Dokument_1.pdf (3044 KB) - OPUS Augsburg - Universität Augsburg
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mit sich. Diesen Zustand kennzeichnet Durkheim durch den Begriff der „Anomie“, den er<br />
auch für die französische Gesellschaft seinerzeit diagnostizierte. 55<br />
Methodik<br />
In „Regeln der soziologischen Methode“ (1895) skizziert Durkheim relativ genau, wie ein<br />
Soziologe soziale Phänomene erforschen soll. Der Klassiker hält sich auch selbst an seine<br />
Methoden, so dass diese anhand der „Arbeitsteilung“ plastisch dargestellt werden soll: Der<br />
Forscher beginnt zunächst mit der Definition eines sozialen Problems, das – um es überhaupt<br />
untersuchen zu können – wie ein soziologischer Tatbestand behandelt wird. D.h., soziale Erscheinungen<br />
werden als intersubjektiv erfassbare „Dinge“ aufgefasst (z.B. Bräuche und Sitten),<br />
die nicht durch den Willen einzelner Individuen verändert werden können (vgl. König<br />
1976, S. 27). Diese „Dinge“ werden dann in Typen klassifiziert, wodurch das vom Forscher<br />
gesichtete Material schlussendlich geordnet wird (vgl. Müller 1999, S. 155). In einem weiteren<br />
Schritt wird das Phänomen hinsichtlich seiner Funktionalität und Kausalität (Ursache-<br />
Wirkungszusammenhang) analysiert, um es dann zu erklären. Den Begriff der „Funktionalität“<br />
umschreibt Durkheim so: „Wenn man sich fragt, welches die Funktion der Arbeitsteilung<br />
ist, so möchte man damit untersuchen, welchem Bedürfnis [der Gesellschaft, d. Verf.] sie entspricht.“<br />
(Durkheim 1996 [1893], S. 95). 56 Die Funktionen ermittelt der Forscher grundsätzlich<br />
mit den Methoden der Beobachtung und des Experiments. Da Letzteres, wie Durkheim<br />
feststellt, für die Erforschung des Sozialen eher ungeeignet ist, setzt er an die Stelle des Experiments<br />
die vergleichende Methode (vgl. ebd., S. 205ff.; König 1976, S. 26). D.h., er vergleicht<br />
den Grad der Arbeitsteilung zwischen unterschiedlichen historischen Zeiträumen (historisch-komparativ)<br />
und zwischen verschiedenen Nationen (historisch-komparativ) (vgl. Müller<br />
1999, S. 155). Im letzten Schritt gibt der Forscher eine Beurteilung des sozialen Phänomens<br />
ab. Dabei arbeitet er die „normale“ 57 und die „pathologische“, d.h. anomale, Form des<br />
Phänomens heraus. So hat Durkheim bspw. eine anomische und erzwungene Arbeitsteilung<br />
identifiziert (vgl. Durkheim 1996 [1893], S. 421ff., 443ff.).<br />
55 Hier sei noch sein Werk „Selbstmord“ (1897) erwähnt, in dem er die Selbstmordraten in Frankreich untersuchte<br />
und sämtliche Selbstmordtypen, darunter den „anomischen Selbstmord“, klassifizierte.<br />
56 Durkheim hebt hervor, dass die methodische Unterscheidung zwischen Funktionsanalyse und Kausalanalyse<br />
den Vorteil hat, dass der Forscher im Rahmen der funktionalen Analyse zuerst erforscht, ob und worin ein soziales<br />
Phänomen besteht. Er muss dabei noch keinem Ursache-Wirkungs-Verhältnis auf den Grund gehen.<br />
Dieses stellt sich ihm erst in der nachfolgenden Kausalanalyse (vgl. ebd.).<br />
57 Das Durkheimsche Normalitätskriterium kann vereinfacht durch die allgemeine Verbreitung des sozialen<br />
Phänomens in der Gesellschaft (der Durchschnitt einer bestimmten Quote) „geeicht“ werden (vgl. ebd., S.<br />
156). D.h. im Fall des Selbstmords oder der Kriminalität, dass anhand einer am Durchschnitt über mehrere<br />
Jahre hinweg berechneten Quote (Normalitätskriterium) gesagt wird, ob Anomie in einer Gesellschaft<br />
herrscht (empirische Quote ist höher als Normalitätskriterium) oder nicht.<br />
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