Dokument_1.pdf (3044 KB) - OPUS Augsburg - Universität Augsburg
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Kuhn (1977) hat später selbst eine Revision des Paradigmenbegriffs unternommen: Er fasst<br />
die erste und zweite Bedeutung zusammen zur „disziplinären Matrix“ (Kuhn 1977, S. 392),<br />
um vermutlich die sozialen Gemeinsamkeiten der Forschergemeinschaft und das „Glaubenselement“<br />
enger miteinander in Verbindung zu bringen. Bei der dritten Bedeutung spricht<br />
Kuhn von „Musterbeispielen“ bzw. von „symbolischen Verallgemeinerungen“, die Mitgliedern<br />
einer Interpretationsgemeinschaft als beispielhafte Problemlösungen dienen (vgl. ebd.).<br />
Kuhns Paradigmenbegriff hat in der Soziologie großen Anklang gefunden. 8 Die Autoren<br />
soziologischer Einführungsbücher identifizieren jedoch unterschiedliche Paradigmen in der<br />
Soziologie 9 und ziehen auf der anderen Seite verschiedenartige Abstraktionsniveaus heran. In<br />
der Bibliographie im Anhang A ist bereits sichtbar, dass Autoren mit einer „Vogelperspektive“<br />
lediglich drei bis fünf große Paradigmen anführen (vgl. z.B. Richter 2001; Weiss 1993,<br />
Amann 1996, Brock 2002), während einige Autoren mit einem Blick für das Detail zwischen<br />
acht und 15 Paradigmen erfassen (vgl. z.B. Prisching 1995; Morel 2001; Münch 2002).<br />
Die von den Autoren angeführten Strömungen bzw. Paradigmen sind teilweise identisch: so<br />
herrscht große Übereinstimmung hinsichtlich der Existenz einer Strömung „Systemtheorie“<br />
(14x), „kritische Theorie“ (11x), „Strukturfunktionalismus“ (10x), historischer Materialismus<br />
(10x), Verhaltensaustauschtheorie (9x) und „Verstehende Soziologie“ (8x). Andererseits verwenden<br />
die Autoren lediglich Schlagworte für die Kennzeichnung einer Theorie: z.B. „soziales<br />
Handeln“, „soziale Ordnung“, „soziale Tatsachen“, „Wechselwirkungen“ oder „Intersubjektivität“.<br />
Sie könnten damit hervorheben, welche Probleme bzw. Themen der Klassiker in<br />
erster Linie anspricht, oder aber auch, welche „Wertbasis“ (Albert 1984, S. 204) in den wissenschaftlichen<br />
Aussagen zum Ausdruck kommt (Genaueres dazu siehe S. 65). In der propädeutischen<br />
Literatur herrscht also keine Einigkeit über die Anzahl und die genaue Bezeichnung<br />
der Paradigmen.<br />
8<br />
Das gilt selbstverständlich nicht für alle Autoren. Es liegt die Vermutung nahe, dass diejenigen Autoren, die<br />
dem Paradigmenbegriff eher kritisch gegenüberstehen, stattdessen von einer soziologischen Denkweise oder<br />
Hauptströmung sprechen. Da der Paradigmenbegriff viel zu umfangreich ist, könnte es diesen Autoren sinnvoller<br />
erscheinen, eine Denkweise (metaparadigmatischer Aspekt), eine Hauptströmung (sozialer Aspekt der<br />
Interpretationsgemeinschaft) und soziologischen Praxisbezug („Musterlösungen“) analytisch zu trennen. Im<br />
Grunde lassen sich die drei Aspekte wiederum im Paradigma vereinigen, so dass soziologische Denkweisen<br />
und Hauptströmungen mit Paradigmen, nach Meinung der Verfasserin, weitgehend gleichgesetzt werden können.<br />
9<br />
Dies gilt auch, wenn die Autoren anstelle dessen von soziologischen Denkweisen und Hauptströmungen sprechen.<br />
15