Sachaktenerschließung - Fachhochschule Potsdam

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Nun entsteht aus Archivalien und aus Grundlagenforschung allein noch kein zutreffendes Geschichtsbild. Zur Schieflage in der Aktenöffnung kommt die Gefahr der vorschnellen Deutung im Zuge der zeitnahen Aktenverwertung. Die Informationen zum Leben der Parteiorganisation im MfS bewegen sich wie die aus anderen MfS-Struktureinheiten auch in der Bandbreite von Schrecken bis Banalität, die für MfS-Unterlagen typisch ist. Sie wirken deshalb auf den Forscher wie auf den Leser nicht selten äußerst bestürzend. Bleiben die Umstände der Überlieferung ungenügend berücksichtigt, kann es zu Überinterpretationen einzelner Unterlagen oder Informationen kommen. Über den Forschungsgegenstand MfS oder auch SED im MfS hinaus bieten die Unterlagen des Teilbestandes SED-KL im MfS den Vertretern der renommierten DDR-Forschung heute kaum noch Neues. Vielmehr stellt sich angesichts des Teilbestandes SED-KL im MfS die Frage, ob wir uns nach der zehnjährigen Flut an Veröffentlichungen aus Unterlagen des MfS heute in der Geschichte der Deutschen besser auskennen als vor der Aktenöffnung, oder ob wir nur sehr viel genauer Bescheid wissen um die in der geschlossenen Gesellschaft geheim gebliebenen Details? Die Frage kann nicht uneingeschränkt mit Ja beantwortet werden. Klar ist, dass für die meisten DDR-Forscher die Staatssicherheit erst zum Thema wurde, als sie sich auflöste. Es gibt heute durch die spezielle Publizistik zur Staatssicherheit viel Dokumentation, viel Präzisierung und viele Fakten, die früher gehegte Vermutungen bestätigen. Herrmann Weber warnte 1997 sehr eindringlich vor einer einseitigen, asymmetrischen Aufarbeitung der Geschichte der DDR. 69 Erst die Aufarbeitung diverser Dokumente aus unterschiedlichen historisch relevanten Quellen lässt gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse zu. Bleiben den Forschern einzelne Quellenbereiche verschlossen, so schadet dies der Verifizierung oder Falsifizierung bestimmter Aussagen und damit der Wahrheitsfindung. Der Trend, überraschende Funde zu publizieren, kann den bisherigen Forschungsstand unterminieren. Es handelt sich hierbei nicht allein um einen Reflex aus der schnellen Aktenöffnung, sondern auch um ein um sich greifendes neues Moment in der Informationsgesellschaft. Unsere heutige Gesellschaft neigt dazu, weniger auf die fundierte quellenkritische Kärrnerarbeit zu setzen als auf den schnellen Abgleich der leicht zugänglichen Information von beliebiger Herkunft. In Vergessenheit gerät dabei auch die Gepflogenheit, für andere Forscher und den geneigten Leser stets deutlich anzumerken, wann man sich vom bislang gesicherten Erkenntnisstand löst und darüber hinausgeht oder warum man widerspricht. Die quellenkritische Sicht verlangt, unbedingt die Rahmenbedingungen der Überlieferung des Teilbestandes zu beachten. Diese Umstände sind beim Teilbestand SED-KL im MfS durchaus noch nicht bis ins Letzte geklärt, was sich u. a. in der fehlenden Anbindung des Apparates der Kreisleitung im Organigramm in der BStU-Homepage zeigt (Anlage 3). 69 Hermann Weber. „Asymmetrie" bei der Erforschung des Kommunismus und der DDR-Geschichte? Probleme mit Archivalien, dem Forschungsstand und bei den Wertungen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, B 26/97, S. 3-14. 28

Parteiarbeit gab es im MfS nicht nur in der Kreisleitung, sondern in jeder Diensteinheit. Über grobe strukturelle Anbindungen hinaus sind die Entscheidungswege unterhalb der oberen Ebene weiter heraus zu arbeiten. Auf Grund des hohen Grades an Durchmischung dienstlicher Kompetenzen mit Parteifunktionen und auf Grund der Vielfalt der Aufgabenverknüpfungen innerhalb der Hierarchien bleibt dieser Klärungsprozess schwierig. Das beginnt mit der Frage, wie lange die Weisungskompetenz gegenüber dem MfS noch bei der SMAD lag und ab wann sie nahezu vollständig an das Politbüro überging und was von dort wann der nachgeordneten Abteilung Sicherheitsfragen des ZK der SED überantwortet wurde. Selbst die Verhältnisse zwischen dem Kollegium des MfS und dem Sektor MfS der Abteilung Sicherheitsfragen sind nur durch übergreifende Quellenstudien hinterfragbar. Anhand der Quellen aus unterschiedlicher Provenienz muss noch genauer herausgearbeitet werden, wie sich die Abstimmung der staatlichen Ebene mit der im kleineren Kreis der Entscheidungsträger in der SED im MfS vollzog und wie sich die zentralen parteilichen Vorgaben über die Befehlsstrukturen innerhalb der Stellvertreterbereiche bis hinab auf die unterste Ebene des MfS umsetzten. Für diese Forschung stehen den mittlerweile 211 lfm erschlossener Unterlagen der SED-KL im MfS erst einmal die weitaus umfangreicheren rd. 2850 lfm Schriftgut gegenüber, die das Zentralkomitee der SED im Dezember 1989 hinterließ. Hier zählt die vollständig erschlossene Überlieferung zur Abteilung Sicherheitsfragen mit ihrem Sektor MfS nur 27 lfm. 70 Daneben gibt es in den Landesarchiven der neuen Länder und Berlins die Quellen zur SED auf regionaler Ebene, aus den Bezirksleitungen der SED. Nach beiden Seiten hin enthält der TB SED-KL im MfS parallele Überlieferungen, wie die Beschlüsse des Sekretariats des Zentralkomitees oder die Protokolle der Beratungen mit den 1. Sekretären der Kreisleitungen der SED und andere "graue" Literatur. Der Teilbestand SED-KL im MfS und die Bestände zur SED in den anderen Archiven ergänzen einander durch die konkreten Nachweise über die Umsetzung der zentralen politischen Vorgaben im jeweils nachgeordneten Bereich, MfSseitig vor allem im Hinblick auf die Strategie und Taktik des nackten Machterhalts im Innern. Hier können die Unterlagen des Teilbestandes offen legen, wie die Vorgaben der Parteiführung innerhalb der Geheimpolizei über alle Ebenen bis zum konkreten Einsatz vor Ort methodisch und praktisch umgesetzt wurden. Aus diesem übergreifenden Blickwinkel heraus können sich Analysen zu den speziellen Entscheidungsprozessen in der SED-Führung auf die Dokumentenbasis in Form der Unterlagen des Teilbestandes SED-KL im MfS gründen. Nur so ist an Hand der Unterlagen des MfS eine solide Abrundung der bereits vorliegenden Forschungsergebnisse zum Sicherheitsdenken im ZK der SED und auch zu der einen oder anderen Entscheidungen im Politbüro möglich. Der Forschung kann dabei zu Gute kommen, 70 Siehe: Die Bestände der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv. Kurzübersicht. Edition Colloquium, Berlin 1996, S. 36. 29

Nun entsteht aus Archivalien und aus Grundlagenforschung allein noch kein zutreffendes<br />

Geschichtsbild. Zur Schieflage in der Aktenöffnung kommt die Gefahr der vorschnellen Deutung<br />

im Zuge der zeitnahen Aktenverwertung. Die Informationen zum Leben der Parteiorganisation<br />

im MfS bewegen sich wie die aus anderen MfS-Struktureinheiten auch in der Bandbreite<br />

von Schrecken bis Banalität, die für MfS-Unterlagen typisch ist. Sie wirken deshalb auf<br />

den Forscher wie auf den Leser nicht selten äußerst bestürzend. Bleiben die Umstände der<br />

Überlieferung ungenügend berücksichtigt, kann es zu Überinterpretationen einzelner Unterlagen<br />

oder Informationen kommen. Über den Forschungsgegenstand MfS oder auch SED im<br />

MfS hinaus bieten die Unterlagen des Teilbestandes SED-KL im MfS den Vertretern der renommierten<br />

DDR-Forschung heute kaum noch Neues. Vielmehr stellt sich angesichts des<br />

Teilbestandes SED-KL im MfS die Frage, ob wir uns nach der zehnjährigen Flut an<br />

Veröffentlichungen aus Unterlagen des MfS heute in der Geschichte der Deutschen besser<br />

auskennen als vor der Aktenöffnung, oder ob wir nur sehr viel genauer Bescheid wissen um<br />

die in der geschlossenen Gesellschaft geheim gebliebenen Details?<br />

Die Frage kann nicht uneingeschränkt mit Ja beantwortet werden. Klar ist, dass für die meisten<br />

DDR-Forscher die Staatssicherheit erst zum Thema wurde, als sie sich auflöste. Es gibt<br />

heute durch die spezielle Publizistik zur Staatssicherheit viel Dokumentation, viel Präzisierung<br />

und viele Fakten, die früher gehegte Vermutungen bestätigen. Herrmann Weber warnte<br />

1997 sehr eindringlich vor einer einseitigen, asymmetrischen Aufarbeitung der Geschichte<br />

der DDR. 69 Erst die Aufarbeitung diverser Dokumente aus unterschiedlichen historisch relevanten<br />

Quellen lässt gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse zu. Bleiben den Forschern<br />

einzelne Quellenbereiche verschlossen, so schadet dies der Verifizierung oder Falsifizierung<br />

bestimmter Aussagen und damit der Wahrheitsfindung. Der Trend, überraschende Funde zu<br />

publizieren, kann den bisherigen Forschungsstand unterminieren. Es handelt sich hierbei<br />

nicht allein um einen Reflex aus der schnellen Aktenöffnung, sondern auch um ein um sich<br />

greifendes neues Moment in der Informationsgesellschaft. Unsere heutige Gesellschaft neigt<br />

dazu, weniger auf die fundierte quellenkritische Kärrnerarbeit zu setzen als auf den schnellen<br />

Abgleich der leicht zugänglichen Information von beliebiger Herkunft. In Vergessenheit gerät<br />

dabei auch die Gepflogenheit, für andere Forscher und den geneigten Leser stets deutlich<br />

anzumerken, wann man sich vom bislang gesicherten Erkenntnisstand löst und darüber hinausgeht<br />

oder warum man widerspricht.<br />

Die quellenkritische Sicht verlangt, unbedingt die Rahmenbedingungen der Überlieferung<br />

des Teilbestandes zu beachten. Diese Umstände sind beim Teilbestand SED-KL im MfS<br />

durchaus noch nicht bis ins Letzte geklärt, was sich u. a. in der fehlenden Anbindung des<br />

Apparates der Kreisleitung im Organigramm in der BStU-Homepage zeigt (Anlage 3).<br />

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mit Archivalien, dem Forschungsstand und bei den Wertungen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur<br />

Wochenzeitung Das Parlament, B 26/97, S. 3-14.<br />

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