Sachaktenerschließung - Fachhochschule Potsdam

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14.03.2013 Aufrufe

kann zu differenzierteren Erkenntnissen im Hinblick auf die Akzeptanz der marxistischleninistischen Lehre, Agitation und Propaganda gelangen. Für allgemeinere Untersuchungen zum Bildungsstand der Mitarbeiter eignen sich die Unterlagen nur bedingt, da es ausnahmslos um rein parteiinterne politisch-ideologische Schulungen, um die staatlich organisierte politische und ideologische Weiterbildung und um die ideologisch umkränzte fachliche Ausbildung, die politisch-operative Arbeit, geht. Die Unterlagen lassen erkennen, wie die im MfS hoch gehaltene Traditionspflege die Beibehaltung proletarischer Verhaltensmuster förderte und zum Beharren auf dem Denken in Klassengegensätzen führte. Auffällig ist nicht nur die in der SED weit verbreitete Abneigung gegen alles Intellektuelle, sondern auch der stete Hang zur Drohgebärde und zur Anwendung von Gewalt. Direkte Bezüge zu den Saalschlachten und den "proletarischen Abreibungen" der Weimarer Republik drängen sich auf. Was die Tätigkeit der Mitarbeiter des Apparates der Kreisleitung der SED im MfS angeht, so wechselten Gedankenarmut, Gleichgültigkeit und Abgebrühtheit einander ab mit Berechnung, Schlauheit und Niedertracht. Die zahlreichen Selbstzeugnisse weithin fehlenden Unrechtsbewusstseins unter den Funktionären finden sich im Teilbestand recht übergangslos neben den nachgeplapperten Bekenntnissen einfacherer Genossen oder der grotesk anmutenden tschekistischen Kunst. Bei einem der führenden Lyriker der Arbeitsgemeinschaft "Schreibende Tschekisten" der SED-KL lassen sich die Irrwege dieses Daseins in pathetisch überhöhtem Stil nachlesen, wie folgt: Rückkehr des Kundschafters Die Jahre ins Gesicht eingemeißelt Wie Jahrzehnte. Damals Bruch mit allen und jedem. Der Auftrag. Danach Lernen. Lernen reden wie SIE, lernen aussehen wie SIE, lernen denken wie SIE, lernen sich zeigen wie SIE und immer sein wie WIR. Die Arbeit: verstellen, verstecken, 36

erkunden, übermitteln, täuschen, und schweigen. Der Lohn: Jahre Frieden. 82 Neben den Mechanismen von militärischer Führung und Gefolgschaft zeigen die Unterlagen den hoch entwickelten Grad an Fürsorge, die der Staat den von ihm korrumpierten Trägern angedeihen ließ. Das reicht von der vergleichsweise besseren Bezahlung, wo mehr als 120.- Mark monatlicher Parteibeitrag keine Ausnahme mehr waren, über die Zuweisung von Wohnungen in bester Lage und die Verteilung von Wochenendgrundstücken bis zur Vermittlung von Urlaubsplätzen im In- und Ausland. Hier lassen die Unterlagen die generell vorhandene überdurchschnittliche Privilegierung der MfS-Angehörigen deutlich werden und auch die fein abgestuften Möglichkeiten der Erlangung zusätzlicher Freiräume in Abhängigkeit von der individuellen Stellung. Nachvollziehbar wird die mit den Jahren zunehmende familiäre Verflechtung der Beziehungen der Mitarbeiter des MfS untereinander, die Kriterien der sozialen Herkunft und politischen Gesinnung standhalten mussten, und die Abschottung dieses Geflechts an Bindungen gegenüber der Gesellschaft außerhalb des Dienstes. Die Unterlagen des Teilbestandes liefern hier den Rohstoff für spezifische Untersuchungen über Zwang und Konsens im MfS, gegenseitige Zuwendung und Überwachung, über das schweigende Dulden und Zustimmen wie auch über die Marotten des Lebens in der Nische, die für die späte DDR so kennzeichnend waren. Der Teilbestand enthält reichlich Information für ein äußerst beschämendes Kapitel zu den disziplinarisch geahndeten moralischen Entgleisungen von MfS-Angehörigen. Bei den zusammenfassenden Berichten oder Vorlagen hierzu handelt es sich allerdings in der Regel nur um die Ausfertigungen von Meldungen, deren Original zeitnah zum Vorkommnis dem Sekretariat des Ministers, dem Büro der Leitung oder der Auswertungs- und Kontrollgruppe der Hauptabteilung Kader und Schulung übergeben wurde. So lässt sich in Unterlagen anderer Provenienz, auf der staatlichen Leitungsebene, oftmals eine noch aussagekräftigere Information finden. Für Milieustudien lohnt sich der Blick auf den unter den Geheimdienstlern weit verbreiteten Alkoholmissbrauch und die in der Parteiorganisation viel diskutierten Fälle außerehelicher Beziehungen, die Vergleichsstudien zu anderen Bereichen in der Gesellschaft nahe legen. Es stellt sich ganz allgemein die Frage, wie sehr darin ein Ausgleich für die ständig erforderliche Selbstkontrolle der Mitarbeiter gesehen werden kann, welche Persönlichkeitsverluste die Anpassung intern hervorrief. Es finden sich die für Dienste üblichen Zeugnisse der Nachsorge gegenüber Ausgeschiedenen und Entlassenen und 82 Arndt Beger. Rückkehr des Kundschafters, in: MfS SED-KL Nr. 4955. 37

erkunden,<br />

übermitteln,<br />

täuschen,<br />

und schweigen.<br />

Der Lohn:<br />

Jahre Frieden. 82<br />

Neben den Mechanismen von militärischer Führung und Gefolgschaft zeigen die Unterlagen<br />

den hoch entwickelten Grad an Fürsorge, die der Staat den von ihm korrumpierten Trägern<br />

angedeihen ließ. Das reicht von der vergleichsweise besseren Bezahlung, wo mehr als 120.-<br />

Mark monatlicher Parteibeitrag keine Ausnahme mehr waren, über die Zuweisung von Wohnungen<br />

in bester Lage und die Verteilung von Wochenendgrundstücken bis zur Vermittlung<br />

von Urlaubsplätzen im In- und Ausland. Hier lassen die Unterlagen die generell vorhandene<br />

überdurchschnittliche Privilegierung der MfS-Angehörigen deutlich werden und auch die fein<br />

abgestuften Möglichkeiten der Erlangung zusätzlicher Freiräume in Abhängigkeit von der<br />

individuellen Stellung. Nachvollziehbar wird die mit den Jahren zunehmende familiäre<br />

Verflechtung der Beziehungen der Mitarbeiter des MfS untereinander, die Kriterien der<br />

sozialen Herkunft und politischen Gesinnung standhalten mussten, und die Abschottung<br />

dieses Geflechts an Bindungen gegenüber der Gesellschaft außerhalb des Dienstes. Die<br />

Unterlagen des Teilbestandes liefern hier den Rohstoff für spezifische Untersuchungen über<br />

Zwang und Konsens im MfS, gegenseitige Zuwendung und Überwachung, über das<br />

schweigende Dulden und Zustimmen wie auch über die Marotten des Lebens in der Nische,<br />

die für die späte DDR so kennzeichnend waren.<br />

Der Teilbestand enthält reichlich Information für ein äußerst beschämendes Kapitel zu den<br />

disziplinarisch geahndeten moralischen Entgleisungen von MfS-Angehörigen. Bei den zusammenfassenden<br />

Berichten oder Vorlagen hierzu handelt es sich allerdings in der Regel<br />

nur um die Ausfertigungen von Meldungen, deren Original zeitnah zum Vorkommnis dem<br />

Sekretariat des Ministers, dem Büro der Leitung oder der Auswertungs- und Kontrollgruppe<br />

der Hauptabteilung Kader und Schulung übergeben wurde. So lässt sich in Unterlagen anderer<br />

Provenienz, auf der staatlichen Leitungsebene, oftmals eine noch aussagekräftigere Information<br />

finden. Für Milieustudien lohnt sich der Blick auf den unter den Geheimdienstlern<br />

weit verbreiteten Alkoholmissbrauch und die in der Parteiorganisation viel diskutierten Fälle<br />

außerehelicher Beziehungen, die Vergleichsstudien zu anderen Bereichen in der Gesellschaft<br />

nahe legen. Es stellt sich ganz allgemein die Frage, wie sehr darin ein Ausgleich für<br />

die ständig erforderliche Selbstkontrolle der Mitarbeiter gesehen werden kann, welche<br />

Persönlichkeitsverluste die Anpassung intern hervorrief. Es finden sich die für Dienste<br />

üblichen Zeugnisse der Nachsorge gegenüber Ausgeschiedenen und Entlassenen und<br />

82 Arndt Beger. Rückkehr des Kundschafters, in: MfS SED-KL Nr. 4955.<br />

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