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BürgerInnen<br />
in der Mitgestaltungs-Kommune<br />
Aktuelle Tendenzen, Ansätze und Perspektiven von<br />
Koproduktion in deutschen Kommunen<br />
Dr. Elke Löffler und Dr. Peter Timm-Arnold<br />
1
Inhalt Seite<br />
1. Worum es geht: Eine neue partnerschaftliche Zusammenarbeit<br />
zwischen Kommune und BürgerInnen 3<br />
2. Formen von Koproduktion im kommunalen Entscheidungs- und<br />
Wertschöpfungsprozess 4<br />
3. Veränderte kommunale Rahmenbedingungen als Triebfeder von<br />
Koproduktion 6<br />
4. Die Mitgestaltungs-Kommune: Deutsche und internationale<br />
Fallbeispiele 7<br />
5. Chancen und Risiken für Kommunen in Deutschland 13<br />
6. Entwicklungsperspektiven in Deutschland 14<br />
7. Literatur 15<br />
2
1. Worum es geht: Eine neue partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen<br />
Kommune und BürgerInnen<br />
Es ist Zeit, dass kommunale EntscheidungsträgerInnen an BürgerInnen eine neue Frage stellen:<br />
Nicht nur „wie zufrieden sind Sie mit unseren Dienstleistungen“?, sondern auch: „Was können Sie<br />
tun um Ihre eigene Lebensqualität und die Ihres Umfelds zu verbessern?“ Die von Governance<br />
International und TNS Sofres durchgeführte repräsentative Bürgerbefragung in fünf europäischen<br />
Staaten zeigt, dass es in Deutschland bereits ein hohes Maß an Mitwirkung von Bürgerinnen und<br />
Bürgern im Bereich Umweltschutz, Gesundheitsförderung und öffentliche Ordnung und Sicherheit<br />
gibt. Aber es wird auch deutlich: viele Potentiale sind noch ungenutzt.<br />
Abbildung 1: BürgerInnen als KoproduzentInnen kommunaler Aufgaben<br />
Großbritannien<br />
Deutschland<br />
Tschechien<br />
Frankreich<br />
Dänemark<br />
Der Bürger als Mit-Produzent in der öffentlichen<br />
Verwaltung<br />
Quelle: www.5qualiconference.eu<br />
Eine wirkungsorientierte Verwaltungsführung rückt den Blick auf die Rolle der BürgerInnen und<br />
Bürger als aktive KoproduzentInnen politisch gewünschter Wirkungen. Kommunen, die<br />
Verwaltungsmodernisierung aus Bürgersicht von außen nach innen in die Binnenorganisation<br />
hineindenken und durchführen, kommen vielfach zur Erkenntnis, dass viele kommunale Produkte<br />
in der bisherigen Form weder erwünscht noch gebraucht werden, sondern Formen der<br />
Koproduktion mit Bürgerinnen und Bürgern effizienter und effektiver sind. Die Verwaltung<br />
entwickelt sich von daher von einer reinen Dienstleistungsverwaltung zu einer<br />
Mehrwertverwaltung, die zusammen mit BürgerInnen ganzheitliche Lösungen entwickelt, die auf<br />
komplexe Lebenslagen zugeschnitten sind.<br />
Dr. Konrad Hummel, Stadt Mannheim:<br />
„Koproduktion versetzt jede und jeden in die Lage, an der Definition, Bearbeitung und Lösung<br />
eines sozialen Problems in der Gesellschaft teilzuhaben – und damit ist Koproduktion schon ein<br />
Teil der Lösung“.<br />
51<br />
48<br />
0 100<br />
(Der Index bezieht sich auf das Ausmaß an Koproduktion des Bürgers im Umweltschutz,<br />
Gesundheitsvorsorge und Kriminalitätsprävention).<br />
53<br />
52<br />
56<br />
3
Die Idee der Koproduktion ist einfach, die flächendeckenden Umsetzung auf kommunaler Ebene<br />
jedoch anspruchsvoll. Das vorliegende Diskussionspapier zeigt anhand von deutschen und<br />
internationalen Beispielen Kommunen neue Entwicklungsperspektiven auf, wie Verwaltung, Rat<br />
und Bürgerschaft durch neue Formen der Koproduktion das Leitbild der wirkungsorientierten<br />
Verwaltungsführung verwirklichen können.<br />
2. Formen von Koproduktion im kommunalen Entscheidungs- und<br />
Wertschöpfungsprozess<br />
Die Konzept Koproduktion ist nicht neu. Es ist mit öffentlichen Dienstleistungen eng verwoben.<br />
Diese zeichnen sich dadurch aus, dass Produktion und Konsumption oft untrennbar sind. Dadurch<br />
sind auch kommunale Dienstleistungen stets auf die „Koproduktion“ der VerwaltungskundInnen<br />
angewiesen. Um zwei Beispiele zu nennen: für gute Schulleistungen bedarf es nicht nur gut<br />
ausgebildeter Lehrkräfte, sondern auch SchülerInnen, die ihre Hausaufgaben machen und dem<br />
Unterricht aufmerksam folgen. Auch das kommunale Grünflächenamt weiß schon lange, dass das<br />
Straßenbild nur dann gepflegt aussieht, wenn AnwohnerInnen sich mit ihrem Quartier identifizieren<br />
und soziale Kontrolle ausüben, wie das die Initiative ‚Besser Leben in Offenbach‘ bewirkt hat.<br />
Insofern ist Koproduktion die andere Seite der Medaille der Dienstleistungskommune, die<br />
allerdings von der Verwaltung oft unbemerkt bleibt.<br />
Eine aus den USA kommenden Denkrichtung sieht in Koproduktion einen Ansatz, um soziale<br />
Ungleichheit abzubauen und das den Wohlfahrtsstaat kennzeichende Defizitdenken in eine<br />
positive Beziehung zwischen der öffentlichen Verwaltung als „Ermöglicher“ und den BürgerInnen<br />
als aktive ‚KoproduzentInnen‘ der Verbesserung ihrer Lebensqualität zu setzen. Damit wird<br />
deutlich, dass Koproduktion nicht nur bei freiwilligen kommunalen Aufgaben, sondern gerade bei<br />
kostenintensiven Transferleistungen ansetzt, um in Partnerschaft mit 'abhängigen<br />
Leistungsempfängern‘ effektivere Lösungen zu entwickeln.<br />
Als Sammelbegriff für die systematische Ausrichtung kommunaler Entscheidungs- und<br />
Wertschöpfungsprozesse an den Fähigkeiten und Bedürfnissen der BürgerInnen bürgert sich auch<br />
im deutschen Sprachraum zunehmend der Begriff „Koproduktion“ ein. Mit Koproduktion bezeichnet<br />
man vor allem Formen der Zusammenarbeit zwischen Kommune und BürgerInnen, die durch eine<br />
aktive Beteiligung von Fachkräften der Verwaltung und einer aktiven Mitgestaltung durch<br />
Bürgerinnen und Bürger gekennzeichnet sind.<br />
Damit wird deutlich, was Koproduktion NICHT ist:<br />
reine Sel<strong>bst</strong>hilfe ohne fachliche Begleitung;<br />
Bürgerschaftliches Engagement ohne Koordination bzw. Unterstützung durch die<br />
Kommune; Formen der Bürgerbeteiligung, die nicht von strategischen Zielsetzungen<br />
geprägt sind und parallel neben dem Politik- und Verwaltungsbetrieb laufen;<br />
Gesetzlich verankerte Beteiligungsinstrumente.<br />
4
Das von Governance International entwickelte MIT-MACH-Modell zeigt auf, wo Schnittstellen für<br />
eine verstärkte Zusammenarbeit mit BürgerInnen bestehen:<br />
Mit-Steuern bei der Ressourcenverwendung: BürgerInnen planen mit bei der Festlegung<br />
von Wirkungszielen und Einsatz von kommunalen und bürgerschaftlichen Ressourcen<br />
(BürgerInnen als PlanerInnen)<br />
Mit-Entwickeln von Lösungen: BürgerInnen wissen Dinge, die die Verwaltung nicht weiß<br />
(BürgerInnen als InnovatorInnen)<br />
Mit-Umsetzen von Lösungen: BürgerInnen haben Fähigkeiten, Talente, Zeit und finanzielle<br />
Ressourcen, die sie zur Verbesserung ihrer Lebensqualität und die ihrer MitbürgerInnen<br />
investieren wollen (BürgerInnen als Ressource)<br />
Mit-Bewerten der Wirkung: BürgerInnen wissen oft besser als die Verwaltung, ob ein<br />
Lösungsansatz wirklich die gewünschte Wirkung erzielt hat (BürgerInnen als<br />
KritikerInnen/EvaluatorInnen).<br />
Abbildung 2: Das MIT-MACH-Modell von Governance International<br />
Definitionen von Koproduktion<br />
Wirkungsorientierte Formen der Zusammenarbeit zwischen Verwaltung, Rat und Bürgerschaft, die<br />
darauf angelegt sind die Fähigkeiten, Ressourcen und Stärken aller Beteiligten besser zu nutzen<br />
um gemeinsam erwünschter Wirkungen oder Effizienzgewinne zu erzielen.<br />
Governance International<br />
5
3. Veränderte kommunale Rahmenbedingungen als Triebfeder von Koproduktion<br />
Haushaltskrise<br />
Die Kommunalhaushalte sind in eine teilweise dramatische Schieflage geraten; in Einzelfällen<br />
steht gar die politische Handlungsfähigkeit auf dem Spiel, weil Überschuldungssituationen<br />
eingetreten sind. 2010 verzeichneten die deutschen Kommunen das größte Defizit seit Bestehen<br />
der Bundesrepublik (Deutscher Städtetag 2011). Das „Ende der kommunalen Sel<strong>bst</strong>verwaltung“<br />
nimmt also durchaus schon reale Formen an. Die Frage liegt daher nahe, ob durch die aktuelle<br />
Haushaltskrise Chancen für Koproduktion entstehen? Kann der massive Sparzwang vor Ort zu<br />
einem „Umdenken“ in Richtung Koproduktion führen? Wenn „Vater Staat“, die „öffentliche Hand“,<br />
Leistungen schlichtweg nicht mehr bezahlen kann und auch Steuererhöhungen nicht bis ins<br />
Uferlose getrieben werden können, eröffnet sich unter Umständen ein Feld für Kooperationsformen<br />
zwischen den BürgerInnen und der Kommune.<br />
Die Erfahrung aus dem sog. „Stärkungspakt Stadtfinanzen“ 1 zeigt, dass das Potenzial von<br />
Koproduktion zumindest in NRW (noch) nicht genutzt wird. Es dominieren noch die „klassischen“<br />
Handlungsformen: Aufgabenerfüllung durch die Kommune mit eigenem Personal;<br />
Aufgabenübertragung allenfalls an Vereine in Fällen finanzieller Not und in Aufgabenfeldern, die<br />
man zu den sogenannten „freiwilligen Aufgaben“ zählt.<br />
Demografischer Wandel<br />
„Deutschlands Kommunen stehen vor einem tiefgreifenden Wandel in der<br />
Bevölkerungsentwicklung. Sinkende Bevölkerungszahlen und die Veralterung der Bevölkerung<br />
werden sich dort bemerkbar machen, wo die Menschen leben: in den Kommunen“ (Bertelsmann<br />
Stiftung 2002). Mit anderen Worten: Die Zivilgesellschaft in Deutschland wird älter, kleiner und<br />
bunter.<br />
Der Trend zur Veralterung betrifft verschiedene Bereiche der Stadtentwicklung (z.B.<br />
Wohnsituationen und Wohnumfeld von älteren Menschen) und der bedarfsgerechten kommunalen<br />
Leistungen (z.B. Altenhilfe). Eine zentrale Herausforderung stellt auch die Integration von<br />
MigrantInnen dar. Über Koproduktion ließen sich beispielsweise fehlende Dienste und<br />
Einrichtungen aufbauen (Tagespflegeplätze, Nachbarschaftshilfen) und Projekte zur Entlastung<br />
pflegender Angehöriger (Nachbarschaftsnetzwerke) und Stärkung der „aktiven Alten“<br />
(Seniorenbüros, Sel<strong>bst</strong>hilfeorganisationen) organisieren (Bertelsmann Stiftung 2002).<br />
Vergleichbare Aktivitäten ließen sich auf die kommunale Integrationspolitik übertragen.<br />
Einführung direktdemokratischer Elemente in die Gemeindeordnung<br />
Die kommunale Ebene ist zum wiederholten Male zum politischen Hoffnungsträger für<br />
Veränderungen geworden. Auf keiner anderen staatlichen Ebene sind die BürgerInnen „näher<br />
dran“: räumlich, sachlich, sozial, personell und emotional. Die Distanz von „öffentlich“ zu „privat“ ist<br />
1<br />
Mit dem Stärkungspaktgesetz NRW hat die rot-grüne nordrhein-westfälische Landesregierung ein Programm ins Leben gerufen, das den teilweise<br />
hoch verschuldeten Städten eine neue Perspektive bieten soll. Das Land gewährt den Stärkungspakt-Kommunen bis 2020 Konsolidierungshilfen in<br />
Höhe von 5,85 Mrd. Euro und erwartet im Gegenzug strikte Sparprogramme (Haushaltssanierungspläne). Ziel des Gesetzes ist es, den Kommunen in<br />
einer besonders schwierigen Haushaltssituation den nachhaltigen Haushaltsausgleich zu ermöglichen und wieder kommunale Handlungsfähigkeit<br />
und Sel<strong>bst</strong>verwaltung im besten Sinne zu ermöglichen.<br />
6
hier am geringsten. Dies schafft Partizipationsfähigkeit und –bereitschaft. In vielen Bundesländern<br />
wurden in den letzten Jahren direktdemokratische Elemente in die Gemeindeordnung eingeführt:<br />
Direktwahl der BürgermeisterInnen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, letztere aber häufig<br />
geprägt durch Partikularinteressen. Die Idee der Mitgestaltungs-Kommune ist eine logische<br />
Weiterentwicklung direkter Demokratie.<br />
Fazit: Es besteht eine Gleichzeitigkeit von zunehmenden Partizipationschancen, zunehmender<br />
Altersfreizeit aufgrund demografischer Entwicklung und massiver öffentlicher Haushaltsknappheit –<br />
eigentlich gute Voraussetzungen für Koproduktion. Wie kann aber dieser „Schwung“ in der Praxis<br />
genutzt werden?<br />
4. Die Mitgestaltungskommune: Deutsche und internationale Fallbeispiele<br />
In der Praxis finden sich bereits vielfältige Formen der Koproduktion, wie die Fallbeispiele zeigen.<br />
Dabei wird deutlich, dass Koproduktion nicht nur bei freiwilligen Aufgaben möglich, sondern auch<br />
in hoheitlichen Aufgabenbereichen wie öffentliche Sicherheit sinnvoll ist. Der Koproduktionskatalog<br />
„BürgerInnen als MitgestalterInnen in kommunalen Aufgabenbereichen: Koproduktion von A-Z“ im<br />
Anhang zeigt die ganze Bandbreite bestehender Koproduktionsansätze in wichtigen kommunalen<br />
Aufgabenbereichen auf.<br />
Dabei wird erkennbar, dass derzeitige Formen der Koproduktion vor allem beim ‚MIT-Umsetzen‘<br />
von Lösungen ansetzen, während die Zusammenarbeit zwischen Kommunen und BürgerInnen<br />
beim MIT-Steuern von Ressourcen bzw. Mit-Entwickeln und MIT-Bewerten von Lösungen weniger<br />
verbreitet ist. Erfahrungsgemäß führt jedoch eine Form der Koproduktion oft zu neuen Formen des<br />
Zusammenwirkens zwischen Kommune und BürgerInnen. Wenn BürgerInnen als UmweltpatInnen<br />
bzw. Sicherheitspartner eine zunehmend aktive Rolle in ihrem Quartier spielen, entwickeln sie<br />
neue Ideen, wie das Zusammenleben in ihrem Quartier verbessert werden kann bzw. Ressourcen<br />
effektiver eingesetzt werden können. Schliesslich kommt auch der Wunsch auf, die eigenen<br />
Sichtweisen und Bewertungen an verantwortliche kommunale EntscheidungsträgerInnen zu<br />
kommunizieren. Umgekehrt führen interaktive kommunale Internetplattformen, die BürgerInnen die<br />
Möglichkeit geben, Ideen und Vorschläge zur Verbesserung kommunalen Leistungen zu machen,<br />
zu dem Wunsch, an der Umsetzung der vorgeschlagenen Lösung mitzuwirken. Aber auch<br />
BeschwerdeführerInnen sind oft gewillt, an der Lösung des artikulierten Missstands mitzuwirken,<br />
wie die Leiterin des Projekts „Besser Leben in Offenbach“, Sabine Süßmann, berichten kann.<br />
Folgende Beispiele sollen den Mehrwert von Koproduktion in unterschiedlichen Phasen des<br />
kommunalen Entscheidungs- und Leistungsprozesses zeigen.<br />
Mit-Steuern bei der Ressourcenverwendung<br />
Gerade in der Finanzkrise gilt es für Politik und Verwaltung im Dialog mit der Bürgerschaft<br />
Prioritäten zu setzen, d.h. darüber zu entscheiden, welche Wirkungen gemeinsam erreicht werden<br />
sollen und wie die kommunalen und bürgerschaftlichen Ressourcen eingesetzt werden sollen. In<br />
Deutschland wird für solche Beteiligungsverfahren vielfach der wenig glückliche Begriff<br />
‚Bürgerhaushalt’ benutzt, der zum einen ausschließlich auf die kommunalen (steuerbaren)<br />
Haushaltsmittel a<strong>bst</strong>ellt und zum anderen fälschlicher Weise suggeriert, dass der kommunale<br />
Haushalt von BürgerInnen aufgestellt wird. Dabei ist klar, dass der Haushalt nach wie vor von der<br />
7
Verwaltung aufgestellt und vom Rat beschlossen wird. Hinzu kommt, dass sich die allermeisten<br />
BürgerInnen nicht für komplexe Haushaltsfragen interessieren.<br />
Die Beispiele aus der Stadt Recife in Brasilien und Berlin-Lichtenberg zeigen jedoch, wie<br />
BürgerInnen sinnvoll auch in Ressourcenfragen MIT-Steuern können, wenn es um Themen geht,<br />
die ihre unmittelbare Lebenslage berühren.<br />
Steckbrief: Reinhard-Mohn-Preisträger Recife: Stadt- und Schulentwicklung per<br />
Bürgerhaushalt<br />
In Recife werden die Bürgerinnen und Bürger seit 2001 in die Weiterentwicklung ihrer Stadt<br />
eingebunden. Mehr als 100.000 Erwachsene und Jugendliche der 1,6 Millionen Einwohner<br />
beteiligen sich jährlich an Versammlungen und über das Internet. Sie bringen Vorschläge für<br />
städtebauliche Maßnahmen ein, begleiten deren Umsetzung und bestimmen Prioritäten in<br />
verschiedenen Politikbereichen.<br />
Über diese regionale Stadtentwicklung hinaus finden in Recife themenorientierten Foren statt, in<br />
denen die Bürgerinnen und Bürger die Prioritäten für 15 verschiedene Politikbereiche wie Kultur,<br />
Bildung, Alter und Jugend mitbestimmen können. Zudem findet in Recife alle zwei Jahre ein<br />
Beteiligungsprozess an Schulen statt. Die Schülerinnen und Schüler können dort<br />
Verbesserungsvorschläge für ihre Schulen einbringen und deren Umsetzung begleiten.<br />
Die Einwohner Recifes werden das ganze Jahr über von Mitarbeitern der Stadtverwaltung sowie<br />
zahlreichen ehrenamtlichen Helfern, die in den einzelnen Stadtvierteln präsent sind, zur Teilnahme<br />
mobilisiert. Zudem wählen die Bürgerinnen und Bürger Delegierte aus ihren Reihen, die den<br />
Beteiligungsprozess von Anfang bis Ende begleiten und am Schluss sogar den Haushaltsplan der<br />
Stadt aufstellen.<br />
Seit Einführung des Bürgerhaushaltes im Jahr 2001 wurden knapp 5.000 Maßnahmen von den<br />
Bürgerinnen und Bürgern beschlossen. Ein Großteil der Investitionen floss in die ärmeren<br />
Regionen der Stadt. Nach Aussage der Einwohner hat sich die Situation – insbesondere in den<br />
ärmeren Regionen der Stadt – durch den Beteiligungsprozess deutlich verbessert.<br />
Quelle: http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xchg/SID-84449469-<br />
38A0CF68/<strong>bst</strong>/hs.xsl/101086_106137.htm<br />
Steckbrief: Bürgerhaushalt und Kiezfonds in Berlin-Lichtenberg<br />
Der sog. Bürgerhaushalt ist seit 2005 als Verfahren zur Beteiligung der BürgerInnen an der<br />
Prioritätensetzung steuerbarer Produkte etabliert. Zur Diskussion stehen alle Produkte, die der<br />
Bezirk sel<strong>bst</strong> nach Umfang, Kosten und Qualität steuert. Zu Beginn des Beteiligungsprozesses für<br />
das jeweilige Haushaltsjahr erhalten 10 vH. der nach dem Zufallsprinzip ausgewählten<br />
EinwohnerInnen je Stadtteil eine Einladung, sich zu beteiligen. Daneben wird über diverse Medien<br />
geworben.<br />
8
Die Beteiligung der BürgerInnen kann in stadtteilbezogenen Diskussionsforen, online oder<br />
schriftlich erfolgen. Nach Abschluss der Dialogphase werden alle Vorschläge, die sich den vom<br />
Bezirksamt beeinflussbaren Aufgabenbereichen zuordnen lassen, zur A<strong>bst</strong>immung gestellt. Die<br />
von den BürgerInnen priorisierten Vorschläge werden der Bezirksversammlung zugeleitet, die<br />
entscheidet, welche Vorschläge in die Haushaltsplanung aufgenommen werden.<br />
Des Weiteren hat der Bezirk mit der Haushaltsplanung 2010 einen sog. Kiezfonds in Höhe von<br />
jährlich 65.000 Euro eingerichtet, aus dem je Stadtteil 5.000 Euro bereitgestellt werden. Über die<br />
Vergabe entscheidet eine für jeden Stadtteil gebildete Bürgerjury innerhalb der mit der<br />
Bezirksverwaltung abgestimmten Förderschwerpunkte. Auf diese Weise fördert das<br />
Beteiligungsverfahren neue Formen bürgerschaftlicher Koproduktion auf Quartiersebene.<br />
Quelle: http://www.kdz.eu/en/node/1442<br />
Mit-Entwickeln von innovativen Lösungen<br />
Wer weiß besser als der Kunde bzw. die Kundin, wie eine Dienstleistung beschaffen sein soll? Ein<br />
ganz offensichtlicher Gedanke, der in der Privatwirtschaft immer stärker genutzt wird. Dabei geht<br />
es nicht um Kundenzufriedenheitsbefragungen, sondern um die gemeinsame Entwicklung von<br />
Dienstleistungen und Produkten mit KundInnen. Aber auch immer mehr Kommunen nutzen das<br />
Innovationspotenzial von BürgerInnen, um flexible und differenzierte Lösungen zu finden, die der<br />
Lebenslage der jeweiligen Zielgruppe angepasst sind.<br />
Dies geschieht vielerorts durch interaktive Internetplattformen wie in der Stadt Köln oder durch ein<br />
kooperativ verstandenes Qualitätsmanagement, das auf aktives Beschwerdemanagement und<br />
Service-Garantien setzt, wie dies im westfälischen Arnsberg geschieht. Der Steckbrief zum Co-<br />
Design Ansatz der Stadt Stockport weist auf neue Wege bei der Gestaltung von<br />
Informationsangeboten. Der Steckbrief ‚Jugendliche als X-plorer in Emsdetten‘ zeigt, wie<br />
BürgerInnen bei Bürgerbefragungen eine aktive Rolle spielen können.<br />
Steckbrief: Co-Design der Website des Sozialamts der Stadt Stockport durch<br />
SozialhilfeempfängerInnen<br />
Eine Analyse der Website des Sozialamts der Stadt Stockport aus Kundensicht ergab, dass viele<br />
‚User‘ bis zu 40 Minuten benötigten, um die gesuchten Informationen zu finden. Die<br />
Sozialhilfereform in Großbritannien im Jahr 2010 bot den geeigneten Anlass, um die Website von<br />
Grund auf zu erneuern.<br />
Dazu arbeitete die Stadt Stockport mit einer Gruppe von 30 SozialhilfeempfängerInnen zusammen,<br />
um deren Informationsbedürfnisse zu analysieren. Das Ergebnis war eine neue Website, die nicht<br />
nur zielgruppengerechte Informationsangebote für Sozialhilfeempfänger, sondern auch für deren<br />
Familienangehörige und Freie Träger und Ärzte enthielt. Durch die Vermeidung ‚unnötiger<br />
telefonischer Anfragen‘ kann das Sozialamt ca. 300.000 Pfund Sterling pro Jahr einsparen,<br />
während sich die Kosten für das Co-Design der Website auf ca. 75.000 Pfund Sterling beliefen.<br />
9
Quelle: http://www.govint.org/good-practice/case-studies/stockport-councils-new-adult-social-carewebsite-my-care-my-choice-a-business-case-for-service-co-design/<br />
Steckbrief: Jugendliche als X-Plorer in Emsdetten<br />
Die Stadt Emsdetten im Münsterland wollte herausfinden, was Jugendliche in ihrer Stadt bewegt,<br />
was sie interessiert und was sie sich wünschen, um das Angebot für Jugendliche vor Ort zu<br />
verbessern.<br />
Deshalb wurde 2008 eine große Online-Jugendbefragung kombiniert mit einer Straßenumfrage<br />
durchgeführt. Bei der Durchführung dieser Befragung hat sie mit einem<br />
X-plorer Team zusammengearbeitet, das aus engagierten Jugendlichen aller Altersgruppen<br />
bestand. Unter www.myemsdetten.de gibt es ein interaktives Jugendportal, das von dem<br />
X-plorer Team weiter betreut wird und mittlerweile von Praktikumsplätzen bis zu Party-Events ein<br />
breites Spektrum abdeckt.<br />
Mit-Umsetzen von Lösungen<br />
Wenn Bürgerinnen und Bürger Mitverantwortung für gesellschaftlich gewünschte Ergebnisse<br />
übernehmen und stärker an der Umsetzung mitwirken, ist das von Vorteil für sie und Kommunen,<br />
weil Kosten und Zeit gespart werden. Hinzu kommt, dass über Mit-Umsetzung mehr<br />
Problembewusstsein und Verständnis seitens der Bürgerinnen und Bürger entsteht und sich so<br />
auch das Bild und die Zusammenarbeit mit der Kommune verbessert.<br />
Aber es geht auch vor allem darum, was jeder Bürger bzw. jede Bürgerin zur Verbesserung der<br />
eigenen Lebensqualität tun kann. Ohne Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger wird die<br />
wirkungsorientierte Verwaltung weiterhin eine leere Formel bleiben.<br />
Steckbrief: Clean Cities in Schweden<br />
In der südschwedischen Stadt Linköping (128.000 Einwohner) wird mit Erfolg das von Patrick<br />
Quist, Malmö, entwickelte Konzept der „Clean Cities“ praktiziert. Jugendliche im Alter von 16 – 22<br />
Jahren übernehmen die Verantwortung für die Sauberkeit in der Innenstadt. Vier bezahlte Stellen<br />
werden durch die Stadtreinigung zur Verfügung gestellt, örtliche Unternehmen stellen Handys,<br />
Gutscheine für Busbenutzung, Essen etc. zur Verfügung.<br />
Die Aufgabe der Jugendlichen ist es, durch die Stadt zu gehen, andere Jugendliche anzusprechen<br />
und sel<strong>bst</strong> Reinigungsdienste zu vollziehen (z.B. Graffiti-Beseitigung). Für das Projekt wurde ein<br />
Internet-Blog angelegt, über den die Jugendlichen ihre Erwartungen und Erfahrungen mitteilen.<br />
Das Projekt wird durch die örtlichen Medien, das Stadtradio etc. begleitet. Nach Ausschreibung der<br />
vier Stellen sind rd. 2.000 Bewerbungen eingegangen. Auswahl und Besetzung der Stellen erfolgt<br />
10
in Verantwortung der Jugendlichen. Der Arbeitseinsatz erfolgt von März bis Oktober für die Dauer<br />
von 2 Monaten, dann wechseln die Personen.<br />
Quellen: www.inkoping.de, ungdomsombud-blogspot.com<br />
Steckbrief: Streetwatcher verbessern die Sicherheit in der Gemeinde Weyhe<br />
Die 30.500 Einwohner zählende Gemeinde Weyhe vor den Toren Bremens erhielt zunehmend<br />
Beschwerden über randalierende und alkoholisierte Jugendlichen, die sich nach der Schule und<br />
abends auf Spielplätzen, Schulhöfen oder auf Kindergartenplätzen trafen.<br />
Der Präventionsansatz „Streetwatcher“ zielt darauf ab, ehrenamtliche Ansprechpartner für<br />
Jugendliche an Wochenenden und bei allen öffentlichen Veranstaltungen einzusetzen, die niedrig<br />
angesetzte Hilfs- und Unterstützungsangebote machen und das Problembewusstsein in Bezug auf<br />
Alkoholmissbrauch und dessen Folgeerscheinungen wie Ruhestörungen und Vandalismus zu<br />
stärken und auch über die gesundheitlichen Risiken im Kinder- und Jugendalter auf „Augenhöhe“<br />
aufzuklären<br />
Durch die Zusammenarbeit zwischen dem Verein PRO YOUgend, der Gemeinde und der Polizei<br />
sind die Einsätze wegen auffälliger Jugendlicher sowie die Schäden durch Vandalismus deutlich<br />
weniger geworden. Zudem konnte ein Netzwerk verschiedener Institutionen aufgebaut werden,<br />
von dem alle Beteiligten profitieren.<br />
Quelle: http://www.govint.org/?id=516<br />
Mit-Bewerten der Wirkung<br />
Dies ist sicher der Bereich, der noch den größten Nachholbedarf hat. In den meisten Kommunen<br />
werden Erfolgskontrollen Beratern oder Wissenschaftlern überlassen, sofern überhaupt<br />
Evaluierungen durchgeführt werden. Bürgergutachten sind eher die Ausnahme.<br />
Der Einsatz von BürgerInnen als Inspektoren öffentlicher Leistungen in der schottischen Gemeinde<br />
West Lothian zeigt, dass BürgerInnen sel<strong>bst</strong> bei der Leistungskontrolle in öffentlichen<br />
Verwaltungen wichtige Aspekte einbringen können, die sich dem Fachpersonal verschließen. Aber<br />
auch Bewerdemanagement kann als Chance genutzt werden, um über die negative Rückmeldung<br />
hinaus auch konstruktive Verbesserungsvorschläge zu erhalten, wie das dialogorientiert im<br />
Rahmen des Aktiven Beschwerdemanagements seit langem in Arnsberg praktiziert wird.<br />
Steckbrief: Einsatz von Bürger-InspektorInnen in der schottischen Gemeinde West Lothian<br />
11
Die an Edinburgh angrenzende Gemeinde (170.000 Einwohner) hatte 2011 erstmals acht<br />
EinwohnerInnen als ehrenamtliche Inspektoren ausgebildet. Ziel war es, die Bürgerorientierung<br />
und Dienstleistungsqualität der Kommune zu verbessern, indem öffentliche Leistungen aus<br />
Kundensicht beurteilt werden. Begonnen wurde das Pilotprojekt in zwei Leistungsbereichen, die<br />
aufgrund von Qualitätsmängeln in der lokalen Presse und Öffentlichkeit stark kritisiert worden<br />
waren: Der Winterdienst und die Vergabe von Schulplätzen.<br />
Dazu wurden BürgerInnen aufgerufen, sich bei der Stadt zu bewerben. Von den 35 BewerberInnen<br />
wurden schließlich acht BürgerInnen ausgewählt, die in 2 Tagen auf der Grundlage eines auf dem<br />
EFQM-Modell konzipierten Bewertungsrahmens geschult wurden.<br />
Für die Inspektion der Dienstleistung stand jedem Bewertungsteam ein maximaler Zeitrahmen von<br />
sechs Tagen zur Verfügung. Die Bewertung durch die BürgerInnen erbrachte nicht nur eine Reihe<br />
von Verbesserungsvorschlägen, sondern wurde von allen Beteiligten als eine<br />
vertrauensverbessernde positive Erfahrung bewertet.<br />
Quelle: http://www.govint.org/good-practice/case-studies/an-inspector-calls-citizen-led-serviceinspections-in-west-lothian-council/<br />
Steckbrief: „Wie würden Sie es denn machen?“ - Aktives Beschwerdemanagement in<br />
Arnsberg<br />
Mit dieser Frage wendet sich die Stadtverwaltung an ihre KundInnen, um Bürgerinnen und Bürger<br />
als „kostenlose“ BeraterInnen und KoproduzentInnen zu nutzen, denn in jeder Beschwerde steckt<br />
ein Verbesserungsvorschlag.<br />
Das auf dieser Grundlage entwickelte aktive Beschwerdemanagement zeichnet sich durch einen<br />
einfachen, schnellen und kostengünstigen Zugang für Beschwerden und deren Beantwortung aus.<br />
Als Zugangskanäle stehen neben der Möglichkeit zu persönlichen Kontakten und dem klassischen<br />
Schriftverkehr auch Telefon und Internet zur Verfügung.<br />
Durch die Vereinbarung kurzer Dienstwege geht die Beschwerde direkt an den zuständigen<br />
Mitarbeiter, der die Verantwortung für die Erledigung übernehmen muss. Ein spezielles<br />
Servicetelefon stellt wiederum sicher, dass der Bürger sofort und für alles einen Ansprechpartner<br />
findet, ihm so die zeit- und kostenintensive Suche nach dem jeweils zuständigen Mitarbeiter<br />
erspart bleibt und er innerhalb kürzester Zeit eine Antwort erhält.<br />
Da der Bürger spürt, dass er im Rathaus ernst genommen wird, ist er auch weiterhin bereit, sich<br />
aktiv einzubringen. Der Stadtverwaltung sel<strong>bst</strong> bietet das aktive Beschwerdemanagement aber<br />
auch die Chance, ihre Leistungsfähigkeit, Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit unter Beweis zu<br />
stellen.<br />
Quelle: Löffler et al. (2009): Innovative Verwaltung (7-8), S. 16.<br />
12
5. Chancen und Risiken von Koproduktion für Kommunen in Deutschland<br />
Wenn sich Kommunen auf die Koproduktion politisch gewünschter Wirkungen mit Bürgerinnen und<br />
Bürgern einlassen, geschieht dies in der Erwartung, durch Koproduktion einen Mehrwert zu<br />
erzielen, der die zusätzlichen Investitionen in eine Neuausrichtung der Geschäftsprozesse und<br />
Qualifizierungsmaßnahmen rechtfertigt. Als spezifische Vorteile von Koproduktion gelten:<br />
Verbesserung der Qualität kommunaler Dienstleistungen und der Lebensqualität in der<br />
Kommune<br />
Mehr Wahlmöglichkeiten für BürgerInnen durch Angebotsdifferenzierung<br />
Höhere Effektivität des Verwaltungshandelns durch stärkeres Präventionsverhalten und<br />
Peer Support Netzwerke von BürgerInnen<br />
Einsparungen für öffentliche Haushalte<br />
Bei der Umsetzung von Koproduktionsansätzen in der Praxis wird schnell deutlich, dass<br />
Koproduktion inhärent politisch ist und die Grenzen zu politischer Partizipation fließend sind. Mehr<br />
Mitarbeit bedeutet in der Regel auch mehr Mitsprache. So attraktiv die Erschließung zusätzlicher<br />
Wissenspotenziale und Ressourcen der Zivilgesellschaft für die öffentliche Hand auch sein mag,<br />
werden in der Zusammenarbeit mit BürgerInnen auch viele Risiken und Gefahren für Politik und<br />
Verwaltung gesehen. Dazu gehören:<br />
Macht- und Kontrollverlust für Politik und Verwaltung<br />
Konkurrenz durch erfolgreiche zivilgesellschaftliche Initiativen, die Verwaltungsprodukte in<br />
Frage stellen bzw. obsolet machen<br />
Unvorhergesehene Entwicklungen oder Ereignisse durch äußere Störfaktoren<br />
Mehrarbeit und Überforderung des Verwaltungspersonals<br />
Mangelnde Nachhaltigkeit der bürgerschaftlichen Mitarbeit.<br />
In der Konsequenz wandelt sich notwendigerweise die Beziehung zwischen Staat und BürgerInnen<br />
von paternalistisch zu kooperativ, weil sich auch machtpolitisch die Rollen im Machtdreieck von<br />
Verwaltung, Politik und Bürgerschaft verändern.<br />
Genau an dieser Stelle stößt Koproduktion in der Verwaltungspraxis oft an Grenzen und reibt sich<br />
mit dem traditionellen Rollen- und Sel<strong>bst</strong>verständnis von Professionellen, die oftmals lieber<br />
Probleme für Anspruchsgruppen sel<strong>bst</strong> lösen als in konfliktträchtigen und zeitraubenden<br />
Dialogverfahren gemeinsam mit ihren Klientelgruppen gemeinsame Problemlösungen zu<br />
erarbeiten.<br />
13
6. Entwicklungsperspektiven von Koproduktion in Deutschland<br />
Die Voraussetzung für mehr Koproduktion sind günstig: so ermöglichen neue Technologien mehr<br />
Flexibilität und Möglichkeiten zur Vernetzung. Nicht zuletzt führt der demografische Wandel dazu,<br />
dass mit der steigenden Zahl älterer Menschen außerhalb des Berufslebens auch mehr Potenzial<br />
für unentgeltliches Engagement verfügbar wird. Gleichzeitig steigt der Kostendruck auf den<br />
öffentlichen Sektor, vor allem im Sozial- und Gesundheitsbereich.<br />
Allerdings wird sich an den hemmenden Faktoren von Koproduktion so schnell nichts ändern. So<br />
vertrauen viele politische MandatsträgerInnen ihren BürgerInnen genauso wenig wie diese ihren<br />
PolitikerInnen vertrauen. Vor allem sind Bürgerinnen und Bürger kaum bereit, als Reparaturbetrieb<br />
des Staats in der Finanzkrise zu verstärkter Mitwirkung an politisch gewünschten Ergebnissen<br />
herangezogen zu werden, zumal sie zuvor kaum von der Politik gefragt wurden.<br />
Aus internationalen Vergleichen lässt sich lernen, was anderswo möglich ist, welche Beispiele<br />
erfolgreich sind und welche nicht. Durch die Bereitstellung von fundierten Informationen und<br />
Vergleichsmöglichkeiten sollen Kommunen und BürgerInnen angeregt werden, die kommunale<br />
Sel<strong>bst</strong>verwaltung im besten Wortsinne aufrechtzuerhalten, denn die Lösung gesellschaftlicher<br />
Probleme gelingt nur mit den BürgerInnen. Die BürgerInnen haben ein Anrecht auf Beteiligung,<br />
denn es geht um ihre Zukunft und die ihrer Kinder.<br />
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7. Literatur<br />
Bovaird, Tony (2007): Beyond engagement and participation – user and community coproduction<br />
in public services, in: Public Administration Review, 67 (5), S. 846 – 860.<br />
Governance International (2009): Von der Kundenorientierung zur Kundenintegration. Ein<br />
Leitfaden zur Verbesserung der öffentlichen Dienstleistungen und Lebensqualität der Bürger durch<br />
Koproduktion, Birmingham.<br />
Löffler, Elke, Knipp, Rüdiger und Knirsch, Hanspeter (2009), Qualitätsmanagement: Mehr<br />
Kundennähe durch Bürgerbeteiligung und -verantwortung, in: Die Innovative Verwaltung, Heft 7-8,<br />
S. 16-17.<br />
Löffler, Elke; Birk, Florian (2011): Koproduktion, in: Blanke, Bernhard u.a. (Hrsg.): Handbuch zur<br />
Verwaltungsreform, 4. Aufl., Wiesbaden, S. 501 – 516<br />
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