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die tageszeitung - Sigmund-Freud-Institut

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09.01.2012<br />

Interview zu Two and a Half Men<br />

„Es geht darum, in Würde zu altern“<br />

Trinker, Spieler, Chauvinist: Charlie Sheen prägte als Charlie Harper <strong>die</strong> erfolgreiche US-<br />

Sitcom „Two and a Half Men“. Eine Psychoanalyse zum Abschied.<br />

Interview Torsten Landsberg<br />

Adios Charlie Sheen: <strong>die</strong> neue Besetzung. Bild: imago/Apress<br />

Seit Charlie Sheen nach einem Streit mit dem Produzenten Chuck Lorre aus der US-Sitcom<br />

"Two and a Half Men" geworfen wurde, streiten sich <strong>die</strong> Fans in den Internetforen: Macht <strong>die</strong><br />

Fortsetzung ohne den Lebemann Charlie Harper Sinn?<br />

Ob Sheens Nachfolger Ashton Kutcher ein adäquater Ersatz ist, können deutsche Fans ab<br />

Dienstag (ProSieben, 21.15 Uhr) entscheiden. Vorher lässt <strong>die</strong> taz zum Abschied von Charlie<br />

Harper dessen Verhalten psychologisch analysieren<br />

taz: Frau Lebiger-Vogel, Charlie Harper ist charmant, chauvinistisch, etwas<br />

oberflächlich, dabei nicht böswillig, sondern liebenswürdig. Reicht das für eine<br />

Einordnung in eine psychoanalytische Kategorie?<br />

Judith Lebiger-Vogel: Es handelt sich wohl eher um einen spezifischen Charakter. So wie er<br />

angelegt ist, fällt es ihm wohl eher schwer, erwachsen zu werden im Sinne von<br />

Verantwortungsübernahme für <strong>die</strong> Gesellschaft oder auch für nachfolgende Generationen.<br />

Das sind aber persönliche Eigenschaften der Serienfigur, ich würde da keinen Sozialcharakter<br />

draus machen.


-------------------------------------<br />

JUDITH LEBIGER-VOGEL, am <strong>Sigmund</strong>-<strong>Freud</strong>-<strong>Institut</strong> (SFI) unter anderem zum<br />

Schwerpunkt Psychoanalyse und Gesellschaft. Das SFI ist ein 1959 gegründetes<br />

Forschungsinstitut für Psychoanalyse und ihre Anwendungen.<br />

--------------------------------------<br />

Werfen wir einen Blick auf exemplarische Szenen.<br />

Charlie Harper ist stark erkältet, sein Bruder Alan rät ihm kürzerzutreten, weil das Alter<br />

nicht spurlos an ihm vorbeigehe. Charlie entgegnet: "Du bist nur so alt wie <strong>die</strong> Frauen, <strong>die</strong><br />

du fühlst. Und neuerdings fühle ich mich wie 24."<br />

Gibt es typische Charakterzüge eines Mannes mit ständig wechselnden, meist deutlich<br />

jüngeren Sexualpartnerinnen?<br />

Das ist etwas, das man kontextualisieren muss. Da könnte man etwa spekulieren, wie das<br />

Verhältnis zu den Eltern ist, das wäre eine klassisch psychoanalytische Sichtweise: Was für<br />

Auswirkungen hat das darauf, wie <strong>die</strong>ser Mensch seine eigenen Beziehungen gestaltet?<br />

Die Frauen, mit denen Charlie Harper bedeutungslose sexuelle Abenteuer eingeht, sind<br />

jung, hübsch, oft Callgirls. Welche Rolle spielt dabei der Moment der Macht?<br />

Mein Eindruck ist eher, dass der Charakter überfordert ist, sich auf eine Beziehung<br />

einzulassen. Es gibt da durchaus ein reziprokes Verhältnis, viele seiner Frauen sind auch oft<br />

nicht an längeren Beziehungen interessiert.<br />

Nach einem Streit mit seiner Haushälterin Berta muss Charlie <strong>die</strong> Wäsche seiner Freundin<br />

selbst waschen – zum ersten Mal. Er bittet seinen Bruder Alan um Hilfe: "Woher wissen wir,<br />

wann sie fertig ist?" – "Keine Sorge, <strong>die</strong> Waschmaschine ruft dich auf deinem Handy an." –<br />

"Echt?"<br />

Harper ist ein Mann um <strong>die</strong> 40, der im Alltag oft eine kindliche Naivität offenbart.<br />

Konsequenzen seines Handelns sind ihm fremd. Sind das typische Verhaltensmuster für<br />

einen Menschen, der sich das Altern nicht eingestehen will?<br />

Es gibt den Begriff der verlängerten Adoleszenz. Das ist kennzeichnend für Menschen, <strong>die</strong><br />

nicht vollständig ins Erwachsenenleben eintreten, weil sie einen bestimmten<br />

Entwicklungsschritt nicht vollziehen können. Man kann bei ihm spekulieren, dass er nie<br />

gelernt hat, eine bestimmte Art von Verantwortung für sich zu übernehmen. Der Punkt des<br />

Nichtalternwollens hat wohl auch eine gesellschaftliche Komponente: Es geht darum, wie<br />

man heutzutage in Würde altern kann.<br />

Und <strong>die</strong> individuelle Komponente?<br />

Die Hamburger Soziologin Vera King hat ein Konzept geprägt, das auf Erik Erikson<br />

zurückgeht, das Konzept der Generativität: Nach gelungener Adoleszenzentwicklung, in der<br />

sich <strong>die</strong> Adoleszenten im psychosozialen Moratorium ausprobieren können, durchaus unter<br />

sogenannter fürsorgebereiter Begleitung der Elterngeneration, übernehmen sie<br />

Verantwortung.


Man könnte sagen, dass das weitgehend fehlt bei der Figur Charlie Harper. Der lebt vor sich<br />

hin und hat seine Affären. Da wird er kontrastiert zu seinem Bruder Alan, der versucht, sich<br />

verantwortungsvoll seinem Sohn gegenüber zu verhalten. Der verzichtet auf eine bestimmte<br />

Leichtigkeit, wirkt aber auch weniger orientierungslos als Charlie. Werte verfolgen, sich für<br />

etwas einsetzen, Verantwortung übernehmen, das kann auch etwas sein, woraus man<br />

Selbstwert bezieht. Dieser Komponente beraubt sich Charlie ein Stück weit.<br />

Charlie versteht sich sehr gut mit einem schwulen Freund seines Bruders Alan. Er sucht seine<br />

Psychologin Dr. Freeman auf: "Glauben Sie, dass ich vielleicht schwul bin, ohne es zu<br />

wissen? Ich meine, ich achte nun mal wirklich auf mein Äußeres, ich hab Mutterprobleme und<br />

ein Faible für Innenarchitektur. (…) Aber wenn es um Penisse geht, will ich nicht, dass mir<br />

von einem anderen zugeblinzelt wird als von meinem eigenen." – "Wen wollen Sie hier<br />

überzeugen, mich oder sich selbst?" - "Sie. Und dann sollen Sie mich überzeugen."<br />

Die Sorge, mithilfe sexueller Abenteuer mit Frauen eine latente Homosexualität zu<br />

verdrängen, wie nah ist das an der Realität?<br />

Nach dem klassischen Phasenmodell der psychosexuellen Entwicklung kann man sagen, dass<br />

jeder Mensch auch homosexuelle Anteile hat. Als wichtig wird meist angesehen, sich<br />

schließlich für ein Geschlecht als Liebesobjekt zu entscheiden. Homosexuelle Anteile sind<br />

gesellschaftlich tabuisiert, gerade bei dem Männerbild, das in <strong>die</strong>ser Serie vertreten wird. Die<br />

Serienmacher nutzen das, denn Homophobie ist nach wie vor verbreitet, und es kommt gut an,<br />

wenn damit Witze gemacht werden.<br />

Charlie zu seiner Mutter Evelyn: "Ich hab mir alles über Beziehungen von dir abgeguckt. Ich<br />

hab gelernt, dass Männer, <strong>die</strong> sich auf Gefühle einlassen, niedergemacht werden. Ich hab<br />

gelernt, dass Männer entmannt werden, wenn sie heiraten, und dass man sich nur davor<br />

schützen kann, sein Herz gebrochen zu kriegen, indem man so tut, als hätte man keins." -<br />

"Das hast du alles von mir?" - "Ja!" – "Schatz, ich war noch nie so stolz auf mich wie in<br />

<strong>die</strong>sem Moment."<br />

Charlies Mutter hatte zahlreiche Ehemänner und Affären, ihre Söhne mussten öfter<br />

hinter ihren eigenen Bedürfnissen zurückstehen. Wie wirkt sich ein solches Verhalten<br />

auf Kinder aus?<br />

Man kann spekulieren, dass der Seriencharakter der Mutter <strong>die</strong> für <strong>die</strong> Entwicklung von<br />

Jugendlichen wichtige fürsorgebereite Begleitung nicht zur Verfügung gestellt hat, da sie sich<br />

selber jugendlich benommen hat. Das ist etwas, das Jugendliche häufig tatsächlich in<br />

Schwierigkeiten bringt: In der Pubertät kommt es zu großen Umwälzungen auf der<br />

körperlichen, aber eben auch auf der seelischen Ebene.<br />

Der sich entwickelnde Körper und eine andere Art von Sexualität müssen integriert werden,<br />

und es geht ganz stark um Identitätsfindung. Wenn <strong>die</strong> Eltern nun zu sehr mit sich selbst<br />

beschäftigt sind und sich jugendlich verhalten, etwa Beziehungen in <strong>die</strong> Krise geraten, wenn<br />

Kinder eigentlich Unterstützung in ihrem eigenen adoleszenten Experimentieren brauchen,<br />

wird es schwierig.<br />

Wenn Eltern das Feld des Experimentierens – Wer bin ich, wer will ich sein? – zu sehr<br />

besetzen, ist es für <strong>die</strong> Kinder schwer, sich selber auszuprobieren. Die Mutter benimmt sich<br />

selbst eher adoleszent, daher hat Charlie nicht <strong>die</strong> Stabilität einer fürsorgebereiten Begleitung.


Charlie will seine Freundin Mia heiraten. Vor der Trauung eröffnet sie ihm, dass sein Bruder<br />

Alan und dessen Sohn Jake ausziehen müssen. Charlie lässt <strong>die</strong> Hochzeit daraufhin platzen.<br />

Trotz seiner Bindungsängste übernimmt Charlie Harper – widerstrebend – aber<br />

langfristig – Verantwortung für seinen Bruder und dessen Sohn.<br />

Der Charakter ist in <strong>die</strong>ser Hinsicht widersprüchlich angelegt. Er scheint auch zu seinem<br />

Neffen eine Beziehung aufgebaut zu haben. Es ist ihm nicht egal, wie es dem geht. Vielleicht<br />

identifiziert er sich auch mit dem Jungen. Die Serie ist darauf angelegt, dass Männer unter<br />

sich sind und ihr Leben weitgehend versuchen, ohne Frauen zu gestalten.<br />

Was macht den großen Erfolg der Serie aus? Beneiden Männer Charlie Harper um sein<br />

sorgloses Leben?<br />

Ich weiß nicht, ob es an Charlie Harper liegt und nicht eher an der Konstellation, dass es ein<br />

Männerhaushalt ist. Damit wird ja gespielt: Wie kommen Männer klar, ohne dass da eine Frau<br />

mit das häusliche Leben gestaltet? Zum einen ist er eine wichtige Figur, aber sein Bruder ist ja<br />

genauso wichtig und zentral, gerade in der Kontrastierung: der eine, der immer nur Spaß will<br />

und dazu neigt, keine Verantwortung zu übernehmen, und der andere, der nicht das<br />

machomäßige Männerbild vertritt, aber ein ganz verantwortungsvoller Vater ist. Und der<br />

Junge, der mit den beiden Männern aufwächst.<br />

Also kein „So will ich auch sein“ beim Zuschauer?<br />

Es gibt unter den Stichwörtern Pluralisierung, Flexibilisierung und Ökonomisierung<br />

Überlegungen verschiedener Autoren, inwiefern das Leben überfordern kann. Diskutiert wird<br />

in <strong>die</strong>sem Zusammenhang auch eine gesellschaftliche Orientierungslosigkeit. Da könnte es<br />

schon zu Fluchtfantasien in eine Welt kommen, in der man keine Verantwortung übernehmen<br />

muss. Das könnte man aber auf <strong>die</strong> mediale Welt insgesamt ausdehnen.

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