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Die Ursachen für Angst sind vielfältig. Es<br />
gibt Menschen, die einfach eine Veranlagung<br />
dazu haben, die sogar vererbbar sein<br />
kann. Weit verbreitet als Grund für Ängste<br />
sind traumatische Kindheitserlebnisse, vor<br />
allem sexueller Missbrauch, der meist weit<br />
zurück liegt und deshalb sehr schwer genauer<br />
zu untersuchen ist. Dabei entstehen<br />
Ängste nicht zwangsläufig aus negativen Erlebnissen.<br />
Im Gegenteil! Menschen mit Höhenangst<br />
sind wahrscheinlich nie aus großer<br />
Höhe abgestürzt. Genau so sind Menschen<br />
mit Angst vor Schlangen oder Spinnen mit<br />
hoher Wahrscheinlichkeit noch nie mit diesen<br />
Tieren in Berührung gekommen oder<br />
gar ernsthaft von ihnen verletzt worden.<br />
Ebenso treten Angststörungen beispielsweise<br />
bei Menschen aus Kriegsgebieten nicht<br />
auffallend häufiger auf. Und auch bei Bewohnern<br />
von Regionen, die beständig durch<br />
Wirbelstürme oder Erdbeben heim gesucht<br />
werden, gibt es keine frappante Anhäufung<br />
von Ängsten.<br />
Sicher ist, dass die Angst ein ständiger Begleiter<br />
des Menschen seit Urzeiten ist. Als<br />
zu behandelnde ernsthafte Erkrankung steht<br />
sie jedoch erst seit circa 20 Jahren auf dem<br />
Therapieplan der Therapeuten. Neueste<br />
Zahlen sprechen von ungefähr 30 Prozent<br />
der Bevölkerung, die unter ihren Ängsten<br />
leiden. Dabei werden drei Formen der Angst<br />
klassifiziert:<br />
Die Agoraphobie, von der etwa fünf Prozent<br />
betroffen sind, ist die Angst vor Räumen, Orten<br />
und Plätzen, die meist mit einer Panikattacke<br />
einhergeht. Agoraphobiker haben<br />
Schweißausbrüche, Atemnot, befürchten,<br />
kurz vor einer Herzattacke zu stehen. Das<br />
geht bis zur Todesangst, obwohl sie körperlich<br />
kerngesund sind. Aus diesem Grunde<br />
meiden sie bestimmte Örtlichkeiten, beispielsweise<br />
Einkaufspassagen an Samstagen<br />
aber auch weite Reisen fern von zu Hause.<br />
Die mit circa 13 Prozent am häufigsten anzutreffende<br />
Angststörung ist die soziale<br />
Phobie. Menschen haben Angst, von ihren<br />
Mitmenschen beobachtet und negativ bewertet<br />
zu werden, zum Beispiel im Restaurant,<br />
bei Familienfeiern oder auch im Beruf,<br />
bei Vorträgen oder Besprechungen. Die Folge:<br />
Sie meiden weitestgehend den Kontakt<br />
zu anderen Menschen bis hin zum völligen<br />
Rückzug in die Isolation.<br />
Die dritte Gruppe, die die Psychotherapie<br />
als zu behandelnde Krankheit einstuft, sind<br />
Menschen mit generalisierter oder spezi-<br />
fizierter Angststörung. Diese Menschen<br />
werden ständig von Sorgen vor ernsthaften<br />
Krankheiten, Arbeitslosigkeit oder Armut<br />
geplagt. Unter diese isolierten Phobien fallen<br />
aber auch Angst vor Spinnen, Schlangen,<br />
Ratten, Mäusen und anderem Getier, sowie<br />
auch situative Ängste vor dem Fliegen oder<br />
Fahrstuhlfahren. Bei dieser Gruppe ist die<br />
Bestimmung der Häufigkeit nicht einfach,<br />
da nicht jeder mit einer Angst vor Spinnen<br />
gleich einen Arzt aufsucht. In psychotherapeutische<br />
Behandlung begeben sich<br />
etwa sechs Prozent mit einer spezifizierten<br />
Angststörung, gemessen an der Gesamtbevölkerung.<br />
Zu einer ernstzunehmenden Krankheit werden<br />
Ängste dann, wenn Menschen unter<br />
ihren Phobien leiden. Sie müssen – bedingt<br />
durch ihre Ängste – starke Einschränkungen<br />
im täglichen Leben hinnehmen, werden depressiv<br />
bis zum Gedanken an Suizid oder<br />
greifen, um ihre Ängste zu verdrängen, zu<br />
Alkohol oder Drogen. Verstärkt wird die<br />
Angst noch dadurch, dass man nicht mehr<br />
nur Angst vor einer bestimmten Situation<br />
hat, sondern auch vor den daraus resultierenden<br />
Folgen. Wer Angst vor dem Fahrstuhlfahren<br />
hat, weil er davon Herzrasen bekommt,<br />
meidet Aufzüge künftig auch wegen<br />
des befürchteten Herzrasens. Es entsteht<br />
quasi eine »Angst vor der Angst«!<br />
Die beste Therapie gegen Angst ist das Konfrontationsverfahren,<br />
den Patienten also<br />
bewusst seiner Angst auszusetzen und mit<br />
ihm gemeinsam das Überwinden der Angst<br />
einzuüben. Die Psychotherapie spricht hier<br />
vom Angstexpositionstraining (AET). Patienten,<br />
die von solch einem AET profitieren,<br />
leiden typischerweise unter Phobien,<br />
die nach den jeweiligen Angst auslösenden<br />
Situationen klassifiziert werden: Angst vor<br />
zu kleinen Räumen (Klaustrophobie), Angst<br />
vor Menschenansammlungen (Soziophobie),<br />
Angst vor Krankheiten (Nosophobie<br />
oder auch Hypochondrie) oder Angst vor<br />
Wasser (Hydrophobie), um nur einige wenige<br />
zu nennen. Dabei sind therapeutischen<br />
Einrichtungen allerdings auch logistische<br />
Grenzen gesetzt. Nicht jede Klinik verfügt<br />
über einen Flugplatz und den dazugehörigen<br />
Jet, um den Patienten davon zu überzeugen,<br />
dass Flugangst durch häufiges Fliegen überwunden<br />
werden kann.<br />
Trotz solcher Einschränkungen hat sich<br />
das verhaltenstherapeutische Angstexpositionstraining<br />
in einer Vielzahl von wissenschaftlichen<br />
Studien als höchst wirksam zur<br />
Behandlung von Angsterkrankungen erwiesen.<br />
Die Konfrontation seitens des Therapeuten<br />
geschieht dabei immer nur mit der<br />
ausdrücklichen Zustimmung des Patienten<br />
und erst, nachdem gemeinsam mit dem Patienten<br />
ein Erklärungsmodell für die jeweiligen<br />
Beschwerden erarbeitet wurde. Hier<br />
wird dem Patienten deutlich gemacht, dass<br />
die unangenehmen Begleiter einer Situation<br />
nicht unermesslich steigen, sondern zwar<br />
eine gewisse Stärke erreichen, danach aber<br />
wieder absinken oder ganz verschwinden,<br />
selbst wenn man in der gefürchteten Situation<br />
verbleibt.<br />
Der nächste Schritt ist die therapeutische<br />
Vorbereitung auf die bislang so gefürchtete<br />
Situation. Hauptinhalte sind, dem Patienten<br />
deutlich zu machen, wie wichtig<br />
sein persönlicher Erfolg für ihn ist, seine<br />
eigenen Erwartungen an die Bewältigung<br />
zu erhöhen und schließlich die konkrete<br />
Festlegung der Situation und das Besprechen<br />
der Vorgehensweise. Gibt der Patient<br />
nun seine Zustimmung, so finden die ersten<br />
Expositionsübungen immer in Begleitung<br />
des Therapeuten statt. Erst, wenn eine<br />
zunehmende Sicherheit festgestellt wird,<br />
beginnt der Patient, seine Übungen selbständig,<br />
ohne Begleitung des Therapeuten,<br />
durchzuführen.<br />
Ziel des AET ist, Angst durch häufiges, bewusstes<br />
Herbeiführen der Situation, praktisch<br />
zu »verlernen«. Im Gegensatz dazu<br />
»erlernt« der Patient, dass Ängste nicht alleine<br />
durch das Vermeiden einer Situation,<br />
sondern auch durch deren Bewältigung verhindert<br />
werden. Zusätzlich findet bei dem<br />
Patienten durch die häufige Konfrontation<br />
ein Gewöhnungsprozess statt, und führt<br />
somit zur dauerhaften Verminderung oder<br />
– im Optimalfall – zum vollkommenen<br />
Wegfall der Angst.<br />
Vergleichbar ist dieser Prozess mit dem intensiven<br />
Einüben von Vokabeln als Voraussetzung<br />
für eine gute Note in der nächsten<br />
Englischarbeit oder das Erlernen von Verkehrsregeln<br />
zum Erwerb des Führerscheins.<br />
Auch in diesen Fällen genügt es nicht, unvorbereitet<br />
in die Prüfung hinein zu gehen,<br />
um erfolgreich zu sein. Genauso einfach<br />
wäre es, sich der Angst – wie es manchmal<br />
lapidar heißt – einfach zu stellen. Was die<br />
Psychotherapie zur Bewältigung von Angststörungen<br />
leistet, ist ein komplexer psychologischer<br />
Prozess, der den Therapeuten sehr<br />
viel Sensibilität abverlangt und deshalb allerhöchste<br />
Achtung verdient.<br />
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