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Wieder die Juden<br />

Judentum und Antisemitismus<br />

in der Publizistik aus sieben Jahrhunderten<br />

FRANZ JOSEF WIEGELMANN<br />

BERNSTEIN


Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek<br />

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;<br />

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über<br />

http://dnb.ddb.de<br />

Bibliographic information published by Die Deutsche Bibliothek<br />

Die Deutsche Bibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbib-liografie; detailed<br />

bibliographic data are available in the Internet at<br />

http://dnb.ddb.de<br />

DIE VERLEGER WIDMEN DIESE PUBLIKATION ANNI REMMEL, GEB. FEITH (1899-1982).<br />

© Bernstein-Verlag GbR, Gebr. Remmel, Postfach 1968, D-53009 Bonn<br />

www.bernstein-verlag.de<br />

Herstellung: Druckerei Hubert & Co., Göttingen<br />

Alle Rechte vorbehalten. Ohne schriftliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Werk<br />

unter Verwendung mechanischer, elektronischer und anderer Systeme in irgendeiner Weise zu verarbeiten<br />

und zu verbreiten. Insbesondere vorbehalten sind die Rechte der Vervielfältigung - auch von Teilen<br />

des Werkes - auf photomechanischem oder ähnlichem Wege, der tontechnischen Wiedergabe, des Vortrages,<br />

der Funk- und Fernsehsendung, der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, der Übersetzung<br />

und der literarischen oder anderweitigen Bearbeitung.<br />

ISBN 3-9809762-8-9


Für<br />

ELI ROTHSCHILD<br />

in dankbarer<br />

Erinnerung


INHALTSÜBERSICHT<br />

Einleitung 001<br />

Über Chroniken, Flugblätter und Newe Zeyttungen 003<br />

TAFELTEIL I, ABB. 1-6<br />

Das Bild der Juden in der Presse des 18. Jahrhunderts 015<br />

TAFELTEIL II, ABB. 1-14<br />

Emanzipation und Antisemitismus.<br />

Das Judentum in der Presse des 19. Jahrhunderts<br />

TAFELTEIL III, ABB. 1-45<br />

051<br />

B<br />

Der Untergang des europäischen Judentums<br />

TAFELTEIL IV, ABB. 1-21<br />

155<br />

B<br />

Das Judenbild nach dem Holokaust<br />

TAFELTEIL V, ABB. 1-10<br />

201<br />

B<br />

Gegenwehr und Selbstbehauptung:<br />

Die Jüdische Presse in Deutschland<br />

TAFELTEIL VI, ABB. 1-19<br />

225<br />

B<br />

Anhang 261<br />

LITERATURHINWEISE


EINLEITUNG<br />

EINLEITUNG<br />

Vor wenigen Monaten ist in Berlin das Stelenfeld, die zentrale Holokaust-Gedenkstätte<br />

zur Erinnerung an die ermordeten Juden Europas, eingeweiht worden. Die Planungen,<br />

Entwürfe und Baumaßnahmen wurden in den Medien und von der Gesellschaft<br />

über Jahre hinweg kontrovers diskutiert. Dabei wurde, wie schon früher bei<br />

antisemitischen Vorkommnissen, den Hakenkreuzschmierereien, der Schändung jüdischer<br />

Friedhöfe oder den Aufmärschen der Rechtsextremisten, vor dem erneuten<br />

Erstarken des Antisemitismus und vor Fremdenfeindlichkeit in Deutschland gewarnt.<br />

Die Warnung: „Nie wieder Nation<strong>als</strong>ozialismus, nie wieder rassische oder religiöse<br />

Verfolgung!“ und ihr Bezug auf die beispiellosen, unvorstellbaren Verbrechen während<br />

des Dritten Reiches verstellt dabei oftm<strong>als</strong> den Blick auf die Tatsache, dass Antisemitismus<br />

und Fremdenfeindlichkeit tief in unsere Geschichte zurückreichen. Die<br />

Schrecken des Nation<strong>als</strong>ozialismus stellen den grausamen und unrühmlichen Höhepunkt<br />

einer historischen Entwicklung dar, die leider nicht nur in Deutschland, sondern<br />

in fast allen europäischen Ländern zu beobachten war und ist.<br />

Das vorliegende Buch will diese geschichtliche Kontinuität anhand ausgewählter,<br />

beispielhafter Pressepublikationen aufzeigen und belegen, wie den Lesern der frühen<br />

Gazetten und Zeitungen über Jahrhunderte hinweg ein zumeist negatives, demütigendes<br />

Judenbild vermittelt wurde, das bereits im Mittelalter zu antisemitischen Ausschreitungen<br />

und Pogromen führte, <strong>als</strong> man den Begriff „Antisemitismus“ noch gar<br />

nicht kannte und nutzte. Sein inhaltlicher Schwerpunkt liegt daher auf der Entwicklung<br />

vor 1933. Es ist <strong>als</strong> Begleitbuch zu der Ausstellung<br />

Wieder die Juden!<br />

Judentum und Antisemitismus<br />

in der Publizistik aus sieben Jahrhunderten<br />

konzipiert, die erstm<strong>als</strong> das Stadtmuseum Siegburg im Herbst 2005 in seinem Museumsschaufenster<br />

und der Galerie im Foyer zeigt. Viele wichtige Zeitungen und Informationen,<br />

die zum überwiegenden Teil aus dem Archiv des Autors stammen, sind<br />

in diesem Band abgebildet und kommentiert, so dass sie auch über den Ausstellungszeitraum<br />

hinaus <strong>als</strong> Informationsquelle zur Geschichte des Judentums und des Antisemitismus<br />

in Deutschland dienen können.<br />

-1-


EINLEITUNG<br />

Die zitierten Nachrichten, Berichte und Aufsätze sind kursiv in der Origin<strong>als</strong>chreibweise<br />

wiedergegeben, Hinweise zu den konsultierten Quellen finden sich in den<br />

Fußnoten.<br />

Der Autor hofft, dass Buch und Ausstellung zu einer vorurteilsfreieren Betrachtung<br />

der Geschichte beitragen und den Weg in eine gemeinsame, tolerantere und<br />

friedvollere Zukunft weisen können.<br />

Siegburg, September 2005<br />

-2-<br />

FRANZ JOSEF WIEGELMANN


ÜBER CHRONIKEN, FLUGBLÄTTER UND NEWE ZEYTTUNGEN<br />

ÜBER CHRONIKEN, FLUGBLÄTTER UND NEWE ZEYTTUNGEN<br />

Das Wort „Zeitung“ fand bereits im Mittelalter Verwendung, dam<strong>als</strong> allerdings nicht<br />

<strong>als</strong> Gattungsbegriff einer Publikation, sondern mit der Bedeutung „Nachricht“. Lautete<br />

<strong>als</strong>o die Überschrift einer Mitteilung „Zeitung aus [...]“, so war damit „Nachricht,<br />

Information aus [...]“ gemeint. Diese frühen Zeitungen oder „Zeyttungen“ wurden<br />

zumeist <strong>als</strong> Einblattdrucke oder Flugblätter, unregelmäßig und in kleiner Auflage<br />

herausgegeben und durch fliegende Händler verkauft. Als wichtige, kostbare Informationsquellen<br />

wanderten sie dann oftm<strong>als</strong> von Hand zu Hand. Sie berichteten in<br />

knapper Form, zumeist mit einem fantasievollen Kupferstich illustriert, über die interessantesten<br />

Tagesereignisse, vorrangig über Kriege, Katastrophen, vermeintliche Sensationen,<br />

Himmelserscheinungen oder religiöse Streifragen. Viele dieser Meldungen<br />

und Berichte wurden gesammelt und flossen später in chronikalische Werke, wie die<br />

Schedelsche Weltchronik 1 , Sebastian Münsters 2 Cosmographica, die Messchroniken<br />

oder das Diarium Europaeum 3 ein. Bereits in diesen frühen Publikationen des 15. und<br />

16. Jahrhunderts finden sich Meldungen mit Zerrbildern über das Leben und die angeblichen<br />

Verbrechen der Juden, die in gleicher oder ähnlicher Weise über die Jahrhunderte<br />

hinweg immer wieder kolportiert und nachgedruckt wurden. So berichtete<br />

1475 Johannes Matthias Tuberinus in einem römischen Flugblatt „Passio beati Simonis<br />

pueri Tridentini a Judeis nuper occisi, quam ad rectores et cives Brixienses scripsit“<br />

über die Leidensgeschichte des jungen Simeon in Trient, der in der Karfreitagnacht<br />

1475 zu Tode gemartert worden sei. Als Täter wurden Juden verdächtigt. 4 Achtzehn<br />

Jahre später fand diese Geschichte Eingang in die Schedelsche Weltchronik von 1493.<br />

Zweifel an der Täterschaft der Juden wurden jetzt nicht mehr geäußert. Damit dem<br />

Betrachter die angebliche Verworfenheit der Juden auch so recht bewusst wurde,<br />

illustrierte die Weltchronik das vermeintliche Geschehen mit einer blutrünstigen<br />

Abbildung.<br />

1 Hartmann SCHEDEL (1440-1514), Arzt und Stadtphysicus in Nürnberg. Zur Entstehungsgeschichte<br />

der Weltchronik von 1493 siehe Hartmann SCHEDEL, Weltchronik, Kolorierte Gesamtausgabe von<br />

1493, Einleitung und Kommentar von Stephan FÜSSEL, Augsburg 2004.<br />

2 Sebastian MÜNSTER (1488-1552), Professor für Hebraistik und Rektor der Universität Basel.<br />

MÜNSTER war Herausgeber der in Basel publizierten Cosmographica, Das ist die Beschreibung der<br />

ganzen Welt. Die erste Auflage erschien 1544, sie erlebte mehrere Auflagen, die letzte 1628.<br />

3 Das Diarium erschien von 1659 bis 1683 und schöpfte seine Informationen aus Messrelationen,<br />

Flugblättern und -schriften sowie Zeitungen. Vgl. STÖBER, Rudolf: Deutsche Pressegeschichte –<br />

Einführung, Systematik, Glossar, Konstanz 2000, S. 43 u. 275 [siehe Tafelteil I; Abb. I/ 4].<br />

4 HALLE, J., Katalog 70: Newe Zeitungen – Relationen, Flugschriften, Flugblätter, Einblattdrucke von<br />

1470 bis 1820, München 1929, S. 1 Nr. 2.<br />

-3-


ÜBER CHRONIKEN, FLUGBLÄTTER UND NEWE ZEYTTUNGEN<br />

Drei Jahre später erschien bei Johann Schönsperger in Augsburg, der so genannte<br />

Kleine Schedel. Wieder wird der Tod des „Simeon, sellig kindlein zu Trient“ thematisiert<br />

und mit einer neuen Abbildung versehen. 5 Fast hundert Jahre später (1580) wird<br />

der Fall erneut aufgegriffen, diesmal in der Cosmographica: „Im jar anno Christi 1475<br />

verlor ein gerber zu Triendt ein Kind zweyer jar alt in der Charwochen. ... die Juden<br />

zwackten es mit Zangen und stachen es, spannten es an ein Creuz, gleich wie Christus<br />

am Creuz aufgespannet was worden, biß es starb.“ 6 Jetzt wurde Simeon <strong>als</strong>o nicht nur<br />

gemartert, sondern auch noch gekreuzigt. Natürlich ist die „neue“ Grausamkeit ebenfalls<br />

im Bild dargestellt. Wir verfügen somit - für ein Ereignis - über drei verschiedene<br />

Texte und Illustrationen, die alle nur der Fantasie der jeweiligen Künstler entsprungen<br />

sind. Nachrichten und Bilder wie diese haben die Vorstellung der Menschen von<br />

den Juden entscheidend geprägt. An „Simeon aus Trient“ zeigt sich darüber hinaus<br />

exemplarisch, wie die frühen Flugblätter und Einblattdrucke Eingang in die chronikalischen<br />

Werke gefunden haben. 7<br />

Angebliche Ritualmorde an Christen oder deren Kreuzigung waren immer wiederkehrende<br />

Vorwürfe gegen die Juden. In der Schedelschen Weltchronik findet sich<br />

schon 1493 eine weitere Szene über die angebliche Kreuzigung eines Kindes in England:<br />

„Wilhelmus ein Kind in engelland wardt dieser zeit von den iuden am karfreytag<br />

in der statt norwico gekreuzigt. Von dem liset man danach ein wunderlichs gesichte.“<br />

8<br />

Es gab aber auch schon frühe Meldungen über die Verfolgung und Tötung von Juden.<br />

Die Auflage der Cosmographica aus dem Jahr 1590 9 berichtete über den Tod von<br />

40 Juden in Gallia (Frankreich): „Es wurden ....zu Victry 40 Juden gefangen und alß<br />

sie wol gedenke mochten, daß sie dem Todt nicht entrinne möchten, erwehlten sie<br />

zwe auß ihnen, die die anderen tödteten, damit sie vor der Christen Henden nicht<br />

gepeinigt wurden. Unnd da der eltest unnd der jüngst diese Sach vollstreckt hetten<br />

unnd auff sie zwen alle Todt waren, bat der eltest den jüngern, daß er ihn tödtet, das<br />

thet er. Darnach nam er alles Gold das er bey ihnen fand unnd macht ... ein Seyl<br />

unnd ließ sich damit hinab. Aber er war dem Seyl zu schwer: dann es zerbrach eh er<br />

hinab kam unnd auß dem hohen fall, den er in den Graben thet, zerbrach ihm ein<br />

Schenkel, da ward er gefangen unnd mit dem Todt gestrafft.“<br />

5 Siehe Tafelteil I; Abb. I/ 1.<br />

6 Cosmographica 1580, Blatt CCCXLII [siehe Tafelteil I; Abb. I/ 2].<br />

7 In diesem Zusammenhang dürfen die vielen Flugschriften der Reformationszeit nicht außer Acht<br />

bleiben. Insbesondere Martin LUTHERS Schrift aus dem Jahr 1543 „Von den Juden und ihren Lügen“<br />

trug viel zur Vergiftung des christlich-jüdischen Verhältnisses bei. Er verbreitete darin seinen<br />

treuen Rat: Verbrennt die Synagogen, brecht ihre (sc. der Juden, Anm. d. Verf.) Häuser auf und<br />

zerstört sie, nehmt alle Gebetsbücher und den Talmud fort, [... usw.]. Bis zum letzten Rat: „Darum<br />

immer weg mit ihnen!“ Viele dieser Forderungen dienten Jahrhunderte später den Nation<strong>als</strong>ozialisten<br />

<strong>als</strong> Rechtfertigung für ihre Mordtaten.<br />

8 Weltchronik 1493, Blatt CCI; vgl. oben, Anm. 1.<br />

9 Siehe Tafelteil I; Abb. I/ 3.<br />

-4-


ÜBER CHRONIKEN, FLUGBLÄTTER UND NEWE ZEYTTUNGEN<br />

Wie der vermeintliche Ritualmord, so sollte auch die Beziehung der Juden zu Geld<br />

und Gold immer wieder in den Meldungen und Nachrichten auftauchen. Auch Verschwörungstheorien,<br />

meist mit der erkennbaren Absicht, den Juden Geld und Privilegien<br />

abzupressen, wurden immer wieder geäußert. Die Warhafftige Newe Zeyttung<br />

von einem Trewlosen Juden Doctor genandt Leüpold schilderte 1573 einen derartigen<br />

Fall. 10 Ein Berliner Münzpräger, der Jude Lippold, habe sich mittels Alchemie die<br />

Gunst des Kurfürsten erschlichen. Als der Fürst erkrankte, habe Lippold „mit dem<br />

Geschmeiß, den Juden von Berlin“, beratschlagt, wie er den Kurfürsten töten könnte.<br />

Er habe ihm dann einen Gifttrunk verabreicht, an dem der Herrscher einige Tage<br />

später verstorben sei. Sofort seien die Juden in Verdacht geraten; Lippold sei gefoltert<br />

worden und habe nach schrecklichen Torturen die Tat gestanden. Daraufhin habe der<br />

junge Markgraf alle Juden des Landes verwiesen, nicht ohne vorher deren ganzen<br />

Besitz zu konfiszieren.<br />

Auch aus Wien wurden die Juden vertrieben, wie 1670 die Jüdische neue Zeitung<br />

vom Marsch aus Wien und anderen Orten belegt. 11 Das war überhaupt eine beliebte<br />

Geldquelle der macht- und geldgierigen Fürsten: Wurden die Juden erst, natürlich<br />

unter Konfiszierung ihres Vermögens, vertrieben, durften Sie dann später meist gegen<br />

Zahlung eines „Schutzgeldes“ zurückkehren. Den Versuch der 1670 vertriebenen<br />

Wiener Juden, eine Rückkehrerlaubnis zu „erkaufen“, beschreibt die Märzausgabe des<br />

Diarium Europaeum von 1675: „Zu Wien befanden sich Jüdische Abgeordnete mit<br />

Interessionen, welche sich erboten, dafern Se. Kayserl. Mayt. einer gewissen Anzahl<br />

wieder dahin zu kommen allergnädigst erlauben wollte, zehen Regimenter zu Pferde<br />

und Fuß zu werben und eine Zeitlang zu unterhalten. Es verlautete aber, daß sie<br />

trostloß abgefertigt wären worden.“<br />

Den Berliner Juden war Anfang des 17. Jahrhunderts die Rückkehr gestattet worden,<br />

wobei nur die Juden, die für Stadt und Land finanziell oder wirtschaftlich von<br />

Interesse waren, einen so genannten Schutz- oder Geleitbrief erhielten. Schon 1684<br />

finden sich in der Ordentlichen Wochentlichen Post-Zeitung aus München Meldungen<br />

über eine erneute Vertreibung der Juden: „Auß Berlin vom 8. Februarij (1684).<br />

Jetzto werden alle Juden zu Cöln an der Spree vors Gericht gefordert; die so nicht<br />

spezial Privilegia haben, sollen alle fort, aber vorhero eine grosse Straffe erlegen, weilen<br />

sie dem ersten Befehl nicht gehorsamet unnd sich weggemacht haben.“ 12 Zwanzig<br />

Jahre später kann man im Hildesheimer Relations Courier vom 21. November 1705<br />

erneut Meldungen über die Ausweisung Berliner Juden lesen: Berlin, vom 17. Novembr.<br />

Verwichenen Sonnabend ist allhier durch öffentlichen Tromelschlag publici-<br />

10 Vgl. HORTZITZ, Nicoline: Von den unmenschlichen Taten des Totengräbers Heinrich Krahle zu<br />

Frankenstein ... und andere warhaftige „Neue Zeitungen“ aus der Frühzeit der Sensationspresse,<br />

Frankfurt 1997.<br />

11 Vgl. GILHOFER & RANSCHBURG: Katalog 183 – Frühe Zeitungen, Wien o.J. (um 1922), S. 79 [siehe<br />

Tafelteil I; Abb. I/ 5].<br />

12 BUCHNER, Eberhard: Das Neueste von gestern. Kulturgeschichtlich interessante Dokumente aus alten<br />

deutschen Zeitungen, Erster Band, S. 173 Nr. 335.<br />

-5-


ÜBER CHRONIKEN, FLUGBLÄTTER UND NEWE ZEYTTUNGEN<br />

ret worden, daß alle die Juden so keinen Geleitbrief haben, innerhalb 14 Tagen sich<br />

von hier wegbegeben sollen. 13<br />

Auch der bis in die heutige Zeit immer wieder geäußerte Vorwurf gegen „Jüdische<br />

Wucherer“ wurzelt tief in den Überlieferungen des Mittelalters. Im Katalog des Antiquariats<br />

Halle findet sich das Judenmandat von 1540 des Walter von Cronberg, dem<br />

Administrator des Hochmeistertums in Preußen, das sich „gegen lesterlich wucher<br />

unnd betrüglich gewerb und handelung der Juden“ wendet und die Anweisung enthält,<br />

„das jr weder heymlich noch offentlich hinfüro von Juden nichts entlehendt, Mit<br />

jnen handtierendt, noch sonst in eynigen wucherlichen handel einlassent.“ Den Juden<br />

wird auferlegt, „sich wucherlichs anlehens und hantierung mit bemelten unsern underthonen<br />

zu enthalten“. 14 Natürlich wurde bei derartigen Meldungen nicht erwähnt,<br />

dass den Juden die Zünfte und das Handwerk verschlossen blieben und sie deshalb<br />

überwiegend nur Hausiererei, Handel und eben Geldgeschäfte betreiben konnten. In<br />

der Montäglichen Wochenzeitung vom 6. 16. November 1682 findet sich folgende<br />

„Wucher-Meldung“ aus Rom: „Weiln es die Juden allhier mit ihrem schandlichen<br />

Gelt-Wucher allzu viel machen, da sie auf Pfand um 12. von 100. Gelt leihen, hat der<br />

Papst wider ein scharpfes Verbott außgehen lassen und will dagegen den armen<br />

Leuthen mit Gelt zubegegnen.“ 15<br />

Ein auffallendes und immer wiederkehrendes Merkmal der Berichterstattung war<br />

der Zusatz „Jude“ oder „jüdisch“. Betraf eine Meldung den jüdischen Lebenskreis,<br />

dann hieß es: der Jude, die Jüdin hat dies oder jenes getan. Bei Katholiken, Lutheranern<br />

oder Protestanten finden sich derartige „Ergänzungen“ nicht. Wurde <strong>als</strong>o über<br />

vermeintliche Vergehen und Verbrechen oder „Wunderzeichen“ berichtet, so fiel<br />

allein durch die spezielle Bezeichnung der Juden ein negatives Bild auf diese Religionsgemeinschaft.<br />

Ein typisches Beispiel für diese „Stigmatisierung“ zeigt die Wunderzeitung<br />

von 1579, in der über eine schwangere „Jüdin!“ berichtet wurde: „Eine gewisse<br />

Wunderzeitung von einer schwangeren Jüdin zu Binzwangen, vier Meil von Augsburg,<br />

welche kürzlich den 12. Dezembris des nächstverschienenen 74. Jahrs anstatt<br />

zweier Kinder zwei leibhaftige Schweinlin oder Färlin gebracht hat.“ 16<br />

13 Hildesheimer Relations Courier vom 21. November 1705.<br />

14 Vgl. HALLE, J., a.a.O., S. 89 Nr. 264. Das Flugblatt ist datiert: Mergentheim 22. Sept. 1540.<br />

15 Die Montägliche Wochenzeitung erschien in Luzern. Bei der Datumsangabe wurde der Tag sowohl<br />

nach dem julianischen (6. November) <strong>als</strong> auch nach dem gregorianischen (16. November) Kalender<br />

angegeben [siehe Tafelteil I; Abb. I/ 6].<br />

16 SCHOTTENLOHR, K./ BINKOWSKI, J.: Flugblatt und Zeitung, Band I, München 1985, S. 223.<br />

-6


TAFELTEIL I<br />

TAFELTEIL I


TAFELTEIL I


TAFELTEIL I<br />

ABB. I/ 1<br />

„Simeon, das sellig kindlein zu Trient“,<br />

Kleine Schedelsche Weltchronik von 1496,<br />

Hrsg.: Johann Schönsperger, Augsburg.


TAFELTEIL I<br />

ABB. I/ 2<br />

„Im jar anno Christi 1475 verlor ein Gerber zu Triendt ein Kind“,<br />

(Der Tod des Simeon von Trient).<br />

Cosmographica, Das ist die Beschreibung der ganzen Welt,<br />

Sebastian Münster, Basel 1580.<br />

Im Gegensatz zur Meldung in der Weltchronik von 1496 wird nun,<br />

1580, von der Kreuzigung des Simeon von Trient berichtet.


TAFELTEIL I<br />

ABB. I/ 3<br />

„Juden getödt“,<br />

1590 berichtete eine spätere Ausgabe der Cosmographica<br />

über den Tod von 40 Juden in Gallia (Frankreich).


TAFELTEIL I<br />

ABB. I/ 4<br />

„Jüdischer Abgeordneten erbieten zu Wien wegen<br />

Wiederauffnehmung derselbigen in gedachte Stadt.“<br />

Die aus Wien vertriebenen Juden bieten dem Kaiser Geld<br />

für die Ausstattung der Armee an, damit ihnen<br />

die Rückkehr nach Wien erlaubt wird.<br />

Diarium Europaeum, März 1675.


TAFELTEIL I<br />

ABB. I/ 5<br />

„Jüdische neue Zeitung vom Marsch aus Wien und anderen Orten“,<br />

Die Vertreibung der Judenschaft aus Städten und Gemeinden<br />

war eine bequeme Gelegenheit, die „Haushalte zu sanieren“.<br />

Natürlich wurden Schulden oder Anleihen bei Juden nicht beglichen!<br />

Gilhofer & Ranschburg, Katalog 183 – Frühe Zeitungen, Wien o.J.


TAFELTEIL I<br />

ABB. I/ 6<br />

„Weiln es die Juden allhier mit ihrem schandlichen Gelt-Wucher allzuvil machen,<br />

da sie auf Pfand um 12. von 100. Gelt leihen, hat der Papst wider ein scharpfes Verbott<br />

außgehen lassen und wil dagegen den armen Leuthen mit Gelt zubegegnen [...].“<br />

Montägliche Wochenzeitung, Luzern, vom 6. 16. November 1682.


DAS BILD DER JUDEN IN DER PRESSE DES 18. JAHRHUNDERTS<br />

DAS BILD DER JUDEN IN DER PRESSE DES 18. JAHRHUNDERTS<br />

Von Zeitungen im heutigen Sinn des Wortes sprechen wir erst seit Anfang des<br />

17. Jahrhunderts. Handel und Wandel verbanden schon dam<strong>als</strong> die Länder und Regionen<br />

miteinander. Die großen Handelshäuser Fugger und Welser, sowie die Thurn<br />

und Taxis’schen Postlinien wollten und mussten wissen, was sich entlang der Handels-<br />

und Postwege ereignete. Die zumeist auf brieflichem Wege einkommenden<br />

Neuigkeiten, wurden zunächst nur für eigene wirtschaftliche Zwecke und zur Information<br />

der Fürsten genutzt. Rasch erkannte man jedoch, dass sich auch mit der Ware<br />

„Nachricht“ gute Geschäfte machen ließen. So ist es nicht verwunderlich, dass die<br />

ersten Flugblätter und Flugschriften entlang der großen Handelsrouten und an bedeutenden<br />

Messe- und Handelsplätzen wie Nürnberg, Augsburg, Frankfurt, Straßburg<br />

und Leipzig herausgegeben wurden. In Straßburg lässt sich seit 1605 die erste periodisch<br />

erscheinende Wochenzeitung, die Relation des Buchhändlers und Druckers<br />

Johann Carolus, nachweisen. 1 Schon 1609 folgte in Wolfenbüttel der Aviso des Druckers<br />

Julius Adolph von Söhne. In rascher Folge kamen um 1620 auch in Berlin, Hildesheim,<br />

Frankfurt am Main, Hamburg, Danzig, Köln, Stuttgart und einigen anderen<br />

Städten ähnliche Blätter auf den Markt. Die Wirren des Dreißigjährigen Krieges<br />

weckten insbesondere in den Städten die Nachfrage nach aktuellen Informationen.<br />

Diesem gesteigerten Interesse ist es sicher zuzuschreiben, dass die Zeitungen schon<br />

bald nicht mehr nur wöchentlich, sondern zwei oder gar drei Mal in der Woche herausgegeben<br />

wurden. Timotheus Ritzsch, Drucker und Verleger in Leipzig, brachte<br />

1650 die „Einkommende Zeitung“ <strong>als</strong> erste Tageszeitung heraus. Sie wurde sechs Mal<br />

in der Woche gedruckt, umfasste vier Seiten, und erschien ab 1734 bis 1921 unter<br />

dem Namen Leipziger Zeitung. Die Tageszeitung setzte sich aber nur langsam durch.<br />

Viele Zeitungen erschienen nach wie vor wöchentlich oder an mehreren Wochentagen.<br />

1705 wurde dann in Hildesheim die älteste, noch heute erscheinende, deutsche<br />

Tageszeitung, der Hildesheimer Relations Courier, gegründet. Im April 2005 konnte<br />

das traditionsreiche Blatt, das heute den Namen Hildesheimer Allgemeine Zeitung<br />

trägt, sein dreihundertjähriges Bestehen feiern.<br />

Neben den Tages- und Wochenzeitungen wurden in der ersten Hälfte des<br />

18. Jahrhunderts Intelligenzblätter (engl. »intelligence«: Nachrichtendienst, Information)<br />

gegründet. Sie wurden zunächst <strong>als</strong> staatliche Informationsblätter ausgegeben,<br />

mit deren Hilfe die Obrigkeit Bekanntmachungen, Nachrichten und Berichte verbrei-<br />

1 Das Gutenberg-Museum der Stadt Mainz zeigt aus diesem Anlass im 2. Halbjahr 2005 die Jubiläumsausstellung<br />

„Schwarz auf Weiß. 400 Jahre Zeitung – ein Medium macht Geschichte“.<br />

- 15 -


DAS BILD DER JUDEN IN DER PRESSE DES 18. JAHRHUNDERTS<br />

tete. Schon bald wurden sie um Handelsnachrichten, private Anzeigen sowie gelehrte<br />

und belehrende Aufsätze und Beiträge ergänzt.<br />

Die Vielzahl der sich nun auf dem Markt befindlichen Zeitungen und Intelligenzblätter<br />

brachte es mit sich, dass Art und Umfang der Meldungen sich veränderten.<br />

Schließlich sollten die Zeitungen einerseits Abonnenten und Leser informieren und<br />

unterhalten, aber andererseits den staatlichen Auflagen der Zensur gerecht werden.<br />

Freie Meinungsäußerung war seitens der Obrigkeit nicht erwünscht. Privilegien zur<br />

Herausgabe von Zeitungen und Intelligenzblättern wurden deshalb nur unter strengen<br />

Auflagen und mit dem Verbot, sich kritisch über politische und religiöse Themen<br />

zu äußern, erteilt. Zusätzlich wachte ein Heer von Zensoren über die Einhaltung der<br />

staatlichen Vorgaben. So ist es nicht verwunderlich, dass man in den historischen<br />

Gazetten viel über Weltereignisse auf den Osterinseln oder im fernen China und<br />

Amerika, jedoch kaum etwas über die politische Entwicklung in Deutschland nachlesen<br />

kann.<br />

Leider erstreckten sich die staatlichen Vorgaben nicht auf die Berichterstattung<br />

über die Juden. Im Gegenteil, die aus dem Mittelalter überkommenen Abneigungen<br />

und Vorurteile wurden auch im 18. Jahrhundert gepflegt und in manchen Publikationen<br />

sogar noch verschärft wiedergegeben. So ist es leider keine Überraschung, dass<br />

1723 in den Wöchentlichen Relationen aus Halle, über eine neue Vertreibung von<br />

Juden aus Wien zu lesen war: „Den 7. April haben Ihro Kayserl. Maj. durch ein öffentlich<br />

Patent anzeigen lassen, daß, weil das dem Juden Emanuel Oppenheimer ehem<strong>als</strong><br />

verliehene Privilegium, mit seiner Familie in Wien zu wohnen, den 2. Jun. zu<br />

Ende gehe, und nicht verlängert werden sollte, Ihro Kaiserl. Maj. alle unter diesem<br />

Schutz gestandene und ohne Privilegium eingeschlichene Juden herausgeschafft wissen<br />

wollten.“ Die Androhung der Abschiebung zeigte wieder die gewünschte Wirkung.<br />

Zehn Wochen später informierten die Wöchentlichen Relationen darüber,<br />

dass: „Die Juden zu Wien, die sich von dar weg begeben, sollen 500 000 fl erlegte haben,<br />

damit sie ferner bleiben dürfen. 2 Der Wiener Hof war überhaupt besonders einfallsreich,<br />

wenn es darum ging, die Juden zu „freiwilligen“ Zahlungen zu bewegen.<br />

Damit diese auch geleistet wurden, sprach man zunächst ein Verbot aus, welches der<br />

Kaiser dann gnädigst, gegen Zahlung einer „Entschädigung“ zurückzunehmen geruhte!<br />

Die Berlinische Zeitung beschrieb so ein Geschäft: „Wien, den 21. Jan. (1728).<br />

Nächstens soll allhier wie im ganzen Königreich Böhmen die Verordnung publiciret<br />

werden, daß bey der Judenschaft den jungen Leuten nicht mehr so häufig zu heyrathen,<br />

sondern solches nur den ältern Sohn und Tochter verstattet werde.“ 3 Diese<br />

infame Verordnung, die letztendlich darauf hinauslief, die Geburtenrate der Juden zu<br />

senken, veranlasste die Juden, dem Kaiser einen „Kredit“ zu gewähren, wie später in<br />

der Zeitung zu lesen war. Darin hieß es: „Wien, den 11. Jan. (1730). Weil die Juden<br />

2 Wöchentliche Relationen, Halle, Nr.17 u. 27/1723. BUCHNER, Eberhard: a.a.O., Zweiter Band,<br />

S. 103 Nr. 169 u. 169a.<br />

3 Berlinische privilegirte Zeitung, Nr. 19/1728.<br />

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dem Kayser 400 000 fl. vorgeschossen, so meynet man, daß das vor einiger Zeit wegen<br />

Einschrenckung der Heyrath ihrer Kinder ergangene Edict wieder aufgehoben werden<br />

dürffte.“ 4<br />

Solche „Sonderopfer“ brachten den Juden freilich nur kurze Atempausen. 1745 berichteten<br />

die Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen in mehreren<br />

Bekanntmachungen und Meldungen von ihrer erneuten Verbannung: „Wien, vom<br />

1. Januarii. Die Königin hat folgendes bekannt machen lassen: Maria Theresia etc. Wir<br />

haben aus verschiedenen sehr wichtigen Ursachen die Entschliessung gefasst, künftig<br />

keinen einzigen Juden in Unserm Königreich Böhmen zu dulden, und soll unser Wille<br />

in diesem Stück folgender massen zur Wirklichkeit gebracht werden: Den letzten<br />

Januarii 1745 darf sich kein Jude mehr in Unserer Haupt-Stadt Praag befinden, wenn<br />

sich nach gemeldeter Zeit noch etwa Juden daselbst aufhalten möchten, so soll man<br />

sie mit gewaffneter Hand von dannen vertreiben.“ Damit den Juden Zeit blieb, ihre<br />

administrativen, besonders aber finanziellen Angelegenheiten zu regeln, wurde ihnen<br />

gestattet, sich noch sechs Monate im Königreich Böhmen aufzuhalten. Nach diesen<br />

sechs Monaten „müssen alle Juden Unser ganzes Königreich Böhmen vollständig räumen,<br />

und wenn sie solches nicht thun, soll man sie durch militärische Execution dazu<br />

zwingen. ... so daß am Ende des Monaths Junii 1745 kein einziger Jude mehr in Unserm<br />

Königreiche seyn darf, und ausser dem, sollen sie sich auch nicht in Unserm<br />

übrigen Erb-Staaten setzen können. ... Geschehen zu Wien, den 19ten Decembr.<br />

1744.“ 5 Nach Aussage der Berlinischen Nachrichten waren von dieser Ausweisung<br />

allein in Prag 8 000 und im gesamten Königreich Böhmen 32 000 Familien betroffen.<br />

Wenn man den Kinderreichtum der Familien berücksichtigt, so waren sicher weit<br />

über 200 000 Menschen bedroht. Ein möglicher Exodus solchen Ausmaßes hätte auch<br />

die Nachbarstaaten vor unlösbare Probleme gestellt. Die Niederlande, Polen und England<br />

intervenierten deshalb in Wien, wie die Zeitung am 27. Januar ihren Lesern mitteilte:<br />

„Die hiesigen Juden haben eine neue Deputation an die Königin (sc. Maria Theresia,<br />

Anm. d. Verf.) abgesendet, und die Seemächte, nebst dem König von Pohlen,<br />

scheinen sich noch immer zum Besten dieser Nation Mühe zu geben.“ Zunächst verhallten<br />

diese Appelle ungehört, die Vertreibung wurde planmäßig in Angriff genommen:<br />

„Praag, vom 5. May. Die sämtlichen Juden befinden sich nunmehro ausser der<br />

Stadt, auf dem Lande, bis auf 40 der vornehmsten und reichsten, welche wegen der<br />

in- und ausserhalb des Landes gemachten Schulden der Judenschaft <strong>als</strong> Geiseln hier<br />

bleiben müssen. ... Die mehresten (sc. Juden, Anm. d. Verf.) wenden sich nach Pohlen,<br />

desgleichen nach Altona. In Hamburg will man nur reiche einlassen. Viele von<br />

ihnen haben, nebst ihrer Familie, den Christlichen Glauben angenommen, und sich<br />

tauffen lassen, damit sie ferner hier bleiben dürfen.“ Der Austreibung der Juden aus<br />

Prag folgten weitere diplomatische Demarchen und eindringliche Bitten der Juden<br />

Böhmens. Was letztendlich die Meinung Maria Theresias beeinflusste, bleibt unbe-<br />

4 Berlinische Zeitung, Nr. 10/1730.<br />

5 Berlinische Nachrichten, Nr. V vom 12. Januar 1745.<br />

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kannt, jedenfalls konnte man im August 1745 in der Berlinischen Zeitung die Anzeige<br />

über die Aufhebung des Verbannungsedikts verfolgen: „Wien, vom 12. August. Nachdem<br />

die Königin die Verordnungen, welche Sie zur Verbannung der Juden aus Dero<br />

Landen ergehen lassen, wieder aufgehoben, so treibet beregte Nation anjetzo in den<br />

Königl. Landen ihren Handel auf eben den Fuß, wie vorm<strong>als</strong>.“ 6<br />

Die Taufen und Zwangstaufen von Juden stellen ein weiteres Thema dar, das sich<br />

wie ein roter Faden durch die Berichterstattung der Jahrhunderte zieht. In der Königlich<br />

Preußische Fama aus Königsberg konnte man schon 1731 über eine Taufe und<br />

deren schrecklichen Folgen lesen: „Grodno vom 5. April, Nachdem man vor einiger<br />

Zeit einen zum Christenthum bekehrten Juden, welcher aber nachgehends von den<br />

hiesigen Juden zum Abfall wieder gezwungen worden war, gefänglich eingezogen, so<br />

haben die hiesigen Juden-Aeltesten diesen Abtrünnigen eine Flasche Meth, gleichsam<br />

zu Bezeugung ihrer Commiseration, ins Gefängnis geschicket, welcher Meth aber<br />

durch die Wache dem Arrestanten nicht ausgehändiget, sondern ausgetrunken worden,<br />

welche denn Tages darauff, weil er vergiftet gewesen, davon sterben müssen;<br />

Deswegen auch die Juden-Aeltesten beym Kopff genommen worden.“ 7 Unabhängig<br />

davon, welchen Wahrheitsgehalt man heute dieser Meldung beimisst, so belegt sie<br />

doch eindrucksvoll die damalige Problematik der „freien“ Religionsausübung. Während<br />

Christen die Konversion eines Juden <strong>als</strong> Sieg feierten, wurde der Übertritt von<br />

den jüdischen Glaubensgenossen <strong>als</strong> Verrat am Glauben der Väter empfunden.<br />

Die Berlinische Zeitung schilderte im Februar 1738 ein Ereignis, welches für lange<br />

Zeit das Verhältnis zwischen jüdischen und nichtjüdischen Bürgern in Deutschland<br />

vergiften, und noch zweihundert Jahre später den Nation<strong>als</strong>ozialisten <strong>als</strong> Vorlage für<br />

eine der übelsten Propagandaaktionen gegen die Juden dienen sollte. Der Bericht<br />

drehte sich um den Prozess und die Hinrichtung des Württembergischen Finanzrats<br />

(Minister) Joseph Süß Oppenheimer. 8 Mit deutlich erkennbarer Sensationslust beschrieb<br />

die Zeitung zunächst die Gefangennahme Oppenheimers: „Stuttgard, vom 1.<br />

Februarii (1738). Der berüchtigte Ebräische Finanz-Rath Joseph Süß Oppenheimer<br />

hielt vorgestern unter der Bedeckung einer Compagnie Grenadiers von den Schlosse<br />

Hohen-Aschberg seinen öffentlichen Einzug in das hiesige Stadt-Gefängniß mit folgendem<br />

Gepränge. Er saß in einer offenen Chaise, war mit eisernen Geschmeide<br />

reichlich gezieret, trug einen Rock von rothem seidenem Zeuge, und eine Weste von<br />

grünem seidenen Zeuge, starck chameriret. In der Chaise befanden sich 2 Grendiers,<br />

noch einer war hinten, und etliche sahe man an der Seite. Es ist ihm angekündigt<br />

worden, daß er sich zum Tode vorbereiten soll, das Urteil selbst hat man ihm noch<br />

nicht vorgelesen. Er bezeuget eine besondere Standhaftigkeit; allein die blasse Farbe,<br />

und das verfallenen Gesichte entdecken seine Todesangst zur Genüge. Er will <strong>als</strong> ein<br />

6 BUCHNER, Eberhard: a.a.O., Zweiter Band, S. 413 ff. Nr. 823, 823a, 825, 827a, und 830.<br />

7 Königlich Preußische Fama, Königsberg, Nr. 35 vom 30. April 1731 [Titelseite, siehe Tafelteil II;<br />

Abb. II/ 1].<br />

8<br />

Zu dieser Causa siehe auch Tafelteil II; Abb. II/ 2.<br />

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Jude sterben, und wenigstens hat er weder einen Catholischen noch Protestantischen<br />

Geistlichen verlanget. Man wird ihn an den eisernen Galgen hencken, an welchem<br />

unter der Regierung des Herzogs Friedrich im Jahr 1597 ein betrügerischer Gold-<br />

Kocher seine letzten Cabriolen schnitte. Es wird Tag und Nacht an einem eisernen<br />

Kefig, von 6 Fuß hoch, gearbeitet, den man an dem Galgen veste machen will, und<br />

darinnen dieser Jude seine Reise in die andere Welt antreten soll. Auf den 4ten<br />

Februarii ist die Execution vest gesetzt.“ 9<br />

Tatsächlich wurde das Urteil am 4. Februar 1738 verkündet und Oppenheimer<br />

noch am gleichen Tag hingerichtet. Die Vollstreckung des Urteils fiel in eine Zeit, in<br />

der Hinrichtungen öffentlich durchgeführt wurden und nicht selten zur „Volksbelustigung“<br />

dienten. Die Berlinische Zeitung trug denn auch der Sensationslust ihrer Leser<br />

mit einer „farbigen“ Schilderung der Stuttgarter Ereignisse Rechnung: „Heute<br />

früh, gegen 8 Uhr, holete man den Juden Joseph Süß Oppenheimer aus dem Gefängniß,<br />

worin er sich seit dem 30. des abgewichenen Monaths befand, und brachte<br />

ihn vor die Commißion. Die Herren Commissarii sassen in einem Saal, an einem Tische,<br />

der mit einem rothen Teppich bedeckt war, und so bald der Jude selbige sahe,<br />

bat er kniend mit dem allerdemüthigsten Ausdrücken um Gnade; man befahl ihm<br />

aber, daß er schweigen, und sein Urtheil anhören sollte. Er stand demnach wieder<br />

auf, hörete mit aller Gelassenheit das Urtheil verlesen, und sprach nicht ein einziges<br />

Wort, bis er vernahm, daß ihm der Strick zuerkannt sey, weil er das Verderben des<br />

Landes gesucht habe. Hier fing er mit ganz erbärmlicher Stimme an, wieder das<br />

Urtheil zu schreyen und zu klagen; er würde auch vielleicht in seiner damahligen<br />

Verzweiffelung noch weiter gegangen seyn, wenn ihm die Henkers-Knechte den<br />

Mund nicht zugehalten hätten.“ Man habe dann die Urteilsverkündung fortgesetzt,<br />

den „Stab über ihn gebrochen“ und ihm die Stücke des Stabes vor die Füße geworfen.<br />

Die Henkersmahlzeit habe Oppenheimer abgelehnt, er sei dann trotz heftiger Gegenwehr<br />

auf den Henkerskarren geworfen und zum Richtplatz gefahren worden. Wieder<br />

widmete die Zeitung der extravaganten Kleidung Oppenheimers breiten Raum: „Er<br />

trug einen Rock von rothem Scharlach, wie auch eine Weste und Hosen von gleichem<br />

Tuche, alles mit kleinen goldenen Tressen besetzt, ferner ein paar weisse neue seidene<br />

Strümpfe, ein Hembde von feiner Holländischer Leinwand, eine schöne Parucke, und<br />

einen Hut ohne Tresse.“ Auf seiner letzten Fahrt sei der Gefangene von einer Compagnie<br />

Grenadiers bewacht worden. Unter dem Galgen angekommen, habe er sich<br />

geweigert, die Leiter zum Käfig hinaufzusteigen. Bei dem dabei entstandenen Gerangel<br />

habe Oppenheimer Parucke und Hut verloren. Die Zeitung fährt dann fort: „Mitten<br />

auf der Leiter drehte sich der Jude um, vermuthlich in der Absicht, noch eine<br />

Rede an das Volck zu halten; allein die beständige Rührung der Trommeln und die<br />

Eilfertigkeit des Scharfrichters verhinderten seinen Vorsatz; denn der Scharfrichter<br />

zog ihn mit ganzer Macht in die Höhe, henckte ihn an einen eisernen Arm, kehrte<br />

den Arm hernach um, steckte den Cörper in einen eisernen Käfig, legte drey grosse<br />

9 Berlinische Zeitung, Nr. 19 vom 13. Februar 1738.<br />

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