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ginnt mit der Erörterung des Begriffs „klassisch“ in Zusammenhang mit soziologischen Theorien. „Klassisch ist eine Theorie, wenn sie einen Aussagenzusammenhang herstellt, der in dieser Form später nicht mehr möglich ist, aber als Desiderat oder als Problem fortlebt. […] Der Text bleibt aktuell, solange seine Problemstellung kontinuierbar ist. Er bleibt maßgebend in einem ambivalenten Sinne: Man kann an ihm ablesen, was zu leisten wäre; aber nicht mehr: wie es zu leisten ist.“ (Luhmann 1996, S. 21). Soziologen könnten dann als Klassiker gelten, wenn sie derartige Theorien hervorgebracht haben. Nach Brock et al. (2002) zeichnet sich ein Klassiker dadurch aus, dass er konzeptionelle Lösungsansätze gefunden und Begrifflichkeiten entwickelt hat, auf die in späteren Forschungs- und Theorieansätzen immer wieder zurückgegriffen wird. Um die Geschichte der Soziologie nachvollziehen zu können und Orientierung innerhalb dieser Disziplin zu erlangen, ist die Auseinandersetzung mit Klassikern notwendig (vgl. Brock et al. 2002, S. 5). Die Autoren des Instituts für Soziologie und Sozialforschung der Carl von Ossietzky- Universität Oldenburg (2002) formulieren pointiert: „ ‚Klassiker’ sind Orientierungen, die festgelegt wurden, und nicht Berge, die einfach da sind.“ (Institut für Soziologie und Sozialforschung der Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg 2002, S. 12). Soziologische Klassiker werden zu Klassikern gemacht – dies deutet auf einen Prozess des sozial bedingten Etikettierens hin. Kritisch fahren die Autoren fort: „Sie [die Klassiker, d. Verf.] werden durch eine Fülle von Zitaten konsekiert, die an geeigneter und ungeeigneter Stelle ins Gespräch einfließen können. Wer Klassiker zitieren kann, zeigt, daß er über eine erlesene Bildung verfügt. Klassiker sind ein Mittel, sich sozial zu distinguieren. “ (ebd.). Klassiker wirken wie „[...] erlesene Möbel: Sie indizieren erlesene Tradition und mit ihr identitätsstiftende Kontinuität“ (ebd., S. 13). Sie gelten darüber hinaus als Maßstab, an dem sich neue Autoren zu bewähren haben (vgl. ebd., S. 14). Für W. L. Schneider (2002a) zeichnen sich die Klassiker unter den soziologischen Forschern dadurch aus, dass ihre Werke zur Untermauerung von Geltungsansprüchen bestimmter theoretischer Positionen in wissenschaftlichen Abhandlungen herangezogen werden. Dieses Vorgehen führt häufig dazu, dass Theoriediskussionen in der Soziologie in hohem Maße personalisiert werden (vgl. Schneider, W. L. 2002a, S. 15). Der Stellenwert eines Klassikers der Soziologie kann durch die Menge von Sekundärliteratur gemessen werden, die sich auf ihn bezieht (vgl. Institut für Soziologie und Sozialforschung der Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg 2002, S. 17). Mit Rekurs auf die Etikettierungsannahme kann festgehalten werden, dass es streng genommen nur Klassiker zu einem gegebenen Ort und zu einer gegebenen Zeit geben kann. Ein Klassiker, der langfristig nicht mehr zitiert und in propädeutischen Büchern nicht mehr genannt wird, gilt als vergessen. Andererseits könnte man aus der Position eines Historikers argumentieren, dass jene Forscher 13

klassisch sind, die im Laufe der Geschichte mindestens einmal den Stellenwert eines Klassikers hatten. Damit ergäbe sich eine „Kumulation“. Nach der Etikettierungsannahme würden bspw. Auguste Comte und Herbert Spencer, über die in der jüngsten Vergangenheit wenig Sekundärliteratur veröffentlicht wurde, vergessen, sofern sie in der Einführungsliteratur nicht mehr erschienen. Einige Autoren (z.B. Morel et al. 2001; Prisching 1995; Schülein/Brunner 1994) sind deshalb dazu übergegangen, die Klassiker des 19. Jahrhunderts unter der Kategorie „Geschichte der Soziologie“ abzuhandeln. 2.3 Der Paradigmenbegriff Der Begriff „Paradigma“ ist durch den Wissenschaftshistoriker Thomas S. Kuhn populär geworden. Kuhn hat diesen Terminus mit einer Reihe von Bedeutungen ausgestattet. Diese Tatsache ist von vielen Kritikern bemängelt worden und hat auch zu einer Reihe von Missverständnissen geführt (vgl. Bayertz 1981, S. 23; Kuhn 1977, S. 389). An dieser Stelle werden folgende der von Masterman (1974) herausgearbeiteten Bedeutungen erläutert: - Erstens bestimmt ein „Paradigma“ über den Standort und die Art der Wahrnehmung von Wirklichkeit (vgl. Kuhn 1979, S. 123 ff). Damit sind bestimmte „Glaubenselemente“ einer Wissenschaft gemeint (vgl. Bayertz 1981, S. 23; Kuhn 1979, S. 17). Masterman (1974) spricht hierbei von einem „metaphysischen Paradigma“ oder „Metaparadigma“ (Masterman 1974, S. 65). - Zweitens kann sich der Paradigmabegriff auf die soziale Struktur einer wissenschaftlichen Gemeinschaft beziehen (vgl. Kuhn 1979, S. 10; Bayertz 1981, S. 23) Ein Paradigma stellt einerseits eine Orientierung für die wissenschaftliche Arbeit in einem Fachgebiet dar 7 und andererseits eine Gemeinsamkeit zwischen den Forschern einer Disziplin her. Es hat nun auch eine normative Bedeutung, denn es impliziert, welche wissenschaftliche Vorgehensweise anerkannt ist und welche nicht (vgl. Bayertz 1981, S. 23). Masterman hat diese Bedeutung mit dem „soziologisches Paradigma“ belegt (Masterman 1974, S. 65). - Drittens begreift Kuhn den Paradigmabegriff auch als eine Art Modell zur Lösung von Problemen. Masterman nennt diese Variante „künstlich hergestelltes Paradigma“ oder „konstruiertes Paradigma (vgl. ebd.). 7 Hiermit ergeben sich Parallelen zur funktionalen Bedeutung von Theorien namhafter Forscher (sog. „Matthäus- Effekt“, siehe S. 19). 14

klassisch sind, die im Laufe der Geschichte mindestens einmal den Stellenwert eines Klassikers<br />

hatten. Damit ergäbe sich eine „Kumulation“.<br />

Nach der Etikettierungsannahme würden bspw. Auguste Comte und Herbert Spencer, über<br />

die in der jüngsten Vergangenheit wenig Sekundärliteratur veröffentlicht wurde, vergessen,<br />

sofern sie in der Einführungsliteratur nicht mehr erschienen. Einige Autoren (z.B. Morel et al.<br />

2001; Prisching 1995; Schülein/Brunner 1994) sind deshalb dazu übergegangen, die Klassiker<br />

des 19. Jahrhunderts unter der Kategorie „Geschichte der Soziologie“ abzuhandeln.<br />

2.3 Der Paradigmenbegriff<br />

Der Begriff „Paradigma“ ist durch den Wissenschaftshistoriker Thomas S. Kuhn populär<br />

geworden. Kuhn hat diesen Terminus mit einer Reihe von Bedeutungen ausgestattet. Diese<br />

Tatsache ist von vielen Kritikern bemängelt worden und hat auch zu einer Reihe von Missverständnissen<br />

geführt (vgl. Bayertz 1981, S. 23; Kuhn 1977, S. 389).<br />

An dieser Stelle werden folgende der von Masterman (1974) herausgearbeiteten Bedeutungen<br />

erläutert:<br />

- Erstens bestimmt ein „Paradigma“ über den Standort und die Art der Wahrnehmung von<br />

Wirklichkeit (vgl. Kuhn 1979, S. 123 ff). Damit sind bestimmte „Glaubenselemente“ einer<br />

Wissenschaft gemeint (vgl. Bayertz 1981, S. 23; Kuhn 1979, S. 17). Masterman<br />

(1974) spricht hierbei von einem „metaphysischen Paradigma“ oder „Metaparadigma“<br />

(Masterman 1974, S. 65).<br />

- Zweitens kann sich der Paradigmabegriff auf die soziale Struktur einer wissenschaftlichen<br />

Gemeinschaft beziehen (vgl. Kuhn 1979, S. 10; Bayertz 1981, S. 23) Ein Paradigma<br />

stellt einerseits eine Orientierung für die wissenschaftliche Arbeit in einem Fachgebiet<br />

dar 7 und andererseits eine Gemeinsamkeit zwischen den Forschern einer Disziplin<br />

her. Es hat nun auch eine normative Bedeutung, denn es impliziert, welche wissenschaftliche<br />

Vorgehensweise anerkannt ist und welche nicht (vgl. Bayertz 1981, S. 23).<br />

Masterman hat diese Bedeutung mit dem „soziologisches Paradigma“ belegt (Masterman<br />

1974, S. 65).<br />

- Drittens begreift Kuhn den Paradigmabegriff auch als eine Art Modell zur Lösung von<br />

Problemen. Masterman nennt diese Variante „künstlich hergestelltes Paradigma“ oder<br />

„konstruiertes Paradigma (vgl. ebd.).<br />

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Hiermit ergeben sich Parallelen zur funktionalen Bedeutung von Theorien namhafter Forscher (sog. „Matthäus-<br />

Effekt“, siehe S. 19).<br />

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