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ENZYME SIND UNSER TÄGLICH BROT

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Aus dem Archiv<br />

<strong>ENZYME</strong> <strong>SIND</strong> <strong>UNSER</strong> <strong>TÄGLICH</strong> <strong>BROT</strong><br />

<strong>BROT</strong>SCHEIBE:<br />

Enzyme korrigieren den Geschmack und beschleunigen die Herstellung<br />

Wie Brezel, Pralinen und Säfte zu ihrem Geschmack kommen<br />

Von Susanne Donner<br />

Kürzlich, auf einem Flug von Zürich nach Hamburg. Es gibt Butterbrezel, in Folie<br />

eingeschweisst. Beim Biss ins Gebäck überwältigt das Aroma nach kühler und<br />

frischer Butter. Aber das Streichfett ist nirgendwo zu sehen. Wie kam bloss die Butter<br />

in die Brezel?<br />

Das Stück ist längst verdaut, als Lutz Popper von SternEnzym in Ahrensburg bei<br />

Hamburg das Geheimnis lüftet: «Das sind enzymatisch modifizierte Butterfette.<br />

Bestimmte Lipasen erzeugen ein Aroma mit der mehrfachen Stärke von Butter.»<br />

Tatsächlich: Butteraroma steht klein gedruckt auf der Verpackung, von Butter keine<br />

Spur.<br />

Solche Enzyme sind Poppers täglich Brot. Er leitet die Produktentwicklung beim<br />

norddeutschen Backzutatenhersteller. Die meisten luftigen Gebäcke wie Gipfeli oder<br />

Brötchen enthalten heute Enzyme, erklärt er. 15 bis 20 verschiedene könnten in<br />

einem Teig sein. Backwaren aus der Tiefkühltruhe benötigen laut Popper immer<br />

Enzyme, da sie sonst beim Aufbacken nicht richtig aufgehen.<br />

Die Zahl der gehandelten Präparate geht in die Hunderte<br />

Wer dachte, Backware bestünde nur aus Mehl, Wasser und Hefe, wird bei Popper<br />

eines Besseren belehrt. In der Schweiz werden zwar weniger Enzyme eingesetzt als<br />

in Deutschland, aber gebraucht werden sie auch. Sie beschleunigen die Herstellung,<br />

gewährleisten eine einheitliche Produktqualität - und sparen Kosten. Pro Kilogramm<br />

Mehl genügen wenige Milligramm Enzym. Das lässt erahnen, wie wirksam sie sind:<br />

- Amylasen zerlegen die Stärke in Zucker und sorgen dafür, dass der Teig geschwind<br />

aufgeht. Sie halten die Kruste knusprig und weich zugleich. Das Brötchen schmeckt<br />

länger frisch.<br />

- Xylanasen zerlegen die Gerüstsubstanzen aus dem Korn. Eigentlich sind das<br />

wertvolle Ballaststoffe. Aber in zerlegter Form machen sie den Teig elastisch; er bleibt<br />

nicht in den Maschinen kleben.<br />

- Lipasen spalten pflanzliche Fette im Getreide. Die entstehenden Stoffe wirken wie<br />

Emulgatoren. Sie stabilisieren die Luftbläschen im Brötchen. «Das Innere wird<br />

wattiger, die Poren feiner», sagt Popper. Dadurch erscheint das Brötchen innen heller.<br />

Der Markt für Lebensmittelenzyme boomt, nicht nur in Bäckereien. Experten schätzen,<br />

dass die Zahl der gehandelten Präparate in die Hunderte geht.<br />

Die Vielfalt der Anwendungen ist schier unüberschaubar: Phospholipasen<br />

entschleimen Pflanzenöle. Andere Lipasen verhindern das Verkleben von Nudeln.<br />

Invertasen verflüssigen Pralinenfüllungen. Mit Pektinasen, Xylanasen und Cellulasen<br />

lässt sich Dutzende Mal so viel Saft aus Äpfeln und Schwarzen Johannisbeeren<br />

pressen. Später wird das Getränk mit Laccasen geklärt.<br />

In erster Linie wird aber mit Enzymen gebacken. Die Bäckerei Hiestand, auch<br />

Lieferant für Tankstellenshops mit Sitz in Lupfig und Schlieren, verwendet im<br />

tiefgekühlten Croissant traditionnel gemäss Factsheet rund 20 verschiedene Zutaten,<br />

darunter Stabilisatoren, Emulgatoren, Palmöl, natürliche Aromen und Enzyme. Mehr<br />

Auskunft will das Unternehmen nicht geben.<br />

Die Struktur der Eiweisse wird ab 60 Grad Celsius zerstört<br />

http://www.sonntagszeitung.ch/suche/artikel-detailseite/?newsid=153015&type=2<br />

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25.10.2010


SonntagsZeitung | Artikel Detailseite<br />

Auskunftsfreudiger ist die Migros-Bäckerei Jowa. Wo immer möglich, versuche man<br />

auf Enzyme zu verzichten, sagt Pressesprecherin Heike Zimmermann. Bei schlechter<br />

Mehlqualität würden aber etwa Xylanasen eingeknetet, damit der Teig besser geht<br />

und nicht in der Maschine klebt.<br />

Auf den Etiketten stehen die Biotech-Zutaten nicht. Backenzyme gelten in der<br />

Schweiz wie in der EU als Hilfsstoffe, die nicht deklariert werden müssen, wenn sie im<br />

Endprodukt keine Wirkung mehr entfalten. Enzyme sind Eiweisse, deren Struktur ab<br />

60 Grad Celsius zerstört wird. Dadurch werden sie inaktiv.<br />

Konsumentenschützer wie die deutsche Foodwatch drängen dennoch darauf, die<br />

Hilfsstoffe<br />

zu etikettieren. Denn mindestens 50 Prozent der Lebensmittelenzyme werden laut<br />

einer Studie des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) von gentechnisch veränderten<br />

Bakterien oder Pilzen erzeugt. Die Mikroben gelangen zwar nicht ins Nahrungsmittel.<br />

Aber wer Gentechnik kategorisch ablehnt, hat mangels Kennzeichnung keine<br />

Wahlfreiheit.<br />

Vor dem Verzehr brauche sich der Konsument aber nicht zu fürchten, so die<br />

verbreitete Expertenmeinung: «Künstlich eingesetzte Enzyme, die inaktiv sind, richten<br />

im Körper nichts an. Sie sind quasi eine weitere Eiweissquelle», sagt der emeritierte<br />

Lebensmittelchemiker Renato Amadò, der an der ETH Zürich viele Jahre an Enzymen<br />

geforscht hat.<br />

Amadò stösst sich an einem anderen Problem, das die florierende Enzymtechnik mit<br />

sich bringt: Mit Enzymen können Eigenschaften vorgetäuscht werden. So werden zum<br />

Beispiel einzelne Fleischteile mit dem Vernetzungsenzym Transglutaminase zu einem<br />

Steak zusammengeklebt. Auf die gleiche Weise wird auch Schinken aus Einzelteilen<br />

zusammengefügt.<br />

«Wenn man mich darüber aufklärt, wäre das okay, sonst nicht», sagt Amadò. In der<br />

Schweiz muss enzymatisch erzeugter Kochschinken gemäss Bundesamt für<br />

Gesundheit mit dem Zusatz «rekonstruiert, mit Transglutaminase hergestellt»<br />

angeschrieben werden.<br />

Auch bei anderen Enzymen drängt sich die Frage auf, ob der Verbraucher mit<br />

kosmetischen Tricks hinters Licht geführt wird. SternEnzym baut zum Beispiel zurzeit<br />

die Produktion für eine Sulfhydryl-Oxidase auf. Diese neue Backzutat soll laut Popper<br />

unter anderem «Fehlaromen von eihaltigen Produkten beseitigen, indem sie<br />

schwefelhaltige Verbindungen vernetzt». Explizit geht es um den Gestank nach faulen<br />

Eiern. Dieser stammt von Schwefelwasserstoff, den alte Eier bilden - und der vor<br />

verdorbener Nahrung warnt.<br />

Diesen Mief im Kuchen kann man also bald kaschieren. Wird dann Gammel-Ei ins<br />

Gebäck gerührt? «Natürlich nicht!», sagt Popper. Hygienisch müssten alle Zutaten<br />

einwandfrei sein. Es würden nur Geschmackskorrekturen vorgenommen. Störende<br />

Gerüche können auch bei noch haltbaren Eierprodukten auftreten.<br />

Ein weiteres Beispiel ist die neuartige Amylase des dänischen Enzymgiganten<br />

Novozymes. Sie hält Brot und Gebäck länger frisch. Damit versehene, zwei Wochen<br />

alte Toastscheiben schmeckten wie am ersten Tag. «Der Absatz dieses Enzyms<br />

floriert in Europa», sagt Anders Espe Kristensen, Marketingchef Enzyme bei<br />

Novozymes. Auf die Frage, ob mit dem Frischhalteenzym dem Kunden bald ein alter<br />

Laib als frisches Brot verkauft wird, wiegelt er aber ab. Hygienevorschriften und<br />

Qualitätsstandards würden natürlich eingehalten.<br />

Migros zeigt, dass es auch anders gehen könnte<br />

Jowa will noch in diesem Herbst mit solchen Frischhalteenzymen experimentieren.<br />

Die Versuche sollen aber von Meinungsumfragen begleitet werden, um<br />

herauszufinden, ob «die Konsumenten solch eine lange Haltbarkeit überhaupt<br />

wünschen», sagt Pressesprecherin Zimmermann.<br />

Dass es auch anders geht, macht das Unternehmen mit einem neuen Produkt selbst<br />

vor: Am 12. Oktober führte es die neue Premium-Brotlinie Pain Création ein, die<br />

besonders lang haltbar ist, weil der weiche Brotteig lange ruht und speziell gebacken<br />

wird.<br />

Dass man viele Enzyme nicht zwingend braucht, bestätigt auch Lutz Popper: «Der<br />

Müller kann das Getreide so auswählen, dass das Mehl einen hohen Anteil an<br />

Eigenamylase mitbringt.» Dann brauche es keine Hilfsstoffe. Und: Als das Korn noch<br />

mit Steinmühlen gemahlen wurde, erhitzte es sich, und die Inhaltsstoffe oxidierten,<br />

wodurch der Teig stabiler wurde. «Heute müsste man das Mehl einige Wochen liegen<br />

lassen, um denselben Effekt zu erzielen.» Doch Zeit ist Geld. Auch beim Backen.<br />

Enzyme sind da die preiswertere Lösung.<br />

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25.10.2010


SonntagsZeitung | Artikel Detailseite<br />

Acrylamid und Transfette - Enzyme sind das Gegengift<br />

Ein neuer Trend in der Lebensmitteltechnologie besteht darin, Schadstoffe mithilfe<br />

von Enzymen aus dem Essen zu holen.<br />

So kann das Enzym Asparaginase den Gehalt an Acrylamid um bis zu 90 Prozent<br />

senken. Acrylamid steht im Verdacht, Krebs zu erregen. Es entsteht beim Rösten,<br />

Braten und Backen aus Zucker und dem Eiweissbaustein Asparagin. Chips, Pommes<br />

frites, Knäckebrot und Lebkuchen sind oft mit Acrylamid belastet. Sanftes Bräunen<br />

vermindert die giftige Fracht zwar, ganz vermeiden lässt sie sich aber nicht.<br />

Asparaginasen zerstören Asparagin und unterdrücken so wirksamer als alle übrigen<br />

Verfahren die Bildung von Acrylamid.<br />

Eine neuartige Lipase soll ebenfalls das Essen gesünder machen. Sie zerstört<br />

schädliche Transfette, die beim industriellen Härten von Pflanzenölen entstehen.<br />

Transfette treiben den Wert des schädlichen Cholesterins im Blut in die Höhe und<br />

provozieren damit Herzkreislauf-erkrankungen. Neben Backmargarinen sind vor allem<br />

daraus hergestelltes Gebäck, Snacks und Blätterteig stark belastet. Eine Prise Enzym<br />

im Teig baut den Schadstoff ab. Die Entgiftungskur schmeckt man nicht.<br />

Publiziert am 24.10.2010<br />

von: sonntagszeitung.ch<br />

http://www.sonntagszeitung.ch/suche/artikel-detailseite/?newsid=153015&type=2<br />

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