Dokument_1.pdf (3044 KB) - OPUS Augsburg - Universität Augsburg
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Theoretische Positionen<br />
Die Betonung, dass Soziales als „Tatbestand“ aufgefasst werden soll, ist für Durkheim<br />
nicht nur im Rahmen seiner Methodik maßgeblich, sondern auch für seine soziologische Position.<br />
Soziale Tatbestände sind dem einzelnen Menschen anerzogen, üben gewissermaßen<br />
Zwang auf ihn aus, weil auf dessen Willen Druck ausgeübt wird, und sind unabhängig, weil<br />
sich ein soziales Phänomen nicht aus dem Handeln von Einzelnen erschöpft (vgl. Durkheim<br />
1976 [1895], S. 125; Müller 1999, S. 154). Wenn Durkheim alles Soziale in diesem Kontext<br />
sieht, so hat für ihn dieser Aspekt eine besondere Qualität: Das Soziale ist mehr als die Summe<br />
der Handlungen von Individuen und es lässt sich nicht nur auf einen gesellschaftlichen<br />
Durchschnitt reduzieren, sondern ist vielmehr Ausdruck einer unableitbaren Gesetzlichkeit<br />
(vgl. König 1978, S. 159). Aus entwicklungsgeschichtlicher Perspektive „beginnt“ die Gesellschaft<br />
mit einem starken Kollektivbewusstsein, das keinen Raum für das Individuelle lässt.<br />
Erst mit dem und durch das Einsetzen der sozialen Differenzierung 58 formt sich Individualität<br />
(vgl. Aron 1971b, S. 20). Das Soziale ist der Ursprung des Individuellen und hat demnach<br />
historische Priorität.<br />
Diese Priorität des Sozialen ist ein wesentliches Kennzeichen der theoretischen Position<br />
und methodischen Herangehensweise Durkheims: 1. Soziale Erscheinungen sind nicht Ausdruck<br />
eines individuellen „Willens“, also von diesem historisch nicht primär konstituiert und<br />
veränderbar. Damit ist es für Durkheim überhaupt möglich, von sozialen Tatsachen zu sprechen<br />
(vgl. König 1976, S. 27; Luhmann 1996, S. 22). 2. Soziales ist immer durch Soziales zu<br />
erklären. D.h., der Tatbestand der Arbeitsteilung muss immer durch andere soziale Phänomene<br />
erklärt werden. Diese soziologische Position wird von Durkheim noch weiter radikalisiert,<br />
indem er soziale Phänomene im Kontext ihrer Funktionalität, d.h. ihrer Funktion für die Gesellschaft,<br />
untersucht und dann noch normativ beurteilt. Durkheim wird in der Literatur daher<br />
häufig als normativer Funktionalist und aufgrund der Priorität des Sozialen als konservativ<br />
bezeichnet (vgl. Turner 1993, S. 3).<br />
Charakterisierung der theoretischen Positionen<br />
Gesellschaft (I)<br />
V1 – Perspektive und Auffassung von Gesellschaft: V1.2<br />
58<br />
Durkheim hebt hervor, dass Arbeitsteilung nur innerhalb einer bereits existierenden Gesellschaft auftreten<br />
kann (vgl. Durkheim 1996 [1893], S. 336).<br />
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