Sebastian Voigt, NABU Halle/Saalkreis - Toni Hofreiter
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Naturschutz und Straßenplanung:<br />
Erfahrungen aus der Praxis<br />
am Beispiel der Saaletalautobahn<br />
A 143 - “Westumfahrung <strong>Halle</strong>”<br />
<strong>Sebastian</strong> <strong>Voigt</strong>, <strong>NABU</strong> <strong>Halle</strong>/<strong>Saalkreis</strong><br />
www.nabu-halle.de
Die Ziele<br />
„Verkehrsprojekt Deutsche Einheit“ Nr. 13:<br />
„Das Projekt schafft in Verbindung mit der A 44, Kassel –<br />
Dortmund, eine direkte Anbindung des Ballungsraums<br />
<strong>Halle</strong>/Leipzig und des vom Projekt durchzogenen Korridors an<br />
den Raum Rhein/Ruhr und entlastet die parallelen Autobahnen<br />
A 2 und A 4 sowie die Bundesstraßen B 80 und B 176 mit ihren<br />
zahlreichen Ortsdurchfahrten.“<br />
Das Verkehrsprojekt Deutsche Einheit (VDE) Nr. 13 besteht aus der A 38<br />
(Südharzautobahn und der A 143 (Westumfahrung <strong>Halle</strong>).
Die Ziele<br />
Im Raumordnungsverfahren (1995):<br />
➔ Verfahren separat nur für A 143<br />
➔ Trotzdem werden Hauptziele der A 143 mit Gesamtzielen<br />
des VDE 13 gleichgesetzt.<br />
Dies sind die Ziele der Südharzautobahn (A 38)!<br />
➔ A 143 als Ergänzung zur A 38: Verbindung zur A 14<br />
Im Planfeststellungsverfahren (2005):<br />
➔ Entlastung Stadt <strong>Halle</strong><br />
➔ Entlastung A 9 / A 14<br />
➔ sektorale Erschließung Stadt <strong>Halle</strong>
Trassenverlauf der A 143<br />
im Unteren Saaletal westlich von<br />
<strong>Halle</strong>.<br />
Die Trasse zerschneidet die FFH-<br />
Gebiete „Porphyrlandschaft<br />
nordwestlich <strong>Halle</strong>“ und „Muschelkalkhänge<br />
westlich <strong>Halle</strong>“
Porphyrfelsen,<br />
Heidevegetation<br />
und Trockenrasen<br />
im FFH-Gebiet<br />
„Porphyrlandschaft<br />
nordwestlich<br />
<strong>Halle</strong>“
“eine bundesweit einzigartige,<br />
bislang unzerschnittene, durch<br />
relative Ruhe geprägte<br />
Offenlandschaft”<br />
(Aus den Schutzgebietsverordnungen für die Naturschutzgebiete<br />
„Porphyrlandschaft bei Brachwitz und „Porphyrlandschaft bei Gimritz“,<br />
welche die Kernräume des FFH-Gebietes bilden.)
Habitatverteilung in der<br />
Porphyrlandschaft:<br />
Wertvolle Lebensräume<br />
konzentrieren sich auf<br />
viele einzelne Habitatinseln<br />
inmitten der Agrarlandschaft.<br />
Dadurch ist die<br />
Landschaft besonders<br />
empfindlich gegenüber<br />
einer Zerschneidung des<br />
Biotopverbunds
“Der Untersuchungsraum mit seinem<br />
Schwerpunkt im Gebiet Brachwitz - Gimritz -<br />
Friedrichsschwerz ist Teil des größten und<br />
faunistisch am reichsten ausgestatteten<br />
xerothermen Biotopkomplexes auf Porphyr in<br />
Deutschland.”<br />
“Hervorzuheben ist, daß es nirgendwo in<br />
Deutschland einen derart reich<br />
ausgestatteten Lebensraum kontinentaler<br />
Prägung gibt, es sich also um höchstes<br />
Schutzgut handelt.”<br />
(Aus dem Erläuterungsbericht zum Raumordnungsverfahren für die A 143)
Konflikte von Anfang an bekannt<br />
Umweltverträglichkeitsstudie Stufe 1 (1991):<br />
➔ kein konfliktarmer Korridor<br />
➔ Trassen-Raum politisch vorgegeben<br />
ökologische Risikoanalyse BVWP (1992):<br />
“In großräumiger Betrachtung erkennbare erhebliche<br />
Problemhäufungen mit besonderem Gewicht”.
Raumordnungsverfahren (1995):<br />
„ .. der Gesamtraum des geplanten Naturparks “Untere<br />
Saale” [wird] in seiner Entwicklung in Frage gestellt.<br />
Damit wird ein gesamtes raumordneri-sches Konzept<br />
(Vorsorgegebiet Erholung) seiner Grund-lagen – der<br />
landschaftlichen Unberührtheit – beraubt.”<br />
„Alle Varianten zerschneiden das LSG ‘Saale’ sowie<br />
den geplanten Naturpark in etwa gleicher Weise und<br />
sind daher grundsätzlich in gleicher Weise ungünstig“
Raumordnungsverfahren (1995):<br />
„ Der Verbleib äußerst hoher Restrisiken, vor allem im Bereich<br />
der Standorte des <strong>Halle</strong>schen Porphyr- und Lieskauer Muschelkalkgebietes,<br />
stellt eine akute, nicht kalkulierbare Gefährdung<br />
für eine Vielzahl seltener bzw. bestandsbedrohter Pflanzen-<br />
und Tierarten dar. Schutzgutbezogen wird in der UVS wiederholt<br />
belegt, daß der Eingriff in Biotope, Boden, Wasser, Kultur-<br />
und Sachgüter, Landwirtschaft und Erholung trotz Minimierung<br />
nicht ausgleichbar ist“<br />
„Aus Sicht des Naturschutzes ist das Vorhaben nicht<br />
vertretbar.“<br />
(Aus der Landesplanerischen Beurteilung als Ergebnis des Raumordnungsverfahrens für die A 143)
Planfeststellungsverfahren (2005, mit FFH-VP):<br />
alles wird repariert:<br />
➔ Grünbrücken<br />
➔ Schaffung von "Sonderstandorten"<br />
Wichtige Wirkfaktoren werden ignoriert:<br />
➔ Zerschneidungswirkung: nicht erheblich<br />
➔ Kollisionsgefahren: harmlos<br />
➔ Schadstoffemissionen: vernachlässigbar
Verkehrsprognosen<br />
Tricks zur Begründung des Verkehrsbedarfs:<br />
in Prognose 1995:<br />
Quelle SSP 1995 SSP 1995 SSP 1995 PTV 2011 Zählung<br />
Prognosejahr 1991 2010 2010 2009 2008/2009<br />
Querschnitt \ Verkehrsart Analyse Bezug Plan Analyse<br />
A 14 nw. AD <strong>Halle</strong>-Nord 60.000 39.000<br />
L 159 sü. Dölau 9.000 34.000 9.000 10.500<br />
B 80 ö. A 143 22.000 41.000 61.000 29.000 23.900<br />
B 91 Am m endorf-Merseburg 23.000 46.000 48.000 21.000 19.609<br />
Die amtlichen Prognosen sagen stark überhöhte Verkehrszunahmen<br />
voraus, die z.T. inzwischen durch reale Zahlen widerlegt sind.<br />
Allein von der L 159 soll ein fiktiver Verkehrsstrom von 25.000 Kfz/Tag auf<br />
die A 143 verlagert werden. Dies macht fast die Hälfte der prognostizierten<br />
Belastung der A 143 aus.
Tricks zur Begründung des Verkehrsbedarfs:<br />
in Prognose 2009:<br />
Quelle SSP 2009 SSP 2009 SSP 2009 Zählung<br />
Prognosejahr 2005 2020 2020 2009<br />
Querschnitt \ Verkehrsart Analyse Bezug Plan<br />
L 173 sü. Salzmünde 4.700 11.600 2.600<br />
B 80 Saalequerung 34.600 76.400 64.100 64.427<br />
Kröllwitzer Straße 19.500 22.300 21.100 19.770<br />
Reilstraße 12.100 14.700 13.200<br />
Ludwig-Wucherer-Straße 9.800 14.000 11.900<br />
Nietlebener Straße 12.600 16.100 13.400<br />
Blumenauweg 1.200 4.600 3.900<br />
B80 ös Weststraße 13.000 40.300 37.000<br />
L 162 sü. L 50 (Gimritz) 700 3.100 600
Prognose 2011<br />
Verschiebung der Planungsziele:<br />
➔ weniger regionaler Verkehr, mehr Fernverkehr;<br />
➔ Starke Zuwächse von Fernverkehr in Nord-Süd-<br />
Richtung auf A 9 / A 14<br />
(Aber: reale Verkehrszahlen stagnieren!)<br />
➔ Nord-Süd-Fernverkehr soll von A 9 / A 14 auf die<br />
Westumfahrung von <strong>Halle</strong> via A 143 verlagert<br />
werden.<br />
➔ Diese Verlagerung macht fast die Hälfte der<br />
gesamten Verkehrsbelegung der A 143 aus<br />
(21.000 Kfz / Tag).
Alternativen<br />
➔ Im Planungsraum keine Trassenalternativen<br />
vorhanden<br />
➔ Tunnelvariante: teuer<br />
Vorschlag Umweltverbände:<br />
➔ Kapazitäten nicht erweitern<br />
➔ Aufteilung der Verkehrsfunktionen auf getrennte<br />
Teillösungen für Fernverkehr bzw. Regionalverkehr<br />
➔ Alternativen können Ziele passgenauer erfüllen als<br />
Autobahn
Der Rechtsstreit<br />
➔ Planfeststellungsbeschluss 2005 vom <strong>NABU</strong> beklagt<br />
➔ im Gerichtsverfahren wesentliche Vertiefung von<br />
Fachfragen; vor allem:<br />
➢ Stoffeinträge (Belastungsgrenzen; Critical Loads)<br />
➢ weitere Beeinträchtigungen (z.B. Zerschneidung,<br />
Kollisionsgefahren, Lärm)<br />
➢ Verkehrsprognosen
Der Rechtsstreit<br />
➔ Planfeststellungsbeschluss 2005 vom <strong>NABU</strong> beklagt<br />
➔ im Gerichtsverfahren wesentliche Vertiefung von<br />
Fachfragen; vor allem:<br />
➔ Stoffeinträge (Belastungsgrenzen; Critical Loads)<br />
➔ weitere Beeinträchtigungen<br />
➔ Verkehrsprognosen
Urteil des BVerwG vom 17.1.2007<br />
➔ Planfeststellungsbeschluss rechtswidrig und nicht<br />
vollziehbar<br />
➔ Hauptkritik an Planung: mangelhafte Entscheidungsgrundlagen<br />
➔ Planung muss grundlegend überarbeitet werden<br />
➔ Aber: Alternativvorschläge des <strong>NABU</strong> werden<br />
abgelehnt<br />
➔ Anforderungen an FFH-VP und Abweichungsprüfung<br />
Urteil dokumentiert unter:<br />
http://www.bverwg.de/enid/311?e_view=detail&con_id=8676
Kernaussagen des BVerwG-Urteils<br />
➔ Fehler in FFH-VP:<br />
unzureichende Untersuchungen; keine Anwendung<br />
der „besten wissenschaftlichen Methoden“<br />
➔ Unschädlichkeit der A 143 daher nicht nachgewiesen<br />
➔ Nachweis fehlt für alle relevanten Wirkfaktoren:<br />
Zerschneidung, Kollisionsgefahr, Lärm, Stoffeinträge<br />
➔ Beeinträchtigungen nicht fundiert quantifiziert; daher<br />
keine Abweichungsentscheidung möglich<br />
➔ Verkehrsbedarf für Abwägung nicht ausreichend<br />
nachgewiesen (u.a. wegen fehlender<br />
Grundlagendaten für Verkehrsprognosen)
Verfahrensstand Herbst 2011<br />
➔ Planänderungsverfahren seit Herbst 2009<br />
➔ Komplette Änderung Planunterlagen<br />
➔ Erhebliche Beeinträchtigungen werden jetzt<br />
eingestanden (auch von prioritären Lebensräumen)<br />
➔ Keine Änderung an Trasse selbst, nur an<br />
Ausgleichsmaßnahmen:<br />
DEGES übernimmt das reguläre FFH-Management<br />
➔ Neue Verkehrsprognose 2009<br />
➔ Neue Verkehrsprognose 2011<br />
➔ Erörterungstermin und ggf. neue Baugenehmigung<br />
voraussichtlich im Laufe des Jahres 2012; danach<br />
neues Gerichtsverfahren wahrscheinlich