Sachaktenerschließung - Fachhochschule Potsdam
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dass die Berichte der SED im MfS, da sie auf eine operative Auswertung hin formuliert wurden, sachlicher und genauer sind, als die sonst üblichen Berichterstattungen in der SED. Über vergleichende Recherchen hinaus sind die Unterlagen des Teilbestands SED-KL im MfS natürlich unabdingbar für die Forschung zum MfS selbst. Die Entwicklung der Struktur der Parteiorganisation und der Massenorganisationen im MfS verlief parallel zu der des Dienstes. Die Kreisleitung der SED im MfS hat über die Jahrzehnte der Tätigkeit des MfS alle Strukturveränderungen innerhalb des Dienstes mit vorbereitet und begleitet und dabei auch die Struktur der eigenen Parteiorganisation stets mit verändert. Insofern gibt es auch auf Linie, d. h. nach jeder Provenienz von MfS-Unterlagen, Ablagen und Informationen zur SED-Parteiorganisation. Sie sind je nach Themenstellung und Interesse mit heranzuziehen, bei Forschungen zur Opposition und Kirche anders als bei Forschungen zum Reise- und Transitverkehr, zur Außenpolitik und zur Terrorismusabwehr oder zum Themenkreis Sexualität, Jugend und Familie. Über den Evidenzwert hinaus bemisst sich der Wert von Unterlagen für die Forschung nach den darin enthaltenen Informationswerten. Unter beiden Gesichtspunkten geht es um die Anzahl der konkreten Fragen, die sich an Hand der Informationen des Teilbestandes erschöpfend beantworten lassen. Nicht unerheblich ist dabei das Gewicht der einzelnen Fragestellung, die Aussicht, dass man gerade diese Fragen auf lange Zeit hin immer wieder auf neue Art stellen wird. Eine solche gewichtige und zukunftsträchtige Frage ist die nach dem Verhältnis von SED und MfS, wer wem wie diente und ob das MfS der Staat im Staate war oder nachweislich "nur" das Schild und Schwert der Partei. Dieser Frage sind sowohl die BStU-internen als auch zahlreiche externe Forscher sehr eingehend und mit großem Erfolg an Hand der Unterlagen des Teilbestandes nachgegangen. 71 Für diese Fragestellung legt der Teilbestand "SED-Kreisleitung im MfS" die Verzahnung der Strukturen der SED mit den Mechanismen des Überwachungsapparates wie kaum ein anderer Teilbestand an MfS- Unterlagen bloß. Zudem darf, was die Ernsthaftigkeit des ersichtlichen Planens und Handelns angeht, bei den Unterlagen aus den Führungsbereichen des Apparates der Kreisleitung von einem hohen Wahrheitsgehalt ausgegangen werden. Die Quellen lassen keinen Zweifel darüber, dass das MfS zu jedem Zeitpunkt und in jeder Hinsicht als das bedingungslos agierende bewaffnete Organ im Dienste der Führung der SED tätig wurde. Hier bieten die Unterlagen des Teilbestandes auch sehr intime Innenansichten zu den Ängsten und Wahnvorstellungen der Minderheit, die nach dem Trauma eigener politischer Verfolgung im Nationalsozialismus und nach Krieg und Befreiung mit Hilfe der sowjetischen Besatzungsmacht die Herrschaft im Osten Deutschlands übernahm. Die Blendung mit dem Antifaschismus, die Vorstellung, von Feinden im eigenen Land bedroht und von äußeren umstellt zu sein und die ideologische Verhaftung in der eigenen, nach vorn geschlossenen Weltan- 71 Zu den Arbeiten der Forschungsabteilung der Behörde siehe die Literatur in Anmerkung 68. 30
schauung führten über die militärische Disziplin im MfS geradezu zwanghaft zum Mundtotmachen jeder andersartigen Meinung. Ersichtlich wird, wie das Leugnen von politischen und ökonomischen Tatsachen zu einem schleichenden Wirklichkeitsverlust führte und sich schließlich in die fixe Idee hinein steigerte, dass große Gruppen von Einzelnen irren, die kollektive Führung an der Parteispitze aber nie. Aus den Quellen heraus werden diese Vorstellungen greifbar als die verschiedenen Seiten ein und derselben Neurose der Macht. Der Teilbestand hält hierzu für die Forschung auch wertvolle Informationen zu einzelnen Betroffenen bereit. Darunter finden sich die nichtstalinistischen ehemaligen SED-Mitglieder Robert Havemann, Walter Janka, Wolfgang Harich oder Rudolf Bahro, um den Anfang einer längeren Reihe zu benennen. Anzumerken ist, dass der Teilbestand hier kaum Fakten enthält, die über die Informationen in den großen personenbezogenen Ablagen zu diesen Personen hinausreichen. Der Wert der Sachakten besteht aber gerade darin, dass ihr Inhalt über den Einzelfall hinausweist und ein Abstrahieren ermöglicht. Gegenüber der 57bändigen personenbezogenen Ablage zu Robert Havemann enthält der Sachakt mit der parteiinternen Begründung zur Verfahrensweise in seinem Fall in äußerst knapper Form die Sicht der Parteiführung auf die gesamte Auseinandersetzung um die Wirtschafts- und Kulturpolitik der SED seit 1956. 72 Der Wortlaut der 9 DIN-A-4-seitigen Ausfertigung der Begründung des Büros des Politbüros mit den darin zitierten Positionen Havemanns erhellt das Gewicht dieser Auseinandersetzung, das angesichts der offenen Situation im Jahre 1956 in Ungarn weit über die engen Verhältnisse der DDR hinausreichte. Der Schriftsatz ist geeignet, selbst dem letzten noch lebenden Stalinisten die historische Dimension der Fehlentscheidungen der Parteiführung vor Augen zu führen. Das erste Zitat Havemanns im Anhang der Begründung des ZK in der für parteiinterne Abrechnungen üblichen indirekten Rede lautet: „Die Ereignisse in Ungarn und Polen würden lehren, dass die Volks- massen nach Demokratisierung drängen. Sollte die Partei das zu bremsen versuchen, wird sie von den Massen getrieben und über die- se Bremser (die Partei) wird die Geschichte hinweggehen. Er for- derte, daß man alle Kanäle öffnen müsse. Wenn man sie nicht öff- net, wird es zum Stau kommen. Dann aber würde man möglicherweise wieder sagen, das waren Agenten, wie das im Zusammenhang mit dem 17. Juni 1953 behauptet wird. Es sei jedoch bekannt, dass in der Partei und bei der Bevölkerung eine große Mißstimmung und Unzu- friedenheit vorhanden ist, an der die Partei die Schuld trage; sie liefere den Zündstoff." 73 72 Siehe dazu: Rundschreiben des ZK der SED an die 1. Sekretäre der Bezirks- und Kreisleitungen betreffs Bestätigung des Beschlusses der ZPKK vom 24.06.1964 über den Ausschluß von Prof. Dr. Havemann aus der Partei. Maschinenschriftlicher Durchschlag des parteiinternen Beschlusses des Sekretariats des ZK vom 16. Juli 1964. Vertrauliche Verschlußsache (ZK 02 56/64 – 809), in: MfS SED-KL Nr. 1179. 73 Ebenda, Anhang S. 3. 31
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dass die Berichte der SED im MfS, da sie auf eine operative Auswertung hin formuliert wurden,<br />
sachlicher und genauer sind, als die sonst üblichen Berichterstattungen in der SED.<br />
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MfS natürlich unabdingbar für die Forschung zum MfS selbst. Die Entwicklung der Struktur<br />
der Parteiorganisation und der Massenorganisationen im MfS verlief parallel zu der des<br />
Dienstes. Die Kreisleitung der SED im MfS hat über die Jahrzehnte der Tätigkeit des MfS<br />
alle Strukturveränderungen innerhalb des Dienstes mit vorbereitet und begleitet und dabei<br />
auch die Struktur der eigenen Parteiorganisation stets mit verändert. Insofern gibt es auch<br />
auf Linie, d. h. nach jeder Provenienz von MfS-Unterlagen, Ablagen und Informationen zur<br />
SED-Parteiorganisation. Sie sind je nach Themenstellung und Interesse mit heranzuziehen,<br />
bei Forschungen zur Opposition und Kirche anders als bei Forschungen zum Reise- und<br />
Transitverkehr, zur Außenpolitik und zur Terrorismusabwehr oder zum Themenkreis Sexualität,<br />
Jugend und Familie.<br />
Über den Evidenzwert hinaus bemisst sich der Wert von Unterlagen für die Forschung nach<br />
den darin enthaltenen Informationswerten. Unter beiden Gesichtspunkten geht es um die<br />
Anzahl der konkreten Fragen, die sich an Hand der Informationen des Teilbestandes erschöpfend<br />
beantworten lassen. Nicht unerheblich ist dabei das Gewicht der einzelnen Fragestellung,<br />
die Aussicht, dass man gerade diese Fragen auf lange Zeit hin immer wieder auf<br />
neue Art stellen wird. Eine solche gewichtige und zukunftsträchtige Frage ist die nach dem<br />
Verhältnis von SED und MfS, wer wem wie diente und ob das MfS der Staat im Staate war<br />
oder nachweislich "nur" das Schild und Schwert der Partei. Dieser Frage sind sowohl die<br />
BStU-internen als auch zahlreiche externe Forscher sehr eingehend und mit großem Erfolg<br />
an Hand der Unterlagen des Teilbestandes nachgegangen. 71 Für diese Fragestellung legt<br />
der Teilbestand "SED-Kreisleitung im MfS" die Verzahnung der Strukturen der SED mit den<br />
Mechanismen des Überwachungsapparates wie kaum ein anderer Teilbestand an MfS-<br />
Unterlagen bloß. Zudem darf, was die Ernsthaftigkeit des ersichtlichen Planens und Handelns<br />
angeht, bei den Unterlagen aus den Führungsbereichen des Apparates der Kreisleitung<br />
von einem hohen Wahrheitsgehalt ausgegangen werden. Die Quellen lassen keinen<br />
Zweifel darüber, dass das MfS zu jedem Zeitpunkt und in jeder Hinsicht als das bedingungslos<br />
agierende bewaffnete Organ im Dienste der Führung der SED tätig wurde.<br />
Hier bieten die Unterlagen des Teilbestandes auch sehr intime Innenansichten zu den Ängsten<br />
und Wahnvorstellungen der Minderheit, die nach dem Trauma eigener politischer Verfolgung<br />
im Nationalsozialismus und nach Krieg und Befreiung mit Hilfe der sowjetischen Besatzungsmacht<br />
die Herrschaft im Osten Deutschlands übernahm. Die Blendung mit dem Antifaschismus,<br />
die Vorstellung, von Feinden im eigenen Land bedroht und von äußeren umstellt<br />
zu sein und die ideologische Verhaftung in der eigenen, nach vorn geschlossenen Weltan-<br />
71 Zu den Arbeiten der Forschungsabteilung der Behörde siehe die Literatur in Anmerkung 68.<br />
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