraft gesetzt. Durch eine Reihe von Gesetzen, insbes. durch das Ermächtigungsgesetz (1933), wird<br />

die Reichsregierung <strong>zu</strong>r Gesetzgebung und sogar <strong>zu</strong>r Verfassungsänderung ermächtigt, werden die politischen<br />

Parteien, außer der NSDAP, verboten, die Gewerkschaften zerschlagen und die Länder beseitigt. Das Recht wird<br />

<strong>zu</strong> einem Instrument <strong>zu</strong>r totalen Herrschaft. Währenddessen bleibt der Text der Weimarer Reichsverfassung äußerlich<br />

unangetastet.<br />

Im Strafrecht werden das Rückwirkungsverbot und das Analogieverbot des Besonderen Teils aufgehoben. Der<br />

Volksgerichtshof und weitere Sondergerichte werden eingerichtet. 1935 ergehen die Nürnberger Gesetze gegen<br />

die Juden. Politische Gegner (vor allem Kommunisten, Sozialdemokraten und engagierte Christen), Juden, Angehörige<br />

besetzter Staaten, Geisteskranke und andere Personengruppen werden millionenfach nach Plan umgebracht.<br />

Der 1939 von Hitler-Deutschland in voller Absicht begonnene Krieg läßt nach sechs Jahren fast 100 Millionen<br />

Verletzte, Vermißte und Tote <strong>zu</strong>rück.<br />

3. Besat<strong>zu</strong>ngszeit, 1945 bis 1949<br />

Die Alliierten zerteilen Deutschland in vier Besat<strong>zu</strong>ngszonen, stellen weitere Gebiete unter polnische, sowjetische<br />

und französische Verwaltung und schaffen einen Sonderstatus für <strong>Berlin</strong>. In den Nürnberger Prozessen ab<br />

1945 verurteilen sie Hauptkriegsverbrecher und verbrecherische Organisationen. Alle Deutschen werden einer<br />

Entnazifizierung unterzogen. Gesetze mit nationalsozialistischem Inhalt werden aufgehoben. Infolge der Ost-<br />

West-Spannung trennen sich die drei Westzonen und die sowjetische Besat<strong>zu</strong>ngszone. 1948 erfolgen in West<br />

und Ost Währungsreformen mit einem Verlust von 9/10 aller privaten Ersparnisse.<br />

4. Zwei deutsche Staaten, 1949 bis 1990<br />

1949 verabschiedet der Parlamentarische Rat das Grundgesetz, und damit wird die Bundesrepublik Deutschland<br />

gegründet, während im selben Jahr die Verfassung der DDR beschlossen wird. 1957 wird die EG gegründet.<br />

1990 erfolgt die Vereinigung der getrennten deutschen Staaten.<br />

30. September 2011<br />

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16. TEIL<br />

DIGESTENEXEGESE<br />

KAPITEL 1. DER SINN DER ÜBUNG<br />

„Exegese“ (griechisch) ist die Auslegung und Erklärung eines Textes, und die Digesten sind derjenige Teil des<br />

Corpus Iuris, der die Auszüge aus den Schriften der römischen Juristen enthält. Die Digestenexegese meint<br />

demnach die Auslegung eines bestimmten Textteils aus den Schriften eines römischen Juristen, eines Textteils,<br />

der im Corpus Iuris überliefert ist. Es geht dabei darum, die Arbeit des römischen Juristen deutlich <strong>zu</strong> machen.<br />

Die römischen Juristen haben das Recht vorwiegend in der Form des Fallrechts weiterentwickelt, indem sie ganz<br />

knapp einzelne Sachverhalte beschrieben, juristisch lösten und die Lösung kurz begründeten. Der Hauptteil der<br />

modernen Exegese besteht nun darin, für die antike Fall-Lösung eine ausführlichere Begründung <strong>zu</strong> liefern,<br />

<strong>zu</strong>mal viele Fälle (wie z. B. Pomp. D. 19, 2, 52) ganz ohne Begründung überliefert sind.<br />

Die Exegese hat insoweit Ähnlichkeit mit der modernen Fall-Lösung, als für einen bestimmten Sachverhalt über<br />

einzelne Argumentationen eine Lösung herbeigeführt werden muß. Die Hauptunterschiede bestehen darin, dass<br />

einerseits der antike überlieferte Sachverhalt erst einmal klar herausgearbeitet werden muß, dass andererseits das<br />

Ergebnis, die Lösung, meistens bereits vorgegeben ist, dass aber die Regelungen des römischen Rechts weniger<br />

klar <strong>zu</strong> Tage liegen als die des BGB, sich im Laufe der Zeit veränderten und oftmals kontrovers waren.<br />

KAPITEL 2. MUSTEREXEGESEN<br />

Neuere Werke<br />

Benke - Meissel, Übungsbücher (s. Lit.-Verzeichnis)<br />

H. Hausmaninger, Casebooks (s. Lit.-Verzeichnis)<br />

ders., Das Schadenersatzrecht der lex Aquilia, 5. Aufl., Wien 1996<br />

Fuhrmann - Liebs, Fälle aus dem römischen Recht I (Text), II (Kommentar), Bamberg 1974<br />

M. Rainer, J. Filip-Fröschl, Texte <strong>zu</strong>m römischen Recht, Wien 1998<br />

H. Schlosser u. a., Die rechtsgeschichtliche Exegese, 2. Aufl., München 1993<br />

Wahlfachexaminatorium, hrsg. v. R. Maurach u. a., WEX 12, Römisches Recht, mithrsg. v. F. Sturm,<br />

m. Beiträgen v. H.-P. <strong>Benöhr</strong> u. a., Heidelberg u. a. 1977<br />

U. Wesel, Die Hausarbeit in der Digestenexegese, 2. Aufl. München 1973<br />

Jura 1989, 371; JA Übungsblätter 1990, 165; JuS 1964, 451; 67, 128; 80, 202; 85, 878; 88, 627; 90, 388.<br />

Ältere Werke<br />

Blüthgen, Schwenk, Anleitung, <strong>Berlin</strong> 1907<br />

O. Mandowski, Hundert Stellen, 5. Aufl., <strong>Berlin</strong> 1907<br />

J. Müller, Corpus Iuris Civilis ... übersetzt und ... erläutert, Tübingen 1904<br />

P. Posener, Corpus Iuris Exegese, <strong>Berlin</strong> 1902<br />

O. G. Schwarz, Corpus-iuris-Schlüssel, 7. und 8. Aufl., <strong>Berlin</strong> 1935<br />

E. Zitelmann, Digestenexegese, <strong>Berlin</strong>-Grunewald 1925.<br />

Bemerkungen<br />

1. Examensklausuren sind immer anspruchsvoll. Aber die veröffentlichten Musterexegesen überschreiten<br />

diese Anforderungen genauso wie es die üblichen Musterklausuren in juristischen Zeitschriften und Repetitorien<br />

<strong>zu</strong>m modernen Recht tun; lassen Sie sich also nicht verschrecken. Dass die einen wie die anderen gerade wegen<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

236


ihrer sorgfältigen Ausarbeitung nützlich <strong>zu</strong>m Einüben der Methode und <strong>zu</strong>r Wiederholung des Stoffen sind, ist<br />

klar.<br />

2. Ein Reihe der genannten Werke können im Büro <strong>Prof</strong>essor <strong>Benöhr</strong> eingesehen und kopiert werden.<br />

KAPITEL 3. HÄUFIGE RECHTSPROBLEME IN KLAUSUREN<br />

Selbstverständlich wird der Studierende keine Liste der üblichen Klausurprobleme erwarten. Vorlesung, Digestenübung<br />

und Fallsammlungen lassen aber Schwerpunkte erkennen, etwa: Handeln des pupillus ohne auctoritas<br />

des Tutors, Haussöhne und Sklaven als Teilnehmer am Rechtsverkehr, insbes. adjektizische Klagen, Kaufvertrag<br />

und Rücktrittsvorbehalte, Darlehen und Sc. Macedonianum, Bürgschaft und Sc. Vellaeanum, Delegation,<br />

Auftrag, lex Aquilia und Noxalhaftung, mancipatio, traditio, rei vindicatio, a. Publiciana und exc. rei venditae et<br />

traditae, Sachverbindung mit Grundstück.<br />

KAPITEL 4. TEXTBEISPIEL POMP. D. 19, 2, 52<br />

D. 19, 2, 52 (Pomp. libro trigesimo primo ad Quintum Mucium). Si decem tibi locem fundum, tu autem<br />

existimes quinque te conducere, nihil agitur: sed et si ego minoris me locare sensero, tu pluris te conducere,<br />

utique non pluris erit conductio, quam quanti ego putavi.<br />

Überset<strong>zu</strong>ng. Pomponius im 31. Buch <strong>zu</strong> Quintus Mucius. Wenn ich dir ein Landgut für zehn Goldstücke<br />

verpachte, du aber glaubst, du würdest es <strong>zu</strong> fünf Goldstücken pachten, ist das Rechtsgeschäft nichtig. Aber auch<br />

wenn ich meine, für weniger <strong>zu</strong> verpachten, du für mehr <strong>zu</strong> pachten meinst, wird der Pachtvertrag nicht <strong>zu</strong> mehr<br />

abgeschlossen sein als <strong>zu</strong> dem Betrag, den ich angenommen habe.<br />

KAPITEL 5. ALLGEMEINE HINWEISE<br />

Man muss sich als erstes über die Juristen, die im Zusammenhang mit der Quellenstelle genannt werden (hier:<br />

Pomponius und Quintus Mucius), orientieren. Außerdem ist es für die Bedeutung einer Quelle nicht unwichtig,<br />

in welchem Zusammenhang sie ursprünglich stand und wo sie im Corpus Iuris ihren Sitz hat (Buch 19, Titel 2<br />

der Digesten behandelt die locatio conductio). Nur selten wird von der Bearbeiterin oder dem Bearbeiter<br />

verlangt, <strong>zu</strong> prüfen, ob der im Corpus Iuris überlieferte Text im Wesentlichen aus der klassischen Zeit stammt<br />

oder ob es Anzeichen für nachklassische Textveränderungen, d. h. insbesondere für Interpolationen, gibt.<br />

Zusätzlich wird häufig ein Vergleich zwischen römischem und modernem deutschen Recht erwartet.<br />

Vorsicht: Hier wie bei allen Prüfungsaufgaben ist der Wortlaut der Aufgabe entscheidend. Sehr oft heißt es kurz:<br />

„Schreiben Sie eine Exegese“. Zur Lösung einer solchen Aufgabe müssen Sie die in der gleich folgenden<br />

Gliederung genannten Punkte behandeln.<br />

In anderen Klausuren werden einzelne Fragen gestellt. Dann müssen sie genau und ausführlich auf diese Fragen,<br />

die in der Aufgabe gestellt sind, eingehen. Die Fragen werden meistens von dem Aufgabensteller gegeben, um<br />

Ihnen die Auslegung der Stelle und den Aufbau Ihrer Exegese <strong>zu</strong> erleichtern. Wenn nichts da<strong>zu</strong> gesagt ist, ist die<br />

Reihenfolge der Fragen für Ihre eigene Ausarbeitung nicht verbindlich. Sicherheitshalber würde ich bei der<br />

Lösung jeweils vermerken, etwa: „Damit ergibt sich als Antwort auf Frage 1, dass ...“<br />

30. September 2011<br />

237


KAPITEL 6. GLIEDERUNGSPUNKTE<br />

Es gibt ein ganz grobes allgemein übliches Schema, bestehend aus den folgenden Punkten, die sogleich erläutert<br />

werden.<br />

I. Aufgabe<br />

1. Quelle<br />

2. Überset<strong>zu</strong>ng<br />

II. Inskription<br />

1. Der in der Inskription genannte Jurist (z. B. Pomponius)<br />

2. Das genannte Werk (z. B. die libri ad Quintum Mucium)<br />

3. Weitere in der Stelle genannte<br />

1. Juristen (z. B. Quintus Mucius) und<br />

2. ihre Werke (das Ius civile des Quintus Mucius)<br />

4. Stellung im Corpus Iuris Civilis (Locatio conductio)<br />

III. Herausarbeitung des Sachverhalts,<br />

gegebenenfalls Unterteilung in einzelne Handlungsabschnitte (Satz 1, Satz 2)<br />

IV. Rechtsfragen<br />

V. Hinweise <strong>zu</strong>m geltenden Recht.<br />

Aber für die Ausfüllung der einzelnen Abschnitte gibt es praktisch keine allgemeinen Regeln. Wenn Sie sich die<br />

Musterlösungen ansehen, werden Sie bemerken, in welch' verschiedener Weise die Autoren vorgegangen sind.<br />

Auch bei der mündlichen Digesten-Exegese werden Sie bemerken, wie unterschiedlich man die einzelnen<br />

Fragmente behandelt. Das bedeutet für die Bearbeiterin und den Bearbeiter auf der einen Seite, dass Sie weniger<br />

Rezepte für das Herangehen an einen Fall bekommen. Es befreit Sie aber auf der anderen Seite von dem Zwang,<br />

bestimmte Regeln anwenden <strong>zu</strong> müssen, und von der Angst vor dem Vorwurf eines verfehlten Aufbaus, solange<br />

die Gedankenführung verständlich ist. Schließlich ist darauf hin<strong>zu</strong>weisen, dass Sie, genauso wie bei anderen<br />

Klausuren, jedes einzelne Wort Ihres Fragments berücksichtigen müssen.<br />

I. Aufgabe, 1. Quelle. Wird vorgegeben.<br />

KAPITEL 7. ERLÄUTERUNGEN ZUR INSKRIPTION<br />

I. 2. Überset<strong>zu</strong>ng. Für die Klausur zwar vorgegeben, aber für die Interpretation wird es gelegentlich erforderlich<br />

sein, sich um den Originaltext <strong>zu</strong> bemühen. Für die Hausarbeit muß eine eigene Überset<strong>zu</strong>ng angefertigt werden,<br />

hierbei helfen die oben angegebenen <strong>Dr</strong>uckausgaben.<br />

II. Inskription. Die Inskription ist der Anfang der Quellenstelle mit Angabe der Fundstelle in den<br />

justinianischen Digesten, des klassischen Autors und seines Werkes. Im gegebenen Fall also: D. 19, 2, 52<br />

(Pomp. libro trigesimo primo ad Quintum Mucium), auf deutsch: Pomponius im 31. Buch <strong>zu</strong> Quintus Mucius.<br />

Die Ausführungen <strong>zu</strong> diesem Abschnitt der Klausur verlangen eine nicht unerhebliche Gedächtnisleistung aus<br />

dem Bereich der Rechtsgeschichte, sollen aber vom Kandidaten wie vom Prüfer nicht überbewertet werden.<br />

II. 1. Der in der Inskription genannte Jurist. Die eleganteste Zwischenüberschrift begnügt sich einfach mit dem<br />

Namen des betreffenden Juristen, also schlicht z. B. "Pomponius". Kenntnisse über die wichtigsten Juristen und<br />

ihre Werke werden in der Vorlesung und den Büchern über römische Rechtsgeschichte vermittelt. Hinweise auf<br />

die angesehensten und (für die Vorbereitung auf das Examen nicht unwichtig) am häufigsten in den Digesten<br />

vertretenen Juristen finden Sie oben in diesem Begleittext. Besonders wichtig sind die Schaffensperiode (Früh-,<br />

Hoch-, Spätklassik), die Bedeutung des Juristen in der Rechtswissenschaft und Lehre, sowie eventuelle Funktionen<br />

des Juristen in der Staatsverwaltung. Aber belasten Sie ihr Gedächtnis nicht <strong>zu</strong> sehr mit diesen Details.<br />

Wenn in Ihrem Text republikanische oder frühklassische Juristen genannt werden, kann eventuell Ihr Hinweis<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

238


auf das Enchiridium des Pomponius (D. 1, 2, 2, etwa ab § 39) einen guten Eindruck auf den Korrektor machen.<br />

Sextus Pomponius, Zeitgenosse des Gaius und des Iulian, also <strong>zu</strong>r Zeit der Kaiser Hadrian (117 - 138)<br />

und Kaiser Mark Aurels (161 - 180). Sonst ist nichts über ihn bekannt, also wohl keine Staatsämter. War einer<br />

der fruchtbarsten Schriftsteller, u. a. verfasste er das Enchiridium (Handbuch) = Dig. 1, 2; Schriften <strong>zu</strong> Sabinus,<br />

Quintus Mucius (aus diesen stammt das vorliegende Fragment) und Plautius sowie ad edictum, de senatus<br />

consultis, de stipulationibus, de fidei commissis, Epistolae, variae lectiones. Pomponius wird auch häufig von<br />

anderen zitiert. Fast 600 Exzerpte in den Digesten.<br />

II. 2 a. Das genannte Werk. Die beste Zwischenüberschrift besteht einfach in dem Titel des betreffenden<br />

Werks (z. B. "Die Libri ad Quintum Mucium des Pomponius“). Es werden eine Aufzählung der Hauptwerke des<br />

Juristen (Liste am Ende der üblichen Digesten-Ausgabe) und eine Charakterisierung des zitierten Werkes (z. B.<br />

Erläuterung des ius civile) erwartet.<br />

Auch hier brauchen Sie sich nicht als Gedächtniskünstler <strong>zu</strong> erweisen: sooo viele Punkte sind für diesen Teil der<br />

Exegese nicht <strong>zu</strong> gewinnen. Prägen Sie sich ein, was die Werke ad edictum (Kommentare <strong>zu</strong>m Edikt des<br />

Praetors) sind, ad Quintum Mucium und ad Sabinum (nämlich: Zivilrechtsbücher), quaestiones („Fragen“, d. h.<br />

meist kontroverse Rechtsprobleme), responsa („Antworten“, d. h. Gutachten), digesta etc.<br />

II. 2 b. Zusammenhang der Stelle im Gesamtwerk des Juristen. Hierauf kann nur in einer Hausarbeit mit<br />

Hilfe von Lenels Palingenesie, nicht in einer Klausur, eingegangen werden. Die Palingenesie zeigt z. B., dass<br />

Pomponius in dem genannten 31. Buch <strong>zu</strong> Quintus Mucius im Wesentlichen vom Kauf, also von einer der Miete<br />

durchaus verwandten Materie, gehandelt hat.<br />

II. 3. Weitere Juristen und ihre Werke. Falls in der Stelle weitere Juristen genannt werden (hier Quintus Mucius),<br />

die z. B. derselben oder anderer Ansicht sind, ist auf diese ein<strong>zu</strong>gehen, wenn man etwas von ihnen weiß.<br />

II. 4 a. Stellung im Corpus Iuris Civilis. Hier ist kurz der Zusammenhang im Corpus iuris (z. B. locatio<br />

conductio, d. h. Miete und Pacht, Werkvertrag und Dienstvertrag) an<strong>zu</strong>geben (ergibt sich aus der Überschrift<br />

<strong>zu</strong>m Buch und Titel in den Digesten in der üblichen Digesten-Ausgabe). In einer Hausarbeit ist fest<strong>zu</strong>stellen, ob<br />

der Zusammenhang im Originalwerk und im Corpus Iuris derselbe ist oder nicht. Dabei zeigt sich für D. 19, 2,<br />

52, dass der Zusammenhang, aus dem das Fragment ursprünglich stammt, und derjenige, in dem es jetzt steht, im<br />

Wesentlichen der gleiche ist.<br />

II. 5. In diesem Teil der Arbeit ist der geeignetste Platz, um etwas über die weitere Einordnung des Fragments <strong>zu</strong><br />

sagen: ob etwa das Rechtsproblem Gegenstand einer Diskussion unter den Juristen, vielleicht verschiedener<br />

Generationen oder "Schulen", gewesen sein kann, und ob es sich eher um einen Schulfall oder um ein Gutachten<br />

<strong>zu</strong> einem wirklich geschehenen Fall gehandelt haben könnte.<br />

KAPITEL 8. SACHVERHALT<br />

Nachdem bisher nur Vorfragen behandelt wurden, kommt man nun <strong>zu</strong>r ersten Hauptfrage, nämlich:<br />

III. Herausarbeitung des Sachverhalts.<br />

1. Diese Arbeit ist wichtig, weil nur für einen klaren Sachverhalt die da<strong>zu</strong> gehörenden Rechtsfragen richtig<br />

gestellt und beantwortet werden können.<br />

2. Eine besondere Schwierigkeit besteht in der sauberen Trennung des Sachverhalts von den Rechtsansichten,<br />

weil in den Texten Sachverhalt und Rechtsansichten sehr oft miteinander vermischt sind. Dieser Teil der<br />

Aufgabe ist eine wichtige Vorbereitung für die spätere Praxis des heutigen Studenten, weil auch später Sach- und<br />

30. September 2011<br />

239


Rechtsfragen häufig wie ein Brei miteinander vermischt sind und vom Juristen getrennt werden müssen wie das<br />

Gelbe und das Weiße vom Ei.<br />

a) Doch gilt es auch hier, das rechte Maß <strong>zu</strong> halten und <strong>zu</strong> erkennen, wenn mit einem Rechtsbegriff wie z. B.<br />

Verkaufen oder Verpachten das rechtliche wie auch das tatsächliche Geschehen umschrieben wird.<br />

b) Manchmal ist ein Sachverhaltselement auch in der Rechtsfrage versteckt. In einer bestimmten Digesten-<br />

Stelle fragt <strong>zu</strong>m Beispiel der Jurist: „ob er <strong>zu</strong> besitzen aufhört“, und geht damit davon aus, dass <strong>zu</strong>vor die<br />

betreffende Person überhaupt den Besitz erlangt hat, was aber nicht ausdrücklich gesagt worden ist.<br />

3. Die Erfassung des Sachverhalts ist deshalb schwierig, weil die überlieferten Angaben extrem kurz sind.<br />

a) Hier kommt es auf jedes einzelne Wort an. Wenn es z. B. heißt, „jemand hat ein fremdes Grundstück<br />

gekauft“, dann ist damit gemeint, dass dieses Grundstück auch für den Verkäufer „fremd“ war, dass also neben<br />

Verkäufer und Käufer noch ein <strong>Dr</strong>itter, der wirkliche Eigentümer, im Spiel ist. Oder wenn etwa gesagt wird, eine<br />

Person habe einen bestimmten Umstand „geglaubt“, dann bedeutet das auch, dass in Wirklichkeit dieser<br />

Umstand gerade nicht gegeben war.<br />

b) Sehr oft muß ein Sachverhaltsteil ergänzt werden. Wenn der Jurist beispielsweise den Rückgriff des<br />

Bürgen gegen den Hauptschuldner behandelt, ist davon aus<strong>zu</strong>gehen, dass eine wirksame Hauptschuld bestand,<br />

dass der Bürge einen Bürgschaftsvertrag mittels Stipulation mit dem Gläubiger abgeschlossen hat, dass der<br />

Bürge daraufhin den Gläubiger befriedigt hat etc.<br />

Hier, in D. 19, 2, 52, besteht der Sachverhalt in der ersten Fallvariante einfach in Folgendem: "Ego verpachtet<br />

dem Tu ein Landgut. Ego schließt den Vertrag für zehn Goldstücke ab, Tu aber meint, dass der Pachtzins fünf<br />

Goldstücke betrage." Entweder schon bei der Herausarbeitung des Sachverhalts oder erst im Rahmen der<br />

eigentlichen Interpretation ist auf ergän<strong>zu</strong>ngsbedürftige Lücken des Sachverhalts o. ä. hin<strong>zu</strong>weisen. Hier z. B. ist<br />

die Frage auf<strong>zu</strong>werfen: "Es wird nicht gesagt, ob auch Ego sich irrt. Der Wortlaut im ersten Satz deutet eher<br />

darauf hin, als wenn der Vertrag von Ego wirklich für zehn Goldstücke abgeschlossen worden sei und sich nur<br />

Tu geirrt hätte. Der zweite Satz hingegen kann so verstanden werden, als hätte sich jeder der beiden geirrt."<br />

c) Nicht selten hängt vom richtigen Verständnis des Sachverhalts die richtige rechtliche Erörterung ab. Oft ist<br />

heute auch der genaue Sachverhalt kontrovers. Nach alledem kann bereits die Herausarbeitung des Sachverhalts<br />

eine wesentliche interpretatorsiche Leistung bedeuten.<br />

d) Zuweilen ergibt sich ein Sachverhaltsbestandteil erst aus der Lösung des Juristen, wenn z. B. in der<br />

überlieferten Lösung von der a. de peculio die Rede ist, obwohl vorher nichts von einem Pekulium gesagt<br />

worden ist.<br />

e) Dennoch gehören gerade nicht <strong>zu</strong>m Sachverhalt rein juristische Erörterungen, z. B. über die Art des<br />

Abschlusses eines bestimmten Vertrages oder über die Ausgestaltung einer bestimmten Klagformel, oder das<br />

Ergebnis.<br />

f) Hinsichtlich des Sachverhalts gilt die plumpe Faustformel: "guter Glaube ist stets Irrtum". Wenn im<br />

Sachverhalt von "glauben" (putare, existimare) oder "gutgläubig" (bona fide) die Rede ist, hatte der Handelnde<br />

meistens eine Fehlvorstellung: die Wirklichkeit war in Wirklichkeit anders; z. B. ist der Geschäftsgegner in<br />

Wirklichkeit eine andere Person, die Ware ist aus einer anderen Substanz, die Sache steht im Eigentum eines<br />

<strong>Dr</strong>itten etc.<br />

4. Sie sollten den Sachverhalt so detailliert und genau wie möglich beschreiben und sämtliche tatsächlichen<br />

Einzelheiten, die sich nur irgendwie aus dem Fragment entnehmen lassen, aufführen. Die allgemeinere Fassung<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

240


(z. B. „das Fragment beschäftigt sich mit der Frage, welche Ansprüche jemand aus einer Bürgschaft hat“) klingt<br />

zwar eleganter, nützt aber nichts für Ihre Subsumtion.<br />

5. Meistens ist die Unterteilung in einzelne Handlungsabschnitte möglich und deswegen auch nötig. Sehr oft<br />

erörtern die Juristen verschiedene Handlungsabschnitte, Sachverhaltsvarianten oder Unterfälle. Diese muß die<br />

Bearbeiterin oder der Bearbeiter klar gegen einander absetzen. Dadurch bekommt der Aufbau eine solide<br />

Struktur, und vor allem gewinnt der Bearbeiter oder die Bearbeiterin einen „Einstieg“ in die Stelle. Der<br />

Bearbeiter sollte aber außerdem darstellen, in welcher Weise die einzelnen überlieferten „Variationen“ mit<br />

einander <strong>zu</strong>sammenhängen.<br />

"Pomponius behandelt zwei Fälle: im ersten Fall verpachtet Ego ein Landgut <strong>zu</strong> zehn Goldstücken, während Tu<br />

meint, den Vertrag <strong>zu</strong> fünf Goldstücken abgeschlossen <strong>zu</strong> haben. Im zweiten Fall liegt es umgekehrt: der<br />

Verpächter Ego nimmt einen niedrigeren und der Pächter Tu nimmt einen höheren Pachtzins an".<br />

Wenn etwa ein Jurist in einer anderen Stelle (z. B. D. 12, 1, 19, 1) davon spricht, dass jemand „Geld darleiht<br />

oder <strong>zu</strong>m Zweck der Erfüllung gibt“ und dass außerdem ein <strong>Dr</strong>itter „fremdes Geld zwecks Darlehensvergabe<br />

gibt“, dann sind diese und weitere in demselben Fragment versteckte Varianten ganz sorgfältig auseinander <strong>zu</strong><br />

halten und dürfen nicht in die Fassung eines einzigen „Sachverhalts“ gepresst werden.<br />

6. Beteiligte Personen. Es dient immer der Klarheit, wenn in diesem Teil der Arbeit die in der Stelle<br />

auftretenden Personen (z. B. der Verpächter Ego oder etwa auch V, der Conductor Tu oder C) kurz bezeichnet<br />

werden. Häufig bleiben in einer Stelle Personen unerwähnt, obwohl sie in dem Fall eine wichtige Rolle spielen.<br />

Wenn z. B. der Jurist den Rückgriff des Bürgen gegen den Hauptschuldner erörtert, steht im Hintergrund der<br />

Gläubiger selbst dann, wenn dieser nicht ausdrücklich im Fall auftritt.<br />

Tip auch für das geltende Recht: vermeiden Sie Fürwörter, geben Sie den Beteiligten Namen (z. B. A, B und C<br />

oder Venditor und Emptor, Ego und Tu, Titius und Maevius).<br />

KAPITEL 9. RECHTSFRAGEN<br />

IV. Rechtsfragen. Das ist der Kern, der weitaus umfangreichste Teil der Aufgabe und der für die Beurteilung<br />

entscheidende Abschnitt der Lösung.<br />

1. Aufbau:Manchmal ist es üblich, vor die eigentliche Erörterung der Rechts-Fragen die Darstellung der<br />

Rechts-Institute, die für das Fragment wichtig sind, <strong>zu</strong> stellen, also z. B. erst einmal abstrakt, losgelöst von<br />

Ihrem Fall, lang und breit über die locatio conductio <strong>zu</strong> sprechen. Der subjektive Vorteil eines solchen Aufbaus<br />

liegt darin, dass der Bearbeiter in aller Ruhe all' sein Wissen in voller Breite auslegen kann. Der entscheidende<br />

Nachteil ist, dass einerseits Überflüssiges erzählt wird, so dass später die Bearbeitungszeit für Wichtiges fehlt,<br />

und dass andererseits die große Gefahr eintritt, dass wichtige Einzelheiten, die für die fundierte eigentliche<br />

Interpretation wesentlich sind, übersehen werden. Wissensdarlegungen, die mit dem Fall kaum mehr etwas <strong>zu</strong><br />

tun haben, werden auch von den meisten Prüfern nicht honoriert.<br />

2. Selbstverständlich hat bei der Erörterung der Rechtsfragen die Stimme des klassischen Autors der<br />

jeweiligen Stelle eine besondere Bedeutung. Man sollte darum klar herausarbeiten:<br />

a) das Rechtsproblem, das der Jurist an dieser Stelle behandelt,<br />

z. B. in Fragment 52 die Wirkung eines Irrtums über die Höhe des Pachtzinses sowie<br />

Gültigkeit, Ungültigkeit, Teilgültigkeit und Inhalt des Pachtvertrages,<br />

b) die Lösung und<br />

30. September 2011<br />

241


c) die Begründung des Juristen, wenn sie überliefert ist. Aber ziemlich oft,<br />

so auch in D. 19, 2, 52, ist die klassische Begründung nicht bekannt.<br />

3. Wie gesagt, kann die Darlegung <strong>zu</strong> den Rechtsfragen ähnlich wie bei einem BGB-Fall aufgebaut werden,<br />

mit dem Unterschied, dass die Lösung bereits vorgegeben ist.<br />

a) Ein weiterer Unterschied <strong>zu</strong> den meisten Aufgaben aus dem geltenden Recht besteht darin, dass man die<br />

wichtigsten Punkte der hauptsächlich in Betracht kommenden Rechtsinstitute und actiones nicht als bekannt<br />

voraussetzen darf, sondern erst kurz beschreiben muß. Bei der Exegese von D. 19, 2, 52 besteht darum die<br />

Gelegenheit, seine Kenntnisse über Abschluß, Inhalt und Formel der locatio conductio der Prüferin und dem<br />

Prüfer vor<strong>zu</strong>führen.<br />

b) Es ist im einzelnen dar<strong>zu</strong>legen, mit welcher actio und auf Grund welcher Vorausset<strong>zu</strong>ngen ein Anspruch<br />

oder eine Einrede gegeben ist oder versagt wird. Hier, in D. 19, 2, 52, kommen, wenn der Pachtvertrag wirksam<br />

ist, die actio conducti auf Überlassung des Grundstücks und die actio locati auf die Pachtzinszahlung in<br />

Betracht.<br />

c) Sorgfältig sind dann die Gründe dar<strong>zu</strong>legen und gegeneinander ab<strong>zu</strong>wägen, welche für und welche gegen<br />

eine bestimmte Lösung sprechen. Solche Gründe werden oft im Originaltext mitgeliefert, oft muß man diese<br />

aber ergänzen oder gänzlich selbst liefern. Im gegebenen Fall also abwägen Wirksamkeit gegenüber<br />

Unwirksamkeit, bona fides, consensus, Vergleich mit anderen Irrtumsfällen, Gedanke, dass das "Weniger" im<br />

"Mehr" enthalten sei, Angemessenheit der Lösung für die beteiligten Personen etc.<br />

Beispielsweise fehlt es im 1. Fall von fr. 52 an der Willensübereinstimmung über die Höhe der Gegenleistung,<br />

kein consensus, wie er für locatio conductio erforderlich ist. Ob es sich dabei um einseitigen Irrtum oder<br />

Irrtümer auf beiden Seiten oder Dissens handelt, ist nicht erkennbar und war wahrscheinlich für die römischen<br />

Juristen auch gleichgültig.<br />

Im zweiten Fall von fr. 52 hingegen besteht ein Teilkonsens, mittels dessen jede Partei diejenige Leistung erhält,<br />

die sie erwartet 640<br />

.<br />

4. Abweichende Ansichten.<br />

a) Viele Fragen waren im römischen Recht kontrovers oder wurden im Laufe der antiken römischen<br />

Rechtsgeschichte unterschiedlich beantwortet. Auf diese Kontroversen und Unterschiede ist so sorgfältig<br />

ein<strong>zu</strong>gehen, wie man es in einer Klausur nur kann. Hierfür bildet der bereits herausgearbeitete Sachverhalt die<br />

unerläßliche Basis. Indizien für Kontroversen und Entwicklungen finden sich oft in den klassischen Texten<br />

(sehen Sie da<strong>zu</strong> die Kapitel über „Juristenkontroversen“, „Rechtsschulen“ und „Literaturformen“).<br />

b) Man erleichtert sich übrigens im römischen wie im modernen Recht die gedankliche Arbeit durch die<br />

Frage: welches andere Ergebnis ist denkbar, welche Argumente könnten die Gegner der überlieferten Ansicht<br />

vorgebracht haben?<br />

c) Es wird aber nicht erwartet, dass Sie Parallelstellen und Gegenmeinungen im Kopf haben und in der<br />

Klausur anführen können.<br />

5. Nicht erörterte Probleme. Es ist gar nicht so selten, dass die überlieferten Lösungen und Begründungen<br />

nicht vollständig sind, sondern weitere Aspekte ausblenden. Die heutige Bearbeiterin und der heutige Bearbeiter<br />

sollten auch diese übergangenen Teile behandeln. Wenn z. B. drei Personen in dem Fall beteiligt sind, aber nur<br />

die Rechtsbeziehungen zwischen zwei bestimmten Personen von dem Juristen behandelt werden, oder wenn nur<br />

640<br />

K I 239 m Anm 19 und 20.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

242


die schuldrechtliche, nicht die sachenrechtliche Seite eines Falles oder nur der deliktsrechtliche, nicht der<br />

vertragliche Aspekt dargelegt werden.<br />

6. Einzelne Begriffe. Da die Interpretation einzelne Rechtsbegriffe betrifft, in Fragment 52 z. B. locatio<br />

conductio, muss man auch deswegen neben der Überset<strong>zu</strong>ng den lateinischen Text im Auge behalten. Das ist<br />

vor allem dann wichtig, wenn für einen Rechtsvorgang unterschiedliche Institutionen des römischen Rechts in<br />

Frage kommen, für die Übereignung z. B. mancipatio, in iure cessio und traditio. In der Exegese sollen meistens<br />

auch kurz die für den Fall wesentlichen Rechtsinstitute erklärt werden.<br />

7. Im Rahmen des soeben Erklärten soll man seine Kenntnisse des römischen Rechts ausbreiten. Aber hier<br />

wie auch sonst ist es überflüssig, Wissen ab<strong>zu</strong>laden, das sich <strong>zu</strong> weit von dem Kern der eigentlich relevanten<br />

Rechtsfragen entfernt.<br />

8. Interpolationen. Es ist nicht Aufgabe einer Klausur, sich auf "Interpolationenjagd" <strong>zu</strong> begeben.<br />

Ausnahmsweise ist in dem bekanntesten Fall auf die Interpolationenfrage ein<strong>zu</strong>gehen, nämlich bei der<br />

Übereignung, weil die mancipatio von Justinian durch die traditio ersetzt wurde. Selbstverständlich sind<br />

entsprechende Fragen <strong>zu</strong> beantworten, wenn sie in der Aufgabe ausdrücklich gestellt werden.<br />

V. Bei der Digesten-Exegese soll man versuchen,<br />

- die Struktur des Fragments <strong>zu</strong> erkennen,<br />

sie auch in den eigenen Ausführungen nach<strong>zu</strong>zeichnen<br />

und ihr seinen eigenen Gedankengang an<strong>zu</strong>passen, z. B.<br />

- verschiedene Sachverhalte und ihre Verknüpfung (Regel / Einschränkung / Erweiterung / Ausnahme,<br />

Ähnlichkeit, Differenzierungen, Gegensätze).<br />

- Auch vielleicht verschiedene Sach- und Rechtsverhalte selbst bilden,<br />

um Grund- oder Normal- oder Ausgangs-Fall <strong>zu</strong> erfassen<br />

und dann die Varianten schärfer <strong>zu</strong> sehen.<br />

- Der Rechtsfrage des Gutachtenanfragenden oder des römischen Juristen nachgehen:<br />

ob sie ausdrückl gestellt ist oder ob sie sich aus dem Zusammenhang ergibt.<br />

Anders gesagt: Worauf kommt es in dieser Stelle an, warum?<br />

- Rechtsanwort<br />

- Begründung.<br />

KAPITEL 10. GEDANKEN ZUM GELTENDEN RECHT<br />

VI. Hinweise <strong>zu</strong>m geltenden Recht. Achten Sie auch hier<strong>zu</strong> auf die Klausur-Frage.<br />

1. Manchmal wird im Unterricht und in den Musterexegesen ein kleinkarierter Vergleich zwischen<br />

römischem und geltendem Recht erwartet, etwa eine „Lösung des Falles nach geltendem Recht“.<br />

2. Ein bisschen intelligenter ist es schon, wenn nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen beiden<br />

Rechtsordnungen gefragt wird.<br />

3. Historisch noch besser ist es, die Entwicklung der in der Digestenstelle bedeutsamen Rechtsinstitute vom<br />

römischen bis <strong>zu</strong>m geltenden Recht nach<strong>zu</strong>zeichnen, so gut es eben in einer Klausur ohne Hilfsmittel möglich<br />

ist.<br />

30. September 2011<br />

243


4. Der Vergleich wird noch interessanter, wenn die Gemeinsamkeiten und Unterschiede begründet werden<br />

können und wenn da<strong>zu</strong> auf das völlig veränderte Umfeld eingegangen wird (Religion, Familie,<br />

Sozialverhältnisse, Wirtschaft, Staatsverfassung, Recht etc.).<br />

5. Am besten ist es, die Punkte 1 bis 4 <strong>zu</strong>sammen<strong>zu</strong>fassen. Also achten Sie auch <strong>zu</strong> diesem Punkt auf die<br />

Aufgabenfrage und bedenken Sie dabei für Ihre Zeiteinteilung, dass dieses nicht der wichtigste Teil für die<br />

Punktevergabe für Ihre Exegese ist.<br />

Zu D. 19, 2, 52 wäre im einzelnen aus<strong>zu</strong>führen, dass die beiden Sachverhalte unter Anwendung des BGB schon<br />

deswegen nicht ohne weiteres <strong>zu</strong> lösen sind, als die Stelle nicht erkennen läßt, ob es sich um Fälle des einseitigen<br />

Irrtums, der Irrtümer beider Vertragsschließenden oder des Dissenses handelt. Davon abgesehen sind die<br />

Unterschiede zwischen dem Nihil agitur und dem Anfechtungsrecht für die erste Alternative sowie zwischen der<br />

Aufrechthaltung des Vertrages und der Anfechtungsfolge für die zweite Alternative bedenkenswert. Auch auf §<br />

139 wäre hin<strong>zu</strong>weisen.<br />

KAPITEL 11. ALLGEMEINE FRAGEN IN DER KLAUSUR<br />

Sehr oft werden in der Klausur weitere Fragen gestellt, die nicht <strong>zu</strong>r eigentlichen Exegese gehören.<br />

1. Diese Fragen können einen Zusammenhang mit der Exegese haben, z. B. den dort genannten Juristen, die<br />

Literaturgattung (z. B. libri ad Sabinum) oder ein Rechtsinstitut (locatio conductio) betreffen.<br />

2. Sie können stattdessen ohne eine sichtbare Verbindung <strong>zu</strong> der Stelle sein und etwa ganz allgemein "die<br />

Stellung des Praetors" <strong>zu</strong>m Gegenstand haben. Derartige Probleme werden hauptsächlich in der Vorlesung und<br />

in den Büchern <strong>zu</strong>r römischen Rechtsgeschichte erörtert.<br />

3. Es gibt da<strong>zu</strong> meistens eine weitere Zusatzfrage, die gar nicht <strong>zu</strong>m römischen Recht gehört, sondern <strong>zu</strong><br />

anderen Teilen der Rechtsgeschichte, z. B. eine allgemeinere Frage <strong>zu</strong>m 19. oder 20. Jahrhundert.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

244


17. TEIL<br />

WÖRTERBÜCHER<br />

KAPITEL 1. FACHAUSDRÜCKE ZUM VERSTÄNDNIS DER RECHTSQUELLEN<br />

accusare anklagen<br />

actio (allgemein: ) Handlung, (im röm. Recht) Klage, Anspruch<br />

actor Kläger<br />

actus contrarius aufhebender Rechtsakt, Aufhebungsvertrag<br />

ad incertam personam an eine unbestimmte Person (gerichtet)<br />

aequitas Billigkeit<br />

ágere fortbewegen; handeln; Klage erheben<br />

animus Wille, Absicht<br />

ante vor(-her)<br />

appelláre ansprechen; eine höhere Behörde anrufen<br />

arbiter Schiedsrichter<br />

auctor Urheber<br />

auctoritas Ansehen, Macht, Ermächtigung<br />

bona fides guter Glaube<br />

boni mores gute Sitten<br />

caput Haupt, Rechtsstellung<br />

casus Fall; Zufall; Begebenheit<br />

causa Ursache, Rechtsgrund; Rechtssache<br />

cautio Sicherheitsleistung<br />

cédere weichen, abtreten; daher Zession = Abtretung<br />

cessáre nicht stattfinden, enden<br />

civilis den Bürger (civis) betreffend<br />

clausula besondere Bestimmung<br />

codex Notizbuch, Geschäftsbuch, Gesetzbuch<br />

condemnare verurteilen<br />

condicio Bedingung<br />

condictio (ursprünglich: Prozessankündigung,<br />

im klass. Recht:) eine besondere Klagart<br />

consensus Willensübereinstimmung, Zustimmung<br />

consilium Beratung<br />

constitutio Rechtsvorschrift<br />

consuetudo Gewohnheit<br />

contractus Vertrag<br />

(das!) corpus (neutr.) der Körper, die Sammlung<br />

creditor Gläubiger<br />

crimen Verbrechen (strafrechtlich, im Gegensatz <strong>zu</strong>m zivilrechtlichen delictum)<br />

culpa Schuld allgemein; Fahrlässigkeit<br />

cura Sorge, Fürsorge, Sorgfalt, Pflegschaft<br />

custodia Bewachung, Haftung (des Verkäufers) für Bewachung<br />

damnare verurteilen<br />

debére müssen; schuldig sein<br />

debitor Schuldner (debére = schulden)<br />

30. September 2011<br />

245


decídere entscheiden<br />

deféndere abwehren, verteidigen<br />

delegáre anweisen<br />

delictum (zivilrechtlich) unerlaubte Handlung<br />

derogare (ein Gesetz) aufheben<br />

detentio Innehabung (kein eigentlicher Besitz im Rechtssinne)<br />

digesta (pl.!) = pandectae Gesamtdarstellung des ius civile oder ius honorarium<br />

diligens pater familias ordentlicher Hausvater<br />

diligentia Sorgfalt<br />

diligentia quam in suis die Sorgfalt, die jemand in eigenen<br />

(rebus adhibere solet) (Angelegenheiten an<strong>zu</strong>wenden pflegt)<br />

dolus Arglist<br />

dominus Herr<br />

donare schenken<br />

dos Heiratsgut, Mitgift von seiten der Ehefrau für den Ehemann<br />

edictum öffentliche Bekanntmachung<br />

emancipatio Entlassung aus der väterlichen Gewalt (manus - Hand; väterliche Gewalt)<br />

émere, emptio venditio kaufen, Kaufvertrag<br />

evíctio erfolgreiche Herausgabeklage<br />

exceptio Einrede, Einwendung<br />

fideicommissum letztwillige Zuwendung in Form einer Bitte<br />

fideiussio Bürgschaftsstipulation: Bürge nimmt Hauptverpflichtung auf seine Treue<br />

fides Vertrauen, Redlichkeit, Treue<br />

fiducia Vertrauen, Redlichkeit, Treue, Treuhandgeschäft<br />

fiscus Steuerstaat<br />

fraus, -dis (f.) betrügerisches Verhalten<br />

fraus legi facta Gesetzesumgehung<br />

fur Dieb<br />

furiosus Geisteskranker<br />

gens, -tis Sippe, Volk (ius gentium = Völkerrecht)<br />

genus Gattung<br />

heres Erbe<br />

hypotheca Pfand (meistens besitzlos)<br />

impubes unmündig (vor 12. bzw. 14. Jahr bzw. Geschlechtsreife bzw. unter Tutor)<br />

infans Kind unter 7 Jahren<br />

iniuria Unrecht<br />

institor Geschäftsführer<br />

institutiones Einrichtungen; Rechtseinrichtungen<br />

(jurist. Lehrbuch; 1. Teil des Corpus Iuris Justinians)<br />

intentio Anspruchsumschreibung in der Klagformel<br />

intercessio Dazwischentreten:<br />

Sicherungsgeschäft (z.B.einer Frau); Veto eines Beamten oder Volkstribunen<br />

interesse wörtl.: „dazwischen sein“, Differenz, Vermögensinteresse, Schadenersatz<br />

ignorantia Unwissenheit<br />

iubére anordnen, ermächtigen<br />

iudex Richter<br />

iuris dictio Gerichtsbarkeit<br />

ius das Recht<br />

legatum Vermächtnis<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

246


lex Gesetz<br />

liber frei; Kind<br />

locatio conductio Vermietung, Dienstvertrag, Werkvertrag<br />

magistratus Amtsinhaber<br />

mala fides böser Glaube, Unredlichkeit<br />

mancipare in bestimmter förmlicher Form übereignen<br />

mandatum Auftrag<br />

maritus Ehemann<br />

matrimonium Ehe<br />

minor kleiner; Minderjähriger zwischen pubertas und 25 Jahren mit Curator<br />

mora Ver<strong>zu</strong>g<br />

natio Volksstamm, Abstammung<br />

naturalis obligatio natürliche Verbindlichkeit<br />

neglegentia Fahrlässigkeit<br />

negotiorum gestio Geschäftsführung (ohne Auftrag)<br />

negotium Angelegenheit, Geschäft, Rechtsgeschäft<br />

nomen Namen; Forderungsrecht<br />

non liquet „Die Sache ist nicht klar“, der Richter kann deshalb nicht entscheiden.<br />

novatio Novation, Schuldumschaffung<br />

Novellae leges (fem., plural.) die neuen Gesetze (4. Teil des Corpus Iuris civilis)<br />

noxa, noxia Schadenshandlung, Schaden, Schadenersatz<br />

(insbes. durch Gewaltunterworfene)<br />

obligatio Verbindlichkeit<br />

officium Pflicht, Amtspflicht<br />

opera Dienstleistung, Arbeit<br />

opinio Meinung<br />

oportére müssen, notwendig sein<br />

opus (Bau-)-Werk, Arbeit<br />

pactum, pacta Vertrag, Verträge<br />

pater familias Hausvater<br />

pax Friede<br />

peculium Sondervermögen für Haussohn oder Sklaven<br />

pétere bitten, verlangen, einklagen<br />

pignus (Faust-)-Pfand<br />

placet es gefällt<br />

plebiscitum Volksbeschluss<br />

plebs, -bis (f.) Volk (ohne die Patrizier)<br />

poena Strafe<br />

populus Staatsvolk (mit Patriziern und Plebejern)<br />

possessio Besitz<br />

postuláre verlangen (insbesondere im Klageweg)<br />

praeses oberster Provinzstatthalter; daher: Präsident<br />

praesumptio Vermutung<br />

princeps der erste, angesehenste; Kaiser<br />

privilegium Vorrecht<br />

procurator Vermögensverwalter, Prozessvertreter<br />

promíttere versprechen<br />

proprietas Eigentum<br />

provocare hervorrufen, aufrufen; aufreizen; Berufung einlegen<br />

pubes mündig (über 12 bzw 14 Jahre bzw Geschlechtsreife, da<strong>zu</strong> curator)<br />

publicus, -a, -um öffentlich<br />

30. September 2011<br />

247


pupillus Unmündiger (unter 12 bzw 14 Jahren bzw Geschlechtsreife, da<strong>zu</strong> tutor)<br />

rei vindicatio Herausgabeklage (ähnlich § 985)<br />

replicatio Erwiderung auf eine Klage oder eine Einrede<br />

res publica öffentliche Angelegenheit; Staat (daher: Republik)<br />

restitutio in integrum Aufhebung einer Rechtsfolge, Wiedereinset<strong>zu</strong>ng in den vorigen Stand<br />

reus Angeklagter, Gläubiger oder Schuldner<br />

retentio Zurückbehaltung<br />

sacer heilig<br />

sententia Meinung, Urteilsspruch<br />

sequester Verwalter<br />

servitus Sklaverei; Dienstbarkeit<br />

societas Gesellschaft<br />

solutio, solvere Erfüllung, erfüllen<br />

species Stück<br />

stipulári sich in einer bestimmten Form versprechen lassen<br />

talio Vergeltung einer Rechtsverlet<strong>zu</strong>ng durch ein gleichartiges Übel<br />

tutor Vormund<br />

usus Gebrauch, fortgesetzte Ausübung eines Rechts<br />

utilis nützlich;erfolgreich in einem Verfahren<br />

uxor Ehefrau<br />

veto ich verbiete<br />

vindicare als Eigentümer eine Sache herausverlangen<br />

vis Gewalt.<br />

voluntas Wille<br />

votum Gelöbnis; heute: Stimmabgabe<br />

KAPITEL 2. RECHTSMAXIMEN<br />

Accessio cedit principali. Wesentlicher Bestandteil und Zubehör teilen das Schicksal der Hauptsache.<br />

Actor sequitur forum rei. Der Kläger begibt sich <strong>zu</strong>m Gerichtsstand des Beklagten.<br />

Autoritas, non veritas facit legem. Die Staatsgewalt, nicht die Richtigkeit macht das Gesetz (Th. Hobbes, Leviathan).<br />

Caveat emptor. Der Käufer muss sich vorsehen (anglo-amerikanisches Recht).<br />

Cessante ratione legis, cessat lex ipsa. Fällt der Grund eines Gesetzes weg, erlischt auch das Gesetz selbst.<br />

Confessus pro iudicato habetur. Wer anerkannt hat, gilt als verurteilt (vgl. § 307 ZPO).<br />

Contra vim non valet ius. Gegen Gewalt ist das Recht machtlos.<br />

Conventio est lex. Vertrag wirkt wie ein Gesetz.<br />

Dies interpellat pro homine. Termin (der Fälligkeit) wirkt wie Mahnung des Gläubigers.<br />

Fur semper in mora. Der Dieb haftet immer wie ein Schuldner im Ver<strong>zu</strong>g.<br />

In pari turpitudine Bei Sittenwidrigkeit beider Parteien<br />

melior est causa possidentis. ist die Rechtslage der besitzenden Partei die bessere.<br />

Lex iubeat, non disputet. Ein Gesetz soll anordnen, und nicht erörtern.<br />

Lex moneat, non doceat. Ein Gesetz soll anweisen und nicht belehren.<br />

Lex posterior derogat priori. Das spätere Gesetz hebt das frühere auf.<br />

Lex specialis derogat legi generali. Dasspezielle Gesetz hebt das allgemeinere auf.<br />

Magna culpa dolus est. Grobe Fahrlässigkeit gilt als Vorsatz.<br />

Maior dividat, minor eligat. Der Ältere teilt, der Jüngere wählt – bei Gemeinschaftsteilungen.<br />

Malitiis non estindulgendum. Schikanen müssen nicht hingenommen werden.<br />

Nemo iudex in sua causa. Niemand darf Richter in eigener Sache sein.<br />

Nemo liberalis nisi liberatus. Keiner kann freigiebig sein, wenn er nicht schuldenfrei ist.<br />

Nemo plus iuris ad alium transferre Niemand kann mehr an Recht übertragen, als er selbst hat.<br />

potest, quam ipse haberet.<br />

Nemo tenetur se ipsum accusare. Niemand ist verpflichtet, sich selbst an<strong>zu</strong>klagen.<br />

Nemo testis in propria causa. Niemand kann Zeuge in eigener Sache sein.<br />

Prior tempore, potior iure. Zeitlich früher – rechtlich besser („Wer <strong>zu</strong>erst kommt, mahlt <strong>zu</strong>erst“).<br />

Protestatio facto contraria non valet. Eine Rechtserklärung im Widerspruch <strong>zu</strong>m eigenen Handeln gilt nicht.<br />

Qui habet commoda, ferre debet onera. Wer die Vorteile hat muss auch die Lasten tragen.<br />

Quod omnes tangit, Was alle betrifft,<br />

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248


debet ab omnibus approbari. muss von allen gebilligt werden.<br />

Res ipsa loquitur. Die Sache spricht für sich.<br />

Unus testis, nullus testis. Ein Zeuge ist kein Zeuge = Eines Mannes Rede ist keines Mannes Rede.<br />

Utile per inutilem non vitiatur. Das Gültige wird durch Ungültiges nicht beeinträchtigt, § 306 I n. F.; Anders § 139.<br />

Vox populi, vox Dei. Volkes Stimme ist Gottes Stimme.<br />

(D. Liebs, Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, 1. Aufl., München 1982. „Rechtsregeln“ auch bei<br />

Kaser-Knütel, Röm. Privatrecht, Kurzlehrbuch, 17. Aufl., 2003, im „Anhang“. Viele weitere Rechtsmaximen bereits<br />

im vorangehenden Text des Skriptums 641<br />

).<br />

KAPITEL 3. KLEINES WÖRTERBUCH ZUM ALLGEMEINEN VERSTÄNDNIS<br />

Die folgenden Vokabeln wurden gesammelt, damit Sie ein paar, meistens untechnische, Wörter sehen, die in den<br />

lateinischen Texten immer wieder auftauchen.<br />

ab von, aus<br />

abesse abwesend sein<br />

ac und, auch; als<br />

accípere empfangen<br />

ad in Richtung auf, hin, <strong>zu</strong>, bei<br />

adesse gegenwärtig sein<br />

adhibére anwenden<br />

admíttere <strong>zu</strong> etwas <strong>zu</strong>lassen<br />

aes Erz; Kupfergeld, Geld<br />

ager Acker, Landgut<br />

adquírere erwerben<br />

adversus gegen; entgegengesetzt<br />

aedes Gebäude, Tempel<br />

ait (er) sagt<br />

alienare veräußern, entfernen<br />

alienus fremd, einem anderen gehörend<br />

aliquis irgendeiner<br />

aliud anders, ein anderer Gegenstand<br />

amicus Freund<br />

amittere verlieren<br />

an ob; oder<br />

annus Jahr<br />

ante vor(-her)<br />

apud bei<br />

aqua Wasser<br />

argentum Silber<br />

as Kupfermünze<br />

atque und<br />

audire hören<br />

aut oder<br />

autem jedoch, aber<br />

bellum Kireg<br />

bonus gut<br />

cápere nehmen, erwerben<br />

centum hundert<br />

641<br />

Weitere Nachweise FS. A. Wacke, 2001, Lit.-Verz.<br />

30. September 2011<br />

249


certus, -a, -um sicher<br />

ceterus der andere, übrige<br />

circa um, neben, in Be<strong>zu</strong>g auf, gegen<br />

communis allgemein, gemeinsam<br />

contra gegen<br />

crédere glauben<br />

cum mit<br />

cum wenn, weil, während, obgleich<br />

dáre geben<br />

de in Be<strong>zu</strong>g auf; von<br />

decem zehn<br />

deus Gott<br />

dícere sagen<br />

dies Tag, Termin<br />

domus Haus<br />

duo zwei<br />

donec solange bis<br />

dubitare zweifeln<br />

dúcere führen<br />

ego ich<br />

epistula Brief<br />

erat (er) war<br />

est ist<br />

esse sein (Infinitiv)<br />

et und<br />

etiam auch<br />

ex, e aus<br />

exemplum Beispiel<br />

existimare meinen, glauben<br />

fácere machen, tun<br />

filius Sohn<br />

frater Bruder<br />

fúndus Grundstück, Landgut<br />

habére haben<br />

hic dieser; hier<br />

ibi dort<br />

idem derselbe, dasselbe<br />

ideo deshalb<br />

ignoráre nicht wissen<br />

immo sogar<br />

inde von daher<br />

infra unten<br />

intra innerhalb<br />

invicem gegenseitig<br />

invitus nicht wollend, gegen oder ohne Willen des anderen<br />

ipse selbst<br />

ire gehen<br />

is er, derjenige<br />

ita so<br />

locus Ort<br />

loqui sprechen<br />

magis mehr, vielmehr,<br />

magnus groß<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

250


male, malus schlecht<br />

manus Hand<br />

mens Verstand, Absicht, Sinn<br />

metus Furcht<br />

meus mein<br />

mihi mir (= Dativ <strong>zu</strong> ego)<br />

míttere schicken<br />

mos (pl.: mores) Gewohnheit, Sitte<br />

mulier Frau<br />

nam denn<br />

ne damit nicht<br />

nec, neque nicht; und nicht, auch nicht, nicht einmal<br />

nemo niemand<br />

nihil nichts<br />

nisi wenn nicht<br />

nobis uns (Dativ)<br />

nondum noch nicht<br />

noster unser<br />

novus neu<br />

nullus kein, keiner; nichtig<br />

nummus Geldstück<br />

numquam niemals<br />

ob wegen<br />

omnis jeder, alle<br />

pars Teil<br />

pater Vater<br />

pecunia Geld<br />

per durch (Präposition)<br />

periculum Gefahr<br />

perinde ebenso<br />

pertinére sich erstrecken, beziehen auf, gehören <strong>zu</strong><br />

placére gefallen, genehm sein<br />

plerumque meistens<br />

pónere setzen, stellen, legen<br />

posse können<br />

post nach<br />

praeter außer, ausgenommen<br />

pretium Preis<br />

prior früher, vorhergehend<br />

pro für<br />

quáerere suchen, erwerben, fragen<br />

quam als, wie<br />

quamdiu solange wie<br />

quamvis obgleich<br />

quasi gleichsam<br />

quid was<br />

quidam ein gewisser<br />

quis wer<br />

quod was; dass; weil<br />

quoque auch<br />

res Sache, Gegenstand<br />

30. September 2011<br />

251


saepe oft<br />

scríbere schreiben<br />

sed aber<br />

servus Sklave<br />

si wenn<br />

sibi für sich selbst (Dativ)<br />

sine ohne<br />

sub unter<br />

supra oben<br />

suus sein<br />

teneri haften (wörtlich: gehalten sein)<br />

tibi dir (= Dativ <strong>zu</strong> tu)<br />

tres drei<br />

tu du<br />

tunc damals<br />

ubi wo<br />

unde woher<br />

unus ein<br />

ut so wie (Adverb)<br />

ut dass, damit (Konjunktion)<br />

vel oder<br />

véndere verkaufen<br />

veníre kommen<br />

veníre verkauft werden<br />

vir Mann<br />

vita Leben<br />

KAPITEL 4. HEUTE GEBRÄUCHLICHE AUSDRÜCKE<br />

abstrakt losgelöst<br />

Analogie Übertragung der Rechtsfolge eines geregelten Tatbestandes auf<br />

einen mit diesem wertungsgleichen, aber ungeregelten Tatbestand<br />

Anarchie Herrschaftslosigkeit<br />

Aristokratie Adelsherrschaft<br />

Asyl Freistatt<br />

Autarkie wirtschaftliche Unabhängigkeit<br />

Autonomie Unabhängigkeit<br />

Akzessorietät Abhängigkeit der Wirksamkeit eines Sicherungsrechts (z. B. Bürgschaft<br />

oder Pfandrecht) von der Wirksamkeit der gesicherten Forderung<br />

alter ego das zweite Ich (z. B. ein Stellvertreter)<br />

ad incertam personam an eine unbestimmte Person (gerichtet)<br />

argumentum e contrario Umkehrschluss<br />

argumentum e maiore Folgerung vom Größeren<br />

ad minus auf das Kleinere<br />

argumentum e minore Folgerung vom Kleineren<br />

ad maius auf das Größere<br />

argumentum e contrario Folgerung auf das Gegenteil, Umkehrschluß<br />

Autonomie wörtl.: Selbstgesetzgebung<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

252


ellum iustum, iniustum der gerechte, der ungerechte Krieg<br />

bellum omnium contra omnes Krieg aller gegen alle (Th. Hobbes)<br />

Blankettnorm Bestimmung, die allein die Rechtsfolge festlegt,<br />

aber für die Vorausset<strong>zu</strong>ngen auf eine andere Bestimmung verweist<br />

(wichtig §§ 134, 823 II, 903 BGB)<br />

casus belli Kriegsanlaß, Kriegsfall<br />

classis Volksabteilung, Flottenabteilung<br />

ceteris paribus unter sonst gleichen Umständen („das übrige gleichbleibend“)<br />

clausula rebus sic stantibus Vorbehalt Geichbleibens der Verhältnisse,<br />

andernfalls Wegfall der Geschäftsgrundlage<br />

collega Amtsgenosse<br />

communis opinio allgemeine Meinung<br />

contra legem im Widerspruch <strong>zu</strong>m (gesetzten) Recht<br />

Cui bono? Wem kommt es <strong>zu</strong>gute?<br />

culpa in contrahendo Verschulden beim Vertragsschließen (R. von Ihering)<br />

culpa in eligendo Auswahlverschulden<br />

cum laude mit Lob<br />

curriculum (vitae) Laufbahn (Lebenslauf)<br />

de facto tatsächlich<br />

Definition Begriffsbestimmung<br />

Deduktion (logische) Ableitung (des Besonderen vom Allgemeinen)<br />

de iure von Rechts wegen, rechtlich<br />

deklaratorisch klarstellend, bestätigend (dagegen: konstitutiv)<br />

derivativ abgeleitet (z. B. Besitz- oder Eigentumserwerb) (dagegen: originär)<br />

doctor Lehrer, Exerziermeister<br />

do, ut des Ich gebe, damit du gibst; Leistung und Gegenleistung<br />

Dozent Lehrender (docére – lehren)<br />

Exkulpation Entschuldigung (culpa - die Schuld)<br />

Fiktion Annahme eines Umstandes als wahr, der in Wahrheit nicht gegeben sein kann<br />

Glosse (wissenschaftliche) Erklärung, Anmerkung<br />

inter omnes zwischen allen Personen, für und gegen jedermann<br />

inter partes nur zwischen den Vertrags- oder Prozessparteien<br />

iuris dictio Gerichtsbarkeit<br />

ius cogens zwingendes Recht; nicht änderbar durch Rechtsgeschäft<br />

ius dispositivum nachgiebiges Recht (Gegensatz: i. cogens)<br />

kausal ursächlich; abhängig von einer Ursache (s. causa)<br />

konstitutiv rechtsbegründend (dagegen: deklaratorisch)<br />

lege artis nach den Regeln der Kunst<br />

lucrum cessans entgehender Gewinn (vgl. § 252 BGB)<br />

magister legum Meister der Gesetze<br />

magna cum laude mit großem Lob<br />

mare liberum das freie Meer<br />

modus vivendi die Art des Zusammenlebens<br />

Moratorium Zahlungsaufschub<br />

nasciturus derjeniger, der geboren werden wird, die Leibesfrucht<br />

nervus rerum der Nerv der Dinge, oft das Geld<br />

nolens volens (halb) nicht wollend, (halb) wollend<br />

non liquet es ist unklar<br />

obiter dictum nebenher gesagt; Nebenbemerkung in einem Urteil<br />

30. September 2011<br />

253


occasio legis Anlass für ein Gesetz (anders: ratio legis)<br />

originär ursprünglich<br />

p., pagina Seite<br />

Parentel Verwandte, die von derselben Person abstammen<br />

pars pro toto ein Teil für das Ganze; Beispiel<br />

passim überall<br />

pax Friede<br />

petitio principii Zirkelschluß<br />

positives Recht schriftlich niedergelegtes (positus), geltendes Recht<br />

Präambel Gesetzesvorspruch<br />

praeter legem neben dem (gesetzten) Recht<br />

privilegium Vorrecht<br />

professor Lehrer der artes liberales, Philosoph, Jurist<br />

provocare hervorrufen, aufrufen; aufreizen; Berufung einlegen<br />

pro domo für das eigene Haus, d. h. im eigenen Interesse argumentieren<br />

quaestio - facti, iuris Frage, Untersuchung - über eine Tatsache, über das Recht<br />

Quid iuris? Was ist rechtens?<br />

Quod erat demonstrandum. Was <strong>zu</strong> beweisen war.<br />

ratio legis Grund, Zweck des Gesetzes (anders: occasio legis)<br />

Regreß Zurückgehen, Rückgriff<br />

reservatio mentalis geheimer Vorbehalt (§ 116 BGB)<br />

Rezeption Übernahme des römischen Rechts im Mittelalter (recípere = empfangen)<br />

Sanktion Weihe; Bestätigung eines Beschlusses; Bestimmung über Rechtsfolgen<br />

sedes materiae Sitz des Gegenstandes, Gesetzesstelle<br />

sine ira et studio ohne Zorn und Eifer, unparteiisch<br />

species Stück<br />

subsidiär hilfsweise, nachrangig<br />

Subsumtion Unterordnung eines konkreten Sachverhalts (Untersatz)<br />

unter eine abstrakte Norm (Obersatz)<br />

Sukzession Nachfolge<br />

Surrogat stellvertretender Gegenstand<br />

suspensiv aufschiebend (Bedingung)<br />

uno actu durch einen einzigen Vorgang<br />

universitas Gesamtheit von Personen oder Gegenständen<br />

venire contra factum Das Angehen gegen eigenes Verhalten<br />

proprium (nemini licet) (= widersprüchliches Verhalten) ist niemandem gestattet.<br />

veto ich verbiete<br />

votum Gelöbnis; heute: Stimmabgabe<br />

Insbesondere nach: Civis Romanus (d. h. Klaus Adomeit), Latein für Jurastudenten, <strong>Berlin</strong> 1997;<br />

G. Köbler, Juristisches Wörterbuch, 7. Aufl., München 1995.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

254


18. TEIL<br />

LITERATUR<br />

Vorbemerkung<br />

Auch hierfür wird in erster Linie auf die Materialien <strong>zu</strong>r Vorlesung Rechtsgeschichte für 1. und 2. Semester<br />

verwiesen.<br />

KAPITEL 1. EINFACHSTER „EINSTIEG“ UND EINFACHSTE WIEDERHOLUNG<br />

M. Benke, F.-S. Meissel, Übungsbuch <strong>zu</strong>m römischen Sachenrecht, 6. Aufl., Wien 1999<br />

Dies., Schuldrecht, 5. Aufl., Wien 2000<br />

Civis Romanus (d. h. <strong>Prof</strong>. Adomeit, FU), Latein für Jurastudenten, 3. Aufl., <strong>Berlin</strong> 2001<br />

R. Lieberwirth, Lateinische Fachausdrücke im Recht, Heidelberg 1986<br />

KAPITEL 2. STUDIENLITERATUR<br />

1. Quelle<br />

Corpus Iuris Civilis, Editio stereotypa, 3 Bde. (Nachdruck).<br />

2. Überset<strong>zu</strong>ngen (<strong>zu</strong>m Teil in Auszügen)<br />

O. Behrends, R. Knütel, B. Kupisch, H. H. Seiler, Corpus Iuris Civilis, Text und Überset<strong>zu</strong>ng, Bd. 1,<br />

Institutionen, 2. Aufl., Heidelberg 1997, utb Heidelberg 1999<br />

Dies., Band 2, Digesten 1 - 10, Heidelberg 1995; Bd. 3, Digesten 11 - 20, Heidelberg 1999<br />

R. Düll, Corpus Iuris, 2. Aufl., München 1960<br />

R. Düll, Das Zwölftafelgesetz, 4. Aufl., München 1971<br />

Exempla Iuris Romani, hrsg., übersetzt und erläutert von M. Fuhrmann und D. Liebs, München 1988<br />

G. Härtel und F.-M. Kaufmann, Codex Iustinianus, Leipzig 1991 (Auswahl)<br />

L. Huchthausen, G. Härtel, Römisches Recht in einem Band, <strong>Berlin</strong> und Weimar 1991<br />

J. Lammeyer, Die Institutionen des Gaius, Paderborn 1929<br />

Otto, Schilling, Sintenis, Das Corpus Iuris Civilis ins Deutsche übersetzt, 7 Bde., Leipzig 1831 ff. (Nachdruck;<br />

vollständig)<br />

E. Scharr, Römisches Privatrecht, Zürich u. a. 1960<br />

(weitere s. Nachweise bei: Musterexegesen, Fälle mit Überset<strong>zu</strong>ngen).<br />

3. Römisches Privatrecht<br />

P. Apathy, G. Klingenberg, H. Stiegler, Einführung in das Römische Recht, 2. Aufl., Wien u. a. 1998<br />

A. Bürge, Römisches Privatrecht, Wiss. Buchgesellschaft Darmstadt 1999<br />

F. Ebel, G. Thielmann, Rechtsgeschichte, 3. Aufl., Heidelberg 2003<br />

(wichtig auch für die Rechtsentwicklung in Rom, einschl. Prozessrecht, beide Autoren FU)<br />

H. Hausmaninger, W. Selb, Römisches Privatrecht, 8. Aufl., Wien 1997<br />

H. Honsell, Römisches Recht, 5. Aufl., <strong>Berlin</strong> u. a. 2002<br />

M. Kaser, Das Römische Privatrecht, 2 Bde., 2. Aufl., München 1971 und 1975,<br />

(vor allem Band 1)<br />

M. Kaser, R. Knütel, Römisches Privatrecht, Studienbuch, 17. Aufl., München 2003<br />

(Kurzlehrbuch, sehr empfehlenswert)<br />

D. Liebs, Römisches Recht, Göttingen 1975 (utb 465)<br />

Th. Mayer-Maly, Römisches Recht, 2. Aufl., Wien u. a. 1999.<br />

30. September 2011<br />

255


U. Wesel, Geschichte des Rechts, München 1997 (verbilligt mit Hörerschein für FU-Studierende).<br />

4. Römische Rechtsgeschichte<br />

M. Bretone, Geschichte des römischen Rechts, München 1992<br />

Dulckeit/Schwarz/Waldstein, Römische Rechtsgeschichte, 9. Aufl., 1995<br />

M. Kaser, Römische Rechtsgeschichte, 2. Aufl., Göttingen 1967<br />

W. Kunkel, Schermaier, Römische Rechtsgeschichte, 13. Aufl., 2001<br />

U. Manthe, Geschichte des Römischen Rechts (= Wissen in der Beck’schen Reihe 2132), C. H. Beck, München<br />

2000<br />

F. Schulz, Prinzipien des römischen Rechts, <strong>Berlin</strong> 1934, Nachdruck<br />

P. G. Stein, Römisches Recht und Europa, Frankfurt a. M. 1996 (Fischer-TB).<br />

5. Sonstige<br />

D. Liebs, Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, 4. Aufl., München 1991<br />

(auch: Wiss. Buchgesellschaft).<br />

KAPITEL 3. FORSCHUNGSLITERATUR<br />

1a. Quellen, gedruckt<br />

P.Krüger, Th. Mommsen, R. Schoell, G. Kroll, Corpus iuris civilis, Bde. 1-3<br />

("Große", d.h. textkritische Ausgaben der Digesten von Mommsen,<br />

Codex von Krüger, Authentica von Heimbach).<br />

C. G.Bruns, O. Gradenwitz, Fontes iuris Romani antiqui, 2 Bde., 7. Aufl. 1909<br />

C. G. E. Heimbach, Basilicorum libri LX, 6 Bde. und 2 Supplementa, 1833-1897<br />

O. Lenel, Das Edictum Perpetuum, 3. Aufl., 1927<br />

O. Lenel, Palingenesia iuris civilis, 2 Bde., Leipzig 1889<br />

Th. Mommsen, P. M. Meyer, Theodosiani libri XVI, Vol. I 1,2 und II, 1905 (Neudruck 1970)<br />

S. Riccobono u.a., Fontes iuris Romani anteiustiniani (FIRA), 3 Bde., Neudruck 1968 und 1969<br />

Roman Statutes I/II, herausgegeben von M. H. Crawford, London 1996<br />

H. J. Scheltema u.a., Basilicorum libri LX, da<strong>zu</strong> Scholia, 1953 ff.<br />

1b. Quellen, im Internet (2002)<br />

P.Krüger, Th. Mommsen, R. Schoell, G. Kroll, Corpus iuris civilis, Bd<br />

http://www.umt.edu/lawinsider/library/classics/<br />

Digesten (11 MB!):<br />

http://www.umt.edu/lawinsider/library/classics/digestSept4word.doc<br />

Institutionen des Justinian:<br />

http://www.umt.edu/lawinsider/library/classics/inst-justAug20.doc<br />

Institutionen des Gaius:<br />

http://www.umt.edu/lawinsider/library/classics/inst-gaiJuly20I.doc<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

256


2. Überset<strong>zu</strong>ngen (z. T. in Auswahl)<br />

(außer den oben genannten)<br />

Johnson, Coleman-Norton, Bourne, Ancient Roman Statutes, Austin 1961<br />

D. Flach, Die Gesetze der römischen Republik, Darmstadt 1994<br />

C. Pharr, The Theodosian Code, Princeton 1952<br />

J. E. Spruit und K. E. M. Bongenaar, Het erfdeel van de klassieke romeinse juristen,<br />

Gaius en Paulus, Zutphen 1984<br />

Ulpianus, Papinianus, 1986<br />

Fragmenta Vaticana etc., 1987<br />

Roman Statutes I/II, herausgegeben von M. H. Crawford, Inst. of Classical Studies, London 1996<br />

A. Watson u.a., The Digest of Justinian, Philadelpia 1985.<br />

3. Privatrecht<br />

P. Jörs, W. Kunkel, L. Wenger, Römisches Privatrecht, 4. Aufl., bearbeitet von H. Honsell, Th. Mayer-Maly, W.<br />

Selb, 1987<br />

F. Schulz, Classical Roman Law, Oxford, 1951<br />

4. Geschichte der Rechtsquellen<br />

Th. Kipp, Geschichte der Quellen des römischen Rechts, 1919<br />

P. Krüger, Geschichte der Quellen und Literatur des römischen Rechts, 2. Aufl., 1912<br />

L. Wenger, Die Quellen des römischen Rechts, Wien 1953<br />

F. Wieacker, Textstufen klassischer Juristen, Göttingen 1960.<br />

5. Rechtsgeschichte<br />

(teilweise einschl. Privatrecht, Staatsrecht, Quellenkunde)<br />

J. Gaudemet, Institutions de l'Antiquité, 1967<br />

R. v. Jhering, Der Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, 3 Bde., 5. Aufl.<br />

1891, seitdem Neudrucke<br />

W. Kunkel, Herkunft und soziale Stellung der römischen Juristen, 2. Aufl., Weimar 1967<br />

U. v. Lübtow, Das römische Volk, sein Staat und sein Recht, 1955<br />

P. Pieler, Byzantinische Rechtsliteratur, in: H. Hunger, Die hochsprachliche und profane Literatur der<br />

Byzantiner (Handbuch der Altertumswiss. XII, 5), Bd.2, 1978, S. 341-480<br />

F. Schulz, Geschichte der römischen Rechtswissenschaft, Weimar 1961<br />

F. Schulz, History of Roman Legal Science, 2. Aufl., Oxford 1953<br />

F. Wieacker, Römische Rechtsgeschichte, 1. Abschnitt, München 1988.<br />

6. Staatsrecht<br />

J. Bleicken, Die Verfassung der römischen Republik (UTB 460), 4.Aufl., 1985<br />

J. Bleicken, Verfassungs- und Sozialgeschichte des Römischen Kaiserreiches, 2 Bde., 2. Aufl., 1981<br />

W. Kunkel, Staatsrecht, München 1995<br />

F. De Martino, Storia della costituzione romana, 6 Bde., 2.Aufl., 1971 ff.<br />

Th. Mommsen, Römisches Staatsrecht, 3 Bde., Neudr. 1963<br />

E. Meyer, Römischer Staat und Staatsgedanke, 4. Aufl., 1975<br />

J. M. Rainer, Einführung in das römische Staatsrecht, Darmstadt 1997<br />

H. Siber, Römisches Verfassungsrecht, Schauenburg 1952.<br />

7. Strafrecht<br />

R. A. Baumann, Crime and Punishment in Ancient Rome, London – New York 1996<br />

J. Bleicken, Senatsgericht und Kaisergericht, Göttingen, 1962<br />

W. Kunkel, Untersuchungen <strong>zu</strong>r Entwicklung des röm. Kriminalverfahrens in vorsullanischer Zeit, München<br />

1962<br />

30. September 2011<br />

257


Th. Mommsen, Römisches Strafrecht, 1899<br />

B. Santalucia, Verbrechen und ihre Verfolgung im antiken Rom, Lecce 1997<br />

8. Zivilprozess<br />

M. Kaser, K. Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 2. Aufl., München 1996 (Standardwerk).<br />

9. Wörterbücher und Nachschlagewerke<br />

C. Andresen u. a., dtv-Lexikon der Antike, 5 Bde., 2. Aufl., München 1970<br />

A. Berger, Encyclopedic Dictionary of Roman Law, Philadelphia 1953<br />

G. Broggini, Index Interpolationum quae in Iustiniani Codice inesse dicuntur, 1969<br />

H. G. Heumann, E. Seckel, Handlexikon <strong>zu</strong> den Quellen des römischen Rechts, 9. Aufl., 1907, Neudrucke seit<br />

1926<br />

Der Kleine Pauly, Lexikon der Antike auf der Grundlage von Pauly's Realencyclopädie, 5 Bde., 1964 ff. (auch<br />

als DTV-Taschenbuch)<br />

E. Levy, E. Rabel, Index Interpolationum quae in Iustiniani Digestis inesse dicuntur, 3 Bde. und Suppl., 1929 -<br />

1935<br />

Der Neue Pauly, seit 1996 im Erscheinen.<br />

H. Nicolini, Indices Corporis Iuris Civilis, 3 Teile (Ius Romanum Medii Aevi, Subsidia I), Mailand 1964 ff.<br />

Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, neue Bearb. von G. Wissowa u.a., mit<br />

Supplementbänden; da<strong>zu</strong> div. Register (abgekürzt RE oder PW)<br />

G. Rotondi, Leges publicae populi Romani, 1912<br />

E. Sacher, Generalregister <strong>zu</strong> SZ Bde. 1-50 (1932); Fortset<strong>zu</strong>ngen für Bde. 51-75, 2 Bde. 1967 und 1970; für<br />

Bde. 75 - 100, 2 Bde. 1990<br />

Vocabularium Iurisprudentiae Romanae, 5 Bde., seit 1894 (abgekürzt VIR).<br />

10. Zeitschriften und Sammelwerke<br />

Temporini, H. (Hrsg.), Aufstieg und Niedergang der römischen Welt, Geschichte und Kultur Roms im Spiegel<br />

der neueren Forschung<br />

Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis, Revue d'histoire du droit, 1918 ff.<br />

Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, 3 Abteilungen. (abgekürzt: SZ; oder ZSS oder ZRG)<br />

div. Gesammelte Schriften, Festschriften, Tagungsbände etc.<br />

11. Privatleben<br />

L. Friedländer, Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms, 4 Bde., 10. Aufl., 1921-1923, Neudr. 1954.<br />

12. Frühgeschichte des Rechts, andere antike Rechte<br />

Entstehung und Wandel rechtlicher Traditionen, hrsgg. v. W. Fikentscher u.a., Freiburg i.Br. etc.1980<br />

R. Herzog, Staaten der Frühzeit, Ursprünge und Herrschaftsformen, München 1988<br />

W. Selb, Antike Rechte im Mittelmeerraum, Wien u. a. 1993<br />

U. Wesel, Frühformen des Rechts in vorstaatlichen Gesellschaften, Frankfurt a.M.1985f<br />

U. Wesel, Der Mythos vom Matriarchat, Frankfurt a.M. 1980.<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

258


KAPITEL 4. LERN- UND STUDIENLITERATUR MITTELALTER UND NEUZEIT<br />

1. Institutionengeschichte<br />

H. Hattenhauer, Grundbegriffe des Bürgerlichen Rechts, Historisch-dogmatische Einführung, München 1982.<br />

2. Lehrbücher <strong>zu</strong>r Einführung<br />

U. Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, München 1984<br />

H. Hattenhauer, Geistesgeschichtl. Grundlagen des deutschen Rechts, 3. Aufl., Heidelberg 1983<br />

K. Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte, 3 Bde., 1972 ff. (Taschenbücher)<br />

K. Kroeschell, Rechtsgeschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, Göttingen 1992 (Taschenbuch)<br />

A. Laufs, Rechtsentwicklungen in Deutschland, 5. Aufl., 1996<br />

R. Schröder, Rechtsgeschichte, 4. Aufl., Münster 1992 (am Lehrstuhl erhältlich).<br />

3. Privatrechtsgeschichte<br />

H. Schlosser, Grundzüge der Neueren Privatrechtsgeschichte, 9. Aufl., Heidelberg 2001 (utb)<br />

G. Wesenberg, G. Wesener, Neuere Deutsche Privatrechtsgeschichte, Wien etc. 1985.<br />

F. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl., Göttingen 1967<br />

4. Verfassungsgeschichte<br />

D. Grimm, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 1, Frankfurt a.M., 1988<br />

Informationen <strong>zu</strong>r politischen Bildung, hrsg. v. d. Bundeszentrale für politische Bildung, München / Bonn<br />

K. Kröger, Einführung in die jüngere deutsche Verfassungsgeschichte (1806 - 1933), München 1988 (JuS-<br />

Schriftenreihe)<br />

D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, München 1990 (Beck Kurzlehrbuch)<br />

R. Zippelius, Geschichte der Staatsideen, 6. A., München 1989<br />

R. Zippelius, Kleine deutsche Verfassungsgeschichte, München 1994 (Taschenbuch).<br />

5. Strafrechtsgeschichte<br />

H. Rüping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, München 1981<br />

6. Biographische Sammelwerke<br />

G. Kleinheyer, J. Schröder (Hrsg.), Deutsche und Europäische Juristen aus neun Jahrhunderten, 4. Aufl., Heidelberg<br />

1996<br />

Juristen. Ein biographisches Lexikon, überarbeitete Ausgabe, hrsg. v. M. Stolleis, (Becksche Reihe) München<br />

2001.<br />

7. Nachschlagewerke<br />

G. Köbler, Etymologisches Rechtswörterbuch, utb, Tübingen 1995, DM 24,80<br />

G. Köbler, Historisches Lexikon der deutschen Länder, 6. Aufl., München 1999 (WBG DM 78,-)<br />

G. Köbler, Lexikon der europäischen Rechtsgeschichte, München 1997<br />

G. Köbler, Juristisches Wörterbuch, 7. Aufl., München 1995.<br />

8. Aufsätze<br />

M. Kaser, Der römische Anteil am deutschen bürgerlichen Recht, JuS 1967, S. 337 ff.<br />

C. Krampe, Privatrecht, Staatslexikon, hrsg. Görres-Gesellschaft, Bd. 4, 7. Aufl., Freiburg u.a. 1988, S. 570<br />

H. Krause, Der deutschrechtliche Anteil an der heutigen Privatrechtsordnung, JuS 1970, S.313ff.<br />

M. Löwisch, G.-H. von Langsdorff, Gesetzgebung und Rechtsprechung <strong>zu</strong>m Wirtschafts-, Unternehmens- und<br />

Arbeitsrecht seit der Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund, JuS 1973, S. 9 - 15<br />

C. Paulus, Ein Plädoyer für unscheinbare Normen, JuS 1994, 367 ff.<br />

M. Stolleis, Vom Nutzen der Historie vor 1806, JuS 1989, S. 817 ff.<br />

D. Willoweit, Historische Grundlagen des Privatrechts, JuS 1977, S. 229 ff., 429 ff., 573 ff.<br />

30. September 2011<br />

259


R. Zimmermann, Das römisch-kanonische ius commune als Grundlage europäischer Rechtseinheit, JZ 1993, S.<br />

920.<br />

KAPITEL 5. WEITERFÜHRENDE LITERATUR MITTELALTER UND NEUZEIT<br />

Die meisten der hier beispielartig genannten Werke unterscheiden sich von denen im Kapitel "Studienliteratur"<br />

nicht durch schwerere Lesbarkeit, sondern durch größeren Umfang und deswegen höheren Preis. Einige der folgenden<br />

Bücher sind nur noch in Bibliotheken und Spezialantiquariaten auf<strong>zu</strong>finden. Fast alle verdienen die Lektüre<br />

jedenfalls einiger Teile.<br />

1. Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, Deutsche Rechtsgeschichte<br />

K. S. Bader, G. Dilcher, Deutsche Rechtsgeschichte, <strong>Berlin</strong> u. a. 1999<br />

H. Coing, Europäisches Privatrecht, 2 Bde., München 1985 und 1989<br />

H. Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, 2 Bde., Karlsruhe 1962 und 1966<br />

W. Friedmann, Recht und sozialer Wandel, Frankfurt a.M. 1969<br />

Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hrsg. v. H. Coing, München<br />

1973 ff.<br />

Handwörterbuch <strong>zu</strong>r deutschen Rechtsgeschichte, hrsg. v. A. Erler u.a., 1971 ff.<br />

H. Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, 2. Aufl., Heidelberg 1994<br />

P. Koschaker, Europa und das römische Recht, 4. Aufl., München 1966<br />

H. Lange, Römisches Recht im Mittelalter, Bd. I, Die Glossatoren, München 1997<br />

G. K. Schmelzeisen, Polizeiordnungen und Privatrecht, Münster 1955<br />

R. Zimmermann, The Law of Obligations, Roman Foundations of the Civilian Tradition, München 1993, 1241<br />

S., (verbilligte Studienausgabe, Oxford University Press).<br />

2. Quellen <strong>zu</strong>r Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte<br />

A. Buschmann, Kaiser und Reich, 2 Teile, 2. Aufl., Baden-Baden 1994<br />

G. Dürig, W. Rudolf, Texte <strong>zu</strong>r deutschen Verfassungsgeschichte, 2. Aufl. München 1979<br />

E. R. Huber, Dokumente <strong>zu</strong>r deutschen Verfassungsgeschichte, 5 Bde., Stuttgart 1961 ff.<br />

Deutsche Parteiprogramme, hrsg. v. W. Mommsen, 3. Aufl, München 1960<br />

Reich und Länder, Texte <strong>zu</strong>r deutschen Verfassungsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. v. H. Boldt,<br />

München 1987;<br />

Verhandlungen des Reichstags, seit 1868; des Deutschen Bundestages, des Deutschen Bundesrates<br />

D. Willoweit, U. Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, Rechtshistorische Texte, München 2003<br />

3. Lehr- und Handbücher <strong>zu</strong>r Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte<br />

E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, 8 Bde., Stuttgart u. a. 1957 ff.<br />

Deutsche Verwaltungsgeschichte, hrsg.v. K. G. A. Jeserich u.a., 6 Bde., Stuttgart 1983 - 1988<br />

M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, bisher 2 Bde., München 1988 und 1992.<br />

K.-H. Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, München 1994<br />

4. Völkerrechtsgeschichte<br />

5. Strafrechtsgeschichte<br />

Eberhard Schmidt, Einführung in die Geschichte der Strafrechtspflege, 3. Aufl., Göttingen 1965<br />

Th. Vormbaum (Hrsg.), Texte <strong>zu</strong>r Strafrechtstheorie der Neuzeit, 2 Bde., Baden-Baden 1993.<br />

A. Erler, Kirchenrecht, 5. Aufl. 1983<br />

6. Kanonisches Recht, Kirchenrecht<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

260


H. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, 5. Aufl. 1972<br />

E. Friedberg, Lehrbuch des katholischen und evangelischen Kirchenrechts, 6. Aufl. 1909, Neudruck 1965<br />

K. Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts, Bde. 1 ff., 11. A. 1964<br />

W. Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts, Bde 1 ff., 2. A. 1960 ff.<br />

7. Jüdisches Recht, Juristen jüdischer Herkunft<br />

Der Babylonische Talmud, von L. Goldschmidt, 9 Bde., Leipzig 1906 – Den Haag 1935; jetzt Neudruck<br />

F. Battenberg, Das europäische Zeitalter der Juden, 2 Teilbde., Darmstadt 1990<br />

Encyclopedia Judaica (englische Sprache), 16 Bde., Jerusalem 1972 f.<br />

Horst Göppinger, Juristen jüdischer Abstammung im „<strong>Dr</strong>itten Reich“, 2. Aufl., München 1990<br />

Lexikon des Judentums, hrsg. v. J. F. Oppenheimer 1967<br />

A.-M. von Lösch, Der nackte Geist, Die Juristische Fakultät der <strong>Berlin</strong>er <strong>Universität</strong> im Umbruch von 1933, Tübingen<br />

1999<br />

R. Salamander, Literatur <strong>zu</strong>m Judentum, München 1997 ff.<br />

8. Sozial- und Wirtschaftsgeschichte<br />

F.-W. Henning, Handbuch der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands, Bde. 1 ff., Paderborn u.a. 1991<br />

ff.<br />

F.-W. Henning, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 3 Bde., mehrere Aufl., utb, Paderborn u. a. 1974 ff.<br />

D. S. Landes, Der entfesselte Prometheus, Technologischer Wandel und industrielle Entwicklung in Westeuropa<br />

von 1750 bis <strong>zu</strong>r Gegenwart, Köln 1973<br />

D. S. Landes, Wohlstand und Armut der Nationen, Warum die einen reich und die anderen arm sind, <strong>Berlin</strong>er<br />

Taschenbuchverlag 2002 (Original 1998)<br />

H. Mottek, Wirtschaftsgeschichte Deutschlands, 3 Bde., 1977 ff.<br />

W. Treue, Gesellschaft, Wirtschaft und Technik Deutschlands im 19. Jahrhundert, 9. Auflage, dtv, München<br />

1989<br />

9. Biographische Sammelwerke<br />

Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, hrsg. v. Heinrichs u. a., München 1993<br />

Juristen im Porträt, Festschrift C. H. Beck, München 1988<br />

Klassiker des politischen Denkens, hrsg. v. H. Maier u. a., 2 Bde., 2. Aufl., München 1968<br />

G. Kleinheyer, J. Schröder (Hrsg.), Deutsche und europäische Juristen aus neun Jahrhundertne, 4. Aufl., utb,<br />

Heidelberg 1996<br />

H. Sinzheimer, Jüdische Klassiker der deutschen Rechtsgeschichte, Frankfurt/M 1953<br />

R. v. Stintzing, E. Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, 3 Abteilungen in 4 Bänden, München<br />

1880 - 1884 (Standardwerk)<br />

M. Stolleis (Hrsg.), Juristen, München 1995<br />

Streitbare Juristen, hrsg. v. Krit. Justiz, Th.Blanke u.a., Baden-Baden 1988<br />

Erik Wolf, Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte, 4. Aufl., Tübingen 1963.<br />

Außerdem wichtig: Biographisches Wörterbuch <strong>zu</strong>r deutschen Geschichte, Allgemeine Deutsche Biographie,<br />

Neue Deutsche Biographie, Geschichte in Gestalten, Die großen Deutschen, Bernhard Mann, Wilhelm Heinz<br />

Schröder, Schumacher, Max Schwarz.<br />

10. Nachschlagewerke<br />

W. Baumgart, Bücherverzeichnis <strong>zu</strong>r deutschen Geschichte, 10. Aufl., München 1992<br />

K. Fuchs, H. Raab, DTV-Wörterbuch <strong>zu</strong>r Geschichte, 2 Bde., 3. Aufl., München 1977<br />

Geschichtl. Grundbegriffe, Hist.Lexikon <strong>zu</strong>r politisch-sozialen Sprache, hrsg.v.O.Brunner u.a., Stuttgart 1972<br />

ff.;<br />

Hist. Wörterbuch der Philosophie, hrsg. v. J. Ritter, ca 10 Bde., Darmstadt 1971 ff.;<br />

Der große Ploetz, Aus<strong>zu</strong>g aus der Geschichte;<br />

30. September 2011<br />

261


R. Schmidt-Wiegand, Deutsche Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, München 1996<br />

Brockhaus, Meyer.<br />

Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte.<br />

Forum Historiae Iuris.<br />

11. Fachzeitschriften<br />

12. <strong>Berlin</strong>er Internet<br />

KAPITEL 6. GEMEINES RECHT, RÖMISCHES RECHT IM 19. JAHRHUNDERT<br />

L. Arndts, Lehrbuch der Pandekten, 13. Aufl. (besorgt von Pfaff und Hofmann), München 1886<br />

J. Baron, Pandekten, 8. Aufl., Leipzig 1893<br />

E. I. Bekker, System des heutigen Pandektenrechts, 2 Bde., 1886 und 1889<br />

A. Brinz, Lehrbuch der Pandekten, 3 Bde., 2. und 3. Aufl., Erlangen 1873 - 1884<br />

H. Dernburg, Pandekten, 3 Bde., 7. Aufl., 1902<br />

C. F. Glück, Ausführliche Erläuterungen der Pandekten, Erlangen 1790 - 1830<br />

G. Hugo, Lehrbuch des heutigen römischen Rechts, 7. Aufl., <strong>Berlin</strong> 1826<br />

F. L. von Keller, Pandekten (aus dem Nachlaß hersg. v. E. Friedberg), Leipzig l1861<br />

G. F. Puchta, Pandekten, 12. Aufl. (besorgt von Schirmer), Leipzig 1876<br />

F. Regelsberger, Pandekten, 1. Bd., Leipzig 1893<br />

F. C. von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, 8 Bde., <strong>Berlin</strong> 1840 - 1849<br />

C. F. Sintenis, Das praktische gemeine Zivilrecht, 3 Bde., 3. Aufl., Leipzig 1869<br />

A. F. J. Thibaut, System des Pandektenrechts, 2 Bde., 9. Aufl., Jena 1846<br />

K. A. von Vangerow, Lehrbuch der Pandekten, 3 Bde., 7. Aufl., Marburg 1863 - 1869<br />

B.Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, 3 Bde., 9.Aufl. (bearbeitet v.Th. Kipp), Frankfurt a.M.1906.<br />

Überblick über das im 19. Jahrhundert geltende Recht: W. Schubert, Die Vorlagen der Redaktoren für die erste<br />

Kommission <strong>zu</strong>r Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches, 15 Bände, <strong>Berlin</strong>, New York<br />

1981 ff.<br />

KAPITEL 7. QUELLEN UND LITERATUR ZUR ENTSTEHUNG DES BGB<br />

1. Materialien und zeitgenössische Stellungnahmen<br />

Denkschrift <strong>zu</strong>m Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs nebst drei Anlagen, <strong>Berlin</strong> 1896 (auch bei Mugdan)<br />

O. (von) Gierke, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs und das deutsche Recht, Leipzig 1889<br />

O. (von) Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, <strong>Berlin</strong> 1889<br />

Gutachten aus dem Anwaltsstande über die erste Lesung eines Bürgerlichen Gestzbuchs, <strong>Berlin</strong> 1890<br />

H. H. Jakobs und W. Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs in systematischer Zusammenstellung<br />

der unveröffentlichten Quellen, 14 Bände, <strong>Berlin</strong>, New York 1978 - 1989 (enthält im Wesentlichen Beratungen<br />

und Beschlüsse der 1. Kommission, der Vorkommission des Reichsjustizamtes, der 2. Kommission, des<br />

Bundesrates und der Reichstagskommission, soweit nicht an anderer Stelle veröffentlicht)<br />

G. Maas, Bibliographie der amtlichen Materialien <strong>zu</strong>m BGB, <strong>Berlin</strong> 1897<br />

G. Maas, Bibliographie des bürgerlichen Rechts 1888 - 1898, <strong>Berlin</strong> 1899<br />

A. Menger, Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen. Eine Kritik des Entwurfs eines bürgerlichen<br />

Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Tübingen 1890<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

262


Motive <strong>zu</strong> dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, 5 Bde. nebst Register, <strong>Berlin</strong><br />

und Leipzig 1888 (auch bei Mugdan)<br />

B. Mugdan, Die gesammten Materialien <strong>zu</strong>m Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, 7 Bde., <strong>Berlin</strong><br />

1899, Nachdruck 1979 (enthält: Motive, Protokolle, Denkschrift, Reichstagsverhandlungen, Kommissionsbericht)<br />

Protokolle der Kommission für die 2. Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Im Auftrage des<br />

Reichs-Justizamtes bearbeitet von Achilles/Gebhard/Spahn, 6 Bde. nebst Register, <strong>Berlin</strong> 1897-1899 (auch bei<br />

Mugdan)<br />

Reichstag (mit Angaben der Band-Nummer)<br />

Lex Lasker-Miquel: 1. Leg.-Periode, 4. Session, 1873, 3. 4. 1873, 1. Bd. (Bd. 27), S. 211<br />

Vorlage: 3. Bd., Anlagen (Bd. 29), <strong>Dr</strong>s. Nr. 19, S. 138<br />

Entwürfe und Beratungen 1896: 9. Leg.-Periode, 4. Sess., 1895/97 (auch bei Mugdan)<br />

3. Entwurf mit Denkschrift: 1. Anlagenband (Bd. 151), <strong>Dr</strong>s. Nr. 87, S. 446 - 790<br />

1. Beratung, 3. - 6. 2. 1896, 1. Bd. (Bd. 143), S. 705 - 820<br />

Bericht der RT-Kommission, 3. Anlagenband (Bd. 153), <strong>Dr</strong>s. Nr. 440 - 440 d, S. 1935 - 2192<br />

2. Beratung, 19. und 20. 6. 1896, 4. Bd. (Bd. 146), S. 2729 - 2789<br />

3. Beratung und Abstimmung, 30. 6. 1896, 4. Bd. (Bd. 146), S. 3040 - 3069<br />

W. Schubert, Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission <strong>zu</strong>r Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen<br />

Gesetzbuches, 15 Bände, <strong>Berlin</strong>, New York 1981 ff.<br />

W. Schubert, Materialien <strong>zu</strong>r Entstehungsgeschichte des BGB, Einführung, Biographien, Materialien, <strong>Berlin</strong> u.<br />

a. 1978 (= Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 1. Band; enthält im Wesentlichen eine detaillierte Darlegung<br />

der Entstehung des BGB, Angaben <strong>zu</strong> allen am BGB beteiligten Personen, Materialien <strong>zu</strong>r lex Lasker-Miquel<br />

und <strong>zu</strong>m Gutachten der Vorkommission)<br />

Th. Vormbaum, Die Sozialdemokratie und die Entstehung des BGB, 2. Aufl., Baden-Baden 1997<br />

Zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich. Bemerkungen des Königlich Preußischen<br />

Justizministers, <strong>Berlin</strong> 1891<br />

Zusammenstellung der Äußerungen der Bundesregierungen <strong>zu</strong> dem Entwurf eines BGB, gefertigt im Reichsjustizamt,<br />

2 Bde, <strong>Berlin</strong> 1891 und 1892, Neudruck Osnabrück 1967<br />

Zusammenstellung der Äußerungen des Bundesregierungen <strong>zu</strong> dem Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs<br />

zweiter Lesung, <strong>Berlin</strong> 1895<br />

Zusammenstellung der gutachtlichen Äußerungen <strong>zu</strong> dem Entwurf eines BGB, 6 Bde., <strong>Berlin</strong> 1890 und 1891<br />

2. Neuere Literatur mit weiteren Nachweisen<br />

B. Dölemeyer, Deutschland, Kapitel 1 bis 3, in: Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen<br />

Privatrechtsgeschichte, 3. Bd., 2. Teilband, hrsg. v. H. Coing, München 1982, S. 1403 - 1625<br />

M. John, Politics and the Law - The Origins of the Civil Code, Oxford 1989<br />

H. Schulte-Nölke, Das Reichsjustizamt und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Frankfurt a. M. 1995.<br />

Gute Information meistens auch in den Einleitungen der Großkommentare, z. B. Planck.<br />

30. September 2011<br />

263


19. TEIL<br />

JAHRESZAHLEN<br />

um 3000 Ausbildung der Schrift in Mesopotamien<br />

um 2000 Rechtsaufzeichnungen im Vorderen Orient<br />

um 1700 Codex Hammurabi von Babylon<br />

um 1250 Aus<strong>zu</strong>g von Teilen der Stämme aus Ägypten unter Mose, 10 Gebote<br />

um 620 Gesetzesreformen <strong>Dr</strong>akons und Solons in Athen<br />

753 Gründung Roms<br />

753 - 510 Königszeit<br />

510 Beseitigung der etruskischen Herrschaft,<br />

Sturz der Könige, Beginn der Republik,<br />

Ständekampf Patrizier gegen Plebejer<br />

449 Zehnmännerkollegium (Decemviri): Zwölf-Tafel-Gesetz<br />

387 Kelteneinfall in Rom, Gallierbrand Roms<br />

427 - 347 Plato (Athen)<br />

384 - 322 Aristoteles (Athen)<br />

dauernd Kriege in Italien und Ausdehnung der römischen Herrschaft.<br />

367/366 Leges Liciniae Sextiae: Schuldenermäßigung; keine Schuldknechtschaft;<br />

Höchstgrenze für Grundbesitz aus Staatsland; Plebejer als Konsuln.<br />

um 300 Cn. Flavius, Ende des priesterlichen Rechtsberatungsmonopols<br />

Seit 3. Jh. Kriege gegen Karthago (Punische Kriege),<br />

sowie Ausdehnung nach Griechenland und Kleinasien<br />

286 lex Hortensia: Plebiszite haben dieselbe Kraft wie Volksgesetze<br />

lex Aquilia wegen Vermögensbeschädigung<br />

3. Jh. Beginn der vorklassischen Rechtsperiode<br />

106 - 43 Marcus Tullius Cicero, Staatsmann und Philosoph<br />

1.Jh.v.Chr. Bürgerkriege<br />

Caesar wird Diktator, aber 44 v. Chr. ermordet,<br />

darauf erneut Bürgerkrieg.<br />

27 Beginn des Prinzipats durch Augustus<br />

Kaiserzeit: Prinzipat und Dominat<br />

n. Chr.<br />

0 - 200 Klassisches römisches Recht.<br />

1. Jh. n.Chr. Frühklassische Jurisprudenz: Labeo; Sabinianer und Prokulianer<br />

2. Jh. Hochklassische Jurisprudenz: Iulian und Celsus, Gaius,<br />

Endredaktion des Edikts durch Iulian, z. Zt. Hadrians<br />

Anf. 3. Jh. Spätklassische Jurisprudenz: Papinian, Paulus und Ulpian<br />

3. Jh. Beginnende Spaltung in Westrom und Ostrom (Hauptstadt Byzanz = Konstantinopel)<br />

200 - 533 Nachklassisches Recht<br />

284 - 305 Kaiser Diokletian, Beginn des Dominats<br />

306-337 Kaiser Konstantin d.Gr.<br />

313 Kaiser Konstantin, Toleranzedikt von Mailand<br />

326 Konstantinopel Hauptstadt<br />

375 Beginn der germanischen Völkerwanderung (Beginn des Mittelalters)<br />

391 Christentum Reichsreligion<br />

395 Endgültige Reichsteilung in West und Ost<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

264


um 400 - 700 Herstellung des Jerusalemer und des Babylonischen Talmuds<br />

438 Codex Theodosianus (II.) mit Kaiser-Konstitutionen<br />

476 Ende des weströmischen Reichs durch Abset<strong>zu</strong>ng des weströmischen Kaisers<br />

500 - 800 Volksrechte der Germanen, insbes. Gothen, Franken (lex Salica), Burgunder.<br />

533 Corpus Juris Civilis Kaiser Justinians (I.),<br />

Hauptbearbeiter Tribonian: Institutionen, Digesten, Codex, Novellen<br />

568 - 774 Langobardenreich in Italien, Rechtsschule Pavia<br />

800 Kaiserkrönung Karls d. Gr.<br />

867 - 886 Basilica - Gesetzesredaktion des oströmischen Kaisers Basilius I. Macedo<br />

um 1050 Wiederentdeckung und Verbreitung, sogenannte Rezeption des römischen Rechts<br />

Studium des römischen Rechts in Bologna, Glossatoren,<br />

<strong>Universität</strong>sgründungen, Beginn der Rezeption<br />

um 1140 Corpus iuris canonici<br />

um 1250 Glossa ordinaria des Accursius;<br />

Kommentatoren, z. B. Bartolus und Baldus<br />

1221/35 Sachsenspiegel Eike von Repgows<br />

13. - 15. Jh. Ius commune (römisches Recht in Europa)<br />

1356 Goldene Bulle (Königswahl in Frankfurt, Krönung in Aachen, Rechte der Kurfürsten)<br />

1453 Einnahme Konstantinopels (= Byzanz) durch die Türken.<br />

1495 Reichskammergerichtsordnung<br />

16. - 18. Jh. Usus modernus pandectarum in Deutschland<br />

1532 Peinliche Gerichtsordnung Karls V. ("Carolina")<br />

17. - 18. Jh. Naturrecht; „Policeystaat“ (d. h. Beginn des Verwaltungsrechts),<br />

Absolutismus; Merkantilismus<br />

1618 - 1648 <strong>Dr</strong>eißigjähriger Krieg, Westfälischer Frieden<br />

1794 Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten<br />

19. Jh. gemeines Recht; Historische Rechtsschule in Deutschland<br />

1803 Reichsdeputationshauptschluß<br />

1804 Code civil (Code Napoléon)<br />

1806 Rheinbund; Franz II. legt deutsche Kaiserkrone nieder<br />

1811 (österreichisches) ABGB (allgemeiens bürgerliches Gesetzbuch)<br />

1814 - 1815 Wiener Kongreß, Deutscher Bund mit 39 Fürsten und Städten<br />

1814 Friedrich Carl von Savigny:<br />

"Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft"<br />

1833 Deutscher Zollverein<br />

1848/49 Revolution in Europa, Nationalversammlung Paulskirche/Frankfurt,<br />

Reichsverfassung mit Grundrechten (nicht wirksam geworden)<br />

1861 Allgemeines deutsches Handelsgesetzbuch, ADHGB<br />

1863 Sächsisches BGB, in Kraft getreten 1865<br />

1866 <strong>Dr</strong>esdner "Entwurf eines allgemeinen deutschen Gesetzes über Schuldverhältnisse"<br />

1866 Ende des Deutschen Bundes, Gründung des Norddeutschen Bundes<br />

1870 Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund (mit Änderungen bis heute in Kraft)<br />

1871 Gründung des Deutschen Reichs<br />

1873 Gründerkrise, "Große Depression" bis gegen Ende des Jahrhunderts<br />

1878 - 1890 Sozialistengesetz<br />

1883 - 1889 Bismarck'sche Sozialversicherung<br />

1896 Verabschiedung des BGB, in Kraft getreten am 1. 1. 1900<br />

1914 - 1918 Weltkrieg<br />

1919 Deutsche Nationalversammlung in Weimar beschließt Reichsverfassung,<br />

Versailler Vertrag, Gründung des Völkerbunds<br />

1933 Hitler Reichskanzler, Ermächtigungsgesetz<br />

30. September 2011<br />

265


1935 Nürnberger Gesetze gegen die Juden<br />

1939 - 1945 Zweiter Weltkrieg<br />

1945 Gründung der UNO<br />

Bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht<br />

Vier Besat<strong>zu</strong>ngszonen in Deutschland und <strong>Berlin</strong><br />

1949 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland<br />

I. Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik<br />

1957 EWG-Vertrag<br />

1990 Deutsche Vereinigung<br />

X:\Rechtsgeschichte\RPR_17(04Aug16).doc<br />

266

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