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Beitrag Richter Scheuver zum Jubiläum

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20 Jahre rechtliche Betreuung - die Richtung stimmt<br />

20 Jahre Betreuungsrecht aus richterlicher Sicht<br />

Vom Gesetzgeber bereits am 25.04.1990 beschlossen.<br />

Inkrafttreten des Betreuungsrechts am 01.01.1992.<br />

Genaue Bezeichnung: Gesetz zur Reform des Rechts der Vormundschaft und<br />

Pflegschaft für Volljährige, BGBl. 1990, I, 2002.<br />

1<br />

25.09.2012<br />

Das Gesetz regelt den Umgang des Staates mit kranken und behinderten Menschen.<br />

Die Bedeutung des Betreuungsrechts ist angesichts des demografischen Wandels<br />

enorm:<br />

Die Zahl der Menschen, die gesetzlich betreut werden, hat sich seit 1992 fast verdrei-<br />

facht.<br />

Heute stehen mehr als 1,3 Mio. Menschen in Deutschland unter Betreuung.<br />

Mit vielen Vorschusslorbeeren bedacht:<br />

Es wurde gesagt:<br />

Es markiert die Geburt eines neuen Rechtsgebiets und den Beginn einer neuen<br />

Epoche im Kampf um die Menschenwürde Betroffener.<br />

Eine der wichtigsten und tiefgreifendsten Reformen unseres Rechtssystems im<br />

letzten Jahrhundert.<br />

Ein Gesetz für Menschen, die keine lautstarke Lobby haben.<br />

Ein Leuchtturm-Gesetz, welches zu einem würdigen Leben im Alter weisen soll.<br />

Eine Jahrhundertreform !<br />

Ein kompletter Paradigmenwechsel !<br />

Was war so neu und grundlegend anders?


Inhalte:<br />

Das Betreuungsrecht hat an die Stelle von Bevormundung die Hilfe zur Selbstbe-<br />

stimmung gerückt.<br />

Das sog. „Sorgenkind“ verschwand und der Mensch rückte in den Vordergrund. Er<br />

soll in seiner Selbstständigkeit unterstützt werden und ein Leben nach eigenen Wün-<br />

schen und Vorstellungen führen können.<br />

Man wollte eine Abkehr von der anonymen Verwaltung des Mündels und eine Hin-<br />

wendung zur persönlichen Betreuung. Also keine Entscheidung mehr nach Akten-<br />

lage !<br />

Das Wohl und die Wünsche des Betroffenen sollen für die Besorgung seiner An-<br />

gelegenheiten wesentlich sein. Er soll alle Freiheiten und Rechte behalten und auch<br />

die Verantwortung hierfür.<br />

Der Erforderlichkeitsgrundsatz wurde eingeführt: Die Einschränkung der Selbstbe-<br />

stimmung nur soweit und solange dies erforderlich ist. Die Maßnahmen staatlicher<br />

Fürsorge sollen auf das im Einzelfall erforderliche Maß beschränkt werden.<br />

Und schließlich die Subsidiarität der Betreuung: Gibt es andere Formen der Un-<br />

terstützungen oder Assistenzen, um eine Betreuung zu vermeiden?<br />

Zugleich sollten die Rechte des Betroffenen gestärkt werden:<br />

Keine automatische Einschränkung der Geschäftsfähigkeit und der Einwilli-<br />

gungsfähigkeit durch die bloße Anordnung der Betreuung.<br />

Zwar ist der Betreuer - in seinem Aufgabenbereich - weiterhin gesetzlicher Vertreter<br />

des Betroffenen, er verdrängt ihn aber nicht. Die Handlungsfähigkeit des Betroffenen<br />

bleibt unberührt, beide können nebeneinander oder sogar auch gegeneinander han-<br />

deln.<br />

Auch die verfahrensmäßigen Rechte des Betroffenen wurden gestärkt: Er ist nicht<br />

länger Objekt, sondern Subjekt des Verfahrens, Beteiligter:<br />

2


Er behält seine Verfahrensfähigkeit, auch wenn er geschäftsunfähig ist;<br />

Es gilt der Grundsatz der persönlichen Anhörung vor Erlass einer Entscheidung; also<br />

gerade keine Entscheidung mehr nach Aktenlage!<br />

Die Bestellung von Verfahrenspflegern wurde eingeführt;<br />

ebenso erhöhte Standards für psychiatrische Gutachten.<br />

Diese Neuregelungen gingen einher mit umfassenden organisatorischen Maßnah-<br />

men:<br />

Organisation:<br />

Betreuungsabteilungen bei den Amtsgerichten wurden geschaffen,<br />

Betreuungsbehörden bei den Städten und Landkreisen.<br />

Betreuungsvereine wurden gegründet.<br />

Arbeitsgemeinschaften installiert.<br />

Verbände der Berufsbetreuer organisierten sich<br />

und auch der Betreuungsgerichtstag wurde begründet.<br />

Ziele:<br />

Der Betroffene soll die Betreuung nicht als Bevormundung empfinden sondern als<br />

willkommene Hilfe.<br />

Der Betroffene soll würdevoll mit seiner Krankheit begleitet werden.<br />

Zwangsbetreuungen sind nur in Ausnahmefällen vorgesehen: In einer freiheitlichen<br />

Gesellschaft muss auch jeder Bürger das Recht haben, zu verwahrlosen, soweit<br />

dies auf einer autonomen, freiheitlichen, nicht von Krankheit beeinflussten Willensbil-<br />

dung beruht.<br />

Haben sich diese hochgesteckten Erwartungen erfüllt?<br />

Wurde das Betreuungsrecht zu einem Erfolgsmodell? Wir haben gehört, dass heute<br />

mehr als 1,3 Mio. Menschen in Deutschland unter rechtlicher Betreuung stehen.<br />

3


Aber: Diese Zahl allein ist noch kein Kennzeichen für ein Erfolgsmodell.<br />

Von Betreuerseite hört man mitunter folgende Kritik:<br />

Es hat sich nichts verändert! Das Gesetz ist grandios gescheitert:<br />

Ärztliche Gutachten werden in Eile geschrieben, denen das Gericht dann einfach<br />

folgt. Es werden oftmals nur Verdachtsdiagnosen erstellt!<br />

Durch häufige <strong>Richter</strong>wechsel gibt es oftmals nur unerfahrene <strong>Richter</strong> bei Gericht.<br />

Die Politik spart das Gesetz kaputt. Die Betreuungsvereine werden nur unzureichend<br />

alimentiert.<br />

Die Schwierigkeit der Fälle nimmt zu: Auffallend ist insbesondere die steigende Zahl<br />

von jungen persönlichkeitsgestörten Menschen mit wenig familiären Bindungen.<br />

Betreuungen werden immer wieder angeordnet, nur weil jemand öffentliche oder pri-<br />

vate Ordnungen stört und anders als üblich lebt und angeblich sich oder andere hier-<br />

durch gefährdet.<br />

Alle Beteiligten erwarten vom Betreuer nur Lösungen, immerzu nur Lösungen! Heißt<br />

das: Eine Veränderung unter allen Umständen, also notfalls auch mit Zwang? Au-<br />

ßerdem: Alle Beteiligten in einem Fall äußern viele verschiedene Lösungswege, auf<br />

denen der Betroffene mitgenommen werden soll. Wie soll das nur funktionieren?<br />

Vom Betreuer werden Veränderungen der Lebenssituation des Betroffenen im Inte-<br />

resse des Gemeinwohls erwartet. Entspricht das auch dem Wohl des Betroffenen?<br />

Dieser hat schließlich auch ein Recht auf Nichtveränderung! Also z. B. darauf, in sei-<br />

ner vertrauten Umgebung zu bleiben und nicht in ein Pflegeheim zu müssen. Oder<br />

von ärztlich angeratenen Maßnahmen abzusehen, wie z. B. die Weigerung, bestimm-<br />

te Medikamente einzunehmen.<br />

Denn der Betroffene soll ja alle Freiheiten und alle Rechte behalten und damit auch<br />

die Verantwortung. Dann ist eben Kehrseite der Medaille, dass der Betreuer oftmals<br />

nur zusehen kann, wie sein Klient sich zugrunde richtet, z. B. bei einer Alkoholer-<br />

krankung. Keine Entmündigung bedeutet eben mehr Gestaltungsfreiheit des Be-<br />

troffenen. Zwang soll nur noch in extremen, im Gesetz genannten Ausnahmefällen<br />

4


angewandt werden. Daraus folgt einerseits mehr Risiko für den Betroffenen, aber<br />

andererseits auch mehr Selbstbestimmung.<br />

Ein Betreuer schreibt hierzu sehr persönlich:<br />

Führen die inneren Stimmen meinen Betroffenen an den Rand des Abgrunds und<br />

droht der tödliche Sturz, werde ich versuchen, ihn respektvoll zur Umkehr zu bewe-<br />

gen, zugleich werde ich Auffangnetze für ihn spannen.<br />

Zu der geäußerten Kritik gehört auch:<br />

Wie gehen wir heutzutage mit alten Menschen um?<br />

Alte Leute gelten, durch ihre bloße Existenz, als Infragestellung dessen, was in der<br />

heutigen Gesellschaft für normal gehalten wird:<br />

Leistung, Fitness, Produktion und Produktivität. Es wird heutzutage viel von Integrati-<br />

on geredet. Wichtig ist aber auch die Integration der Alten! Um deren Würde geht es.<br />

Wir haben eine Kultur entwickelt, welche die Lebenszeit verlängert. Dann müssen wir<br />

auch Antworten darauf finden, wie unsere Gesellschaft das organisieren kann, und<br />

nicht nur das Leben der alten Menschen im großen Stil abzuwickeln in Alters- und<br />

Pflegeheimen.<br />

Warum eigentlich gehen so wenige alte Menschen für eine bessere Pflege auf die<br />

Straße? Die einen können es nicht mehr, die anderen wollen nicht daran denken,<br />

dass sie selbst am nächsten Tag betroffen sein könnten.<br />

Der geistige und körperliche Abbau im Alter, die Rückentwicklung alter Menschen<br />

sozusagen <strong>zum</strong> Säugling, gilt der Gesellschaft offenbar als eine natürliche Schuld,<br />

die Sanktionen nach sich ziehen muss - welche in Alten- und Pflegeheimen vollzo-<br />

gen werden.<br />

Zynisch wird das Fesseln an Bett und Stuhl „Fixierung“ genannt. Die Alten werden<br />

organisiert entwürdigt. Zwei von drei Altenpflegern würden es ablehnen, in dem Heim<br />

zu leben, in dem sie arbeiten.<br />

Was wäre eigentlich los, wenn kleine Kinder per Nasensonde ernährt würden, weil<br />

das Füttern zu lange dauert?<br />

5


Was wäre, wenn kleine Kinder in der Krippe regelmäßig gefesselt würden?<br />

Was wäre, wenn sich ein so gefesseltes Kind zu Tode strangulierte, weil das Kinder-<br />

gartenpersonal die Gurte falsch angelegt hat?<br />

Der Hort würde sofort geschlossen werden, das Personal angeklagt.<br />

Wenn dies hingegen Alten widerfährt herrscht Nachsicht. Als wäre Art. 1 GG, der die<br />

Würde des Menschen für unantastbar erklärt, mit einem Zusatz versehen: „…es sei<br />

denn, er ist altersdement oder hat Parkinson!“<br />

Im Jahr 2050 werden in Deutschland 4 Mio. Menschen pflegebedürftig sein. Wie soll<br />

dann funktionieren, was schon heute, bei halb so hohen Zahlen, nicht funktioniert?<br />

Also: Hat sich wirklich nichts verändert? Ist das Betreuungsrecht tatsächlich „grandi-<br />

os gescheitert“?<br />

Wie war es denn vor Inkrafttreten des Betreuungsrechts, also vor 1992 ?<br />

Damals galten:<br />

Entmündigung, Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige, im Prinzip nichts an-<br />

deres als die Juristische Entsorgung alter und schwacher Menschen.<br />

Nach dem am 01.01.1900 in Kraft getretenen BGB stellte die Entmündigung eine<br />

konstitutive Entscheidung über die Geschäftsfähigkeit bzw. Geschäftsunfähigkeit<br />

eines Betroffenen dar.<br />

Der Volljährige, der entmündigt wurde, bekam einen Vormund. Dieser hatte für die<br />

Person des Mündels nur insoweit zu sorgen, als es der Zweck der Vormundschaft<br />

erforderte. Der Aufbau eines persönlichen Vertrauensverhältnisses zwischen Vor-<br />

mund und Mündel war vom Gesetz nicht vorgesehen.<br />

Er war gesetzlicher Vertreter des Betroffenen. Es kam dem Willen des Vormunds der<br />

Vorrang zu.<br />

Es ging hierbei ausschließlich um die Kontrolle der betroffenen Menschen, also um<br />

ein rein sicherheits- und ordnungspolitisch orientiertes Verwaltungshandeln.<br />

6


Auch die Dauer von Entmündigung und Vormundschaft waren gesetzlich nicht gere-<br />

gelt. Eine regelmäßige Überprüfung der Tätigkeit des Vormunds fand durch den<br />

Vormundschaftsrichter nicht statt.<br />

Menschen, die ein Leben lang in Pflichterfüllung gelebt hatten, wurden aus dem<br />

Rechtsverkehr gezogen. Nicht einmal mehr über Taschengeld durften sie verfügen,<br />

denn das Gesetz machte selbst den Kauf von Kaffee und Kuchen unwirksam.<br />

Und das Unglück solcher Menschen wurde als amtliche Bekanntmachung in der Zei-<br />

tung veröffentlicht, sie gleichsam an den Pranger gestellt. Dies lief auf eine komplette<br />

Entrechtung der Betroffenen hinaus !<br />

Diese Bestimmungen blieben seit Inkrafttreten des BGB weitestgehend unverändert.<br />

Also war es höchste Zeit für eine Reform! Immerhin mehr als 40 Jahre nach Inkraft-<br />

treten des Grundgesetzes 1949 .<br />

Seit 20 Jahren wird nun nicht mehr entmündigt!!! Dieser Begriff steckt gleichwohl<br />

nach wie vor in den Köpfen vieler Menschen, macht ihnen Angst.<br />

So hieß es kürzlich in einer Pressemitteilung: „Demenzkranker Rudi Assauer ent-<br />

mündigt“.<br />

Viele Leute denken heute noch beim Begriff der Betreuung: „Ich bekomme einen<br />

Vormund. Ich werde entmündigt“.<br />

Auch in der Praxis besteht oftmals noch eine große Unkenntnis hierüber, gerade<br />

auch bei Berufsgruppen, die regelmäßig mit Betreuungen zu tun haben, wie Ärzte,<br />

Banker oder Polizeibeamte.<br />

Der Betroffene kann als Patient auch durchaus selbst noch in eine Operation einwil-<br />

ligen, auch wenn er einen Betreuer hat.<br />

Er kann auch nach wie vor frei über sein Vermögen bestimmen, dies nur als Beispiel.<br />

Im Lauf der 20 Jahre waren natürlich auch Nachjustierungen erforderlich:<br />

So gab es im Wesentlichen 3 Betreuungsrechtsänderungsgesetze:<br />

7


Durch sie sollte die Selbstbestimmung der Betroffenen weiter gestärkt, aber auch die<br />

Kosten sollten eingedämmt werden.<br />

1. Betreuungsrechtsänderungsgesetz vom 25.06.1998 (BGBl. 1998 I, 1580):<br />

In § 1901 Abs. 1 BGB wurde eingefügt, dass der Betreuer die Angelegenheiten des<br />

Betroffenen lediglich in rechtlicher Hinsicht besorgt.<br />

In §§ 1904 Abs. 2 und 1906 Abs. 5 BGB wurde geregelt, dass die Einwilligung in<br />

schwerwiegende ärztliche Maßnahmen und in eine geschlossene Unterbringung<br />

auch durch Bevollmächtigte ausgesprochen werden darf, sofern eine Genehmigung<br />

des Betreuungsgerichts vorliegt.<br />

Die Vergütungsmaßstäbe für Betreuer wurden zur Kostensenkung und wegen zahl-<br />

reicher gerichtlicher Auseinandersetzungen zu Vergütungsfragen verändert.<br />

2. Betreuungsrechtsänderungsgesetz vom 21.04.2005 (BGBl. 2005 I, 1073):<br />

Hintergrund: Hohe Zunahme der Betreuungen. Seit Inkrafttreten des Betreuungs-<br />

rechts hatte sich die Zahl der Betreuungen mehr als verdoppelt. Die Landeskassen<br />

wurden weit höher belastet als gedacht. Durch eine Pauschalierung der Betreuer-<br />

vergütung sollten zeitaufwendige Rechnungsprüfungen überflüssig gemacht und<br />

hierdurch die Kosten reduziert werden. Dies brachte für die Gerichte (Rechtspfleger)<br />

eine große Vereinfachung.<br />

Aber: Viele Betreuer waren genötigt, die Zeit, welche sie für einen Klienten aufwen-<br />

den, zu kürzen, um noch betriebswirtschaftlich arbeiten zu können.<br />

Ferner wurden geregelt:<br />

§ 1896 BGB wurde ein Abs. 1 a hinzugefügt, wonach eine Zwangsbetreuung bei frei-<br />

em Willen des Betroffenen ausgeschlossen ist.<br />

Der Vorrang der Bestellung von ehrenamtlichen Verfahrenspflegern.<br />

Die Möglichkeit, vor Einrichtung einer Betreuung in bestimmten Fällen von der Einho-<br />

lung eines ärztlichen Sachverständigengutachtens absehen zu können sowie das<br />

Erstellen von Betreuungsplänen.<br />

8


Nicht umgesetzt wurden:<br />

Eine Automatische Vertretungsbefugnis für Angehörige.<br />

Die zwangsweise Zuführung zur ambulanten Heilbehandlung.<br />

3. Betreuungsrechtsänderungsgesetz vom 29.07.2009 (BGBl. 2009 I, 2286):<br />

mit wichtigen Regelungen zur<br />

Patientenverfügung § 1901 a und b BGB (Sterbehilfe)<br />

<strong>zum</strong> ausdrücklichen Vorrang des freien Willens des Betroffenen hierbei<br />

und zur Einwilligung des Betreuers in schwerwiegende ärztliche Eingriffe gemäß §<br />

1904 Abs. 2 BGB. Auch hier gab es Änderungen.<br />

Schließlich erhielten wir mit dem<br />

FamFG 01.09.2009 (Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in<br />

den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FGG-Reformgesetz vom<br />

17.12.2008, BGBl. 2008 I, 2586)<br />

eine neue Verfahrensordnung:<br />

Das lückenhafte FGG mit seinen unübersichtlichen Buchstabenparagraphen wurde<br />

transformiert in eine zusammenhängende Verfahrensordnung.<br />

Die „Vormundschaftsgerichte“ wurden abgeschafft und “Betreuungsgerichte“ instal-<br />

liert.<br />

Die Beteiligtenstellung von Personen und Behörden wurde geregelt.<br />

Eine förmliche Beweisaufnahme durch Sachverständigengutachten soll nunmehr<br />

stattfinden.<br />

Einstweilige Anordnungen werden als selbständige Verfahren geführt.<br />

Nicht mehr das OLG ist Rechtsbeschwerdeinstanz sondern der BGH; hierdurch wird<br />

eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung erreicht und der BGH hat mittlerweile<br />

einige wegweisende Entscheidungen veröffentlicht, zuletzt z. B. zur Unzulässigkeit<br />

9


der geschlossenen Unterbringung <strong>zum</strong> Zweck der Heilbehandlung nach § 1906 Abs.<br />

1 Nr. 2 BGB.<br />

Andererseits: Es gibt nicht mehr den schnellen Weg zu den Oberlandesgerichten<br />

(früher kein Anwaltszwang, jetzt schon).<br />

Welche Probleme sind in der gerichtlichen Praxis aufgetreten?<br />

Auch wir haben mit ständig steigenden Fallzahlen zu kämpfen. Beim AG Karlsruhe<br />

hatten wir<br />

1995 1630 laufende Betreuungen<br />

2000 waren es schon 2821<br />

und Ende 2011 knapp 4000 !<br />

Das bedeutet eine Steigerung um das 2,50fache!<br />

Auch bei uns gilt, wie in allen anderen öffentlichen Verwaltungen: Auch wir haben mit<br />

Personalabbau zu kämpfen bzw. steht dem kontinuierlichen Anstieg der Verfahrens-<br />

zahlen keine hinreichende Personalaufstockung gegenüber.<br />

Oft sind schnelle Entscheidungen nötig, es besteht ein hoher Zeitdruck.<br />

Ein häufiger Wechsel in den <strong>Richter</strong>dezernaten führt dazu, dass sich immer wieder<br />

neue <strong>Richter</strong> einarbeiten und in die bestehenden Abläufe eingebunden werden müs-<br />

sen.<br />

Zudem: Die juristische Kompetenz allein ist für einen Betreuungsrichter nicht ausrei-<br />

chend, man muss über den Tellerrand hinausblicken und sich mit den anderen Dis-<br />

ziplinen beschäftigen und auseinandersetzen.<br />

Zum Abschluss:<br />

Wie geht es weiter ?<br />

Was bringt die Zukunft?<br />

Zukunft:<br />

10


Nach wie vor heiß diskutiert wird die Frage: Wie kann eine nachhaltige Kostendäm-<br />

mung erzielt werden? Hierfür ist eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe schon seit 2007<br />

eingesetzt. Die weitere Ausgabenentwicklung soll beobachtet werden, und zwar auf-<br />

gegliedert nach ehrenamtlichen und beruflichen Betreuungen.<br />

Die<br />

UN-Behindertenrechtskonvention (Übereinkommen über die Rechte von Men-<br />

schen mit Behinderungen)<br />

wurde im Dezember 2006 verabschiedet, und ist seit März 2009 in Deutschland in<br />

Kraft getreten (BGBl. II 2008, 1419):<br />

Sie hat erneut einen Perspektivenwechsel <strong>zum</strong> Gegenstand: Menschen mit Behinde-<br />

rung werden von Objekten der Fürsorge zu Rechtssubjekten, die über ihr Leben<br />

selbst bestimmen sollen.<br />

Seither wird diskutiert, ob infolge der Behindertenrechtskonvention Änderungen im<br />

Betreuungsrecht erforderlich sind. Denn der Betreuer ist nach § 1902 BGB bislang<br />

stets gesetzlicher Vertreter des Betroffenen. Wohingegen die Behindertenrechtskon-<br />

vention eventuell verlangt, den Betroffenen selbst entscheiden zu lassen und ihm<br />

eine Assistenz zur Seite zu stellen um ihn hierbei zu unterstützen.<br />

Ebenso ist fraglich, ob solche Instrumente wie Einwilligungsvorbehalt und geschlos-<br />

sene Unterbringung mit Zwangsbehandlung mit den Vorschriften der Behinderten-<br />

rechtskonvention vereinbar sind.<br />

Weiterhin wird diskutiert:<br />

Wie kann die Qualität im Betreuungswesen verbessert oder gesichert werden? Be-<br />

darf es der Entwicklung von Standards?<br />

Ganz aktuell auch die Frage der<br />

Verbindung und Verknüpfung mit dem sozialen Hilferecht, dem Pflege-, Rehabili-<br />

tations- und dem Altenhilferecht im Sinne einer sozialen Betreuungshilfe oder eines<br />

Erwachsenen-Hilfe-Gesetzes. So z. B. die Schaffung personaler Ressourcen für So-<br />

11


ziale Stellen in den Betreuungsbehörden zur Vermeidung von Betreuungen (sog.<br />

BEOPS-Projekt in Mecklenburg-Vorpommern).<br />

Eine<br />

Interdisziplinäre Arbeitsgruppe unter Vorsitz des Bundesjustizministeriums ist<br />

eingerichtet worden, Fachleute aus allen beteiligten Professionen haben Verbesse-<br />

rungsvorschläge gemacht und Empfehlungen abgegeben, die in einen Abschlussbe-<br />

richt eingemündet sind.<br />

Gefordert:<br />

Eine noch stärkere Berücksichtigung des Erforderlichkeitsgrundsatzes und der Sub-<br />

sidiarität der Betreuung. Gibt es andere Formen der Unterstützungen oder Assisten-<br />

zen, um eine Betreuung zu vermeiden? Wie können andere Hilfen auch ohne Be-<br />

treuung besser vermittelt werden?<br />

Die Funktion der Betreuungsbehörde soll verstärkt werden:<br />

Es sollen qualifizierte Kriterien für den Bericht der BBH festgelegt werden.<br />

Diese soll möglichst frühzeitig eingeschaltet werden.<br />

Die Aufgaben sollen konkretisiert werden.<br />

Und nach wie vor geht es um:<br />

den Vorrang und Ausbau der ehrenamtlichen Betreuung.<br />

Hier leisten vor allem die Betreuungsvereine hervorragende Arbeit.<br />

Aber: Dies wird nicht ausreichend sein, da es sich um eine endliche und eher ab-<br />

nehmende Ressource handelt. Auch bringt die Unterstützungstätigkeit Aufgaben mit<br />

sich, die von Ehrenamtlichen kaum mehr zu leisten sind.<br />

Wichtig ist daher, nicht nur von Betreuungsvermeidung und vom Vorrang der Ehren-<br />

amtlichkeit zu reden, sondern das bewährte Modell muss ausgestaltet und weiter-<br />

entwickelt werden.<br />

Eingemündet ist dies in einen<br />

12


Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums zur Stärkung der Funktionen der Be-<br />

treuungsbehörde (wohl beschränkt auf einige Änderungen bei Vorschriften des gel-<br />

tenden Rechts, also ohne einen grundlegenden Systemwandel, insbesondere ist kei-<br />

ne Installierung der Betreuung im sozialen Hilferecht vorgesehen).<br />

Wichtig allerdings: Nicht nur nach gesetzlichen Änderungen darf gerufen werden,<br />

sondern genauso wichtig ist auch die Umsetzung der Empfehlungen vor Ort, also<br />

im untergesetzlichen Bereich:<br />

Es muss gefragt werden:<br />

Wie läuft denn die praktische Umsetzung?<br />

Wie sind die Behörden und Gerichte personell und sachlich ausgestattet?<br />

Wie wird die Finanzierung der Betreuungsvereine sichergestellt?<br />

Wie sind die Beteiligten vernetzt?<br />

Einigkeit besteht darin:<br />

Das Ehrenamt muss weiter gestärkt werden!<br />

Das Betreuungsrecht lebt von den Menschen, die sich für das Recht auf Selbstbe-<br />

stimmung engagieren, sowohl im Ehrenamt als auch im Beruf. In der Praxis sind oft-<br />

mals weder Angehörige noch Freunde bereit, dieses Amt zu übernehmen. Dabei ist<br />

Nähe und Vertrautheit so wichtig. Das kann ein Berufsbetreuer mit 60 oder mehr Kli-<br />

enten meist gar nicht mehr leisten.<br />

Der Betroffene soll, soweit es möglich ist, in sein selbstbestimmtes Leben zurückge-<br />

führt werden.<br />

Die Klagen der Politiker über hohe Kosten ?<br />

Der Rechtsstaat und die Menschen sind es wert.<br />

Es gibt auch keine Alternative dazu.<br />

Daher:<br />

Hat das Betreuungsrecht die Erwartungen erfüllt?<br />

13


Es bleibt sicherlich noch viel zu tun, aber: Die Richtung stimmt,<br />

und das ist ja auch das Motto der heutigen Veranstaltung.<br />

Zitiert wurde aus:<br />

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, BtPrax 1/2012, Seite 3<br />

Prof. Dr. Bernhard Knittel, BT-Portal Interview<br />

Hanns-Henning Keese, BtPrax 2/2012, Seite 54<br />

Dr. Andrea Diekmann, BtPrax 1/2012, Seite 5<br />

Prof. Dr. Heribert Prantl, BtPrax 1/2012, Seite 10<br />

Klaus Förter-Vondey, BtPrax 2/2012, Seite 50<br />

Uwe Harm, 20 Jahre Betreuungsgesetz, Internet<br />

Prof. Dr. Bernhard Knittel, BtPrax 1/2012, Seite 11<br />

Verena Fesel und Barabara Dünkel, BtPrax 1/2012, Seite 18<br />

<strong>Scheuver</strong>, <strong>Richter</strong> am Amtsgericht<br />

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