14.03.2013 Aufrufe

Bericht Thomas Kornek - Sächsische Landeszentrale für politische ...

Bericht Thomas Kornek - Sächsische Landeszentrale für politische ...

Bericht Thomas Kornek - Sächsische Landeszentrale für politische ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Auf den Spuren<br />

der Arabellion<br />

Eine Bildungsreise der <strong>Sächsische</strong>n <strong>Landeszentrale</strong> <strong>für</strong> <strong>politische</strong> Bildung<br />

vom 01. – 08. Februar 2013 nach Tunesien<br />

„Die Nachrichten verheißen nichts Gutes. Generalstreik in Tunesien. Betrifft Euch das??? Mache mir<br />

Sorgen. . . .hoffentlich geht alles gut“, mailt meine Frau, Anette <strong>Kornek</strong>, am 08. Februar 2013 um 7:38<br />

Uhr aus Cottbus/Deutschland ihrem Mann.<br />

Ich packte während dessen meinen Koffer, frühstückte gemütlich und bewege mich mit weiteren<br />

Teilnehmern dieser Bildungsreise der <strong>Sächsische</strong>n <strong>Landeszentrale</strong> <strong>für</strong> <strong>politische</strong> Bildung gelassen zum<br />

Transfer. Busfahrt und die letzten Stunden in Tunesien auf der Fahrt zum Flughafen in Enfidha verlaufen<br />

normal. Erst dort sehe ich gegen 9.15 Uhr die Mail meiner Frau und antworte beruhigend.<br />

Der Inlandsflug von Djerba nach Enfidha pünktlich, der Weiterflug nach Berlin-Schönefeld mit kleinen<br />

Verspätungen; keine Anzeichen innen<strong>politische</strong>r Unruhen, keine Streikenden. Normalbetrieb.<br />

Wir sind glücklicherweise nicht in Tunis. Erst daheim beim Blick in die Zeitungen und Nachrichtensendungen<br />

wird mir die Brisanz der Entwicklungen im Gastgeberland deutlich.<br />

Mit 23 Teilnehmern an einer achttägigen Bildungsreise<br />

„Auf den Spuren der Arabellion“ startet am 01.<br />

Februar 2013 die Maschine der Nouvelair in Berlin-<br />

Schönefeld; Zielflughafen Enfidha. Herr Henry<br />

Krause, Referatsleiter bei der <strong>Landeszentrale</strong> <strong>für</strong><br />

<strong>politische</strong> Bildung Sachsens, und Frau Maritta Daum,<br />

Mitarbeiterin Veranstaltungen und zum 12. Mal Gast<br />

in diesem Land, begleiten die Gruppe aus politisch<br />

engagierte Bürgerinnen und Bürger, Wissenschaftlern,<br />

Pressevertreter und Lehrern (2/3 der Reisegruppe)<br />

des Freistaates Sachsen.<br />

Die nächsten zwei Tage gehörten der Hauptstadt Tunis - erste Eindrücke, private Erkundungen.<br />

Der Samstag war geprägt von Referaten und Gesprächen in der Niederlassung der Konrad-Adenauer-<br />

Stiftung in Tunis zur <strong>politische</strong>n Lage im Land.<br />

Nach der Begrüßung durch Dr. Hardy Ostry wurden wir fachkundig durch Prof. Dr.<br />

Mohamed Haddad/Arabisches Observatorium der Religionen und Freiheiten zur<br />

Frage, „Wo steht Tunesien zwei Jahre nach der Revolution?“, durch Frau Lilia<br />

Weslaty/Nawaat (l. im Bild) zu den Perspektiven der Jugend des Landes, sehr<br />

engagiert durch Frau Houda Cherif/Al Joumhoury zur Rolle der Presse und durch<br />

Herrn Amine Ghali/Kawakibi Center zur Übergangsjustiz und nationalen<br />

Versöhnung informiert.


Am Sonntag war Zeit <strong>für</strong> Besichtigungen und Besuche historischer Orte wie Sidi Bou Said und Karthago.<br />

Unser Guide, Marcel Mohsen Ghadhab, studierter Archäologe, nutzte sein fachliches Wissen, um<br />

uns besonders Karthago zu erschließen.<br />

Mit Kai Kerkhof, dem Fraktionsgeschäftsführer der SPD im sächsischen<br />

Landtag, nutzten wir die Zeit, um bei arabischem Kaffee einen Blick zum<br />

Meer vom wohl schönsten Aussichtspunkt des Landes zu werfen.<br />

Geleitet durch Marcel ging es montags über Kairouan nach Gabes. Ein<br />

kurzer Abstecher zur berühmten Moschee in Kairouan und den Oasen von Gabes, denn der nächste<br />

Programmpunkt wartete. An dem dortigen Spracheninstitut der Universität<br />

entwickelten sich lebhafte Begegnungen mit Studierenden.<br />

Spontan wurden Gesprächsrunden in deutsch, französisch und englisch<br />

gegründet. Dicht umlagert war besonders Kai Kerkhof mit Auskünften<br />

zur Situation in Deutschland, Studienbedingungen und möglichen<br />

Auslandsaufenthalten von Studierenden in der Bundesrepublik.<br />

Nach einem Abstecher zu den Berbern in Matmata reihte sich unser Bus in den Abendstunden zur<br />

Fährfahrt nach Djerba ein. Die Wartezeit verging kurzweilig in lockerem Kontakt am Hafen.<br />

Spät am Abend begrüßten uns vor dem Hotel Djerba Palace Mitglieder des Absolventenvereins des<br />

Lycée technique in Houmt Souk mit selbst gefertigten Sträußen aus Rosmarin und Narzissen.<br />

Dann zerfloss der restliche Tag in den Träumen der Nacht.<br />

Der Mittwoch war geprägt vom Empfang beim „Lycée technique“ in Houmt-Souk. Was zunächst wie<br />

eine Minivisite bei einem lokalen Schulträger aussah, entwickelte sich zum spannendsten Event der<br />

Reise. Nach den einführenden Worten des Schulleiters und einem Blick in Klassenräume warteten wir<br />

zunächst etwas ziellos auf dem Schulhof auf die Unterrichtspause.<br />

Spontan wandten sich dann Schülerinnen in deutscher Sprache an uns<br />

und eröffneten ein Gespräch. Was sich dabei an Kommunikation<br />

ergab, hat mich tief bewegt. Offen, interessiert, unvoreingenommen –<br />

ja mit einer deutschfreundlichen bis bewundernden Haltung zu<br />

Deutschland –, mit neugierigen Augen und wachen Ohren entwickelten<br />

sich phantastische Dialoge in kleinen, zufälligen Versammlungen zwischen unserer Reisegruppe<br />

und Schülerinnen und Schülern des Lyceums.<br />

Die Zeit saß uns im Nacken, der Abschied fiel allen nicht leicht, doch er wurde dringend nötig, weil<br />

just während unseres Besuches ein Agitator vor der Schule mit einer Ansprache den Mordanschlag<br />

auf den ermordeten Oppositionspolitiker Chokri Belaïd am Vortag verurteilte. Seine Rede hat einen<br />

beträchtlichen Teil der Schülerinnen und Schüler betroffen gemacht. Die Lehren baten uns, zu gehen.<br />

Nach weiteren Besichtigungen fanden wir zur Synagoge La Ghriba.<br />

Aktuell leben bei insgesamt 10 Millionen Einwohnern Tunesiens rund<br />

800 Juden im Großraum Tunis und rund 1.000 Menschen jüdischen<br />

Glaubens auf der Insel Djerba, wo sich mit der Synagoge eine wichtige<br />

Pilgerstätte befindet. Sie gilt als die älteste erhaltene Synagoge in<br />

Nordafrika und wurde am 11. April 2002 Ziel eines feigen Anschlags.<br />

Neunzehn Menschen starben; 14 davon aus Deutschland.


Am Donnerstag treffen wir nach einer Besichtigung der Festung Bordj-el-Kebir mit den Verwaltungsspitzen<br />

der Insel zusammen. In Houmt Souk, der Hauptstadt von Djerba empfängt uns der Bürgermeister<br />

Dr. Sami Ben Tahar. Er ist Archäologe und am<br />

Institut National du Patrimoine (INP) <strong>für</strong> die Region<br />

Djerba in Südtunesien zuständig. Gleichzeitig ist er<br />

Bürgermeister von Houmt Souk, dem Hauptort der<br />

Ferieninsel. Gemeinsam mit Gemeindevertretern hatte<br />

auch der Honorarkonsul, Herr Dr. Slaheddine Anane - seit April<br />

2003 Honorarkonsul der Bundesrepublik Deutschland auf Djerba -<br />

Zeit <strong>für</strong> uns eingeplant.<br />

Freundlicherweise kam es nach dem offiziellen Teil zu einem kurzen Austausch zwischen Herrn Dr.<br />

Anane, Kai Kerkhof und mir. Herr Kerkhof wollte außerhalb der Gesprächsrunde durch Herrn Dr.<br />

Anane Fragen über die Gemeindefinanzen, Steuereinnahmen und die <strong>politische</strong> Zukunft des Landes<br />

beantwortet wissen. Mit in der kleinen Runde der Dolmetscher, ein tunesischer Reiseleiter.<br />

Sein persönliches Engagement eröffnet eine neue Dimension unserer <strong>politische</strong>n Gespräche. Treppab<br />

suchen wir ein Künstlerdomizil auf und merken in intensiven Gesprächen und heftige Diskussionen<br />

nicht, wie die Zeit verfliegt.<br />

Alles, was ich bisher über die Arabellion wusste und kannte, lag nach<br />

diesen Auseinandersetzungen in Trümmern. Mein schön zusammengebasteltes<br />

Bild vom „Arabischen Frühling“ zerfloss in dieser Stunde,<br />

wie so manches Bild des Künstlers. Ich stand ernüchtert und desillusioniert<br />

vor den schönen Kunstwerken des Hauses, meiner kunstvoll<br />

gestalteten Bildungswelt aus Büchern und Filmen über den<br />

<strong>politische</strong>n Islam beraubt.<br />

Damit wäre der letzte Tag, die Bildungsreise nach Tunesien, die Gemeinschaft der Reisegruppe geendet<br />

– wenn nicht noch am Abend die freundlichen und rührsamen Organisatoren des Aufenthaltes<br />

auf Djerba Zeit <strong>für</strong> uns gehabt hätten. Frau Fatima Bouabidi/Deutschlehrerin in Midoun und Herr<br />

Abderrazak ben Abdallah/President de l ´Association des Anciens du Lycèe technique standen uns <strong>für</strong><br />

Fragen zur Seite und manch ein zukunftsorientierter Gedanke schwebte im Raum.<br />

<strong>Thomas</strong> <strong>Kornek</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!