Heimat-Rundblick 103
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Winter 2012<br />
Nr. <strong>103</strong><br />
4/2012 · 25. Jahrgang<br />
ISSN 2191-4257<br />
RUNDBLICK<br />
GESCHICHTE · KULTUR · NATUR<br />
Einzelpreis € 4,50<br />
Borgfeld · Osterholz-Scharmbeck · Grasberg · Hambergen · Lilienthal<br />
Ritterhude · Schwanewede · Lesum · Worpswede · Fischerhude · Tarmstedt<br />
II N H A LL T<br />
unter anderem:<br />
Kulturstiftung Landkreis Osterholz<br />
Rückblick auf die Leserreise 2012<br />
Zwei Preise für Landkreis Osterholz<br />
Neuer Moorpfad im Teufelsmoor<br />
Auf Mühlensuche im Landkreis<br />
Wechselvolle Geschichte einer<br />
Friedhofsmauer<br />
Campus für lebenslanges<br />
Lernen<br />
Bremens äußerster<br />
Vorposten<br />
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„Bacchus“ von Waldemar Otto, 2011,<br />
vor „Große Kunstschau Worpswede“<br />
Foto: Dr. Helmut Stelljes<br />
Foto: Erwin Duwe<br />
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Überweisung auf Kto. 126 995 Kreissparkasse Lilienthal (BLZ 291 523 00)<br />
oder auf Kto. 73 1778 600 Volksbank Osterholz (BLZ 291 623 94)
Aus dem Inhalt<br />
Aktuelles<br />
Harald Steinmann<br />
Redaktionssitzung Seite 4<br />
Manfred Simmering<br />
Auszeichnung für<br />
ehrenamtliches Wirken Seite 4<br />
Familie Noltenius<br />
Leserbrief zur Leserreise Seite 4<br />
Rupprecht Knoop<br />
Rückblick auf die Leserreise 2012 Seite 5<br />
Termine der <strong>Heimat</strong>vereine Seite 11<br />
Lesenswertes Seite 27, 28<br />
<strong>Heimat</strong>geschichte<br />
Hans Siewert<br />
Ein idyllisches Landhaus<br />
am Ufer der Hamme Seite 10 + 11<br />
Wilhelm Berger<br />
Von Teufelsmoor<br />
ins Teufelsmoor Seite 12 + 13<br />
Wilhelm Berger<br />
Die Findorff-Karte der Ortschaft<br />
Teufelsmoor im Original Seite 14 + 15<br />
Johannes Rehder-Plümpe<br />
Auf Mühlensuche im<br />
Landkreis Osterholz Seite 18<br />
Harry Schumm<br />
Die wechselvolle Geschichte<br />
einer Friedhofsmauer Seite 19<br />
Harry Schumm<br />
Die Speckmannstraße<br />
vor über 100 Jahren Seite 20 + 21<br />
Harald Steinmann<br />
Ein Stammbaum sagt<br />
mehr aus Seite 22 + 23<br />
Manfred Simmering<br />
Ein Museum in der Scheune Seite 23<br />
Horst Plambeck<br />
Bremens äußerster<br />
Vorposten Seite 26 + 27<br />
Kultur<br />
Helmut Stelljes<br />
Die „Kulturstiftung<br />
Landkreis Osterholz“ Seite 6<br />
Beate C. Arnold<br />
Die Malerei von Stefan Ettlinger Seite 7<br />
Johannes Rehder-Plümpe<br />
Zwei Preise für den Landkreis Seite 8 + 9<br />
Danke<br />
Für Spenden bedankt sich der Förderverein<br />
HEIMAT-RUNDBLICK e.V. bei<br />
Marta Gehrke, Buxtehude.<br />
RUNDBLICK Herbst 2012<br />
Dr. Ulrike Baumheier<br />
Campus für<br />
lebenslanges Lernen Seite 24 + 25<br />
Serie<br />
Johann (Jan) Brünjes<br />
Lach- und Torfgeschichten Seite 15<br />
Peter Richter<br />
Vor 100 Jahren Seite 16 + 17<br />
Bauernregeln Seite 25<br />
Mareike Haunschild<br />
Jugendseite –<br />
Landjugend Schwanewede Seite 29<br />
Kurt Ringen<br />
Blick in die Nachbarschaft:<br />
Das Kriegsende im<br />
Lager Sandbostel Seite 30 + 31<br />
Persönliches<br />
Manfred Simmering<br />
Hildegard Fittschen 90 Jahre Seite 21<br />
Nachruf Herbert Fittschen Seite 21<br />
Wilko Jäger<br />
Danke Hermann Gutmann 25<br />
Redaktionsschluss für die nächste<br />
Ausgabe: 15. Februar 2013<br />
Impressum<br />
Herausgeber und Verlag: Druckerpresse-Verlag UG (haftungsbeschränkt),<br />
Scheeren 12, 28865 Lilienthal, Tel. 04298/46 99 09,<br />
Fax 04298/3 04 67, E-Mail info@heimat-rundblick.de, Geschäftsführer:<br />
Jürgen Langenbruch M.A., HRB Amtsgericht Walsrode<br />
202140.<br />
Redaktionsteam: Tim Wöbbeking, Lindenallee 25, 27726<br />
Worpswede, Telefon 04792/95 21 48, Wilko Jäger (Schwanewede),<br />
Rupprecht Knoop (Lilienthal), Dr. Christian Lenz<br />
(Teufelsmoor), Ilse Mehnert (Grasberg), Peter Richter (Lilienthal),<br />
Manfred Simmering (Lilienthal), Dr. Helmut Stelljes<br />
(Worpswede).<br />
Beratung und ständige Mitarbeit: Gerhard Behrens (Worpswede),<br />
Prof. Dr. Hermann Cordes (Borgfeld), Hermann Giere<br />
(Schlußdorf), Jürgen Lodemann (Ritterhude), Siegfried Makedanz<br />
(Schwanewede), Rudolf Matzner (Bremen-Lesum), Dieter<br />
Meisner (Worpswede), Hans-Jürgen Paape (Bremen), Johannes<br />
Rehder-Plümpe (Borgfeld), Hans Siewert (Osterholz-Scharmbeck),<br />
Erwin Simon (Ritterhude), Harald Steinmann (Lilienthal).<br />
Für unverlangt zugesandte Manuskripte und Bilder wird keine<br />
Haftung übernommen. Kürzungen vorbehalten.<br />
Leserservice: Telefon 04298/46 99 09, Telefax 04298/3 04 67.<br />
Korrektur: Helmut Strümpler, Harald Steinmann.<br />
Erscheinungsweise: Vierteljährlich.<br />
Bezugspreis: Einzelheft 4,50 €, Abonnement 18,– € jährlich<br />
frei Haus. Bestellungen nimmt der Verlag entgegen; bitte<br />
Scheck, Bargeld, oder Abbuchungsermächtigung beifügen.<br />
Kündigung drei Monate vor Ablauf des Jahresabonnements.<br />
Bankverbindungen: Für Abonnements: Kreissparkasse Lilienthal<br />
(BLZ 291 523 00) Konto-Nr. 126 995, Volksbank Osterholz<br />
eG (BLZ 291 623 94) Konto-Nr. 731 778 600.<br />
Für Spenden und Fördervereins-Beiträge: Kreissparkasse<br />
Lilienthal (BLZ 291 523 00) Konto-Nr. 122 150, Volksbank<br />
Osterholz eG (BLZ 291 623 94) Konto-Nr. 732 737 400.<br />
Druck: Langenbruch, Lilienthal.<br />
Erfüllungsort: Lilienthal, Gerichtsstand Osterholz-Scharmbeck.<br />
Der HEIMAT-RUNDBLICK ist in Bremen in der Böttcherstraße/<br />
Ecke Andenkenladen zu bekommen, in Worpswede in der<br />
Buchhandlung Netzel, außerdem liegt er im Philine-Vogeler-<br />
Haus (Tourismus-Info) und dem Barkenhoff aus und ist im Fotoatelier<br />
Dieter Weiser erhältlich, natürlich auch im Verlagshaus<br />
Langenbruch in Lilienthal.<br />
Liebe Leserinnen<br />
und Leser,<br />
mit dem Ausklingen des Jahres 2012<br />
haben wir wieder ein erlebnisreiches<br />
Jahr gehabt und konnten viele interessante<br />
und neue Gesichter unserer<br />
<strong>Heimat</strong> kennenlernen, wie z.B. die<br />
Geschichte der Lilienthaler Äbtissin<br />
am Bremer Dom, einem Weltkulturerbe.<br />
Gerade die Suche nach<br />
immer neuen Themen und Reportagen<br />
hat sich Dank des Ehrgeizes<br />
unserer Redakteure als äußerst ergiebig<br />
gestaltet und so können wir<br />
unseren Lesern auch im Jahr 2013<br />
jede Menge Wissenswertes, Erstaunliches,<br />
Vergessenes und Neues aus<br />
unserer <strong>Heimat</strong> präsentieren.<br />
Dank unseres Redaktionsmitgliedes<br />
Horst Plambeck konnten bereits<br />
einige Artikel im Internet auf<br />
www.Wikipedia.de etabliert werden,<br />
was zu regem Interesse, sowohl am<br />
<strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong> als auch an den<br />
behandelten Themen, führte.<br />
Dass sich immer mehr Menschen mit<br />
ihrer <strong>Heimat</strong> befassen, zeigen neuerdings<br />
auch die vielen Beiträge in<br />
diversen Medien. Uns zeigt dies aber<br />
auch, dass der <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong>, der<br />
vor 26 Jahren von Manfred Simmering<br />
ins Leben gerufen wurde und<br />
von Jürgen Langenbruch mit dem<br />
selben Engagement fortgeführt wird,<br />
ein Magazin ist, für das sich dieser<br />
Einsatz lohnt.<br />
Mein Dank gilt dabei allen Mitwirkenden:<br />
den Redakteuren, dem Verleger,<br />
der Druckvorstufe, bei der alles<br />
eintrifft und Gestalt annimmt, den<br />
Korrekturlesern, welche in penibler<br />
Vorgehensweise die letzten Fehler<br />
beseitigen, und den fleißigen Händen<br />
beim Versand. Wir alle bedanken<br />
uns auch bei den treuen Lesern, ohne<br />
die es nicht möglich wäre, den <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong><br />
so zu erhalten.<br />
Wir hoffen, dass Sie als Leser uns treu<br />
bleiben und wünschen Ihnen ein frohes<br />
Weihnachtsfest und ein erfolgreiches<br />
Jahr 2013.<br />
Ihr Tim Wöbbeking<br />
3
Redaktionssitzung<br />
Knapp 30 Personen hatten sich um den Tisch<br />
der Kulturstiftung Osterholz in Worpswede versammelt,<br />
als Karl-Heinz Marg, Vorsitzender des<br />
Kuratoriums der Kunststiftung, an dieser Stelle<br />
die Redaktion des <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong>s begrüßte<br />
und einen kleinen Ablauf der Geschichte dieser<br />
Foto: H. Stelljes<br />
In diesem Jahr ging die Tagesfahrt ins Weserbergland<br />
nach Fürstenberg und Bodenwerder.<br />
Morgens früh um 6.30 Uhr ging es los. Wir erlebten<br />
einen wunderbaren Sonnenaufgang, der uns<br />
einen schönen Tag versprach.<br />
In Fürstenberg angekommen, konnten wir bei<br />
klarem Wetter weit ins Wesertal blicken. Sofort lag<br />
einem das Niedersachsenlied auf den Lippen, denn<br />
die Weser macht hier einen großen Bogen. In der<br />
Manufaktur wurden wir von einer freundlichen<br />
Gästeführerin begrüßt, die uns kompetent durch<br />
das Museum führte. Wir erfuhren, dass man zur<br />
Herstellung des Porzellans Kaolin, Quarz und Feldspat<br />
benötigt. Auch wurde uns gezeigt, welche<br />
Porzellanformen in welcher Epoche gebrannt wur-<br />
Einrichtung vortrug. Im Dezember 1999 wurde<br />
die „Kulturstiftung Landkreis Osterholz” vom<br />
Landkreis und der Kreissparkasse Osterholz ins<br />
Leben gerufen. Sie hat das Ziel, Kunst und Kultur<br />
einschließlich der Belange der <strong>Heimat</strong>pflege<br />
im Landkreis Osterholz zu fördern und interessierte<br />
Privatpersonen und Unternehmer zu<br />
beteiligen. Zustiftungen und Zuwendungen<br />
sind möglich und erwünscht. Neben vielen<br />
anderen darf die Familie Reemtsma erwähnt<br />
werden, die sich besonders in Worpswede<br />
engagiert.<br />
Jürgen Langenbruch eröffnet den offiziellen<br />
Teil und bittet um Vorschläge für das Heft Nr.<br />
<strong>103</strong>. Alle schienen gut vorbereitet zu sein, denn<br />
die Liste war schnell gut gefüllt. An dieser Stelle<br />
wurde dem neuen Macher unseres <strong>Heimat</strong>-<br />
<strong>Rundblick</strong>s für sein Entgegenkommen gedankt,<br />
die vereinbarte Seitenzahl hin und wieder zu<br />
Auszeichnung für ehrenamtliches Wirken<br />
Lilienthal. Für ihren langjährigen ehrenamtlichen<br />
Einsatz wurden unsere Redakteure Harald<br />
Kühn und Peter Richter im November im Rahmen<br />
einer Feierstunde besonders ausgezeichnet. Aus<br />
der Hand des Bürgermeisters Willy Hollatz erhielten<br />
beide die Ehrennadel der Gemeinde Lilienthal,<br />
die damit ihren Dank „für unermüdlichen und<br />
uneigennützigen Einsatz im Dienste der Bürgerinnen<br />
und Bürger“ ausdrückt. Schon in jungen Jahren<br />
setzten sich die beiden Geehrten besonders im<br />
kulturellen und politischen Bereich für die Belange<br />
Harald Kühn und Peter Richter. Foto: BR<br />
ihres <strong>Heimat</strong>ortes ein. In den Gründungsjahren<br />
des Ortsjugendrings übernahmen sie Verantwortung<br />
im Vorstand, die Partnerschaft mit der<br />
Gemeinde Stadskanaal in Holland wurde von<br />
ihnen mit auf den Weg gebracht. 40 Jahre lang<br />
begleiteten Peter Richter und Harald Kühn das Lilienthaler<br />
Geschehen kritisch-ironisch mit ihrem<br />
Kabarett „Die Schwertlilien“.<br />
Auseinandersetzung mit<br />
der Geschichte Lilienthals<br />
In den vergangenen Jahren setzten sich beide<br />
Mitglieder des <strong>Heimat</strong>vereins Lilienthal in zwei<br />
Werken mit der jüngeren Ortsgeschichte auseinander.<br />
In ihrem Buch „Als die Hoffnung starb...“<br />
dokumentieren sie die Familiengeschichte und das<br />
Schicksal der jüdischen Familie Frank während der<br />
nationalsozialistischen Diktatur. Die mehrere<br />
Generationen in Lilienthal ansässige und geachtete<br />
Fotografenfamilie - ihre Kunstfotografien wurden<br />
in der ganzen Welt mit vielen Preisen ausgezeichnet<br />
- floh 1936 in die USA und entging damit<br />
Leserbrief zur Leserreise<br />
den. Wir sahen kunstvolle Sammlerstücke, Porzellan,<br />
das extra für Adelshäuser hergestellt wurde;<br />
aber auch Porzellan, welches große Hotels, wie z.B.<br />
Heiligenhafen und Dubai, in Fürstenberg bestellt<br />
haben. In einer Schauwerkstatt sahen wir den<br />
Handwerkern bei der Arbeit zu.<br />
Nach einem guten Mittagessen im Schloss-Café<br />
ging die Fahrt wieder Richtung Norden nach<br />
Bodenwerder. Im Münchhausen-Museum erwartete<br />
uns eine Gästeführerin, die uns in launiger<br />
Form, gespickt mit Anekdoten und Lügengeschichten<br />
des Barons, alles Wissenswerte über den<br />
Baron v. Münchhausen erzählte. So z.B. erfuhren<br />
wir, dass der Baron seine Lügengeschichten in<br />
vergnügter Runde seinen Freunden erzählte. Ver-<br />
überschreiten. Jürgen Langenbruch quittiert<br />
den Beifall mit einem Lächeln.<br />
Horst Plambeck ist ein<br />
großer Wurf gelungen<br />
Aus der Redaktionsrunde ist Horst Plambeck<br />
ein großer Wurf gelungen. Der <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong><br />
hat einen festen Platz im Internet-Lexikon<br />
Wikipedia gefunden. Geben Sie bei Google <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong><br />
ein, so finden Sie unser Heft an<br />
der ersten Stelle auf der Ergebnisliste! Mit vielen<br />
Informationen zu unserer eigenen<br />
Geschichte.<br />
Am Rande wurde bemerkt, dass der <strong>Heimat</strong>-<br />
<strong>Rundblick</strong> seine Redaktionssitzungen an immer<br />
wechselnden Orten abhält. So am 26. Januar<br />
2013 im Schmiedemuseum in Beckedorf.<br />
Harald Steinmann<br />
dem schlimmen Schicksal der Juden Deutschlands<br />
und Europas während dieser Zeit. Das mittlerweile<br />
vergriffene und vielbeachtete Buch gehört zum<br />
Bestand vieler Bibliotheken, u.a. im Holocaust-<br />
Memorial in New York und im Landtag in Hannover.<br />
„Zeitreise - 775 Jahre Lilienthal“ entstand im<br />
Jahre 2007 und stellt die Ortsgeschichte Lilienthals<br />
von der Gründung 1232 bis in die heutige Zeit<br />
dar. Dabei legten die Autoren besonderes Augenmerk<br />
auf die Zeit des Zweiten Weltkriegs und die<br />
Nachkriegszeit, in der die Entwicklung Lilienthals<br />
vom Neubeginn und von der Eingliederung vieler<br />
Vertriebener in Lilienthal geprägt wurde.<br />
Bürgermeister Hollatz erwähnte darüber hinaus<br />
den besonderen Einsatz der beiden im Rahmen<br />
der Familienforschung um die Nachfahren von<br />
Amtmann und Astronom Johann Hieronymus<br />
Schroeter und die gelungenen Ausstellungen zur<br />
Ortshistorie im Museum des <strong>Heimat</strong>vereins Lilienthal.<br />
Der <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong> freut sich mit den beiden<br />
Geehrten und gratuliert ganz herzlich.<br />
Manfred Simmering<br />
öffentlicht wurden seine Geschichten aber zuerst<br />
von R.E. Raspe und G.A. Bürger Mitte des 18. Jahrhunderts,<br />
sehr zum Ärger des Barons.<br />
Im Anschluss hatten wir noch Gelegenheit, uns<br />
die schöne kleine Weserstadt anzusehen. An vielen<br />
Ecken stehen Figuren, die den Baron darstellen und<br />
von seinen Lügengeschichten erzählen.<br />
Nach einem gemütlichen Kaffeetrinken ging es<br />
dann zurück. Ein besonderer Abschluss dieser interessanten<br />
und unterhaltsamen Reise war, dass uns<br />
ein wunderschöner Sonnenuntergang nach Hause<br />
begleitete. Diese Fahrt war wieder einmal ein Erlebnis,<br />
für das man den Verantwortlichen nur danken<br />
kann. Wir freuen uns auf das nächste Jahr!<br />
Familie Noltenius<br />
4 RUNDBLICK Herbst 2012
Rückblick auf die Leserreise 2012<br />
Porzellanmanufaktur Fürstenberg und Münchhausen-Museum in Bodenwerder<br />
Mit einer Busfahrt ins Weserbergland,<br />
nach Fürstenberg und Bodenwerder am<br />
29. September, konnte auch in diesem Jahr<br />
die Reihe der nun schon über 10 Jahre<br />
stattfindenden Leserreisen, auf den Spuren<br />
deutscher Literaten, fortgesetzt werden.<br />
Nach ca. 3 1/2 Stunden Fahrtzeit war das<br />
erste Tagesziel, die hoch über der Weser<br />
thronende Schlossanlage Fürstenberg mit<br />
der gleichnamigen Porzellanmanufaktur,<br />
erreicht. Aufgeteilt in zwei Besuchergruppen<br />
folgte eine Führung durch die verschiedenen<br />
Schauräume der Porzellanmanufaktur<br />
im Schloss, bei der nicht nur<br />
umfangreiche Kunstgegenstände aus Porzellan<br />
aus den vergangenen Jahrhunderten<br />
und aus der Neuzeit gezeigt wurden, sondern<br />
auch Gebrauchsporzellane aus den<br />
verschiedensten Stilepochen bis in die heutige<br />
Zeit. Die Porzellanmanufaktur, im Jahre<br />
1747 durch Herzog Carl I. von Braunschweig<br />
mit der Anordnung gegründet,<br />
man möge „allen möglichsten Fleiß und<br />
Bemühung anwenden“, um im Jagdschloss<br />
Fürstenberg Porzellan herzustellen, gehört<br />
heute mit zu den ältesten und renommiertesten<br />
Porzellanmanufakturen Europas.<br />
Nach einem guten Mittagessen im<br />
Schlosscafe und Restaurant „Lottine“ der<br />
Hieronymus Carl Friedrich Münchhausen in Bodenwerder.<br />
RUNDBLICK Herbst 2012<br />
Schlossanlage Fürstenberg sowie einem<br />
kleinen Einkaufsbummel durch die Verkaufsräume<br />
der Porzellanmanufaktur ging<br />
es weiter nach Bodenwerder zum Münchhausen-Museum,<br />
unserem zweiten Tagesziel,<br />
dem eigentlichem Programmpunkt<br />
„auf den Spuren deutscher Literaten“ der<br />
diesjährigen Leserreise.<br />
Nach einem halbstündigen Vortrag über<br />
den Baron von Münchhausen mit all den<br />
sonderbaren, unglaublichen Geschichten,<br />
wie in dem Münchhausen-Buch des deutschen<br />
Dichters Gottfried August Bürger,<br />
nach einer Vorlage des in England lebenden<br />
deutschen Gelehrten Rudolf Erich Raspe,<br />
aufgeschrieben und 1786 in Göttingen veröffentlicht,<br />
folgte ein Rundgang durch die<br />
Ausstellungsräume des Museums. Wobei<br />
neben den vielen Schriftstücken und Dokumenten<br />
über das bewegte Leben des<br />
Barons von Münchhausen auch etliche aus<br />
den Lügengeschichten bekannte Kuriositäten<br />
zu sehen waren.<br />
Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von<br />
Münchhausen wurde 1720 in Bodenwerder<br />
geboren, ging mit 13 Jahren in die Dienste<br />
des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel<br />
und folgte 1738 seinem<br />
Herrn nach Petersburg. Er nahm in die-<br />
Bilder oben: Porzellanmanufaktur Fürstenberg.<br />
ser Verbindung an mehreren russischen<br />
Kriegen teil, kam danach in die Garnisonsstadt<br />
Riga und kehrte um 1750 nach<br />
Deutschland zurück, heiratete und lebte,<br />
wie ein Landedelmann, auf dem ererbten<br />
Gut in Bodenwerder an der Weser. Er pflegte<br />
einen geselligen Verkehr mit seinen Gutsnachbarn,<br />
in dessen Verlauf er anfangs im<br />
Freundeskreis und später vor Gästen aus<br />
Bodenwerder immer wieder von seinen<br />
nicht immer ganz so glaubhaften Abenteuern<br />
erzählte. Was ihm im späteren Verlauf<br />
dann auch die Bezeichnung „Lügenbaron“<br />
einbrachte. Im Jahre 1797 verstarb<br />
Hieronymus Carl Friedrich von Münchhausen.<br />
Seine Geschichten hingegen sind durch<br />
die Nacherzählungen von verschiedenen<br />
Autoren bis heute lebendig geblieben.<br />
Darüber hinaus wird mit dem Münchhausen-Museum<br />
sowie dem Münchhausen-Brunnen<br />
in der Fußgängerzone von<br />
Bodenwerder, mit den verschiedenen<br />
Figuren aus einigen der bekannten Lügengeschichten,<br />
an den bekannten Bürger der<br />
Stadt erinnert.<br />
Mit einem kleinen Rundgang durch die<br />
Altstadt von Bodenwerder sowie einer kleinen<br />
Kaffeepause in einem Bodenwerder<br />
Café war auch wieder die Zeit gekommen,<br />
die Rückfahrt nach Lilienthal anzutreten.<br />
Ein Tag mit vielen Eindrücken war zu<br />
Ende gegangen.<br />
Text: Rupprecht Knoop<br />
Fotos: H. Stelljes<br />
5
Die „Kulturstiftung Landkreis Osterholz“<br />
Über die „Kulturstiftung Landkreis<br />
Osterholz“ hat der <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong> nach<br />
einem Gespräch mit dem Kuratoriumsvorsitzenden<br />
Karl-Heinz Marg im Heft Nr. 59<br />
berichtet. Mit der Gründung der Stiftung<br />
am 21. Dezember 1999 sollte „der Landkreis<br />
zum einen entlastet, zum anderen<br />
(sollten) damit neue Impulse für Kunst und<br />
Kultur gegeben werden“ (HR Nr. 59, Seite<br />
4). Seit der Gründung der Kulturstiftung ist<br />
im Rahmen der Erhaltung der historischen<br />
Bauten des Bildhauers und Architekten<br />
Bernhard Hoetger im Künstlerdorf<br />
Worpswede bis zum Jahre 2012 Beachtliches<br />
von der Stiftung geleistet worden.<br />
Die „Kulturstiftung Landkreis Osterholz“<br />
wurde schon bald nach der Gründung mit<br />
einem dramatischen Zustand am Kaffee<br />
Worpswede konfrontiert, denn der historische<br />
Giebel drohte einzustürzen. Die Einrichtung<br />
musste innerhalb kürzester Zeit eine<br />
Geldsumme von 500 000 € aufbringen,<br />
sodass sowohl der Giebel als auch der<br />
gesamte Baukomplex des Kaffee Worpswede<br />
von innen und von außen saniert werden<br />
konnte. Der Kuratoriumsvorsitzende Karl-<br />
Heinz Marg war damals zugleich Vorstandsvorsitzender<br />
der Kreissparkasse Osterholz.<br />
Bauwerk Hoetgers<br />
konnte gerettet werden<br />
Insofern hatte er hilfreiche Verbindungen zu<br />
Geldgebern und Förderern der Kulturstiftung.<br />
Da es in dieser speziellen Situation um<br />
das Baudenkmal des Architekten Bernhard<br />
Hoetger ging, war die Bereitschaft der Spender<br />
offenkundig vorhanden. Das expressionistische<br />
Bauwerk des Architekten Hoetger<br />
konnte gerettet und insofern für die Nachwelt<br />
erhalten werden.<br />
Nachdem die Sanierungsarbeiten am<br />
Kaffee abgeschlossen waren, da kündigte<br />
sich unerwartet ein weiteres beängstigendes<br />
Problem an. Entsprechend dem Urteil<br />
von Bauexperten drohte die Rotunde der<br />
Großen Kunstschau einzustürzen. Von den<br />
22 Holzbalken, die die Dachkonstruktion<br />
trugen, war die Hälfte der Träger völlig<br />
marode. Nur weil die Rotunde als ein<br />
Gesamtkonstrukt arbeitete, war das Dach<br />
an den unbeschädigten Stützen hängen<br />
geblieben. Schneller als gedacht und zuvor<br />
geplant, musste die Kulturstiftung diese<br />
gefährliche Herausforderung annehmen.<br />
Die Große Kunstschau wurde zunächst<br />
wegen der Einsturzgefahr der Rotunde<br />
sofort für den Publikumsverkehr geschlossen.<br />
Zwar war zu diesem Zeitpunkt die<br />
Schließung der Kunstschau denkbar<br />
ungünstig, zumal die kostenaufwändige<br />
Restaurierung des Barkenhoffs durch die<br />
Barkenhoffstiftung und den Landkreis<br />
Osterholz gerade beendet worden war.<br />
Der Landkreis hat jedoch der Kulturstiftung<br />
schnell und unkompliziert geholfen,<br />
Kuratoriumsvorsitzender Karl-Heinz Marg.<br />
sodass die Grundfinanzierung erst einmal<br />
gesichert wurde. Außerdem ergab sich als<br />
ein besonderer Glücksfall, dass das Ehepaar<br />
Rheemsma auf Einladung des Kuratoriumsvorsitzenden<br />
Karl-Heinz Marg die<br />
Finanzierungsprobleme bei der Restaurierung<br />
der Architektur von Bernhard Hoetger<br />
positiv beantwortete. Für die Wiederherstellung<br />
der Großen Kunstschau stellte<br />
Reemtsma-Stiftung stellte<br />
650 000 € zur Verfügung<br />
die Reemtsma-Stiftung der Kulturstiftung<br />
einen Betrag von 650 000 € zur Verfügung.<br />
Diese beachtliche Geldsumme der<br />
Reemtsma-Stiftung beschreibt Karl-Heinz<br />
Marg als Initialzündung, um am Ende den<br />
Gesamtbetrag „von 3,4 Mill. € auf die<br />
Beine zu stellen“. Neben den großen<br />
Spenden für das Sanierungsprojekt nennt<br />
Marg die Aktivierung von Bürgersinn und<br />
Bürgerhilfe, denn das war die Voraussetzung,<br />
die übrigen Fördermittel einbringen<br />
zu können. Sowohl mit der „Bausteinaktion“<br />
als auch durch den Verkauf der<br />
„Tine“ sind immerhin 300 000 € zusammengekommen.<br />
Gerade dieses Vorgehen<br />
der Kulturstiftung hat das Ehepaar<br />
Reemtsma nachhaltig beeindruckt.<br />
„Die Kulturstiftung ist eine Einrichtung,<br />
die das alles möglich gemacht hat“, betont<br />
Karl-Heinz Marg im Gespräch. „Wer<br />
schenkt einer Kommune Geld? Oder wer<br />
schenkt der Kommune Kunst? Das sind<br />
wohl seltene Fälle. Wir haben Spendenund<br />
Fördergelder von über 3 Mill. € eingeworben.<br />
Der Landkreis Osterholz und<br />
auch die Gemeinde Worpswede hätten<br />
diese Beträge nicht bekommen“.<br />
Die erforderlichen Sanierungsarbeiten<br />
des historischen Hoetger-Ensembles sind<br />
inzwischen abgeschlossen. Der Name<br />
„Roselius-Museum“ gehört seit der bauli-<br />
chen Umgestaltungen der Vergangenheit<br />
an. Die Museumsanlage heißt zukünftig<br />
„Große Kunstschau Worpswede“. Diese<br />
historische Bezeichnung hat für den Künstlerort<br />
immer eine positive Bedeutung<br />
gehabt. Im Rahmen der umfangreichen<br />
Baumaßnahmen sind gleichzeitig die<br />
sicherheits- und klimamäßigen Voraussetzungen<br />
für die gesamte Museumsanlage<br />
geschaffen worden. Während der Sanierung<br />
wurde insofern großer Wert darauf<br />
gelegt, dass die Sicherheits- und Klimabedingungen<br />
den hohen nationalen wie<br />
internationalen Ansprüchen gerecht wurden,<br />
sodass hochrangige Kunstausstellungen<br />
mit Leihgaben aus externen Museen<br />
möglich sind.<br />
Die zukunftsgerechte Sanierung des<br />
Museums soll durch einen vorgelagerten<br />
Kunstpark mit Skulpturen gestaltet werden.<br />
In enger Abstimmung mit der Denkmalschutzbehörde<br />
und mit dem Land Niedersachsen<br />
liegt bereits eine Planung vor.<br />
Eine markante Skulptur vor dem Hoetger-Ensemble<br />
ist der Bacchus-Brunnen,<br />
dessen füllige Figuren der Bildhauer Waldemar<br />
Otto extra für diesen Platz 2010<br />
geschaffen hat. Der Brunnen ist von einer<br />
Mauer eingerahmt, die aus den gespendeten<br />
„Bausteinen“ entstanden ist, in die<br />
jeweils Namen der über 600 Spender eingearbeitet<br />
sind. Die Skulptur von Waldemar<br />
Otto, ein Eigentum der Stiftung, ist<br />
„ein Geschenk für die Bürgerinnen und<br />
Bürger des Landkreises Osterholz und die<br />
Besucher Worpswedes“ und wurde von<br />
Ilse und Dieter Nehlsen gestiftet.<br />
Zu der „Kulturstiftung Landkreis Osterholz“<br />
gehört ebenso das „<strong>Heimat</strong>-<br />
Museum“ in Osterholz-Scharmbeck. Auch<br />
mit diesem Museum werden sich zukünftig<br />
für die Kulturstiftung erhebliche Sanierungsprobleme<br />
stellen. Die „Graphothek“,<br />
die ursprünglich in Worpswede beherbergt<br />
war, bedient die Kulturstiftung heute<br />
auf Gut Sandbeck, Osterholz-Scharmbeck.<br />
Aus der Satzung der Kulturstiftung ergeben<br />
sich unter anderem weitere Themen<br />
wie die Förderung der Kinder- und Jugendarbeit<br />
in dem Feld der Kunst und Kultur.<br />
Auch den Bereich der wissenschaftlichen<br />
Forschung unterstützt die Kulturstiftung.<br />
Hier hat sich der Förderverein „Worpsweder<br />
Gesellschaft für Kunst, Kultur und Wissenschaft“<br />
wiederholt mit hilfreichen Förderbeiträgen<br />
zur Verfügung gestellt.<br />
Gründung war<br />
absolut sinnvoll<br />
Die erfolgreichen und positiven Aktivitäten<br />
der Kulturstiftung haben in der Zeit<br />
nach 1999 deutlich gemacht, dass es absolut<br />
sinnvoll war, die „Kulturstiftung Landkreis<br />
Osterholz“ zu gründen.<br />
Text und Foto: Dr. Helmut Stelljes<br />
6 RUNDBLICK Herbst 2012
„…ein Wechsel zwischen Zufall und Eingreifen“<br />
Die Malerei von Stefan Ettlinger<br />
Worpswede. Im Rahmen der Ausstellungsreihe<br />
„Worpswede zeitgenössisch“<br />
der Worpsweder Museen ist bis zum 27.<br />
Januar 2013 im Barkenhoff die Ausstellung<br />
„Stefan Ettlinger. Malerei.“ zu sehen. Der<br />
Künstler lebte und arbeitete im Jahr 2004<br />
für neun Monate als Stipendiat der Künstlerhäuser<br />
Worpswede auf dem Barkenhoff<br />
und kehrt nun mit seinen Werken hierher<br />
zurück.<br />
Stefan Ettlinger, geboren 1958 in Nürnberg,<br />
studierte von 1980 bis 1988 an der<br />
Staatlichen Kunstakademie in Düsseldorf<br />
bei Alfons Hüppi. Bereits während dieses<br />
Studiums – ab 1985 als Meisterschüler –<br />
ging seine künstlerische Arbeit weit über<br />
die Malerei hinaus. Filme, Musik und Performances<br />
setzte er unter anderem in der<br />
Künstlergruppe „Anarchistische Gummizelle“<br />
um. Eigene Projekte wie Videos und<br />
Musikperformances folgten, seit den<br />
frühen 1980er Jahren produziert Ettlinger<br />
Musik. Er bezeichnet sich jedoch gern als<br />
„Amateurmusiker“, offizielle Tonträgerveröffentlichungen<br />
hat es bis heute nicht<br />
gegeben. In erster Linie, so sagt der Künstler<br />
über sich selbst, sei er Maler.<br />
Die Motive für seine oft großformatigen<br />
Gemälde findet Ettlinger in der unermesslichen<br />
Bilderflut unserer multimedialen Welt.<br />
Konsequent nutzt er vorhandenes Material<br />
als Vorlage für seine Darstellungen: Illustriertenfotos,<br />
Postkarten, Buchillustrationen,<br />
Stills aus Fernseh- und Videofilmen,<br />
insbesondere aber auch Fotografien.<br />
Aus seiner umfangreichen und ständig<br />
weiter wachsenden Sammlung erstellt Ettlinger<br />
schrittweise immer wieder neue<br />
Pools von potenziellen Bildvorlagen. Die<br />
Methode der endgültigen Auswahl des<br />
Ursprungsmaterial für seine Werke steht<br />
RUNDBLICK Herbst 2012<br />
Die Ausstellung von Stefan Ettlinger im Barkenhoff.<br />
schließlich im Gegensatz zu dieser gezielten<br />
ästhetischen Zusammenstellung: Ettlinger<br />
lost die Vorlagen aus einem Bilderpool<br />
aus. Eine Äußerung des Künstlers<br />
bezüglich seiner Maltechnik kann synonym<br />
auch für diese Vorgehensweise verstanden<br />
werden: „Es ist immer ein Wechsel<br />
zwischen Zufall und Eingreifen“. 1 )<br />
Einfrieren eines sehr<br />
flüchtigen Moments<br />
Thematisch sind für den Künstler nahezu<br />
alle Bereiche des (alltäglichen) Lebens von<br />
Interesse: belebte Natur, gestaltete Landschaft,<br />
Menschengruppen und Einzelpersonen,<br />
auch Architekturen und Technisches,<br />
wobei der Kontext sowohl zeitgenössisch<br />
als auch historisch sein kann. Durch die<br />
Kombination und malerische Bearbeitung<br />
von zwei oder drei thematisch voneinander<br />
unabhängigen Motiven entstehen spannungsreiche,<br />
fiktive Szenerien, die den<br />
ursprünglich dokumentarischen Charakter<br />
der Vorlagen, beispielsweise der Fotografien,<br />
aufheben. Auch die Nutzung einzelner<br />
Szenen aus Actionfilmen widerspricht der<br />
eigentlichen Logik des Mediums, ermöglicht<br />
dabei durch das Einfrieren eines sonst<br />
sehr flüchtigen Moments eine völlig andere<br />
Wahrnehmung des Geschehens. Dieser Perspektivwechsel,<br />
die Aufhebung erzählender<br />
Kontinuität, die durch die Parallelität realistischer<br />
und abstrakter Bildelemente, Auslassungen<br />
oder Doppelungen im Bild erzielt<br />
wird, ist elementarer Teil aller Werke.<br />
Ettlinger verweigert uns in seinen Arbeiten<br />
die übliche Form der Wahrnehmung.<br />
Unsere Fähigkeit, komplexe Zeichensätze<br />
blitzartig zu dekodieren und sie mit einem<br />
Kanon aus Vorwissen, Erfahrung und<br />
Erwartung in Zusammenhänge einzuord-<br />
nen, wird außer Kraft gesetzt. Zwar erkennen<br />
wir auf Ettlingers Bildern auch Bekanntes<br />
– doch was auf den ersten Blick als<br />
Gesamtheit erscheint, erweist sich beim<br />
abermaligen Hinsehen als trügerisch.<br />
Und das ist gewollt. Ettlinger versucht<br />
keine ‚Nacherzählung’ einer (subjektiven)<br />
Wirklichkeit, ihn interessiert das Zusammenspiel<br />
von Situationen, die nicht zueinander<br />
gehören. Solche Situationen bringt<br />
er in einer ganz eigenen ästhetischen Bildsprache<br />
auf dem Malgrund miteinander in<br />
Verbindung. Unser reflexartiger Versuch,<br />
dem Gesehenen eine eindeutige Bewertung<br />
zuzuordnen, misslingt. Ettlingers Bilder<br />
faszinieren nicht zuletzt durch ihre Vielschichtigkeit,<br />
sie lassen breiten Raum für<br />
Suggestion und Imagination. Dem Künstler<br />
selbst bietet diese Vielschichtigkeit<br />
auch die Chance, sich der thematischen<br />
Festlegung zu entziehen und eine eindimensionale,<br />
konkrete Einordnung seiner<br />
Arbeit zu verhindern.<br />
Zur Ausstellung, die durch die freundliche<br />
Unterstützung der Stiftung Niedersachsen<br />
und des Landschaftsverbands<br />
Stade ermöglicht wurde, ist eine Publikation<br />
erschienen. Sie ist für € 8 im Barkenhoff<br />
erhältlich (täglich geöffnet von 10 bis<br />
18 Uhr).<br />
Beate C. Arnold<br />
1 ) „… die Luft herausgelassen und irgend<br />
etwas Luftähnliches hineingetan…“. Ein<br />
Gespräch mit Stefan Ettlinger, von Matthias<br />
Winzen, in: Stefan Ettlinger – Malerei.<br />
Publikation zur gleichnamigen Ausstellung<br />
im Museum Haus Esters, Krefeld<br />
(8. 9. bis 3. 11. 2002) und der Staatlichen<br />
Kunsthalle Baden-Baden (28. 11.<br />
2003 bis 25. 11. 2004), Hrsg. Krefelder<br />
Museen, Krefeld 2002, S. 48.<br />
7
Aus(sen)sichten und Innensichten<br />
Zwei Preise für den Landkreis Osterholz<br />
Gewonnen hat der Landkreis Osterholz,<br />
und das gleich doppelt! Zwei Auszeichnungen<br />
des „BDA Preises Niedersachsen<br />
2012“ gingen an den Landkreis Osterholz.<br />
Der „BDA Preis Niedersachsen“ ist der<br />
bedeutendste Architekturpreis in Niedersachsen<br />
und durch „die gemeinsame Auszeichnung<br />
von Architekten und Bauherren“<br />
ein besonderer Preis. Mit diesem wird<br />
unterstrichen, „dass herausragende Architektur<br />
nur im konstruktiven Zusammenwirken<br />
eines qualitätsbewussten Bauherrn<br />
und eines leidenschaftlichen Architekten<br />
entsteht.“<br />
Alle drei Jahre zeichnet der Bund Deutscher<br />
Architekten in Niedersachsen seit<br />
Mitte der 70er Jahre mit dem Preis „beispielgebende<br />
baukünstlerische Leistungen<br />
für ein Bauwerk, eine Gebäudegruppe,<br />
eine städtebauliche Anlage“ aus.<br />
Der Landkreis Osterholz lud am 12. 11.<br />
2012 nach Osterholz-Scharmbeck in das<br />
Foyer des Kreishauses an der Osterholzer<br />
Landstraße zur Eröffnung der Ausstellung<br />
„BDA Preis Niedersachsen 2012“. Die Ausstellung<br />
zeigt die Arbeiten von neunzehn<br />
Preisträgern auf insgesamt 38 Ausstellungstafeln.<br />
In der Einladung verkündete Landrat Dr.<br />
Jörg Mielke stolz:<br />
„Gleich zwei Projekte im Landkreis<br />
Osterholz wurden ausgezeichnet: der Bau<br />
von Aussichtsplattformen im Teufelsmoor<br />
sowie die Modernisierung und Erweiterung<br />
des Roselius-Museums in Worpswede.“<br />
Bauherr des ersten Projektes war die<br />
Naturschutzbehörde des Landkreises<br />
Osterholz und des zweiten die Kulturstiftung<br />
Landkreis Osterholz.<br />
Aussichten im Teufelsmoor<br />
So nennen sich die vom Bremer Architekten<br />
Johannes Schneider gelösten Bauaufgaben<br />
für den Landkreis, den Bau von<br />
Aussichtsplattformen im Naturschutzgebiet<br />
Teufelsmoor in der Nähe von Neuenfelde<br />
und in den Linteler Weiden.<br />
In einem der wertvollsten Feuchtgebiete<br />
Norddeutschlands, der Niederung der<br />
Hamme, hat der Landkreis Osterholz im<br />
Rahmen eines europäischen Naturschutzprojektes<br />
viele Maßnahmen zur Erhaltung<br />
und Renaturierung naturnaher Lebensräume<br />
umgesetzt. Um diese einzigartige<br />
Natur mit „Fauna-Flora-Habitat- und<br />
Vogelschutzgebiet für Besucher erlebbar<br />
zu machen, wurde für Schulklassen,<br />
Ornithologen, Naturliebhaber, Wanderer,<br />
Radler, Sportler ein umfangreiches Wegenetz<br />
geschaffen. An ausgesuchten Standorten<br />
an diesen Wegen ließ der Landkreis<br />
Aussichtspunkte einrichten, die den Besu-<br />
Die Blickbox in den Postwiesen, von der aus man die Tierwelt unbemerkt beobachten kann.<br />
chern „ungewohnte Aussichten in die<br />
weite und offene Niederungslandschaft“<br />
ermöglichen. Es entstanden eine Beobachtungshütte<br />
und zwei Aussichtstürme, die<br />
sich im Laufe der Zeit „auf natürliche<br />
Weise“ in die Landschaft einpassen. Gefertigt<br />
aus unbehandeltem, einheimischem<br />
Lärchen- und Eichenholz fügen sich diese<br />
in vorhandene Baumreihen und Gehölze<br />
ein, sind jedoch durch ihre Bauform „auch<br />
Skulptur und Landmarke“.<br />
Beobachtungsplattform „Blickbox“:<br />
„Die „Blickbox“ in den Postwiesen ist ein<br />
Pfahlbau, der sich in einen langen<br />
Gebüschstreifen einbettet. Das Gebäude<br />
ist über einen Holzsteg zu erreichen. Von<br />
innen ist der Raum hell, Sitzbänke laden<br />
zum Verweilen ein und Podeste bieten<br />
unterschiedliche Stehhöhen an. In diesem<br />
etwa 18 qm großen Beobachtungsstand,<br />
der auch Regenschutz bietet, sind die<br />
Wände so gegeneinandergesetzt, dass<br />
kein Durchblick, sondern nur ein Ausblick<br />
möglich ist. Von außen bleiben Besucher<br />
von der Tierwelt unbemerkt. Besonders<br />
Die Himmelstreppe in Neuenfelde, Höhe knapp 10 m.<br />
während der winterlichen Überschwemmungen<br />
schwimmt sich das Gebäude frei,<br />
und es können Schwäne, Graugänse und<br />
andere nordische Gast- und Rastvögel<br />
beobachtet werden.“<br />
Aussichtsturm „Himmelstreppe“: „Die<br />
Himmelstreppe in Neuenfelde bildet die<br />
Verlängerung einer Baumreihe, die parallel<br />
zu einem Graben und einem Waldstreifen<br />
liegt. Etwa 50 Eichenstufen führen bis in<br />
etwa 10 m Höhe. Auf etwa 2/3 Höhe bietet<br />
eine Aussichtsplattform einen überdachten<br />
Sitzplatz. Die tragende Konstruktion<br />
aus verzinktem Stahl wurde fast vollständig<br />
mit Latten aus Lärchenholz<br />
beplankt. Die einzelnen Bauteile wie<br />
Treppe und Aussichtskorb sind durch<br />
Fugen mit Gitterrosten abgesetzt. Der<br />
Turm ist mit fünf je 15 m langen Stahlrohrpfählen<br />
gegründet. Die Himmelstreppe<br />
bietet eine attraktive Aussicht auf<br />
die Moorwiesen bis zum Weyerberg in<br />
Worpswede. Beobachtet werden können<br />
tausende von Wiesenvögeln während der<br />
Balz- und Mauserzeit.“<br />
8 RUNDBLICK Herbst 2012
Aussichtsturm „Weidenkorb“: „Der Weidenkorb<br />
ist ein etwa 12 m hoher runder<br />
Aussichtsturm im Ortsteil Linteler Weiden.<br />
Er steht zwischen einem Lärchenwäldchen<br />
und lässt ein im Moor traditionelles grobes<br />
Korbgeflecht assoziieren. Gekreuzt und<br />
diagonal verbundene Stäbe aus Lärchen-<br />
Vollholz tragen eine Aussichtsplattform,<br />
die über eine Spindeltreppe zu erreichen<br />
ist. Die Spindel aus Stahlrohr und die<br />
gekreuzten Rundhölzer bilden eine tragende<br />
Mischkonstruktion. Der Weidenkorb<br />
ermöglicht einen weiten Blick aus der<br />
Vogelperspektive in die Niederung der<br />
Hamme mit ihren Altarmschleifen, auf<br />
angrenzende Nasswiesen, Staudenflure<br />
und Röhrichte und auf die Rastplätze zahlreicher<br />
Sing- und Zwergschwäne, Grau-,<br />
Bless- und Saatgänse.“<br />
Jurybegründung: „Alle drei Objekte sind<br />
gleichermaßen überlegt positionierte<br />
Kunstobjekte, aber auch eine Einladung<br />
zum Entdecken und Erleben. Es gelingt<br />
jeweils der Anspruch, einen genauen Fokus<br />
auf ein bereits vorhandenes Naturerlebnis<br />
zu setzen. Obwohl jedes Objekt die Eigenart<br />
seines Ortes individuell stärkt, gehören<br />
alle zusammen und bilden eine definierte<br />
Gruppe. Der Wiedererkennungswert der<br />
Bauwerke steht im richtigen Kontext dazu,<br />
ein weitläufiges Gebiet in seiner Ausdehnung<br />
erfahrbar zu machen und seine Identität<br />
zu fördern. Die Verfasser schaffen eine<br />
eigenständige Typologie, die für andere<br />
Standorte sogar erweiterbar erscheint. In<br />
nahezu selbstverständlicher Klarheit fügen<br />
sich dabei tragende Stahlkonstruktion und<br />
raumbildende Holzverkleidungen.“<br />
Innensichten:<br />
Modernisierung und<br />
Erweiterung Roselius-<br />
Museum Worpswede -<br />
eine Innenerweiterung<br />
Diese Bauaufgabe löste die Architektengruppe<br />
Rosengart + Partner aus Bremen<br />
für die Kulturstiftung Landkreis Osterholz.<br />
Aufgabe war „die Sanierung und Erweiterung<br />
des Roselius-Museums als neuer<br />
Bestandteil der „Großen Kunstschau“ in<br />
Worpswede. Umgesetzt wurde die Aufgabe<br />
„im Rahmen des Masterplans<br />
Worpswede mit Mitteln des Europäischen<br />
Fonds für regionale Entwicklung durch das<br />
Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft,<br />
Arbeit und Verkehr, den Landkreis<br />
Osterholz und die Gemeinde Worpswede“.<br />
Bauaufgabe war das unter Denkmalschutz<br />
stehende vorhandene Gebäude, 1972 von<br />
dem bekannten Architekten Gerhard Müller-<br />
Menkens erbaut, zu sanieren und zusätzliche<br />
Ausstellungs- und Depotflächen im ehemaligen<br />
Innenhof zu schaffen.<br />
Bautechnische Details: Mit den Räumen<br />
der historischen „Großen Kunstschau“<br />
RUNDBLICK Herbst 2012<br />
Die „Große Kunstschau Worpswede“.<br />
entstand durch die Erweiterung mit Neubauten<br />
im ehemaligen Innenhof ein<br />
Museum mit insgesamt 920 qm Fläche. Zu<br />
den im Altbau vorhandenen „alten Hängehöhen“<br />
von drei Metern kommen nun<br />
mit dem Neubau Flächen mit fünf und sieben<br />
Metern Höhe hinzu. Diese neuen Ausstellungshallen<br />
erhielten eine „Folien-<br />
Lichtdecke für unterschiedliche Beleuchtungsszenarien“<br />
und die vorhandenen<br />
Sheddach-Verglasungen ein „hochdiffuses<br />
Museumsglas“. Damit blieb „das Haus<br />
auch weiterhin ein Tageslichtmuseum“.<br />
Mit dem Einbau von Aufzugsanlage, Rollstuhlrampen,<br />
behindertengerechten Toiletten,<br />
Garderobenanlagen entspricht der<br />
Umbau heutigen Anforderungen.<br />
Jurybegründung: „Die Erweiterung des<br />
1971 errichteten Museums ist ein gelungenes<br />
Beispiel für den respektvollen<br />
Umgang mit Bauten der Nachkriegsmo-<br />
derne. Durch die Überbauung des Innenhofes<br />
wird das Museum gleichsam „nach<br />
innen“ erweitert. Zwei Oberlichtsäle bieten<br />
in Ergänzung der bestehenden, eher<br />
kleinteiligen Ausstellungsflächen eine neue<br />
Raumqualität an, die auch für großformatige<br />
Arbeiten geeignet ist.<br />
Mit dieser so selbstverständlich erscheinenden<br />
Einfügung gewinnt das Museum<br />
eine lichte und großzügige Mitte, ohne<br />
dass dafür der Charakter des bestehenden<br />
Hauses in Frage gestellt werden müsste.“<br />
Text: Johannes Rehder-Plümpe<br />
Fotos: Bund Deutscher Architekten<br />
in Niedersachsen e.V.<br />
Quellen:<br />
Bund Deutscher Architekten in Niedersachsen<br />
e.V. -Hg.- BDA Preis Niedersachsen 2012<br />
Dokumentation des BDA Preises Niedersachsen<br />
2012 u. Katalog zur Ausstellung, Hannover<br />
2012<br />
Modern, klar und mit neuen Rollstuhlrampen, präsentiert sich das Innere der „Großen Kunstschau“ in<br />
Worpswede.<br />
9
Ein idyllisches Landhaus am Ufer der Hamme<br />
In welchem Bereich der Hamme mag<br />
dieses Haus stehen? Das wird sich so mancher<br />
fragen, denn durch den Torfkahn-<br />
Tourismus ist der Hammefluss mit seinen<br />
Uferbereichen für viele Besucher erkenntnisreicher<br />
geworden. Nun, dieses außergewöhnliche<br />
Haus mit seiner einmaligen<br />
Lage gibt es leider nicht mehr. 1972 wurde<br />
es durch einen Brand vernichtet.<br />
Baumgruppe erinnert<br />
an Standort<br />
Der genaue Standort ist für Eingeweihte<br />
noch erkennbar. Die meisten Radfahrer<br />
oder Besucher von Melchers Hütte an der<br />
Hamme, die die Landschaft von der 2006<br />
errichteten Brücke über die Hamme<br />
betrachten, ahnen nicht, dass sich das<br />
Haus in unmittelbarer Nähe am Brückenende<br />
zum Waakhauser Ufer befand. Heute<br />
erinnert nur noch eine Baumgruppe an<br />
den ursprünglichen Standort.<br />
Im Volksmund wurde das einsame Haus<br />
gegenüber von Melchers Hütte als „Bodes<br />
Hütte“ bezeichnet, obwohl es überhaupt<br />
nicht mit dem rustikalen Stil der ehemaligen<br />
Torfschiffer-Raststätten vergleichbar<br />
war und auch nicht den historischen Hintergrund<br />
hatte. Aber durch seine Lage am<br />
Fluss wurde es ebenfalls allgemein als<br />
„Hütte“ bezeichnet, wie alle Häuser in<br />
unmittelbarer Nähe zur Hamme.<br />
1914 ließ sich der Bremer Fischhändler<br />
Franz Ludwig Bodes dieses Haus durch den<br />
Osterholzer Zimmereibetrieb Volger<br />
bauen, da er an der Hamme Fischrechte<br />
besaß. Stilistisch war es ein Fachwerkhaus,<br />
das man aus heutiger Sicht als Landhaus<br />
bezeichnen würde. Es sollte zwei Eigenschaften<br />
vereinen, einmal als privates Refugium<br />
und zum anderen als Fischerhaus.<br />
Vielleicht war es auch ein damaliges gesellschaftliches<br />
Prestige, denn Bremer Kaufleute<br />
neigten gern dazu, sich außerhalb<br />
Bremens Sommersitze einzurichten, wie es<br />
früher an der Lesum und im damals noch<br />
dörflichen Schwachhausen geschah.<br />
Auch der Bremer Fischhändler Franz<br />
Ludwig Bodes vom Ostertorsteinweg, der<br />
in Bremen allseits für seine frische Ware<br />
geschätzt wurde, nutzte diese Möglichkeit,<br />
allerdings aus anderen Beweggründen<br />
und in kleinerem Rahmen. Zu jener<br />
Zeit um die Jahrhundertwende war die<br />
Hammeniederung kein idyllischer Ort,<br />
sondern eine flache Wiesenlandschaft, wo<br />
man von Tietjens Hütte bis Worpswede<br />
schauen konnte, ohne dass irgendwelche<br />
Hindernisse den Blick behinderten. Selbst<br />
die Baumanpflanzungen an den Hütten<br />
von Neu-Kamerun (heute Melchers Hütte)<br />
und der daneben liegenden Hütte Kiautschau<br />
waren noch nicht sichtbar, weil sie<br />
noch klein im Wuchs waren. Außerdem<br />
war die Hammeniederung von November<br />
Richtfest des Bodeschen Landhauses 1914. Links außen erkennt man Hinrich Volger, Besitzer des größten<br />
Zimmereibetriebes in Osterholz mit Frau. Der Herr mit Fliege dürfte der Architekt Schmidt sein, direkt rechts<br />
daneben Franz-Ludwig Bodes mit Frau und Tochter. Foto: Archiv Hans Siewert<br />
an, wenn durch die geöffnete Schleuse in<br />
Ritterhude das Weserwasser strömte und<br />
sie bis zum Frühjahr in eine unendliche<br />
Wasserfläche verwandelte, kein anziehender<br />
Aufenthaltsort.<br />
Landhaus höchst<br />
gediegener Art<br />
Natürlich wurden beim Bau des Hauses<br />
das alljährliche Hochwasser und der moorige<br />
Untergrund durch Anschüttung von<br />
Sand usw. berücksichtigt, trotzdem war es<br />
ein Wagnis. Aber Bodes verfolgte andere<br />
Vorstellungen, die ihn zum Bau des Hauses<br />
an dieser Stelle bewegten. Dieses Haus<br />
hatte einen zweifachen Nutzen, zum<br />
einen, da er Fischrechte an der Hamme<br />
hatte, als Fischerhaus und zum anderen als<br />
privates Heim an den Wochenenden.<br />
Natürlich war es kein normales Wochenendhaus,<br />
wo man gewisse Einschränkungen<br />
in Kauf nimmt, sondern ein Landhaus<br />
höchst gediegener Art. Das Foto vom<br />
Richtfest zeigt anschaulich die Ausdehnung<br />
des Hauses. Durch den präparierten<br />
Untergrund stand das Haus erhöht und<br />
war vom Fundament entsprechend gesichert.<br />
So fußte das Eichenfachwerk zusätzlich<br />
auf einem Stahlrahmen, sodass keine<br />
Bodensenkung entstehen konnte.<br />
Das Erdgeschoss dominierte ein größerer<br />
Raum mit Kamin, praktisch das Wohnzimmer.<br />
Zusätzlich gab es ein größeres<br />
und ein kleineres Schlafzimmer. Seitlich<br />
war der Eingang, dem sich zunächst eine<br />
Küche anschloss, die sogenannte Fischerküche.<br />
Durch einen kleineren Flur erreichte<br />
man das Wohnzimmer sowie Abstellkammer,<br />
Speisekammer und WC. Das Obergeschoss<br />
erreichte man über eine Treppe, die<br />
von der Küche abging. Im ausgebauten<br />
Dach waren eine kleine Diele, ein kleines<br />
Schlafzimmer sowie zwei Schlafkammern.<br />
Hier war der Wohnbereich von Heini<br />
Peters, langjähriges Faktotum, Fischer und<br />
Fischaufseher für Bodes Fischgründe.<br />
Früheren Besuchern von Melchers Hütte<br />
dürfte er noch bekannt sein. Er starb im<br />
Dezember 1961 an der Hamme, seinem<br />
letzten Lebensraum.<br />
Der Hintergrund, der zum Bau dieses<br />
Hauses führte, war den meisten Hüttenbesuchern,<br />
den Besitzern der Sportboote<br />
sowie den damals noch verkehrenden<br />
Torfschiffern, nicht bekannt. Man hatte<br />
kaum miteinander Berührungspunkte. Es<br />
wurde als Privathaus akzeptiert, wo man<br />
höchstens an den Wochenenden Personen<br />
sah und eben den ständig anwesenden<br />
Heini Peters.<br />
Bis zuletzt war der Bereich um das Bodesche<br />
Haus, das von großen Bäumen umgeben<br />
war, eine stille, friedliche unberührte<br />
Natur- und Wiesenlandschaft.<br />
Vertrag mündlich in<br />
„Treu und Glauben“<br />
abgeschlossen<br />
Die Fischereirechte an der Hamme<br />
waren früher sicherlich im Besitz der Hammeanrainer<br />
von Waakhausen. Vielleicht<br />
hat Fischhändler Bodes sie von einem der<br />
Bauern übernommen. Auf jeden Fall<br />
10 RUNDBLICK Herbst 2012
Das Landhaus des Bremer Fischhändlers Franz-Ludwig Bodes kurz nach der Fertigstellung.<br />
Foto: Volker Strasser<br />
pflegte er einen guten Kontakt zum Bauern<br />
Schnaars in Waakhausen. Über dessen<br />
Grundstück, das bis zum Hammeufer<br />
reichte, erhielt Bodes Zugang zu seinen<br />
Fischgründen an der Hamme. Im beiderseitigen<br />
Einverständnis kam es dann zum<br />
Bau dieses Hauses auf dem Schnaarsschen<br />
Grundstück. Wie früher üblich, wurde der<br />
Vertrag mündlich, in „Treu und Glauben“,<br />
wie unter vertrauten Freunden, und nicht<br />
juristisch abgeschlossen. Selbst über die<br />
nächste Generation hielt dieses Versprechen<br />
und es gab miteinander gute familiäre<br />
Kontakte.<br />
Letztendlich gelangte durch eine kuriose<br />
Erbfolge das Grundstück mit dem Haus an<br />
eine Person, die unbedingt dieses idyllische<br />
Anwesen in seinen Besitz bringen<br />
Termine der<br />
<strong>Heimat</strong>vereine<br />
Findorff-<strong>Heimat</strong>verein Grasberg<br />
Findorffhof Grasberg, Am Schiffgraben 7<br />
Kontakt: Hilde Bibelhausen<br />
Tel.: 04208 / 12 44<br />
Sonntag, 13. Januar 2013<br />
12.00 Uhr, Matjesessen, Findorff-Hof Grasberg<br />
Freitag, 15. Februar 2013<br />
19.00 Uhr, Klönabend, Findorff-Hof Grasberg<br />
Dienstag, 5. März 2013<br />
19.00 Uhr, Jahreshauptversammlung,<br />
Findorff-Hof Grasberg<br />
RUNDBLICK Herbst 2012<br />
wollte, was juristisch auch gelang, weil<br />
keine verbindlichen Verträge vorhanden<br />
waren und bis dahin nur das gesprochene<br />
Wort galt. Da schon die dritte Generation<br />
von Koch-Bodes dieses Haus bewohnte,<br />
trennte man sich höchst ungern davon,<br />
denn die Erinnerungen und Gefühle damit<br />
waren so stark, dass man es niemand<br />
anderem überlassen konnte und wollte.<br />
Die Konsequenz war, dass man sich von<br />
dem Haus trennte, indem man es ausräumte.<br />
1972 fiel das Anwesen den Flammen<br />
zum Opfer. Eigentlich eine Verzweiflungstat,<br />
aber auch verständlich. So nahm<br />
ein außergewöhnliches Haus ein außergewöhnlich<br />
dramatisches Ende.<br />
Bei meinen seltenen Besuchen von Melchers<br />
Hütte erinnere ich mich an das Haus<br />
von gegenüber und vermisse es, denn es<br />
gehört seit meiner Kindheit zu dem<br />
Hamme-Panorama, wie es sich mir eingeprägt<br />
hat.<br />
Hans Siewert<br />
Wie auf einer Insel stand das Bodesche Haus inmitten der alljährlichen Überschwemmungen der Hammeniederung.<br />
Foto: Hans Siewert<br />
Worphüser Heimotfrünn e.V.<br />
Hofanlage Lilienhof, Worphauser Landstr. 26 a,<br />
Kontakt: Hinrich Tietjen, Tel. 04792 / 76 79<br />
Freitag, 15. Februar 2013<br />
19.00 Uhr, Jahreshauptversammlung<br />
<strong>Heimat</strong>verein Lilienthal e.V.<br />
Klosterstraße 16 b, 28865 Lilienthal, Tel.:<br />
04298 / 60 11<br />
Mittwoch, 16. Januar 2013<br />
20.00 Uhr, „Wo die dunklen Tannen<br />
ragen … – eine Harzreise durch<br />
Geschichte und Gegenwart“, Ton-Dia-<br />
Schau von Wilko Jäger, Meyenburg, Schroetersaal<br />
des Kulturzentrums Murkens Hof, Klosterstraße<br />
Mittwoch, 13. Februar 2013<br />
20.00 Uhr „Gespräche im Klosterkeller“,<br />
Dieter Gerstmann: „<strong>Heimat</strong> Lilienthal –<br />
Gedanken eines Schlesiers“, Klosterkeller<br />
im Rathaus Lilienthal<br />
Donnerstag, 14. März 2013<br />
19.00 Uhr Jahreshauptversammlung, im<br />
Anschluss ca. 20.15 Uhr kultureller Teil, Volksbank,<br />
Hauptstraße 77<br />
Um diese Rubrik immer auf dem<br />
neuesten Stand zu haben, sind wir<br />
auf die Angaben der Vereine angewiesen.<br />
Wir bitten deshalb um Ihre<br />
Mithilfe.<br />
Melden Sie doch bitte die Termine<br />
bis Redaktionsschluss an den Verlag.<br />
Wir freuen uns auf Ihre Nachrichten<br />
entweder per Telefax<br />
(04298 / 3 04 67) oder per E-Mail<br />
(info@heimat-rundblick.de).<br />
Die Redaktion<br />
11
Von Teufelsmoor ins Teufelsmoor<br />
Neuer Moorpfad ermöglicht Einblicke in Natur und Geschichte<br />
Teufelsmoor. Jahrhunderte lang war<br />
die Ortschaft Teufelsmoor ein Reihendorf<br />
entlang des Querdamms – heute Teufelsmoorstraße<br />
bzw. Am Günnemoor. Erst<br />
später kam die Verbindung nach<br />
Worpswede bzw. Neu St. Jürgen hinzu, die<br />
neben der Straße auch eine Trasse für<br />
Schienen der Moorbahn zum Torfwerk in<br />
Neu St. Jürgen besaß.<br />
Im Einmündungsbereich dieser drei<br />
Straßen wird nun das Dorfzentrum von<br />
Teufelsmoor entwickelt. Es ist zunächst ein<br />
Ruheplatz mit Informationstafeln sowie<br />
einem Teufel aus Holz als Dorf- und Regionssymbol;<br />
ferner zeigt eine kurze Schienenstrecke<br />
mit Lorenbahn, wie früher der<br />
Torftransport vonstatten ging. Die nahe<br />
gelegene ehemalige Dorfschule wird derzeit<br />
umgebaut und soll das Kleine Haus im<br />
Moor mit Ausstellungen zur Entwicklung<br />
der Natur- und Kulturlandschaft Teufelsmoor<br />
beherbergen.<br />
Ein neu geschaffener Wanderweg verbindet,<br />
ausgehend vom Dorfplatz, dem<br />
Fleitenkiel, die Ortschaften Teufelsmoor<br />
und Verlüßmoor bzw. Heißenbüttel. Informationstafeln,<br />
die vom Ortsverein Teufelsmoor<br />
in Zusammenarbeit mit der Bio-Station<br />
Osterholz entwickelt und vom Landkreis<br />
Osterholz aufgestellt wurden, erläutern<br />
die einzelnen Stationen am Weg.<br />
Zurzeit ist dieser Weg in Teilen mit Holzhackschnitzeln<br />
belegt. Er wird ausschließlich<br />
Fußgängern vorbehalten und nur<br />
wenige Monate im Jahr durchgängig<br />
begehbar sein. In Planung befindet sich<br />
noch ein Aussichtsturm, der am Rande der<br />
Renaturierungsfläche gebaut werden soll.<br />
Das Günnemoor stellte bis zum Anfang<br />
des 20. Jahrhunderts ein großflächiges<br />
Relikt jener Moore dar, wie sie vor Eingriff<br />
des Menschen die Hamme-Niederung zwischen<br />
Scharmbecker und Tarmstedter<br />
Geest geprägt haben.<br />
Die Geestflächen sind während der<br />
Elster- und Saale-Eiszeit (dritt- bzw. zweitletzte<br />
Eiszeit) entstanden. Auch in der<br />
Hamme-Niederung bilden diese Sedimen-<br />
te den mineralischen Untergrund, jedoch<br />
wurden in einem späten Stadium der Saale-<br />
Eiszeit große Teile der Ablagerungen durch<br />
Schmelzwasserströme ausgeräumt und von<br />
periglazialen Sedimenten, die von fließendem<br />
Wasser während der Saale- und Weichsel-Kaltzeit<br />
gebildet wurden, überdeckt.<br />
Darüber erheben sich – je nach Gelände-,<br />
Wasser- und Nährstoffverhältnissen – verschiedene<br />
Moorschichten. 1 ) Vielfach hat<br />
sich zunächst Nieder(ungs)moor gebildet,<br />
auf dem dann Hochmoor gewachsen ist; es<br />
gibt aber auch Bereiche, in denen das<br />
Hochmoor direkt über dem mineralischen<br />
Untergrund ansteht. Auch das Hochmoor<br />
ist dabei in sich noch differenziert. Vor allem<br />
klimatische Wandlungen in der Nacheiszeit<br />
führten dazu, dass unterschiedliche Pflanzengesellschaften<br />
bevorzugt wachsen<br />
konnten. So findet sich eine deutliche<br />
Grenze, die etwa bei 2500 Jahren vor heute<br />
den unten liegenden Schwarztorf vom oberen,<br />
d. h. jüngeren Weißtorf, scheidet. 2 )<br />
Diese Moorschichtung lässt sich an 2<br />
Stellen erkennen: zum einen an einem<br />
Handtorfstich hinter der Teufelsmoorer<br />
Schule, zum anderen an einem Profil, an<br />
dem der Moorpfad entlang führt und das<br />
durch die Tafel 3 erläutert wird.<br />
Einblick in Geschichte<br />
des Torfabbaus<br />
Der bäuerliche Handtorfstich, zu dem<br />
ein Hinweisschild von der Straße aus führt,<br />
eröffnet daneben einen Einblick in die<br />
Geschichte des Torfabbaus, wie er von den<br />
Höfen aus über Jahrhunderte betrieben<br />
wurde. Meist waren es in Teufelsmoor<br />
dabei nicht die Bauleute selbst, die die<br />
schwere Arbeit des Torfgrabens ausführten,<br />
sondern sie ließen diese Tätigkeit von<br />
auf ihren Grundstücken angesiedelten<br />
Häuslingen verrichten. Während die Höfe<br />
der Bauleute vom Querdamm aus alle auf<br />
der der Hamme zugewandten Seite lagen,<br />
befanden sich die Häuslingshäuser auf der<br />
dem Hochmoor zugewandten Seite.<br />
Dorfplatz „Fleitenkiel“. Informationstafel mit Holzskulptur am Dorfplatz.<br />
Neben dem Eigenverbrauch diente der<br />
gestochene Torf auch zum Verkauf, u. a. in<br />
Bremen, wohin er auf dem Wasserwege<br />
transportiert wurde.<br />
Der Brennstoffbedarf in Bremen eröffnete<br />
in den 1920er Jahren dann ein neues<br />
Kapitel des Torfabbaus.<br />
Nach dem 1. Weltkrieg hatte die deutsche<br />
Steinkohleförderung drastische Einschnitte<br />
zu verkraften. Durch den Versailler<br />
Vertrag war bestimmt worden, dass das<br />
Saargebiet zu Reparationszwecken unter<br />
französische Besatzung kam und Teile des<br />
oberschlesischen Kohlereviers an das neu<br />
geschaffene Polen fielen; ferner musste das<br />
Ruhrgebiet Kohle als Reparationsleistung an<br />
die Siegermächte abliefern. So war man auf<br />
der Suche nach Möglichkeiten, wie Bremen<br />
mit Brennstoff versorgt werden könnte.<br />
Dabei fiel eine Wahl auf das bis dahin<br />
unberührte Günnemoor. Es wurde ein Torfwerk<br />
errichtet, das in ganz anderen Dimensionen<br />
als bisher den Torfabbau in Angriff<br />
nahm. Neben einer großen Anzahl von<br />
Arbeitskräften waren es dabei Maschinen,<br />
die den Torfabbau bewerkstelligten. Auch<br />
der Transport wurde neu geregelt. Zum<br />
einen beließ man es beim Transport zu Wasser.<br />
Für die neuen Gebiete und die größeren<br />
Mengen wurde eigens ein neuer Torfkanal<br />
gebaut, um auch mit größeren Kähnen<br />
3 ) an das Abbaugebiet zu gelangen.<br />
Auch dies geschah zeitgleich zu Anfang der<br />
1920er Jahre. 4 ) Verlandende Reste dieses<br />
Torfkanals sowie auch das Wendebecken<br />
am Ende des Kanals lassen sich am Weg<br />
erkennen, und zwar in der Nähe der Tafel 3,<br />
gegenüber dem Mooraufschluss.<br />
Zum anderen erfolgte der Abtransport per<br />
Lorenbahn nach Neu St. Jürgen, wo seit Fertigstellung<br />
der Bahnstrecke von Osterholz-<br />
Scharmbeck nach Bremervörde im Jahre<br />
1911 (Moorexpress) Bahnanschluss gegeben<br />
war. Ein kleines Stück der Lorenbahn ist<br />
wieder hergestellt (s. o.), der Abschnitt vom<br />
Dorfplatz zum Torfwerk heißt Gleisendamm,<br />
und das Torfwerk existiert noch – allerdings<br />
nicht mehr alle Gebäude.<br />
12 RUNDBLICK Herbst 2012
Die nicht mehr vorhandenen Gebäude<br />
stellten i. w. Wohnbaracken dar, in denen<br />
Arbeitskräfte untergebracht waren, die oft<br />
nicht freiwillig im Werk beschäftigt waren.<br />
Dem widmet sich ein weiteres Kapitel auf<br />
den Informationstafeln (Tafel 1). So wurden<br />
vor und während des 2. Weltkriegs Arbeiter<br />
eingesetzt, die als Asoziale bezeichnet wurden<br />
und deren Tätigkeit der Umerziehung<br />
dienen sollte, später dann auch Kriegsgefangene.<br />
Aber auch lange nach dem 2.<br />
Weltkrieg wurden noch Strafgefangene zu<br />
Arbeiten im Moor eingesetzt.<br />
Wohnformen des Dorfes haben sich<br />
natürlich ganz anders entwickelt. Die<br />
Dominanz der Viehwirtschaft in der durch<br />
Wasser geprägten Niederungslandschaft<br />
ließ eine spezielle Form des Niedersachsenhauses<br />
entstehen, bei der die Unterbringung<br />
des Viehbestandes einen zentralen<br />
Stellenwert besaß. Einen Einblick in<br />
verschiedene Hof- und Hausformen<br />
gewährt die Informationstafel, die direkt<br />
am Fleitenkiel errichtet ist. 5 )<br />
Einen besonderen Stellenwert erhalten bei<br />
dem Moorpfad das Naturerleben sowie der<br />
Naturschutz. Nach jahrzehntelangen Auseinandersetzungen<br />
zwischen Landkreis,<br />
Naturschützern und Torfwerkbetreibern soll<br />
mit dem Jahre 2012 der Torfabbau endgültig<br />
eingestellt werden. 6 ) Bereits vordem sind<br />
abgetorfte Flächen wiedervernässt worden,<br />
die Flachwassersenken darstellen und eine<br />
Regeneration des Moores ermöglichen sollen.<br />
Dieses Gebiet wird von Kranichen sehr<br />
gut angenommen, die auf ihrer Wanderung<br />
zu Tausenden hier im Oktober Rast machen.<br />
Anlässlich einer Führung 7 ) erklärt Dr. Kulp<br />
von der Bio-Station aber, dass der Aufenthalt<br />
von Kranichen keinen Dauerzustand darstellen<br />
soll und man die Nährstoffsituation, die<br />
sich durch den vermehrten Eintrag von Kot<br />
ergibt, sehr genau untersuche. Ferner<br />
gesteht er ein, dass die Wasserflächen offensichtlich<br />
noch zu groß gekammert seien, so<br />
dass sich für die Torfmoose aufgrund der<br />
Wellenbewegung bei Wind noch keine optimalen<br />
Wuchsbedingungen ergeben.<br />
Mittlerweile stellt der Aufenthalt der Kraniche<br />
selbst eine Attraktion dar, die regional<br />
wie überregional zunehmende Beachtung<br />
findet. 8 Neu angelegter Pfad.<br />
) So finden unterschiedliche Exkursionen<br />
statt, die z. T. ebenfalls von der Bio-<br />
Station Osterholz geleitet und betreut werden.<br />
Die Frage jedenfalls, ob sich ein intaktes<br />
Hochmoor (zurück)bilden kann, wenn<br />
RUNDBLICK Herbst 2012<br />
Wegeführung um 1900 und heute.<br />
die Fläche von Kranichen als Schlafplatz<br />
genutzt wird, kann momentan offenbar von<br />
niemandem seriös beantwortet werden.<br />
Insofern erscheint es etwas zweifelhaft,<br />
die hier seit etwa 10 Jahren rastenden<br />
Vogelschwärme, die in der Teufelsmoor-<br />
Niederung offensichtlich ein optimales<br />
Refugium gefunden haben, wieder vertreiben<br />
zu wollen.<br />
Hinsichtlich anderer Moorbewohner lassen<br />
sich Entdeckungen machen, auf die<br />
nicht unbedingt seitens der Tafeln aufmerksam<br />
gemacht wird. So fällt die dominierende<br />
Birke sofort ins Auge, auch die<br />
Heide tritt flächendeckend auf, und der<br />
Gagelstrauch macht sich durch seinen auffallenden<br />
Geruch bemerkbar. Besondere<br />
Libellen und mit Glück auch eine Kreuzotter<br />
kann man am Wegesrand entdecken. 9 )<br />
Moor als<br />
Kohlenstoffspeicher<br />
Warum neben den besonderen Naturerlebnissen<br />
das Moor geschützt werden soll,<br />
erläutert die letzte Tafel (Nr. 4). Hierbei<br />
geht es um den Beitrag zum Klimaschutz,<br />
den ein intaktes Moor als Kohlenstoffspeicher<br />
leisten kann. Laut dieser Tafel tragen<br />
die oxidative Zersetzung nicht mehr funktionierender<br />
Moorflächen sowie die fortgesetzte<br />
Moornutzung einen erheblichen<br />
Teil zu den Kohlenstoffdioxidemissionen in<br />
Niedersachsen bei. Erst wenn dieser Prozess<br />
gestoppt sei und Moore wieder im<br />
Wachstum befindlich seien, könne diese<br />
Entwicklung umgekehrt werden; somit leisteten<br />
intakte Moore einen aktiven Beitrag<br />
zum Klimaschutz. 10 )<br />
Wilhelm Berger<br />
Anmerkungen<br />
1 ) Ausführliche Darstellungen finden sich z. B. bei<br />
Hans Heinrich Seedorf, Topographischer Atlas<br />
Niedersachsen und Bremen; Neumünster<br />
1977, v. a. S. 58 - 61<br />
Hans-Gerhard Kulp, Der Weyerberg und das<br />
Teufelsmoor; Lilienthal 1995<br />
ders., Die Natur des Teufelsmoores, in: Wolfgang<br />
Konukiewitz und Dieter Weiser (Hrsg.),<br />
Die Findorff-Siedlungen im Teufelsmoor bei<br />
Worpswede; Bremen 2012, S. 11 – 40<br />
2 ) Vgl. Abb. bei Seedorf, S. 60 u. Kulp (1995), S.<br />
66, wobei es aber zu 1 „Seemudde“ heißen<br />
muss<br />
3 ) Ein Bockschiff – das einzig noch existierende –<br />
wurde 1984 ganz in der Nähe, in der Beek, entdeckt<br />
und im Kreisheimatmuseum in Osterholz<br />
restauriert und konserviert, wo es heute den Mittelpunkt<br />
des darum herum erbauten Torfschiffmuseums<br />
bildet; s. a. Johannes Rehder-Plümpe,<br />
Die Struktur der Findorff-Siedlungen; in Konukiewitz/Weiser,<br />
a. a. O., bes. S. 114 - 118<br />
4 ) Kulp (1995) hat dort offensichtlich einer im<br />
Dorf immer noch kursierenden Legende vertraut,<br />
wenn er (auf S. 82) schreibt: „Der Torfkanal<br />
wurde 1917 von Kriegsgefangenen als<br />
Entwässerungskanal und als Transportweg für<br />
Torf und Heu gebaut.“ Demgegenüber berichten<br />
die Bremer Nachrichten am 10. Oktober<br />
1920, dass die Beeke für 150 t-Schiffe ausgebaut<br />
wurde und hiervon ausgehend innerhalb<br />
von 2 Monaten im Sommer 1920 ein 2,3 km<br />
langer, 2,5 m tiefer und 10 m breiter Kanal<br />
gegraben worden ist.<br />
5 ) Besonders herausgestellt wird der Hof Heißenbüttel,<br />
der von R. Meyer-Graft erworben und<br />
restauriert worden ist. Er befindet sich im Priggeweg<br />
und geht in seinen Ursprüngen auf das<br />
späte 17. Jh. zurück, stellt aber keinen Hof eines<br />
Teufelsmoorer Baumanns dar, sondern einen<br />
ehemaligen Häuslingshof. S. a. Osterholzer<br />
Kreisblatt vom 7. IV. 07<br />
6 ) Vgl. Osterholzer Kreisblatt vom 21. IX. 12<br />
7 ) Vgl. Osterholzer Kreisblatt vom 11. IX. 12<br />
8 ) Presseberichte im Weser Kurier am 18. X. 12,<br />
Osterholzer Kreisblatt z. B. am 9. X. 12 und 1.<br />
XI. 12, im NDR-Fernsehen am 28. X. 12, im<br />
Rundfunk (Radio Bremen) am 29. X. 12<br />
9 ) Ausführliche Erläuterungen zu Flora und Fauna<br />
mit zahlreichen Abbildungen finden sich bei<br />
Kulp (1995 und 2012)<br />
10 )In gleicher Weise argumentiert auch die „Initiative<br />
Teufelsmoor“; vgl. Osterholzer Kreisblatt<br />
vom 23. VIII. 12<br />
13
Die Findorff-Karte der Ortschaft<br />
Teufelsmoor im Original<br />
Teufelsmoor. Die hervorragende Kopie<br />
der Teufelsmoor-Karte (Spezial-Charte des<br />
im Amte Osterholz belegenen Dorffes Teufelsmoor…)<br />
machte neugierig auf das Original,<br />
zumal dieses 1755 von Findorff erstellt<br />
worden ist. Recherchen führten ins Staatsarchiv<br />
Stade, wo sich das Original in seiner<br />
ganzen Pracht präsentierte. 1 )<br />
Diese Karte ist in einem passablen<br />
Zustand, zeigt aber deutliche Gebrauchsspuren.<br />
Bedingt durch die Größe (lt. Staatsarchiv<br />
178 x 122 cm) war sie gefaltet (4<br />
Teile). Insbesondere an diesen Knickstellen<br />
sind etliche Verluste zu beklagen. Zur Stabilisierung<br />
ist die ursprünglich dünne Papierkarte<br />
später im Staatsarchiv auf einen festen<br />
Untergrund aufgezogen worden und wird<br />
nur noch einmal geklappt.<br />
An den Rändern sind ebenfalls einige Verluste<br />
zu verzeichnen. U. a. im Bereich der<br />
Legende sowie der Tabelle ist die Schrift –<br />
vermutlich durch Wassereinwirkung – verblichen<br />
und nicht oder kaum mehr lesbar. So<br />
können einige Informationen nicht mehr<br />
entschlüsselt werden; bei anderen lässt sich<br />
trotz großer Mühe nicht alles sicher entziffern,<br />
sodass eine fehlerhafte Wiedergabe<br />
nicht ausgeschlossen werden kann.<br />
Das Erscheinungsjahr der Karte ist nicht<br />
ausdrücklich vermerkt; da die Kartenaufnahme<br />
mit 1755 angegeben wird, dürfte sie<br />
1755 oder 1756 fertiggestellt und abgeliefert<br />
worden sein.<br />
Das Original wird vom Staatsarchiv mit<br />
dem Maßstab 1:4900 angegeben; inwieweit<br />
dies zutrifft, wird an anderer Stelle noch<br />
zu erörtern sein.<br />
Die Karte ist nicht genordet, sondern am<br />
oberen Blattrand ist SO, links also NO und<br />
rechts SW. Sie ist sehr detailliert, farbig<br />
gestaltet und mit Bleistift-Schraffuren sowie<br />
wenigen Bleistift-Angaben (Zahlen/Rechnungen)<br />
ergänzt.<br />
Das Kartenblatt enthält nicht nur die kartografische<br />
Darstellung, sondern auch 2<br />
Tabellen sowie eine ausführliche Legende.<br />
Es stellt eine sog. „Inselkarte“ dar, d. h. es<br />
ist nicht voll ausgestaltet, sondern<br />
beschränkt sich auf den angegebenen<br />
Raum; im unteren Blattteil bildet die Beek<br />
die Grenze (sie fließt nach SW, bevor sie<br />
nach S umbiegt), die im SW in die von NO<br />
kommende Hamme mündet.<br />
Die beiden Flüsse bilden in etwa auch die<br />
natürlichen Grenzen der Gemarkung Teufelsmoor.<br />
Die Beek wird dabei nicht überschritten<br />
und bildet die westliche bzw. nordwestliche<br />
Grenze der Gemarkung; hingegen<br />
gibt es im SO und O einige Ländereien, die<br />
jenseits der Hamme liegen. Andererseits<br />
greifen andere Gemeinden mit ihren Besitzungen<br />
in das von Beek und Hamme gebildete<br />
Dreieck ein: im SW befinden sich<br />
Ausschnitt aus der Original-Karte.<br />
Heißenbüttler, Hamberger, Freißenbüttler<br />
und Bullwinkler Wiesen, während sich im S<br />
die Worpsweder Wiesen über die Hamme<br />
hinaus erstrecken.<br />
Detaillierte Bestandsaufnahme<br />
einer bereits<br />
existierenden Siedlung<br />
Der Anlass für die Anfertigung der Karte ist<br />
noch nicht klar zu benennen; es geht aus ihr<br />
nur hervor, dass es sich um eine sehr detaillierte<br />
Bestandsaufnahme einer bereits existierenden<br />
Siedlung handelt. Der Auftrag<br />
hierzu könnte vom Amt Osterholz gekommen<br />
sein; Andeutungen auf einen Zusammenhang<br />
mit Findorffs späterer Kolonisationstätigkeit<br />
sind trotz zeitlicher Nähe noch<br />
nicht erkennbar. Und dennoch wird hier der<br />
Schlüssel für den Grund der Kartenerstellung<br />
zu suchen sein.<br />
Findorff hatte 1753 eine kleinmaßstäbige<br />
Karte vorgelegt, die als ergänzte Kopie einer<br />
Vorlage aus dem Jahr 1750 bezeichnet wird<br />
2 ). Hier hatte er offensichtlich noch selbst<br />
keine Vermessungsarbeiten geleistet, aber<br />
sich einen Überblick über den Raum zwischen<br />
Wümme (Lilienthal) und Bremervörde<br />
verschafft. Es handelt sich um die Kopie<br />
einer Karte des Geometers Werner, die<br />
„Zeugnis ablegt von Findorffs zeichnerischen<br />
Fähigkeiten.“ 3 )<br />
Dort (S. 68/69) wird vermutet, dass Findorff<br />
als Nachfolger des 1752 gestorbenen<br />
Landmessers P. H. Omen bei der Vermessung<br />
von Zehntländereien tätig gewesen ist.<br />
„Mit Tätigkeiten im Moor ist Findorff erstmalig<br />
im Jahre 1755 nachweisbar. Er scheint<br />
damals in Osterholz gewohnt zu haben,<br />
worauf nicht nur der Brief vom 21.<br />
Januar…hinweist. 1755 ist er zu Vermessungsarbeiten<br />
in Hambergen und Pennigbüttel,<br />
in Hülseberg und im Dorf Teufelsmoor.<br />
Zum Worpsweder Kirchenbau liefert<br />
er die Risse und Kostenanschläge…Schließlich<br />
ist er im Juli an der ersten Moorbereisung<br />
des Geheimen Rats von Bremer beteiligt.“<br />
4 ) Unter dessen Leitung, der er direkter<br />
Vertreter des Kurfürsten von Hannover,<br />
gleichzeitig König von England, war, bereisten<br />
im Sommer 1755 die Amtmänner von<br />
Osterholz und Bremervörde zusammen mit<br />
Schreibern u. a. das Moor, um Möglichkeiten<br />
zu seiner Besiedlung zu erkunden. Im<br />
Protokoll dieser Bereisung, geführt vom<br />
Kammersekretär Augspurg, wird auch J. C.<br />
Findorff erwähnt, und zwar als Condukteur.<br />
5 )<br />
Seit 1747 arbeitet Findorff unter dem<br />
Oberlandbaumeister von Bonn, der ihm in<br />
den folgenden Jahren staatliche Aufträge<br />
zukommen lässt. 6 ) „Für seine spätere Tätigkeit<br />
im Moor waren die Jahre als Kondukteur<br />
unter von Bonn seine eigentlichen Lehrjahre.<br />
Er vervollkommnete seine Kenntnisse in der<br />
Baukunst, kam immer wieder mit Wasserbauten<br />
in Berührung und wurde in die Praxis<br />
der Landvermessung und des Zeichnens<br />
von Rissen und Karten eingeführt.“ 7 ) Er führt<br />
1753 den Bau des Osterholzer Amtsschreiberhauses<br />
(heute <strong>Heimat</strong>museum) durch 8 )<br />
und befindet sich somit im hiesigen Gebiet.<br />
Dieses Gebiet, als Teil der ehemaligen Herzogtümer<br />
Bremen und Verden, stand seit<br />
1718 unter der Herrschaft des Kurfürstentums<br />
Hannover, nachdem es nach dem 30jährigen<br />
Krieg unter schwedische Herrschaft<br />
gekommen war und zum Schluss kurzzeitig<br />
(ab 1715) dänisch war.<br />
In Hannover gab es nun Bestrebungen, die<br />
bislang ungeregelte Inbesitznahme und Nut-<br />
14 RUNDBLICK Herbst 2012
Inschrift am Kreisheimatmuseum.<br />
zung der Moorgebiete in die eigene Hand zu<br />
nehmen und somit staatlich zu regeln. Dazu<br />
musste man sich aber zunächst einmal<br />
Kenntnis verschaffen über die naturgeografischen<br />
Gegebenheiten wie auch über die<br />
momentanen Besitzverhältnisse. Die erforderlichen<br />
Informationen sollten von den<br />
zuständigen Ämtern (hier u. a. Osterholz,<br />
Lilienthal und Ottersberg) beigebracht werden.<br />
Auf ältere Karten konnte hierbei nicht<br />
zurückgegriffen werden, da solche nicht vorhanden<br />
waren. 9 ) Insofern mussten neue<br />
angefertigt werden, wozu geeignete Leute<br />
benötigt wurden. Diese wurden mit den<br />
Geometern (Landvermessern) Werner und<br />
Omen gefunden; nach dessen Tod (1752)<br />
füllte Findorff die entstandene Lücke aus.<br />
„Die ersten, uns heute noch erhaltenen Lagepläne<br />
von Sankt Jürgen, Wörpedorf und<br />
Eickedorf hatte Findorff 1754 gezeichnet“. 10 )<br />
Lach- und Torfgeschichten<br />
De Wiehnachtsgrog<br />
Heiligobend füll in datt Johr up een Sonndag,<br />
datt kummt jo jümmer mol woller vor.<br />
De Sonndoge wören för Friedel, denn Grotknecht<br />
von Buer Tietjen in'n Dorp Düwelsmoor,<br />
ober jümmer heilig. Datt harr sien<br />
Grund, an’n Sonndag no'n Middag dröp he<br />
sick jümmer mit sien Kumpels, Willi denn<br />
Torfschipper un Früllerk denn Huusslachter,<br />
bi Schorse Scheepbuer in de Gaststuv an de<br />
Hammbrüch. Uck an düssen Heiligobend,<br />
Sonndag is Sonndag! De dree Junggesellen<br />
seten inne Eck an denn runden Stammdisch<br />
un kloppen Skoot. 18 - 20 - bloot nich passen,<br />
datt güng richtig rund. In'n Sommer<br />
drunken se Beer, nu in'n Winter gevt Rumgrog.<br />
In de warme Stuv bi Schorse wör datt<br />
jo so kommodig. Buten wör Schietweer, datt<br />
harr düchtig Regen geben, de Moorwege<br />
sünnt deepnatt un smerig, de Groben bitt<br />
boben full Woter. Klock half veer stell Schorse<br />
denn letzten Grog bi de dree Skotbröder up'n<br />
Disch: „Prost, mien Jungs, gliek is Fierobend!“<br />
Friedel schipper no sien Buernhoff Tietjen<br />
an de Düwelsmoorstrot. He muss de Beester<br />
fo’ern un noch utmesten. Emm wör von denn<br />
Grog ganz swiemelig un de Welt seech ut wie<br />
een bunten Wiehnachtsboom, de jümmer<br />
henn un her schaukel. Schorse harr bi den<br />
letzten Grog datt Woter vergeten. Friedel kla-<br />
RUNDBLICK Herbst 2012<br />
Der Auftrag, die Ländereien in der Ortschaft<br />
Teufelsmoor zu erfassen, war nicht<br />
ohne Brisanz. Denn die Teufelsmoorer galten<br />
als besonders schwierig. „Den größten<br />
Konflikt, den die hannoversche Regierung in<br />
der Verteidigung ihrer Landansprüche<br />
gegen die Untertanen ausfocht, hatte sie mit<br />
den Meyern des Dorfes Teufelsmoor durchzuführen.“<br />
11 )<br />
Findorff zeigt sich dieser Aufgabe aber<br />
gewachsen, sammelt große Mengen an<br />
Informationen, vermisst die Gemarkung und<br />
legt eine große, sehr detaillierte Karte samt<br />
Tabellen vor. Wenn also die ersten Jahre bei<br />
von Bonn seine Lehrjahre waren, so stellt<br />
diese Teufelsmoorkarte mindestens Findorffs<br />
„Gesellenstück“ dar, mit dem er sich für weitere,<br />
auch höhere Aufgaben empfiehlt.<br />
Text und Fotos: Wilhelm Berger<br />
baster mit sien Holschen datt dünne Brett<br />
no'n Messhopen hoch, ober he harr Dusel,<br />
güng alles god. Muss datt jo uck, he harr an<br />
düssen Heiligobend jo noch denn<br />
Wiehnachtsmann to spelen. Bi de Kinner<br />
Anni, Jan un Lisa von Buer Finken up'n Noberhoff<br />
schull he denn groten Sack mit<br />
Geschenke utpacken. Friedel sus gau in sien<br />
Kommer an de Deel, treck de Blaujack un de<br />
Mochesterbox ut, un rinn in denn roden<br />
Mantel. Denn langen witten Bort um, de<br />
Pudelmutz up un fertig is de Wiehnachtsmann.<br />
Mett denn groten Sack up’n Nacken<br />
pett he los. Bi Buer Finken muss he noch ober<br />
datt Stech von denn Grenzgroben.<br />
Wiehnachtsmann<br />
leeg in’n Moorgroben<br />
Ditt Stech wör dör datt hoge Woter<br />
upschwemmt. Friedel pett dor rupp un güng<br />
af wie mett een Ontenjäger, datt kole Woter<br />
platsch emm ober de Pudelmutz. De<br />
Wiehnachtsmann leeg in'n Moorgroben, de<br />
grote Sack wör in'n hogen Bogen up’t annere<br />
Ober flogen. Klaus, de Jungknecht von Buer<br />
Finken, harr datt Spektokel mitkregen un<br />
töög sien Fründ Friedel ut datt kole Woter.<br />
Düsse pudelnatte Wiehnachtsmann harr sien<br />
Bescherung all achter sick! Nu wör Holland in<br />
Not! Klaus broch Friedel in sien Kommer un<br />
geev emm dröge Klomotten. Nu wör de lüttje<br />
Klaus an de Reeg. In de grote Wohnstuv<br />
toben sien Buernfomilie Finken, un vor allen<br />
de dree Kinner, up denn Wiehnachtsmann.<br />
Klaus lööp no'n Groben un hol den groten<br />
Anmerkungen<br />
1 ) Für freundliche Auskünfte und Hilfe bei der<br />
Recherche danke ich Herrn B. Wedelich vom<br />
Katasteramt in Osterholz-Scharmbeck. Freundliche<br />
Unterstützung, verbunden mit teilnehmendem<br />
Interesse, erfuhr ich im Staatsarchiv<br />
Stade; auch hierfür sage ich herzlichen Dank.<br />
2 ) Veröffentlicht als Kartenbeilage zu: Wolfgang<br />
Konukiewitz/Dieter Weiser (Hrsg.), Die Findorff-<br />
Siedlungen im Teufelsmoor; Bremen 2011<br />
3 ) Monika und Hans Adolf Cordes, Die Findorff-<br />
Brüder; Bremen 2012, S. 66<br />
4 ) ebd., S. 69<br />
5 ) Wolfgang Konukiewitz, Die erste Dorfgründung<br />
mit Findorff: Ostersode; in: W. Konukiewitz/D.<br />
Weiser, a. a. O., S. 68 – 70. Laut Müller-<br />
Scheeßel (s. Anm. 6., S. 34) sind Condukteure<br />
bzw. Kondukteure Leute aus dem Baufach<br />
6 ) Karsten Müller-Scheeßel, Die Geschichte der<br />
Moornutzung und die Entstehung der Findorff-<br />
Siedlungen; in: W. Konukiewitz/D. Weiser, a. a.<br />
O., S. 62<br />
7 ) ders., Jürgen Christian Findorff und die kurhannoversche<br />
Moorkolonisation im 18. Jahrhundert;<br />
Hildesheim 1975, S. 39<br />
8 ) ders. (2011)., S. 59<br />
9 ) Karl Lilienthal, Jürgen Christian Findorffs Erbe;<br />
Lilienthal 21982, S. 24<br />
10 )Landkreis Osterholz, Auf Findorffs Spuren<br />
(Fahrradtour); www.landkreis-osterholz.de<br />
11 )K. Lilienthal, a. a. O., S. 28<br />
Sack. In sien Schapp fund he de öle Nikolausmaske<br />
mit Bort un Troddelmutz. He treck sien<br />
grönen Lodenmantel un lange Stebeln an, so<br />
schull datt wol gon! Fertig wör Knecht Ruprecht,<br />
gau ober de Deel, noch een Riesbessen<br />
in de Hand un an de Stuvendöör gekloppt.<br />
„Kommt rin, wennt keen Snieder is“, rööp<br />
Buer Finken. „Ho, ho, ho, ick mok ju alle froh,<br />
– sünd de Kinner uck artig wesen?“ Knecht<br />
Ruprecht füll nichts beter's in, he weer opgeregt.<br />
De grote Sack mit de feinen Geschenke<br />
rett ober den Heiligobend un de besondere<br />
Situation.<br />
No de Bescherung wünsch Knecht Ruprecht<br />
noch gesegnete Wiehnachten un mok sick<br />
up'n Padd. „Puh! Datt wör just nochmol god<br />
gon“. De Buer un sien Fro harrn all watt markt<br />
un lies to emm segt: „Wenn de Kinner no'n<br />
Bett sünd, komt man to us in de Stuv un bring<br />
denn annern Wiehnachtsmann ok mett.“<br />
Klaus lööp torüch in sien Kommer, Friedel leeg<br />
up'n Bett un snorch. No een gode Stunn harren<br />
de beiden sick verholt un seten nu in'ne<br />
Wiehnachtsstuv. Fro Finken harr hitt Woter<br />
mokt, datt gev Grog. In Friedel sien Kopp sungen<br />
jümmer noch de Engel: „Söter de Glocken<br />
nich bimmelt at to de Wiehnachtstiet“. All<br />
weer’n se an vertellen un lachen düchtig ober<br />
sien Molleur. Friedel harr een groten Pott Fliederbeergrog<br />
vor sick stoon. „Denn drink man<br />
erstmol ut“, segt Fro Finken, „Rum sitt dor von<br />
hütnomdag noch genog bi di in“.<br />
„Stille Nacht, heilige Nacht“, watt wör datt<br />
doch gemütlich! Ober de Bescherung hebbt<br />
se noch lang lacht in’n Dorp Düwelsmoor.<br />
Johann (Jan) Brünjes<br />
15
Vor 100<br />
Jahren ...<br />
<strong>Heimat</strong>rückblick:<br />
Presseberichte von<br />
Oktober bis Dezember 1912<br />
Wie sich doch die Berichte in der Presse<br />
damals und heute unterscheiden! Auch in<br />
den Texten der letzten drei Monate des Jahres<br />
1912 verraten Stil und Inhalte ein weiteres<br />
Mal einiges von der Einstellung der<br />
Menschen zu den Ereignissen des täglichen<br />
Lebens. Wieder einmal erfährt der heutige<br />
Leser, wie die Rolle der Tiere in der Nähe<br />
der Menschen damals eingeschätzt wurde.<br />
Emotional und engagiert belehrend nehmen<br />
Redakteure Stellung, wenn auch recht<br />
unterschiedlich in ihrer Einschätzung. So<br />
z.B. steht den bewegenden Beiträgen zu leidenden<br />
Tieren einige Tage später eine Aufforderung<br />
gegenüber, die „überproduzierten<br />
jungen Hündlein und Kätzchen“ doch<br />
zu töten, um ihnen eine „jammervolle<br />
Zukunft“ zu ersparen. Ergänzt wird dieses<br />
sogar noch durch eine entsprechende<br />
Anleitung dazu. Auf die Wiedergabe dieses<br />
Textes wird deshalb aus gutem Grund verzichtet.<br />
Über die Rolle der Mutter und Hausfrau<br />
in der Gesellschaft und die Vorbereitung<br />
heranwachsender Mädchen auf diese mag<br />
sich der heutige Leser wundern. Aber in<br />
jener Zeit, als die Frauen noch kein Wahlrecht<br />
besaßen und Studentinnen an Universitäten<br />
nur seltene Ausnahmen bildeten,<br />
kannte die Zukunft der meisten Mädchen<br />
nur ein Ziel: Hausfrau und Mutter zu werden.<br />
Der entsprechende Beitrag aus<br />
Fischerhude zu diesem Thema beinhaltet<br />
denn auch beispielhaft typische Klischees<br />
aus der Zeit vor 100 Jahren…<br />
Von Zuchttieren<br />
und Zugtieren<br />
Mittelbauer. „ Einen Verlust erlitt der<br />
Landwirt O. hierselbst, indem ihm eine tragende<br />
Stute durch Tragbeutelentzündung<br />
einging. Da das Tier jedoch bei der Stutenversicherungskasse<br />
St. Jürgen versichert<br />
war, so wird der Schaden mit drei Viertel<br />
16<br />
des eingeschätzten Wertes durch die Kasse<br />
entschädigt.“<br />
Osterholz. „In diesen Tagen wurde die<br />
Körung der Ziegenböcke im Kreise Osterholz<br />
vorgenommen. Es wurde durchweg<br />
gutes Material vorgeführt, so daß von 26<br />
vorgeführten Tieren nur 2 abgekört zu werden<br />
brauchten. Durch die Bildung von Ziegenzuchtvereinen<br />
in den letzten Jahren ist<br />
das Zuchtmaterial bedeutend verbessert. Es<br />
werden Tiere herangezogen, die als gute<br />
Futterverwerter höchste Nutzleistung bringen.<br />
Es ist zu begrüßen, daß die Zuchtvereine<br />
immer mehr auf gute Zuchtwahl halten,<br />
da hierdurch mit der Zeit mehr und<br />
mehr erstklassige Tiere gezogen werden.<br />
Den Besitzern wurden bei der Prämiierung<br />
als Anerkennung und Ermunterung des<br />
Interesses insgesamt 50 Mk. Prämien in Sätzen<br />
von 5, 3 und 2 Mk. für das Tier bewilligt.“<br />
Landkreis. „–Wenn ein Hund in der<br />
Nacht heult, so hat das seinen Grund. Gehe<br />
hin und suche die Ursache zu ergründen –<br />
ob er friert, ob er hungrig oder durstig ist,<br />
vielleicht ist er gar fest angebunden und er<br />
hat den ganzen Tag, ohne auszulaufen, an<br />
der Kette gelegen! Wenn ein Hund bellt, so<br />
bittet er um etwas! Ach, laß ihn nicht<br />
umsonst bitten!“<br />
Landkreis. „(Viehisch bestialisch) Oft<br />
kann man in den Zeitungen lesen, da oder<br />
dort habe einer was verbrochen und sei<br />
dabei geradezu bestialisch vorgegangen.<br />
Ähnlich hört und liest man die Ausdrücke:<br />
,Besoffen wie ein Vieh!´ – ,Bis unter das Tier<br />
herabgesunken´. Wir müssen aber gegen<br />
diese Ausdrucksweise entschieden Einspruch<br />
erheben, denn Tiere sind besser als<br />
ihr Ruf und in den meisten Fällen jener von<br />
Menschen verübten Schandtaten gar nicht<br />
fähig. Man blicke nur hin, wie anspruchslos,<br />
bescheiden und einfach die Tiere in ihren<br />
Bedürfnissen sind, und wie sehr man ihnen<br />
Unrecht tut, wenn man von ihnen, die doch<br />
als einziges Getränk nur Wasser nehmen,<br />
die Redensart braucht ,Besoffen wie ein<br />
Vieh!´ . Hier spukt noch die alte Tierverachtung,<br />
welche durchaus die Tiere zu ganz<br />
untergeordneten Wesen erniedrigen<br />
möchte und selbst ihre Tugenden als Laster<br />
aufbürdet. Sehr oft kann man auch hören,<br />
wie die Fuhrleute von ihren Pferden in häßlichen<br />
Ausdrücken sprechen: ,Warte nur, du<br />
Aas!´ – oder ,Du verfluchter Schinder!´<br />
Wenn die Menschheit besser werden und<br />
wenn es die Tierwelt besser haben will, so<br />
müssen vor allem solche garstigen und<br />
ganz ungerechten Ausdrücke verschwinden,<br />
welche zu roher Behandlung förmlich<br />
auffordert. Die Schimpfworte machen die<br />
Lebenslage der Tierwelt schlimmer, indem<br />
sie diese in ein falsches Licht stellen und die<br />
Meinung erwecken, daß Tiere gegenüber<br />
den Menschen ganz minderwertige<br />
Geschöpfe seien, was sie in Wirklichkeit<br />
nicht sind; wie ja oft der treue Hund und<br />
das unermüdliche Pferd seine hochmütigen<br />
Peiniger an Tugenden übertrifft.“<br />
Scharmbeck. „Beim Auseinanderfahren<br />
eines Komposthaufens auf dem Felde fand<br />
vorige Woche ein Landwirt von der Loge<br />
ein Nest mit jungen Kreuzottern, in dem<br />
sich nicht weniger als 33 Tiere von ca. 10 –<br />
12cm Länge befanden. Sämtliche Schlangen<br />
konnten getötet werden.“<br />
Mädchen und der<br />
Ernst des Lebens<br />
Fischerhude. „Es gibt für junge Mädchen<br />
wohl kaum ein interessanteres Thema, als<br />
das Heiratsthema. In stillen Stunden wird es<br />
sich dabei ertappen, wie es schon vom<br />
Brautzuge, von eigenem Herd, von schaffender<br />
Gattin und Mutter träumte. Und<br />
RUNDBLICK Herbst 2012
wenn sich wohl gar schon ein holder Verehrer<br />
eingestellt hat, dann läßt sich´s ja<br />
prächtig Luftschlösser bauen. Jugend! Doch<br />
schon in solchen ersten Liebeständeleien<br />
liegt der Lebensernst. Von dem großen<br />
Werte der Ehe und der Familie für den Fortbestand<br />
unserer Nation sei ganz abgesehen.<br />
Es gilt zunächst eine glückliche Ehe<br />
selbst zu schaffen und zu erhalten. Und das<br />
ist mit Küssen und Lieben auf die Dauer<br />
nicht abgetan. Ein trautes Heim, praktische<br />
Ordnung in Kisten und Kästen, etwas Gutes<br />
und Nahrhaftes auf dem Tische, sparsames<br />
Wirtschaften mit den vorhandenen Mitteln<br />
sind die Grundbedingungen, worauf sich<br />
dauerndes Glück aufbaut. Das wissen<br />
unsere jungen Mädchen ganz gut. Es ist oft<br />
rührend zu sehen, wie sie sich bemühen,<br />
von ihrer Mutter die Küchengeheimnisse,<br />
die Geheimnisse der Hauswirtschaft zu<br />
erlauschen. Leider aber ist nicht allen dazu<br />
Gelegenheit gegeben. Manche Mutter<br />
kann bei dem großen Hauswesen mit seiner<br />
aufreibenden Tätigkeit vom frühen Morgen<br />
bis zum späten Abend ihrer Tochter nicht<br />
die Zeit widmen, die sie ihr wohl widmen<br />
möchte. Da ist es denn mit Freuden zu<br />
begrüßen, daß die Achimer Kreiswanderhaushaltungsschule<br />
dem fühlbaren Bedürfnis<br />
abhelfen will, die jungen Mädchen mit<br />
den Kenntnissen auszurüsten, die jede<br />
angehende Hausfrau wissen muß. Wie überall<br />
im Leben, so geht auch hier Theorie und<br />
RUNDBLICK Herbst 2012<br />
Praxis Hand in Hand. Daneben wird auch<br />
Wert darauf gelegt, daß die bei Mädchen so<br />
angenehm berührende Zärtlichkeit bei den<br />
einzelnen Maßnahmen zu ihrem Rechte<br />
kommt. Der Besuch der Schule wird den<br />
Mädchen aus unserer Gegend dadurch<br />
erleichtert, daß im Januar ein Vierteljahrs-<br />
Kurs beginnen soll. Eine genügende Beteiligung<br />
(mindestens 15 Mädchen) ist wohl<br />
sicher zu erwarten. Wir verweisen im Übrigen<br />
auf die Bekanntmachung im heutigen<br />
Inseratenteil.“<br />
Diebe unterwegs!<br />
Borgfeld, 25. Okt. „In der letzten Nacht<br />
sind bei den Gastwirten Joh. Lührs und H.<br />
Kellner (Bahnhof) Einbruchsdiebstähle verübt<br />
worden. Die Diebe sind durch die Fenster,<br />
die sie von außen durch Herausnahme<br />
einer Scheibe öffneten, in die Gaststuben<br />
eingedrungen und haben die Tresenkassen<br />
geleert. Beim Gastwirt Lührs fielen ihnen<br />
etwa 8 Mk., auf dem Bahnhof etwa 30 Mk.<br />
in die Hände. Sie müssen sich ziemlich<br />
sicher gefühlt haben, denn auf dem Bahnhof<br />
haben sie sich auch Bier eingeschenkt<br />
und es ausgetrunken. Auch ein Fahrrad,<br />
welches ein junger Mann in der Nähe des<br />
Pastorenhauses am Weg hingestellt hatte,<br />
ist gestohlen worden.“<br />
Fischerhude. „In letzter Zeit wurde unser<br />
Ort täglich von einem Dieb heimgesucht.<br />
Bald fehlten dem einen Gänse, dem anderen<br />
Pferdegeschirre, dem dritten Wagenlaternen,<br />
dann wieder Hühner, Enten und<br />
sonstige Sachen, die sich in Ställen und<br />
Scheunen befanden. In der Nacht von<br />
Sonnabend auf Sonntag ist nun der Dieb<br />
gefaßt worden. Es ist ein aus Bredenau-<br />
Fischerhude gebürtiger K., jetzt in Hemelingen<br />
wohnhaft, der erst vor kurzem aus der<br />
Haft entlassen worden ist. Weil das ,Handwerk´<br />
ihm gefiel und auch sehr einträglich<br />
war, hat er sich für November gleich eine<br />
Monatskarte gekauft. Bei Durchsuchung<br />
eines mitgebrachten Sackes fanden die jungen<br />
Leute, die ihn wegen Verdachts festhielten,<br />
mehrere Wagenlaternen. Nun<br />
wurde dem K. eine sofortige exemplarische<br />
Strafe zuteil. Am anderen Morgen wurde er<br />
dem Achimer Gericht zugeführt.“<br />
Kurz berichtet<br />
Wörpedorf. „Die sehr beliebten Lichtschauspiele<br />
(lebende Photographien) werden<br />
hier am Sonntag im ,Schützenhofe´<br />
gezeigt werden. Es finden nachmittags und<br />
abends Vorstellungen statt. Die zur Vorführung<br />
kommenden Bilder sind zum Teil<br />
humorvoll, zum Teil ernster und auch<br />
belehrender Art. Der Besuch der Vorstellungen<br />
sei jedem empfohlen.“<br />
Osterholz. „Die Hüttenwirte haben ihre<br />
Sommerwirtschaften an der Hamme fast<br />
alle verlassen. Es wird jetzt recht unfreundlich<br />
an der Hamme, da die Ländereien weit<br />
von den Fluten überschwemmt sind. Der<br />
Schiffsverkehr wird auch immer weniger<br />
und dürfte so ziemlich eingestellt werden,<br />
da die Ausfuhrartikel befördert sind. Die<br />
Wassermassen, welche mit der Flut heraufkommen,<br />
da die Hammeschleusen geöffnet<br />
sind, sind den Weiden von Vorteil.“<br />
Osterholz-Scharmbeck. „Die Scharmbecker<br />
Gasleitung dürfte mit der Zeit auch<br />
durch Osterholz geführt werden. Bereits<br />
eine Anzahl der Osterholzer Bewohner<br />
nimmt Gas für Kochzwecke. Bei einer<br />
Anfrage in Osterholz in einigen Straßen<br />
zeigten Bewohner Interesse für Weiterlegung<br />
des Leitungsrohrs, denn Gas ist<br />
bequem und sauber für Kochzwecke. -In<br />
Osterholz wird zur Zeit ein Telegraphenkabel<br />
verlegt.“<br />
Pennigbüttel. „Eine Seltenheit, in der<br />
die Zahl 12 auch eine Rolle spielt, hat ein<br />
hiesiger Einwohner aufzuweisen. Ihm<br />
wurde nämlich am 12.12. 12, nachts um 12<br />
Uhr, das 12. Kind geboren, was standesamtlich<br />
beglaubigt ist. Dieser Fall wird wohl<br />
einzig dastehen und kaum vor Ablauf eines<br />
Jahrhunderts wieder vorkommen.“<br />
Grasberg. „Unsere Schule veranstaltet<br />
am Montagabend um 5 Uhr in Gemeinschaft<br />
mit dem Männergesangverein im<br />
Kück´schen Saale eine Weihnachtsfeier. Die<br />
Kinder haben dazu, wie im Vorjahre, ein<br />
großes Weihnachtsmärchenspiel eingeübt,<br />
nämlich König Ringelhaar. Die Mitglieder<br />
des Gesamt-Schulverbandes sind zu dieser<br />
Feier herzlich eingeladen.“<br />
Peter Richter<br />
Quelle: Zeitungsarchiv des <strong>Heimat</strong>vereins Lilienthal<br />
17
Auf Mühlensuche im Landkreis Osterholz<br />
Wie viele Mühlen gibt es noch im Landkreis Osterholz?<br />
Im Landkreis Osterholz standen einst<br />
über 50 Mühlen!<br />
Das ist der Niedersächsischen Mühlengeschichte<br />
von Wilhelm Kleeberg aus dem<br />
Jahre 1964 zu entnehmen 0 ).<br />
Dort listete Kleeberg noch 42 Mühlen<br />
im Landkreis auf: „3 Windmühlen, mit<br />
Windwerk tätig / 6 Mühlen, ohne Windwerk,<br />
mit Motorbetrieb / 4 stillgelegte<br />
Windmühlen, einige nur noch Ruine / 6<br />
Wassermühlen mit Wasserantrieb / 2 Wassermühlen<br />
mit Motorantrieb / 1 stillgelegte<br />
Wassermühle / 19 Motormühlen / 1<br />
Sägemühle mit Motorantrieb.<br />
Und alphabetisch sortiert führte er die<br />
einzelnen Mühlenstandorte auf: 2 in<br />
Adolphsdorf, je 1 in Aschwarden, Garlstedt,<br />
Hambergen, Heilshorn, Hüttenbusch,<br />
Leuchtenburg, 3 in Lilienthal, je 1 in<br />
Mevenstedt, Meyenburg, Neuenkirchen,<br />
insgesamt 7 in Osterholz-Scharmbeck, 1 in<br />
Ostersode, 2 in Ritterhude, je 1 in Sandhausen,<br />
Scharmbeckstotel, Schlußdorf,<br />
Schwanewede, Seebergen, Tüschendorf, 2<br />
in Vollersode, je 1 in Wörpedorf, Worphausen,<br />
Worpswede.<br />
In der Kleeberg´schen Auflistung finden<br />
wir auch Hinweise auf damals schon verschwundene<br />
Mühlen: je 1 in Eickedorf,<br />
Freißenbüttel, Meinershausen, Ohlenstedt,<br />
9 in Osterholz-Scharmbeck, je 1 in<br />
Ritterhude, Schleenstedt, Schwanewede,<br />
Tüschendorf, Worphausen.<br />
Wie viele Mühlen finden wir heute, fast<br />
50 Jahre später, im Landkreis Osterholz?<br />
Dazu gibt es keine Übersicht in der Qualität<br />
der Kleeberg´schen von 1964.<br />
Auf den Internetseiten der Mühlenfachleute<br />
von der Deutschen Gesellschaft für<br />
Mühlenkunde und Mühlenerhaltung 1 ),<br />
deren Mitglieder alljährlich am Pfingstmontag<br />
den „Deutschen Mühlentag“ veranstalten<br />
und zur Besichtigung von<br />
Mühlen einladen, finden wir 7 Mühlen im<br />
Landkreis Osterholz, auf der Homepage<br />
der Niedersächsischen Mühlenstraße 12<br />
Mühlenstandorte 2 ), auf der vom Landkreis<br />
Osterholz 12 Mühlen 3 ) und der zur<br />
Mühlenstraße im Landkreis Osterholz 11<br />
Mühlen 4 ).<br />
Ein Vergleich der in diesen Internetforen<br />
angegebenen Mühlen bringt im Ergebnis<br />
13 Mühlenstandorte im Landkreis Osterholz:<br />
je 1 in Aschwarden, Lübberstedt,<br />
Meyenburg, 3 in Osterholz-Scharmbeck,<br />
je 1 in Ostersode, Ritterhude, Sandhausen,<br />
Scharmbeckstotel, Schwanewede, Vollersode-Wallhöfen,<br />
Worpswede.<br />
Nicht alle im Mühlen im<br />
Landkreis Osterholz erfasst<br />
Damit sind jedoch nicht alle noch im<br />
Landkreis Osterholz vorhandenen Mühlen<br />
erfasst. So ist darin beispielsweise die erst<br />
kürzlich abgerissene Falkenberger Mühle<br />
in Lilienthal nicht enthalten. Diese Motormühle,<br />
deren komplettes Mühleninnenleben,<br />
konnte vor dem Abriss des Mühlengebäudes<br />
von den Oll´n Handwarkers ut<br />
Worphusen un annere Dörper e.V. dokumentiert,<br />
ausgebaut und für das Handwerkermuseum<br />
auf dem Lilienhof gesichert<br />
werden. (siehe dazu Artikel im <strong>Heimat</strong>-<br />
<strong>Rundblick</strong> 101)<br />
Auch die Auflistung der Mühlen im<br />
Landkreis Osterholz 1964 in Kleebergs<br />
Niedersächsischer Mühlengeschichte<br />
erfasst nicht alle damals und eventuell<br />
auch heute noch vorhandenen Mühlen im<br />
Landkreis.<br />
Das zeigten schon die ersten Schritte<br />
einer Bestandsaufnahme von der<br />
„Mühlengruppe der Oll´n Handwarkers“<br />
und der „Geschichtswerkstatt der Region“.<br />
Im Landkreis Osterholz gab es und gibt es<br />
Emblem Niedersächsische<br />
Mühlenstraße.<br />
noch verborgene Mühlenstandorte, die es<br />
aufzuspüren gilt.<br />
Archive, Orts- und Firmenchroniken,<br />
Aufzeichnungen örtlicher Vereine müssen<br />
durchforstet und Chronisten, Mühlenfachleute,<br />
<strong>Heimat</strong>forscher, Ortskundige links<br />
und rechts der Hamme befragt werden.<br />
Dabei ist u.a. eine Frage zu beantworten:<br />
Wo standen die von Kleeberg 1964<br />
erwähnten 19 Motormühlen im Landkreis<br />
Osterholz?<br />
Text und Fotos: Johannes Rehder-Plümpe<br />
Quellen:<br />
0 ) Wilhelm Kleeberg, Niedersächsische<br />
Mühlengeschichte, Hermann Bösmann,<br />
Detmold 1964,<br />
Nachdruck Schlütersche Verlagsanstalt<br />
Hannover 1978, verb. Nachdruck 1979<br />
1 ) www.muehlen-dgm-ev.de: Mühlenlisten,<br />
Niedersachsen und Bremen, Bezirk Lüneburg,<br />
Osterholz<br />
2 ) www.niedersächsische-mühlenstrasse.de:<br />
zur Straße, Landkreis Osterholz, zu den<br />
Mühlen<br />
3 ) www.Landkreis-Osterholz.de: Freizeiterlebnis,<br />
Sehenswürdigkeiten, Mühlen<br />
4 ) www.osterholz.city-map.de: Urlaub &<br />
Tourismus, Sehenswertes, Die Mühlenstraße<br />
im Landkreis Osterholz<br />
Die Mühlengruppe der Oll´n Handwarkers. Das Innenleben der Falkenberger Mühle beim Abtransport.<br />
Mühlen- und Müllerwappen<br />
im Mühlengebäude.<br />
18 RUNDBLICK Herbst 2012
Die wechselvolle Geschichte einer Friedhofsmauer<br />
Grasberg. Im Jahr 1835 war es an der<br />
Zeit, den alten Holzzaun, der den Friedhof<br />
von dem parallel verlaufenden Sandweg<br />
(Speckmannstraße) trennte, zu erneuern.<br />
Diesmal sollte es anstatt eines Zaunes jedoch<br />
eine Mauer sein. Sie entstand nahe des<br />
Weges, der heute entlang der Gräberreihe<br />
führt. Für dieses Bauwerk waren 16.400<br />
Stück zehnzöllige Rotsteine erforderlich, die<br />
(NN) Hastedt 1 ) lieferte und (NN) Wendelken<br />
2 ) brachte 11 Tonnen 3 ) Steinkalk zur Baustelle.<br />
Als obere Abdeckung der Mauer wurden<br />
sogenannte Grauwacken gewählt. Zimmermeister<br />
Röhrs lieferte schließlich zwei<br />
große und vier kleine Holzpforten.<br />
Dieser Neubau sollte sicherlich von langer<br />
Dauer und vor allem kostengünstig sein.<br />
Doch der spätere Zeitgeist meinte es der<br />
Bequemlichkeit halber anders, denn im Jahr<br />
1874 ergab es sich, dass nur noch wenig freie<br />
Grabplätze zur Verfügung standen. Anstatt<br />
hinter der Kirche Unmengen Erdreich anzufahren,<br />
um die entsprechende Höhe zu erlangen,<br />
hatte Pastor Schönfeld dem Königlichen<br />
Konsistorium in Stade folgenden Vorschlag<br />
unterbreitet: „Da zwischen Kirchhofsmauer<br />
und Landstraße noch ein freier Platz als<br />
Eigenthum der Kirchengemeine ist, so muß<br />
die Mauer abgerissen und eine neue hergestellt<br />
werden. Auf einer öffentlichen Versammlung<br />
im August 1874 hatte man sich<br />
jedoch dahin geeinigt, anstatt einer neuen<br />
Mauer einen schmucken Eisengitterzaun<br />
errichten zu lassen. Dies würde „eine Zierde<br />
für die Kirche und auch nützlicher im Winter<br />
bei etwaigem Schneetreiben“ sein. Vorausgesetzt,<br />
es dürfte dazu „300 Mark aus Kirchenmitteln“<br />
verwendet werden. Das Königliche<br />
Konsistorium in Stade versagte jedoch<br />
dazu seine Genehmigung. Daraufhin lehnten<br />
auch die Kirchenmitglieder auf einer weiteren,<br />
im Februar 1875 abgehaltenen Versammlung,<br />
die Errichtung eines Gitterzaunes<br />
ab und einigte sich nunmehr auf den Bau<br />
einer Friedhofsmauer. Nach einem Kostenanschlag<br />
„würde die Mauer auf 1667 Mark<br />
kommen, indem die guten Steine der alten<br />
Mauer, so wie das Grauwerk auf derselben<br />
noch mit benutzt werden könnten“. Nach<br />
nur 40 Jahren fiel somit die Mauer wieder. Sie<br />
wurde mit dem noch brauchbaren Baumaterial<br />
etwa 4 Meter weiter zur Straße hin neu<br />
aufgemauert und diesmal mit einer Putzfassade<br />
versehen. Das große schmiedeeiserne<br />
Tor mit den beiden Seitentüren sowie jeweils<br />
eine Tür am linken und rechten Ende der<br />
Mauer machten das Ganze zu einem imposanten<br />
Bauwerk. Links und rechts des Haupttores<br />
haben sich der Hersteller und die Kirchenvorsteher<br />
in gusseiserne Schrifttafeln<br />
verewigen lassen: „Angefertigt durch J. H.<br />
Ahrens aus Scharmbeck am 2 ten Sept.<br />
1875“ und „Grasberger Kirchenvorsteher<br />
Past. Schönfeld; H. Lindemann, Eickedorf; H.<br />
Lindemann, Wörpedorf; C. H. Tietjen, Adelsdorf;<br />
H. Bergmann, Danneberg 1876“.<br />
RUNDBLICK Herbst 2012<br />
Die neue Friedhofsmauer verbindet harmonisch die Geschichte der bisherigen Bauwerke. Foto: Tim Wöbbeking<br />
Im Lauf der Jahre zog jedoch an einigen<br />
Stellen trotz der abgeputzten Fassade immer<br />
wieder Nässe ins Mauerwerk und hinterließ<br />
besonders in den Wintermonaten ihre schädlichen<br />
Spuren, wodurch die Rotsteine besonders<br />
litten. Ihr auffallend hellroter Farbton<br />
ließ erkennen, dass die Brenndauer nicht ausreichend<br />
bemessen war. Somit saugten sie<br />
fast wie ein Schwamm die Nässe auf und<br />
begannen besonders bei Frostwetter zu<br />
bröckeln. So stand nach nur 36 Jahren an<br />
gleicher Stelle erneut ein Neubau der Friedhofsmauer<br />
an. Im Jahr 1912 wurde die Firma<br />
Diedrich Evers aus Wörpedorf damit beauftragt,<br />
binnen 6 Wochen(!) eine neue Friedhofsmauer<br />
zu errichten. Um in den Türbereichen<br />
eine Stabilität zu erlangen, wurden<br />
diese Bereiche aus den noch vorhandenen<br />
Rotsteinen des letzten Bauwerks massiv<br />
gemauert. Die eigentliche Mauer entstand<br />
nach den Vorgaben des Kirchenvorstandes<br />
aus Beton im Verhältnis 1:8. Vielleicht hat die<br />
Baufirma das Mischverhältnis noch optimiert,<br />
um eine bessere Konsistenz zu erzielen. Dabei<br />
wurde diese Mischung noch mit Steinbrocken<br />
4 ) der alten Mauer gestreckt. Etwa fingerdicke<br />
Rundeisenstangen im oberen und<br />
unteren Bereich der Mauer stabilisierten das<br />
Bauwerk. Eine später unmittelbar hinter der<br />
Friedhofsmauer hinzugefügte Lebensbaumhecke<br />
bildete eine harmonische Einheit. Vor<br />
etwa 50 Jahren wurden im Zuge des damaligen<br />
Straßenbaues und der anschließenden<br />
Neuanpflanzungen haarscharf an der Mauer<br />
sündhaft Lindenbäume gepflanzt! Damit<br />
nahm das Schicksal der Friedhofsmauer<br />
erneut seinen Lauf. In den Folgejahren entstanden<br />
Risse und teilweise platzten große<br />
Mauerteile ab.<br />
Bauwerk hat 100 Jahre<br />
seinen Dienst getan<br />
Heute hat dieses Bauwerk genau 100 Jahre<br />
lang seinen Dienst getan und hätte eigentlich<br />
den Status des Denkmalschutzes verdient.<br />
Die gravierenden Schäden der letzten Jahrzehnte<br />
ließen jedoch nur den Schluss zu,<br />
diesmal einen grundlegenden Neubau zu<br />
erwirken. Private Spenden und Zuschüsse der<br />
Dorferneuerung Eickedorf, Grasberg, Wörpedorf<br />
zum Beispiel ermöglichten dieses Vorhaben,<br />
denn aus dem steuerlichen Etat der Kirche<br />
konnten auch diesmal keine Zuschüsse<br />
erwartet werden. Im Spätsommer 2012<br />
begann der inzwischen vierte Neubau der<br />
Friedhofsmauer, die diesmal auf ihrer Länge<br />
von rund hundert Meter bis etwa einem<br />
Meter schräg verläuft. Da zugleich auch der<br />
zweite Bauabschnitt des Neubaues der<br />
Speckmannstraße erfolgt, konnte in diesem<br />
Bereich eine Fußgänger-Querung mit einer<br />
Verkehrsinsel realisiert werden.<br />
Für den Bau der Friedhofsmauer wurden<br />
Rotsteine gewählt, die von ihrer Oberfläche<br />
her dem Mauerwerk der Kirche ähnlich sind.<br />
Die geputzten Kassettenfächer erinnern an<br />
die vorherige Friedhofsmauer. Als obere<br />
Abdeckung der neuen Mauer wurden die<br />
Steinplatten vom Jahr 1835 wiederverwendet.<br />
Leider sind beim Abbruch der vorherigen<br />
Mauer einige der Grauwacken zerbrochen.<br />
Dabei hat sich gezeigt, dass sich neben dieser<br />
Gesteinsart auch mehrere beige bis graue<br />
Karlshafener Sandsteinplatten befinden. Der<br />
eigentliche Farbton war seit Jahrzehnten<br />
wegen der Grünalgenschicht nicht mehr<br />
erkennbar. Das bei einer örtlichen Firma<br />
restaurierte Haupttor von 1875 wurde etwas<br />
zurückgesetzt platziert. Auch die eine noch<br />
erhaltene separate schmiedeeiserne Tür kam<br />
wieder zur Verwendung.<br />
Diese neue Friedhofsmauer verbindet harmonisch<br />
die Geschichte der bisherigen Bauwerke.<br />
Sie wird mit den historischen schmiedeeisernen<br />
Toren für die weiteren Generationen<br />
sicher eine dauerhafte Zierde sein und<br />
bleiben. Text: Harry Schumm<br />
Quellen:<br />
Pfarrarchiv der Kirchengemeinde Grasberg.<br />
1 ) und 2 ) Hier handelt es sich sicher um Privatpersonen,<br />
die sich durch ihre Lieferdienste ein<br />
Zubrot verdienten. Nachweislich waren auf<br />
diese Weise auch einige Bauern aus Schmalenbeck<br />
(Gemeinde Grasberg) tätig, die mit ihrem<br />
Moorkahn Steine von der Geest zu einem anderem<br />
Bauobjekt in Grasberg lieferten.<br />
3 ) 1 Tonne = (Preußen) 137,403 Liter.<br />
4 ) Diese Methode war örtlich noch bis in die<br />
1970er Jahre üblich.<br />
19
Die Speckmannstraße vor über 100 Jahren<br />
Bemerkenswertes aus einer alten Festzeitung<br />
Grasberg. Ein zunächst aktuelles und<br />
bald eher unbedeutendes Schriftstück<br />
kann im Lauf der Jahre interessante Inhalte<br />
vermitteln. Hier war es der „Männergesangverein<br />
Grasberg“, der am Sonntag,<br />
den 17. Juni 1900, zum 16. Sängerfest des<br />
Wümme-Weser-Sängerbundes nach Grasberg<br />
einlud. Ihre Festzeitung beinhaltete<br />
auch einen „Führer durch Grasberg“, der<br />
im Gemeindearchiv Grasberg vorliegt. Er<br />
sollte als Wegweiser zu den jeweiligen<br />
Treffpunkten dienen und auf die weiteren<br />
Anwohner der damals noch wenig bebauten<br />
Speckmannstraße aufmerksam<br />
machen. Wie seinerzeit in der Altgemeinde<br />
Grasberg üblich, wurden überdimensionale<br />
Festveranstaltungen in mehreren<br />
Lokalen und Tanzsälen veranstaltet.<br />
Vier Gaststätten auf 1000 m<br />
Der hier näher erwähnte Straßenabschnitt<br />
erstreckt sich von dem neuen Verkehrskreisel<br />
im Ortsteil Wörpedorf bis zum<br />
Lokal und Hotel Grasberger Hof an der<br />
Speckmannstraße 58: In diesem Bereich<br />
von etwa 1000 Meter gab es derzeit vier<br />
Gaststätten; zwei mit Tanzsaal und drei mit<br />
Sommergarten.<br />
Der „Führer durch Grasberg“ verleitet<br />
uns dazu, sich in die Zeit vor über einhundert<br />
Jahren zurückzuversetzen. Bilder<br />
schweben wie ein Film vorüber:<br />
Geschmückte Straße und Lokale, kein<br />
Fahrzeuglärm. Alle Beteiligten nehmen die<br />
ganze Breite der Straße ein. Und zum<br />
Abschluss das große Konzert unter freiem<br />
Himmel.<br />
Lassen wir nun die Gäste kommen:<br />
„Nachdem die Gäste bei der Dampf-<br />
Wacker’s Gasthof um 1905, heute Hotel und Lokal Grasberger Hof.<br />
molkerei Wörpedorf 1 ) rechts abgebogen<br />
sind und gleich darauf die neue leider noch<br />
nicht vollständig fertiggestellte Eisenbahn<br />
Bremen-Tarmstedt 2 ) beim Bahnhof Grasberg-Wörpedorf<br />
3 ) überschritten und den<br />
Neubau unseres berühmten Hühnerologen<br />
Kück 4 ) angeschaut haben, werden sie<br />
freudig empfangen von dem Männergesangverein<br />
Grasberg in dem vor zwei Jahren<br />
erbauten Gast- und Geschäftshause<br />
des Bassisten Herrn Christel Arps 5 ). Hier ist<br />
gut sein und alles in guter Qualität zu<br />
haben, was zur Leibes-Nahrung und Nothdurft<br />
gehört. Pünktlich zur festgesetzten<br />
Zeit erfolgt die Aufstellung zum Festzuge.<br />
Derselbe bewegt sich über Tarmstedter<br />
Holsten’s Sommergarten um 1905. Heute Geschäftstelle der Volksbank, Speckmannstraße 45.<br />
und Wilstedter Gebiet 6 ) durch Grasberg.<br />
Im Vordergrunde der Feststraße gewahrt<br />
das Auge die schöne Besitzung des Kaufmanns<br />
Herrn Steingröver. Ein parkähnlicher<br />
wohlgepflegter Garten umgiebt das stattliche<br />
neue Wohnhaus 7 ). Gegenüber sehen<br />
wir das Hauptfestlokal 8 ). Da wir hierin nach<br />
dem Festzuge zur Hauptfeier zurückkehren,<br />
so lassen wir’s vorläufig „links liegen“.<br />
Zur weiteren Orientirung und um Wiederholungen<br />
zu vermeiden, sei hier<br />
bemerkt, daß rechts von der Feststraße die<br />
politische Ortschaft Grasberg liegt und<br />
links Wilstedt. 9 ) Unser Bundessängerfest<br />
wird demnach in den Kreisen Osterholz<br />
und Zeven gefeiert. Zur linken der Straße<br />
zeigt sich unser neues stilvolles Postgebäude.<br />
Eigenthum des Tenoristen Herrn<br />
Hermann Kimker 10 ).<br />
Organistenhaus ist das<br />
älteste Gebäude Grasbergs<br />
Rechts treffen wir das idyllisch gelegene<br />
Pfarrhaus 11 ). Der zeitige Herr Pfarrer wirkt<br />
mit großer Pflichttreue schon über 30<br />
Jahre so segensreich in hiesiger Gemeinde;<br />
er erfreut sich allgemeiner Liebe und Achtung.<br />
An die Pfarre schließt sich Kirche 12 )<br />
und Organistenhaus 13 ). Vor der Kirchhofspforte<br />
erhebt sich das kostbare Kriegerdenkmal<br />
14 ), daß 1895 errichtet ist zum<br />
Gedächniß der Heldensöhne, die im<br />
Kampf für das Vaterland gefallen sind. Das<br />
bereits erwähnte Organistenhaus ist das<br />
älteste Gebäude in Grasberg. Einen weiteren<br />
Anblick gewährt das neue Schulhaus;<br />
ihm fehlt bislang noch die Lehrerfamilie 15 ).<br />
Links schauen wir die schönen Anlagen des<br />
Sangesbruders und Gastwirts Herrn G.<br />
20 RUNDBLICK Herbst 2012
Holsten 16 ). In seinem aufs Beste decorirten<br />
neuen Saale findet bei der Rückkehr des<br />
Zuges die Probe der Chorlieder statt. Der<br />
freundliche Wirth lässt es an aufmerksamer<br />
Bedienung mit guten Speisen und Getränken<br />
nicht fehlen. Gleich hinter der neuen<br />
Schule wird das Auge erfreut durch den<br />
Anblick des neuen prächtigen Geschäftshauses<br />
des Kaufmanns Herrn Stolte 17 ).<br />
(NB. Hinter dessen Wohnung liegt im neu<br />
angelegten Garten ein „Ableger vom Weyerberge“<br />
18 ), bewacht vom Ceberus 19 ).<br />
Weiter treffen wir an der Feststraße das<br />
trauliche Heim des Häuserfabrikanten D.<br />
Kimker 20 ), eines eifrigen Mitgliedes des<br />
Gesangvereins. Nunmehr hat der Festzug<br />
das Ende Grasbergs erreicht und wir treten<br />
ein in die geräumigen, festlich geschmückten<br />
Hallen des Herrn Fulfs 21 ). Der aufmerksame<br />
Wirth sorgt prompt und reell für das<br />
leibliche Wohl aller Festgenossen. Nach<br />
genügender Erfrischung beginnen wir den<br />
Rückmarsch zum Hauptfestlocale. Hier<br />
empfängt uns der Festwirth A. D. Schnakenberg<br />
22 ). Im Garten lauschen wir den<br />
Vorträgen der Chor- und Sololieder und<br />
dem Concert der Matrosen-Artillerie-<br />
Capelle aus Wilhelmhaven“.<br />
RUNDBLICK Herbst 2012<br />
Kein amtliches Aktenstück zeigt ein so<br />
aufschlussreiches Bild auf. Es hat sich also<br />
gezeigt, dass auch zunächst unbeachtete<br />
Schriftstücke zu Archivalien heranreifen<br />
können, wenn sie nur die wechselhaften<br />
Zeiten überdauern dürfen und würden.<br />
Fotos: Gemeindearchiv Grasberg<br />
Text: Harry Schumm<br />
1 ) 1892 eingeweiht, 1898 in Konkurs und<br />
einen Teil an Heinrich Gieschen aus Eickedorf<br />
8 verpachtet. Dieser richtet einen<br />
Mühlenbetrieb („Wörpedorfer Mühle“)<br />
ein und erwirbt später den gesamten<br />
Komplex. 1999 ausgebrannt und 2011<br />
komplett abgebrochen.<br />
2 ) Kleinbahn „Jan-Reiners“.<br />
3 ) Südöstlich der heutigen Gartenstraße.<br />
4 ) Das Haus zwischen der Straße Schulweg<br />
und der Findorff-Apotheke. Kück ist Mitglied<br />
des Geflügelzuchtvereins Grasberg.<br />
5 ) Seit 1926 Kreissparkasse<br />
6 ) Betreffend Eickedorf, Gasberg und Wörpedorf<br />
wurde die Wörpe bis 1929 durch die<br />
Wilstedter und Tarmstedter Wiesen<br />
begrenzt. Seitdem sind sie Bestandteil der<br />
drei Gemeinden.<br />
Hildegard Fittschen 90 Jahre<br />
Am 22. November 1922 in Pennigbüttel<br />
geboren, hat sie in ihren jungen Jahren<br />
bewegte Zeiten erlebt. Ihre Vorfahren<br />
waren entweder Ärzte oder Lehrer. Also<br />
wollte sie Kinderärztin werden. Viele Fahrradkilometer<br />
legte sie zurück, um zum Zug<br />
nach Bremen zu kommen. Weiter ging es<br />
zu Fuß zum Kippenberg-Gymnasium.<br />
Dann war ihr Abitur geschafft und sie<br />
begann ihr Studium in Marburg. Auch in<br />
Marburg fielen Bomben und sie wurde mit<br />
anderen deutschen Frauen in einer unterirdischen<br />
Munitionsfabrik eingesetzt.<br />
Danach kam sie zu Drettmann in Scharmbeck,<br />
wo Militärfahrzeuge gebaut wurden.<br />
Später bis Kriegsende wurde sie als Krankenschwester<br />
im Krankenhaus in der Lindenstraße<br />
eingesetzt. Einem Tieffliegerangriff<br />
entkam sie in letzter Sekunde. 1946<br />
Nachruf Herbert Fittschen<br />
Wir mochten ihn alle sehr. Die Frauen<br />
und Männer, die den <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong><br />
ins Leben riefen; aber auch die Freunde,<br />
die dann zu uns in die vierteljährliche<br />
Redaktionsrunde fanden. Immer der<br />
ruhende Pol, bei dem jeder Satz, den er<br />
aussprach, passte. Und viele Manuskripte<br />
steuerte er zum guten Gelingen bei. Bis<br />
dann der Schicksalsschlag ihn traf, von<br />
dem er sich nie mehr erholte.<br />
Herbert Fittschen hat uns im September<br />
2012 verlassen. Und wie in den ver-<br />
7 ) Rathausgelände<br />
8 ) Bäckerei Blanke, (siehe Nr. 22)<br />
9 ) (siehe Nr. 6)<br />
10 ) Speckmannstraße 25. Das 1898 erbaute<br />
Haus hat ihr ursprüngliches Aussehen<br />
seither nahezu bewahrt.<br />
11 ) Das Pfarrhaus wurde 1911 durch einen<br />
Neubau ersetzt. Pastor Schönfeld ging<br />
1902 in den Ruhestand.<br />
12 ) Am 1. November 1789 geweiht.<br />
13 ) 1787 erbaut und 1962 wegen Neubau<br />
abgebrochen.<br />
14 ) Ab1956 beim heutigen Parkplatz des Kindergartens<br />
an der Speckmannstraße 50,<br />
seit 2010 auf dem Denkmalplatz im<br />
Straßenwinkel Gefkens Weg - Wörpedorfer<br />
Straße.<br />
15 ) Seit 1975 kommunaler Kindergarten,<br />
(siehe Nr. 14).<br />
16 ) Speckmannstraße 49.<br />
17 ) Johann Stolte, gebürtig aus Worpswede,<br />
erwarb es 1891.<br />
18 ) Was mag das sein?<br />
19 ) Wer kann hier weiterhelfen?<br />
20 ) Speckmannstraße 54.<br />
21 ) Lokal und Hotel Grasberger Hof.<br />
22 ) Heute Bäckerei Blanke, Speckmannstraße<br />
23.<br />
sprach sie vergeblich in verschiedenen<br />
Universitäten vor. 1951–1953 ging sie zur<br />
PH Lüneburg und wurde Lehrerin in der<br />
Menckeschule, wo ihr der Kollege Herbert<br />
Fittschen über den Weg lief, mit dem sie<br />
eine sehr glückliche Ehe hatte. Zwei Kindern<br />
hat sie das Leben geschenkt. In den<br />
nachfolgenden Jahren trat sie in verschiedene<br />
Vereine ein, aus denen sich Freundschaften<br />
entwickelten, die bis heute anhalten.<br />
Und immer wieder war sie ihrem<br />
Mann Herbert bei seinen Aktivitäten eine<br />
große Stütze. Fast zwei Jahrzehnte fuhr sie<br />
ihren Mann zu den <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong>-Sitzungen<br />
und las auch oftmals für den <strong>Rundblick</strong><br />
Korrektur. Dafür danken wir ihr und<br />
wünschen für die Zukunft alles, alles Gute.<br />
Manfred Simmering<br />
gangenen Jahren, werden wir auch in<br />
Zukunft gern an ihn denken, unseren<br />
Herbert Fittschen.<br />
Manfred Simmering<br />
Unser Redaktionsmitglied Horst Plambeck<br />
hat in mühevoller Arbeit unter Wikipedia<br />
einen ausführlichen Lebenslauf<br />
erstellt, den sich Interessierte dort gerne<br />
herunterladen können.<br />
Die Redaktion<br />
21
Ein Stammbaum sagt mehr aus …<br />
Das Abbild der Lilienthaler Äbtissin an einem Weltkulturerbe<br />
Der Artikel über das Abbild der<br />
Äbtissin an der Schauseite des Bremer<br />
Rathauses hat ein starkes Echo<br />
gefunden und Verwunderung hervorgerufen.<br />
Denn so deutlich hatte<br />
man das in Lilienthal bisher nicht<br />
verstanden. An der Konsole unter<br />
der Skulptur des Markgrafen von<br />
Brandenburg das Abbild der Äbtissin<br />
Greten des Klosters Lilienthal noch<br />
heute betrachten zu können ... An<br />
der Fassade eines Weltkulturerbes!<br />
Und dann noch Hinrich von der Trupe,<br />
der beim Bau des gotischen Rathauses in<br />
den Jahren 1405 bis 1407 alle Fäden in der<br />
Hand hielt. Auch über ihn ist in Lilienthaler<br />
Chroniken nichts zu finden. Wikipedia widmet<br />
ihm im Internet eine eigene Seite!<br />
Karl Lilienthal lässt in seiner Festschrift<br />
„1000 Jahre Trupe“ [1937] keine Zweifel<br />
aufkommen: „Es ist nun völlig abwegig,<br />
die Namengebung Trupes auf die adelige<br />
Bremer Familie von Trupe zurückzuführen.<br />
Zum Ersten erhält ein Ort niemals den<br />
Namen einer Familie. Orte sind immer<br />
älter als der Familienname. Diese gehen<br />
vielmehr auf Ortsnamen zurück.“<br />
Die besondere Stellung des Ortes Trupe<br />
zum Bremer Erzbistum ergibt sich schon<br />
aus der Gründung des Klosters Lilienthal.<br />
Es heißt, dass das Kloster nach seiner letzten<br />
Station in Wolda in den Wald nach<br />
Trupe verlegt wurde und dort blieb. Damit<br />
hatte Trupe eine besondere Nähe zu Bremen,<br />
denn die Klostergründung durch den<br />
Bremer Erzbischof Gerhard II. erfolgte, weil<br />
dessen Bruder in der Schlacht gegen die<br />
Stedinger Bauern fiel.<br />
Sieht man sich diesen Ausschnitt aus<br />
dem Stammbaum von Johann Hemeling<br />
an, so fällt die Verbindung zwischen den<br />
beiden und weiteren Familien aus der<br />
Oberschicht förmlich ins Auge. Seit 1382<br />
gehörte Hemeling dem Rat an, war Bürgermeister<br />
von 1405 bis 1410. Ab 1390<br />
auch Dombaumeister. In erster Ehe war<br />
Johann Hemeling verheiratet mit Alheydis,<br />
Tochter des Hinrich von der Trupe.<br />
Rathausfenster-Ausschnitt: Johann Trupe, Bremer<br />
Bürgermeister von 1512 bis 1531.<br />
um 1410<br />
Dem Gremium Rat gehörten 36 Ratmannen<br />
an, für deren Wahl folgende Voraussetzungen<br />
erfüllt werden mussten: Die freie<br />
und eheliche Geburt, Grundbesitz in einem<br />
Wert von mindestens 32 Mark innerhalb<br />
der Stadt, Einlösung städtischer Rente,<br />
Gestellung eines Pferdes für Botenritte in<br />
der Stadt, Ausrichtung eines Gastmahls für<br />
die im Rat sitzenden kumpanen, zwölf Ratsherren<br />
und die Boten waren zu beköstigen.<br />
Hinrich von der Trupe hatte<br />
eine herausragende Position<br />
In diesem Rat hatte Hinrich von der Trupe<br />
eine herausragende Position. Das auf seine<br />
Anregung 1395 eingeführte Ratsdenkelbuch<br />
mag eine Rolle gespielt haben, ihm die Bauleitung<br />
des gotischen Rathauses anvertraut<br />
zu haben, das von ihm geführte Rechnungsbuch<br />
hätte noch nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
als Muster für kaufmännische Aufzeichnungen<br />
gelten können. - Er heiratet Gheze<br />
van Hasbergen, die aus der Familie des Ratsherrn<br />
(1405 bis 1418) und Bürgermeisters<br />
(1411 bis 1418) Hinrik van Hasbergen<br />
stammt.<br />
Seine zweite Tochter Tibbe wird als Witwe<br />
des Hinrek von der Tyver (Tiefer) geführt.<br />
Auch dieser gehörte zur Bremer Oberschicht.<br />
Tochter Margareta führte ihre erste Ehe mit<br />
Hinrik Vredelaken, heiratete danach den Ratsherrn<br />
und Bürgermeister Hinrik von der<br />
Hude.<br />
Sohn Johann von der Trupe wird im<br />
Stammbaum als ledig erwähnt, ein Bürger-<br />
meister Johann Trupe wird jedoch 1524 als<br />
einer von vier Bürgermeistern genannt, die<br />
wegen der Reformation mit dem Domkapitel<br />
verhandelten. Sehr oft ging der Vorname des<br />
Vaters auf den Sohn über, hier wohl bis zum<br />
Enkelsohn.<br />
Die aufgezeigte Verbindung von Familien<br />
festigte die Herrschaft der führenden Rats-<br />
Familien, die untereinander verwandt und<br />
verschwägert waren, man war unter sich.<br />
An der Richtigkeit, dass die in Bremen<br />
ansässige Familie von der Trupe aus dem jetzigen<br />
Ortsteil Trupe in Lilienthal stammte,<br />
gibt es keinen Zweifel. Ein weiteres Beispiel<br />
soll unterstreichen, dass es die Trupe hieß,<br />
obwohl damit die Deutung des Ortsnamens<br />
nicht geklärt ist.<br />
Johann Hellingstede, Bürger zu Bremen<br />
und zur Zeit Richter in der Trupe …<br />
(Geschichte der freien Stadt Bremen, Band 1,<br />
Johann Hermann Duntze, 1846). - Noch nach<br />
dem Zweiten Weltkrieg sprach die ältere<br />
Generation von den Höfen in der Trupe.<br />
Wir kehren noch einmal zum Rechnungsbuch<br />
des gotischen Rathauses (1405 bis<br />
1407) zurück, sehen hier einen Ausschnitt aus<br />
dem Original:<br />
Bei der Endabrechnung mit dem Bildhauer<br />
Meister Johannes wird deutlich, dass jede der<br />
16 Figuren zu einem Preis von 23 Gulden<br />
gefertigt wurde.<br />
Hinrich von der Trupe hat mit großem<br />
Geschick die Spenden für die Skulpturen (im<br />
Rechnungsbuch belden / Bilder genannt) eingeworben,<br />
verbunden mit einem Abbild<br />
unter der Konsole. Man kann diese Hand-<br />
22 RUNDBLICK Herbst 2012
Kaplan Diedrich, Pfaffe des Bremer Erzbischofs,<br />
oder der Propst des Klosters Osterholz – das ist hier<br />
die Frage …<br />
Anita Hagenow, geb. Kück, Schwester von<br />
Käthe Dehlwes, lebt in Lilienthal auf ihrem<br />
Hof, der seit 1667 nachzuweisen ist, in der kleinen<br />
Sackgasse Im Orth. Ihr Ehemann Wiegand<br />
Hagenow, den sie bei ihrer Schwester Käthe<br />
Dehlwes in Borgfeld, Upper Borg, kennengelernt<br />
hatte, war aus Viesecke an der B5 in der<br />
Nähe von Perleberg in Brandenburg in den<br />
Westen geflohen. Er gehörte zu denen, die<br />
dem Regime der DDR den Rücken gekehrt hatten,<br />
weil es keine Zukunft mehr für sich und<br />
den elterlichen Hof gab. Auch dieses Anwesen<br />
und die Familie Hagenow konnte zu dem Zeitpunkt<br />
auf eine lange Vergangenheit zurückblicken.<br />
In einem Regest vom 18. Juni 1395 ist<br />
zu lesen: Unter den Bürgern ist auch her Reimer<br />
Hagenow, riddere. Auch das Wappen wird<br />
beschrieben: Im blauen Felde eine rothe Rose.<br />
Die Eheleute Hagenow führten eine glückliche,<br />
wenn auch arbeitsame Ehe. Doch dann<br />
verstarb Wiegand Hagenow, viel zu früh.<br />
Küchengeräte, an die sich<br />
Ältere kaum noch erinnern<br />
Es dauerte eine Weile, bis Anita sich entschloss,<br />
auf dem großen Hof, der nicht mehr<br />
bewirtschaftet wurde, Platz zu schaffen. Neben<br />
dem Hof gab es eine recht große Scheune, die<br />
Platz genug bot, um Historisches und Erinnerungen<br />
zu bewahren. So sammelten sich bald<br />
kleinere Gerätschaften, die in Zeiten benutzt<br />
wurden, als Pferde die Arbeit verrichteten, als<br />
Kühe noch mit der Hand gemolken wurden, die<br />
Wärme aus dem mit Torf beheizten Ofen kam.<br />
Zum Hof gehörten 6 Morgen Land im Klostermoor,<br />
aus denen der Torf gewonnen wurde.<br />
Die Kinder fuhren auf dem Pferdewagen mit ins<br />
Moor zum Torfstechen, als Tagesration gab es<br />
RUNDBLICK Herbst 2012<br />
lungsweise nur als frühes Sponsorenverhalten<br />
bezeichnen. Denn sein Vorgehen ist aus seinen<br />
Aufzeichnungen deutlich abzulesen.<br />
Mehr als auffällig bei den Spenden ist die<br />
Häufigkeit des Betrages um 23 bis 28 Gulden.<br />
So ist z.B. beim Ritter von Zestersfleth ein<br />
Betrag von 224 Gulden eingetragen. Noch<br />
deutlicher ist es bei der Eintragung der Spende<br />
der erzbischöflichen Amtleute, denn dort ist<br />
eine Aufteilung vorgenommen worden. Dem<br />
ersten Betrag von 300 Mark folgt der Zusatz:<br />
„denselben … 23 Gulden“. Hier sind die Zahlung<br />
für den Bau des Rathauses und die Spende<br />
für die Konsole getrennt aufgeführt.<br />
Rolf Gramatzki sieht in der Figur der Konsole<br />
unter dem Erzbischof von Mainz den Überbringer<br />
der Spende des Bremer Erzbischofs,<br />
den Kaplan Diedrich. Doch die besondere Stellung<br />
der Beträge zwischen 23 und 28 Gulden<br />
spricht eher dafür, dass der Propst des Klosters<br />
Osterholz sich für seine Spende von 25 Gulden<br />
einen Platz an der Rathausfassade erkaufte.<br />
Denn der Überbringer der Spende, Bernd Prindeney,<br />
war Ratmann, wie man hier sieht:<br />
Als Vertreter des Rates waren an diesem<br />
Schiedsspruch beteiligt: Bürgermeister<br />
Muckefuck [aus verschiedenen Getreidesorten<br />
hergestellt, ohne Koffein] und Milchreis.<br />
Küchengeräte sind zu sehen, an die sich<br />
selbst die Älteren kaum noch erinnern, das<br />
wöchentliche Bad in der Zinkwanne. Der Alltag<br />
auf einem Bauernhof vor 70 Jahren ist heute<br />
kaum zu beschreiben, Ein Plätzchen wurde für<br />
den Schwager Wilhelm Dehlwes eingerichtet,<br />
der sich als <strong>Heimat</strong>forscher um die Aufarbeitung<br />
der Geschichte von Borgfeld und Lilienthal<br />
verdient gemacht hatte. Einige Jahre vergingen,<br />
bevor Anita Hagenow ihre geordneten<br />
Schätze der Öffentlichkeit vorstellte. Das einfache<br />
aber doch schöne Leben auf dem Bauernhof<br />
ist in der zum Museum gewordenen<br />
Scheune wiederzufinden.<br />
Wer Lust verspürt, sich hier einmal umzusehen,<br />
Tochter Christiane Grotheer ist unter der<br />
Tel.-Nr.04298-467272 zu erreichen und hilft<br />
gern weiter.<br />
Zum Schluss erzählt Anita Hagenow eine<br />
kleine Episode, die sich am Ende des Zweiten<br />
Johann Vasmer; Bernd Prindeney; … (Die<br />
Landgebietspolitik der Stadt Bremen um<br />
1400 …, Manfred Willmanns, 1973). Dieser<br />
Ratmann hat die für damalige Verhältnisse<br />
anstrengende Tagesreise nach Osterholz<br />
(-Scharmbeck) angetreten, um die Spende<br />
des Propstes dort abzuholen und Hinrich von<br />
der Trupe zu übergeben. Somit wäre ein weiterer<br />
Vertreter eines Klosters außerhalb der<br />
Stadt an der Schauseite des Bremer Rathauses<br />
verewigt! Dass der Bildhauer Meister Johannes<br />
dem Propst des Klosters Osterholz persönlich<br />
begegnet ist, um sein Abbild auf die<br />
Konsole zu übertragen, kann als sicher gelten.<br />
Für mich war das Rechnungsbuch zum Bau<br />
des Bremer Rathauses im gotischen Stil eine<br />
spannende Quelle, die Material zur Lösung<br />
weiterer Rätsel bietet.<br />
Harald Steinmann<br />
Quellen:<br />
Das Rathaus in Bremen, Versuch zu seiner Ikonologie,<br />
Rolf Gramatzki, 1994<br />
Johann Hemelings „Diplomatarium fabricae<br />
ecclesiae Bremensis“ von 1415/20, Lieselotte<br />
Klink, 1988<br />
Klein aber fein, ein Museum in der Scheune<br />
Unser Fotograf Erwin Duwe hat versucht, möglichst viele der alten Geräte im Bild festzuhalten: Torfmühle;<br />
Moorpflug; Strohschneider; Dibbelmaschine; die Egge ist mehr als 2m breit, wurde von nur einem Pferd<br />
gezogen; Staubmühle. Erwin Duwe stellte dabei fest, dass ein Bild mehr aussagt als tausend Worte.<br />
Weltkriegs so abgespielt hat: Auf ihrem Bauernhof<br />
arbeitete ein Kriegsgefangener, ein Franzose.<br />
Da es nicht erlaubt war, dass er während<br />
der Mahlzeiten mit am Familientisch saß, was<br />
auch kontrolliert wurde, hatte man einen kleinen<br />
runden Tisch gegen die Tischecke gestellt.<br />
Ein gutes Miteinander entwickelte sich, ähnlich<br />
bei einem Belgier, der ebenfalls Familienanschluss<br />
auf einem anderen Hof in Moorhausen<br />
gefunden hatte. Doch kurz vor Kriegsschluss<br />
traten bei beiden heftige Zahnschmerzen auf,<br />
sie mussten unbedingt zum Zahnarzt. Damals<br />
gab es kein Auto, das sie zur Behandlung fuhr.<br />
So liehen sie sich bei ihren Bauern zwei Fahrräder,<br />
mit denen sie den Weg zum Zahnarzt<br />
antraten. Einige Tage später fand man bei Meppen<br />
in einem Wald zwei Fahrräder, die dort<br />
abgestellt waren. Am Lenker ein Zettel: „Diese<br />
Räter gehören zwei Bauern aus Moorhausen.“<br />
Das Ehepaar Hagenow hat bedauert, dass ihr<br />
Franzose sich nach dem Krieg nicht wieder<br />
gemeldet hat. Manfred Simmering<br />
23
Campus für lebenslanges Lernen:<br />
Eine Idee nimmt Gestalt an<br />
Osterholz-Scharmbeck. Das Quartier<br />
Am Barkhof in Osterholz-Scharmbeck –<br />
direkt angrenzend an das Zentrum der<br />
Kreisstadt – verändert sein Gesicht. Neben<br />
der auffällig bunten Fassade des Medienhauses<br />
fällt eine riesige Baustelle ins Auge:<br />
Die alte Realschule ist abgerissen worden,<br />
um dort das Gebäude der neuen Oberschule<br />
zu errichten. Beide Vorhaben sind<br />
Kernelemente des neuen Campus für<br />
lebenslanges Lernen.<br />
Einen neuen Lern- und Lebensort für alle<br />
Generationen im Zentrum der Stadt schaffen<br />
– das ist das Ziel des Campus. Da Bildung<br />
und lebenslangem Lernen in unserer<br />
Wissensgesellschaft eine immer größere<br />
Bedeutung zukommt, sollen zukunftsorientierte<br />
Lernangebote geschaffen und<br />
schulisches Lernen, Freizeit und Weiterbildung<br />
besser miteinander vernetzt werden.<br />
Bis 2014 entsteht deshalb neben dem<br />
Medienhaus und der neuen Schule Raum<br />
für weitere Bildungs-, Beratungs- und Freizeitangebote.<br />
Um einen attraktiven und<br />
lebendigen Treffpunkt zu schaffen, wird<br />
auch das Campusgelände neu gestaltet:<br />
Scharmbecker Bach<br />
wird wieder freigelegt<br />
Der Durchgangsverkehr wird eingeschränkt<br />
und zwischen Schule und<br />
Medienhaus ein Platz angelegt, der hohe<br />
Aufenthaltsqualität bietet. Der Scharmbecker<br />
Bach, der hier zurzeit noch in Rohren<br />
verschwindet, wird wieder freigelegt<br />
und ins Stadtbild zurückgeholt.<br />
Das Quartier am Barkhof ist bereits seit<br />
langem ein Schul- und Freizeitstandort.<br />
Neben der ehemaligen Realschule befinden<br />
sich hier das Gymnasium, das Allwetterbad<br />
und Sportanlagen. Der hohe Sanierungsbedarf<br />
des Realschulgebäudes gab<br />
Übersichtsplan Campus<br />
den Anstoß, nicht nur bauliche Verbesserungen<br />
umzusetzen, sondern ein völlig<br />
neues und attraktives Bildungsangebot zu<br />
schaffen.<br />
Kern des Campus wird die neue Oberschule<br />
„Lernhaus im Campus“ sein. Die<br />
Oberschule ist aus dem Zusammenschluss<br />
von Haupt- und Realschule entstanden und<br />
bietet ein Ganztagsangebot. „Wir wollen<br />
nicht nur ein Gebäude sanieren, wir wollen<br />
eine neue gute Schule bauen“ - so formulierte<br />
Bürgermeister Martin Wagener den<br />
Beginn des Entwicklungsprozesses. Im Mittelpunkt<br />
des neuen Schulkonzepts stehen<br />
selbtständiges Lernen und eine neue Lehrer-<br />
Lernlandschaft im Lernhaus im Campus. Foto: Schröder AV-Medien<br />
Schüler-Beziehung. Voraussetzung dafür ist<br />
eine neue Raumgestaltung: Ein großer Teil<br />
des Lernens findet in jahrgangsbezogenen<br />
„Lernlandschaften“ statt, in denen alle<br />
Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrkräfte<br />
ihren eigenen Arbeitsplatz haben. Die<br />
Lehrkräfte werden zu Lernbegleitern:<br />
Anschluss statt Abschluss<br />
Sie lehren viel weniger, als dass sie das<br />
selbstständige Lernen unterstützen. Das<br />
Lernhaus zeichnet sich durch ein klares<br />
Konzept zur Berufsorientierung aus, das auf<br />
Anschluss statt auf Abschluss ausgerichtet<br />
ist. Da selbst gute Abschlusszeugnisse<br />
heute nicht mehr für einen reibungslosen<br />
Übergang in Ausbildung und Beruf ausreichen,<br />
werden die Schülerinnen und Schüler<br />
darin bestärkt, ihre spezifischen Kompetenzen<br />
zu erkennen und weiterzuentwickeln<br />
und eigene Wege zu finden und zu gestalten.<br />
Bereits seit dem Schuljahr 2010/11<br />
arbeitet die Schule am Ausweichstandort<br />
in der ehemaligen Grundschule Lindenstraße<br />
mit inzwischen der 5., 6. und 7.<br />
Jahrgangsstufe nach dem neuen pädagogischen<br />
Konzept. Das neue Schulgebäude<br />
wird bis Ende 2013 fertiggestellt.<br />
Sowohl beim schulischen als auch beim<br />
lebenslangen Lernen kommt dem<br />
Umgang mit Medien eine Schlüsselrolle<br />
zu. Zweiter Campusbaustein ist deshalb<br />
das Medienhaus, das Anfang 2013 seinen<br />
Betrieb aufnehmen wird. Hier führen Stadt<br />
24 RUNDBLICK Herbst 2012
und Landkreis die Angebote der Kreis- und<br />
Stadtbibliothek, des Kreismedienzentrums<br />
und des Kreisarchivs zusammen. Im Erdgeschoss<br />
des 2700 qm großen, zweigeschossigen<br />
Gebäudes ist außerdem die Mensa<br />
für das Lernhaus und das benachbarte<br />
Gymnasium untergebracht. In der Mensa<br />
werden bis zu 700 Essen täglich frisch<br />
zubereitet. Sie ist mit einer Bühne ausgestattet<br />
und kann von den Schulen auch als<br />
Aula, Unterrichtsraum für Darstellendes<br />
Spiel oder Projektarbeit genutzt werden.<br />
Darüber hinaus stehen die Mensa und ein<br />
Seminarraum auch anderen Einrichtungen<br />
und Initiativen für Bildungs- und Kulturveranstaltungen<br />
offen.<br />
Förderung von historischwissenschaftlicher<br />
Kompetenz<br />
Das Medienhaus fördert als Service- und<br />
Informationszentrum in enger Zusammenarbeit<br />
mit Schulen und anderen Bildungseinrichtungen<br />
Lesekompetenz, Medienkompetenz<br />
und historisch-wissenschaftliche<br />
Kompetenz. Es soll durch die Transparenz<br />
und Offenheit des Gebäudes und eine<br />
nutzerorientierte Weiterentwicklung der<br />
Angebote auch Kinder, Jugendliche und<br />
Erwachsene ansprechen, die die Einrichtungen<br />
bisher noch nicht nutzen. So bieten die<br />
großzügigen Räumlichkeiten des Kreisarchivs<br />
die Chance, die Archivarbeit verstärkt<br />
durch Ausstellungen und Veranstaltungen<br />
der Öffentlichkeit vorzustellen.<br />
Bibliothek kann mehr<br />
als 20.000 Medien<br />
präsentieren<br />
Die Kreis- und Stadtbibliothek kann nicht<br />
nur ihre mehr als 20.000 Medien auf deutlich<br />
erweitertem Raum präsentieren, sondern<br />
lädt auch mit einem Lesecafé zum<br />
Schmökern ein. Im Selbstlerncentrum stehen<br />
mehrere PC-Arbeitsplätze für die selbstständige<br />
Recherche zur Verfügung. In den<br />
neuen Medienproduktionsräumen können<br />
Hörspiele und Filme selbst erstellt werden.<br />
Um die Verzahnung von schulischen<br />
Angeboten mit Bildungs-, Beratungs- und<br />
Begegnungsangeboten für alle Generatio-<br />
Januar<br />
Je näher die Hasen dem Dorfe rücken,<br />
desto ärger sind des Eismonats Tücken.<br />
Ist er warm, der Januar,<br />
wenig taugt das ganze Jahr.<br />
RUNDBLICK Herbst 2012<br />
Medienhaus im Campus.<br />
nen weiter voranzutreiben, wird als dritter<br />
Campusbaustein ein Gebäudetrakt der<br />
alten Realschule zum Bildungshaus für<br />
lebenslanges Lernen umgebaut. Das<br />
Gebäude bietet Raum für Austausch und<br />
Begegnung sowie Kurs- und Beratungsangebote<br />
für alle Generationen.<br />
Das inhaltliche Konzept für den Campus<br />
wird im Rahmen des ESF-Projekts LINES<br />
erstellt. In sechs Workshops haben sich eine<br />
Reihe von Bildungsträgern und sozialen Einrichtungen<br />
mit Zielsetzungen und Schwerpunkten<br />
des Campus auseinandergesetzt.<br />
Beteiligt an diesem Planungsprozess sind<br />
bisher Lernhaus und Gymnasium, Kreisund<br />
Stadtbibliothek, Kreismedienzentrum<br />
und -archiv, das Mehrgenerationenhaus<br />
und die Seniorenbegegnungsstätte, der<br />
Seniorenbeirat, die Volkshochschule, die<br />
städtische Jugendarbeit, die Kreismusikschule,<br />
die Arbeitsgemeinschaft für Berufsbildung<br />
und örtliche Entwicklung (ABÖE)<br />
e.V., die SOS-Beratungsstelle, das Bildungswerk<br />
Osterholz, die Biologische Station<br />
Osterholz (BIOS), die AWO und die St. Willehadi-Gemeinde.<br />
Neben der Stadt als<br />
Initiatorin ist auch der Landkreis in der Planungsgruppe<br />
vertreten. Die Gruppe hat<br />
Leitideen und erste Kooperationsvorhaben<br />
entwickelt. Gemeinsam soll der Campus zu<br />
einem „inklusiven Lernort für lebenslanges<br />
Lernen“ entwickelt werden, d.h. zu einem<br />
Bauernregeln<br />
Januar – Februar – März<br />
Februar<br />
Klar Februar, gut Roggenjahr.<br />
Spielen die Mücken im Februar,<br />
frieren Schaf und Birn´ das ganze Jahr.<br />
Ort, der das Lernen in allen Lebensstadien<br />
und allen gesellschaftlichen Gruppen fördert.<br />
Dazu wird an einer größeren Transparenz<br />
und besseren Bündelung von Bildungsangeboten<br />
gearbeitet. Neue Partner<br />
sind dabei willkommen.<br />
Danke<br />
März<br />
Dr. Ulrike Baumheier<br />
Stadt Osterholz-Scharmbeck<br />
Über viele Jahre bereicherte Hermann<br />
Gutmann als einer der volkstümlichsten<br />
Bremer Literaten durch seine<br />
Kolumne „Jan Heinerich“ die Ausgaben<br />
des <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong>. Mit trefflichem<br />
Humor und pointierter Schreibweise<br />
würzte er sozusagen seine Beiträge.<br />
Verlag und Redaktion bedauern sehr,<br />
dass Hermann unlängst aus Altersgründen<br />
seine Mitarbeit aufgab.<br />
Als ein Anhänger des heiteren Ausgleichs<br />
lenkte er bei hitzigen Debatten<br />
unser Team so manches Mal in ein ruhigeres<br />
Fahrwasser. Auch deshalb soll an<br />
dieser Stelle unser aller Dank seine jahrelange<br />
Mitarbeit würdigen.<br />
Im Namen von Verlag und Redaktion<br />
Wilko Jäger<br />
Im März soll es so kalt sein,<br />
dass dem Raben die Eier erfrieren.<br />
Im März viel Donner und Blitz,<br />
viel Korn im Sommer und viel Hitz´.<br />
25
„Schwarze Seetonne …<br />
mit einem vergüldeten Schlüssel“<br />
Seit 1664 dient die heute noch bestehende Bremer „Schlüsseltonne“ an der Nordseeküste<br />
als Seezeichen für die Ansteuerung der Weser<br />
Bremen/Nordseeküste. Seit dem<br />
frühen 15. Jahrhundert werden von der<br />
Seehandels- und Hansestadt Bremen – die<br />
auf einen sicheren Seezugang über die<br />
Weser zur Nordsee angewiesen war und ist<br />
– bzw. heute vom Land Bremen, Hoheitsrechte<br />
über die Unter- und Außenweser<br />
wahrgenommen. Hierzu gehört insbesondere<br />
das Auslegen, Aufstellen und Unterhalten<br />
von Seezeichen, wie schwimmende<br />
Tonnen und feststehende Baken. Zuständig<br />
für das Tonnen- und Bakenwesen war<br />
in Bremen bis Ende des 19. Jahrhunderts<br />
die bremische Kaufmannschaft, die<br />
durch die sogenannten Elterleute vertreten<br />
wurde.<br />
Als äußerstes Seezeichen der Fahrwassermarkierung<br />
der Weser ließen die bremischen<br />
Elterleute am 20. April 1664 an der<br />
Nordseeküste nordwestlich der Untiefe<br />
„Roter Sand“ vor der Insel Wangerooge<br />
auf 11 Faden Tiefe eine neue Leittonne<br />
auslegen, die als Ersatz für eine bereits<br />
1642 erwähnte Tonne diente. Diese für die<br />
Weseransteuerung wichtige Leittonne war<br />
mit einem besonderen Toppzeichen verziert<br />
worden, und zwar mit dem Symbol<br />
des Bremer Wappens, einem Schlüssel.<br />
Fortan wurde sie deshalb als „Schlüsseltonne“<br />
(plattdeutsch „Slöteltunn“) oder<br />
auch als „Bremer Tonne“ bezeichnet.<br />
In der Bekanntmachung des Seezeichens<br />
von 1664 heißt es:<br />
„Kundt und zu wissen sey hiermit jedermänniglich<br />
/ sonderlich allen Schiffern und<br />
Seefahrenden Leuthen / so die Weser<br />
gedencken zugebrauchen / daß daraussen<br />
vor der Weser noch schwarze Seetonne ist<br />
geleget / welche vor diesem nicht ist<br />
gewesen / und worauff eine Stange mit<br />
einem vergüldetem Schlüssel stehet / welches<br />
den Schifferen und Seefahrenden<br />
Leuthen zu gueter Nachrichtung dienet.<br />
Bremen den 20. Aprilis / deß Eintausendt<br />
Sechshundert Vier und Sechtzigsten Jahres.“<br />
Das Erscheinungsbild dieser ursprünglichen<br />
Schlüsseltonne war von ihrem<br />
schwarzen Teeranstrich und dem markanten<br />
als Schlüssel ausgebildeten Toppzeichen<br />
bestimmt. Die Tonne war aus sogenanntem<br />
Wagenschott hergestellt worden,<br />
wobei es sich um 6,5 Zentimeter<br />
starke Planken aus bestem astlochfreien<br />
Eichenholz handelte. Mit dem ursprünglich<br />
aus dem Kutschenbau stammenden<br />
Begriff werden Planken bezeichnet, die<br />
mittels einer speziellen Schnitttechnik vorwiegend<br />
radial aus dem Holzstamm<br />
gesägt werden. Wagenschottgeschnittene<br />
Planken sind in der Breite maßhaltiger und<br />
finden deshalb mittlerweile vor allem im<br />
Holzschiffbau Verwendung, da die Fugen<br />
zwischen derartigen Planken sich bei der<br />
Alterung des Holzes weniger verändern<br />
und somit eine höhere Dichtigkeit erreicht<br />
wird.<br />
Die nach Böttcher- bzw. Tonnenmacherart<br />
zusammengefügten Planken der früheren<br />
Schlüsseltonne wurden mit Eisenringen<br />
zusammengehalten. Die Tonne war<br />
mit einer starken Kette aus schwedischem<br />
Stahl mit einem großen und schweren<br />
Block aus Obernkirchner Sandstein verbunden,<br />
der zur Verankerung am Seeboden<br />
diente. Der schwarze Teeranstrich der<br />
Holztonne sorgte für deren Seewasserbeständigkeit,<br />
während das als Schlüssel ausgebildete<br />
Toppzeichen einen Goldfarbenanstrich<br />
erhielt.<br />
„Äußerster Vorposten<br />
Bremens“<br />
In der rauen Nordsee und deren Salzwasser<br />
alterte wie alle Seezeichen auch die<br />
Schlüsseltonne, sodass sie im Laufe der<br />
Jahre mehrmals erneuert werden musste.<br />
Dabei blieb stets der markante goldfarbene<br />
Schlüssel als Toppzeichen beibehalten.<br />
Wie in der Bekanntmachung von 1664<br />
beschrieben, war der Schlüssel ursprünglich<br />
einfach an einer aufragenden Stange<br />
befestigt worden; später wurde er an<br />
einem spindel- bzw. kugelförmigen Aufsatz<br />
angebracht. Die genaue geografische<br />
Historische Abbildung der Schlüsseltonne<br />
auf einem Ölgemälde aus dem 19. Jahrhundert<br />
(Ausschnitt; Künstler: unbekannt)<br />
Lage der Tonne hat sich indes nur geringfügig<br />
verändert, wobei ihre Position am<br />
Anfang des Fahrwassers zur Westerweser<br />
bzw. Neuen Weser jeweils an die natürlichen<br />
Verschiebungen der Untiefe „Roter<br />
Sand“ angepasst wurde. Die heute noch<br />
bestehende Schlüsseltonne gilt als das<br />
älteste schwimmende Seezeichen an der<br />
deutschen Küste außerhalb einer Flussmündung.<br />
Nachbau der Schlüsseltonne aus Bronze in der Bremerhavener Fußgängerzone. Foto: Johann Knip<br />
26 RUNDBLICK Herbst 2012
Die heutige Schlüsseltonne<br />
(Aufnahme aus dem Jahr 2008)<br />
Ab 1873 wurde zusätzlich zur Schlüsseltonne,<br />
etwa 100 Meter nordwestlich von<br />
ihr, noch eine Spierentonne ausgelegt.<br />
Diese weitere Tonne hatte eine Länge von<br />
13 Metern, wovon etwa 6,5 Meter aus<br />
dem Wasser ragten; ihr größter Durchmesser<br />
betrug 0,85 Meter. Sie war ebenfalls<br />
mit einem schwarzen Teeranstrich versehen<br />
und trug zudem ebenfalls einen<br />
goldfarbenen Schlüssel als Toppzeichen.<br />
Folglich wurde diese Spierentonne als<br />
„Schlüsselspiere“ bezeichnet.<br />
Zu jener Zeit hatte die Schlüsseltonne<br />
eine Gesamtlänge von 6 Metern, auf dem<br />
ein 1,4 Meter hoher ballonförmiger Aufsatz<br />
aus Rohrgeflecht befestigt war, der<br />
wiederum einen 0,87 Meter hohen goldfarbenen<br />
Schlüssel trug. Sie war mit zwei<br />
getrennten Ketten an jeweils einem Stein<br />
verankert, die Ketten waren 36 bzw. 33<br />
Meter lang und das Steingewicht betrug<br />
1.750 bzw. 1.250 Kilogramm. Bei normalen<br />
Strömungsverhältnissen wies die<br />
Tonne einen Neigungswinkel von etwa 80<br />
Dampfschiffe<br />
Von den Anfängen bis zu den<br />
Nostalgiedampfern heute<br />
In diesem Werk von Eberhard Urban<br />
werden die großartigen Dampfschiffe in<br />
ihrer ganzen Vielfalt vorgestellt. Vom<br />
ersten Dampfschiff, das den Atlantik überquerte,<br />
bis hin zu den großen Passagierdampfern,<br />
zeigt dieses Buch auf 144 Seiten<br />
alle Höhepunkte der Dampfschifffahrt.<br />
Dabei wird auch über die legendären Raddampfer,<br />
Frachtdampfer, Auswandererschiffe<br />
und die großen Dampfer der Hapag<br />
Reederei berichtet. Alle Schiffe werden mit<br />
Abbildung vorgestellt und mit wissenswerten<br />
Informationen wie Baujahr, Maschinenleistung,<br />
Werft und Verbleib beschrieben.<br />
RUNDBLICK Herbst 2012<br />
Grad auf. Die schwarz gestrichene Schlüsseltonne<br />
war mit der weißen Aufschrift<br />
„WESER“ versehen. Sie ragte etwa 5 Meter<br />
aus dem Wasser auf und war etwa vier Seemeilen<br />
weit sichtbar.<br />
Als 1874 das Feuerschiff „Weser“ ausgelegt<br />
wurde, verringerte sich zwar die<br />
Bedeutung der Schlüsseltonne, aber sie<br />
diente der Schifffahrt weiterhin als Navigationshilfe<br />
in der Außenweser. Im Jahr 1887<br />
erhielt die im Fahrwasser auf der Steuerbordseite<br />
liegende Tonne gemäß dem<br />
damals eingeführten einheitlichen Markierungssystem<br />
in deutschen Gewässern<br />
einen roten Anstrich. 1939 wurde die<br />
Schlüsseltonne zu Beginn des Zweiten<br />
Weltkriegs aus taktischen Gründen eingezogen.<br />
Nach Kriegsende wurde sie<br />
zunächst nicht wieder eingesetzt; eine<br />
neue Schlüsseltonne in moderner Stahlbauweise<br />
wurde vom inzwischen zuständigen<br />
Wasser- und Schifffahrtsamt Bremerhaven<br />
erst wieder am 1. September 1964<br />
ausgelegt. Sie erhielt einen rot-schwarzen<br />
Anstrich mit einem stehenden Doppelkreuz<br />
als damals offizielle Kennzeichnung<br />
einer Ansteuerungstonne. Das Seezeichen<br />
wurde außerdem mit einer Laterne ausgestattet,<br />
die mit Propangas betrieben wurde<br />
und ein Gleichtaktfeuer ausstrahlte.<br />
2008 Solarkompaktaufsatz<br />
Seit 1978 ist die Schlüsseltonne nach dem<br />
neuen internationalen System mit einem<br />
rot-weißen Anstrich versehen. 2004 wurde<br />
die wartungsaufwendige Propangasleuchte<br />
durch eine langlebige LED-Leuchte in<br />
Leuchtdioden-Technologie ersetzt, die ihren<br />
Strom mittels Photovoltaik-Technik von<br />
einer Solarstromanlage bezieht. Im Jahr<br />
2008 erhielt die Tonne einen neuen, kubischen<br />
Solarkompaktaufsatz, der an allen vier<br />
Seiten mit der Kennzeichnung „ST“<br />
beschriftet ist. Die genaue geografische<br />
Position der Tonne ist gegenwärtig 53° 55‘<br />
58“ Nord und 7° 58‘ 30“ Ost.<br />
Eine Nachbildung einer historischen<br />
Version der Schlüsseltonne ist Bestandteil<br />
der 2002 eingeweihten Brunnenanlage<br />
„Bugwelle von Bremerhaven“, die sich in<br />
der Innenstadt von Bremerhaven befindet.<br />
Die motivreiche Brunnenanlage wurde<br />
vom Westersteder Bildhauer Norbert Marten<br />
gemeinsam mit der Westersteder Galeristin<br />
und Kunstprojektentwicklerin Christel<br />
Mandos-Feldmann konzipiert und<br />
durch Norbert Marten als Bronzeskulptur<br />
ausgeführt.<br />
Seit mehr als dreihundert Jahren dient<br />
das traditionsreiche Seezeichen in der<br />
Außenweser bereits der Schifffahrt. Als<br />
Toppzeichen trägt die Schlüsseltonne auch<br />
heute noch, nun wieder an einer Stange<br />
befestigt sowie oberhalb eines roten Ballons,<br />
einen goldfarbenen Bremer Schlüssel<br />
– als „äußerster Vorposten Bremens an der<br />
deutschen Nordseeküste“.<br />
Text: Horst Plambeck<br />
Fotos:<br />
(1) Unbekannt (Reproduktion: Edition Temmen,<br />
Bremen) / Wikimedia Commons,<br />
Gemeinfrei/PD-Art, URL: http://commons.wikimedia.org/wiki/Commons:PDART,<br />
(2) Wasser- und Schifffahrtsamt Bremerhaven<br />
/ Wikimedia Commons, CC-BY-SA-3.0,<br />
URL: http://creativecommons.org/licenses/<br />
by-Sa/3.0/legalcode<br />
Quellenangabe:<br />
Rolf Seedorf: „Die Schlüsseltonne – ein Seezeichen<br />
der Weser und der besonderen Art“,<br />
in: „Der Ingenieur – IMSV“, Nr. 1, März<br />
2010, S. 8–12<br />
Curt W. Eichler: „Holzbootsbau“, Heel Verlag,<br />
Königswinter 2004, ISBN 3-89365-788-<br />
6, S. 41 u. 222<br />
Christina Deggim: „Aufgeblasen und Abgerannt.<br />
Seetonnen und Baken in Quellen der<br />
Bremer Handelskammer“, in: Historische<br />
Gesellschaft Bremen (Hrsg.): „Bremisches<br />
Jahrbuch“, Band 79, Bremen 2000, ISSN<br />
0341-9622, S. 73–115<br />
Mit diesem<br />
Buch ist ein interessantesNachschlagewerkentstanden,<br />
welches<br />
auch über die<br />
Schicksale bekannter<br />
Schiffe<br />
wie der „Cap<br />
Arcona“, der<br />
„Lusitania“ und<br />
der „Bremen“ berichtet. Wer mehr über<br />
die große Zeit der Dampfschiffe und die<br />
Gewinner des „Blauen Bandes“ erfahren<br />
möchte, findet mit dieser Lektüre ein Buch,<br />
das auch über heute noch existierende<br />
Dampfschiffe berichtet.<br />
Erschienen im Komet Verlag<br />
ISBN 978-3-89836-812-4<br />
Tim Wöbbeking<br />
27
Lesenswertes<br />
Worpsweder Künstlerhäuser<br />
Das im Schünemann Verlag erschienene<br />
Buch mit Text von Gudrun Scabell zeigt die<br />
vielen Wirkungsstätten und Wohnhäuser<br />
der Worpsweder Künstler. Wie sich einst<br />
das Leben in den Worpsweder Künstlerhäusern<br />
und das Leben am Weyerberg<br />
gestaltete, zeigt dieses Werk mit zahlreichen<br />
Abbildungen und sorgfältig recher-<br />
Wie gut kennst du Borgfeld?<br />
Wie auch bei den Jüngsten aus unserer<br />
Region Interesse an der <strong>Heimat</strong> geweckt<br />
werden kann, zeigt das neue Buch „Wie<br />
gut kennst du Borgfeld?“<br />
Spannend wird Wissenschaftliches,<br />
Geschichtliches und Kulturelles aus Borgfeld<br />
und umzu vermittelt und die Neugierde<br />
bei den Kindern und Jugendlichen<br />
geweckt.<br />
Wo in Borgfeld das Gefängnis stand, wer<br />
es bewachte, wann die erste Eisenbahn<br />
fuhr und wie es früher in der Schule zuging<br />
sind nur ein kleiner Auszug an dem, was<br />
dieses Buch so lesenswert machen. Die<br />
Münchhausen<br />
Eines steht fest, und daran ist nicht zu<br />
wackeln: Der Baron von Münchhausen, der<br />
in diesem Buch einige seiner Abenteuer<br />
erzählt, hat wirklich und richtig gelebt, und<br />
zwar vor etwa zweihundert Jahren. Er kam<br />
im Braunschweigischen zur Welt, hieß<br />
Hieronymus mit Vornamen und wurde,<br />
kaum aus der Schule, Offizier. Das war<br />
damals bei Söhnen aus dem Adel so üblich.<br />
Die Väter lebten auf ihren Gütern, gingen<br />
auf die Jagd, ritten durch die Felder, tranken<br />
roten Punsch und ließen ihre Söhne Offizier<br />
werden. Wenn die Väter alt wurden, riefen<br />
sie die Söhne zurück. Und nun gingen diese<br />
auf die Jagd, ritten durch die Felder, tranken<br />
roten Punsch und ließen wiederum ihre<br />
Söhne Offizier werden. Wann war das denn<br />
nun, damals ? Es war zu der Zeit, als die Kaiserin<br />
Maria Theresia in Österreich, Friedrich<br />
der Große in Preußen und Katharina II. in<br />
Russland regierten. Weil es überall Krieg<br />
gab, gab es überall Armeen, und weil es<br />
überall Armeen gab, brauchte man überall<br />
Offiziere. Und war im eigenen Lande wirklich<br />
einmal kein Krieg, so ritt man in ein<br />
anderes Land und trat in dessen Armee ein.<br />
Genauso ging es mit Hieronymus von<br />
Münchhausen. Als es ihm daheim zu langweilig<br />
wurde, trat er in die russische Armee<br />
ein. Und im Krieg zwischen Russland und<br />
der Türkei wurde er gefangen genommen<br />
und erst nach einigen Jahren wieder freigelassen.<br />
Später rief ihn sein alter Vater heim<br />
nach Bodenwerder, so hieß ihr Gut und das<br />
28<br />
Vielfältigkeit der<br />
Natur, der Tiere und die auserwählten<br />
Ausflugstipps in der<br />
Umgebung von Borgfeld machen dieses<br />
Buch zu dem, was es ist: einem spannen-<br />
kleine Schloss, und nun war Hieronymus<br />
der Gutsherr. Er zog die Uniform aus, ging<br />
auf die Jagd, ritt durch die Felder und trank<br />
roten Punsch. Söhne hatte er übrigens<br />
keine, und so konnte er sie auch nicht Offizier<br />
werden lassen.<br />
Davon abgesehen, lebte er wie die anderen<br />
Barone auch, und wir wüssten heute<br />
nichts mehr von ihm, hätte er nicht beim<br />
Punsch ganz erstaunliche Geschichten<br />
erzählt. So erstaunliche Geschichten, dass<br />
die anderen Barone, der Pfarrer, der Doktor<br />
und der Amtmann, die mit ihm am Tische<br />
saßen, Mund und Nase aufsperrten. So<br />
erstaunliche Geschichten, dass sie von<br />
irgendwem heimlich aufgeschrieben und<br />
chiertem Text. Viele der Gebäude werden<br />
sowohl in alten Bildern als auch in aktuellen<br />
Fotografien vorgestellt und die Nutzung<br />
der Gebäude auch in der Gegenwart<br />
beschrieben. Zusammen mit der Vorstellung<br />
der Worpsweder Künstler ist so ein<br />
lesenwertes Buch erschienen. Durch die<br />
Vielzahl der noch existierenden Häuser ist<br />
dieses Buch hervorragend für Worpswede-<br />
Besucher geeignet.<br />
Erschienen im Schünemann Verlag<br />
ISBN 978-3-7961-1005-4<br />
Tim Wöbbeking<br />
den und vielseitigen Nachschlagewerk für<br />
die ganze Familie.<br />
Erschien bei Orsolibri/Buchkinder<br />
Bremen und erhältlich<br />
zum Preis von 12,50 Euro im<br />
Borgfelder Kinderbuchladen<br />
erfüllt dieses Buch gleichzeitig<br />
einen guten Zweck: 1 Euro pro Buch<br />
geht an die NordWest Stiftung und<br />
kommt der Tierwelt in den Wümmewiesen<br />
zugute.<br />
Mitgewirkt an diesem Buch und<br />
unterstützt haben es unter anderem Professor<br />
Hermann Cordes, Johannes Rehder-<br />
Plümpe, Heike Wagner, Pastor Clemens<br />
Hütte und viele andere. Tim Wöbbeking<br />
gedruckt wurden. Münchhausen war sehr<br />
ärgerlich und wollte den Druck verbieten<br />
lassen. Als er damit kein Glück hatte, starb<br />
er vor Wut. Und was an den Geschichten ist<br />
denn nun so erstaunlich? Sie stecken voll<br />
der tollsten Lügen! Mitten in Berichten über<br />
Reisen, die er wirklich gemacht, und über<br />
Kriege, an denen er wirklich teilgenommen<br />
hat, tischt Münchhausen uns Lügen auf,<br />
dass sich die Balken biegen! Durch Lügen<br />
kann man also berühmt werden? Freilich!<br />
Aber nur, wenn man so lustig, so phantastisch,<br />
so treuherzig und so verschmitzt zu<br />
lügen versteht wie Münchhausen, nicht<br />
etwa, um die Leser zu beschwindeln, sondern<br />
um sie, wie ein zwinkernder Märchenerzähler,<br />
mit ihrem vollen Einverständnis<br />
lächelnd zu unterhalten.<br />
Dass ihr mir nun also nicht nach Hause<br />
kommt und sagt: „Denk dir, Mama, ich hab<br />
eben mit einem Auto gesprochen, und das<br />
Auto meinte, morgen gäbe es Regen!“<br />
Durch solche Lügen wird man nicht<br />
berühmt. So zu lügen wie Münchhausen ist<br />
eine Kunst. Versucht es, bitte, gar nicht erst,<br />
sondern macht lieber eure Rechenaufgaben!<br />
Und dann, wenn sie fertig sind, lest<br />
Münchhausens „Wunderbare Reisen und<br />
Abenteuer zu Wasser und zu Lande“! Ich<br />
wünsch euch viel Vergnügen!<br />
Vorwort aus: „Münchhausen“ von Erich<br />
Kästner. Veröffentlicht mit freundlicher<br />
Genehmigung des Dressler-Verlages, Hamburg.<br />
RUNDBLICK Herbst 2012
Jugendseite<br />
Landjugend<br />
Schwanewede<br />
Gemeinschaft am Nebenarm<br />
der Weser<br />
Schwanewede. Landjugenden sind<br />
der Inbegriff von Gemeinschaft der<br />
Jugendlichen in den ländlichen Gegenden.<br />
Sie planen Aktionen, sind in ihrer<br />
Gemeinde tätig und nehmen auch an<br />
überregionalen Veranstaltungen teil.<br />
Am 24. 11. 1954 riefen die Gründungsmitglieder<br />
mit ihren ersten beiden Vorsitzenden<br />
Alfred Siemer und Mathilde Knübel<br />
die Landjugend Schwanewede ins<br />
Leben. Als Treffpunkt und Gründungsort<br />
diente die Gaststätte „Solte“ in Schwanewede.<br />
Einmal in der Woche wollten sich<br />
die Mitglieder treffen, um zu singen und<br />
später auch die traditionellen Volkstänze<br />
einzustudieren. Doch schon schnell vergrößerte<br />
sich das Programm und Ausflugsfahrten<br />
und Aktionen kamen zu den regelmäßigen<br />
Treffen hinzu. Damit war die<br />
Landjugend Schwanewede die erste<br />
Gruppe nach der Landjugend Worpswede,<br />
die im Landkreis Osterholz-Scharmbeck<br />
gegründet wurde.<br />
Die Landjugend Schwanewede trifft sich<br />
auch noch heute einmal in der Woche,<br />
immer mittwochs im „Landhaus Schwanewede“<br />
und bespricht die kommenden<br />
Aktionen und Veranstaltungen. Man redet<br />
über Alltägliches, tauscht sich aus und übt<br />
RUNDBLICK Herbst 2012<br />
Der Bau des Erntewagens ist eines der größten Projekte der Landjugend Schwanewede.<br />
die traditionellen Volkstänze. Die Schwaneweder<br />
Landjugend interessiert sich sehr<br />
für den Volkstanz und seinen Ursprung,<br />
nimmt an Tanzturnieren teil und organisiert<br />
sogar selbst alle zwei Jahre ein Tanzturnier,<br />
zu dem alle Landjugenden aus der<br />
Umgebung eingeladen sind. Anschließend<br />
findet eine Herbstfete statt.<br />
Erntewagen ist größtes Projekt<br />
Das größte Projekt der Landjugend ist<br />
der Bau des Erntewagens. Dieser wurde<br />
letztes Jahr von Grund auf neu gebaut und<br />
beim Erntefest präsentiert. Da wurde<br />
natürlich gemeinsam gewerkelt, repariert<br />
und geschmückt. Neben der Himmelfahrtsfahrradtour<br />
mit anschließendem Beisammensein<br />
und dem Aufstellen des<br />
Osterhasenpärchens aus Stroh zu Ostern,<br />
veranstaltet die Landjugend jedes Jahr eine<br />
eigene Party. Die letzten Jahre lautete das<br />
Motto „Karibische Nacht“. Dieses Jahr<br />
wurde das Konzept komplett umgestellt<br />
und die Party lief unter dem Namen „Platzhirschfete“.<br />
Natürlich dürfen auch eine<br />
Weihnachtsfeier, die Kohlfahrt, Seminare<br />
und die Jahreshauptversammlung nicht<br />
fehlen.<br />
Die Landjugend beim Volkstanz … … und bei den Vorbereitungen zum Osterfest.<br />
Spielplatz wurde<br />
„Mehrgenerationenspielplatz“<br />
Ebenfalls hat die Landjugend schon an<br />
der 72-Stunden-Aktion teilgenommen. Bei<br />
dieser Aktion wurde ein Spielplatz im Ort<br />
zu einem „Mehrgenerationenspielplatz“<br />
umgebaut.<br />
An Pfingsten pflanzen die Männer einen<br />
Pfingstbaum für die Frauen und diese wiederum<br />
verteilen Geschenke an die Männer.<br />
Am nächsten Tag wird dann jeder Baum<br />
begossen.<br />
Die Mitgliederzahl stieg bis 1963 von<br />
anfangs 14 Personen auf 64 Mitglieder<br />
und inzwischen sind es wohl noch weit<br />
mehr. Die Landjugend freut sich immer<br />
über neue Mitglieder, die einfach in der<br />
Gemeinschaft Spaß haben wollen und sich<br />
für die Umgebung, in der sie leben, einsetzen<br />
möchten.<br />
Kontaktmöglichkeit über die Internetseite<br />
www.lj-schwanewede.de<br />
Mareike Haunschild<br />
Fotos: Landjugend Schwanewede<br />
29
Das Kriegsende im Lager Sandbostel<br />
Hungerrevolte und Konzentrationslager –<br />
ein weitgehend vergessenes Stück regionaler Geschichte<br />
Der voranschreitende Zusammenbruch<br />
des NS-Regimes auf allen Ebenen<br />
beschleunigte sich im April 1945 rapide.<br />
Dieses hatte auch Auswirkungen auf unser<br />
bis dahin weitgehend vom Krieg verschontes<br />
EIbe-Weser-Gebiet und damit auf<br />
die Logistik der SS und der ihr unterstehenden<br />
Lager. Auch das Kriegsgefangenenlager<br />
Sandbostel war durch Befehl von<br />
Reichsführer Heinrich Himmler der SS<br />
unterstellt worden.<br />
Die mangelnde Versorgung dort, im<br />
Besonderen der russischen Kriegsgefangenen,<br />
hatte nach und nach ein katastrophales<br />
Ausmaß angenommen. Nach vorausgehenden<br />
Seuchenzügen waren bereits<br />
Tausende gestorben und namenlos in Massengräber<br />
geworfen worden. In der Nacht<br />
zum 20. April 1945 überwanden völlig<br />
ausgehungerte Gruppen von Gefangenen,<br />
ermutigt durch Nachrichten über ein baldiges<br />
Vorrücken der alliierten Truppen und<br />
eine mögliche bevorstehende Befreiung,<br />
die inneren Stacheldraht-Zäune, überwältigten<br />
einige Wachleute und stürmten die<br />
nördliche der beiden Lagerküchen, um<br />
sich selbst zu versorgen. Anderen gelang<br />
es, eine Öffnung in den äußeren Stacheldraht<br />
zu schneiden und zu entkommen.<br />
Sie versteckten sich in der Umgebung des<br />
Lagers.<br />
Der Aufstand wurde gnadenlos von herbeigerufenen<br />
Wachleuten niedergeschossen,<br />
darüber liegen umfangreiche Aussagen<br />
vor. Sogar in den großen Suppenkesseln,<br />
so die Berichte, lagen einige Tote. Insgesamt<br />
waren es wohl etwa dreihundert<br />
Todesopfer.<br />
Über die in den angrenzenden Feldmarken<br />
unter Beteiligung von Dorfbewohnern<br />
anschließend durchgeführten Treibjag-<br />
den, in denen wehrlose Menschen u. a.<br />
mit Jagdwaffen gnadenlos gehetzt und<br />
getötet wurden, mochte später niemand<br />
reden.<br />
In allen Dorfchroniken der Umgebung<br />
wird durchgängig nur davon berichtet,<br />
dass auf den Höfen zwangsarbeitende<br />
Kriegsgefangene es unter den gegebenen<br />
Umständen doch gut gehabt haben, sie<br />
sich im Fall einer späteren Verhörung vor<br />
ihre Herrschaften gestellt und diese gelobt<br />
und verteidigt hätten.<br />
So etwas hat es sicher auch gegeben.<br />
Tiefpunkt der<br />
Menschlichkeit<br />
Ein Tiefpunkt der Menschlichkeit bahnte<br />
sich an, nachdem Befehle ergangen<br />
waren, die bestehenden großen Konzentrationslager<br />
zu räumen um Schauplätze<br />
der Verbrechen und Tätergruppen vor den<br />
alliierten Truppen zu verschleiern, was<br />
angesichts der zusammenbrechenden<br />
Strukturen nur in Ansätzen gelang. Häftlinge<br />
u. a. aus Neuengamme gelangten so<br />
in großer Zahl nach Sandbostel.<br />
Nach der Befreiung von Bergen-Belsen,<br />
wo Zehntausende von Toten teilweise mit<br />
Planierraupen in Erdgruben geschoben<br />
werden mussten, um schnell weitere Ausbreitung<br />
von Typhus zu verhindern, waren<br />
die Befreier im Weiteren auf das Schlimmste<br />
gefasst und hatten sofort zivile humanitäre<br />
Hilfskolonnen in der Nachhut der<br />
militärischen Verbände organisiert.<br />
Die Situation hatte sich auch in Sandbostel<br />
stark zugespitzt. Auf „Todesmärschen”<br />
und Transporten in den sogenannten<br />
„Todeszügen“, welche ohne jede Versorgung<br />
tagelang unterwegs waren, wur-<br />
Einige Gräber sind mit Namen versehen. Kurz vorm Zusammenfall. Foto aus 2011.<br />
den unter Befehl und Begleitung von SS-<br />
Mannschaften etwa zehntausend KZ-Häftlinge<br />
in Sandbostel in einen besonderen<br />
Teil des Lagers in ein leer stehendes<br />
10.000 Häftlinge<br />
ohne Nahrung und<br />
Krankenversorgung<br />
Barackenensemble gepfercht und ohne<br />
jede Nahrung und Krankenversorgung<br />
gelassen. Den jenseits der Lagerstraße<br />
internierten, u. a. durch Rotkreuz-Sendungen<br />
besser versorgten französischen und<br />
belgischen Kriegsgefangenen wurde sogar<br />
verboten, den schreienden und wimmernden<br />
Häftlingen Brot über den Zaun hinweg<br />
zuzuwerfen. Nach einigen Tagen wurden<br />
letztere zunehmend apathischer und<br />
viele blieben tot auf dem Gelände liegen.<br />
Zunächst wurden diese noch eingesammelt<br />
und in einer Leichenbaracke aufeinander<br />
gestapelt. Später dann nicht mehr.<br />
Am Bahnhof Brillit bei Gnarrenburg<br />
waren über Hundert von ihnen beim<br />
Antransport bereits leblos aus Viehwaggons<br />
gezerrt worden. Noch lebende, aber<br />
schon stark geschwächte Gefangene, wurden<br />
in Loren einer eigentlich zur materiellen<br />
Versorgung dienenden Feldbahn<br />
geworfen, bei der Ankunft im ca. 7 km entfernten<br />
Hauptlager waren bereits viele<br />
davon elendig gestorben, sodass der in<br />
Sandbostel diensthabende Kommandant<br />
die zahlreichen Leichen einmal umgehend<br />
nach Brillit zurückgehen ließ.<br />
In den letzten Apriltagen setzte sich die<br />
SS-Truppe mit dem Ziel Schleswig-Holstein<br />
aus Sandbostel ab, um nicht den<br />
bereits auf der anderen Seite der Oste<br />
30 RUNDBLICK Herbst 2012
Die anonymen Gräber. Die ehemalige Lagerküche. In der Nachkriegszeit befand sich hier ein Speisesaal.<br />
anrückenden britischen Truppen in die<br />
Hände zu fallen. Ein noch marschfähiger<br />
Teil der Häftlinge, es wird eine Zahl von<br />
mindestens 800 genannt, wurde wiederum<br />
als Geiseln mitgeführt.<br />
Nun begannen Verhandlungen von<br />
Sprechern der Kriegsgefangenen mit der<br />
deutschen Lagerleitung, welche angesichts<br />
einer bevorstehenden Gefangennahme<br />
und eines ungewissen Schicksals<br />
einen Zugang zum KZ-Bereich gewähren<br />
musste. Doch fehlten noch nahezu alle für<br />
eine Erstversorgung der Kranken und Sterbenden<br />
notwendigen Mittel.<br />
Zustand im Film<br />
festgehalten<br />
Am 29. April übernahmen britische<br />
Truppen kampflos die Kontrolle, die anwesenden<br />
Wachen wurden an Ort und Stelle<br />
entwaffnet und interniert. Am 30. April<br />
inspizierte der britische General Horrox<br />
mit einer Delegation das Areal und ließ<br />
den Zustand in einem Film festhalten. Dieser<br />
kann heute in der Gedenkstätte Lager<br />
Sandbostel angesehen werden. Wir sehen<br />
RUNDBLICK Herbst 2012<br />
Bilder des Schreckens. Es liegen darüber<br />
hinaus Berichte vor, dass eine vom Lager<br />
ausgehende pestartige Geruchswolke sich<br />
über Kilometer auf jede Wahrnehmung<br />
legte. Etwa 20.000 Personen, lebendig<br />
und tot, befanden sich dort auf ungefähr<br />
einem Quadratkilometer eingesperrt.<br />
In den umliegenden Dörfern wurden<br />
sogleich hunderte von jungen Frauen zur<br />
Pflege der Kranken und Sterbenden von<br />
der britischen Militärverwaltung zwangsverpflichtet<br />
und nach Sandbostel<br />
gebracht, dazu Krankenschwestern und<br />
Pflegehelferinnen auch aus weiter entfernten<br />
Orten im Bremer Umland. Alte Männer<br />
aus den Dörfern sieht man in diesen Bildern<br />
Gräber schaufeln. Es liegt nahe, dieses<br />
geschah, um die herumliegenden Leichen<br />
und von allen Seiten herbeigetragenen<br />
Körper zu begraben.<br />
Heute finden wir auf dem gepflegten<br />
Lagerfriedhof in einem Teil die Massengräber<br />
der russischen und serbischen Kriegsgefangenen,<br />
in einem weiteren Teil unter<br />
Rasen die anonyme Ruhestätte der KZ-<br />
Häftlinge. Letztere sind etwa dreitausend.<br />
Tafeln und Gedenksteine weisen auf die<br />
dort Begrabenen hin. Im Frühjahr sollen<br />
auf dem ehemaligen Lagergelände dauerhafte<br />
Ausstellungen eröffnet werden. Zur<br />
Darstellung der Verhältnisse der russischen<br />
Kriegsgefangen wurde im Vorfeld ein<br />
gesonderter Forschungsauftrag erteilt. In<br />
der ehemaligen Lagerküche erhalten diese<br />
Menschen vielfach nun nachträglich<br />
Namenstafeln. Die Schicksale der KZ- Häftlinge<br />
von Sandbostel bleiben unerforscht.<br />
Damit stehen diese in der Sandbosteler<br />
Werteordnung, so scheint es, weiterhin an<br />
letzter Stelle.<br />
Wir können nach den vorliegenden Forschungen<br />
heute davon ausgehen, dass wir<br />
es in Sandbostel mit insgesamt sicher mehr<br />
als zehntausend Todesopfern aus dieser<br />
Lagerzeit zu tun haben.<br />
Text: Kurt Ringen<br />
Fotos: Tim Wöbbeking<br />
Die Namenstafeln der Kriegsgefangenen. Die Baracken im Jahre 2011.<br />
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