SaisonKlänge 2005/17 - Jecklin & Co. AG
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Stuttgarter Kammerorchester, links, und das Zürcher Kammerorchester mit Howard Griffiths, rechts<br />
Gipfeltreffen zweier<br />
Kammerorchester<br />
Ein lang gehegter Traum geht für Ho-<br />
ward Griffiths in Erfüllung: im März wird<br />
das Zürcher Kammerorchester gemein-<br />
sam mit dem Stuttgarter Kam mer or-<br />
ches ter drei Werke für Doppel-Orches-<br />
ter aufführen. Ein seltenes Ereig nis!<br />
Die Zusammenarbeit mit einem hoch-<br />
wertigen Kammerorchester wurde schon<br />
lange angestrebt – am 12. März wird<br />
es nun Wirklichkeit. Zwei der wohl äl-<br />
testen, heute noch bestehenden Kam-<br />
mer or chester Europas – das Stutt gar-<br />
ter Kammerorchester und das Zürcher<br />
Kammerorchester, beide ge gründet<br />
1945 – treffen sich zu einem gemeinsa-<br />
men Konzert. Dies ist nicht nur ein sel-<br />
tenes musikalisches Ereignis, sondern<br />
gibt den Musikerinnen und Musikern<br />
aus Stuttgart und Zürich Ge le gen heit,<br />
sich untereinander auszutauschen und<br />
neue Kontakte zu knüpfen. Umso mehr,<br />
weil das Konzertprogramm nicht nur in<br />
Zürich aufgeführt wird, sondern auch<br />
in Stuttgart (wo die Proben statt finden)<br />
und Donaueschingen.<br />
Wiederentdeckung des Repertoires<br />
Die ersten Orchester der Barockzeit ent-<br />
sprechen in der Besetzung dem, was wir<br />
heute ein «Kammerorchester» nennen.<br />
Doch schon in der Klassik wurden die<br />
Orchester immer grösser, so dass das<br />
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Interesse der Komponisten am reinen<br />
Streichorchester mehr und mehr<br />
schwand. Auch wenn Dvorˇák, Tschai kow-<br />
sky oder Grieg wunderbare Werke für<br />
Kammerorchester geschrieben haben,<br />
mit Beginn der Romantik stand grosse<br />
Symphonik mit immer umfangreicherem<br />
Streicher- und Bläsersatz im Mittelpunkt<br />
des Interesses. Rasch geriet das riesige<br />
Repertoire an <strong>Co</strong>ncerti Grossi eines<br />
Vivaldi oder Händel in Vergessenheit.<br />
Erst im 20. Jahrhundert erwachte das<br />
Interesse an alter Musik und diese Werke<br />
wurden wieder neu entdeckt. Bereits im<br />
Jahr 1932 wurde in London das «Boyd<br />
Neel London String Orchestra» (heute:<br />
Philo musica of London) gegründet. Dies<br />
war der Beginn einer neuen Ära – die der<br />
modernen Kammerorchester, die bald<br />
überall (so auch in Zürich und Stutt gart)<br />
entstanden. Man pflegte das alte Re per-<br />
toire, aber auch die zeitgenössischen<br />
Komponisten wie Britten, Martin, Elgar<br />
und andere mehr, fanden Gefallen an<br />
dieser «neuen, alten» Orchesterbesetzung.<br />
Daher ist es auch kaum verwunderlich,<br />
dass das Repertoire für Werke für<br />
Doppel-Orchester erstaunlich gross ist.<br />
Die Qual der Wahl<br />
Howard Griffiths hatte daher die Qual<br />
der Wahl. Er entschied sich für drei<br />
Werke, die zwischen 1938 und 1945 kom-<br />
poniert wurden: das Konzert für Dop-<br />
pel orchester des Engländers Mi ch a el<br />
Tippett (1905 geboren), zählt ne ben sei-<br />
ner vierten Sinfonie und dem Chor werk<br />
«A Child Of Our Time» zu seinen be-<br />
deutendsten Werken. Eine Be son derheit<br />
stellt Frank Martins «Petite Symphonie<br />
<strong>Co</strong>ncertante» dar, denn zu den bei-<br />
den Or chestern gesellen sich noch drei<br />
So lo instrumente: Klavier, Har fe und<br />
Cem balo. Solist an der Har fe ist Nicola<br />
Mos ca, den man sonst als Solo-Cellist<br />
des ZKO kennt. Auch Bo hus lav Martinu˚s<br />
Kon zert für zwei Streich or chester wird<br />
durch zwei Solisten am Kla vier und den<br />
Pauken ergänzt. Ein weiteres «Gip fel-<br />
treffen» findet dann im Mai statt: das<br />
ZKO spielt gemeinsam mit dem in ter na-<br />
tional renommierten «Carmina Quar -<br />
tett» anlässlich dessen 20-jährigen Ju bi -<br />
läums! Zwei einzigartige Konzerte, die<br />
man sich nicht entgehen lassen sollte.<br />
Konzert-Tipps<br />
Barbara Honegger Schellemann<br />
Sa, 12.3.05, 20 Uhr, Tonhalle Zürich<br />
Stuttgarter Kammerorchester, ZKO,<br />
und Howard Griffiths, Dirigent<br />
Mo, 23.5.05, 20 Uhr, Tonhalle Zürich<br />
Jubiläumskonzert «20 Jahre Carmina<br />
Quartett», ZKO, Fabio Di Càsola,<br />
Muhai Tang, Dirigent<br />
Details siehe Konzertkalender<br />
Das Konzerterlebnis:<br />
Mikhail Pletnev<br />
Nach dem Konzert von Mikhail Pletnev<br />
mit beiden Chopin-Klavierkonzerten im<br />
KKL, Dezember 2004, beschrieb Pius<br />
Strass mann seine Eindrücke.<br />
«Wie dieser Mann über die Tasten<br />
streicht! Die Tasten streichelt.<br />
Soviel Zärtlichkeit hat nur ein Mann zu ge-<br />
ben, der, mit Mühe sich aus seiner De pres-<br />
sion zwingend, über die Büh ne schlurft.<br />
Dann sich sein Spiel abringt ohne äusse-<br />
re Regungen. Eiskalte Zärt lich keit atmet<br />
aus jedem Ton, der aus dem Flügel seufzt,<br />
kristallin, auf die Essenz der Herzglut re-<br />
duziert, ein kaltes Glimmen. Zärtlichkeit<br />
die nach Innen leuchtet.<br />
In seinem aufschreienden Piano ist<br />
nichts von Verstummen: eine atembe-<br />
raubende Klarheit und Präsenz schlägt<br />
einem schier um die Ohren: Höre der<br />
Welt Schmerz! Höre die Wunde bluten!<br />
Höre die erkannte Traurigkeit singen!<br />
Er spielt sanft und klar, mit einer Kon-<br />
zentration, die nicht mehr Konzentration<br />
ist, nicht Gebet, nicht Meditation, son-<br />
dern purste Präsenz im geistigsten aller<br />
Räume: dem der Musik. Anwesendste<br />
Abwesenheit. Er hört dem Flügel zu, als<br />
müsse er diesen heilen mit seiner takti-<br />
len Sensitivität von all dem Gehämmere<br />
und Imponiergehabe, das er in sich hi-<br />
neingefressen hat durch immer neue<br />
Traktierungen prof ilierungsneuroti-<br />
scher Pianisten. Und der Flügel dankt<br />
es ihm, erinnert sich seiner überreichen<br />
Klangwelt, immer leiser aufseufzend,<br />
mit dem Rauschen des Winds, mit<br />
prasselndem kühlem Regen, mit dem<br />
Knis tern selbst der kleinsten gelben<br />
Flamme, mit dem Stöhnen der Erde, die<br />
ihre Hoffnung unbelehrbar mit jeder kei-<br />
menden Pflanze wieder und wieder ins<br />
Irdische stülpt.<br />
Jeder grosse Musiker zaubert mit den<br />
Elementen dieser Erde.<br />
Hier spielt der Musiker, der den Klang<br />
der Musik sucht und nicht den Klang<br />
eines Flügels, ein Mann, dem selbst ein<br />
Orchester, das ihm in seine leuchten-<br />
de Welt zu folgen nicht im Geringsten<br />
imstande ist (weil dorthin wohl kein<br />
Orchester folgen kann), nichts anhaben<br />
kann, weil ihm alles schon geschah, was<br />
einem Menschen geschehen kann. Er<br />
hat es nicht nur überstanden, sondern<br />
in Klang verwandelt, in einen Klang, der<br />
sich vor Sehnsucht nach dem Geistigen<br />
verzehrt und vor Freude über das Irdische<br />
leuchtet.<br />
Von wo kehrt er zurück, wenn die<br />
Menge tobt nach den letzten Klängen?<br />
Er scheint überrascht. In ihm herrscht<br />
die Stille des Meisters. So kann ihm<br />
auch dieser Anerkennungs-Lärm nichts<br />
mehr anhaben. Er nimmt ihn entgegen<br />
und bleibt einsam. Und so grausam sein<br />
Spiel mich an die letzten Dinge erinnert,<br />
ist auch mein Wunsch, er möge uns<br />
seine Einsamkeit noch lange mitteilen<br />
im Spiel auf der Tastatur aller Klänge<br />
dieser Welt.<br />
Erschüttert bis auf den Grund verlasse<br />
ich den Saal, laufe hinaus in die Irre, die<br />
Grenze zwischen inkarniertem Geschöpf<br />
und geistigem Wesen verwischt in den<br />
Nachklängen, Tränen f liessen ins je-<br />
weils gegenseitige Land.»<br />
Pius Strassmann<br />
Pius Strassmann, Lyriker, lebt in Luzern.<br />
Seine letzte Veröffentlichtung erschien im Jahre<br />
2003: «Traumgestöber», Ge dich te, ars pro toto,<br />
Luzern.<br />
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