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Triuwe im Nibelungenlied - Repositório Aberto da Universidade do ...

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FACULDADE DE LETRAS<br />

DA UNIVERSIDADE DO PORTO<br />

DISSERTAÇÃO DE MESTRADO<br />

<strong>Triuwe</strong> <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong><br />

apresenta<strong>da</strong> por:<br />

Katarina Miric Ribeiro<br />

Porto, 2004


INHALT<br />

0. Vorbemerkung 1<br />

1. triuwe - Die Wortgeschichte 1<br />

2. Rezeptionsgeschichte - Einleitung 6<br />

2.1. Rezeption und Wirkung 8<br />

2.1.1. Rezeption und Wirkung bis 1939 (Isolierende Rezeption) 10<br />

2.1.2. Nachkriegsforschungen (Konstruierende / interpolierende<br />

Rezeption) 15<br />

3. triuwe <strong>im</strong> Lichte historischer Anthropologie 22<br />

4. Metho<strong>do</strong>logisches 24<br />

5. triuwe <strong>im</strong> Lehnswesen 28<br />

5.1. Der Personenverband(sstaat) 32<br />

6. Herrschaftliche und verwandtschaftliche Bindungen 38<br />

7. Genossenschaftliche Bindungen 70<br />

8. Die triuwe Dietrichs von Bern 77<br />

9. triuwe in der Minne 85<br />

10. Zusammenfassung 94<br />

Abkurzungsverzeichnis 98<br />

Literaturverzeichnis 99


Vorbemerkung:<br />

Jahrzehntelang lastete auf der triuwe <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong> die bedruckende<br />

Hypothek, die die wáhrend des 19. Jahrhunderts bis hin zum Zusammenbruch<br />

des Dritten Reiches kontinuierlich anwachsende national(istisch)e Idéologie,<br />

unterstùtzt durch <strong>da</strong>s geringe Interesse der germanistischen Mediávistik am<br />

Bedeutungsreichtum des insgesamt schmalen Vokabulars des<br />

Mittelhochdeutschen, dem Begriff vermacht hatte. In der vorliegenden Arbeit<br />

wird es in erster Linie <strong>da</strong>rum gehen, am Beispiel des <strong>Nibelungenlied</strong>es die<br />

Relevanz und die Verbindlichkeit der triuwe innerhalb des mittelalterlichen<br />

Wertesystems aufzuzeigen mit besonderer Berucksichtigung ihrer<br />

Manipulierbarkeit, sowohl <strong>im</strong> mittelalterlichen Kontext als auch durch die<br />

begeisterte <strong>Nibelungenlied</strong>-Rezeption. Doch bevor die Rezeptionsgeschichte<br />

náher ausgelegt wird, scheint es angebracht, einen Blick auf die<br />

morphologische und semantische Geschichte der triuwe zu werfen, urn<br />

anschlieBend ein besseres Verstãndnis aufzubringen fur die teilweise<br />

kontroversen Deutungen, die die Nibelungen-Forschung hervorgebracht hat.<br />

1. triuwe - Die Wortgeschichte<br />

Auf die facettenreiche Schwingungsbreite des friuwe-Begriffs ist vielerorts<br />

hingewiesen worden. Im Gegensatz zu anderen groBen Werken des hohen<br />

Mittelalters, mit denen <strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong> in einem Zug genannt wird, scheint es,<br />

<strong>da</strong>B in dem Epos dieser Begriff nur sparsam verwendet wird. Zu zeigen, <strong>da</strong>B ihm<br />

trotzdem eine besondere Bedeutung zukommt, wird u.a. <strong>da</strong>s Ziel dieser Arbeit<br />

sein.<br />

Den relativ schmalen Wortschatz des Mittelhochdeutschen charakterisiert generell<br />

ein hoher Grad an Allgemeinheit. Dem schlieBt sich durch die<br />

Bedeutungszerlegung in einzelne und voneinander manchmal võllig unabhángige<br />

Lexeme, so wie es der Eintrag in Wórterbúcher zwangsláufig nach sich zieht, der<br />

Eindruck der Sinnentlehrung an. Daher ist es sinnvoll, die Entstehungsgeschichte<br />

des Begriffes genau zu betrachten, denn nur indem „<strong>da</strong>s ZusammenflieBen der<br />

verschiedenen Bedeutungsbereiche, die der Begriff <strong>im</strong> Verlauf seiner Geschichte<br />

1


in sich aufn<strong>im</strong>mt" 1 in vollem Umfang erfaBt wird, macht die Entzifferung seiner<br />

gesamten Sinnfulle, die sich in der Literatur um 1200 entfaltet, mõglich.<br />

Ethymologisch geht die Entwicklung des mittelhochdeutschen Femininabstraktums<br />

triuwe und seiner Entsprechungen in anderen germanischen Sprachen auf die<br />

in<strong>do</strong>europáische Urform *dereu zuruck, der die Bedeutung v Holz', "Eiche'<br />

zugeschrieben wird. Die gotische Variante dieser Form lautet *triu, in der<br />

Bedeutung 'Baum, Stamm, Holz', aus der sich, infolge der nordischen<br />

Doppelbildung, die Form *triggw-a, <strong>im</strong> Sinne von 'treu' entwickelte. 2 Die<br />

ethymologische Verwandtschaft der beiden Begriffe triu (Baum, Holz, Stamm) und<br />

triggw-a (treu) ist nicht nur aus ihrer Phonetik und Morphologie ablesbar, auch<br />

ihre Bedeutungsgeschichten sind eng miteinander verbunden. Dieser<br />

Zusammenhang basiert auf der gemeinsamen Urbedeutung, die sich <strong>im</strong> Kontext<br />

von '(baum)stark, hart, test, <strong>da</strong>uernd' bewegt. Eine ErschlieBung der<br />

Wortbedeutung aus der vorliterarischer Zeit gestaltet sich je<strong>do</strong>ch <strong>im</strong>mer<br />

problematisch und es ist deshalb keine Seltenheit, <strong>da</strong>B die Worthistoriographen in<br />

ihren Untersuchungen zu võllig entgegengesetzten Ergebnissen kommen. Ulrich<br />

Pretzel behauptet beispielsweise, <strong>da</strong>s Wort hàtte, ehe es in den deutschen<br />

Sprachdenkmàlern Eingang gefunden hatte, schon den ersten Abschnitt seiner<br />

Bedeutungsgeschichte hinter sich und gibt in der Bedeutungsentwickung von<br />

triuwe dem Konkreten vor dem Abstrakten den Vorrang:<br />

„die bedeutungsentwicklung hat sich also, grob gesehen, von dem<br />

begriff einer concreten handlung zu dem abstracteren des<br />

verhaltens, schlieszlich des wesens eines menschen entwickelt,<br />

und neben den relativen gebrauch tritt, zumal in mhd., als <strong>im</strong>mer<br />

entscheidender die verwendung des wortes als eines allgemeinen<br />

tugendbegriffs. vorher aber ubern<strong>im</strong>mt <strong>da</strong>s wort (nicht nur <strong>im</strong><br />

deutschen) noch in anlehnung an die altere concretere bedeutung<br />

1 Kraft, Karl-Friedrich O., Iweins triuwe. Zu Ethos und Form der Aventiurenfolge in Hartmanns<br />

Iwein. Eine Interpretation, Amster<strong>da</strong>m: Ro<strong>do</strong>pi, 1979, S. 38.<br />

2 Die hier folgende Auslegung beruht zum gròBten Teil auf der ausfûhrlichen Arbeit Ulrich Pretzels<br />

zum Lexem Treue' aus dem Gr<strong>im</strong>mschen Wórterbuch (Gr<strong>im</strong>m, Jakob und Wilhelm, Deutsches<br />

2


in geistlicher spháre eine besondere funktion, die bis zu Luther hin<br />

lebendig bleibt: es tritt neben glaube auf <strong>da</strong>s gleiche 'wortfeld'." 3<br />

Ausgehend von der Tatsache, <strong>da</strong>B <strong>da</strong>s gothische *triggw-a fur 'Bund, Vertrag'<br />

stand, widerspricht Helga Albrand in ihrer Studie Untersuchungen uber<br />

Sinnbereich und Bedeutungsgeschichte von and. triuwa und mhd. triuwe bis<br />

einschlieBlich Hartmann von Aue (1964) dieser Ansicht Pretzels und meint, der<br />

àlteren Stufe liege mit groBer Wahrscheinlichkeit eine abstrakte Bedeutung <strong>im</strong><br />

Sinne von Testigkeit, zuverlássiges Verhalten aufgrund eines Vertages' zugrunde.<br />

Demzufolge wurde also die konkrete Bedeutung von "Bund, Vertrag', dessen<br />

„dingliche Sachverhalte, die auf der ursprùnglichen abstrakten Bedeutung beruhen<br />

und die zum eigentlichen Sinngehalt der Bezeichung wurden" 4 erst einer spáteren<br />

Bedeutungsstufe angehõren. In den spãrlichen Belegen der althochdeutschen Zeit<br />

ist sie nachweisbar und zwar <strong>im</strong> Bereich der Rechtssprache, wo sie ein rechtlich<br />

wirksames und verbindliches Bindungsverhàltnis bezeichnet, <strong>da</strong>s die<br />

Vertragsparteien eingehen. In diesem Zusammenhang bezog sich die ahd. triuwa<br />

nicht auf die persõnliche Tugend der Zuverlãssigkeit, sondem bezeichnete<br />

lediglich die Verhaltensweise, die zur rechtmaBigen Erfùllung des Vertrages<br />

fuhrte. 5 Der Eindruck je<strong>do</strong>ch, den solch ein Verhalten erweckte, d.h. <strong>da</strong>s<br />

Vertrauen, <strong>da</strong>s aus einem solchen Verhàltnis entstand, durchdrang so sehr die<br />

konkrete Bedetung des Begriffs, <strong>da</strong>B man fortan mit zwei Seiten des Begriffs zu<br />

tun hat: einer vertragsrechtlichen und einer moralischen. Die Vorstellung eines<br />

gegenseitigen Bundnisses wird indessen ausgeweitet, und eine weitere<br />

Konnotation erobert <strong>da</strong>s Bedeutungsfeld: <strong>da</strong>s Verhàltnis von Person zu Person <strong>im</strong><br />

Allgemeinen, wobei die semantische Fárbung von zuverlássigem Handeln, dem<br />

Befolgen und Erfullen von eingegangenen Verpflichtungen, von Aufrichtigkeit,<br />

Gewissenhaftigkeit und Uneigennutzigkeit, ob auf rechtmaBiger oder rein<br />

Wõrterbuch, Leipzig:Hirzel, Sp. 282-342), sowie auf Krafts Kapitel N Zu Geschichte und Sinnbereich<br />

des Begriffs' aus seiner Studie zu Iwein.<br />

3 Pretzel, Ulrich, (Anm.2), Sp. 286.<br />

4 Albrand, Helga, apud. Kraft, Karl-Friedrich O., (Anm.1), S. 39.<br />

5 Ich weise auf die entgegengesetzte Meinung Pretzels hin, <strong>da</strong>B bereits „<strong>im</strong> althochdeutschen (...)<br />

<strong>da</strong>s wort in den geistlichen bereich ruckt, manchmal bis zu scheinbarer synon<strong>im</strong>itât mit galauba<br />

und galaubo, (...)", (Anm.2), Sp. 286.<br />

3


zwischenmenschlicher Ebene, <strong>da</strong>s Wort in alien seinen Bedeutungsnuancen<br />

prágen wird.<br />

Auch die ersten christlich gefárbten Belege von triuwa/triuwe bezeichneten<br />

zunáchst <strong>da</strong>s Verhàltnis Gottes zu den Menschen und der Menschen zu Gott<br />

generell ais ein Verhàltnis, <strong>da</strong>s einerseits <strong>im</strong> Sinne von "fides Dei' auf der „Treue<br />

und Wahrhaftigkeit Gottes" beruht, „die ihn veranlaBt, seine VerheiBungen zu<br />

erfullen" und andererseits <strong>im</strong> Sinne von "tides' des Menschen, in dem „weniger die<br />

Clberzeugung von der Heilswahrheit (...) als vielmehr eine (...) umgreifende<br />

Einstellung zu den Geboten Gottes" 6 zàhlt. Diese Auffassung von dem<br />

gegenseitigen Charakter <strong>im</strong> Verhàltnis des Menschen zu Gott wurde in erster Unie<br />

auf die alt- und neutestamentarischen Vorstellungen gestutzt, wie die vom<br />

Treubund Gottes mit Abraham oder von der Taufe als einem Akt Pakt mit Gott.<br />

Auch hier wird deutlich, <strong>da</strong>l3 triuwa/triuwe zu diesem Zeitpunkt kaum innere<br />

Werte meinte, sondern fur ein gewissenhaftes PflichtbewuBtsein stand.<br />

Das Denkmal Heliand zeigte uns inzwischen, <strong>da</strong>B unter mehreren germanischen<br />

Dialekten es zunáchst <strong>da</strong>s unter dem starken EinfluB der angelsàchsischen<br />

Missionssprache stehende Altsàchsische war, <strong>da</strong>s sich fur die geistigen<br />

Konnotationen des triuwe-Begriffs <strong>im</strong> Sinne der Náchsten- und Menschenliebe am<br />

ehesten empfànglich zeigte. Durch die mittelalterliche typologische Denkform <strong>im</strong><br />

Sinne von Urbild-Abbild begunstigt, gewann triuwe <strong>im</strong>mer mehr an ethischem<br />

Wert und eine Unterscheidung ihrer Ûbergangsstadien gestaltete sich als<br />

zunehmend schwieriger. Eine sinngerechte Deutung wurde auch <strong>da</strong>durch<br />

erschwert, <strong>da</strong>B ihr formelhafter Gebrauch, zumal in prápositonalen Verbindungen,<br />

zu wuchern begann, so <strong>da</strong>B „die schweren ethischen Sinngehalte" und „die<br />

Neigung zu verflachten, abgeschwâchten Flickwendung merkwurdig<br />

dichtnebeneinander" 7 gingen.<br />

In den hochhófischen Epen, die an der Schwelle des 12. zum 13. Jahrhundert<br />

entstanden, erfuhr triuwe ihre gesamte Bedeutungsvielfalt und zwar <strong>da</strong>durch, <strong>da</strong>B<br />

die obigen aus dem Heliand genannten Bedeutungsvarianten durch neue Nuancen<br />

6 Albrand, Helga, apud., Kraft, Karl-Friedrich O., (Anm.1), S. 41-42.<br />

7 Pretzel, Ulrich, (Anm.2), Sp. 287.<br />

4


<strong>im</strong>mer vielfàltiger wurden: sie beinhalteten zwischenmenschliches Mitgefuhl und<br />

Erbarmen, wohl in die christliche Vorstellung von der misericórdia Dei<br />

eingekleidet, wáhrend <strong>da</strong>s ursprungliche sàkulare Rechtsverstãndnis, <strong>da</strong>s mit dem<br />

Erfullen von Vertragsverpflichtungen gewãhrleistet wurde, nun allmàhlich<br />

zugunsten eines „weniger rechtlich begrundeten als vielmehr gefuhls- und<br />

gesinnungsmaBig verstandene(n) Verhalten(s)" 8 weicht. Dies geschieht<br />

hauptsàchlich in Wolframscher Dichtung, in der triuwe zunáchst der religiõsen<br />

Sphàre angehõrt und <strong>im</strong> Mittelpunkt seines ethischen Systems steht. Fur Wolfram<br />

ist triuwe vor aliem Bindung (religio): die feu<strong>da</strong>le Bindung zwischen Lehnsherr<br />

und Lehnsmann, insbesondere aber zwischen den Verwandten und mit den Toten.<br />

Und weil Gott ais <strong>da</strong>s Herzstùck des gesamten Verwandtschaftsystems figuriert<br />

und ais hõchster Richter seine Verpflichtungen kennt und erfullt (iustitia Dei), wird<br />

er nicht nur triuwe genannt, sondem mit ihr gleichgesetzt. Wurde die Bindung des<br />

Menschen an Gott vorerst ais ein durch den Akt der Taufe geschlossener Vertrag<br />

verstanden, die eine gegenseitig einzufordernde tríuu;e-Leistung <strong>im</strong>plizierte, so<br />

wurde sie zu einer exemplarischen Verhaltensweise, die der Mensch, <strong>im</strong><br />

Gegenzug, Gott und seinen Mitmenschen gegenuber schuldete.<br />

Dieser Doppelcharakter, der zahlreiche, vor aliem aus dem Gefolgschaftswesen<br />

entnommene mittelhochdeutsche Begriffe auszeichnete, <strong>im</strong> Sinne <strong>da</strong>l3 sie sowohl<br />

eine auf Jenseits ausgerichtete Bedeutungsvariante besaBen ais auch weltliche<br />

Dinge bezeichneten, fúhrte die Forschung nicht selten <strong>da</strong>zu, unterschiedliche,<br />

manchmal einander ausschlieBende Meinungen zu entwickeln, wie sie <strong>im</strong><br />

Folgenden <strong>da</strong>rstellt werden.<br />

8 In seinem 1969 veróffentlichten Beitrag „Die Ehre <strong>im</strong> Menschenbild der deutschen Dichtung um<br />

1200" (in Bindschedler, Maria u. Zinsli, Paul (Hrsg.), Geschichte, Deutung, Kritik.<br />

Literaturwissenschaftliche Beitrâge <strong>da</strong>rgebracht zum 65. Geburtstag Werner Kohlschmidts, Bern:<br />

Francke, 1969, S. 30-44) weist Friedrich Maurer auf eine ganze Reihe alter, wie er sie nennt,<br />

Gefolgschaftswórter hin, wie êra/êre, triuwa/triuwe, gnâde und hulde, u.a., in die „der religiose<br />

Inhalt hineingetragen worden ist" und die demzufolge einen <strong>do</strong>ppelseitigen Charakter aufweisen.<br />

Genauso wie triuwa bezeichnet era zunáchst <strong>da</strong>s Verhàltnis zwischen Mensch und Mensch, um<br />

spàter auch <strong>da</strong>s Verhàltnis zwischen Mensch und Gott zu bezeichnen. „Mit era ist <strong>da</strong>s Ansehen<br />

und Wurde gemeint, die Gott besitzt; es ist die Ehrerbietung und Ehrung gemeint, die der Mensch<br />

Gott entgegenbringt; es ist auch Gottes Allmacht gemeint und die Gnade, die er dem Menschen<br />

schenkt. Aber es ist auch die Anerkennung und Ehrung gemeint, die der Mensch dem Menschen,<br />

seinem weltlichen Herrn, entgegenbringt, wie auch die Gunst, die der Herr seinem Getolgsmann<br />

5


2. Rezeptionsgeschichte - Einleitung<br />

Die Zahl der wissenschaftlichen Publikationen, die sich ausschlieBlich dem Thema<br />

triuwe <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong> widmet, ist verhaltnismàBig gering gegenùber der<br />

erstaunlichen Resonanz, deren es sich in den breiten Óffentlichkeit erfreute, und<br />

gegenùber dem EinfluB, den es auf den Ablauf der Geschichte einer ganzen<br />

Nation auszuùben vermochte. Dies mag <strong>da</strong>ran geiegen haben, <strong>da</strong>B seine<br />

Rezeptionsgeschichte wesentlich starker durch den nichtakademischen, d.h. durch<br />

den schulischen, kùnstlerischen und vor allem journalistischen Bereich beeinfluBt<br />

wurde als durch die akademische Forschung, die lange Zeit, bis in <strong>da</strong>s 20.<br />

Jahrhundert hinein, von der Breitenwirkung weitgehend abgekapselt war. 9<br />

Wàhrend ùber triuwe in den Werken Wolframs von Eschenbach Tausende von<br />

Seiten produziert werden, sind die wissenschaftlichen Publikationen, die dièse<br />

treibende Kraft und Kardinaltugend des mittelalterlichen Menschen am Beispiel<br />

des <strong>Nibelungenlied</strong>es erõrtern, wesentlich seltener, es sei denn sie blieben in ihrer<br />

historischen Bedingtheit dem EinfluB der nationalen Idéologie verhaftet. Dies will<br />

je<strong>do</strong>ch nicht besagen, <strong>da</strong>B triuwe der Nibelungen-Forschung gánzlich fremd war.<br />

Eine ganze Reihe von Abhandlungen aus der zweiten Phase der Nibelungen-<br />

Rezeption, die <strong>im</strong> Folgenden <strong>da</strong>rgestellt wird, zeugt <strong>da</strong>von, <strong>da</strong>B dieses Fun<strong>da</strong>ment<br />

der mittelalterlichen Gesellschaftsordnung sehr wohl zur Débatte stand, je<strong>do</strong>ch<br />

entweder als Charakteristikum einzelner Gestalten (Hagen, Kriemhild, Rùdiger)<br />

oder als <strong>im</strong>manenter Bestandteil eines best<strong>im</strong>mten Forschungsgegenstandes, zum<br />

Beispiel <strong>im</strong> Bezug auf die politischen Verhàltnisse der Zeit um 1200, in der <strong>da</strong>s<br />

<strong>Nibelungenlied</strong> wahrscheinlich nicht nur niedergeschrieben wurde, sondern auch<br />

erstmals so, wie wir es kennen, entstand. Es scheint je<strong>do</strong>ch, <strong>da</strong>B einige Fragen zu<br />

schenkt." (S. 33) Daran ist auch der Entwicklungsweg und die Bedeutungspalette der triuwe<br />

ablesbar.<br />

9 Helmut Brackert spricht in dem Zusammenhang nicht ohne Geringschàtzung von der<br />

„Glashausphilologie" und Friedrich Panzer àuBert sich, mit einem Hauch Wehmut scheint es, in<br />

seiner Rezension zu Heuslers Buch Ùber Nibelungensage und <strong>Nibelungenlied</strong> von 1921<br />

folgendermaBen ùber die Nibelungen-Philologie des 19. Jahrunderts: „Die wissenschaft hat rasch<br />

verstanden, sie (altdeutsche dichtung und <strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong>) zu ersticken, indem sie die<br />

ùberlieferung mit einem stacheldraht umzàunte und hundert schilder in die runde stellte die<br />

unbefugten (...) den zutritt wehrten." (Panzer, Friedrich, Zu Heusler, in ZfdPh 50 (1926), S. 456-461,<br />

hier S. 461)<br />

6


diesem Thema often geblieben sind, zumindest vor dem Hintergrund neuester<br />

Forschungstendenzen, beispielsweise wie láGt sich zwischen den verschiedenen<br />

fnuiue-Arten ais einerseits der feu<strong>da</strong>len Wirklichkeit entnommenen Kategorie und<br />

andererseits als literarisches Konstrukt eines so vielschichtigen und zugleich<br />

ungere<strong>im</strong>ten Werkes wie des <strong>Nibelungenlied</strong>es ein Zusammenhang herstellen und<br />

wo sind ihre Reibungspunkte? Erschópfte sich triuwe nur <strong>im</strong> ausharrenden<br />

Waffendienst Oder gab es auch eine auf friedensstriftende triuwe-Art? Und vor<br />

allem, welche erweist sich als starker, wie kommen sie zum Ausdruck und wieso<br />

scheitern sie?<br />

Urn auf diese Fragen gewiBermaBen plausible Antworten zu finden, muB die<br />

Grenze zwischen der Literatur- und Geschichtswissenschaft uberschritten werden.<br />

Die neueste Tendenz in der Mittelalterforschung <strong>im</strong> Allgemeinen und in der<br />

Altgermanistik <strong>im</strong> Besonderen geht seit ungefàhr zwei Jahrzehnten in Richtung<br />

historischer Anthropologie und Mentalitàtshistorie, fur deren verstàrkten Einsatz in<br />

der Untersuchung mittelalterlicher Texte u.a. Jan-Dirk Muller wiederholt plãdiert<br />

hat. Die in den sechziger Jahren vertretenen gesellschaftshistorischen i<br />

Interpretationsansàtze sind seit der Mitte der siebziger Jahre nach und nach<br />

abgelõst worden zugunsten eines neuen Paradigmas der mentalités collectives,<br />

die die „in d(en) Texten eingegangenen und sie in ihrer Thematik best<strong>im</strong>menden<br />

Verhaltensdispositionen und Einsteliungen, die gruppenspezifischen<br />

Handlungsnormen, die Glaubensvorstellungen und Rituale" 10 zum Gegenstand<br />

haben. Daher ist es von Bedeutung, <strong>da</strong>B man bei der Untersuchung eines der<br />

zentralen Begriffe der mittelalterlichen Lebensauffassung insgesamt, des Begriffs<br />

triuwe nàmlich, neben seiner bereits viel diskutierten Relevanz <strong>im</strong> Lehnswesen,<br />

bzw. in herrschaftlichen Bindungen, seinen Stellenwert auch in andersartigen<br />

Bindungen untersucht. Darùber hinaus ist es von Belang, die Formen seiner<br />

Konkretisierung <strong>im</strong> Rahmen mittelalterlicher Verhaltensnormen ein Stuck weiter zu<br />

analysieren, als dies bislang getan wurde, und auch den Zusammenhang zu<br />

untersuchen zwischen triuwe und Recht, die nicht selten eng miteinander<br />

10 Peters, Ursula, „Familienhistorie als neues Paradigma der mittelalterlichen Literaturgeschichte?",<br />

in Heinzle, Joach<strong>im</strong> (Hrsg.), Modernes Mittelalter. Neue Bilder einer populàren Epoche, Frankfurt<br />

am Main: Insel, 1999, S. 134-162, hierS. 134.<br />

7


verbunden waren. Trotz der Interdisziplinaritàt allerdings sollte jede<br />

literaturwissenschafliche Arbeit móglichst nah am Text bleiben. Dennoch: es <strong>da</strong>rf<br />

von der Dichtung keineswegs geradewegs auf geschichtliche Wirklichkeit<br />

geschlossen werden so wie die Heranziehung von Kenntnissen, die ihre Grundlage<br />

in historischer Wirklichkeit haben, nicht mechanisch auf die fiktiv konstruierte Welt,<br />

so wie sie uns in einem literarischen Werk begegnet, ubertragen werden durfen.<br />

Vielmehr sollte man nach den sogenannten anthropologischen Konstanten<br />

Ausschau halten und versuchen, Faktizitãt und Fiktionalitãt auf eine differenzierte,<br />

sowohl der Literaturwissenschaft als auch der historischen Anthropologie gerechte<br />

Weise miteinander zu vereinbaren und zu verknupfen.<br />

2.1. Rezeption und Wirkung<br />

Die sachbezogene Forschung am <strong>Nibelungenlied</strong> <strong>im</strong> 19. und zu Beginn des 20.<br />

Jahrhunderts, angeregt von Karl Lachmanns Diaskeuastentheorie 11 und<br />

weitergefuhrt durch Andreas Heuslers Anschwellungstheorie, 12 wurde groGtenteils<br />

von den Auseinandersetzungen urn die Entstehung des Epos und die<br />

Handschriftenwertung und -kritik best<strong>im</strong>mt. Diese Theorien fallen unter den<br />

Oberbegriff Genesetheorien, die zeittypisch inhaltliche Interpretationen nur wenig<br />

zu schàtzen wuBten und aus deren, urn mit Panzer zu sprechen, „anatomischer"<br />

Betrachtungsweise es erkennbar ist, <strong>da</strong>B der Begriff triuive <strong>da</strong>rin so gut wie keine<br />

Rolle spielte. AuBerhalb dieser Forschungstendenz hat es allerdings eine Reihe<br />

unterschiedlicher Beitràge gegeben, die strenggenommen nicht dem<br />

akademischen Bereich zuzuschreiben waren, oder die trotz ihrer<br />

11 Diaskeuastentheorie (vom. griechischen Diaskeuast: der Bearbeiter eines literarischen Werkes,<br />

insbesondere der Homerischen Epen), angeregt und weitergefuhrt wàhrend der ersten Hàifte des<br />

19. Jahrhunderts vom einfluBreichen Berliner Philologen Karl Lachmann, war ein erster Versuch,<br />

<strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong> wissenschaftlich zu erforschen. Der Ausgangspunkt seiner Théorie, ùbrigens<br />

nur einer unter mehreren Genesetheorien, war, der Dichter sei eigentlich ein Úberarbeiter und<br />

Ordner gewesen, der die ursprunglichen Lieder gesammelt und unter eine best<strong>im</strong>mte Idee geordnet<br />

hat.<br />

12 Im Gegensatz zur Diaskeuastentheorie Lachmanns, nach der <strong>da</strong>s Epos durch die einfache<br />

Addition von Liedern entstanden sein sollte, ruckte Andreas Heusler die dichterische Leistung in<br />

den Vordergrund, der die "Anschwellung' der verschiedenen Quellen (<strong>da</strong>runter die Brunhild- und<br />

die Burgundensage) der Heldensage zu einem solchen Epos zu ver<strong>da</strong>nken sei.<br />

8


wissenschaftlicher Natur gegen den EinfluB nationaler Idéologie nicht <strong>im</strong>mun<br />

haben bleiben kõnnen. In diesen Beitrâgen spielte demzufolge die<br />

"Nibelungentreue' eine nicht zu unterschãtzende Rolle und ubte einen<br />

entscheidenden EinfluB auf die Mentalitát der deutschen Nation aus. Urn sich ein<br />

mehr oder weniger vollstândiges Bild dieses beruhmten und zugleich anruchigen<br />

Begriffes machen zu kõnnen, sei hier zunáchst ein Résumée stichwortartig<br />

vorangestellt, wie <strong>da</strong>mit bis 1939 vorgegangen wurde.<br />

Spricht man von der Rezeptionsgeschichte des <strong>Nibelungenlied</strong>es, so werden<br />

grosso mo<strong>do</strong> zwei Rezeptionsmodelle unterschieden: <strong>da</strong>s erste, isolierende<br />

Rezeptionsmodell war úberwiegend eine populáre Rezeption des Epos, die nach<br />

einer Breitenwirkung strebte und die den Arbeiten mit wissenschaftlichem<br />

Anspruch mehrfach verschlossen blieb. Dieses Modell zeichnete sich <strong>da</strong>durch aus,<br />

„<strong>da</strong>B man einzelne, isolierte Momente des Textes zur Formuliereung von<br />

Sinnaussagen benutzt, die vom Werk als Ganzem nicht gedeckt sind, und,<br />

parasitenhaft, gleichwohl dessen Autoritàt zur Beglaubigung in Anspruch<br />

(n<strong>im</strong>mt)." 13 Dieses Modell beherrschte die Nibelungen-Rezeption bis zu ihrer<br />

ersten groBen Zásur, dem Zweiten Weltkrieg. Infolge der Bemùhungen der<br />

Nachkriegsgermanistik, die Forschung des <strong>Nibelungenlied</strong>es vom nationalistischen<br />

und nationalsozialistischen Erbe zu befreien, entstand ein weiteres, ebenfalls<br />

jahrzehntelang vorherrschendes Rezeptionsmodell, nàmlich die sogenannte<br />

konstruierende Rezeption. In ihrem Anliegen, <strong>da</strong>s Werk als ein in sich<br />

geschlossenes Ganzes zu betrachten, versuchten die Altgermanisten, die Risse<br />

und Unebenheiten in seiner epischen Struktur mittels moderner metho<strong>do</strong>logischer<br />

Ansátze zu beheben und ihm somit zu einem oberflàchlich verweigerten Sinn zu<br />

verhelfen.<br />

13 Heinzle, Joach<strong>im</strong>, „Zwe<strong>im</strong>al Hagen oder: Rezeption als Sinnunterstellung", in Heinzle, Joach<strong>im</strong><br />

und Waldschmidt, Anneliese (Hrsg.), Die Nibelungen. Ein deutscher Wahn, ein deutscher Alptraum.<br />

Studien und Dokumente zur Rezeption des Nibelungenstoffs <strong>im</strong> 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt<br />

am Main: Suhrkamp, 1991, S. 21-40, hierS. 33.<br />

9


2.1.1. Rezeption und Wirkung bis 1939 (Isolierende Rezeption)<br />

Da die Rezeptionsweise eines jeden Kunstwerks oder gar eines seiner Motive<br />

vom Geist der jeweiligen Epoche unverkennbar gepràgt ist, ist es zunàchst wichtig<br />

auf die historische Folie der isolierenden Rezeption hinzuweisen, durch die die<br />

steigende Popularitàt des <strong>Nibelungenlied</strong>es erst mõglich wurde.<br />

Wie uns die Geschichte <strong>im</strong>mer wieder gezeigt hat, entsteht gerade in Notzeiten die<br />

Besinnung auf die eigenen, identitàtsstiftenden Traditionen, so zûndete auch <strong>da</strong>s<br />

<strong>Nibelungenlied</strong> den Funken des deutschen Patriotisumus angesichts der<br />

miserablen St<strong>im</strong>mungslage nach den Niederlagen von Jena und Auerstedt <strong>im</strong><br />

Jahre 1806/07 an. Auch <strong>da</strong>s Nichtvorhandensein eines positiven geschichtlichen<br />

Ereignisses bzw. historischer GroBe, auf die man sich auf der Suche nach einer<br />

nationalen Identitàt hãtte beziehen kõnnen, fõrderte geradezu den Aufstieg des<br />

<strong>Nibelungenlied</strong>es zu einer nationalen Epopóe des deutschen Volkes. Dieses Kl<strong>im</strong>a<br />

der allgemeinen Frustration und Niedergeschlagenheit ging Seite an Seite mit der<br />

<strong>da</strong>maligen kulturideologischen Strõmung, in der die Romantiker in ihrer in<br />

trãumerischer Versponnenheit grùndenden Verherrlichung vergangener Zeiten die<br />

Neubelebung der alten Nationalmythen und -epen forderten.<br />

Die romantische Naivisierung, die sich in erster Unie durch ihren apolitischen<br />

Charakter auszeichente, schloB die politische Aktualisierung des Stoffes je<strong>do</strong>ch<br />

keineswegs aus, sie zeigte sich sogar <strong>da</strong>fùr ais hóchst anfãllig. In einer<br />

Atmosphère zwischen gemàBigter vaterlàndischer Inbrunst und aufwallender<br />

teutomanischer Agitation wurde <strong>da</strong>s Epos der Nibelungen schlagartig zum Inbegriff<br />

des patriotischen Widerstandes gegen die napoleonische Vorherrschaft zum einen<br />

und gegen ailes Franzõsische zum anderen. Es ûbernahm die Aufgabe, fehlendes<br />

nationales SelbstbewuBtsein der Deutschen - <strong>da</strong>s bis <strong>da</strong>hin nur aus Tacitus'<br />

Schrift Germânia sich hatte speisen konnen - zu beheben, ungeachtet dessen, <strong>da</strong>B<br />

es mit der deutschen Geschichte nur wenige Berùhrungspunkte hatte. 14<br />

14 Als Antwort auf den berùhmten Satz des Schweizer Historikers Johannes Mùller aus dem Jahr<br />

1786, <strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong> kònnte die "Teutsche Nias' werden, gibt der Philosoph Friedrich Theodeor<br />

Vischer zu bedenken: „Unser he<strong>im</strong>isches Heldenlied, dem griechischen so verwandt wie die Poésie<br />

keines anderen Volks, steht <strong>da</strong>rin <strong>im</strong> hóchsten Nachteil gegen die griechische Sage, <strong>da</strong>ss dièse<br />

10


Das von Germânia inspirierte und von den Humanisten propagierte Bild des<br />

germanischen Heidentums wurde von den patriotisch gesinnten Romantikern zur<br />

deutschen Ursprungslegende umgedeutet. Auch die sog. taciteischen<br />

Germanentugenden, wie Gefolgschaftssinn, Rassenreinheit, Naturnáhe und der<br />

hohe Stellenwert der Gruppenbindung ùberhaupt gingen mit dem durch die<br />

Ossian-Mode verunklarten Bild, <strong>da</strong>s die Romantker sich vom Mittelalter schufen,<br />

Hand in Hand. Man bildete sich ein, es bestûnde zwischen den taciteischen<br />

Germanen und den heutigen Deutschen, ùber <strong>da</strong>s gesamte Mittelalter hinweg,<br />

eine ungebrochene Kontinuitàt der Sitten und Lebensformen. Die vielbeschworene<br />

Naturnáhe der germanischen Võlker wurde <strong>da</strong>bei <strong>im</strong> Sinne Rousseaus gedeutet,<br />

nach dem sie als Kritik an der europáischen Feu<strong>da</strong>lgesellschaft und der bùrgerlich-<br />

dekadenten Zivilisation als eine Art Chance zur Erneuerung vorgehalten wird,<br />

wobei die Tatsache ubersehen wurde, <strong>da</strong>B es Tacitus nicht so sehr <strong>da</strong>rum ging,<br />

„seinen Lesern einen Haufen spezieller und detaillierter Informationen uber die<br />

Germanen zu liefern als vielmehr, ihnen in kunstlerisch eindringlicher Form vor<br />

Augen zu fuhren, <strong>da</strong>B die zivilisierte Welt nach wie vor von barbarischen<br />

Volkerschaften bedroht ist." 15 Unterstutzt durch die Anonymitàt des Autors als<br />

"Volkspoesie' gepriesen und idealisiert, stand <strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong> fur die<br />

vornehmsten Zùge des germanischen (bzw. deutschen) Wesens, die es von<br />

seinen Nachbarvõlkern unterscheiden sollten. 16<br />

Urn eine gewisse Breitenwirkung ùberhaupt in die Wege zu leiten, muBte <strong>da</strong>s<br />

<strong>Nibelungenlied</strong> vorerst ins Neuhochdeutsche ubertragen werden. 1807 gab der<br />

eine geschichtlich nachweisbare Volks-Unternehmung zum Inhalt hat. (...) Unsere Heldensage hat<br />

nicht die Sturme der Vòlkerwanderung, nicht den groBen Sieg uber die Rómer zum Stoffe<br />

genommen; mit deutschem Eigensinn hat sie sich in eine Familiengeschichte eingehaust und sucht<br />

vergebens (...), <strong>da</strong>s enge Interesse zu einem welthistorischen zu erweitern." in Seitter, Walter,<br />

„Urszenen des Politischen. Von der zivilisatorischen Funktion der Literatur und ihrem Ausfall am<br />

Beispiel des <strong>Nibelungenlied</strong>es", in Bónnen, Gerold u. Galle, Volker (Hrsg.), Der Mord und die Klage.<br />

Das <strong>Nibelungenlied</strong> und die Kulturen der Gewalt. Dokumentation des 4. Symposiums der<br />

<strong>Nibelungenlied</strong>gesellschaft Worms e.V. vom 11.bis 13. Oktober 2002, Worms: Verlag Stadtarchiv,<br />

2003, S. 103-121, hierS. 109.<br />

15<br />

von See, Klaus, Barbar Germane Arier. Die Suche nach der Identitàt der Deutschen, Heidelberg:<br />

Carl Winter, 1994, S. 37.<br />

16<br />

Mehr uber die Germanenideologie vgl. von See, Klaus, ,;Blond und blauáugig' Der Germane als<br />

als literarische und ideologische Fiktion", in Bònnen, Gerold und Galle, Volker (Hrsg.), Ein Lied von<br />

gestern? Wormser Symposium zur Rezeptionsgeshichte des <strong>Nibelungenlied</strong>es, Worms: Verlag<br />

Stadtarchiv, 1999, S. 105-139.<br />

11


Schlegel-Schùler Friedrich Heinrich von der Hagen seine Ubertragung heraus: vom<br />

Prinzip der „Erneuung" geleitet, formte v.d.Hagen den mittelalterlichen Text so um,<br />

<strong>da</strong>B er sich hauptsáchlich um die Aufrechterhaltung der vermeintlichen Naivitàt und<br />

Einfachheit der Sprache bemùhte. Dies geschah vornehmlich auf der Ebene der<br />

Worteinheit und zwar durch die móglichst konsequente Beibehaltung der Worter<br />

aus dem heldischen Sprachbereich (wie recke, degen, trost) mit dem gezielten<br />

Effekt, <strong>im</strong> modernen Léser eine Gefùhlswelt zu erwecken, die weniger an <strong>da</strong>s<br />

Mittelalter erinnerte, ais vielmehr eine vage Vorstellung vom Naiv-Germanischen<br />

entstehen lieB, wàhrend die semantischen Ànderungen auf der Strecke blieben.<br />

Ungeachtet der Tatsache, <strong>da</strong>B dièse Ubertragung insgesamt wenig erneuert hat,<br />

strebte v.d.Hagen weit ùber <strong>da</strong>s Àsthetische hinaus: vor dem Hintergrund der<br />

aktuellen Tagespolitik forderte er <strong>da</strong>rùber hinaus eine Erneuerung der Nation. Am<br />

Epos selbst hob er einseitig<br />

„Gastlichkeit, Biederkeit, Redlichkeit, Treue und Freundschaft bis in<br />

den Tod, Menschlichkeit, Milde und GroBmuth in des Kampfes<br />

Noth, Heldensinn, unerschûtterlich(en) Standmuth,<br />

ùbermenschliche Tapferkeit, Kùhnheit, und willige Opferung fur<br />

Ehre, Pflicht und Recht." 17<br />

hervor, wohl in der „Hoffnung auf dereinstige Wiederkehr Deutscher Glorie und<br />

Weltherrlichkeit", 18 was auch <strong>im</strong>mer er mit diesem hohlen Pathos meinen mochte.<br />

War <strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong> einst Volksepos, so wurde es nun Heldenepos:<br />

Wissenschaft und ideologisches Gut konnten <strong>im</strong>mer seltener auseinander<br />

gehalten werden.<br />

Als spàtestens nach den Befreiungskriegen und den Karlsbader Beschlùssen der<br />

patriotische Enthusiasmus verflog und der Zeitgeist friedfertiger wurde, fand die<br />

sog. deutsche Treue ihre weitere Vorbildfunktion <strong>im</strong> Rahmen der Bestrebungen<br />

nach nationalstaatlicher Einheit, indem sie deutschen Fùrsten als unentbehrlicher<br />

17 v.d.Hagen, Friedrich Heinrich, Nibelungen Lied, Vorwort, apud. Ehrismann, Otfrid, Das<br />

<strong>Nibelungenlied</strong> in Deutschland. Studien zur Rezeption des <strong>Nibelungenlied</strong>es von der Mitte des 18.<br />

Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg, Mùnchen: Wilhelm Fink, 1975, S. 71.<br />

12


Faktor der Stabilitàt und moralischer Prinzipien vorgehalten wurde. Diese erste<br />

Rezeptionsphase, die sich bis zur Reichsgrùndung erstreckt, tràgt, nach Klaus von<br />

Sees 19 bildhafter Einteilung der Rezeptionsphasen, den Namen x Kriemhild-Phase',<br />

weil sie sich, unter dem EinfluB des Biedermeiers und des ihn charakterisierenden<br />

biirgerlichen Zeitgeistes, durch die Vorliebe fur <strong>da</strong>s Familiáre und Gefuhlsvolle<br />

auszeichnete. Seit der 1871 muhselig erreichten Reichseinheit wurde die Idee von<br />

der biederen Sittlichkeit und dem treuherzigen Familiensinn aufgegeben zugunsten<br />

der Ethik der Reichsgrûndungszeit, die sich in den folgenden Jahren des<br />

politischen und wissenschaftlichen Aufbruchs verstárkt am Kriegerisch-Heldischen<br />

orientierte. Horaz' beruhmter Satz: Dulce et decorum pro pátria mori wurde neu<br />

entdeckt und die Begriffe 'Held' und 'Heldentum' begannen, bedingt durch die<br />

wilhelminische Idéologie und <strong>da</strong>s Bestreben, die vorhandenen Machtstrukturen zu<br />

festigen, sich allmàhlich mit der Vorstellung des Vaterlandes zu verbinden. 20 Die<br />

herkómmlichen taciteischen Tugenden wurden von dem gewaltigen Aufkommen<br />

politischer und militárischer Tugenden verdrángt. Der arglose Siegfried wurde zum<br />

herrlichsten Nibelungenhelden, „ein(em) Sinnbild des Deutschen, der sich fúr<br />

Fremde opfert und <strong>da</strong>bei den eigenen Nutzen vergieBt." 21 Unter dem Vorzeichen<br />

eines neuen NationalbewuBtseins setzte nun die zweite Rezeptionsphase, die sog.<br />

N Siegfried-Phase' ein, in der der bis <strong>da</strong>hin <strong>im</strong> Elfenbeinturm lebende akademische<br />

Bereich eines Lachmann und der Bruder Gr<strong>im</strong>m eine zunehmende Popularisierung<br />

erlebte und in der die Grenze zwischen Sachbezogenheit und Idéologie <strong>im</strong>mer<br />

flieBender wurde. Selbst Karl Bartsch, dessen Ùbertragung des <strong>Nibelungenlied</strong>es<br />

ais ein herausragendes Zeugnis fur sein philologisches Kónnen steht, ruhmt in<br />

seinem Aufsatz „Die Treue in deutscher Sage und Poésie" die v sprichwõrtliche<br />

deutsche Treue' mit germanischen Wurzeln, 22 freilich ohne diese popularisierende<br />

Rhetorik in seine sachbezogene Forschung angemessen intergrieren zu kónnen.<br />

ia v.d.Hagen, (Anm.17), S. 72.<br />

19 von See, Klaus, „Das Nibelungen-Lied - ein Nationalepos?", in Heinzle, Joach<strong>im</strong> und<br />

Waldschmidt, Anneliese (Hrsg.), (1991), S. 43-110.<br />

20 Úber die ursprungliche Unparteilichkeit des Helden und die Genèse des Begriffs in Richtung<br />

patriotischer Gemeinschaftsbezogenheit vgl. von See, Klaus, „Held und Kollektiv", in ZfdA 122<br />

(1993), S. 1-35, insb. 29-35.<br />

21 von See, Klaus, (Anm.18), S. 77.<br />

22 Bartsch, Karl, Gesammelte Vortràge undAufsàtze, Freiburg i.B.: Mohr, 1883.<br />

13


Bezeichnend hierfùr ist, <strong>da</strong>B dieser Treuebegriff nichts mehr mit der<br />

mittelalterlichen Vasallitàt zu tun hatte, sondern lediglich eine moralische (und<br />

moralisierende) Funktion hatte, die, aus dem Kontext gelõst, der weiteren<br />

Radikalisierung der bereits ohnehin irrational gewordenen politischen Kráfte diente.<br />

Analog zu der Atmosphère nach der Niederlage in den napoleonischen Kriegen<br />

breitete sich 1918 nach dem Kriegsende eine St<strong>im</strong>mung von Enttãuschung und<br />

Verbitterung aus. Doch die Idéologie der Nibelungentreue verschwand keineswegs<br />

aus dem Repertoire der politischen Rhetorik, sondern trat nach dem Krieg verstàrkt<br />

hervor. Nun wurde sie eingesetzt, urn die Vereinigung des Reichs mit Ósterreich<br />

zu propagieren. Der Held der Heldensage wurde von nun an <strong>im</strong>mer willkurlicher<br />

gedeutet - rassistisch, mythisch, antichristlich, <strong>da</strong>rwinistisch - und Treue wurde<br />

nicht mehr ais persõnliche Tugend, sondern als eine auf eiserner Disziplin und<br />

Strenge beruhende Lebenshaltung dem Staat als Treueverband gegenuber<br />

angesehen.<br />

Dies ist zugleich die Leitidee der dritten Phase der <strong>Nibelungenlied</strong>-Rezeption, der<br />

dùsteren v Hagen-Phase'. Hagens Unbeirrbarkeit, seine unerschutterliche Hingabe<br />

und selbstlose Treue lôsten Siegfried in seiner Rolle als nationaler Held ab.<br />

Daruber hinaus war Hagen ein infolge seiner Eingebundenheit in dessen<br />

Gefolgsherrn der neue idéale Heldentyp, der sich als vorbildlicher Staatsdiener fur<br />

die menschenverachtende Idéologie der NSDAP am besten verwerten lieB. 23 Zu<br />

der Frage, wieso gerade <strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong> zum Werkzeug der faschistischen<br />

Propagan<strong>da</strong>maschinerie pràdestiniert war, gibt Helmut Brackert folgendermaBen<br />

zu bedenken:<br />

„Die Geschichte der Rezeption des <strong>Nibelungenlied</strong>es ist nur<br />

erklârbar als der Reflex einer stetig zunehmenden Ideologisierung<br />

Deutschlands, dessen Verlauf nationale, <strong>da</strong>nn nationalistische,<br />

<strong>da</strong>nn <strong>im</strong>perialistische, schlieBlich rassisch-võlkische Politiker<br />

best<strong>im</strong>mten; der Nationalsozialismus bot nur eine letzte, allerdings<br />

23 Dennoch spurten auch die Nazionalsozialisten, <strong>da</strong>B <strong>da</strong>s dustere <strong>Nibelungenlied</strong>, <strong>da</strong> es mit einer<br />

Katastrophe endet, keineswegs <strong>da</strong>s geeignetste Vorbild fur die vielbeschworene Erneuerung<br />

Deutschlands war.<br />

J4


unùberbietbare Form einer schon frùh angelegten Perversion des<br />

Textes, der, solchermaBen verfalscht und s<strong>im</strong>plifiziert, die ewige<br />

Gúltigkeit lángst abstándiger, infantiler Tugendideale postulieren<br />

sollte und so fur die gewissenlose Manipulation von politisch<br />

gefahrlichen Interessen die ideelle Folie bereitstellte.' 24<br />

ZusammengefaBt làBt sich behaupten, <strong>da</strong>s Rezeptionsbild des 19. und 20.<br />

Jahrunderts bis zum Zusammenbruch des Dritten Reiches war, mit einigen<br />

Abweichungen die unterschiedlichen Rezeptionsbereiche betreffend, eine<br />

Mischung aus<br />

«nationale(r) Idéologie, eine(r) oberflàchlichen, auf Typisierung<br />

abgest<strong>im</strong>mte(n) Textkenntnis und eine(r) Ahnung von der Genèse<br />

des Epos, <strong>da</strong>B es irgendwie [Hervorhebung von mir] <strong>im</strong> Volk oder<br />

zumindest in groBer Volksnahe entstanden sei und <strong>da</strong>B es alte<br />

deutsche Sagen enthalte." 25<br />

Nur vereinzelt ging man vom mittelhochdeutschen Text aus, man stútzte sich<br />

<strong>da</strong>gegen auf vorhandene Ùbertragungen und Ùbersetzungen, in denen es trotz ail<br />

ihrer Repràsentativitàt, von, z.T. unbewuBt vorgenommenen, willkùrlichen<br />

Umdeutungen w<strong>im</strong>melte. Und anstatt <strong>da</strong>s Kunstwerk in seiner Gesamtheit zu<br />

betrachten, begnùgte man sich mit Syndromen, <strong>da</strong>runter dem <strong>da</strong>s ganze<br />

Tugendsystem ùberstrahlenden Treue-Syndrom, fur <strong>da</strong>s man <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong><br />

einen glaubwùrdigen Beleg zu finden glaubte.<br />

2.1.2. Nachkriegsforschungen (Konstruierende/interpolierende Rezeption)<br />

Im Hinblick auf den MiBbrauch, der mit dem Begriff ^Nibelungentreue' <strong>im</strong> Laufe<br />

des 19. Jahrhunderts getrieben wurde, und insbesondere auf die "Hypothek des<br />

24 Brackert, Helmut, „<strong>Nibelungenlied</strong> und Nationalge<strong>da</strong>nke. Zur Geschichte einer deutschen<br />

Idéologie", in Hennig, Ursula und Kolb, Herbert (Hrsg.), Medievalia literária. Festschrift fúr Helmut<br />

de Boor zum 80. Geburtstag, Mùnchen: Beck, 1971, S. 343-364, hier S. 363.<br />

25 Ehrismann, Otfrid, (Anm 17), S. 272.<br />

15


SS-Ahnenerbes', wurde er nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches nicht<br />

mehr als heroischer, sondern zunehmend als geistiger Wert gelesen, nicht selten<br />

<strong>im</strong> Sinne Hartmanns oder Wolframs. 26 Mit dem Argument, die Welt sei endlich<br />

befriedet und zivilisiert, wurden all die Begriffe, die auf irgendwelche Weise mit<br />

dem Bereich des Heidnischen, bzw. des Germanischen assoziiert werden konnten,<br />

tabuisiert und <strong>im</strong> eifrigen Bemuhen, den Text von politischen Konnotationen<br />

endgultig zu sáubern, rùckten seit den 50er Jahren andere Analyseebenen in den<br />

Mittelpunkt, die sich urn <strong>da</strong>s Gefuge der Motivationsstrukturen konzentrierten, und<br />

die uber Jahrzehnte hinweg fur reichlich Diskussionsstoff und eine breite Palette<br />

von Interpretationsversuchen sorgten. Ihre Rechtfertigung fanden sie in all den<br />

Ungere<strong>im</strong>theiten, Lùcken und Widerspruchen, die <strong>da</strong>s Nibelungen-Epos aufweist.<br />

Der moderne Léser und Interpret sah sich gezwungen, ergànzend einzugreifen<br />

und Leerstellen 27 (die bereits 1903 Friedrich Panzer als „unbehagliche<br />

kunstlerische Widerspruche" bezeichnete), bzw. <strong>da</strong>s vom Epiker auf der<br />

Oberflãche Verweigerte, aufzufùllen, und meistens geschah dies unter einem<br />

Ansatz, der mit Hilfe von psychologisierenden Verknúpfungen der kausal<br />

Meinungen, nach denen man zwischen Siegfried und Parzival oder Hagen und Parzival<br />

vergleichbare Fálle zu finden glaubte, sind lángst nicht mehr verwertbar. Das Vergleichen von<br />

Wolframschen und Nibelungischen Figuren hat teilweise zu skurrilen Behauptungen gefuhrt, so z.B.<br />

Mergells Urteil, die „selbstlosen" Aussagen des sterbenden Siegfried zeigten, <strong>da</strong>í3 er<br />

„Wolframschen Gestalten wesensverwandt" sei oder <strong>da</strong>sjenige, <strong>da</strong>s Hagens Weg „durch Schuld<br />

und Sùhne" Parzivals Weg gegenuberstellt. Vgl. Mergell, Bo<strong>do</strong>, „<strong>Nibelungenlied</strong> und hòfischer<br />

Roman", in Euphorion 45 (1950), S. 305-336, hier S.334.<br />

27 In seiner inzwischen klassisch gewordenen Studie Die Apellstruktur der Texte. Unbest<strong>im</strong>mtheit<br />

als Wirkungsbedingung literarischer Prosa (Konstanzer Universitátsreden, 28., Constance:<br />

Universitátsverlag, 1970) uber die Rezeptionsàsthetik verweist Wolfgang Iser auf die Tatsache, <strong>da</strong>l3<br />

ein gewisser Grad an Unbest<strong>im</strong>mtheiten „zu den elementaren Existenzbedingungen literarischer<br />

Texte" gehórt (Heinzle, [Anm.13], S. 265), und zwar indem „der Text eine Mannigfaltigkeit von<br />

Ansichten entrollt" und den narrativen Gegenstand nur „schrittweise hervorbringt und ihn<br />

gleichzeitig fur die Anschauung der Léser konkret macht. (...) Solche Leerstellen eròffnen (...) einen<br />

Auslegungsspielraum fur die Art, in der man die in den Ansichten vorgestellten Aspekte aufeinander<br />

beziehen kann." (apud., Heinzle, [Anm.13] S. 265-266) Je nach der Art und Weise wie ein Interpret<br />

bei dem Verbinden der vorgegebenen Punkte vorgeht und welche metho<strong>do</strong>logischen Ansátze er<br />

<strong>da</strong>bei benutzt, ergeben sich jeweils unterschiedliche Interpretationen. Das Problem liegt <strong>da</strong>bei<br />

<strong>da</strong>rin, <strong>da</strong>l3 die epische Inkonsistenz, die <strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong> prágt, nicht <strong>im</strong> modernen Sinne als<br />

kunstlerisch gewollt aufzufassen ist, sondern als Strukturdefizit eines Erzàhlstoffes bei seinem<br />

Ùbergang aus der Mùndlichkeit in die schriftliche Form. Auf der anderen Seite leiden heldenepische<br />

Texte in betrachtlichem MaBe gattungsbedingt an mangelnder Folgerichtigkeit und Kohàrenz: die<br />

<strong>im</strong> voraus best<strong>im</strong>mte und ûbergeordnete Finalitàt des Handlungsfortgangs geschieht auf Kosten<br />

von dessen Kausalitát.<br />

16


motivierten Ebene zu ihrer Plausibilitàt zu verhelfen versuchte. Somit war die<br />

Stunde der konstruierenden Rezeption gekommen. Da aber weder der Text noch<br />

die bekannten historischen Erfahrungsmuster die Beweggrunde der<br />

/V/£>e/ungen//ec/-Protagonisten verraten, lassen sich die unterschiedlichen<br />

Deutungsmodelle weder endgultig widerlegen noch ais richtig bestátigen.<br />

Dièse Betrachtungsweise des <strong>Nibelungenlied</strong>es, die seit der Mitte der 50er Jahre<br />

sich in der Nibelungen-Forschung etabliert hat, machte den Weg frei fur eine Reihe<br />

von Interpretationen, die <strong>da</strong>s Epos erstmals als Ganzes zu deuten beginnen, und<br />

ihm seinen Sinn abzugewinnen versuchen. Die in der Stoffgeschichte verankerte<br />

Analyseebene verschiebt sich in Richtung text<strong>im</strong>manenter Untersuchungen, die<br />

<strong>da</strong>s Epos ais indivuduelle Schõpfung eines hochbegabten Dichters in den<br />

Mittelpunkt rucken. So unterschiedlich diese Untersuchungen auch sein mõgen,<br />

verfàhrt diese Interpretationspraxis <strong>im</strong>mer nach demselben Schema: „sie unterstellt<br />

dem Werk einen Sinn, indem sie die Widerspuche in einer ubergreifenden<br />

Ge<strong>da</strong>nkenkonstruktion aufgehen laBt, die die erzãhlte Welt um eine sinnstiftende<br />

D<strong>im</strong>ension von Psychologie und Moral ergánzt." 29<br />

In einer kaum mehr zu uberblickenden Reihe von sich widersprechenden Studien<br />

zum <strong>Nibelungenlied</strong> lassen sich eindeutig zwei Hauptrichtungen ausmachen: die<br />

sog. historischen Interpretationen, die die Aktualitàts-Best<strong>im</strong>mungen des<br />

Nibelunegenliedes zu fixieren versuchen und parallel <strong>da</strong>zu eine<br />

psychologisierende, die die Motivationsstrukturen ins Innere der Figuren verlegt<br />

und sozusagen eine innere Privatsphâre herstellt. Der DDR-<strong>Nibelungenlied</strong>-<br />

Forscher Karl-Heinz Ihlenburg war einer der wenigen, der es in der<br />

Nachkriegsgermanistik gewagt hat, nach der politischen Botschaft des Epos<br />

explizit zu fragen und sein Geschehen mit der historischen Wirklichkeit um 1200 zu<br />

verknúpfen. 30 Er tat dies in Anlehnung an Friedrich Engels' Rezeption der<br />

Vereinzelte VorstòGe, <strong>da</strong>s Lied von seinem Inhalt her psychologisierend zu interpretieren, gab es<br />

bereits <strong>im</strong> 19. Jahrhundert, allerdings fanden sie kaum Beachtung, <strong>da</strong>runter die These des Grazer<br />

Professors Anton Emanuel Schónbach uber <strong>da</strong>s Christentum in der altdeutschen Heldendichtung<br />

und <strong>da</strong>s Menschliche <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong>.<br />

29 Heinzle, Joach<strong>im</strong>, (Anm.13), S. 30.<br />

30 Ihlenburg, Karl-Heinz, Das <strong>Nibelungenlied</strong>. Problem und Gehalt, Berlin: Akad.-Verlag, 1969.<br />

17


Siegfried-Figur und vertrat die Ansicht, die uralte Geschichte stunde vor dem<br />

Hintergrund des mittelalterlichen Reiches und dessen Krise um 1200. In fiktiven<br />

und individuellen Konflikten glaubte Ihlenburg die geschichtliche Wirklichkeit zu<br />

erkennen, in der <strong>da</strong>s Rittertum zum x Opfer der antagonisch wirkenden<br />

gesellschaftlichen Kràfte' und die angebliche kónigliche Schwáche zur Schwãche<br />

der gesamten herrschaftlichen Ordnung erklàrt wurde. Dementsprechend wurde<br />

triiiwe <strong>im</strong> Hinblick auf den Konflikt zwischen dem Kônig und den Reichsfursten<br />

gedeutet, unabhàngig <strong>da</strong>von, <strong>da</strong>B <strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong> keinen feu<strong>da</strong>len Konflikt<br />

thematisiert, sondern ein Netz von wechselseitigen, voneinander abhàngigen<br />

Bindungen.<br />

Entsprechend den unterschiedlichen methodischen Ansàtzen, die die skizzierten<br />

Forschungstendenzen vertreten, unterscheiden sich sich auch in ihren Deutungen<br />

des Phànomens triuwe. Ais Anreger und Vertreter der v historischen' Lekture<br />

versteht Siegfried Beyschlag <strong>im</strong> AnschluB an Friedrich Neumann 31 die untriuwe,<br />

die die Nibelungenhelden begehen, nicht als Relikt altérer Stufen, sondern als <strong>da</strong>s<br />

Stuck der feu<strong>da</strong>len Wirklichkeit, die der hófische Roman ausspart. Fur Beyschlag<br />

erscheinen die Gestalten des Epos „nunmehr in weit hoherem Grade als nach<br />

bisheriger Auffassung als Angehõrige eines kóniglichen Hauses, verantwortliche<br />

Regenten ihres Landes" und handeln „aus harten, herrscherlichen Einsichten und<br />

Notwendigkeiten, die uber die Bande des Blutes, der Freundschaft, der<br />

persónlichen Treuverpflichtung hinwegschreiten." 32 Dabei sind nicht nur die<br />

mànnlichen Mitglieder des Kónigshauses gemeint, auch Brunhild wird<br />

charakterisiert als „durchaus als ihrer kóniglichen Stellung bewuBte Gattin des<br />

Landesherrschers, die jeden ihr zustehenden Rang- und Rechtsanspruch zu<br />

behaupten und jeder AnmaBung entgegenzutreten gesonnen ist" und sogar<br />

Kriemhild, der die Eigenschaft von der Jiebenden Jungfrau" abgesprochen wird<br />

und die auf die gleiche Stufe gesetzt wird wie ihre Gegner Brunhild und Hagen,<br />

„deren Denken und Handeln machtpolitische Rucksicht auf Kónigtum und Reich<br />

31 Neumann, Friedrich, „Schichten der Ethik <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong>e", (wieder abgedruckt) in Neumann,<br />

Friedrich, Das <strong>Nibelungenlied</strong> in seiner Zeit, Góttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1967, S. 9-34.<br />

32 Beyschlag, Siegfried, „Das Motiv der Macht bei Siegfrieds Tod", in GRM, NF 2, (Bd. 33 der<br />

Gesamtreihe) (1951/52) S. 95-108, hierS. 102 u. S. 106.<br />

18


Freundschaft und Verwandtschaft ùberdeckt. An Beyschlags Deutung des<br />

<strong>Nibelungenlied</strong>es ist hauptsáchlich zu bemãngeln, <strong>da</strong>B sie, indem sie den Konflikt<br />

ais Ergebnis persõnlich verstandener Machtinteressen auffaBt, einerseits die<br />

personalen Bindungen stark in Mitleidenschaft zieht und andererseits die bereits<br />

erwàhnte, fur <strong>da</strong>s Mittelalter abwegige Trennung einer privaten und òffentlichen<br />

Sphàre voraussetzt. 34<br />

Auf der anderen Seite steht Werner Schroder 35 als Vertreter eines ins Innere der<br />

Figuren gerichteten Blickwinkels, der, <strong>im</strong> Gegensatz zu Beyschlag, die rein private<br />

Innerlichkeit als Movens des Geschehens sieht. Nach einer ausfuhrlichen<br />

positivistischen Auflistung der triuwe/untriuwe-Be\ege, mit knappen<br />

Kommentaren versehen und unter Heranziehung der entsprechenden Passagen<br />

aus der C-Fassung, erláutert Schroder Kriemhilds triuwe mit ihrer ubergroBen<br />

Liebe zu Siegfried und spricht ihr jeglichen Machtanspruch ab. So wie er die<br />

Tragõdie Brunhilds nicht als „Politikum", sondern als eine „Frage der menschlichen<br />

Wurde" betrachtet, so sieht er auch Kriemhilds kit ausschlieBlich <strong>im</strong> Verlust ihres<br />

Geliebten. Schroder leugnet jegliche politische, matérielle und rechtliche Motivik <strong>im</strong><br />

<strong>Nibelungenlied</strong>, seine These kann er dementsprechend am besten an der C-<br />

Fassung und an der "Klage' - also anhand der spáter entstandenen<br />

interpolierenden Versionen - ausfuhren, entfernt sich <strong>da</strong>bei je<strong>do</strong>ch von dem<br />

Ausgangspunkt, der B-Fassung des <strong>Nibelungenlied</strong>es, allzu weit.<br />

Eine weitere D<strong>im</strong>ension unter den Interpretationstendenzen des <strong>Nibelungenlied</strong>es<br />

stellen die heilsgeschichtlich und moraltheologisch orientierten Untersuchungen 36<br />

33 Beyschlag, Siegfried, (Anm.32), S. 104.<br />

34 Bei dieser These, die auf Jùrgen Habermas' maBgebliche Studie Strukturwandel der<br />

Òffentlichkeit: Untersuchungen zu einer Kategorie der bùrgerlichen Gesellschaft (1962) zurùckgeht,<br />

ist allerding Vorsicht geboten. Eine plausible Argumentation <strong>da</strong>gegen liefert Horst Wenzel, indem er<br />

behauptet, eine feu<strong>da</strong>le Privatheit sei noch nicht gegeben, „aber <strong>do</strong>ch eine Nichtóffentlichkeit<br />

(He<strong>im</strong>lichkeit), die viel mit der spàteren Privatheit zu tun hat. Allé die Sinnpotentiale und<br />

Handlungsformen, die nicht mit dem óffentlichkeitsfàhigen Bild des Herm harmonisierbar sind,<br />

werden vom repràsentativen Herrscherbild abgespalten; <strong>da</strong>s betrifft etwa die Schamsphare, aber<br />

auch <strong>da</strong>s politische secretum, <strong>da</strong>s konstitutiv ist fur <strong>da</strong>s Herrschaftshandeln.", in: Wenzel, Horst,<br />

..Representation und schòner Schein am Hof und in der hòfischen Literatur", in Ragotzky, Hed<strong>da</strong> u.<br />

Wenzel, Horst (Hrsg.), Hófische Representation. Das Zeremoniell und die Zeichen, Tubingen: Max<br />

Niemeyer, 1990, S. 171-208, hier S. 174.<br />

35 Schroder, Werner, „Die Tragodie Kriemhilds <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong>", in ZfdA 90 (1960/61), S. 41-80.<br />

36 Darunter auch: Hempel, Wolfgang, Ûbermuot diu alte Der Superbia-Ge<strong>da</strong>nke in der<br />

deutschen Literatur des Mittelalters (Studien zur Germanistik, Anglistik und Komparatistik 1), Bonn:<br />

19


<strong>da</strong>r, am markantesten <strong>da</strong>runter die Arbeiten von Bemhard Willson. Zunãchst in<br />

seinem Aufsatz „Blood and Wounds in the "<strong>Nibelungenlied</strong>"' 37 untersucht Willson,<br />

wie er sagt, <strong>im</strong> AnschluB an Julius Schwieterings Der Tristan Gottfrieds von<br />

StraBburg und die Bernhardische Mystik, 38 die religiõsen Konnotationen <strong>im</strong><br />

<strong>Nibelungenlied</strong> und deutet diese als den "modernisierenden' Zusatz des<br />

<strong>Nibelungenlied</strong>-Dlchters. Dies geht so weit, <strong>da</strong>l3 <strong>da</strong>s hinterháltige Komplott gegen<br />

Siegfried und dessen Ermordung als Analogie zum Verrat Christi verstanden<br />

werden, sogar <strong>da</strong>s von Kriemhild angenâhte Kreuzchen, <strong>da</strong>s dem Morder die<br />

einzige an Siegfrieds Kórper verwundbare Stelle verraten soil, wird <strong>im</strong><br />

heilsgeschichtlichen Kontext als Reminiszenz an die Kreuzigung Christi aufgefaBt.<br />

Willsons Fehler besteht m.E. <strong>da</strong>rin, <strong>da</strong>B er Schwieterings Ideen angesichts des<br />

Parzival und des Tristan auf <strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong> ùbertràgt, triuwe ausschlieBlich<br />

mit leit und erbaermde gleichsetzt, fur die <strong>da</strong>s Diesseits nur eine Etappe ist auf<br />

dem Weg ins Jenseits. In seinem drei Jahre spãter erschienenen Aufsatz „Or<strong>do</strong><br />

und Inordinatio <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong>" 39 revidiert Willson zum Teil seine Vorstellung<br />

von triuwe, ohne sich je<strong>do</strong>ch von deren moraltheologischer Grundlage zu<br />

distanzieren. Diesmal tut er dies vor dem Hintergrund des mittelalterlichen Or<strong>do</strong>-<br />

Ge<strong>da</strong>nkens und definiert dementsprechend triuwe <strong>im</strong> Bezug auf maze. Nach wie<br />

vor werden Siegfried Zuge zugeschrieben, die an Christus erinnem<br />

insbesondere wàhrend seines Dienstes auf Isenstein -, der, zu einer hõheren or<strong>do</strong><br />

gehõrend, sich aus triuwe zu Menschen auf deren geringere Ebene herablasse,<br />

sich „eine fremde zuhf auferlege und so sein eigenes Verhàngnis herbeifuhrt.<br />

triuwe gilt nur als Tugend, solange sie an maze gekoppelt ist; sobald sie sich von<br />

dieser ablòst, hõrt sie auf, begehrenswerte Tugend zu sein und stiftet Konflikte, die<br />

Bouvier, 1970, der <strong>da</strong>s unheilvolle Geschehen <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong> als Résultat von superbia seiner<br />

Figuren sieht und <strong>da</strong>bei die differenzierte soziologische und psychologische Perspektive auBer Acht<br />

láBt und Sammner, Marianne, ,J5'einem sunewenden der groze mort geschach...<strong>Nibelungenlied</strong><br />

und Klage zwischen Moraltheologie und Liturgie", in Institut fur Bayrische Literatur der Universitàt in<br />

Mûnchen (Hrsg.), Literatur in Bayern 42, Dez. 1995, S. 6-20.<br />

37 Willson, Bernhard, "Blood and Wounds in the ^<strong>Nibelungenlied</strong>'", in MLR 55 (1960), S. 40-50.<br />

38 Schwietering, Julius, Der Tristan Gottfrieds von StraBburg und die Bernhardische Mystik, Berlin:<br />

Verlag der Akademie der Wissenschaften, 1943.<br />

39 Willson, Bernhard, „Or<strong>do</strong> und Inordinatio <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong>", in PBB 85 (1963), S. 83-101 (Teil I)<br />

und S. 325-365 (Teil II), wieder abgedruckt (und hier) in Rupp, Heinz (Hrsg.), <strong>Nibelungenlied</strong> und<br />

Kudrun, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1976, S. 237-292.<br />

20


ins Verderben fùhren. Mehr ais jedes andere Werk der mhd. Literatur, so Willson,<br />

mache <strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong> die furchtbaren Folgen einer solchen "ungeordneterT<br />

Liebe deutlich. In diesem Sinne sei <strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong> ein v gottloses' Gedicht und<br />

<strong>do</strong>ch seiner Intention nach zutiefst christlich. (...) Der Autor wàhle sein Material aus<br />

einer anderen, einer nicht-christlichen, nicht-hõfischen Epoche, weil er die<br />

dringende Botschaft, <strong>da</strong>G die, die mit dem Schwert leben, durch <strong>da</strong>s Schwert<br />

umkommen werden, vermitteln wolle. 40<br />

40 Dièse transzendentale Existenzbegrùndung des mittelalterlichen Menschen, die lediglich auf<br />

Harmonie als eine gottgewollte Ordnung ausgerichtet ist und die jegliche Konflikte ais Stórung und<br />

Mangel empfindet, mag vielleicht den Vorstellungen des mittelalterlichen Menschen entsprochen<br />

haben, Iàl3t je<strong>do</strong>ch auBer Acht, <strong>da</strong>B die Positionen von Personen und Gruppierungen sich eher auf<br />

dem Dissenskurs befanden und <strong>da</strong>B der Charakter der <strong>da</strong>maligen Gesellschaft prinzipiell friedlos<br />

war. Denn wenn der mittelalterliche Autor, in diesem Fali der <strong>Nibelungenlied</strong>-DicMer, von den<br />

konfliktauslósenden Geschehnissen berichtet und dièse <strong>da</strong>bei diffamiert, <strong>da</strong>nn geht er von Or<strong>do</strong>-<br />

Vorstellungen aus, die der moderne Theoretiker nicht fur eine nùchterne Auslegung eines solchen<br />

literarischen Werks hinnehmen dùrfte. Vgl. Althoff, Gerd, Verwandte, Freunde und Getreue. Zum<br />

politischen Stellenwert der Gruppenbindungen <strong>im</strong> frûhen Mittelalter, Darmstadt: Wissenschaftliche<br />

Buchgesellschaft, 1990, S. 16-17.<br />

21


3. triuwe <strong>im</strong> Lichte historischer Anthropologie<br />

Seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts wird eine Tendenz in der<br />

<strong>Nibelungenlied</strong>-Forschung sichtbar, die die Ebene plausibler, <strong>im</strong> Text nicht explizit<br />

gegebener individualpsychologischer Verknupfungen 41 zugunsten einer Analyse-<br />

Ebene verlaBt, die sich <strong>im</strong> Raum kollektiv verbindlicher Ordnungen bewegt. Nach<br />

und nach ist man sich der Notwendigkeit bewuBt geworden, sich die historische<br />

Fremdheit des <strong>Nibelungenlied</strong>es vor die Augen zu fuhren und die „gefàhrlichen<br />

Verwechslungen mit unbefragt gultigen gegenwártigen Annahmen" 42 so gut wie<br />

moglich zu meiden. Die psychologisierenden Theorien wurden allmâhlich, obgleich<br />

nie vóllig, aufgegeben und es setzte sich die Meinung durch, <strong>da</strong>l3 „in der Welt des<br />

<strong>Nibelungenlied</strong>es (...) die Schichten des Psychologischen, der hófischen Form und<br />

der politisch-rechtlichen Realitát tatsàchlich nicht zu trennen" 43 sind. Kritische<br />

Reflexionen und <strong>da</strong>s BewuBtsein von den historischen Handlungszwângen wurden<br />

<strong>im</strong>mer wichtiger. Die Betonung der Einheit persõnlicher, rechtlicher und politischer<br />

Motivationsstrukturen bedeutet je<strong>do</strong>ch keine Parallelisierung mit den historischen<br />

Ereignissen, sondern setzt die Erkenntnis von Ordnungen voraus, die die<br />

Verhaltensschemata und die emotionalen Einstellungen, von denen der Text<br />

spricht, ermoglichen. Genau an diesem Punkt setzt Jan-Dirk Muller in seinem<br />

1998 erschienenen Buch Spielregeln fur den Untergang. Die Welt des<br />

^<strong>Nibelungenlied</strong>es' seine These an von der Abkoppelung von vermeintlich<br />

uberzeitlichen anthropologischen Konstanten (wie z.B. Liebe, HaB, Treue, Zorn,<br />

Eifersucht, usw.) von deren psychischen Grundlage. Er plâdiert <strong>da</strong>rin fur ein streng<br />

textbezogenes Vorgehen, <strong>da</strong>s Spekulationen uber psychologisch plausible<br />

Verhaltensweisen meidet und „mit der Móglichkeit historisch andersartiger<br />

Entwurfe von psychischen Dispositionen, Verhaltensmustern, Motivationen und<br />

41 Die Fremdheit des Textes, seine mangelnde psychologische Verknupfung, die Blockartigkeit<br />

seiner Episoden und die Beschrànkung auf die AuBenseite seiner Figuren wirkte nicht nur auf unser<br />

zeitgenóssisches Einfuhlungvermógen. Bereits der Verfasser der Handschrift C bemuhte sich,<br />

durch eine Glàttung der Unebenheiten auf der Textoberflãche eine innere Einheit herzustellen.<br />

42 Muller, Jan-Dirk, Spielregeln fur den Untergang, Die Welt des <strong>Nibelungenlied</strong>es, Tubingen: Max<br />

Niemeyer Verlag, 1998, S. 202.<br />

22


personaler Identitát rechnet. Um sie zu ermitteln, muBte man die Einsichten der<br />

historischen Anthropologie und der Ethnologie sowie deren Verfahren in der<br />

Erforschung archaischer Gesellschaften fur die Untersuchung mittelalterlicher<br />

Texte miteinbeziehen, ein methodischer Ansatz, der nur selten in der Mediávistik<br />

nutzbar gemacht wurde.<br />

Die Handlungsspielràume, innerhalb derer die <strong>Nibelungenlied</strong>-Figuren agieren,<br />

lassen sich weder ausschlieBlich auf ihre Rolle noch auf ihre individuell gepràgte<br />

Charaktere zuruckfuhren. Auch die Annahme, sie seien bloBe Marionetten und<br />

Funktionstràger epischer Klischees und Stereotypen verweist auf unzeitgemaBe<br />

Vorstellungen, die bei jeder Figur je eine individuelle und eine gesellschaftliche<br />

Existenz voraussetzen. Gerade die enge Eingebundenheit des Einzelnen in<br />

familière, religiose, und stándische Verbànde ist fur <strong>da</strong>s Mittelalter<br />

ausschlaggebend. AuBerdem ist es áuBerst wichtig, <strong>da</strong>B jeglicher<br />

Interpretationsversuch die Gattungsfrage nicht auBer Acht lãBt, denn der kollektive<br />

Charakter des Heldenepos urn 1200 setzt sich klar von dem des hõfischen<br />

Romans ab. Und diese "kollektive' Ordnung hat als Basis und Garantie ihres<br />

Zusammenhangs gerade die vieldeutige triuwe, die in einer Gesellschaft wie der<br />

des <strong>Nibelungenlied</strong>es, ohne ùbergeordnete Rechtsnormen und Instanzen und mit<br />

einer nur schwach gesicherten sozialen Ordnung, oft <strong>da</strong>s einzige rechtskráftige<br />

Mittel zur Wahrung der Integritàt und des Wohlstandes des Reiches war. Sie<br />

best<strong>im</strong>mte Aktionen und Reaktionen der einzelnen Figuren, sowie die<br />

wechselseitigen Abhàngigkeiten, in denen sie zueinander standen und war <strong>da</strong>s<br />

tragende und scheinbar sicherste Prinzip, nach dem <strong>da</strong>s soziale Gefuge<br />

funktionierte. Dieser Entwurf besitzt je<strong>do</strong>ch keinen Anspruch auf allgemeine,<br />

historische Gultigkeit und <strong>da</strong>rf nicht als Ausdruck einer geschichtlichen Epoche<br />

verstanden werden, sondern ist vor allem ein literarischer Entwurf, der, den<br />

Gesetzen der Gattung gehorchend, sich mehr oder weniger von der alltàglichen<br />

Wirklichkeit entfernen kann.<br />

43 Wachinger, B., apud. Mùller, Jan-Dirk, „Motivationsstrukturen und personale Identitát <strong>im</strong><br />

'<strong>Nibelungenlied</strong>'", in Knapp, Fritz Peter (Hrsg.), <strong>Nibelungenlied</strong> und Klage. Sage und Geschichte,<br />

Strukturund Gattung. Passauer Nibelungengespràche 1985, Heidelberg: Carl Winter, 1987, S. 231.<br />

44 Muller, Jan-Dirk, (Anm.42), S. 202.<br />

23


4. Metho<strong>do</strong>logisches<br />

Jedes Interpretationsverfahren soil auf die gattungsspezifischen Bedingungen, die<br />

<strong>da</strong>s zu untersuchende Werk mitkonstituieren, sowie auf dessen epische Struktur<br />

genau abgest<strong>im</strong>mt werden. Dies mag ais eine selbstverstándliche Erkenntnis<br />

erscheinen, wurde je<strong>do</strong>ch <strong>im</strong> Laufe der Rezeptionsgeschichte des<br />

<strong>Nibelungenlied</strong>es hin und wieder auBer Acht gelassen. Indem man sich urn eine<br />

innere, psychologische Rekonstruktion von den auf der Erzàhloberfláche<br />

ausgesparten Kohàrenzstrukturen bemùhte und die Handlung als ein Geflecht<br />

individueller Verhaltensweisen betrachtete, ubersah man leicht, <strong>da</strong>B dies sich eher<br />

fur die Interpretation eines hõfischen Romans als eines Epos eignete. Denn der<br />

Protagonist eines Heldenepos<br />

„erscheint nicht als individueller Charakter, sondern als 'welthaltige<br />

Figur', als reprásentativer Typus, und er ist getragen von einer<br />

Vielzahl naturlicher wie gesellschaftlicher Bedingungen. Den<br />

Roman kennzeichnet demgegenuber eine Personalisierung,<br />

Individualisierung, und auch Privatisierung von Gestalten. Fur den<br />

Romanhelden ist wohl am charakteristischsten, <strong>da</strong>B er prinzipiell<br />

als Suchender erscheint, dem der Sinn der (ausschnitthaften) Welt<br />

und seiner selbst in ihr nicht vorgegeben, sondern zu finden<br />

aufgegeben ist." 45<br />

Davon ausgehend, so wird man nicht verkennen kõnnen, <strong>da</strong>B <strong>im</strong> Falle des<br />

<strong>Nibelungenlied</strong>es jegliche kausalmotivierende Psychologisierung fehl am Platze ist.<br />

Statt <strong>da</strong>nach zu suchen, was der Text verweigert, scheint es angemessener und<br />

sinnvoller, <strong>da</strong>s zu untersuchen, was er aussagt ohne sich <strong>da</strong>bei von ihm allzuweit<br />

zu entfernen. Selbstverstándlich ist diese Aufforderung nicht als Apell zu einer<br />

positivistischen Auslegung des Werkes zu betrachten, auch <strong>da</strong>s Streben nach<br />

einer historisch objektiven Rekonstruktion erwies sich indessen als abwegig und<br />

uberholt. Vielmehr sollte man die bereits vorliegenden Erkenntnisse, in erster Linie<br />

45 Hoffmann, Werner, Mittelhochdeutsche Heldendichtung, Berlin: Erich Schmidt, 1974, S. 62.<br />

24


literaturwissenschaftliche, aber auch aus dem Bereich der historischen<br />

Anthropologie und Rechtsgeschichte, interdisziplinár heranziehen und so die<br />

Voraussetzung schaffen fur ein besseres Verstàndnis befremdlich wirkender und<br />

liickenhafter Zusammenhãnge, die der Text aufweist, zum einen und<br />

mittelalterlicher Vergangenheit in ihrer Andersartigkeit zum anderen.<br />

Fragt man nach den Regeln des Handelns und Verhaltens <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong> und<br />

bedenkt man die entscheidende Bedeutung, die der Eingebundenheit des<br />

Einzelnen <strong>im</strong> Mittelalter in unterschiedliche Gruppen und Verbànde zukam -<br />

schlieBlich lebte er in einer prinzipiell friedlosen Gesellschaft -, <strong>da</strong>nn dràngt sich<br />

einem die Einsicht auf, <strong>da</strong>B der Handlungsablauf sowie die Spielràume der<br />

Aktionen und Reaktionen, die <strong>da</strong>rin entstehen, wesentlich auf dem kollektiven<br />

Charakter der Gesellschaft beruhen. Zu dieser Erkenntnis ist bereits Mitte der 80er<br />

Jahre Jan-Dirk Muller gelangt und seitdem ist sie von der <strong>Nibelungenlied</strong>-<br />

Forschung intensiver in Betracht gezogen worden. AuBerdem befinden sich die<br />

Charaktere der Heldenepik gattungsbedingt in einer Umgebung, die sich durch<br />

deren Herkunft, Status und andere kollektiv gultige Vorgaben auszeichnet.<br />

Konflikte, in die sie geraten, dúrften weder auf persõnliche Entscheidungen noch<br />

auf ihren individuellen Charakter zurùckgefùhrt werden, vielmehr stammen sie aus<br />

den Spannungen, die sich aus ihrer gleichzeitigen Zugehõrigkeit zu mehreren<br />

verschiedenartigen Netzen der sozialen triuiue-Bindungen ergeben. Dem schlieBt<br />

sich die Tatsache an, <strong>da</strong>l3 die Rechte und Pflichten jedes Einzelnen, wie auch<br />

<strong>im</strong>mer sie in den Treueiden scheinbar klar formuliert wurden, eigentlich nur vage<br />

und global definiert waren. Trotz bestehender hierarchischer Ordnungen setzte der<br />

Kanon von Rechten und Pflichten weder eine Hiérarchie unter den verschiedenen<br />

Bindungen voraus, noch kannte er eine Verfahrensweise fur den Fall, <strong>da</strong>B es zu<br />

einer Interessenkollision kam. Die Verhaltensnormen wurden fast ausschlieBlich<br />

durch ihre Situationsbedingtheit geprágt und es gait die Devise: sich N von Rechts<br />

wegen' zu benehmen, ohne <strong>da</strong>B vorher Abmachungen getroffen wurden, was dies<br />

in jeder konkreten Situation bedeutete. 46 Dasselbe gait fur den friuiue-Begriff und<br />

46 Diesen Zusammenhang kommentiert Althoff folgendermaBen: „(...), scheint <strong>im</strong> fruhen und hohen<br />

Mittelalter ein unerschùtterlicher, fur uns naiv wirkender Glaube bestanden zu haben, es werde in<br />

der konkreten Situation schon Konsens <strong>da</strong>ruber bestehen, wozu der einzelne verpflichtet sei und<br />

25


zwar sowohl auf <strong>da</strong>s soziale Milieu bezogen als auch in seinen zahlreichen, nicht<br />

selten ans Abstrakte grenzenden dichterischen Ausformungen. Der hohe Grad an<br />

Allgemeinheit, der ihn ais eine der exemplarischsten Tugenden kennzeichnete,<br />

wurde nicht nur zum Hindernis seiner Verwirklichung als friedensstiftendes<br />

Rechtsmittel, ihn genau zu erkennen und festzulegen war uberdies ein<br />

langwieriger ProzeB, den die mittelalterliche Gesellschaft und ihr Personenverband<br />

uber sich hatte ergehen lassen mussen. 47<br />

Klar ist, <strong>da</strong>B der <strong>Nibelungenlied</strong>-D\ch\er weder von seiner Umgebung noch von<br />

seiner Zeit spricht. Er kundigt ivunder an und stellt sich die Aufgabe, von alten<br />

maeren zu erzàhlen, von einer auBerordentlichen Kriegerwelt, die zum Zeitpunkt<br />

der Niederschrift des <strong>Nibelungenlied</strong>es bereits als archaisch empfunden wurde.<br />

Zudem ist die Annahme gerechtfertigt, <strong>da</strong>B er von der Frùhgeschichte des<br />

sagenhaften Stoffes vermutlich weniger Kenntnis hatte als die Altgermanisten von<br />

heute. Im Laufe seiner schriftlichen Fixierung wurde der Stoff allerdings<br />

unvermeidlich von den úblichen Vorstellungen und der Lebenspraxis um 1200<br />

mitgeprâgt - um dies zu belegen bemuht sich eine Reihe von Untersuchungen, die<br />

<strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong> als "Dichtung seiner Zeit' charakterisieren 48 - <strong>do</strong>ch prioritár<br />

<strong>da</strong>von auszugehen birgt <strong>im</strong>mer wieder die Gefahr, die aus dem Text<br />

hervorgehenden Zusammenhange verallgemeinernd als geschichtliche Wirklichkeit<br />

zu postulieren. Ein literarischer Text und insbesondere heldenepische Dichtung,<br />

indem sie von auBerordentlichen Helden und weit in Vergangenheit reichenden<br />

welche Rechte er habe. Vielleicht ist auch weniger ein naiver Glaube an die Herstellung von<br />

Konsens zu konstatieren als die Unfàhigkeit, Verhaltensnormen theoretisch zu formulieren." (S.12)<br />

„Nun ist fur die Gesellschaft des Mittelalters zu konstatieren, <strong>da</strong>B gewohnheitsrechtliche Normen in<br />

der Tat wirkmàchtig waren und zur Entscheidung vieler Einzelfragen ausreichten. Auf der anderen<br />

Seite hat die durchaus schmerzliche Erfahrung <strong>da</strong>s Leben aller mittelalterlichen Gruppen gepràgt,<br />

<strong>da</strong>B es vom consensus omnium zur dissensio inexpiabilis háufig nur ein kleiner Schritt war." Vgl.<br />

Althoff, Gerd, (Anm.40), S.140.<br />

47 Auch was die Artusepik betrifft, waren die Forscher, die sich mit triuwe beschàftigten, mit<br />

demselben Problem konfrontiert, <strong>da</strong> sie sich, die triuwe, gemessen an der Heldendichtung, noch<br />

starker von ihren konkreten politisch-stàndischen Beziehungen zu lósen scheint, und „begunstigt<br />

durch ihren ohnehin abstrakten Charakter, ihren pràsizen Bedeutungsgehalt (...) verlier(t)<br />

zugunsten einer ins UnfaBbare tendierenden Allgemeinheit und mehr und mehr zur Metapher<br />

w(ird).", Kraft, Karl-Friedrich O., (Anm.1), S. 30-31.<br />

48 Darunter gelten als reprâsentativ: Szóvérffy, Josef, „Das <strong>Nibelungenlied</strong>. Strukturelle<br />

Beobachtungen und Zeitgeschichte", zunàchst erschienen in WW 15 (1965), S. 233-238 und <strong>da</strong>ran<br />

anschlieBend Beyschlag, Siegfried, „Das <strong>Nibelungenlied</strong> als aktuelle Dichtung seiner Zeit", in GRM,<br />

neue Folge, Bd. XVII (1967), S. 225-231.<br />

26


Geschehnissen erzáhlen, schaffen eine geschlossene Heldenwelt, in der die<br />

Wirklichkeit nicht nur mechanisch abgebildet, sondern je nach der Absicht des<br />

Autors idealisiert, karikiert, getadelt, verhõhnt oder einfach gesagt problematisiert<br />

wird.<br />

Angesichts des Facettenreichtums, der dem mittelhochdeutschen Begriff<br />

innewohnt, stellt sich zunáchst die Frage nach dem metho<strong>do</strong>logischen Ansatz, der<br />

sich fur eine Untersuchung am <strong>Nibelungenlied</strong> am meisten eignet. Auf den ersten<br />

Blick spielt die semantische Problematik des triuive- Beg riffs <strong>da</strong>rin keine so groBe<br />

Rolle, wie dies in anderen Werken des deutschen Hochmittelalters der Fall ist. Als<br />

Beweis <strong>da</strong>fur ist die Tatsache zu nennen, <strong>da</strong>l3 es, abgesehen von Francis Gentrys<br />

Triuive and vriuntin the '<strong>Nibelungenlied</strong>' 49 kaum nennenswerte Arbeiten gab, die<br />

sich ausschlieGlich diesem Phanomen widmeten. Dies mag in einem Epos wie<br />

diesem, <strong>da</strong>s aus unterschiedlichen Sagenkreisen entstand und dessen Inhalte<br />

bereits Jahrhunderte vor seiner schriftlichen Fixierung existierten, als plausibel<br />

erscheinen, denn triuive war <strong>im</strong>merhin ein àsthetisierter literarischer Entwurf in der<br />

Zeit der Niederschrift des <strong>Nibelungenlied</strong>es, <strong>do</strong>ch sie war auch, wie die am Anfang<br />

grob skizzierte Wortgeschichte es zeigt, ein réelles gesellschaftliches Phánomen,<br />

<strong>da</strong>s <strong>da</strong>s soziale Leben - und nicht nur bei den Germanen - bereits seit dem fruhen<br />

Mittelalter maGgeblich geprãgt hat sowie ein erster rechtlich-politischer Versuch,<br />

labiler sozialer Ordnung entgegenzusteuern und fur Sicherheit und Recht zu<br />

sorgen. Daher scheint es angebracht, vorerst einen Blick auf die Umstande zu<br />

werfen, die zur Entstehung von triuwe als einem umfassenden Terminus mit<br />

rechtlichen Konnotationen beitrugen.<br />

49 Gentry, Francis F., <strong>Triuwe</strong> and vriunt in the <strong>Nibelungenlied</strong>, Amster<strong>da</strong>m: Ro<strong>do</strong>pi, 1975.<br />

27


5. triuwe <strong>im</strong> Lehnswesen<br />

Noch bevor sie literarisiert wurde, begann triuwe sich seit der Karolingerzeit <strong>im</strong> 8.<br />

Jahrhundert infolge der Entstehung des Lehnswesens zu einer Idealtugend zu<br />

entwickeln. In Anlehnung an die germanische Gefolgschaft, die sich in den ersten<br />

Jahrhunderten unserer Zeitrechnung herausbildete und fur die Tacitus mit seiner<br />

Germânia ein ausfuhrliches und zuverlássiges Zeugnis hinterlieB, begann sich in<br />

dieser Epoche eine Schicht von „Privatsol<strong>da</strong>ten", eine sogenannte „Kriegerkaste",<br />

zu profilieren, die sich um Kônige, Fúrsten oder sonstige GrõBen sammelte und ihr<br />

bewaffnetes Gefolge bildete. Manner, die Schutz und Schirm nótig hatten,<br />

begaben sich in die Dienste von Mãchtigen, urn ihnen Waffenhilfe zu leisten. So<br />

entstand die Vasallitàt, eine rechtliche Institution, die sich <strong>im</strong> Laufe der<br />

Jahrhunderte in verschiedenen europàischen Lándern verfestigen wird. Der<br />

vasallische Vertrag war ein synallagmatischer Vertrag, der sowohl den Herrn als<br />

auch den Vasallen gleichermaBen verpflichtete. Er bezog sich auf eine Reihe von<br />

gegenseitigen Rechten und Verpflichtungen, zunãchst aber bedeutete die<br />

Treueverpflichtung die Unterlassungspflicht, eine Pflicht des non facere, so wie<br />

diese bemerkenswerte Definition des Bischofs Fulbert von Chartres aus dem Jahre<br />

1020 die aus dem vasallitischen Vertrag erwachsenden Verpflichtungen<br />

veranschaulicht:<br />

„Wer seinem Herrn Treue schwõrt, soil stets die sechs folgenden<br />

Worte <strong>im</strong> Gedáchtnis haben: gesund und wohlbehalten, sicher,<br />

erfahrbar, nutzlich, leicht, móglich. Gesund und wohlbehalten,<br />

<strong>da</strong>mit der Herr durch ihn an seinem Kórper keinen Schaden<br />

erleidet. Sicher, <strong>da</strong>mit er seinem Herrn nicht durch Verrat seines<br />

Gehe<strong>im</strong>nisses oder seiner Befestigungen, die seine Sicherheit<br />

garantieren, Schaden zufugt. Ehrbar, <strong>da</strong>mit er die Gerichtsbarkeit<br />

seines Herrn oder andere ihm rechtmáGig zustehende und zur<br />

Ehre gereichende Rechte nicht antastet. Nùtzlich, <strong>da</strong>mit er den<br />

Besitz seines Herrn nicht schãdigt. Leicht und moglich, <strong>da</strong>mit er<br />

seinem Herrn nicht erschwert, Gutes zu tun, wenn dieser es leicht<br />

28


tun kónnte und <strong>da</strong>mit er nicht unmoglich macht, was seinem Herrn<br />

móglich ware. Es gehõrt sich von Rechts wegen, <strong>da</strong>B der Vasall<br />

auf diese Weise seinem Herrn nicht schadet. Aber sein Lehen<br />

verdient er <strong>da</strong>mit noch nicht; denn es genúgt nicht, sich des<br />

Schlechten zu enthalten, sondern man muB <strong>da</strong>s Gute tun. (...) Der<br />

Herr muB sich auf alien diesen Gebieten demjenigen gegenuber,<br />

der ihm Treue geschworen hat, ebenso verhalten. Tàte er es nicht,<br />

so wùrde er mit gutem Recht fur treulos erklárt ebenso wiirde sich<br />

ein Vasall, den man <strong>da</strong>bei entdeckt, wie er durch Tat Oder Billigung<br />

seine Pflichten verletzt, der Untreue und des Meineides schuldig<br />

machen". 50<br />

Die positiven Seiten der Vasallenpflicht lassen sich <strong>da</strong>gegen in Form einer<br />

Wendung fassen, die lautet: consilium etauxilium, Rat und Hilfe. Da die Institution<br />

des Lehnswesens, wie ubrigens die der àlteren Gefolgschaft, hauptsãchlich aus<br />

der Notwendigkeit hervorging, territoriale Einheit und Stabilitàt zu wahren, also<br />

militàrischen Charakters war, bestand auch <strong>da</strong>s auxilium hauptsãchlich aus dem<br />

Waffendienst des Vasallen, der seinem Herrn zur Verfugung stand. Daruber hinaus<br />

gab es auBer militàrischen Dienstleistungen noch weitere Formen von Hilfe, die<br />

Vasallen oblagen, <strong>da</strong>runter z.B. die Ùberbringung von Botschaften (Botendienst),<br />

Geleit, Aufgaben in der Verwaltung des Grundbesitzes Oder in den hõheren<br />

Àmtern <strong>im</strong> Haus des Herrn, usw. Diese Dienstleistungen sind insbesondere <strong>im</strong><br />

deutschen Sprachraum zu beobachten, wo sie den Ministerialen oblagen, die<br />

wàhrend des 12. Jahrhunderts in den Vasallenstand aufgenommen wurden. Eine<br />

weitere Leistung, die ein Vasall seinem Herrn gegenuber zu erbringen hatte, war,<br />

ihm mit Rat (consilium) beizustehen. Was andererseits den Gegenstand der<br />

Herrenpflicht betrifft, so schuldet der Herr seinem Vasallen Schutz und Unterhalt;<br />

Schutz bedeutet, <strong>da</strong>B der Herr seinen Vasallen gegen dessen Feinde zu<br />

verteidigen hat, falls dieser angegriffen wurde. Der Herr muBte seinem Vasallen<br />

<strong>da</strong>zu Unterhalt gewàhren, entweder direkt am Hofe, Oder indem er ihm ein Lehen,<br />

50 Ganshof, François Louis, Was ist <strong>da</strong>s Lehnswesen? Darmstadt: Wissenschaftliche<br />

Buchgesellschaft,1961, S. 87.<br />

29


meistens ein Grundstúck unterschiedlichen Umfangs, ùberlieB, ùber <strong>da</strong>s der<br />

Beliehene ùber einen lãngeren Zeitraum, nicht selten sogar auf Lebenszeit,<br />

verfugen konnte und <strong>da</strong>riiber Herrschaft und Recht ausubte. 51<br />

Der vasallische Vertrag wurde weitgehend in mundlicher Form zelebriert - seltener<br />

schriftlich in Form einer Urkunde - und zwar durch einen genau festgelegten und<br />

stan<strong>da</strong>rdisierten Ritus: die Kommen<strong>da</strong>tion. Die Kommen<strong>da</strong>tion bestand aus der<br />

<strong>im</strong>mixtio manum, 52 einer sinnfàlligen und symbolischen Handlung, wo der<br />

knieende Vasall seine Hànde in die des sitzenden Herrn legte, der sie mit seinen<br />

eigenen umschlieBt. Auf diesen Ritus der „Selbstûbergabe" folgte der Treueid, der<br />

meist stehend geleistet wurde mit dem Auflegen der Hand auf eine Reliquie. Der<br />

Eidesleistung kam eine herausragende Bedeutung zu, denn durch sie wurde ein<br />

"Rechtsraum' geschaffen, nach dem sich <strong>da</strong>s kunftige Handeln der<br />

Eidesleistenden richten wird. Darauf folgte ein dritter Akt, der KuB {osculum) und<br />

obwohl der KuB fur <strong>da</strong>s Zustandekommen des vasallischen Vertrages nicht<br />

unerlaBlich war, hinterlieB er als ein durch Gebárde <strong>da</strong>rgestellter Akt auf die<br />

Anwesenden einen nachhaltigeren Eindruck als dies <strong>da</strong>s gesprochene Wort<br />

vermocht hàtte. Ùberhaupt stellten die Gebàrden ein grundlegendes Element<br />

mittelalterlicher Kommunikation <strong>da</strong>r, indem sie unterschiedliche Inhalte<br />

demonstrativ vermittelten. Das Prinzip der Óffentlichkeit und Offenkundigkeit sowie<br />

die Kommunikationsbedingungen einer oralen Gesellschaft, die „auf eine<br />

mùndliche und informelle Verstándigung face to face angewiesen war", 53<br />

51 Es waren durchaus Fàlle bekannt, in denen der Gegenstand der Belehnung nicht ein Stuck Land<br />

war, sondern ein Recht auf ein regelmàGiges Einkommen ("Rente', "Kammerlehen'). Ein weiteres<br />

begehrtes Lehnsobjekt stellten Kirchen und Klóster <strong>da</strong>r, vor allem wegen den Einkunften, die die<br />

Belehnten von dieser Art von Lehen bezogen. Dazu zàhlte pr<strong>im</strong>ar der Zehnt (dec<strong>im</strong>ae novalium),<br />

eine von der Kirche zum Unterhalt des Klerus geforderte Abgabe (ursprunglich ein Zehntel von<br />

Getreide, Vieh, usw.).Vgl. Ganshof, François, (Anm.50), S.126-134.<br />

52 Ritualisierte Kòrperhaltungen, zumal ausgefuhrt in der Óffentlichkeit, spielten <strong>im</strong> Mittelalter eine<br />

unubersehbare Rolle. Sie repràsentierten anstelle von verbaler Kommunikation Einschàtzungen,<br />

Gesinnungen, Rang und Stellung, Werte und Normen. Dal3 die inmixtio manum unerlàBlicher<br />

Bestandteil des Kommen<strong>da</strong>tion-Zeremoniells war, lag fur Ganshof vor allem an „dem geringe(n)<br />

Abstraktionsvermõgen der <strong>da</strong>maligen Zeit, (sowie an) ihre(r) Vorliebe fur <strong>da</strong>s Konkrete". (Ganshof,<br />

[Anm.50], S. 75) Handlungen zeichenhaften Charakters <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong>, an denen <strong>da</strong>s Einhalten,<br />

bzw. <strong>da</strong>s Fehlen von triuwe abzulesen ist, werden an gegebener Stelle ausfuhrlicher besprochen<br />

werden.<br />

53 Thum, Bernd, ..Óffentlichkeit und Kommunikation <strong>im</strong> Mittelalter. Zur Herstellung von Óffentlichkeit<br />

<strong>im</strong> Bezugsfeld elementarer Kommunikationsformen <strong>im</strong> 13. Jahrhundert", in Ragotzky, Hed<strong>da</strong> u.<br />

Wenzel, Horst (Hrsg.), (1990), S. 65-87.<br />

30


verlangten, <strong>da</strong>B die Zusammenhánge mit Hilfe von allgemein akzeptierten Zeichen<br />

veranschaulicht wurden Oder, wie der Soziologe Niklas Luhmann diese<br />

Kommunikationsweise genannt hat, durch „Anwesenheit <strong>im</strong> reziproken<br />

Wahrnehmungsfeld". 54 Mag die Funktion des Kusses lediglich <strong>da</strong>rin bestanden<br />

haben, die festgelegten vertraglichen Abmachungen zu bekrâftigen (so Ganshof,<br />

der ihn etwa mit dem báuerlichen Handschlag be<strong>im</strong> Viehhandel vergleicht), so<br />

erfullte er <strong>da</strong>ruber hinaus die wichtige „Funktion eines rechtskonstitutiven<br />

Sinnzeichens, <strong>da</strong>s die Geltungskraft und Einklagbarkeit getroffener<br />

Vereinbarungen verburgen sollte", denn Jnnerhalb eines Autoritats- und<br />

Machtgefallés signalisierte der KuB soziale Distanz, rechtliche Abhàngigkeit und<br />

politische Untertanenschaft." 55<br />

Zu betonen ist weiter, <strong>da</strong>B der mittelalterliche Mensch móglichst viele und enge<br />

Bindungen mit seinem Mitmenschen einging, denn Zugehõrigkeit zu einer Gruppe<br />

durfte „getrost als Voraussetzung fur die Mõglichkeit des Ùberlebens angesehen<br />

werden." 56 Dabei war die herrschaftliche Beziehung zwischen dem Herrn und dem<br />

Vasall <strong>im</strong> Unterschied zu anderen Gruppierungen, wie z.B. unter den Verwandten<br />

oder Genossen, in der Regel eine Zweierbeziehung, die den Umgang zwischen<br />

den beiden regelte, nicht aber unter den Vasallen untereinander. Andererseits<br />

charakterisierte <strong>da</strong>s Lehnswesen, und dies ebenfalls in Anlehnung an die<br />

spãtantike Gefolgschaft, <strong>da</strong>B der Vasall den Unterwerfungsgesten wáhrend der<br />

Kommen<strong>da</strong>tion zum Trotz <strong>im</strong>merhin ein freier Mann war, der seinem Herrn nicht<br />

wie <strong>im</strong> Falle eines Unfreien auf blinden Gehorsam zu dienen verpflichtet war. Der<br />

Vasall diente seinem Herrn einzig ausschlieBlich aufgrund seiner unter Eid<br />

versprochenen Treue.<br />

Luhmann, Niklas, apud. Thum, Bernd, (Anm.53), S. 75. Thum nennt weiter <strong>da</strong>s Beispiel des<br />

nor<strong>da</strong>merikanischen Historikers Percy Ernst Schramm, der in seiner Einschátzung des<br />

mittelalterlichen Denkens und Handelns so weit geht, <strong>da</strong>(3 er <strong>da</strong>s Sichtbare fur „<strong>da</strong>s eigentliche<br />

Charakteristikum des Zeitalters" erklàrt. „Das Mittelalter unterscheide sich von anderen<br />

geschichtlichen Epochen durch <strong>da</strong>s Vermogen, Unsichtbares in Sichtbares einzukleiden und <strong>im</strong><br />

Sichtbaren Unsichtbares aufzuspuren.", apud., Thum, Bernd, (Anm.53), S. 76.<br />

55 Schreiner, Klaus, ""Er kùsse mich mit dem Kul3 seines Mundes'(Osculetur me osculo oris sui,<br />

Cant 1,1). Metaphorik, kommunikative und herrschaftliche Funktionen einer symbolischen<br />

Handlung", in Ragotzky, Hed<strong>da</strong> u. Wenzel, Horst (Hrsg.), (1990), S. 89-132.<br />

56 Althoff, Gerd, (Anm.40), S. 8.<br />

31


Doch Treue garantierte nicht nur <strong>da</strong>s Funktionieren einer herrschaftlich<br />

strukturierten Lehnsbeziehung, sondern auch den Zusammenhalt von<br />

verwandtschaftlichen und genossenschaftlichen Bindungen. Sie hatte sogar in<br />

einem viel grõBerem MaBe kollektiven und vor aliem integrativen Charakter ais der<br />

Rest der reprásentativen hòfischen Tugenden. Ihre Aufgabe war, Menschen in<br />

Gruppen zu binden, ihnen <strong>da</strong>s BewuBtsein der Zugehórigkeit zu verschaffen und<br />

mittels ungeschriebener, teilweise in zeremoniellen und rituellen 57 Handlungen<br />

zum Ausdruck gebrachten Spielregeln fur eine funktionierende Herrschafts- und<br />

Gesellschaftsordnung zu sorgen. triuwe, was auch <strong>im</strong>mer man <strong>da</strong>runter verstand,<br />

muBte <strong>da</strong>s leisten, was heute <strong>im</strong> modernen Tlàchenstaat' dem Behórdenapparat<br />

und der Justiz obliegt, wobei die fehlende Gesetzgebung durch eine <strong>im</strong><br />

mittelalterlichen Recht und in der Théologie verankerte Urbild-Abbild-Vorstellung<br />

kompensiert wurde, nàmlich <strong>da</strong>B die diesseitige Ordnung lediglich eine faBbare<br />

Vergegenwàrtigung einer hóheren, „dem momentanen Erfassen nicht<br />

zugánglich(en) Ordnung" <strong>da</strong>rstelle. Das Versagen der triuwe erregte<br />

MiBvertrauen, sei es innerhalb der Familie, sei es innerhalb des Lehnswesens, und<br />

entzog der ohnehin fragilen gesellschaftlichen Ordnung ihren einzigen Halt.<br />

5.1. Der Personenverband(sstaat)<br />

Die gesellschaftliche Zugehórigkeit gestaltete sich <strong>im</strong> Mittelalter auf mehreren<br />

Ebenen, von denen zwei Arten von Bindungen besondere Bedeutung<br />

beigemessen wurde: <strong>da</strong>s waren zum einen die herrschaftlichen Bindungen, wie sie<br />

etwa <strong>im</strong> Lehnswesen vorkommen, auch als vertikale Abhãnigigkeiten zwischen<br />

Ungleichen bezeichnet und zum anderen die verwandtschaftlichen Bindungen, die<br />

sog. horizontalen Abhángigkeiten, deren Ausformungen von der allgemeinen<br />

Verwandtengruppe uber Sippen bis hin zum geschlossenen Adelsgeschlecht<br />

reichten. Im Gegensatz zu den herrschaftlichen Bindungen, die aufgrund ihres<br />

57 Als "Ritual' wird ein stan<strong>da</strong>rdisiertes Verhaltensmuster verstanden, <strong>da</strong>s sich auf religiose<br />

und/oder okkulte Vorstellungen bezieht, "Zeremonie' <strong>da</strong>gegen hat einen weltlichen Charakter,<br />

obgleich auch durch sie nicht selten christliche Grundwahrheiten fur die sinnliche Wahrnehmung<br />

faBbar gemacht werden. Vgl. Wenzel, Horst, (Anm.34), S. 175.<br />

32


vertraglichen Charakters eher konstant waren und lediglich infolge einer<br />

Pflichtverletzung von Seiten eines der Partner gelóst werden konnten, zeichneten<br />

sich die verwandtschaftlichen Bindungen <strong>im</strong> Mittelalter durch eine starke<br />

Fluktuation aus, sei es infolge biologischer Einflusse wie Seuchen oder-<br />

Sterblichkeit, sei es infolge von Fehden und politischen Verãnderungen, so <strong>da</strong>l3 sie<br />

<strong>im</strong> rechtlichen Sinne keine eindeutig abzugrenzende GrõBe waren. Vielmehr waren<br />

sie ein durchlàssiges, an ihren ãuBeren Rándern unscharfes System, <strong>da</strong>s,<br />

begunstigt durch die unpràzise Terminologie in der Best<strong>im</strong>mung der<br />

Verwandtschaftverhàltnisse, weiteren Gruppierungen offen stand. Die<br />

verwandtschaftlichen Bindungen vereinten in sich nicht nur agnatische, also auf die<br />

Sohnesfolge ausgerichtete - auch wenn diese fur die Besitz- und<br />

Herrschaftssicherung best<strong>im</strong>mend waren - sondern auch kognatische Bindungen 58<br />

(in Fall <strong>Nibelungenlied</strong> Siegfried und Etzel) und ihr Fortbestehen wurde nicht so<br />

sehr durch objektive Burgschaften wie Lehen oder Àmter gewàhrleistet, ais<br />

vielmehr durch ein hohes gemeinsames BewuGtsein verwandtschaflicher<br />

Zusammengehôrigkeit und der <strong>da</strong>raus resultierenden Hilfeverpflichtungen. Doch<br />

wie jede Einteilung in Kategorien Ausnahmen und Abweichungen in sich birgt, so<br />

sind auch die beiden Formen von Gruppierungen mittelalterlicher Gesellschaft<br />

nicht scharf voneinander zu trennen, sondern unterliegen lediglich<br />

unterschiedlichen Akzentuierungen.<br />

Der Personenverband gait als die allgemeine gesellschaftliche Kemeinheit und je<br />

nachdem, auf welcher Art von Bindungen der jeweilige Personenverband beruhte,<br />

hingen auch die Formen des Umgangs miteinander, die sog. ungeschriebenen<br />

Spielregeln, <strong>da</strong>von ab, die die Funktionsfáhigkeit der mittelalterlichen Herrschafts-<br />

und Gesellschaftsordnung sicherstellten. Der Personenverband ist zugleich der<br />

eigentliche kollektive Held des <strong>Nibelungenlied</strong>es, von dem Kriemhild sich nach und<br />

nach absondert und dem sie sich entgegenstellt. Da der Personenverband der<br />

58 Der ProzeB der Umstruktirierung der offenen zur geschlossenen Verwandtengruppe vollzog sich<br />

uber Jahrzehnte hinweg vom fruhen bis ins hohe Mittelalter und scheint fruhestens seit dem 11.<br />

Jahrhundert, dem Zeitpunkt des allgemeinen Strukturwandels der Herrschaft in Europa und der<br />

Machtkonzentration auf die Herrenburgen, der agnatisch organisierten Familie den Vorrang<br />

gegeben zu haben. Diese Erkenntnis durfte je<strong>do</strong>ch fur diese Auslegungen kaum verwertbar sein,<br />

<strong>da</strong> die literarische Wirklichkeit des <strong>Nibelungenlied</strong>es diesen ProzeB nicht wahrzunehmen scheint.<br />

33


Burgunder gleichzeitig eine staatlich-politische D<strong>im</strong>ension besitzt, gewinnt er<br />

wesentlich an Stellenwert, denn die Burgunden sind nicht nur eine Gruppe von<br />

Blutsverwandten, sie sind auBerdem eine Ordnung zur Erreichung, Bewahrung<br />

und Ausweitung ihrer Macht und ihrer politischen Ziele. 59 Das Ùberkreuzen<br />

widersprûchlicher Anforderungen, die aus der Natur der unterschiedlichen<br />

Gruppierungen sich ergeben konnten, war nicht selten jener kleine Schritt, der<br />

Konflikte anzundete, von denen auch die erschreckende und zugleich<br />

faszinierende Geschichte des <strong>Nibelungenlied</strong>es erzàhlt.<br />

Bereits in den ersten Strophen der ersten âventiure wird deutlich <strong>da</strong>l3 Kriemhild,<br />

ihrer exponierten Stellung zum Trotz, in erster Linie Mitglied eines herrschaftlichen<br />

Hauses in Obhut ihrer Bruder, der Kónige Gunther, Gemot und Giselher ist. Sie ist<br />

nach den MáGstáben der Heldenepik vorwiegend durch ihre Position in der<br />

Gesellschaft best<strong>im</strong>mt. Hagen hingegen ist, zunàchst nur beilàufig <strong>im</strong> Rahmen<br />

einer Aufzàhlung von burgundischen Vasallen eingefuhrt, durch seine Position als<br />

erster Vasall und Heifer am burgundischen Hof definiert und weniger durch seine<br />

nicht eindeutig fixierbare Verwandtschaft mit der kõniglichen Familie. Àhnlich wird<br />

Siegfried durch seine Abstammung und seinen Status als Kronprinz eingefuhrt:<br />

Fur die spezifische Form von Herrschaftsorganisation, die von germanischer Zeit bis ins 12.<br />

Jahrhundert als einzige Form von Staatlichkeit existierte, wurde 1933 von Theo<strong>do</strong>r Mayer der<br />

Begriff "Personenverbandsstaaf gepràgt, eine Bezeichnung, die sich trotz ihrer starken<br />

Instrumentalisierung seitens der zeittypischen Idéologie des NS-Reg<strong>im</strong>es in Historiker-Kreisen bis<br />

heute erhalten hat. Auch die sozialgeschichtlich orientierte Altgermanistik ubernahm, allerdings<br />

Jahrzehnte spàter, diesen Begriff und setzte ihn fur ihre Zwecke vermehrt ein. Zusammen mit dem<br />

durch Gert Kaiser popular gewordenen Stichwort von Territorialisierungsprozessen war der<br />

'Personenverbandsstaat' unter den Altgermanisten zu einer Art 'Zauberformel' fur die Deutung der<br />

deutschen Heldenepik geworden. Kaiser geht <strong>da</strong>von aus, <strong>da</strong>l3 infolge der sich seit dem 12.<br />

Jahrhundert bemerkbar machenden Territorialisierungsprozesse, der allmàhlichen Markteròffnung<br />

und dem <strong>da</strong>mit verbundenen wirtschaftlichen Aufschwung, der Personenverbandsstaat einem<br />

tiefgreifenden Wandel unterlag und allmahlich in den institutionellen Flàchenstaat uberging. Das<br />

wichtigste Merkmal des Personenverbandsstaates liegt <strong>da</strong>rin, so Kaiser, <strong>da</strong>B er keine Herrschaft <strong>im</strong><br />

modernen Sinne ùber ein Gebiet <strong>da</strong>rstellt, sondem „Herrschaft uber einen Verband von Personen",<br />

gegrúndet auf persònlichen Bindungen, eine „tief verwurzelte Form von Sozial- und<br />

Herrschaftsbeziehungen, die sich <strong>im</strong> Treue- und Gefolgschaftsdenken eine eigene, kraftvolle Ethik<br />

gegeben hatte (...)". Inzwischen hat die Geschichtswissenschaft erwiesen, <strong>da</strong>B mittelalterliche<br />

Personenverbânde sehr wohl uber eine Tlàche' herrschten, bzw. <strong>da</strong>B ein Gebiet unter ihrem<br />

EinfluBbereich stand, ohne je<strong>do</strong>ch uber einen Beamtenapparat <strong>im</strong> modernen Sinne zu verfugen.<br />

Problematischer als diese Feststellung scheint je<strong>do</strong>ch die Inhaltsbeschreibung der Prinzipien, nach<br />

denen diese Verbànde funktionierten sowie von Faktoren, die die Eigenart ihres Zusammenlebens<br />

best<strong>im</strong>mten. Vgl. Kaiser, Gert., apud. Knapp, Fritz Peter, „Nibelungentreue wider Babenberg? Das<br />

Heldenepos und die verfassungsgeschichtliche Entwicklung Òsterreichs <strong>im</strong> Lichte der neuesten<br />

Forschung", in PBB 107 (1985), S. 174-189, hierS. 176.<br />

34


„Dô wuoch in Niderlanden eins edelen kiineges kint<br />

der voter der hiez Sigemunt, sin muoter Sigelint,<br />

in einer rîchen bùrge wîten wol bekant,<br />

nidene M dem Rîne: diu was ze Santen gênant.<br />

Sîvrît was geheizen der snelle degen guot." (20,1-21,1)<br />

Der Hof in Worms zeichnet sich <strong>im</strong> Gegesatz zum Hof Etzels zu Gran durch<br />

erstaunliche Geschlossenheit aus. Die verwandtschaftlichen Bindungen <strong>im</strong><br />

Burgunden-Reich sind klar definiert, je<strong>do</strong>ch kaum iiber den Rahmen der engeren<br />

Konigsfamilie hinaus. Lediglich die Stellung Hagens innerhalb der Kónigsfamilie<br />

bleibt unklar: einerseits ist er ihr Verwandter, andererseits ist er ihr als man zu<br />

Dienst verpflichtet. Im Falle Ortwins, Hagens und Dankwarts neve, findet<br />

beispielsweise die Verwandtschaft zum Kónigshaus uberhaupt keine Erwãhnung.<br />

In der Schilderung vertikaler Abhàngigkeit unter den Burgunden begnugt sich der<br />

Dichter <strong>da</strong>mit, „mit Rud<strong>im</strong>enten zur Bezeichnung von Herrschaft und Abhàngigkeit:<br />

Herr und Mann" 61 zu operieren, ohne sich auf eine differenziertere Gliederung<br />

lehensrechtlicher Verhàltnisse einzulassen. Gunther erscheint am Wormser Hof als<br />

pr<strong>im</strong>us inter pares unter den drei Kõnigen, mit einem Rangetikett versehen sind<br />

lediglich marcgrâve Eckewart und marcgrâve/Jurste Gere, die beide je<strong>do</strong>ch am<br />

Rande des Geschehens bleiben. AuBerdem werden vier Gestalten als Tràger<br />

eines Hofamtes vorgestellt: der Kùchenmeister Rumolt, der Marschall Dankwart,<br />

dessen neve der TruchseB Ortwin von Metz und der Mundschenk Sinold, 62 je<strong>do</strong>ch<br />

60 Zitiert nach: Das <strong>Nibelungenlied</strong>. Nach dem Text von Karl Bartsch und Helmut de Boor ins<br />

Neuhochdeutsche ubersetzt und kommentiert von Siegfried Grosse, Stuttgart: Philipp Reclam jun.,<br />

1997.<br />

61 Hennig, Ursula, „Herr und Mann - Zur Stándesgliederung <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong>", in: Monfort -<br />

Vierteljahresschritt fur Geschichte und Gegenwart Vorarlbergs, (Hohenemser Studien zum<br />

<strong>Nibelungenlied</strong>), Heft 3/4, Dornbirn, 1981, S. 175-185, hier S. 179.<br />

62 Die Hofàmter, auch Erzàmter genannt, waren historisch gesehen symbolische Dienste, mit Hilfe<br />

derer ein Herrscher seine Vasallen ehrte und auszeichnete, zugleich je<strong>do</strong>ch auf diese Weise ihre<br />

Unterordnung demonstrativ zur Anschauung brachte. Diese Verbindung von Ehrung und<br />

Auszeichnung einerseits und Unterordnung andererseits entsprach der gàngigen mittelalterlichen<br />

Praxis, die sich sowohl in Konsens- als auch in Dissens-Situationen <strong>da</strong>rauf richtete, Rang und Ehre<br />

des Gegenùbers zu wahren. Daher spricht man auch gerne in diesem Zusammenhang von<br />

35


ohne Auswirkung auf ihren Stand, <strong>da</strong> sie mit Ausnahme Dankwarts ebenfalls am<br />

Randgeschehen bleiben. Damit ist die stândische Gliederung des burgundischen<br />

Hofes vollzogen. Trotz der kargen Hiérarchie ist er ein „nach Rang und Funktion<br />

differenzierte(s) politisch-soziales Gebilde", 63 <strong>da</strong>s stàndische Zugehórigkeit ùber<br />

ailes stellt, so <strong>da</strong>l3 die angeborene Ranginferioritàt durch persónliche Dienste<br />

kaum aufzuwiegen ist:<br />

„Wie het ich <strong>da</strong>z verdienet", sprach Gunther der degen,<br />

„des mîn voter mit êren hât gepflegen,<br />

<strong>da</strong>z voir <strong>da</strong>z solden vliesen von iemannes kraft?<br />

wir liezen schînen, <strong>da</strong>z wir ouchpflegen riterschqft." (112)<br />

„Wir hân des nihtgedingen", sprach dô Gêrnôt,<br />

„<strong>da</strong>z wir iht lande ertwingen, <strong>da</strong>z iemen drumbe tôt<br />

gelige vor heldes handen. wir haben rîchiu lant;<br />

diu dienent uns von rente, ze niemen sint si baz bewant." (115)<br />

Dem in sich geschlossenen burgundischen Reich steht <strong>da</strong>s <strong>im</strong>mense Imperium<br />

des Hunnenherrschers Etzel gegenûber, <strong>da</strong>s sich ùber weite Teile Europas<br />

erstreckt. In Anlehnung an <strong>da</strong>s traditionelle Attila-Bild sù<strong>do</strong>steuropaischer Võlker<br />

erscheint auch Etzel <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong> als machtiger Beschùtzer, in dessen<br />

Gefolge Võlkerscharen von Polen, Russen, Griechen, Walachen und<br />

Petschenegen auftauchen, unter ihnen zahllose exilierte Fùrsten, Vasallen,<br />

Herzoge und Kônige, die wiederum voneinander wechselseitig abhãngen. Als Etzel<br />

Kriemhild in Wien zu ihren Empfang entgegenreitet, befinden sich in seinem<br />

Gefolge sage und schreibe vierundzwanzig Fùrsten (1342,3). Auch <strong>im</strong><br />

Hunnenreich herrschen, obgleich weit vielfáltigere, klare hierarchische Strukturen,<br />

in denen jeder seinen festen Platz und seine Verpflichtungen dem Herrn<br />

gegenûber kennt. Innerhalb von Fùrstengruppen sind weitere herrschaftlich<br />

"EhrendiensterT. Mehr <strong>da</strong>zu, Althoff, Gerd, Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft <strong>im</strong><br />

Mittelalter, Darmstadt: Pr<strong>im</strong>us, 2003, S. 93ff.<br />

63 Mùller, Jan-Dirk, „Sîvrit: kùnec-man-eigenholt. Zur sozialen Problematik des <strong>Nibelungenlied</strong>es",<br />

in ABàG 7 (1974), S. 85-124, hier S. 94.<br />

36


strukturierte Untergruppierungen zu beobachten, in denen Fursten eigene<br />

Kriegermannschaften mitfùhren, wie <strong>im</strong> Falle des dànischen Exilfùrsten Irinc, der<br />

Hawarts man ist.<br />

AuBer verwandtschaftlichen und herrschaftlichen Bindungen gab es <strong>im</strong> Mittelalter<br />

noch eine dritte Art von Bindungen in Personenverbànden, deren Mitglieder <strong>im</strong><br />

Unterschied zu den anderen zwei Gruppierungen voile Gleichordnung und<br />

Gleichberechtigung genossen: die sog. genossenschaftlichen Bindungen. Der<br />

Definition der Rechtshistoriker nach sind die Genossenschaften ein<br />

„Personenverband zur Erfullung der von seinen Mitgliedern angestrebten<br />

religiósen, kulturellen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, rechtlichen und<br />

politischen Zwecke." 64 Diese Art von Bindung ist mit dem heutigen Begriff<br />

Freundschaft eng verwandt, je<strong>do</strong>ch nicht identisch, <strong>da</strong> Freundschaft <strong>im</strong> Mittelater<br />

„nicht Ausdruck eines subjektiven Gefuhls (war), sondern Vertragscharakter (hatte)<br />

und zu gegenseitiger Hilfe und Unterstutzung in alien Lebenslagen<br />

(verpflichtete)". 65 Sie verband Personen, die weder miteinander verwandt waren<br />

noch in einem Verhàltnis herrschaftlicher Abhàngigkeit standen.<br />

Genossenschaftlich strukturierte Gruppierungen bezogen <strong>da</strong>ruber hinaus<br />

verschiedene Arten von Freundschaftsbundnissen ein, deren informeller und<br />

nichtinstitutioneller Charakter sie von der vasallischer Bindung unterschied, obwohl<br />

diese wie jene mit rituellen Handlungen eingegangen und durch Eidsprechungen<br />

bekràftigt wurden. Das weite Bedeutungsfeld der mittelalterlichen<br />

amicitia/vriuntschaft deckte u.a. religiose, rechtliche und politische D<strong>im</strong>ensionen<br />

ab und war eine unspezifische Bindung fur aile Fàlle mit dem Anspruch auf<br />

Unterstutzung in alien Lebensbereichen. Im <strong>Nibelungenlied</strong> ist dies insbesondere<br />

<strong>da</strong>s Freundschaftsbundnis zwischen Hagen und Volker, <strong>da</strong>s sich von den anderen<br />

beiden Bundnissen, dem zwischen Siegfried und Gunther und dem zwischen<br />

Rudiger und den Burgunden, <strong>da</strong>durch abhebt, <strong>da</strong>B es sich unbelastet ob weiterer<br />

Bindungen ohne jeglichen Konflikt bis in den Tod bewãhrt.<br />

64 Stra<strong>da</strong>l, H., Art. „Genossenschaft", <strong>im</strong> Handwòrterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 1, Sp.<br />

1522-1527, apud. Althoff, Gerd, (Anm.40), S. 85.<br />

65 Althoff, Gerd, (Anm.40), S. 86.<br />

37


6. Herrschaftliche und verwandtschaftliche Bindungen<br />

Die Nebeneinanderstellung von auf herrschaftlicher und auf verwandtschaftlicher<br />

Basis organisierten Gruppierungen lãuft einer in der <strong>Nibelungenlied</strong>-Forschung<br />

etablierten Tendenz zuwider, dem Text einerseits seine politische und andererseits<br />

seine private D<strong>im</strong>ension herauszuarbeiten. Der Grund fur diese zwei<br />

entgegengesetzte Forschungstendenzen liegt in der bereits zu Anfang skizzierten<br />

Rezeption, in der nach einer stark politisierten Phase ein Abschnitt folgte, in dem<br />

sich die Forschung urn Interpretationen bemuhte, die von allem Politischen<br />

gesàubert waren. Diese zwei Richtungen veranschaulichte Klaus von See in seiner<br />

vielzitierten Frage:<br />

„ (...) wieso ein Epos zur deutschen nationalen Idéologie werden<br />

konnte, <strong>da</strong>s mit der deutschen Geschichte gar nichts zu tun hat,<br />

sondern von Zwist und Mord <strong>im</strong> burgundischen Kónigshaus<br />

handelt, - eine abstrus-peinliche Betrugskomodie, die sich <strong>da</strong>nk der<br />

undisziplinierten oder auch nur tõrichten Schwatzhaftigkeit ihrer<br />

Protagonisten zur Ehetragõdie auswáchst...' 66<br />

Dal3 der Text keine oder nur einzeln verstreute Gemeinsamkeiten mit der<br />

deutschen Geschichte aufweist, bedeutet nicht automatisch, <strong>da</strong>B er keine<br />

politische D<strong>im</strong>ension besitzt. Im Gegenteil: <strong>da</strong> die Handlungstràger aristokratischer<br />

Abstammung sind, besitzt der Text notwendigerweise auch eine politische<br />

D<strong>im</strong>ension, die in solchen Kreisen eng gebunden ist an private Angelegenheiten<br />

wie Familie, Heirat, Fortpflanzung, usw. Unser aufgeklàrtes BewuBtsein verleitet<br />

uns je<strong>do</strong>ch <strong>da</strong>zu, best<strong>im</strong>mte Sphàren dem Privaten bzw. Gesellschaftlichen<br />

zuzuordnen, wáhrend <strong>im</strong> Mittelalter die Grenzen zwischen den jeweiligen<br />

Bereichen durchlássiger waren, <strong>da</strong> auch die Eingebundenheit des Einzelnen in<br />

verschiedene Gruppierungen intensiver war. Im <strong>Nibelungenlied</strong> wiirde sich eine<br />

solche Trennung schon wegen der <strong>da</strong>rin vorkommenden Personenkonstellation als<br />

abwegig erweisen, <strong>da</strong> zum herrschaftlichen Personenverband des burgundischen<br />

38


Kónigshauses Verwandte unterschiedlichen Grades gehõrten, die untereinander<br />

sowohl durch herrschaftliche (Hagen vs. Gunther, Gemot, Giselher und Kriemhild,<br />

u.a.) ais auch verwandtschaftliche (sie alie untereinander) Verhàltnisse verbunden<br />

waren.<br />

Spricht man von den herrschaftlichen Bindungen <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong>, so stellt man<br />

sich in erster Unie die harmonisierte Bindung zwischen Kónig Gunther und dessen<br />

wichtigstem Helfer und Vasallen Hagen vor. „Hagen repràsentiert einen in der<br />

mittelalterlichen Epik verbreiteten Typus von Helfergestalten, auf denen <strong>da</strong>s<br />

Ùberleben des Gemeinwesens beruht (...)" 67 : Ais welterfahren ist er der Kundige<br />

am Hof, der zu Rate gezogen wird, wenn Fremde erscheinen (82, 151,1177,1205,<br />

1210, 1431) und der die ehrende Funktion des Ratgebers ausùbt, der seinem<br />

Herrn nach bestem Wissen und Gewissen ohne Wenn und Aber mit Rat und Tat<br />

beisteht: 68<br />

„Hagen ist eine der wenigen Gestalten dieser Dichtung, deren<br />

Ethos klare, von Zweifeln freie Entscheidungen erlaubt. (...) Weder<br />

steht Hagen <strong>im</strong> Bereich des christlichen Ethos, noch macht er eine<br />

Wandlung zu einem neuen Selbstverstàndnis durch. Einen<br />

'Dualismus von Sein und Sollen' hat es fur Hagen nie gegeben. Er<br />

von See, Klaus, (Anm.19), S. 59.<br />

67 Mûller, Jan-Dirk (Anm.42), S. 156.<br />

68 Alois Wolf zàhlt die Vasallierung des ursprûnglichen, in der nordischen Dichtung bewahrten<br />

Bruderverháltnisses - wohl aus Rucksicht auf christliche Werte, um einen direkten Verwandtenmord<br />

innerhalb der engeren Burgundenfamilie zu vermeiden - zwischen Gunther und Hagen zu den<br />

Einflùssen der altfranzòsischen heldenepischen Tradition, bzw. chanson de gesfe-Tradition, eine<br />

Erkenntnis, die in der <strong>Nibelungenlied</strong>-Forschung weitgehend auf Akzeptanz gestoBen ist. Allen<br />

punktuellen Inkonsequenzen zum Trotz, so Wolf, ergebe sich bei dieser Vasallenthematik eine<br />

durchgehende Unie, die von Anfang an klar erkennbar ist und auf die es dem Dichter ankommt;<br />

eine Unie, die <strong>da</strong>nn <strong>im</strong> Sterben Hagens und <strong>im</strong> letzten Triumph, der eben auch als Triumph des<br />

Vasallen <strong>da</strong>rgestellt wird, gipfele. Die Aufwertung der Vasallenrolle beschrànke sich je<strong>do</strong>ch nicht<br />

auf die Gestalt Hagens, auch die Figur Rùdigers ist malîgeblich durch den EinfluB der Wilhelmsepik<br />

gepràgt: am deutlichsten manifestiere sich dies in der Szene des FuBfalls des Herrschers vor<br />

seinem Vasallen, die sowohl Bataille d'Aliscans als auch Couronnement de Louis kennen. Weiter<br />

<strong>da</strong>zu: Wolf, Alois, „Die Verschriftlichung der Nibelungensage und die franzósisch-deutschen<br />

Literaturbeziehungen <strong>im</strong> Mittelalter", in: Masser, Ach<strong>im</strong> (Hrsg.), Monfort - Vierteljahresschrift fur<br />

Geschichte und Gegenwart des Vorarlbergs, (Hohenemser Studien zum <strong>Nibelungenlied</strong>), Heft 3/4,<br />

Vorarlberger Verlaganstalt, Dornbirn, 1980, S. 227-245; Kritisch zur These der schriftliterarischen<br />

Intertextualitàt vgl. Mùller, Jan-Dirk, (Anm.42), bes. S. 55-102.<br />

39


kennt stets seine Lage und <strong>da</strong>mit auch sein Verháltnis zum<br />

Gegenùber." 69<br />

Obwohl nur nebenbei eingefùhrt (9,1), wird Hagen <strong>im</strong> Laufe der dritten âventiure in<br />

den Vordergrund gerùckt: er entwickelt sich zunâchst unauffàllig zum Gegner der<br />

zwei anfangs vorgestellten Gestalten: Kriemhild (1. âventiure) und Siegfried (2.<br />

âventiure). Hier hat er seinen ersten õffentlichen Auftritt zuerst als Berichterstatter,<br />

<strong>da</strong>nn als Gunthers Ratgeber, um sich von nun an, wie Ingeborg Cavalié richtig<br />

bemerkt hat, <strong>im</strong>mer mehr zum eigenstàndigen Wortfùhrer zu „schwingen". 70 In<br />

dieser Szene ist ebenfalls der Ke<strong>im</strong> der kùnftigen Feindschaft zwischen Hagen und<br />

Siegfried zu suchen, die in der 14. âventiure kulminieren wird, in der es um die<br />

Beleidigung der Kõnigin und den BeschluB, Siegfried zu ermorden, gehen wird.<br />

Obwohl zurùckhaltender als der temperamentvolle Ortwin, senden Hagens Worte<br />

(...): „uns mac wol wesen leit,<br />

alien dînen degenen, <strong>da</strong>z er ie gereit<br />

durch strîten her ze Rîne; er soltez haben lân.<br />

<strong>im</strong> heten mine herren sõlher leide niht getân." (121,1-4)<br />

ein unmiBverstàndliches Signal aus, <strong>da</strong>(3 Siegfrieds widersage als leit 71 , <strong>da</strong>s er<br />

soltez haben lân (121,3) bzw. als Bedrohung und Ehrverletzung empfunden wurde,<br />

was nach dem mittelalterlichen Ehrenkodex schwerwiegende Konsequenzen hatte<br />

Harms, Wolfgang, Der Kampf mit dem Freund oder Verwandten in der deutschen Literaturbis um<br />

1200, Mùnchen: Ei<strong>do</strong>s, 1963, S. 33-46, hier S. 36.<br />

70 Cavalié, Ingeborg, „Die umstrittene Episode in der dritten âventiure des "<strong>Nibelungenlied</strong>': Sîfrits<br />

widersage an die Burgunden", in ZfdPh 120 (2001), S. 361-380, hier S. 375; Fur Friedrich<br />

Neumann („Schichten der Ethik <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong>e" (1924), wieder abgedruckt in ders., Das<br />

<strong>Nibelungenlied</strong> in seiner Zeit, Góttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1967, S. 9-34) ist Hagen<br />

ebensowenig wie Siegfried eigenmann, denn ùberlegen vermag er, seinen Herm von der<br />

Richtigkeit eigener Ansichten und Plane zu ùberzeugen.<br />

Ausfùhrlich zum Thema leit in Maurer, Friedrich, Leid. Studien zur Bedeutungs- und<br />

Problemgeschichte, besonders in den groBen Epen der staufischen Zeit, Berlin: Francke, 1961, <strong>im</strong><br />

<strong>Nibelungenlied</strong> S. 13-38. Es herrschte lange Jahre die hartnàckische Auffassung, Siegfrieds Auftritt<br />

als Herausforderer sei eine ..unhofische Vorzeitsitte", ein ..blindes Motiv", <strong>da</strong>s auf recht<br />

unterschiedliche Art und Weise - sagenhistorisch, gattungsbedingt oder <strong>im</strong> Hinblick auf<br />

zeitgenõssische Machtspannungen der Stauferzeit - gedeutet wurde. Heutzutage ist je<strong>do</strong>ch die<br />

Meinung vorherrschend, die Episode weise ein arturisches Muster auf, was sich <strong>da</strong>ran zeigt, <strong>da</strong>!3<br />

40


und nicht selten Konflikte auslóste. Fur einen Vasallen, dessen oberstes Prinzip<br />

nicht nur die Fursorge fur die Sicherheit seiner Herren ist, sondem der auch die<br />

Pflicht hat, die Wùrde des Reiches (dignitas <strong>im</strong>perii) zu verteidigen, ist dies Grund<br />

genug, MiBtrauen gegen den Eindringling zu hegen und auf der Lauer zu bleiben.<br />

Als Reaktion auf die traditionsreiche Heldenverehrung vertraten etliche<br />

Altgermanistinnen die Ansicht, Gunther sei wegen seiner <strong>im</strong>mer wiederkehrenden<br />

Konsultationen ein schwacher und schlechter Kónig gewesen. 72 Diese These ist<br />

anhand der Kenntnisse, die uns die Geschichtswissenschaft inzwischen geliefert<br />

hat, vom heutigen germanistischen main stream verworfen worden, denn die<br />

Forschungen der Geschichtswissenschaft haben ergeben, <strong>da</strong>B in der Beratung<br />

und <strong>im</strong> Rat {consilium) die mittelalterliche Staatlichkeit und Herrschaft eine ihrer<br />

zentraien Institutionen hatten und der Vasall eine seiner wichtigsten und<br />

vornehmsten Funktionen. Und <strong>da</strong> Gunther kein absolutistischer Herrscher war,<br />

konnte er auf den Rat seiner vriunde nicht verzichten, was nichts mit seiner<br />

persónlichen Entscheidungsschwáche zu tun hatte. Die Bedeutung der<br />

Entscheidungsfindung und Konsensstiftung ist uns auBerdem durch zahlreiche<br />

zeitgenõssische Schriften des Mittelalters uberliefert worden. Erst wenn wir diese<br />

Bedeutung wurdigen, kõnnen wir uns von der auBerordentlich hohen Position, auf<br />

der der mittelalterliche hõfische Ratgeber rangierte, ein Bild machen. Die<br />

historischen Quellen zeigen uns auch, <strong>da</strong>B bei diesen, so Althoff,<br />

„Grundsituationen des mittelalterlichen Menschen" 73 die Kónigshófe nicht selten als<br />

Schauplàtze fur entgegengesetzte Interessenbildungen fungierten, wobei jede<br />

zahlreiche Artus-Romane <strong>da</strong>mit eròffnen werden, und folglich sehr wohl von einer planmaBigen<br />

Erzàhltechnik des anonymen Dichters zeuge.<br />

72 Angeregt von Roswitha Wisniewski und ihrem Aufsatz „Das Versagen des Kónigs. Zur<br />

Interpretation des <strong>Nibelungenlied</strong>es", (in Schmidtke, Dietrich (Hrsg.), Festschrift fur Ingeborg<br />

Schrõbler, Tubingen: Max Niemeyer, 1973, S. 170-186) setzte diese These am Beispiel Siegfrieds<br />

und Dietrichs ihre Schúlerin Carola L. Gottzmann fort. Neuerdings hat Walter Seitter in seinem<br />

Aufsatz „Die Urszenen des Politischen. Von der zivilisatorischen Funktion der Literatur und ihrem<br />

Ausfall am Beispiel des <strong>Nibelungenlied</strong>es" eine àhnliche Ansicht vertreten, nàmlich <strong>da</strong>B „<strong>da</strong>s<br />

<strong>Nibelungenlied</strong> (...) fur sich genommen einen riesigen seriellen und zwar negativen Furstenspiegel<br />

entfalte. Viele sehr verschiedene Versagen vieler verschiedener Kònige - vom alten Siegmund bis<br />

zum alten Etzel - verketteten sich zu einer <strong>im</strong>mer unentrinnbarer werdenden Kette von Unglucken.",<br />

Vgl. Seitter, Walter, (Anm.14), S. 113.<br />

73 Althoff, Gerd, „Gloria et Nomen Perpetuum. Wodurch wurde man <strong>im</strong> Mittelalter beruhmt?", in:<br />

Althoff, Gerd, et allii. (Hrsg.), Person und Gemeinschaft <strong>im</strong> Mittelalter. Karl Schmid zum<br />

funfundsechzigsten Geburtstag, Sigmaringen: Jan Thorbecke, 1988, S. 296-313, hier S. 301.<br />

41


Partei auf die jeweilige Beeinflussung und Willensbildung des Herrschers abzielte.<br />

Diese Gegebenheit ist in der Literatur allzugut bekannt und ais Hofkritik oft in Form<br />

des Motivs des schmeichlerischen Ratgebers pràsent, auf dessen Betreiben<br />

hõfische Intrigen entfacht werden. Am Wormser Hof, mit seinem auf den engsten<br />

Kreis reduzierten Personen, kommt diese Rolle dem Troneger Hagen zu, auch<br />

wenn er von einem gesichtslosen schmeichlerischen Hõfling weit entfernt ist. Um<br />

die verletzte Ehre seines Herrn wieder herzustellen, agiert er zunáchst aus dem<br />

Hintergrund als Berater gegen Siegfried (151,4; 331; 532), <strong>im</strong> nachhinein aber<br />

<strong>im</strong>mer selbstsicherer, um letztendlich die Regie von dessen Tod selbst in die Hand<br />

zu nehmen.<br />

AuGer der in idealisierender, heldenepischer Manier gestalteten Beziehung<br />

zwischen Gunther und seinem Vasallen Hagen schildert uns <strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong><br />

eine weitere Beziehung, die zwar keine réelle Herr-Vasall-Beziehung ist, aber<br />

<strong>im</strong>merhin Zùge einer herrschaftlichen, durch Eid (335,1) rechtsmâBig bekráftigten<br />

Bindung ann<strong>im</strong>mt. Es geht um <strong>da</strong>s Verháltnis zwischen Gunther und Siegfried.<br />

Siegfried ist einerseits ein vielerorts berùhmter Held, von dessen sagenhaften<br />

Heldentaten Hagen berichtet: wie er sich <strong>da</strong>s unermeBliche Reich der Nibelungen<br />

zu eigen gemacht hat, zu einem nie zu erschõpfenden Schatz gelangte und einen<br />

Drachen ùberwàltigte, dessen Blut ihm eine Schicht von Hornhaut verlieh, usw.<br />

Ùberdies ist Siegfried ein hófisch erzogener junger Fùrst, wie er in der Exposition<br />

in der 2. âventiure <strong>da</strong>rgestellt wurde: er verehrt seine Dame aus der Feme und ùbt<br />

sich u.a. in geduldigem Warten, ohne <strong>da</strong>B ihm Zeichen der Zuversicht<br />

entgegenkommen (staete). 74 Diese zwei widersprùchlichen Verhaltensparadigmen<br />

Staete war neben triuwe eine der zentralen und vornehmsten Tugenden in der mittelalterlichen<br />

Literatur. Desselben ethymologischen Ursprungs wie <strong>da</strong>s Verb "stehen' (and., mhd. stân, stên)<br />

drùckte <strong>da</strong>s Abstraktum staete die Bestàndigkeit, die Dauer und <strong>da</strong>s Ausharren in einem Zustand<br />

aus. Dem Begriff kam insbesondere in der theologischen Lehre des Christentums eine gewichtige<br />

Rolle zu, fur die die Welt in <strong>da</strong>s vergângliche und unbestàndige Diesseits und <strong>da</strong>s unvergángliche<br />

und ewige Jenseits zerfiel. Der Mensch wurde dieser Lehre nach infolge des Sûndenfalls dem<br />

Fluch der Vergànglichkeit anhe<strong>im</strong>gegeben, von dem er durch die Auferstehung Christi erlòst wurde.<br />

Aber auch in der weltlichen Dichtung fand staete ihren Eingang und festen Platz <strong>im</strong> ritterlichhófischen<br />

Tugendsystem. Ihre kosmisch-metaphysische und psychologisch-moralische D<strong>im</strong>ension<br />

existierten, bedingt durch die fur <strong>da</strong>s Mittelalter typische typologische Denkweise, nebeneinander:<br />

bedeutete sie <strong>im</strong> góttlichen Bereich gottgewollte, ewig reine und unverànderliche paradiesische<br />

Zustànde, so kennzeichnete sie <strong>im</strong> diesseitigen Bereich <strong>da</strong>s menschliche Handeln, <strong>da</strong>s diesen<br />

góttlichen Zustánden sich zu nàhern scheint, indem es die Ordnung dieser Welt des Wandels, der<br />

42


ein und derselben Figur alternieren, bis es <strong>im</strong> nachfolgenden Sachsenkrieg zu<br />

einer Verschmelzung der beiden Muster kommt. Fur seinen Minnedienst in diesem<br />

fingierten Vasallenverhàltnis bekommt er als Ion den hõfischen gruoz seiner<br />

Dame, der nicht nur ein Signal der BegrùBung war, sondem auch ein Akt, mit dem<br />

man die ère des anderen anerkannte. Doch dies reicht noch nicht aus, urn die<br />

geliebte Dame zu gewinnen. Siegfried muB eine weitere Aufgabe bewáltigen: wenn<br />

er, Siegfried, Gunther bei dessen Brauwerbung urn die máchtige islándische<br />

Kõnigin Brunhild hilft und ihn <strong>im</strong> Kampf gegen sie vertritt, wird er als Gegenleistung<br />

die Hand Kriemhilds bekommen. Ein zweites Mal ist hier der Einsatz von Siegfrieds<br />

sagenhaften Fàhigkeiten gefragt, <strong>da</strong>mit er seine hôfische Karriere am Wormser<br />

Hof erfolgreich abschlieBen kann. Urn seine Mission auf Isenstein móglichst<br />

erfolgreich zu erfullen, inszeniert Siegfried sich selbst als Gunthers Vasall, zuerst<br />

durch die Anweisung an seine Reisegefâhrten, sie sollen wan einer redejehen: /<br />

Gunther sî mîn herre, und ich si sin man (386,3-4) und <strong>da</strong>nach, nach der Ankunft,<br />

durch den ostentativen Statordienst, den er Gunther vor den Augen Brunhilds und<br />

ihrer Frauen leistet. Wahrend dieser „Mauerschau" hat <strong>da</strong>s Gesinde Brunhilds die<br />

Gelegenheit, die Ankunft der Burgunden zu verfolgen, wie Gunther sich in den<br />

Sattel schwingt und wie Siegfried ihm durch eine Geste von demostrativer<br />

Unterordnung dienstbereit den Steigbugel halt, so wie sie <strong>im</strong> Lehnsverháltnis<br />

vorgegeben war. Zieht man nun die Erkenntnisse der Geschichtswissenschaft iiber<br />

rituelle Verhaltensmuster und die Zeichenhaftigkeit der mittelalterlichen<br />

Kommunikation heran, kõnnte man <strong>da</strong>raus schlieBen, die Szene der Landung auf<br />

Isenstein sei einem zeitgenóssischen Geschichtsbuch entnommen worden, denn<br />

sie làuft ganz genau nach den Regeln ritueller Kommunikation ab. Nonverbal und<br />

vor gróBtmõglichen Óffentlichkeit angelegt muBte sie besonders starke Wirkung<br />

erreicht haben. Dennoch verfehlt dieses Tàuschungsmanóver sein Ziel und<br />

Bruhnhild begruBt zunáchst Siegfried, worauf er sie verbal auf Gunthers<br />

vermeintlich hóheren Rang verweist. Damit stellt sich <strong>da</strong>s Problem der Deutung<br />

Siinde und der Hinfàlligkeit zumindest vorûbergehend veriàRt. Angestrebt wurde dieses Verhalten<br />

vorwiegend <strong>im</strong> Bereich der Minne: staete auf Erden stellte die erste Stufe der Vergegenwártigung<br />

des Gòttlichen <strong>im</strong> Diesseits <strong>da</strong>r. Vgl. Wisniewski, Roswitha, „Staete", in: Grossklaus, Gótz (Hrsg.),<br />

43


itueller ÀuBerungen, die, trotz ihres Anspruchs auf Verbindlichkeit, nicht <strong>im</strong>mer<br />

eindeutige Botschaften vermittelten. 75 Demzufolge ist auch Brunhilds<br />

Rásonnement nicht ungerechtfertigt: noch wáhrend des 12. Jahrhunderts hat es<br />

eine rege Diskussion uber die Symbolik des Stratordienstes gegeben, - den sowohl<br />

die byzantinischen als auch die rõmischen und deutschen Kõnige bzw. Kaiser<br />

mehrfach dem Papst leisteten -, námlich ob er aus Verpflichtung oder als Geste<br />

der Hõflichkeit vorgenommen wurde. Dabei bestritt man ausdrucklich seine<br />

Konnotation als Ausdruck der Unterwerfung (denn er gehõrte zu den ublichen<br />

Aufgaben eines Marschalls, eines Lehnsmannes also), zumindest was den<br />

Stratordienst dem Papst gegenuber angeht. Diese Auseinandersetzung zeigt eine<br />

verbluffende Náhe zu unserem modernen, wohl durch Politikverdrossenheit<br />

bedingten Standpunkt, was Rituale und Inszenierung auf hõchster staatlicher<br />

Ebene eigentlich sind: nichts als leerer Schein und minuties vorbereitetes Theater.<br />

Diese heutige pejorative Einschátzung ist wiederum keineswegs auf die<br />

besprochene Situation anwendbar, sie kann uns je<strong>do</strong>ch <strong>da</strong>zu anregen, uber die<br />

Mehrdeutigkeit rituellen Verhaltens nachzudenken: wahrend Siegfried auf die<br />

absolute Eindeutigkeit des Búgeldienstes setzt, begreift Brunhild ihn als Courtoisie<br />

und zwingt <strong>da</strong>mit Siegfried, wenn auch unbewuGt, zur verbalen Standesluge.<br />

Nach dem erfolgten Kampf mit Brunhild, als Hagen einen Angriff von Seiten von<br />

Brunhilds vriunde, mage und man befurchtet, und als Siegfried als Reaktion<br />

<strong>da</strong>rauf seine Nibelungen-Krieger einholen will, bestátigt Siegfried wiederholt seine<br />

gespielte untergeordnete Position, indem er die Burgunden ausrichten Iál3t: <strong>da</strong>z ir<br />

Geistesgeschichtliche Perspektiven. Rùckblick-Augenblick-Ausblick. Festgabe fur Ru<strong>do</strong>lf Fahrner<br />

zu seinem 65. Geburtstag, Bonn: H. Bouvier und Co., 1969, S. 47-60.<br />

75 In seinem Aufsatz „Offentlichkeit und Kommunikation <strong>im</strong> Mittelalter. Zur Herstellung von<br />

Óffentlichkeit <strong>im</strong> Bezugsfeld elementarer Kommunikationsformen <strong>im</strong> 13. Jahrhundert" analysiert<br />

Thum sowohl verbal-sprachliche als auch non-verbale Verstandigungsformen und kommt, in<br />

Anlehnung an Informatik und Kommunikationstheorie zum Ergebnis, die Sprache und insgesamt<br />

die Verstândigung seien <strong>im</strong> Mittelalter hauptsàchlich durch die analoge Kommunikation gepràgt<br />

worden, wogegen <strong>im</strong> modernen Zeitalter die sog. digitale Verstàndigungsweise vorherrschend sei.<br />

Die erste zeichnet sich <strong>da</strong>durch aus, <strong>da</strong>B sie vorwiegend auf Zeichen, Symbole, Bilder und Gesten<br />

setzt und demzufolge konnotativen Charakters ist. Diese 'Verstandigungszeichen' sind nie<br />

eindeutig festzulegen, sie kennen „weder abstrakte logische Ableitung noch eine klare<br />

Differenzierung der Zeitstufen, noch auch die einfache Negation". Jene hingegen zeichnen sich<br />

durch ihren denotativen Charakter - Worter und Zahlen, die in keiner logischen Beziehung zum<br />

Bezeichneten stehen -, kónnen logisch-diskursive Denkvorgãnge zum Ausdruck bringen und<br />

44


mich habt gesendet, <strong>da</strong>z suit ir Prilnhilde sagen (481,4). Dieses Moment ist<br />

àuBerst wichtig, denn hier fàngt die Relativierung rituellen Verhaltens an, <strong>da</strong>s<br />

abgesehen von der Verbindlichkeit fur die Gegenwart „in aller Regel eine auf die<br />

Zukunft weisende D<strong>im</strong>ension besaB." Rituelles Verhalten lieferte Vergewisserung<br />

und Bestàtigung, <strong>da</strong>B die bestehenden sozialen Ordnungen funktionierten und <strong>da</strong>B<br />

auf sie VerlaB war. Und <strong>da</strong> „<strong>im</strong> Mittelalter etablierte Gewohnheiten einen hohen<br />

Geltungsanspruch besaBen", 76 konnte <strong>da</strong>s Nichteinhalten dieser Gewohnheiten,<br />

uber deren Eindeutigkeit allgemeiner Konsens herrschte, zu nicht vorhersehbaren<br />

Konfliktsituationen fuhren. Und genau an dieser Stelle setzt <strong>da</strong>s Epos an:<br />

„Retrospektiv erweist sich <strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong> somit auch als eine Erzàhlung vom<br />

Untergang einer verlàBlichen Zeichenwelt." 77 Auf die Handlungsstruktur ubertragen<br />

bedeutet dies, <strong>da</strong>B auch elementare, auf triuwe grundende zwischenmenschliche<br />

Beziehungen scheitern, wenn sie VerlàBlichkeit und Vertrauen, aus welchen<br />

Griinden auch <strong>im</strong>mer, aufs Spiel setzen.<br />

Brunhild wird diese ihr vorgefuhrte Sicht der Dinge spàter, in der 14. âventiure, ais<br />

Kriemhild mit dem vermeintlichen Vasallen Siegfried verlobt wird bzw. ais der Streit<br />

der Kóniginnen bereits seinen verhángnisvollen Lauf angenommen hatte, expressis<br />

verbis betonen:<br />

,Jch mac wol balde weinen", sprach diu schoene meit.<br />

„umbe dîne swester ist mir von herzen leit.<br />

die sihe ich sitzen nâhen dem eigenholden din.<br />

<strong>da</strong>z muoz ich <strong>im</strong>mer weinen, sol si also verderbet sin." (620)<br />

„Unt dà er mine minne sô ritterlîch gewan,<br />

dô jack des selbe Sîfrit, er waere 'skiineges man.<br />

des hân ich injur eigen, sit ichs in hôrtejehen." (821,1 -3)<br />

erlauben eine Unterscheidung zwischen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. Vgl. mehr <strong>da</strong>zu:<br />

Thum, Bernd, (Anm.53), S. 65-87, insbesondere S. 79.<br />

76 Althoff, Gerd, (Anm.62), S. 23.<br />

45


Exkurs:<br />

Den Ke<strong>im</strong> kunftigen Unheils kann man unter anderem auch in dieser<br />

Behauptung Brunhilds suchen, in der sie die durch <strong>da</strong>s unprázise man<br />

ausgedruckte Inferioritãt Siegfrieds als eigenholt auffaBt und mit dieser<br />

"Verschiebung und Verschàrfung' Kriemhild zusátzlich reizt. Ein<br />

eigenholt war nicht nur ein Vasall (der durchaus auch adelig sein<br />

konnte), er war auBerdem der Vertreter einer Gruppe von Unfreien, der<br />

sog. Ministerialen, die seit dem 12. Jahrhundert <strong>im</strong> Zuge der<br />

Territorialisierungsprozesse und der Ausweitung des landesfúrstlichen<br />

Suprematieanspruchs <strong>im</strong> Dienst adeliger Herrscher <strong>im</strong>mer hòhere<br />

Positionen einnahmen und so „ihre adeligen Standesgenossen zu<br />

ùberflùgeln beg(a)nnen und zur Landesherrschaft aufst(ie)gen.<br />

Komplementar zu dieser Entwicklung w(u)rden adelige Herrschaften<br />

mediatisiert, s(a)nken edelfreie Dynasten in die Ministerialitãt des<br />

Landesherrn ab Oder w(u)rden durch dessen Ministerialen in ihren<br />

Herrschaftsfunktionen ersetzt." 78 Noch weiter in der Deutung des<br />

Terminus eigen (man), eigenholt und eigene diu geht Ursula Hennig<br />

(1980), die unter der Einbeziehung vom Corpus der Altdeutschen<br />

Originalurkunden die standesrechtliche Fixierung desselben Terminus <strong>im</strong><br />

Bereich von homo senilis condicionis sehen will, einem Bereich, der<br />

jenseits der Ministerialitãt liegt und dem neben der Unfreiheit <strong>da</strong>s Mal der<br />

Leibeigenschaft anhaftet, was zwangslàufig die unterste Stufe der<br />

standesrechtlichen Ordnung bedeutet und grundsátzliche<br />

Lehensunfáhigkeit <strong>im</strong>pliziert. Unabhángig <strong>da</strong>von, wie man die ÀuBerung<br />

Brùnhilds interpretiert, bleibt festzustellen, <strong>da</strong>B <strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong> und<br />

die Gattung der deutschen Heldenepik insgesamt, <strong>im</strong> Unterschied zur<br />

Gattung des Artusromans, wo der ritterliche Dienst der ministerialis <strong>da</strong>s<br />

Gesellschaftsideal schlechthin <strong>da</strong>rstellt, den TJienst' vor allem als ein<br />

stàndisches Unterscheidungmerkmal bewerten. 79 Dennoch: <strong>da</strong>von<br />

auszugehen, <strong>da</strong>B Siegfrieds Stellung als die eines Ministerialen Oder<br />

eines Leibeigenen gemeint ist Oder <strong>da</strong>B der ei'genman-Anspruch<br />

77 Wenzel, Horst, „Szene und Gebàrde. Zur Visuellen Imagination <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong>", in ZfdPh 111<br />

(1992), S. 321-343, hierS. 341.<br />

78 Muller, Jan-Dirk, (Anm.63), S.108-109.<br />

79 Am eindeutigsten in der Zeile 118,3: ich bin ein kiinec riche, sô bistu kilneges man.<br />

46


Brùnhilds vor dem Hintergrund der durch die Territorialisierungspolitik<br />

entstandenen Konflikte zu verstehen ist oder vielleicht als „Urangst des<br />

europàischen Feu<strong>da</strong>lismus, (...) <strong>da</strong>B mit der Herrscherfamilie auch der<br />

Staat untergeht", 80 erweist sich als Ausgangspunkt fur die Interpretation<br />

als nicht angemessen, <strong>da</strong> sowohl die streng soziologisch orientierten, als<br />

auch die sog. „panpolitisierenden" Deutungen <strong>da</strong>s komplexe Gefuge aus<br />

Tradition, Gattung und literarischem Zeitgeist aus den Augen verlieren.<br />

Hagens Handlungsmuster, wie bereits erwàhnt, ist in seiner heroischen Position<br />

fest verankert: kompromiGlos lehnt er jegliche hófische Verhaltensnorm als Mittel<br />

zur Versõhnung ab. Als Kriemhild ihn fur sich beansprucht, antwortet er, ohne<br />

Umschweife:<br />

er sprach: Jane mac uns Gunther ze werlde niemén gegeben.<br />

Ander iuwer gesinde lât iu volgen mite,<br />

want ir <strong>do</strong>ch wol bekennet der Tronegaere site:<br />

voir mûezen bî den kunigen hie en hove bestân.<br />

wir suln in langer dienen, den wir alher gevolget hân." (698,4 - 699,4)<br />

Anderson und Schweikle 81 haben in dieser Erklárung restloser Ergebenheit dem<br />

Herrn gegenùber eine erste Spannung zwischen Hagen und Kriemhild und <strong>da</strong>s<br />

erste Anzeichen einer zukùnftigen Rivalitãt zwischen Hagen und Siegfried<br />

gesehen. Doch ihre Rivalitãt, wie wir bereits gesehen haben, reicht weit in die<br />

Vergangenheit zurûck, nàmlich in die 3. âventiure und Siegfrieds widersage. Der<br />

Zank zwischen den beiden Kõniginnen der 14. âventiure, der in der õffentlichen<br />

(offenliche) Demùtigung Brùnhilds durch Kriemhild gipfeln wird, war lediglich der<br />

Zúndstoff, der Hagens langjáhrige Feindschaft zu Siegfried aktivieren wird. Seine<br />

80 Galle, Volker, „Barbaren werden gemacht - von den Handlangern der Zivilisation", in Galle,<br />

Volker und Bònnen, Gerold (Hrsg.), (2003), S. 40-62, hier S. 40.<br />

81 Anderson, Philip N., „Kriemhild's Quest", in Euphorion 75 (1985), S. 3-12, hier S. 8 und<br />

Schweikle, Gunther, „Das <strong>Nibelungenlied</strong> - ein heroisch-tragischer Liebesroman?" in, De poeticis<br />

medii aevi questiones. Kàte Hamburger zum 85. Geburtstag, Gòppingen: Kummerle, 1981, S. 59-<br />

84, hier S. 62.<br />

47


Unbeirrbarkeit steht auch in dieser Situation Giselhers versõnhlicher Haltung<br />

entgegen<br />

„Suln wir gouche Ziehen", sprach aber Hagene:<br />

„des habent lùtzel ère sô goute degene.<br />

<strong>da</strong>z er sich hât gerilemet der lieben vrouwen mm,<br />

<strong>do</strong>r umbe wil ich sterben, ez engê <strong>im</strong> an <strong>da</strong>z leben sin." (867)<br />

Daraufhin wird auf Hagens Betreiben <strong>da</strong>s Mordkomplott ins Spiel gebracht. Obwohl<br />

die Idee ursprùnglich aus Brunhilds innerem Monolog kam (845) gehen die<br />

Meinungen der Forscher auseinander, ob Hagens Tat als dessen Eigeninitiative<br />

anzusehen ist oder ob er auf Anweisung Brunhilds gehandelt hat. Man beruft sich<br />

auf die nicht eindeutig formulierte Zeile 864,2 - dô sagte si <strong>im</strong> diu maere - welche?<br />

- und <strong>da</strong> eine explizite Anordnung von Seiten Brunhilds nicht gegeben ist, sehen<br />

u.a. Siegfried Beyschlag (1951/52), Wolfgang Harms (1963) und nun auch<br />

Ingeborg Cavalié (2001) Hagen, dessen oberstes Gesetz der Einsatz fur die ere<br />

seiner Herrin war, als den einzigen Schuldigen, der die anderen in die<br />

Komplizenschaft dràngt. Zacharias 83 <strong>da</strong>gegen glaubt, Hagen hátte ausdrûcklich<br />

den Anweisungen Brunhilds entsprechend gehandelt, denn die erste Erwáhnung<br />

von Siegfrieds Tod entstammt dem inneren Monolog Brunhilds hât er sich<br />

geriiemet, ez get an Sifrides Up (845,4). Zacharias fuhrt auBerdem seine<br />

Ùberlegungen auf die Tatsache zuruck, <strong>da</strong>B die Vollstreckung der Rache<br />

ausschlieBlich Mànnern vorenthalten und eine direkte Beteiligung von Frauen an<br />

deren Ausfuhrung strikt unzulàBig war. Auch wenn diese zwei Argumente sich<br />

nicht ausschlieBen - d.h. die Frau konnte zwar eine Fehde oder Rachehandlung<br />

initiieren, je<strong>do</strong>ch nicht selbst ausfuhren -, wurde ich mich der zweiten Móglichkeit<br />

anschlieBen und dies mit der auktorialen Aussage bekràftigen, námlich <strong>da</strong>z het<br />

geraten Prùnhilt, des kùnic Guntheres wîp (917,4). Brunhilds Verhalten <strong>im</strong> ersten<br />

Teil des Epos wird sich in Kriemhilds Verhalten <strong>im</strong> zweiten Teil wiederholen, indem<br />

Eine ausfiihrliche und noch <strong>im</strong>mer brauchbare Interpretation der Gestalt Giselhers liefert<br />

Wolfgang Mohrs Aufsatz „Giselher", in ZfdA 78 (1941), S. 90-120.<br />

83 Zacharias, Rainer, „Die Blutrache <strong>im</strong> deutschen Mittelalter", in ZfdA 91 (1961/62), S. 167-201.<br />

48


sie, Kriemhild, auf die Krieger Etzels einreden wird, sich fur sie an Hagen zu<br />

ràchen. Das Beispiellose wird erst <strong>da</strong>nn auftauchen, als Kriemhild vollig aus dem<br />

Rahmen der mittelalterlichen Rechtsauffassung fàllt, selber zum Schwert greift und<br />

Gunther und wenig spáter Hagen eigenhãndig enthauptet.<br />

Die Funktion des fragwùrdigen Reinigungseides, den Gunther Siegfried<br />

abgenommen, schien eher auf die demonstrative Entlastung Gunthers als rex<br />

iustus abzuzielen, als Siegfried tatsàchlich von den Beschuldigungen Brunhilds<br />

freizusprechen. 84 AuBerdem wies Siegfried nur <strong>da</strong>s zuruck, was man ihm<br />

anlastete, nàmlich <strong>da</strong>B er uber die burgundische Kónigin nichts Beleidigendes<br />

gesagt hat, wãhrend der eigentliche Sachverhalt, dessen Kriemhild Brunhild<br />

bezichtigte, merkwurdigerweise uberhaupt nicht zur Débatte stand! An dieser<br />

Stelle profiliert sich klar <strong>da</strong>s Handlungsprinzip, <strong>da</strong>s <strong>da</strong>s Werk in groBtem Teil<br />

best<strong>im</strong>men wird: So wie <strong>da</strong>mais der Stratordienst trotz seiner allgemein<br />

akzeptierten Zeichenhaftigkeit keine zuverlàBige Botschaft vermittelte, kann auch<br />

fur den Eid als Rechtsmittel behauptet werden, <strong>da</strong>B er als Machtmittel miBbraucht<br />

kein Recht garantiert, sondem Recht unterhóhlt.<br />

Die Stratégie, die Hagen von nun an verfolgt, zeigt frappante Áhnlichkeit zu<br />

derjenigen, die Gunther und Siegfried zuvor auf der Brautwerbungsfahrt eingesetzt<br />

haben: auch er setzt auf die VerlàBlichkeit von Zeichen, wobei es diesmal urn<br />

verbale Zeichen, also Worte, geht. Er inszeniert die erneute Kampfansage durch<br />

die Kõnige Liudegast und Liudeger und miBbraucht <strong>da</strong>s Vertrauen, <strong>da</strong>s Kriemhild<br />

84 Sogar der groBe italienische Diplomat und Schriftsteller Niccolò Machiavelli (1469-1527) war der<br />

Ansicht, <strong>da</strong>B instrumentelles und symbolisches Handeln strikt auseinander zu halten sind. Er<br />

erkannte in seinem von vielen miBverstandenen und zu Unrecht gemaBregelten Werk // Principe<br />

(zu Deutsch Der Fùrst) die Bedeutung der òffentlichen Darstellung von Herrschaft auf der einen<br />

Seite und der gehe<strong>im</strong>en Diplomatie auf der anderen: „A uno principe, adunque, non é necessário<br />

avère in fatto tutte le soprascritte qualité ma é bene necessário parère di averle. Anzi ardirò di dire<br />

questo, che, aven<strong>do</strong>le e osservan<strong>do</strong>le sempre, sono <strong>da</strong>nnose; e paren<strong>do</strong> di averle, sono utili;<br />

come parère pietoso, fedele, umano, intero, religioso, ed essere; ma stare in mo<strong>do</strong> edificato con<br />

l'an<strong>im</strong>o, che, bisognan<strong>do</strong> non essere, tu possa e sappi mutare al contrario. Ed hassi ad intendere<br />

questo, che uno principe , e mass<strong>im</strong>e uno principe nuovo, non puó osservare tutte quelle cose per<br />

le quali gli uomini sono tenuti buoni, sen<strong>do</strong> spesso necessitato, per mantenere lo stato, operare<br />

contro alla fede, contro alla carità, contro alla umanità, contro alla religione. E però bisogna che elli<br />

abbi uno an<strong>im</strong>o disposto a volgersi secon<strong>do</strong> ch'e venti delia fortuna e le variazioni délie cose li<br />

coman<strong>da</strong>no, e, corne di sopra dissi, non partirsi <strong>da</strong>l bene, poten<strong>do</strong>, ma sapere intrare nel maie,<br />

necessitato." (Capitolo XVIII - In che mo<strong>do</strong> e principi abbino a mantenere la fede), Biblioteca dei<br />

Classici Italiani, Online <strong>im</strong> Internet: URL: http://www.fausernet.novara.it/fauser/biblio/index007.htm<br />

[Stand: 24.09.2004].<br />

49


ihm bedenkenlos in verwandtschaftlicher triuwe schenkt - „du bist mm mac, sô<br />

bin ich der dm. ich bevilhe dir mit triuwen den holden wine min, <strong>da</strong>z du mir wol<br />

behùetestden mînen lieben man" (898, 1-2), indem er Siegfried niedertráchtig und<br />

hinterhàltig ermordet, und zwar nicht <strong>im</strong> Krieg, der inzwischen "abgesagf worden<br />

ist, sondern in friedlichen Verháltnissen wàhrend der gemeinsamen Jagd.<br />

Bedeutungslos ist diese Tatsache keineswegs, vielmehr<br />

„machte dies die Tat zum Gipfel der Ruchlosigkeit, <strong>da</strong> mit der Jagd<br />

die Spháre der friedfertigen Geselligkeit miBbraucht wurde, zu der<br />

man eigentlich aufbrach, urn seine Verbundenheit zu stárken.' 65<br />

Mit dem Mord an Siegfried trat ein unùberbrùckbarer Ri(3 innerhalb der<br />

verwandtschaftlichen triuwe ein, der gravierende Auswirkungen fur den weiteren<br />

Ablauf des Geschehens haben wird. In dieser Tat prallen herrschaftliche und<br />

verwandtschaftliche triuwe unmittelbar aufeinander: Um die gekrãnkte Ehre seiner<br />

Lehnsherrin wieder gutzumachen, scheut Hagen sich nicht <strong>da</strong>vor, <strong>da</strong>s<br />

Familienmitglied, nachdem er Kriemhild niedertráchtig dessen verwundbare Stelle<br />

entlockt hat, hinterrucks zu erschlagen. Siegfried gehórte nàmlich, indem er die<br />

burgundische Prinzessin zur Frau nahm, automatisch zum engeren Kreis der<br />

nàchsten Verwandten der Burgunder. Das diensí-Zón-Verhàltnis ein letztes Mai<br />

ironisch aufnehmend bringt Siegfried <strong>im</strong> Todeskampf seine Resignation zum<br />

Ausdruck sowie <strong>da</strong>s Schandmal, <strong>da</strong>s von nun an kùnftige Generationen des<br />

burgundischen Kõnigshauses stigmatisiren wird. Das Absurde dieser Szene liegt<br />

<strong>da</strong>rin, <strong>da</strong>B der getriuwe <strong>im</strong> Dienst seiner kônemagen von diesen selben ermordet<br />

wird, wàhrend er, Siegfried, von ihnen (ungetriuwen) als Familienangehorigen<br />

gerade triuwe erwartet, wenn es um ihre Schwester Kriemhild geht.<br />

Die sint dâ von bescholten, swaz ir wirt geborn<br />

her nâch disen zíten, ir habet iuwern zorn<br />

gerochen ai ze sêre an dem Ube mîn.<br />

mit laster ir gescheiden suit von guoten recken sin." (990)<br />

50


Dô sprachjaemerlîche der verchwunde man:<br />

„Welt ir, kiinic edele, triuwen iht began<br />

in der werlt an iemen, lât iu bevolhen sin<br />

ûfiuwer genâde die holden triutinne min. (996)<br />

Zieht man nun einen Vergleich zwischen dem vasallischen Verhàltnis Gunther -<br />

Hagen und der angeblichen Beziehung Gunther - Siegfried, wird man feststellen<br />

kónnen, <strong>da</strong>B sowohl die echte lehnsrechtliche frz'uiue-Beziehung als auch die<br />

fingierte, die Brunhild fur wahr halt, fur <strong>da</strong>s Erreichen ihrer Ziele auf die gleichen<br />

unlauteren Mitteln zuruckgreifen. Bezeichnend ist, <strong>da</strong>B Siegfried „zum Opfer jener<br />

Strategien (wird), die er ais Tràger der Tarnkappe (und als Initiator des<br />

Stratordienstes) selbst symbolisiert." 86 Oder umgekehrt: die Protagonisten setzen<br />

niedrige Mittel wie List und Betrug ein fur die Aufrechterhaltung eines an sich edlen<br />

Zieles - triuwe - und kompromittieren <strong>da</strong>mit die Tugend, die dem ohnehin schwach<br />

abgesicherten sozialen Gefuge stabilen Halt geben soil. 87<br />

Doch Hagens triuwe gegenuber seinem Herrn, die ihn rûcksichtslos gegen allé<br />

anderen Bindungen handeln lãBt, ist mit dem Abgang Siegfrieds bei weitem nicht<br />

erschopft. Die gekrànkte ere seiner Herrin Brunhild mag <strong>da</strong>mit wiedergutgemacht<br />

worden sein (ergetzen), <strong>do</strong>ch der sagenhafte Nibelungen-Hort, den Siegfried<br />

Kriemhild als Morgengabe hinterlassen hatte, bleibt in ihren Hánden, wo er sich als<br />

gefàhrliches Vehikel ihrer potentiellen Machtgewinnung erwiest.<br />

Nach Siegfrieds Totung kreisen Hagens Ge<strong>da</strong>nken ausschlieBlich urn <strong>da</strong>s<br />

sagenhafte Gold, einer Einstellung, aus der er bereits vorher keinen Hehl gemacht<br />

hat („(...) hort der Nibelungen beslozzen hat sin hant.f hey sold er komen <strong>im</strong>mer in<br />

der Burgonden lantl" (774,3-4) oder (...) ob Sîfrit niht enlebte, so wurde <strong>im</strong><br />

undertân / vil der kùnege lande. (...) (870,3-4). Da psychologisierende<br />

85 Althoff, Gerd, (Anm.40), S. 185.<br />

86 Wenzel, Horst, (Anm.77), S. 340.<br />

Auf die Frage, wieso Siegfried sterben mu(3, soil hier nicht eingegangen werden, <strong>da</strong> es eine<br />

ganze Reihe von Arbeiten zu diesem Thema gibt. Es sei nur auf einige hingewiesen: Schulze,<br />

Ursula, „Gunther sî mîn herre, und ich sî sîn man. Bedeutung und Deutung der Standeslùge und<br />

die Interpretierbarkeit des '<strong>Nibelungenlied</strong>es" in ZfdA 126 (1997), S. 32-52; Campbell, lan,<br />

"Gunther's Role in the Murder Plot: Das <strong>Nibelungenlied</strong>, 14. âventiure", in Dunne, Kerry u.<br />

Campbell, lan R. (ed.), Unravelling the Labyrinth. Festschrift fur Eric Lowson Marson, Frankfurt am<br />

Main: Peter Lang, 1997, S. 121-136.<br />

51


Spekulationen innerhalb der heldenepischen Dichtung insgesamt als<br />

unangemessen gelten, ist auch diesmal àuBerste Vorsicht geboten, wenn man<br />

ùber „Macht- und Habgier" spricht. Solche Verhaltensweisen sollte man vielmehr<br />

zeitgemaB als festen Bestandteil mittelalterlicher Politik betrachten, wo einerseits<br />

<strong>da</strong>s Arrangieren von Heiraten - die nur sporadisch und in der Fiktion der hõfischen<br />

Welt eine Legalisierung von Liebe waren, in Wirklichkeit hingegen eine<br />

Interessengemeinschaft zwischen zwei Familien <strong>da</strong>rstellten - und andererseits die<br />

Verwaltung des Besitzes verwitweter Herrinnen der (mánnlichen) Verwandtschaft<br />

oblag und wo Verwandtschaftsverbãnde auch eine Art „Besitzgemeinschaften"<br />

waren, an deren Beteiligung Frauen ebenfalls Anspruch hatten 88 ((...) „ir ist Up und<br />

guot. 1129). Auf der anderen Seite kónnen Hagens kontinuierliche Anspielungen<br />

auf den potentiellen Landgewinn durch die El<strong>im</strong>inierung Siegfrieds als literarisches<br />

Motiv aufgefaBt werden, <strong>da</strong>s in der 3. âventiure von Siegfried selbst zur Sprache<br />

gebracht worden ist. Nun ist es Hagen, der in umgekehrter Ordnung auf Siegfrieds<br />

einstigen Vorschlag, <strong>da</strong>s Land mit Gewalt zu erobern, zurùckgreift, je<strong>do</strong>ch mit<br />

einem gravierenden Unterschied: wáhrend Siegfried <strong>da</strong>mais den rechtsmaBigen<br />

Landesherrn in aller Òffentlichkeit herausforderte, wird ihm hier zwar âne schulde<br />

widerseit (869,4) je<strong>do</strong>ch nicht õffentlich, sondern aus dem Hinterhalt. 89<br />

Hagen befurchtet unkunde Recken, die Kriemhild durch ihre ubertriebene<br />

GroBzugigkeit (milte, dementia) ins Burgundenreich lockt und in ihre Gunst zieht.<br />

Die folgenden Strophen 1132 bis 1139 stellen eine fragile Rechtsordnung <strong>da</strong>r, die<br />

sich unserem heutigen Verstándnis nur schwer erschlieBen kann: auf Hagens<br />

émeutes Drángen wird der Schatz Kriemhild trotz Gunthers Eidesleistung - „ich<br />

swuor ir einen eit, <strong>da</strong>z ich ir getaete n<strong>im</strong>mer mere leit" (1131,1-2) - genommen.<br />

Dies bedeutet, <strong>da</strong>B der Eid nur punktuell zwischen den Personen, zwischen denen<br />

er geleistet wurde, Gultigkeit hatte, so <strong>da</strong>B Dritte, die sich <strong>da</strong>ran nicht beteiligten,<br />

88 Vgl. Muller, Jan-Dirk (Anm.42), S. 236.<br />

89 Zwischen der Strophe 116,4 iu hât der starke Sîvrit unverdienet widerseit und 869,4 dô heten<br />

<strong>im</strong> die helde âne schulde widerseit sieht Cavalié einen ùber zehn âventiuren gespannten Bogen,<br />

der als Antwort auf die einstige Kampfansage der 3. âventiure fungiert. Vgl. mehr Cavalié,<br />

Ingeborg, (Anm.70), S. 376 ff. Ùbrigens gait die Herausforderung des Landesherrn vom Ritterroman<br />

(wie beispielsweise <strong>im</strong> Iwein) bis hin zum Don Quijote als ein gàngiges literarisches Motiv, und so<br />

auch <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong>: bevor er Burgund zu erobern ge<strong>da</strong>chte, hatte Siegfried bereits <strong>da</strong>s<br />

52


nicht durch den Eid gebunden waren. So ermõglicht die stillschweigende<br />

Zust<strong>im</strong>mung der Kõnige - ir sumelîcher eide wâren unbehuot (1132,1) - Hagen<br />

ungehinderte Handlungsfreiheit, womit er nochmals seine Ùberlegenheit,<br />

Ùberzeugungskraft und sein Durchsetzungsvermõgen unter Beweis stellt. Um<br />

Hagen émeute Handlungsfreiheit zu gewâhren, den Schatz in den Rhein zu<br />

versenken, der kiinic und sine mage rûmten dô <strong>da</strong>z lant (1136), d.h. sie sind<br />

ausgeritten fur einen best<strong>im</strong>mten, je<strong>do</strong>ch nicht pràzise definierten Zeitraum,<br />

wàhrendessen ihre Haft- und Schutzpflichten ihrer Schwester gegenûber, die sich<br />

aus der durch suone und eit hergestellten Rechtsordnung ergeben, zeitweise<br />

auGer Kraft gesetzt sind. Analog zu Siegfrieds Strator-Dienst auf Isenstein und<br />

seinem spàteren Reinigungseid werden auch in diesem Fall vertraute Zeichen und<br />

Mittel, die fur eine Rechtsordnung sorgen sollen, miBbraucht, womit dièse<br />

Rechtsordnung untergraben wird: „Zur Auflósung einer verlàBlichen Zeichenwelt<br />

gesellt sich die Auflósung verlàBlicher Rede von Seiten des Herrschers." 90 Die<br />

Reaktion der Kónige <strong>da</strong>rauf: in was harte leit (1138) muB von ihrer psychischen<br />

Grundlage abgekoppelt und auf eine andere Kohàrenzebene ùbertragen werden,<br />

nàmlich auf die Ebene politisch-gesellschaftlicher Zusammenhánge, die wàhrend<br />

des Mittelalters vorwiegend auf Sichtbarkeit angelegt war. leit, in zorn eingekleidet,<br />

ist hier keine subjektive Gefúhlslage, sondem der Ausdruck eines gestórten<br />

Rechtsverháltnisses, „ein kontrollierter Schritt der Eskalation", 91 bzw. die Reaktion<br />

auf eine Normverletzung, die einerseits die Ùberlegenheit des Kônigs symbolisch<br />

Nibelungenland <strong>da</strong>nk seiner Kùhnheit unterworien und auch auf Isenstein gilt <strong>da</strong>s Gesetz, nach<br />

dem die personliche Tùchtigkeit mit der Herrschaftslegit<strong>im</strong>ation zusammenfàllt.<br />

90 Brinker-von der Heyde, Claudia, „Hagen- valant oder trost der Nibelungen? Zur Unertràglichkeit<br />

ambivalenter Gewalt <strong>im</strong> "<strong>Nibelungenlied</strong>' und ihrer Bewàltigung in der v Klage"\ in Bonnen, Gerold<br />

und Galle, Volker (Hrsg.), (1993), S. 122-144, hier S. 126.<br />

91 Althoff, Gerd (Anm.40), S. 201. Was den zorn (ira) betrifft, hat die Geschichtswissenschaft<br />

mittlerweile ùberzeugende Erkenntnisse <strong>da</strong>rùber geliefert, <strong>da</strong>B seine óffentliche Zurschaustellung<br />

„oft wohl kalkuliert und in der Tat ein Ausdruck von Macht war". Âhnlich den Begriffen triuwe,<br />

ùbermuot, huld, ère, usw., kannte der zorn ebenfalls einerseits einen theologischen und<br />

andererseits einen weltlichen Sprachgebrauch. Von der Geistlichkeit zunàchst ais eine der sieben<br />

Todsùnden verschmàht, machte der zorn dièse negative Konnotation wett, indem seine Bedeutung<br />

und Wertung <strong>im</strong> Laufe der Zeit abgeschwàcht wurden, in dem Sinne, <strong>da</strong>l3 es auch einen positiven<br />

und gerechtfertigten Zorn geben kann, Solange er sich gegen diejenigen richtete, die sûndigten<br />

oder die die ère des anderen bedrohten. Mehr ùber zorn <strong>im</strong> Mittelalter: White, Stephen D., "The<br />

Politics of Anger" and Barton, Richard E., "Zealous Anger and the Renegotiation of Aristocratic<br />

Relationships in Eleventh- and Twelfth-Century France", apud. Starkey, Kathryn, „Die Anordnung<br />

53


zu verdichten und andererseits die rechtmâBige Erfullung der von ihm garantierten<br />

Ordnung õffentlich unter Beweis zu stellen hat. So ist <strong>da</strong>s hit der Kónige <strong>da</strong>s<br />

genaue Gegenteil jener harmonischen St<strong>im</strong>mung der hohen muot, die sich auf der<br />

Skala der begehrenswerten Tugenden ganz oben befand. Die <strong>da</strong>rauffolgende<br />

StrafmaBnahme war, in diesem Fall, der Entzug der Huld, die sich allerdings als<br />

wiederherstellbar erweist: unz er gewan ir hulde; si liezen in genesen (1139,4). Die<br />

Wiedergewàhrung der Huld hatte zum Ziel, die bestrafte Person in ihre vorherige<br />

Stellung zu reintegrieren und die Konfliktsituation friedlich beizulegen. 92<br />

Bei kaum einer anderen Gestalt des <strong>Nibelungenlied</strong>es ist die Wandlung vom ersten<br />

zum zweiten Teil des Epos so deutlich ausgeprágt wie <strong>im</strong> Falle Hagens. Von dem<br />

Zeitpunkt an, als seine Warnungen vor der verràterischen Einladung Kriemhilds bei<br />

den burgundischen Kõnigen auf taube Ohren stoGen und als sein Abraten zum<br />

ersten Mai erfolglos bleibt, richtet sich Hagens gesamtes Tun <strong>da</strong>rauf, wenn nicht<br />

den heroischen Untergang schnellstmoglich herbeizufuhren, <strong>da</strong>nn zumindest die<br />

Gewaltspirale so weit wie moglich zu drehen. Der Rat Gemots, er moge in Worms<br />

bleiben, wâhrend sie, die Kõnige, zu ihrer Schwester reisen werden, ist fur seinen<br />

heroischen Standpunkt inakzeptabel und wird von ihm als Vorwurf der Feigheit<br />

verstanden:<br />

der Unordnung: Inszenierung, Macht und Verhandlung in Wolframs "Willehalm"', in ZfdPh 121<br />

(2002), S. 321-341, hier S. 339.<br />

Der Begriff Huld (lat. gratia, ahd. huldi) kam wie triuwe aus dem germanischen<br />

Gefolgschaftswesen und war in seiner Bedeutung ambivalent, d.h. er war sowohl als die<br />

„wohlwollende Gesinnung" des Gefolgsherrn dem Gefolgsmann gegenuber als auch als die<br />

Ergebenheit des Gefolgsmannes dem Gefolgsherrn gegenuber zu verstehen. Im Mittelalter wurde<br />

die Huld ins Lehnswesen ubernommen, wo sie eines der am hàufigsten praktizierten Straf- Oder<br />

Belohnungsmittel war. Der Huldentzug als Sanktion und DisziplinierungsmaBnahme war vor allem<br />

<strong>da</strong>durch gekennzeichnet, <strong>da</strong>l3 zu seiner Vollstreckung kein fórmliches Gerichtsverfahren nótig war,<br />

bzw. <strong>da</strong>l3 die Verfugung <strong>da</strong>ruber allein dem Ermessen des Herrschers oblag. Urn den Eindruck<br />

einer verantwortungsvollen Rechtssprechung in der Òffentlichkeit zu erwecken, erfolgte die<br />

Verurteilung eines augenscheinlich Schuldigen sofort nach "handhafter' Tat. In meisten Fallen<br />

erzielte der Huldentzug den gewunschten Effekt: er Jsolierte denjenigen, den er betraf, tangierte<br />

auch seine anderen Bindungen, <strong>da</strong> weitere Kontakte mit dem in Ungnade Gefallenen als Affront<br />

gegenuber dem Herrn gewertet wurden. Dennoch ist zu betonen, <strong>da</strong>B sich hàufig genug Verwandte<br />

und Freunde fur den vom Huldverlust Betroffenen entschieden, ja ihn sogar tatkràftig unterstutzten,<br />

so <strong>da</strong>B der beabsichte Effekt manchmal auch wirkungslos blieb". DaB Hagen auBer seiner<br />

Vasallenfuktion auch mit den drei Kònigen verwandt war, ist dies Grund genug, in seinem rein<br />

symbolischen Huldentzug die Demonstration der Machtfùlle Gunthers einerseits, sowie dessen<br />

Presentation als rex iustus andererseits zu sehen. Mehr zu Huld: Althoff, Gerd, „Huld.<br />

Ùberlegungen zu einem Zentralbegriff der mittelalterlichen Herrschaftsordnung", in FMS 25 (1991),<br />

Berlin: de Gruyter, S. 25-282, hier S. 265.<br />

54


Dô sprach von Tronege Hagene: „ durch vorhte ich niht entuo.<br />

swenne ir gebietet, helde, sô suit ir grîfen zuo.<br />

jâ rît ' ich mit iu geme in Etzelen lant. "(1513,1 -3)<br />

Der ehrbesessene Hagen schickt sich an, ein ganzes Heer in den Untergang zu<br />

fuhren und gleichzeitig seine Herren, fur deren Wohl er sich bedingungslos<br />

einsetzte, der Vernichtung preiszugeben. Spátestens nach der Donauùberfahrt, ais<br />

Hagens dústere Vorahnung zur nicht mehr abwendbaren GewiBheit wird, <strong>da</strong>B wir<br />

enkomen n<strong>im</strong>mer widere in der Burgonden lant (1587,4), erfàhrt die Gestalt<br />

Hagens eine unubersehbare Heroisierung und Stilisierung - Gentry spricht von<br />

einer ..Rehabilitation" - und zwar in der Richtung, <strong>da</strong>B er seine bedingungslose<br />

triuwe zum burgundischen Kõnigshaus gegen eine andere Art von triuwe<br />

eintauscht: triuwe zwischen Gleichen, die weder auf verwandtschaftlicher noch<br />

õkonomischer Basis beruht.<br />

Sein Verhalten weist zunehmend Zuge auf, die mit der restlosen Ergebenheit dem<br />

Herrn gegenuber <strong>im</strong>mer weniger gemeinsam haben: wàhrend der Donauùberfahrt<br />

tãuscht er seine Herren úber den wahren Stand der Dinge (1568) hinweg - wenn<br />

auch aus Rucksicht - und verschweigt ihnen allés Unfreuliche. Auch den Kampf<br />

zwischen Else und Gelphrat leugnet er den lieben herren (1620). Die Forschung<br />

hat ihn indessen einst<strong>im</strong>mig zum Siegfried des zweiten Teils erklárt, in dem er<br />

zwar weiterhin als Epizentrum des Geschehns agiert, <strong>da</strong>bei allerdings aus seiner<br />

Tàterrolle nach und nach in die Position des Opfers abrutscht. Dieser<br />

Perspektivenwechsel hat allerdings weniger mit der Figur Hagens zu tun als mit<br />

den durch die Literarisierung des Nibelungenstoffes vorgenommenen „veranderten<br />

Handlungsràumen und Handlungskonstellationen", 93 die ihn von nun an in<br />

positivem Licht <strong>da</strong>rstellen. Das heiBt: die Darstellungsperspektiven der beiden<br />

Teile des Epos sind so grundverschieden, <strong>da</strong>B <strong>da</strong>durch unsere Wahrnehmung und<br />

Bewertung der Handlungsweisen der Figuren beeinfluBt wird: wàhrend Hagens<br />

Motivation und Tun <strong>im</strong> ersten Teil, ungeachtet des êre-Anspruchs, fur dessen<br />

Wahrung er sich bedingungslos einsetzt, vor dem hófischen Hintergrund als<br />

von der Brinker-Heyde, Claudia, (Anm.90), S. 128.<br />

55


archaisch empfunden wird, verhelfen sie ihm <strong>im</strong> zweiten Teil, in einem rein<br />

heroischen Umfeld, zum Epitheton getriuwe. Fur Kriemhild wird <strong>da</strong>gegen<br />

behauptet, <strong>im</strong> zweiten Teil werde sie zum Hagen des ersten Teils, und zwar, wie<br />

Walter Haug scharfsinnig bemerkt hat, gerade durch Hagen, der ihr seine<br />

heroische Stratégie von der objektiven Verpflichtung so lange aufzwingt, bis sie die<br />

Subjektivitãt ihrer Rache aufgibt und sie gegen seine heroisch-gesinnte Taktik<br />

eintauscht. 94 Auch Kriemhild wird auf die Zuverlàssigkeit der Zeichen und die aus<br />

suone sich ergebende Verpflichtung setzen, <strong>da</strong>mit ihre Einladung angenommen<br />

wird. So wird sie, ihrer eigenen Macht bewuBt und in der memoria ùber <strong>da</strong>s ihr<br />

angetane Leid, auf die arglose Akzeptanz ihrer Bruder hoffen und <strong>da</strong>mit<br />

automatisch Hagens Prásenz bewirken. Und <strong>da</strong> suone ebenso wie eit nur punktuell<br />

gilt, námlich solange die Parteien sich <strong>da</strong>ran halten, und eine fríuife-Bindung die<br />

andere nach sich zieht, kann sie <strong>da</strong>von ausgehen, <strong>da</strong>f3 Hagen unter keinen<br />

Umstánden seine Herren ohne seine Begleitung wurde reisen lassen.<br />

Allerdings wird die „starre und ehrversessene Haltung Hagens" kontrapunktisch<br />

von einem anderen Verhaltensmodell begleitet, <strong>da</strong>s sparsam aber trotzdem an<br />

entscheidenden Stellen <strong>im</strong> Text durchsch<strong>im</strong>mert, um dem sturen<br />

Konfrontationskurs durch gútliche Einigung, Genugtuung, Súhne oder vermittelnde<br />

Diplomatie Einhalt zu gebieten. Neben den atavistisch wirkenden<br />

Handlungsweisen Hagens, Ortwins und Wolfharts zum einen und dem<br />

chevalesken Verhalten des hófischen Siegfried zum anderen, fúhrte Haymes eine<br />

dritte Schicht ins <strong>Nibelungenlied</strong> ein, die auf Stabilitãt und Frieden ausgerichtet ist<br />

und die er am Beispiel Dietrichs 95 erórtert, die aber gleichzeitig auch in Gemot,<br />

Giselher, Rùdiger und Etzel ihre Reprâsentanten findet. Denn anders ais in der<br />

Heldenepik, die von unvorstellbarer Gewalt und auBergewõhnlichen Ereignissen<br />

und Helden zu berichten hat, besaG die mittelalterliche Konfliktfuhrung auch ihre<br />

auf Konsens ausgerichtete Seite. Úber Jahrhunderte hinweg bildete sich allerdings<br />

sowohl in populáren Publikationen ais auch in der Forschung ein weit verbreitetes<br />

94<br />

Haug, Walter, ..Montage und Individualitàt <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong>", in Knapp, Fritz Peter (Hrsg.),<br />

(1987), S. 277-293, hier S. 289.<br />

Haymes, Edward R., ..Dietrich von Bern <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong>", in ZfdA 114 (1985), S. 159-165.<br />

56


klischeehaftes Bild vom Mittelalter als einer Epoche heraus, in der aufgrund des<br />

Nichtvorhandenseins eines staatlichen Gewaltmonopols blindwutiges Morden und<br />

Gesetzlosigkeit herrschten. Historiker sind je<strong>do</strong>ch der Auffassung, <strong>da</strong>B man vor<br />

allem seit der Gottes- und Landesfriedensbewegung Formen der friedlichen<br />

Konfliktbeilegung ubersehen hat, die durchaus und nach festen Regeln praktiziert<br />

wurden.<br />

Doch zuriick zur Heldenepik: in seiner brillanten Studie „Held und Kollektiv"<br />

konstatiert Klaus von See, <strong>da</strong>B die gàngige Formel sapientia et fortitude* âuBerst<br />

selten als Merkmal eines einzigen Helden zu finden sei, sondem dièse tendenziell<br />

eher auf zwei Figuren verteilt werde, wobei dem Helden die fortitu<strong>do</strong> und einem<br />

besonnenen Kampfgenossen sapientia uberlassen wird, wie be<strong>im</strong> Beispiel<br />

Hildebrands und seines Sohns Hadubrand Oder Oliviers und Rolands. So wãren <strong>im</strong><br />

<strong>Nibelungenlied</strong> Figuren wie Hagen, Volker, Ortwin oder Wolfhart und teilweise<br />

Siegfried Vertreter der „unleugbare(n) Exorbitanz, MaBlosigkeit und<br />

Unbesonnenheit" des heldischen Verhaltens, der fortitu<strong>do</strong> also, denen gegenuber<br />

Gemot, Giselher und spáter Etzel und Dietrich als eine Partei von vernunftigen<br />

(sapientia) Friedensstiftern und Konsensfindern stunden. Vor diesem Hintergrund<br />

ware es notwendig, einen kurzen Blick auf diese von der Forschung zu Unrecht<br />

benachteiligten Streitschlichter zu werfen.<br />

Im ersten Teil des Epos treten insbesondere zwei Gestalten durch ihre Bereitschaft<br />

zum Einlenken und zur Schadensbegrenzung hervor: Gemot und Giselher. Nach<br />

dem „Zwillingsgesetz" stilisiert, nach dem eine Rolle auf zwei Tràger verteilt ist,<br />

wird vor allem <strong>im</strong> ersten Teil des Epos zwischen den beiden nicht <strong>im</strong>mer eindeutig<br />

unterschieden. 96 Gemots erster Auftritt (3. âventiure) ist gleichzeitig seine erste<br />

diplomatische Mission, als er in der Vermittlerrolle 97 den draufgángerischen<br />

Siegfried zum friedlichen Umgang umst<strong>im</strong>mt und den Hitzkopf Ortwin auf seinen<br />

96 Vgl. <strong>da</strong>zu Mohr, Wolfgang, (Antn.82), S. 92.<br />

97 Die Vermittler (mediatores) spielten in der mittelalterlichen Konfliktschlichtung eine wichtige<br />

Rolle. Sie pflegten in der Regel enge Beziehungen zu den beiden Konfliktparteien, die ihnen<br />

ermoglichten, getrennt mit den Parteien uber eine angemessene Schadensbegrenzung zu<br />

verhandeln und so der Eskalation der Gewalt entgegenzusteuern. Eine bedeutende Rolle spielte<br />

<strong>da</strong>rin die Idee von Christus als mediator Dei et hominum (Vermittler zwischen Gott und den<br />

Menschen). DaB die heldenepische Dichtung sie je<strong>do</strong>ch nicht in den Vordergrund stellt, ergibt sich<br />

57


Platz verweist. Der Konflikt wird zurechtgebogen und vorlàufig aus der Welt<br />

geschafft bis zur nàchsten Gelegenheit, als auf Betreiben Hagens der Verrat<br />

Siegfrieds beschlossen wird. Giselher, uber die juristische D<strong>im</strong>ension des<br />

Skan<strong>da</strong>ls nicht eingeweiht, wendet ein:<br />

„Ir vil guoten recken, war umbe tuot ir <strong>da</strong>z?<br />

jane gediente Sîfrit nie alsolhen haz,<br />

<strong>da</strong>z er <strong>da</strong>r umbe solde verliesen sînen Up." (866,1-3)<br />

Trotz des miGlungenen Einsatzes fur die friedliche Beilegung des Konflikts<br />

entlastet der Erzáhler Giselher und Gemot <strong>im</strong> Gegensatz zu Gunther, <strong>da</strong> die<br />

beiden an der verhàngnisvollen Jagd nicht teilgenommen hatten. Denn, wenn es<br />

<strong>da</strong>rum ging zu zeigen, <strong>da</strong>B man etwas nicht billigte Oder nicht einverstanden war,<br />

hielt man sich dem Ereignis fern. Nach unserer heutigen Auffassung wurden wir<br />

ein solches Verhalten zumindest als hypokritisch bezeichnen, nach<br />

mittelalterlichen Kriterien je<strong>do</strong>ch handelten die beiden Bruder gángiger<br />

Rechtsauffassung entsprechend, und dies genugt, urn sie von eventuellen<br />

Vorwurfen <strong>im</strong> voraus zu entlasten. Folglich sind Gemot und Giselher die einzigen,<br />

die, nachdem Siegfried bestattet worden ist, dem alten Siegmund und den<br />

nibelungischen Helden ihr aufrichtiges Beileid aussprechen und denen sie auf der<br />

He<strong>im</strong>reise Geleit gewàhren.<br />

Besonders Giselher, dem jungsten der drei Brùder, kommt eine friedensstiftende<br />

Rolle seiner Schwester gegenuber zu. Seine triuwe begleitet ihn „manchmal<br />

formelhaft, manchmal bedeutungsschwer" 98 (322,4; 1047,4; 1099,4; 1138,4;<br />

1418,4). Zunáchst spielt er den Gelegenheitsschmied zwischen Kriemhild und<br />

Siegfried, <strong>da</strong>nn ist er derjenige, der von der Idee von Siegfrieds Ermordung abrát<br />

(866). Von Giselhers innigem Verhàltnis zur Schwester wissend, rat Hagen<br />

Gunther, Giselher und Gemot zu holen, um bei seiner Aussõhnung mit Kriemhild<br />

zu vermitteln. Giselhers verwandtschaftliche Beziehung zu Hagen je<strong>do</strong>ch erlaubt<br />

aus der Eigenart dieser literarischen Gattung, die hauptsàchlich auf Konfrontationskurs und<br />

Konfliktaustragungen ihren Wert legt.<br />

98 Mohr, Wolfgang (Anm.82), S. 113.<br />

58


ihm nicht, ausschlieBlich <strong>im</strong> Sinne seiner Schwester zu handeln und ailes zu tun,<br />

um ihr leit zu ergetzen:<br />

„Dô sprach der herre Gîselher: "Hagen hât getân<br />

vil leides miner swester; ich sold ' iz unterstân.<br />

waer ' er niht mm mac, ez gienge <strong>im</strong> an den lip."<br />

iteniuwez weinen tet dô Sîfrides wîp. (1133)<br />

Dieses ist eines der pràgnantesten Beispiele <strong>da</strong>fùr, <strong>da</strong>l3 die verwandtschaftliche<br />

und die herrschaftliche triuive <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong> nicht auseinander zu halten sind:<br />

Wegen des unùberwindlichen Risses innerhalb der verwandtschaftlichen<br />

Beziehung mu(3 Giselher sich ais Kõnig fur <strong>da</strong>s kleinere Ùbel fur <strong>da</strong>s Kónigreich<br />

entscheiden, und <strong>da</strong>bei wohl oder ùbel der triuwe seiner Schwester gegenuber<br />

nicht in vollem MaGe gerecht werden. Umgekehrt wird Kriemhild nicht nur die<br />

verwandtschaftliche triuwe verletzen, sondern grob gegen den streng geregelten<br />

hõfischen Verhaltenskodex verstoBen, wenn sie bei der Ankunft der Burgunden am<br />

Hof Etzels statt protokollarischen Regeln der BegrùBung zufolge aile drei Brùder<br />

dem Rang nach, also Gunther und Gemot zuerst, zu begruBen und mit einem KuB<br />

auszuzeichnen, lediglich Giselher herzlich begruBt und kuBt." Die MiBachtung der<br />

Rangordnung, sei es <strong>im</strong> herrschaftlichen oder <strong>im</strong> verwandtschaftlichen Bereich,<br />

war in einer Gesellschaft, die, wie die mittelalterliche „auf der Ungleichheit der<br />

sozialen Range" 100 und Wahrung der ère beruhte, gleichzusetzen mit der<br />

Úbertretung der allgemein kollektiv-gùltigen Ordnungen, auf deren<br />

Aufrechterhaltung man genau achtete. Dazu war die Verweigerung vom grouz fur<br />

den mittelalterlichen Menschen auch ein klares Signal fur eine feindliche<br />

Gesinnung, wenn nicht sogar fur HaB, und dieses Signal versteht Hagen nur<br />

allzugut, wenn er als Reaktion <strong>da</strong>rauf seinen Helm fester bindet.<br />

Unter anderem sahen die Spielregeln bei einer offentlichen BegrùBung vor, <strong>da</strong>l3 der Rangniedere<br />

dem Ranghóheren als erster entgegenschritt (oder entgegenritt) oder <strong>da</strong>iî der Ranghóhere sitzen<br />

blieb. Daraus ist die hohe Achtung, die Kõnig Gunther Rùdiger erwies, ersichtlich, als der Erzàhler<br />

uns zu vestehen gibt: der herre stuont von sedele. <strong>da</strong>z tuas durch grôze zuht getân (1185,4).<br />

100 Althoff, Gerd, (Anm.62), S. 18.<br />

59


Auf diesen ersten Eklat folgen andere, die unaufhaltsam <strong>da</strong>s gesamte System der<br />

hõfischen Ethik zu Fall bringen werden. Darauf angelegt ist auBerdem die<br />

vielzitierte Schwertszene der 29. âventiure, sowie der bûhurt der 31. âventiure.<br />

Dieser Akt des friedfertigen hõfischen Kampfspieles, <strong>da</strong>s zugleich der<br />

Kanalisierung der Gewalt dienen sollte, wird fur eine weitere Provokation<br />

miBbraucht: entgegen den versõhnlichen Worten seines Herrn Gunther entlàdt<br />

Volker seinen HaB auf einen vorbeireitenden hunnischen Knappen und tótet ihn.<br />

Anstatt die wildgewordenen und rachesuchtigen Hunnen, die am liebsten Volkêren<br />

ze tôde erslâgen (1893,3) wurden, handeln zu lassen, schreitet der Kõnig Etzel,<br />

obwohl er den Ablauf der Auseinandersetzung bescheidenliche sah, in den Konflikt<br />

ein und verhindert weiteres BlutvergieBen. Unter dem Deckmantel der<br />

Gastfreundlichkeit, aber zugleich ais konemâge der Burgunden, deckt er Volker<br />

und erklárt die Angelegenheit zu einem be<strong>da</strong>uemswerten Unfall. Doch auch vor<br />

dem Turnier zeigt sich Etzel ais musterhafter Gastgeber, námlich ais ihm auffállt,<br />

<strong>da</strong>B die Burgunden bewaffnet zur Messe gehen. In ihrer Weigerung Waffen<br />

abzulegen bzw. in der Kampfbereitschaft der Gaste erkennt er, <strong>da</strong>B ihnen leit<br />

wideríahren sein mul3, fur <strong>da</strong>s er nun bereit ist, Genugtuung zu schaffen: Ich solz<br />

in geme biiezen (...) (1862,1). DaB die friedliche Alternative sich nicht durchsetzt,<br />

hàngt nicht so sehr von Etzel ab ais von Hagen, der der hunnischen Seite kein<br />

Vertrauen schenkt und den Vorgang <strong>da</strong>mit rechtfertigt, am burgundischen Hof sei<br />

es Gewohnheit, bei einem Fest die ersten drei Tage Waffen zu tragen. 101<br />

Das Unerhõrte wird sich je<strong>do</strong>ch wàhrend des gemeinsamen Mahls ereignen: voll<br />

vàterlichen Stolzes zeigt sich der máchtige Herrscher den Verwandten seiner Frau<br />

101 In diesem Zusammenhang findet sich einer der deutlichsten Belege fur die sog. abgewiesene<br />

Alternative, der besagt, <strong>da</strong>B die Katastrophe vermeidbar gewesen wàre, hàtten die Burgunden dies<br />

nicht durch ihre Haltung verhindert: Swie gr<strong>im</strong>me und swie starke si in vient waere, / het iemen<br />

gesaget Etzeln diu rehten maere, / er het' wol understanden, <strong>da</strong>z <strong>do</strong>ch sít dâ geschach. / durch ir<br />

vil starken iibermuot ir deheiner <strong>im</strong>s verjach. (1865). Ein weiteres Beispiel fur die 'abgewiesene<br />

Alternative' vgl. 2238. Mehr zu diesem Phánomen: Strohschneider, Peter, „Einfache Formen -<br />

komplexe Regeln. Ein strukturanalytisches Exper<strong>im</strong>ent zum '<strong>Nibelungenlied</strong>'", in: Harms, Wolfgang<br />

und Mùller, Jan-Dirk (Hrsg.), Mediàvistische Komparatistik. Festschrift fur Franz Josef Worstbrock<br />

zum 60. Geburtstag, Stuttgart: Hirzel, 1997, S. 43-75. Eine weit kritischere Distanz gegenuber der<br />

Handlungsweise der Protagonisten und dem Handlungsgeschehen wird die Klage zeigen, die mit<br />

ihrem starken reflektierend-di<strong>da</strong>ktischen Charakter sich <strong>im</strong> Unterschied zum <strong>Nibelungenlied</strong> nicht<br />

auf die Darstellung, sondern auf die (moralische) Interpretation konzentriert.<br />

60


und schlágt ihnen vor, seinen Sohn Ortlieb am Wormser Hof aufwachsen zu<br />

lassen. Das gemeinsame Mahl wirkt, trotz seines friedensstifenden Charakters<br />

gespenstisch und furchteinflõBend. 45 Strophen weiter, als Dankwart<br />

blutverschmiert in den Saal kommt und die hovemaere vom Tod seiner Leute<br />

uberbringt, enthauptet Hagen kurzerhand den jungen Prinzen. Dieses Ereignis<br />

besitzt die Funktion eines Katalysators, „der bewirkt, <strong>da</strong>B die Energie sich<br />

entládt" 102 und ist gewiB eines der schrecklichsten und unerhõrtesten, vor allem<br />

wenn man sich die gewichtige Rolle vor Augen halt, die dem<br />

„Erziehungsavunkulat", bzw. der Erziehung des Kindes durch Mutterbruder, <strong>im</strong><br />

Mittelalter zukam. 103 Durch diese seine Absicht verkundet Etzel einen<br />

hochrangigen Stellenwert fur seine kognatische Verwandtschaft und erweist ihr<br />

gleichzeitig eine besondere ere, denn einen zukunftigen Herrscher uber zwõlf<br />

Lander zum Neffen zu haben, war best<strong>im</strong>mt keine geringe Sache. Dessen ist auch<br />

Etzel sich bewuBt und <strong>da</strong>her sagt er <strong>da</strong>z mac iu alien wesenfrum (1914,4). DaB<br />

die bestehenden, scheinbar unantastbaren Ordnungen auf einmal ihre Gultigkeit<br />

einbuBen und auf dem Trummerfeld der triuwe enden, macht <strong>da</strong>s ganze AusmaB<br />

der sich anbahnenden Vernichtung vorstellbar.<br />

Im voranschreitenden Aufflammen des Kampfes gewãhrt Kónig Gunther zunáchst<br />

Dietrich (1994) und <strong>da</strong>nn, unter Berufung zu wide und suone, Rudiger und dessen<br />

Gefolgsleuten freien Abzug aus dem Saal. Die Konfrontation mit Kriemhild in der<br />

36. âventiure bringt aufs Neue <strong>da</strong>s alte Szenario: Gunther beteuert ihr „(■•■) ich<br />

kom zuo dir ûf triuive; ich xvande, <strong>da</strong>z dû mir waerest holt" (2091,4) und <strong>da</strong>mit<br />

den unerschùtterlichen Glauben an die ungeschriebene Regel, eine Einladung,<br />

zumal unter Verwandten, sei ein Ausdruck des Wohlwollens. DaB Einladungen<br />

auch Vehikel eigennutziger Intrigen sein konnten, áhnlich wie Jahre zuvor als<br />

Kriemhild und Siegfried auf Brùnhilds Betreiben nach Worms eingeladen wurden,<br />

<strong>da</strong>ran hat Gunther aufgrund der friedlichen Konfliktbeilegung mit seiner Schwester<br />

durch suone nicht glauben wollen. Dieser Glaube wurde auBerdem <strong>da</strong>durch<br />

2<br />

Vgl. Mùller, Jan-Dirk, Das <strong>Nibelungenlied</strong>, (Reihe Klassiker-Lektùren, Bd.5), Berlin: Erich<br />

Schmidt, 2002, S. 150.<br />

103<br />

Mehr <strong>da</strong>zu: Nolte, Theo<strong>do</strong>r, „Das Avunkulat in der deutschen Literatur des Mittelalters", in<br />

Poética. Zeitschrift fur Sprach- und Literaturwissenschaft 27 (1995), S. 225-253.<br />

61


verstàrkt, <strong>da</strong>l3 persõnlicher Kontakt <strong>im</strong> Mittelalter zu denjenigen Voraussetzungen<br />

zàhlte, nach denen die sonst institutionell schwach abgesicherte soziale Ordnung<br />

funktionierte. Er bedeutete Nàhe und intakte Beziehungen, ihn zu meiden - in<br />

einer, wie bereits festgestellt, auf Sichtbarkeit angelegten Gesellschaft - <strong>im</strong>plizierte<br />

Abneigung, mangelnde Anerkennung und <strong>im</strong> schl<strong>im</strong>msten Fall Feindschaft, was<br />

die Worte des zur Zeit noch ahnungslosen Etzel eindeutig belegen:<br />

Mich n<strong>im</strong>t des michel wunder, waz ich iu habe getân,<br />

(sô manigen gast vil edele, den ich gewunne hân),<br />

<strong>da</strong>z ir nie geruochtet komen in mîniu lant.<br />

<strong>da</strong>z ich iuch nû gesehen hân, <strong>da</strong>z ist zen vreuden mir gewant." (1814) 104<br />

Kriemhild spielt dièse ungeschriebene Spielregel aus und setzt sie zum Erreichen<br />

ihrer individuellen Ziele ein. Etablierte Zeichen, die <strong>im</strong> Mittelalter einen hohen<br />

Geltungsanspruch besaBen und als verlaBlich galten, wurden so zum Deckmantel<br />

eines persõnlichen Racheplans. Auch Giselher fragt sich nach dem Warum von<br />

Kriemhilds he<strong>im</strong>tùckischer Einladung:<br />

wie hân ich an den Hiunen hie verdíenét den tôt?<br />

Ich was dir ie getriuwe, nie getét ich dir leit.<br />

ûfsolhén gedingen ich her ze hove reit,<br />

<strong>da</strong>z du mir holt waerest, vil liebiu swester min.<br />

bedenke an uns genâde, ez mac niht ándérs gesîn." (2101,4-2102)<br />

Auch wenn Kriemhild zunáchst ihre náchsten Verwandten ncht in ihren Racheplan<br />

einbezogen hat, n<strong>im</strong>mt die Handlung ihre tragische Wendung ausgerechnet<br />

<strong>da</strong>durch, <strong>da</strong>i3 die Burgunden ihre herrschaftlich-verwandtschaftliche triuwe Hagen<br />

gegenùber nicht preisgeben wollen:<br />

104 Noch zuvor bekùndet Etzel: mich muet <strong>da</strong>z harte sêre, <strong>da</strong>z si uns sô lange vremde sind (1406,4).<br />

Auch die Boten Etzels Wàrbel und Swâmmel fragen: sô wôld er (Etzel) <strong>do</strong>ch gérne wizzen, waz ér<br />

iu hété getân / Daz ir in alsô uremdet unt ouch sîniu lant (1448,4-1449,1 ).<br />

62


„Welt ir mir Hagenen einen ze gísél geben,<br />

sone wil ich niht versprechen, ich welle iuch lâzen leben,<br />

wande ir sit mine bruoder wide éiner muoter kint:<br />

sô réd ich ez nâch suone mit disen helden, die hie sint."<br />

>fNune wélle got von h<strong>im</strong>ele", sprach dô Gêrnôt,<br />

„ob wiser tûsent waeren, wir laegen aile tôt,<br />

der sippen dîner mage, ê wir dir éinen man<br />

gaeben hie ze gîsel: ez wird et n<strong>im</strong>mér getân." (2104-2105)<br />

Erkenntnisse der Geschichtswissenschaft belegen, <strong>da</strong>B <strong>da</strong>s politisch-rechtliche<br />

Leben <strong>im</strong> Mittelalter situationsbedingt war und <strong>da</strong>l3 es unter den unterschiedlichen<br />

Verhaltnissen, die auf triuwe beruhten, trotz hierarchisierenden Ordnungen, keine<br />

eindeutige Hiérarchie gab. Dazu trug sicherlich die Tatsache bei, <strong>da</strong>B eine<br />

saubere Trennung der verwandtschaftlichen, herrschaftlichen und<br />

genossenschaftlichen Bindungen áuBerst selten vorkam. Welcher Bindung<br />

grõBeres Gewicht zukam, entschied sich meistens <strong>im</strong> Einzelfall. Die Entscheidung<br />

der Burgunder, zusammenzuhalten, und den einzigen Mann auch um den Preis<br />

der allgemeinen Vernichtung keineswegs auszuliefern, war gewiB ein<br />

unumgãngliches Element der Vorlage, <strong>da</strong>s auf die kùnstlerische Stilisierung des<br />

heldenepischen Stoffs abzielte, was je<strong>do</strong>ch den zeitgenõssischen Rezipienten<br />

mehr als realitàtsfremd vorkommen durfte. Indem der Erzàhler lediglich die<br />

Konsequenzen von Entscheidungen pràsentiert, scheint er <strong>da</strong>s Publikum geradezu<br />

aufzufordern, selbst nach moglichen Begrùndungen zu suchen. Seine Botschaft,<br />

auch wenn nicht explizit gefaBt, sch<strong>im</strong>mert auf aile Fàlle durch: triuwe als Tugend<br />

erlebt den endgùltigen Zusammenbruch und zwar para<strong>do</strong>xerweise durch sich<br />

selbst: als Fun<strong>da</strong>ment der sozialen Ordnung erweist sie sich, wenn aus dem<br />

Kontext der real vorgegebenen Situation betrachtet und radikalisiert, als<br />

zerstòrerisch und unheilvoll.<br />

Nun soil ein Blick auf die zweite lehnsrechtliche Bindung geworfen werden, die <strong>da</strong>s<br />

<strong>Nibelungenlied</strong> thematisiert, nàmlich die Bindung Rùdigers an Etzel und Kriemhild.<br />

AuBer seiner Stellung als erster Vasall des màchtigen Etzel n<strong>im</strong>mt Rùdiger eine<br />

63


weitere wichtige Funktion wahr, nàmlich die des Brautwerbers (allerdings nicht die<br />

eines spielmannischen).<br />

Als Kriemhild nach làngerer Abwágung in die zweite Heirat mit dem verwitweten<br />

Etzel einwilligt, wird sie automatisch Rudigers Lehnsherrin. Wie wir gesehen<br />

haben, wurde dieses Rechtsverháltnis der Regel nach durch einen Eid besiegelt.<br />

Dieser Eid - der spáter fur Rùdigers seelisches Dilemma maBgeblich verantwortlich<br />

sein wird - so unklar er auch sein mag, scheint <strong>im</strong> Hinblick auf seine weiteren<br />

Folgen weniger sorglos geleistet worden zu sein als vielmehr fur unterschiedliche<br />

Interpretationsvarianten often. Eine glaubhafte Annahme ware, <strong>da</strong>B Rùdiger unter<br />

Erfolgszwang stand, denn es ware unzumutbar, dem Kõnig und dem eigenen<br />

Lehnsherrn eine Absage zu erteilen. Andererseits ware eine Ablehnung von seiten<br />

Gunthers ein nicht abschátzbarer politischer Schaden, der einen potenziellen<br />

Konflikt mit Etzel hãtte verursachen kônnen. Deswegen war der Eid, so wie er von<br />

Rùdiger und seinem Gefolge ausgesprochen wurde,<br />

,Mit alien sinen mannen swuor ir dô Rudiger<br />

mit triuwen <strong>im</strong>mer dienen, unt <strong>da</strong>z die recken her<br />

ir n<strong>im</strong>mer niht versageten ûz Etzelen lant,<br />

des si ere haben solde, des sichert ' ir Rùdegêres hant." (1258)<br />

eine fur die Offentlichkeit "uberarbeitete' Version des Schwures, den er Kriemhild<br />

unter vier Augen abgelegt hat. Aus ihrem Gespràch ist seine Mehrdeutigkeit leicht<br />

erkennbar: zunáchst in indirekter Rede auf die Vergangenheit bezogen - er wolde<br />

si ergetzen, sivaz ir ie geschach (1255,3) - und spàter von Rùdiger selbst in der<br />

Richtung bestàtigt - er miieses sêr' engelten, unt het iu iemen iht getân (1256,4)<br />

faBt Kriemhild spáter diesen Sachverhalt als etwas Zukunftiges auf, wenn sie sagt:<br />

(...) „sô swert mir eide, swaz mir íemén getuot, / <strong>da</strong>z ir sit der naehste, der biieze<br />

miniu leit." (1257,2-3). 105 Entgegen diesen zwei widerspruchlichen Aussagen tritt<br />

105 Fur Ruth Schmidt-Wiegand (Schmidt-Wiegand, Ruth, „Kriemhilds Rache. Zu Funktion und<br />

Wertung des Rechts <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong>", in: Kamp, Norbert und Wollasch, Joach<strong>im</strong>, Tradition als<br />

historische Kraft. Interdisziplinàre Forschungen zur Geschichte des Mittelalters, Berlin: Walter de<br />

Gruyter, 1982, S. 372-387, hier S. 378), in Anlehnung an Splett, gibt der Wortlaut von Kriemhilds<br />

Mahnung - (...; gedenke Riiedegêr, der grôzen triuwe dîn (2151,1) - „erstaunlich genau den Inhalt<br />

64


die dritte in Form des óffentlich ausgesprochenen Eides hinzu, die sich von den<br />

ersten beiden <strong>da</strong>durch unterscheidet, <strong>da</strong>B sie inhaltlich fur die Óffentlichkeit zwar<br />

die korrekteste ist, gleichzeitig aber die unverbindlichste. Sie n<strong>im</strong>mt Rucksicht auf<br />

die ere Kriemhilds, versichert ihr triuwe, ohne je<strong>do</strong>ch genau festzulegen, was dies<br />

konkret zu bedeuten hat. Und <strong>da</strong> sind wir erneut an dem bereits angesprochenen<br />

Punkt angelangt, <strong>da</strong>B der mittelalterliche Kanon von Rechten und Pflichten nur<br />

sehr allgemein formuliert war und sich in Begriffen wie "Schutz und Schirm' und<br />

v Huld und Treue' erschópfte. GewiB hàngt dies mit dem oralen Charakter der<br />

Gesellschaft zusammen, in der die Schriftlichkeit nur insofern relevant war, als sie<br />

dem Zugang zum Wort Gottes, also in die Domàne des Geistlichen, gewáhrte und<br />

wo der Wortlaut einer Aussage auf seine Wortwórtlichkeit kaum uberprufbar war. 106<br />

Daruber hinaus haben wir bereits gesehen, <strong>da</strong>B Eide keine allgemeine<br />

Rechtsordnung garantierten: <strong>im</strong>merhin hat in diesem Falle Kriemhild die<br />

Eidesformel selbst fur Rùdiger formuliert. Eigentlich hàtte seine Funktion die<br />

Verbindlichkeit zum gegebenen Wort sein sollen, die als eine sichere und<br />

zuverláBige Grundlage fur die instabile soziale Ordnung sorgen wurde. Indem<br />

Kriemhild ihn aufgrund seiner Interpretierbarkeit fur ihre eigenen Zwecke<br />

manipuliert und miBbraucht, wird auch der Eid zum Gegensatz dessen, was er<br />

urspunglich war: ein Garant der triuwe und der ZuverlãBigkeit.<br />

Als Kriemhild spàter, mitten <strong>im</strong> entflammten Kampf, Rùdiger ermahnt und ihn an<br />

seine lehnsrechtliche Pflicht erinnert, antwortet er: er hat ihr zwar geschworen,<br />

ihretwillen sein Ansehen und sein Leben aufs Spiel zu setzen, <strong>do</strong>ch seine Seele zu<br />

verlieren, <strong>da</strong>s hat er nicht geschworen. Rùdiger ist die einzige Gestalt, die, gewiB<br />

unter christlichem EinfluB, eine Differenzierung zwischen ère und sêle macht, er<br />

sieht sich in der ausweglosen Lage zwischen dem Lehnsherrn und der Bindung an<br />

die Freunde und die angehende Verwandtschaft, auf die weiter unten náher<br />

eingegangen wird. Sowohl <strong>da</strong>s Eingreifen zugunsten Etzels und Kriemhilds als<br />

der Eidesformeln wieder" und Rudigers Entscheidung wird als Ergebnis der Zwangslâufigkeit<br />

angesehen, die sich aus dem abgelegten Eide ergibt.<br />

106 Eine eindrucksvolle und konzise Darstellung des Forschungsstandes zum Thema Mundlichkeit /<br />

Schriftlichkeit und zum oral / literate state of mind vgl. Schaefer, Ursula, „Zum Problem der<br />

Mundlichkeit", in Heinzle, Joach<strong>im</strong> (Hrsg.), (1999), S. 357-375.<br />

65


auch eine neutrale Lage 107 wurden ihn, nach christlicher Auffassung, sundig<br />

machen. Er versucht deshalb unbeschadet aus dem Konflikt herauszukommen,<br />

indem er versucht, die Lehnsbindung zu kundigen. Dieser Akt heiBt formaljuristisch<br />

diffidentia oder diffi<strong>da</strong>tio und war ursprunglich dem Vasallen nicht erlaubt. Erst<br />

seit Ende des 11. Jahrhunderts beginnt die diffi<strong>da</strong>tio sich auf deutschem Boden,<br />

vom Westen her, durchzusetzen, je<strong>do</strong>ch unter der Voraussetzung, <strong>da</strong>B der Vasall<br />

auf sein Lehen verzichtete. Dies schlágt auch Rudiger vor:<br />

Dô sprach zuo dem kiinege der vil kiiene man:<br />

„her kilnec, nu némt hin wiedere, al <strong>da</strong>z ich von iu hân.<br />

<strong>da</strong>z lant mit den bùrgen, des sol mir niht bestân.<br />

ich wil ufminenfilezen in <strong>da</strong>z éllénde gân." (2157)<br />

Die hunnischen Kõnige mit ihren Gegenargumenten lassen ihn je<strong>do</strong>ch nicht los<br />

und Rùdiger sieht keinen anderen Weg, als fur die Partei seiner Lehnsherrin in den<br />

bewaffneten Kampf einzugreifen. BeeinfluBt wurde seine Entscheidung gewiB<br />

durch den pathetischen und nicht minder aussagekráftigen FuBfall des<br />

Herrscherpaares vor ihm. In der rituellen Kommunikation war der FuBfall 108 ein<br />

gàngiges und allgemein anerkanntes Ausdrucksmittel <strong>da</strong>fur, <strong>da</strong>B man den hohen<br />

Rang des anderen wahrn<strong>im</strong>mt und sich unterordnet. Dièse Geste wurde des<br />

õfteren be<strong>im</strong> AbschluB eines vasallischen Vertrages (Kommen<strong>da</strong>tion) praktiziert.<br />

Wapnewski hat richtig festgestellt, <strong>da</strong>B ein mògliches Eingreifen zugunsten der burgundischen<br />

Freunde uberhaupt nicht zur Sprache gebracht wird. Vgl. <strong>da</strong>zu Wapnewski, Peter, „Rùdigers Schild.<br />

Zur 37. Aventiure des <strong>Nibelungenlied</strong>es", in Euphorion 54 (1960), S. 380-410, hier S. 391.<br />

108 Unterwerfungsrituale waren jahrhundertelang nicht nur Untertanen vorbehalten, auch Herrscher<br />

und Kõnige praktizierten durchaus, in Rahmen ihrer Machtausubung, symbolische Formen der<br />

Selbsterniedrigung. Die ersten dieser Gesten waren rituelle Selbsterniedrigung gegenuber Gott und<br />

den Heiligen, durch die die Herrscher ihr DemutsbewuBtsein óffentlich unter Beweis stellten, die<br />

je<strong>do</strong>ch nach dem BuBgang Heinrichs des IV. nach Canossa dermaBen stigmatisiert wurde, <strong>da</strong>B<br />

man sie kaum mehr praktizierte. Seit dem 11. Jahrhundert wurde es <strong>im</strong>mer ublicher, <strong>da</strong>B Kõnige<br />

sich dieses Mittels auch gegenuber ihren getreuen Untertanen bewuBt bedienten und zwar in klarer<br />

Absicht, „auf diese Weise den Widerstand zu brechen und den eigenen politischen Willen<br />

durchzusetzen." Inszeniert oder nicht, machte der FuBfall die Eindringlichkeit der Bitte sowie deren<br />

Gewàhrung mehr als sinnfàllig und erschwerte von vornherein eine mógliche Ablehnung des<br />

Gesuchs erheblich. Vgl. mehr <strong>da</strong>zu, Althoff, Gerd, (Anm.62), S. 104-129 Als literarisches Motiv sieht<br />

Alois Wolf die Szene des FuBfalls als eine weitere Entlehnung aus der Wilhelmsepik, wo diese<br />

mehrfach belegt sind, beispielsweise <strong>im</strong> Couronnement de Louis oder in der Bataille d'Aliscans.<br />

Mehr <strong>da</strong>zu vgl. Wolf, Alois, (Anm.68), S. 230.<br />

66


Der kùnftige Vasall legte seine Hãnde in die seines Herrn, was meist in kniender<br />

Position geschah. Immerhin war <strong>da</strong>s wesentliche Merkmal fertiger Muster rituellen<br />

Verhaltens, <strong>da</strong>B sie sich nicht auf sklavische Wiederholung beschrànkten, sondem<br />

<strong>da</strong>B sie situationsbedingt sich abwandelten, wodurch sie <strong>im</strong>mer wieder neue<br />

Akzente setzten. Ànhliches gilt auch fur diese FuBfall-Szene, die, gewiB in ihrem<br />

Grund-Schema pervertiert, <strong>da</strong>rauf abzielt, „vermuteten Unmut Oder Unwillen des<br />

Gegenùbers zu besànftigen, ihn nonverbal um Verzeihung zu bitten." 109 Damit<br />

ubergibt sich <strong>da</strong>s hunnische Herrscherpaar ihrem Diener Rudiger und macht somit<br />

sein eigenes Schicksal sowie <strong>da</strong>s Schicksal ihres Reiches von ihm abhângig. Peter<br />

Wapnewski hat auf die rechtliche D<strong>im</strong>ension von Rudigers Konflikt hingewiesen<br />

und auf eine Reihe von "termini technici' aus dem Bereich des Rechts aufmerksam<br />

gemacht, unter dem Vorbehalt je<strong>do</strong>ch, <strong>da</strong>s „um 1200 Umgangssprache, Sprache<br />

der Dichtung und Sprache des Rechts keine sáuberlich voneinander ablósbaren<br />

Idiome" 110 waren. Mir scheint <strong>da</strong>gegen, <strong>da</strong>B <strong>im</strong> Falle von Rùdigers Entscheidung<br />

zugunsten seiner Herren die ere eine wichtigere Rolle spielt als bislang<br />

angenommen. Ausgerechnet dieses Phanomen sorgt fur zusátzlichen Zundstoff,<br />

als Rùdiger den Hunnen erschlãgt, der ihn vorher beleidigt hat: (...) „<strong>da</strong> beswart er<br />

mir den muot / unde hât mir gëitewîzet ere wide guot (2146,1-2). Die<br />

Ausweglosigkeit, in der er sich infolge des herrschaftlichen FuBfalles befunden hat,<br />

scheint ebenfalls <strong>da</strong>rauf zu beruhen, <strong>da</strong>B er seine ere in Gefahr sieht:<br />

„Owê mir gotes armen, <strong>da</strong>z ich díze gelebet hân.<br />

aller miner êren der muoz ich abe stân,<br />

triuwen unde ziihte, der got an mir gebot.<br />

owe got von h<strong>im</strong>ele, <strong>da</strong>z michs niht wéndét der tôt!" (2153)<br />

Die Argumentation, die Etzels Vasall hierauf liefert, stùtzt sich zum gróBten Teil auf<br />

<strong>da</strong>s mõgliche Urteil der Óffentlichkeit, einer máchtigen Instanz, deren Kompetenz<br />

es ist, auf den Einzelnen jeweils gutes oder schlechtes Licht zu werfen: lâze aber<br />

ich si beide, mich schiltet elliu diet (2154,3); ob er ir einen sliiege, <strong>da</strong>z <strong>im</strong> diu xverlt<br />

109 Althoff, Gerd, (Anm.62), S. 41.<br />

110 Wapnewski, Peter, (Anm.107), S. 382.<br />

67


triiege haz (2156,4); Die liute waenent lïhte, <strong>da</strong>z ich sî verzaget (2160,1). Das<br />

heiBt, <strong>da</strong>l3 die Entscheidungen und Verhaltensweisen weniger von den<br />

tatsàchlichen Fakten oder von der eigenen, subjektiven moralischen Urteilskraft,<br />

des sog. ehrenhaften Charakters, abhàngen, sondem maí3geblich <strong>da</strong>von, wie<br />

diese in den Augen anderer zu werten sein werden. 111 Auch widersprach es<br />

einfach dem Gebot der ère, den Herrn vor dem Kampf oder <strong>im</strong> Ungluck zu<br />

verlassen. 112 Im Gegenzug ist eine Verwandtschaft durch die Verlobung Giselhers<br />

mit der Tochter Rùdigers, wenn formal noch nicht in Kraft getreten, so <strong>im</strong>merhin in<br />

einer juristisch faBbaren Form besiegelt. Zudem wurde mit der Ermordung des<br />

kleinen Prinzen ein zu schweres Verbrechen begangen, als <strong>da</strong>f3 Rùdiger als Vasall<br />

hàtte freigegeben werden kõnnen.<br />

Rùdigers Lage als Vasall erkennt Hagens Freund Volker, als er sagt: an uns wil<br />

dienen Rûdigêr sine biirge und siniu lant (2173), wogegen Giselher in ihm seinen<br />

sweher, also Verwandten und Heifer sieht (2171). Nachdem Rùdiger den<br />

Burgunden widerseit hat: ê <strong>do</strong> wâren wir friunde: der triuwen wil ich ledec sin<br />

(2175,4) - denn <strong>im</strong>merhin stehen sie in einem legit<strong>im</strong>en Verháltnis, <strong>da</strong>s des<br />

widersagens be<strong>da</strong>rf - und <strong>im</strong> letzten Dialog Rùdigers mit jedem der drei Kõnige ist<br />

es interessanterweise Gunther, der sich auf die Bande der triuwe beruft (2177,3;<br />

2179,3; 2180,4) und sich urn eine friedliche Beilegung des Konflikt bemùht.<br />

Giselher hingegen schlàgt <strong>im</strong>pulsiv den Kurs des Konflikts ein und kùndigt die<br />

Bindung, die er mit Rùdiger und dessen Tochter eingegangen ist:<br />

„Daz taet ' ich billîchen", sprach Giselher <strong>da</strong>z kint<br />

die hôhen mine mâgedie noch hier inné sint,<br />

suln die vor iu ersterben, sô muoz gescheiden sin<br />

diu vil staete vriuntschqft zuo dir und ouch der tohter din." (2191 )<br />

111<br />

Vgl. auch 1781,2-3; ; 1887,2; 1954,1-3; 2302; 2341, 2-3; Mehr <strong>da</strong>zu vgl. Maurer, Friedrich,<br />

(Anm.8), <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong>: S. 34-35.<br />

Àhnliches schreibt Tacitus uber die Kampfmoral der Germanen in seiner Schrift De Origine et<br />

Situ Germanorum. Dennoch ist hóchste Vorsicht geboten, wenn man <strong>da</strong>s Kriegerische aus der<br />

mittelalterlichen Heldenepik bedenkenlos und geradlinig aus dem Germanischen ableitet. GewiB<br />

rangierte in germanischen Vorzeiten die kriegerische Gesinnung auf hoher Stelle, dies aber war<br />

auch in christlich-karolinischer Zeit der Fall, bedingt durch âuBere Feinde und innere Spannungen.<br />

Daher ist von den unbe<strong>da</strong>chten und einst so beliebten Berufungen auf Germânia abzuraten und<br />

eher nach moglichen Verknupfungen in der frùhmittelalterlichen Wirklichkeit zu suchen.<br />

68


Der erschùtterte Glaube an die Verbindlichkeit einer rechtlich noch nicht gultigen<br />

verwandtschaftlichen Beziehung mag als Beweggrund fur Giselhers gereizte<br />

Reaktion gelten. Oder sollte Giselher, <strong>im</strong> Gegensatz zu seinen àlteren Brudern und<br />

infolge seiner jugendlichen Unerfahrenheit, 113 Rudigers Lage und <strong>da</strong>s Gewicht der<br />

Bindung an den Lehensherrn nicht erkennen? Mir scheint, <strong>da</strong>G die Antwort<br />

teilweise in der Strophe 1729 liegt:<br />

Dô giengen sundersprâchen die drîe kilnige rich,<br />

Gunther und Gêrnôt und ouch her Dietrich.<br />

,JSiu sage uns von Berne vil edel ritter guot,<br />

wie dir si gewizzen umb der kiineginne muot."<br />

Dies bedeutet, <strong>da</strong>G Giselher ais der jùngste der drei Kónige bis zuletzt nichts von<br />

Kriemhilds Rachsucht gewuGt hat, bzw. <strong>da</strong>G er fast bis ans Ende ahnungslos<br />

geblieben ist.<br />

113 Dazu mehr: Mohr, Wolfgang, (Anm.82).<br />

69


7. Genossenschaftliche Bindungen<br />

AuBer der Bindung an seine Lehnsherren, geht Rùdiger, voter aller tugende, eine<br />

weitere, genossenschaftliche Bindung mit den Burgunden ein, die er seit geraumer<br />

Zeit kennt (1147,4). Diese Bindung wird in der 27. âventiure, der sog. Bechelaren-<br />

Idylle, in der die Burgunden auf ihrer Reise zu Etzel und Kriemhild dem Markgrafen<br />

Rùdiger in Bechelaren einen viertágigen Besuch abstatten, ihren Hohepunkt<br />

finden. Diese Episode des <strong>Nibelungenlied</strong>es ist einst<strong>im</strong>mig als eine einzige Hymne<br />

„auf Rùdiger, seine Fùrsorge, Gastfreundschaft, Herzensgute und<br />

Freundlichkeit" 114 bezeichnet worden. Ùberhaupt gilt Etzels erster Lehnsmann als<br />

die hófischste Gestalt <strong>im</strong> gesamten <strong>Nibelungenlied</strong>: er ist zugleich ein Meister des<br />

Zeremoniells und des Protokolls, dessen Bindung an <strong>da</strong>s burgundische<br />

Kónigshaus erst hier recht hergestellt wird, obwohl eine Freundschaft zwischen<br />

ihm und Hagen, wahrscheinlich durch den intertextuellen Bezug des Waltharius,<br />

bereits in der fernen Vergangenheit vom <strong>Nibelungenlied</strong>-D\chter angenommen<br />

wird. Rùdiger und seine Ehefrau Gotelind bewirten die Gàste so vortrefflich, <strong>da</strong>(3<br />

<strong>da</strong>z het in wirt deheiner <strong>da</strong> vor vil séltén getân (1660,4): ùppige Mahlzeiten 115 und<br />

lustiges (gàmelîche) Treiben wechseln einander ab. Inmitten des SpaBtreibens<br />

konzentriert sich <strong>da</strong>s Gespràch nun allmàhlich auf Rùdigers schõne Tochter, die<br />

alien Helden gut gefàllt. Auf Volkers Anmerkung ob ich ein fiirste waere / und<br />

solde ich tragen krône, ze wîbe ivold ich hân / die iuwern schoenen tohter, des<br />

wùnschet mir der muot (1675,1-3) antwortet Rùdiger in seiner Bescheidenheit:<br />

Dô sprach der marcgrâve: „wie môhte <strong>da</strong>z gesîn,<br />

<strong>da</strong>z <strong>im</strong>mer kûnec gerte der lieben tohter mîn?<br />

wir sîn ellende, beide ich únd mîn wîp:<br />

waz hilfet grôziu schoene der guotenjúncvróuwen lip?" (1676)<br />

114<br />

Kunstmann, Heinrich, „Wer war Rùdiger von Bechelaren?", in ZfdA 112 (1983), S. 233-252, hier<br />

S. 245.<br />

115<br />

Mehr ùber den gemeinschaftstàrkenden Charakter von Màhlern, Gelagen oder Festen vgl.<br />

Althoff, Gerd (1990), S. 203-209; u. ders., „Der frieden-, bùndnis- und gemeinschaftsstiftende<br />

70


An diesem Punkt greift Hagen mit seinem „nu sol mm herre Gîselher nemen <strong>do</strong>ck<br />

ein wîp" (1678,1) ein und fádelt <strong>da</strong>mit die Verschwágerung zwischen Rùdiger und<br />

den Burgunden ein. 116 Befremdlich kõnnte auf den ersten Blick diese Aussage<br />

Hagens erscheinen, wenn man sich in Erinnerung ruft, <strong>da</strong>l3 Hagen eigentlich der<br />

einzige ist, der vom verhàngnisvollen Ausgang der Reise zum Hof Etzels weiB. Er<br />

weiB auBerdem, <strong>da</strong>B Rùdiger als ein Fremder in Etzels Reich der bùrge niht<br />

enhân (1681,4), bzw. <strong>da</strong>B er als Mitgift fur seine Tochter anstatt Besitztumer nur<br />

seine triuwe geben kann, und genau <strong>da</strong>rauf zielt er ab: aus scharfem Kalkul bindet<br />

Hagen Rùdiger von jetzt an offiziell an die Partei der Burgunden. Damit hátte er<br />

einen zusãtzlichen Schutz gegen die Plane Kriemhilds bewirkt, <strong>do</strong>ch ohne <strong>im</strong><br />

geringsten ahnen zu kónnen, was fur eine ausweglose Lage dies fur Rùdiger<br />

bedeuten wùrde.<br />

Am vierten Tag, als der freundschaftliche Besuch seinem Ende zugeht, làBt<br />

Rùdiger seine milte, <strong>da</strong>z verre wart geseit (1691,3), walten und beschenkt seine<br />

burgundischen Gàste in Hùlle und Fùlle, ohne irgend jemandem etwas<br />

abzuschlagen: aus der Hand der schónen Gotelind bekommt Gemot ein<br />

vorzùgliches Schwert, <strong>da</strong>s dem gùtigen Rùdiger spáter <strong>im</strong> Kampf zum Verhàngnis<br />

werden wird; Hagen erbittet sich den Schild, der Rùdigers erschlagenem Sohn<br />

Nudung gehõrte, sogar Gunther kann nicht umhin, ein pràchtiges Gewand als<br />

Geschenk aus Rùdigers Hand anzunehmen. Zum krõnenden AbschluB dieser Ode<br />

an die Freundschaft und die Gastfreundlichkeit bietet der Markgraf von Bechelaren<br />

den Burgunden <strong>da</strong>s Geleit, wie <strong>da</strong>mais Gemot und Giselher dem alten Siegmund<br />

und den nibelungischen Kriegern, <strong>da</strong>mit ihnen ûfder strâze niemen muge schaden<br />

(1708). In dieser âventiure entstehen Bande, die nicht leicht zu zerreiBen sein<br />

werden: Freundschaft, die Verpflichtung des Gastgebers fur <strong>da</strong>s Wohlergehen der<br />

Gàste, sowie die Dankbarkeit der Beschenkten. Denn die Gabe bzw. <strong>da</strong>s<br />

Charakter des Mahles <strong>im</strong> fruheren Mittelalter" in Bitsch, Irmgard et alii (Hrsg.), Essen und Trinken in<br />

Mittelalter und Neuzeit, Sigmaringen: Jan Thorbecke, 1987, S. 13-25.<br />

116 Es mag befremden, <strong>da</strong>B sich hier ein Kónig mit der Tochter eines Vasallen verlobt, wàhrend<br />

<strong>da</strong>mais die Bindung eines vermeintlichen Vasallen, Siegfried nàmlich, mit einer Prinzessin aus<br />

Brúnhilds Perspektive ein Skan<strong>da</strong>l auslóste, vor allem wegen ihrer Auffassung Siegfrieds als<br />

eigenholt, was fur <strong>da</strong>s Kònigshaus eine Entehrung bedeuten wùrde. Die Verlobung Giselhers mit<br />

Rùdigers Tochter erweist sich indes als unanstóBig, <strong>da</strong> die Markgràfin aller Wahrscheinlichkeit nach<br />

adeliger Abstammung ist: ez ist sô hoher mâge der marcgrâvinne lip (1678,2).<br />

71


Geschenk spielte eine nicht zu unterschàtzende Rolle in den<br />

zwischenmenschlichen Beziehungen, und zwar weit uber <strong>da</strong>s Mittelalter hinaus.<br />

Der Akt des Schenkens bedeutete weit mehr als eine Eigentumsubertragung eines<br />

Gegenstandes: es war ein verpflichtender Akt, dessen friedens- und<br />

bundnisstiftende Wirkung dem mittelalterlichen Menschen àuBerst prãsent war.<br />

Daruber hinaus trug er die Botschaft, bestehende Zustànde der Freundschaft, der<br />

Ehrung und wohlwolleneder Zuneigung wurden auch in der Zukunft ihre Gultigkeit<br />

behalten. Dem konkreten geschenkten Gegenstand wohnte eine besondere Kraft<br />

inné: es herrschte nàmlich der weitverbreitete Glauben, <strong>da</strong>s Geschenk besitze eine<br />

Seele und trage einen Teil dessen in sich, der es besaB, und werde diese Seele<br />

offenbaren. Doch nicht nur einen Teil seiner Seele ubertrug 117 der Gebende durch<br />

<strong>da</strong>s Geschenk auf den Nehmenden, er ùbertrug <strong>da</strong>durch automatisch auch einen<br />

Teil seiner Gewalt, was bedeutete, <strong>da</strong>B der Empfànger dem Schenkenden<br />

gegeniiber zwangsláufig eine untergeordnete Position einnahm. Auf der anderen<br />

Seite ist es fur Rudiger, den Schenkenden also, eine hohe Auszeichnung, wenn<br />

Gunther, swie sélten er gabe enpfienge (1965,3), der sonst ais Kõnig <strong>im</strong>mer Gaben<br />

austeilt, von ihm <strong>da</strong>s Geschenk ann<strong>im</strong>mt. Die Haltung von suone und vriede, der<br />

die Beschenkten verpflichtet sind, wird verstàrkt durch die angehende<br />

Verschwâgerung zwischen Rùdiger und den Burgunden, die zwar noch <strong>im</strong>mer<br />

nicht formal in Kraft getreten ist, aber <strong>im</strong>merhin mit eiden besiegelt worden ist.<br />

Dies bedeutet, <strong>da</strong>B die vriuntschaft zwischen dem Markgrafen und den Burgunden<br />

nicht nur emotional begrundet ist, sondern eine feste, juristisch faBbare Form<br />

erhãlt.<br />

Die faszinierendste Bindung auf Etzels Burg allerdings, die die Blicke aller auf sich<br />

Ziehen wird, wird die Freundschaft zwischen Hagen und Volker und ihre bis in den<br />

Tod wàhrende triuwe sein. Dies belegen zahlreiche Stophen: 1777-1779, 1786,<br />

1805, 1830-1832, 1975-1976, 2005 usw. GewiB nutzte der <strong>Nibelungenlied</strong>-D\chter<br />

diese Bindung, urn dem heroischen Klischee einer durch keine Umstànde zu<br />

erschutternden Loyalitàt Ausdruck zu geben, andererseits trágt die Rudiger-<br />

117 Wapnewski, Peter, (Anm.107), S. 399.<br />

72


Handlung mit ihrer Thematik der Pflichtenkollision wie keine andere zu der<br />

zunehmenden Humanisierung des Nibelungen-SXofíes bei.<br />

Eine andere Technik, der sich der Dichter des <strong>Nibelungenlied</strong>es bei der<br />

Aufwertung des burgundischen Lagers bedient, ist die nicht zu ubersehende<br />

Abwertung des Gegenlagers: vor allem Freigheit - die helden kêrten von <strong>da</strong>nnen:<br />

jâ vorhten si den tôt (1799) 118 - und Gier nach Macht und Reichtum (2130), von<br />

der sie sich verleiten lassen, werden den heidnischen Kriegern angekreidet. Urn<br />

den Streit vom Zaun zu brechen, greift Kriemhild auf <strong>da</strong>s niedrige Motiv der<br />

Lohnversprechung zuruck: sobald sie dem bislang noch Joyalen" Bruder Etzels<br />

Bloedelin, der zunàchst wegen seines Bruders keine Kampfhandlungen gegen die<br />

burgundischen Gaste wagt, <strong>da</strong>z lánt zúo den bûrgen und <strong>da</strong>zu noch eine maget<br />

schoene, <strong>da</strong>z Nuodunges wip in Aussicht stellt, wirft er aile Skrupeln bedenkenlos<br />

ab und greift ungeachtet des Gastrechts die Burgunden an. DaB die Burgunden<br />

aus hóheren Motiven, der triuwe zueinander, kámpfen, die Hunnen, die<br />

ungetriuwen, <strong>da</strong>gegen aus schmãhlicher Gier nach Besitztumern, irdischem Ion<br />

also, ist eine sich aufdrángende und klischeehafte Parallèle zur Wilhelmsepik, wo<br />

auf der einen Seite die sarazenischen Minneritter stehen und auf der anderen die<br />

christlichen, die um den h<strong>im</strong>mlischen Ions willen in den Kampf Ziehen. 119<br />

Gleichzeitig hat <strong>da</strong>s negative Hunnenbild seinen Ursprung in der<br />

jahrhundertelangen Tradition eines heldenepischen Stoffes, der in mehreren<br />

Dichtungen, wie zum Beispiel <strong>im</strong> Waltharilied, dem Attlilied Oder in der<br />

11B Vgl. auch 1793,4; 1842; 1847,2.<br />

119 Dem gegenuber hat Hans-A<strong>do</strong>lf Klein <strong>da</strong>rauf hingewiesen, <strong>da</strong>B es dem Erzàhler sichtlich <strong>da</strong>rum<br />

gent, Etzel „wo nur moglich zu entlasten, um <strong>da</strong>fur Kriemhild zu belasten. Sieht man in Kriemhild<br />

eine Vertreterin des Christentums, so ist hier die Kritik an einer nur formal ausgeubten kirchlichen<br />

Praxis besonders dicht." Dies ist m.E. insofern fraglich, ais der Erzàhler lediglich Etzel positiv<br />

konzipiert und, der heldenepischen Tradition verpflichtet, sich insgesamt nur ansatzweise auf<br />

moralisierende Diskurse einlàBt. Dennoch: Etzel vermittelt insgesamt mehr christliche Werte als die<br />

Burgunden, ganz zu schweigen von Kriemhild. Mehr zur Gestalt Etzels: Klein, Hans-A<strong>do</strong>lf,<br />

Erzáhlabsicht <strong>im</strong> Heldenepos und <strong>im</strong> hòfischen Epos. Studien zum Ethos <strong>im</strong> „<strong>Nibelungenlied</strong>" und<br />

in Konrad Flechs „Flore und Blanschefleur", Gòppingen: Kummerle, 1978, S. 154-177. Auch <strong>da</strong>s<br />

sog. niedrige Motiv der Lohnversprechung ist m.E. an und fur sich nicht so niedrig als es die<br />

Tatsache ist, <strong>da</strong>B Kriemhild, um ihr Recht geltend zu machen, buchstàblich iiber die Leichen geht.<br />

Ein bemerkenswertes Beispiel <strong>da</strong>fur, <strong>da</strong>B <strong>da</strong>s Motiv der Lohnversprechung keineswegs negativ<br />

konnotiert werden mul3, liefert uns Wolframs Willehalm, als die Mutter Willehalms, Irmschart von<br />

Pavia, résolut in ihrer Bereitschaft, ihren Sohn moralisch und materiell zu unterstutzen, nicht <strong>da</strong>vor<br />

scheut, auf <strong>da</strong>sselbe Motiv zuruckzugreifen: welt ir manliche leben, / so milezet ir lihen und geben,<br />

/ und helfet dem der zuns ist komen, des vlust wie aile han verkomen. (152, 17-20)<br />

73


Thiedriksaga, dichterisch geformt wurde. Das Verdienst des <strong>Nibelungenlied</strong>-<br />

Dichters besteht <strong>da</strong>rin, <strong>da</strong>B er <strong>da</strong>s <strong>da</strong>rin vorhandene abwertende Bild der Hunnen<br />

nicht mechanisch ubernommen, sondern insofern abgewandelt hat, als er die auf<br />

den ersten Blick so présente SchwarzweiBmalerei <strong>im</strong> Rahmen seiner<br />

Darstellungsmõglichkeiten gemieden hat. Von alien Klischees abgesehen nennt<br />

der Erzàhler die hunnischen Krieger <strong>im</strong>merhin degene (1794,1; 1868,4; 1876,2,<br />

usw.), helde (1866,4; 1921,4; 1978,3) Oder recken (1840,1; 1874,2), die <strong>da</strong>s<br />

Gesetz des Gastrechts zu schàtzen wissen (1905). Auch sind nicht allé Hunnen<br />

ungetriuwe, einige werden durchaus mit dem Epitheton vil getriuwer versehen<br />

(1928,3). Es bleibt festztstellen, <strong>da</strong>B all die negativen Handlungen der Hunnen auf<br />

Kriemhilds Rachegier zurùckzufùhren sind, womit sie dàmonisiert wird,<br />

wohingegen <strong>da</strong>s Freundespaar noch starker als Helden einer gerechten Sache<br />

hervortritt.<br />

Dennoch ist Hagen nicht nur seiner Partei, sondern auch Rudiger freundschaftlich<br />

zugeneigt: Zwischen ihrem letzten Gespràch und dem sich annáhernden<br />

ZusammenstoB findet die groBangelegte retardierende Szene von Hagens<br />

Schildbitte, in der seine Humanisierung ihren Hõhepunkt erreichen wird. Als<br />

Wissender erkennt Hagen die Notlage Rudigers, <strong>da</strong>B sich dieser wider seinen<br />

eigenen Willen in einer ausweglosen Situation befindet und den Kampf gegen die<br />

Freunde antreten muB. Hagen schreitet ein und bittet Rudiger, er moge ihm seinen<br />

Schild geben unter dem Vorwand, er habe seinen, den ihm Gotelind geschenkt<br />

hatte, <strong>im</strong> Kampf verloren. Mit dieser allerletzten Gabe wird zweierlei bewirkt:<br />

einerseits láBt Hagen Rudiger seine milte noch einmal walten, womit er seine ere<br />

unter Beweis stellt und sein Gesicht wahrt, die, mit seiner Entscheidung gegen die<br />

Freunde in den Kampf zu Ziehen, in MiBkredit hàtten geraten kónnen. Aus heutiger<br />

Sicht klingt dies gewiB plausibel, <strong>do</strong>ch man muB die Frage stellen, ob die<br />

Burgunden eines solchen Beweises uberhaupt bedurften. Als ob die drei Kõnige<br />

die Verbindlichkeit einer Lehnsbeziehung und der ere nicht genùgend zu schàtzen<br />

wùBten, so wie es Volker einzuschãtzen wuBte. Andererseits dient dièse Geste -<br />

wie Wapnewski richtig bemerkt hat - der eindeutigen Heroisierung Hagens, von<br />

74


dem der Erzàhler pathetisch bemerkt Swie gr<strong>im</strong>me Hagen waere und swie hérté<br />

gemuot, / ja erbârmte <strong>im</strong> diu gâbe ... (2198,1 -2). 120 Er beweist <strong>da</strong>durch, <strong>da</strong>B er zu<br />

seiner Freundschaft steht und <strong>da</strong>B er den Gegner versteht und ihm verzeiht, ohne<br />

je<strong>do</strong>ch dessen ratlosen Seelenkonflikt vom Standpunkt des christlichen Glaubens<br />

zu fassen. Hagen versichert ihm:<br />

JVu Ion ' ich iu der gâbe, vil edel Rùedegêr,<br />

swie halt gein iu gebâren dise recken her,<br />

<strong>da</strong>z n<strong>im</strong>mer iuch gerileret in strife hie mîn hant,<br />

ob ir si aile slùeget die von Búrgónden lant." (2201 )<br />

Damit hat Hagen <strong>da</strong>s Unerhõrte und <strong>da</strong>s Ungeheuerliche ausgesprochen: er stellt<br />

die freundschaftliche triuwe uber die herrschaftliche und verzichtet auf den Kampf<br />

mit dem Freund auch urn den Preis, <strong>da</strong>B seine Herren deswegen mit dem Leben<br />

bezahlen. Es scheint, der Dichter habe mit dieser Verkundung einen<br />

kunstlerischen Ausgleich geschaffen, der die durch Rudigers Konfliktsituation<br />

gestõrte Ordnung wieder herstellt. Peter Wapnewski hat es folgendermaBen<br />

ausgedruckt:<br />

„Rùdiger, Inbild der Freundschaft, Giite, der zart beschenkenden<br />

Liebe, láBt seine Freunde <strong>im</strong> Stich, urn seine Lehnstreue zu halten.<br />

Hagen, Inbild der Vasallitát, der in der unbarmherzígen Hárte<br />

seines Lehnsmannenbegriffs selbst den Mord nicht gescheut natte,<br />

láBt seine Herren <strong>im</strong> Stich, um die Freundestreue zu halten. Dieser<br />

Rollentausch ist wahrlich ein wunderbares und groBartiges Symbol<br />

der Aussòhnbarkeit des <strong>im</strong> Leben gegrùndeten Widerspruchs.<br />

Dièse Helden, jeder der Vertreter eines Treueprinzips, bekunden in<br />

ihrer kontrafaktischen Bezogenheit <strong>da</strong>s Prinzip Treue<br />

schlechthin." 121<br />

Wolf sagt von diesem Kontrast: „dieses gr<strong>im</strong>me wird durch <strong>da</strong>s Erbarmen sent<strong>im</strong>entalisierend<br />

aufgehoben." Vgl. <strong>da</strong>zu Wolf, Alois (Anm.68), S. 236.<br />

121 Wapnewski, Peter, (Anm.107), S. 398.<br />

75


Nicht weniger bedeutend war in dieser Szene die Rolle der burgundischen Kónige,<br />

ohne deren - wenn auch stillschweigender - Zust<strong>im</strong>mung diese<br />

"VerzichtproklamatiorT Hagens nicht mõglich ware. Die burgundische Partei war<br />

dermaBen zusammengeschweiBt, <strong>da</strong>B der Lehnsmann Hagen grenzenloses<br />

Vertrauen seiner Lehnsherren genoG und <strong>da</strong>zu die uneingeschrànkte<br />

Handlungsfreiheit, was bei Rùdiger nicht der Fall war. Die Tatsache, <strong>da</strong>B Gunther<br />

Hagens Entscheidung, die fur seinen jungeren Bruder Gemot den Tod bedeuten<br />

wird, nicht widerspricht, spiegelt auf symbolische Weise den gro(3en<br />

Gemeinschaftssinn des burgundischen Lagers. Hagens Abstention ist hier keine<br />

Félonie, sie ist eine Helden- und Ruhmestat, was gewi'13 einen Kontrast zur<br />

feu<strong>da</strong>lrechtlichen Realitât bildet. 122<br />

122 DaB Rudigers Problem <strong>im</strong> Waltharilied Hagens Problem war, <strong>da</strong>rauf hat Gentry hingewiesen:<br />

„The situation in which he finds h<strong>im</strong>self in the 37th aventiure is not new for Hagen, however. In the<br />

"Waltharius' he was also caught in the conflict between feu<strong>da</strong>l triuwe and friendship. In this work<br />

Hagen and Walther were both hostages at Etzel's court. While there, the two hostages swore an<br />

oath of friendship, Hagen escaped and became Gunther's vassal. Walther and his betrothed,<br />

Hildegund, later fled from Etzel and on their way to Walther's home they passed through Gunther's<br />

land. Gunther learned of their presence and also that they had brought with them a vast treasure<br />

and therefore decided to attack them against the wishes of Hagen. Hagen adhered to his oath of<br />

friendship and refrained from the battle. Only after all Gunther's men have been slain by Walther,<br />

including Hagen's nephew, did Hagen enter the battle. Before he fought, however, he made very<br />

clear to Gunther that he was <strong>do</strong>ing so only because of his ult<strong>im</strong>ate loyalty to h<strong>im</strong>: (...). In the<br />

"Waltharius', then, feu<strong>da</strong>l triuwe takes precedence over friendship although at the end of the<br />

friends are reconciled. The "<strong>Nibelungenlied</strong>' poet has taken this scene and reshaped it." Gentry,<br />

Francis G. (Anm.49), S. 78-79. Daruber hinaus ware ein EinfluR der kulturell-literarischen Situation<br />

76


8. Die triuwe Dietrichs von Bern<br />

Neben Rudiger ist der exilierte Kónig Dietrich von Bern die zweite Gestalt des<br />

<strong>Nibelungenlied</strong>es, die die Forschung bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts<br />

maBgeblich unter dem EinfluB von christlichem Ethos gesehen hat. Mit ihm ist<br />

eine gewaltige Stofftradition „erzahlender Versdichtungen in mittelhochdeutscher<br />

Sprache" 123 verknupft, in denen die Erinnerung an den ostgotischen Herrscher<br />

Theoderich den GroBen (7454-526) lebt. Àhnlich wie der historische<br />

Hunnenherrscher Attila von der eroberungslustigen x GeiBel Gottes' zum uberaus<br />

freigebigen und vorbildlichen Etzel wurde, so formte die Sage Theoderichs<br />

historische Eroberung Italiens in die Vertreibung Dietrichs aus Italien um und<br />

machte aus dem Gewaltherrscher, der sogar vor den kirchlichen Wúrdentrâgern<br />

keinen Halt machte und vermutlich am Tod Papst Johannes des I. mitschuldig war,<br />

den groBen Dulder, den armen Dietrich, der am Hof des Hunnenherrschers<br />

Zuflucht fand. 124 In dieser Eigenschaft tritt Dietrich von Bern <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong> auf,<br />

so wie in weiteren Werken der historischen Dietrichepik.<br />

Die Dietrich-Gestalt des <strong>Nibelungenlied</strong>es hat <strong>im</strong> Laufe der Jahrzehnte die<br />

Aufmerksamkeit etlicher Literaturwissenschaftler auf sich gezogen. DaB er eine<br />

auBerordentlich wichtige Rolle <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong> spielt, die dem sich dem<br />

Untergang <strong>im</strong>mer rasanter nãhernden Handlungsablauf neue Perspektiven<br />

erôffnet, wurde nie bezweifelt. Ùber die Bewertung seiner Handlungen gehen die<br />

Meinungen der Forscher je<strong>do</strong>ch auseinander: Vertreter altérer Generation,<br />

<strong>da</strong>runter Gottfried Weber, Bert Nagel, Karl-Heinz Ihlenburg, haben Dietrich als<br />

urn 1200 annehmbar, denn der Minnesang und der hófische Roman setzten sich zunehmend mit<br />

dem Thema Individuum und Freundschaft auseinander.<br />

,Xi Heinzle, Joach<strong>im</strong>, Einfuhrung in die mittelhochdeutsche Dietrichepik, Berlin: Walter de Gruyter<br />

1999, S. 1.<br />

124 I<br />

Insgesamt zeichnet sich die historische Dietrichepik <strong>da</strong>durch aus, <strong>da</strong>l3 <strong>da</strong>s <strong>da</strong>monische<br />

Dietrichbild aus dem Volksglauben verblaBt zugunsten der Vorstellung vom elenden Dietrich, die<br />

stellvertretend fur <strong>da</strong>s menschliche Elend uberhaupt steht. Dabei ist „Elend nicht nur <strong>im</strong> heutigen<br />

Sinn als ^Bedrangnis, Jammer, Not' (zu) verstehen (...), sondern auch in seiner ursprunglichen<br />

Bedeutung: and. eli-lenti heiBt ja zunàchst so viel wie 'anderes Land', <strong>da</strong>nn auch 'Ausland,<br />

Verbannung, Not' und somit eben auch x Exil'." Vgl. Gschwantler, Otto, „Heldensage als tragoedia.<br />

Zu einem Brief des Domschulmeisters Meinhard an Bischof Gunther von Bamberg", in Zatloukal,<br />

Klaus, 2. Põchlarner Heldenliedgesprach. Die historische Dietrichepik, Wien: Fassbaender, 1992<br />

S. 39-67, hier S. 41.<br />

77


„utopietràchtige" Opposition und Alternative zu heroisch gepràgten Helden<br />

gesehen. 125 Bert Nagel, dessen Argumentation sich groBtenteils auf einen<br />

Gegensatz zwischen Christentum und Heidentum <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong> stùtzt, geht<br />

von einer gerundeten, in sich geschlossenen Dietrich-Gestalt aus, deren Funktion<br />

auf „Verhùtung des Bôsen, auf Schlichtung und Ùberwindung feindlicher<br />

Gegensàtze, auf Gerechtigkeit und Bereinigung <strong>im</strong> Geiste verzeihender Liebe<br />

gerichtet" ist. Als einer, der „weil3, <strong>da</strong>B Rache letztlich keine Lõsung ist, <strong>da</strong>B sie<br />

<strong>im</strong>mer nur neue Schuld hãuft" 126 und der bereit ist, alte Schulden zu verzeihen und<br />

zu vergessen, mag <strong>da</strong>zu verleiten, in Dietrich einen, wenn auch erst gegen Ende<br />

eingefùhrten Repràsentanten des christlichen Ethos (freilich neben Rùdiger) zu<br />

sehen, in dem der sittlich-moralische Aspekt der íríuu;e-Tugend zum Vorschein<br />

kommt. Es stellt sich allerdings die Frage, ob <strong>da</strong>von so wie in der Interpretation<br />

Nagels ausgegangen werden kann.<br />

Karl Heinz Ihlenburg hingegen, wohl unter dem EinfluB seines zeitgenóssischen<br />

ideologischen Zeitgeistes, betrachtet die Figur <strong>im</strong> AnschluB an die Rudiger-Gestalt,<br />

und behauptet, <strong>da</strong>B Dietrich „ùberwindet, woran Hagen und Rùdiger zugrunde<br />

gehen." 127 Auch wenn dies einleuchtend erscheinen mag, ist dem schwer<br />

zuzust<strong>im</strong>men, wenn man bedenkt, <strong>da</strong>B die Positionen der beiden Helden <strong>im</strong><br />

Rahmen ihrer gesellschaftlichen Stellung zu verschieden sind, als <strong>da</strong>B man ihre<br />

Schicksale ùber einen Kamm scheren kõnnte. Sie unterscheiden sich vor allem<br />

<strong>da</strong>durch, <strong>da</strong>B Dietrich Etzels Gast ist und nicht dessen Vasall, so <strong>da</strong>B er es sich als<br />

souveràner (wenn auch exilierter) Herrscher leisten kann, <strong>im</strong> Kampf neutral zu<br />

bleiben. Daher kann von einem seelischen Konflikt, an dem Rùdiger scheitert, bei<br />

Dietrich nicht die Rede sein. 128 Die Ideen Ihlenburgs sind <strong>im</strong> Grunde genommen<br />

Weber, Gottfried, Das <strong>Nibelungenlied</strong>. Problem und Idee, Stuttgart: Metzler, 1963; Nagel, Bert,<br />

„Das Dietrichbild des <strong>Nibelungenlied</strong>es", in ZfdPh 78 (1959), S. 258-268 und ZfdPh 79 (1960), S.<br />

28-57; Ihlenburg, Karl-Heinz, (Anm.30).<br />

126<br />

Nagel, Bert, (Anm.125), S. 48 u. 35.<br />

127<br />

Ihlenburg, Karl Heiz, (Anm.30), S. 130.<br />

128<br />

Einige Literaturwissenschaftler, wie z.B. Wolfgang Spiewok oder Wolfgang Mohr halten je<strong>do</strong>ch<br />

Dietrich fur Etzels Vasall. Otfrid Ehrismann schlàgt indes eine elegantere Losung vor, indem er<br />

Dietrich zwar einen „fùrstlichen Vasall" nennt, von einer lehensrechtlichen Pflicht aber befreit. Vgl,<br />

Ehrismann, Otfrid, „Dietrich oder die Produktivitàt der Trànen - verhinderte Trauerarbeit am<br />

<strong>Nibelungenlied</strong>" in: Diskussion Deutsch 18, Heft 96, Frankfurt am Main: Moritz Diesterweg, 1987, S.<br />

306-320, hier S. 195.<br />

78


vom heutigen Forschungsstandpunkt aus kaum mehr verwertbar, wie z.B. die<br />

Ansicht, Dietrich bringe „die historische Fragwúrdigkeit der Feu<strong>da</strong>lgesetzlichkeit"<br />

zum Ausdruck oder <strong>da</strong>B<br />

„Dietrich von Bern als Symbol der Humanitát inmitten einer Welt,<br />

die der Selbstzerstõrung verfallen ist, (...) mehr als nur ein<br />

gestalterisches Mittel zur Milderung des grausigen Ausgangs<br />

bedeutet. Darin liegt eine Aussage des Dichters iiber seine Zeit.<br />

Nicht den Gestalten wie Hagen, Volker oder Wolfhart gibt der<br />

Dichter die Chance des Ùberlebens, sondem Dietrich von Bern.<br />

Seine Gestalt weist in die Zukunft. Nicht <strong>da</strong>s ehrgeizige Bild des<br />

heroischen Kriegers sammelt am Ende <strong>da</strong>s Licht auf sich, sondem<br />

<strong>da</strong>s zuchtvoll beherrschte, den Frieden erstrebende Bild des<br />

humanen Ritters." 129<br />

In die entgegengesetzte Richtung bewegt sich die Arbeit der jùngst verstorbenen<br />

Wiener Germanistin Blanka Horacek, 130 die anscheinend <strong>da</strong>rauf abzielt, allé<br />

Erkenntnisse und Schlusse Nagels nicht nur in Frage zu stellen, sondern<br />

regelrecht auBer Kraft zu setzen. Sie ráumt mit dem bis <strong>da</strong>hin „verklarten" und<br />

„verhatschelten" 131 Dietrichbild auf, indem sie ihn als einen "Wendehals' diffamiert,<br />

der eigens aus seinem „ichbezogenen Interesse" die Fronten wechselt. Sie wirft<br />

ihm seine verhángnisvolle Untâtigkeit, sein Zógern vor, <strong>da</strong>s an der Grenze zur<br />

Untreue liege und entlarvt seine Konfliktvermeidungsstrategie als „<strong>do</strong>ppelte Moral".<br />

Ferner sieht sie sein Verschulden in der Tatsache, <strong>da</strong>B er sein Wissen nicht<br />

zugunsten einer Verhinderung der sich anbahnenden Katastrophe einsetzt und die<br />

zwei uberlebenden Burgunden, Hagen und Gunther, an ihre Erzfeindin Kriemhild<br />

ausliefert.<br />

Wir haben es demzufolge mit zwei Seiten einer und derselben Mé<strong>da</strong>ille zu tun:<br />

einerseits wird Dietrich von Bern ausdrucklich als rex iustus et pacificus<br />

Ihlenburg, Karl Heiz, (Anm.30), S. 134.<br />

Horacek, Blanka, „Der Charakter Dietrichs von Bern <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong>", in: Birkhan, Helmut<br />

sg.), Festgabe fur Otto Holler, Wien: Braumuller, 1976, S. 297-336.<br />

Ehrismann, Orfrid, (Anm.128), S. 309.<br />

79


geschildert, dessen Beherrschtheit als christliche und ritterliche Tugend klar gegen<br />

<strong>da</strong>s heroische Ethos eines Hagen, Volker oder Wolfhart absticht, andererseits wird<br />

an ihm eben diese Zuruckhaltung getadelt. Da extreme Polarisierungen in ihrer<br />

Undifferenziertheit in der Regel eine suspekte Nuance aufweisen, ist es in solchen<br />

Fallen von Nutzen, <strong>da</strong>s zu analysierende Objekt vor dem Hintergrund des<br />

narrativen Musters und seiner Funktion <strong>da</strong>rin náher zu beleuchten. Diesen Weg<br />

sind Otfrid Ehrismann und Peter Gõhler 132 gegangen, deren Erkenntnisse eine<br />

Kehrtwendung in der polarisierten Dietrich-Forschung gebracht haben, und dies ist<br />

ihnen gelungen, indem sie von grõBtmôglicher Textnàhe ausgehend nach den<br />

Argumentationswegen gesucht haben, die einem durchaus positiven und / oder<br />

negativen Dietrichbild zuwiderliefen, und indem sie eine selektive und<br />

interpolierende Lekture <strong>im</strong> Sinne ihrer Vorgânger mieden.<br />

Àhnlich der Hortforderungsszene aus der 39. âventiure, einer der kontroversesten<br />

Szenen, die in der <strong>Nibelungenlied</strong>-Forschung viel Aufsehen erregt hatte, bleibt<br />

auch die Szene von Dietrichs Ùbergabe von gefangenen Burgunden an Kriemhild<br />

fur die Forschung ein Rátsel. Einen hóchst interessanten Lósungsvorschlag hat<br />

hierzu Ehrismann geliefert, wenn er zu bedenken gibt, <strong>da</strong>f3, obwohl<br />

..Dietrich Kriemhilds Recht auf Rache niemals bestritten hatte, die<br />

Geiseln (...) bei Kriemhild zunàchst sicherer ais bei Etzel wa(e)ren,<br />

<strong>da</strong> Kriemhild nach dem Recht der Zeit die Rache nicht selbst<br />

ausfuhren durfte, wohl aber Etzel, dessen Sohn zwei Tage zuvor<br />

ermordet worden war und der <strong>da</strong>raufhin Kriemhilds Kampf klar<br />

unterstiitzt hatte. Im Begriff der ellenden (2364,4) bindet Dietrich<br />

Kriemhild, die sich bei den Hunnen nie he<strong>im</strong>isch gefuhlt hatte,<br />

Gunther, Hagen und sich selbst gegen Etzel zusammen." 133<br />

Dabei <strong>da</strong>rf man keineswegs vergessen, wie spárlich <strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong> die<br />

Reflexionen und die inneren Einstellungen seiner Protagonisten preisgibt. Der<br />

132 Ehrismann, Otfrid, (Anm.128) u. Góhler, Peter, „Die Funktion der Dietrichfigur <strong>im</strong><br />

'<strong>Nibelungenlied</strong>'. Zu metho<strong>do</strong>logischen Problemen der Analyse", in Zatloukal, Klaus (Hrsg.), (1992),<br />

S. 25-38.<br />

133 Ehrismann, Otfrid, (Anm.128), S. 316.<br />

80


Erzáhler deutet zwar sporadisch die Mõglichkeiten an, die der Katastrophe eine<br />

andere Richtung hàtten geben kõnnen; die heroische Haltung, die allé in den<br />

Untergang treibt, wird vom Erzáhler also <strong>do</strong>ch problematisiert, ihre Alternativen<br />

allerdings von den Figuren in den Wind geschlagen. Die Ursache hierfur mag, urn<br />

mit Walter Haug zu sprechen, in Erzàhlmustern der heldenepischen Tradition<br />

liegen, bzw. in den Gesetzlichkeiten, nach denen die heldenepischen Figuren<br />

agieren und der heldenepische Stoff geformt wird. Diese Erzáhlmuster oder -<br />

strukturen sind die literarische Schicht, die <strong>da</strong>s fragmentarische, auf historischen<br />

Fakten grùndende "Substrat' ûberlagern und in einen sinnvollen<br />

Erzàhlzusammenhang bringen. Aller Kritik zum Trotz, <strong>da</strong>l3 die Haugschen<br />

"poetologische Universalien' zu „eigenstandig, eigengesetzlich und<br />

eigendynamisch" seien, die dem Dichter kaum autonomen Spielraum<br />

ubriglassen, 134 bleibt festzuhalten, <strong>da</strong>l3, Strukturen hin oder her, die ubergeordnete<br />

Finalitát des Handlungsfortgangs, die ihn best<strong>im</strong>mt und nach der er sich richten<br />

muB, sich <strong>do</strong>ch letztendlich durchsetzt. Im Falle des <strong>Nibelungenlied</strong>es ist es die<br />

Ùberlieferung, die den Dichter fesselt und an der er nicht vorbei kann: Hagen und<br />

Gunther sind <strong>da</strong>zu verurteilt, in Kriemhilds Hãnden ihr Ende zu finden.<br />

Wenn man die Stellen <strong>im</strong> Text, wo die Dietrichfigur entweder vom Erzáhler erwàhnt<br />

wird oder selbst zu Wort kommt, genauer untersucht, wird man zum Ergebnis<br />

kommen, <strong>da</strong>(3 sie nicht anders als die meisten Akteure des <strong>Nibelungenlied</strong>es von<br />

Ambivalenz gepràgt ist. Nur beiláufig eingefúhrt, <strong>im</strong> Rahmen von Kriemhilds<br />

feierlicher Begegnung mit Etzel und seinem Gefolge (1347,1), wird Dietrichs<br />

Prãsenz vom Erzáhler nicht explizit erlàutert. So ist die Annahme gerechtfertigt,<br />

<strong>da</strong>B <strong>da</strong>s Publikum mit der Gestalt des exilierten Kõnigs bereits vertraut war. Seit<br />

der Ankunft der Burgunden am Hof Etzels profiliert sich Dietrich allerdings durch<br />

seine spezifische Haltung: er macht die Burgunden mit Kriemhilds Gesinnung<br />

bekannt und warnt sie <strong>da</strong>vor (1723-1724; 1729-1730); seinen Gefolgsleuten<br />

134 Vgl. Rezension zu Haugs Strukturen als Schlussel zur Welt. Kleine Schriften zur Erzàhlliteratur<br />

des Mittelalters von Knapp, Fritz Peter in ZfdA 122 (1993), S. 82-87; auch Klaus von See àuBert<br />

sich kritisch gegenuber dem Begriff 'literarische Schemata' und fragt sich „woher (...) diese frei<br />

verfúgbaren Schemata herangeflogen sein (sollen und) auf welche Weise (....) sie entstanden sein<br />

sollen." Von der „Gesetzlichkeit" und „Mechanik" der Schemata sei stàndig die Rede, und man sei<br />

81


verbietet er ausdrùcklich jegliche Teilnahme am Turnier (1874), <strong>da</strong> er eine<br />

Eskalation von zunàchst friedlichen Reitspielen befurchtet; er lehnt Kriemhilds<br />

Gebot ab, ihr bei der Verwirklichung ihrer Rachepláne behilflich zu sein (1900 und<br />

1984), und entfernt <strong>da</strong>nn, als die Burgunden ihm und seinen amelungischen<br />

Kriegern den Abzug gewàhren, <strong>do</strong>ch <strong>da</strong>s Herrscherpaar aus dem<br />

Kampfgeschehen. Obwohl er die Burgunden als Freunde behandelt, wahrt er<br />

Hagens provokativer Rede (1725) gegenùber Distanz: „Die Sîfrides wunden lâzen<br />

wir nu stên" (1726,1). Er tritt weder fur die Partei der Gaste noch fur die<br />

Rachepláne Kriemhilds ein. Dennoch: als Kriemhild in eine Notlage geràt, zeigt er<br />

sich hilfsbereit, auch wenn er, selbst unbewaffnet urn sein Leben bangen muB:<br />

„Wie sol ich iu gehelfen (...) nu sorge ich umbe mich" (1984,1-2). Indem er<br />

Kriemhild und Etzel aus dem Saal entfernt, rettet er sie aus dem zu eskalieren<br />

drohenden Kampf und bringt die beiden in Sicherheit. Daraus làBt sich schlieBen,<br />

<strong>da</strong>B Dietrich zunàchst nach dem Recht (oder auch manchen Interpreten zufolge<br />

nach dem Lehensrecht) handelt, denn er gibt nicht der freundschaftlichen Bindung<br />

mit den Burgunden den Vorrang, sondem der legalen, herrschaftlichen zu Kônig<br />

Etzel. 135 Einerseits gelten seine Warnung an die Burgunden (ist iu niht bekant? /<br />

Kriemhild noch sêre weinet den helt von Nibelunge lant. [1724,3-4]) und sein<br />

Be<strong>da</strong>uern, <strong>da</strong>B sie nicht frùher von Rudiger gewarnt worden sind als Ausdruck<br />

freundschafticher Verbundenheit, die, eine Strophe spàter (1726) in unterkuhlte<br />

und distanzierte Reaktion auf Hagens „Si mac wol lange weinen (...) / er lit vor<br />

manigem jure ze tôde erslagene (1725,1-2) in Anerkennung der Rachepflicht<br />

umschlàgt, die, juristisch gesehen, auch nach manigem jâre nicht verjàhrt. Nach<br />

dem Recht handeln oder zumindest versuchen, Unrecht zu verhindern, kõnnte als<br />

Richtlinie definiert werden, nach der sich Dietrichs von Bern Handeln <strong>im</strong><br />

<strong>Nibelungenlied</strong> richtet. Auch die Episode von der Geiselnahme gehòrt <strong>da</strong>zu: sie<br />

war, nach den ungeschriebenen Verhaltensregeln <strong>da</strong>maliger Zeit, eine gàngige<br />

Stratégie, Leben zu schonen, die eine bessere Behandlung zur Folge hatte als<br />

schon froh, in dieser papiernen Welt einmal <strong>da</strong>s Wort „Vasallenthematik" zu hóren, urn wieder an<br />

historische Wirklichkeit erinnert zu werden. Vgl., von See, Klaus, (Anm.20), S. 26.<br />

135 Ehrismanns Feststellung, Hagen nutze die alte Bindung, um den màchtigen Fursten (Dietrich)<br />

auf die Seite seiner Kónige zu Ziehen, ist <strong>im</strong> Text m.E. nicht explizit nachweisbar.<br />

82


dies <strong>im</strong> Falle der Gefangenschaft war. Zur Erinnerung: Hagen war als Geisel am<br />

Hunnenhof aufgewachsen (1756), Kriemhild hátte gerne Hagen als Geisel von<br />

ihren Brudern erzwungen (2104) - und ihnen somit <strong>da</strong>s Leben gerettet (freilich<br />

nach der mittelalterlichen Praxis nur nachdem sie nâch der suone mit disen helden,<br />

die hie sint (2104,4) sien beraten natte) -, auch Gunther natte lángst zuvor<br />

unzáhlige Geiseln aus dem Sachsenkrieg an seinen Hof in Worms gebracht (238).<br />

Daher ist die Annahme, Dietrich wechsle mit der Geiselnahme die Front und stelle<br />

sich an die Seite Kriemhilds, nicht gerechtfertigt. Es ist eher anzunehmen - und<br />

dies belegen die Worte Dietrichs (2337,2-4) - <strong>da</strong>B er Gunther und Hagen in bester<br />

Absicht die Chance geben wollte, am Leben zu bleiben, die allerdings durch<br />

Hagens klischeehaften Starrsinn und Kriemhilds Hort-Forderung zum Scheitern<br />

verurteilt wurde.<br />

Peter Gõhler 136 hat <strong>da</strong>rauf hingewiesen, <strong>da</strong>B die Dietrichgestalt von einer gewiBen<br />

Diskontinuitát geprágt wird, was einer ganzen Reihe sich teilweise<br />

widersprechenden Interpretationen seines ohnehin vielschichtigen Charakters<br />

zweifelsohne zugute kommt. So ist er nicht <strong>im</strong>mer <strong>do</strong>rt pràsent, wo man ihn dem<br />

Handlungsverlauf nach hàtte erwarten kõnnen, wie beispielsweise be<strong>im</strong><br />

spannungsbeladenen Messebesuch oder be<strong>im</strong> Turnierzwischenfall, wo <strong>do</strong>ch seine<br />

Náhe zum Austragungsort kurz vorher erwãhnt wird. So werden wir mit einer<br />

bruchstùckhaften Dietrichfigur konfrontiert, deren Position in entscheidenden<br />

Momenten nicht <strong>im</strong>mer klar zu werten ist. Vor allem sein Nichteingreifen, als<br />

Rùdiger zu scheitern droht, ist befremdlich, <strong>da</strong> er mit diesem nicht nur<br />

freundschaftlich eng verbunden, sondern auch verwandt ist (2314,3).<br />

Mõglicherweise hat ihn seine Funktion <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong> <strong>da</strong>ran gehindert, die<br />

mehr als bei anderen in ihrer ásthetischen Eigenart ge<strong>da</strong>cht ist und nicht so sehr<br />

als Handlungstràger oder einer, der eine Wende des poetischen Konzepts hàtte<br />

herbeifùhren konnen, nach dem sich der <strong>Nibelungenlied</strong>-D\ch\er richtete. Vielleicht<br />

ist dièse einzigartige Gestalt, die am Ende des Epos sich gegen <strong>da</strong>s blinde<br />

Abschlachten des Gegners ausspricht, um <strong>da</strong>nn <strong>do</strong>ch die kaltblùtige Enthauptung<br />

der letzten zwei ùberlebenden burgundischen Krieger in die Wege zu leiten, eine<br />

136 Gohler, Peter, (Anm.132).<br />

83


einzige groBangelegte „abgewiesene Alternative", die nicht in <strong>da</strong>s Konzept paBte.<br />

Seine <strong>im</strong> christlichen Sinne aufgefaBte friuu;e-Vorstellung von der Schonung des<br />

Gegners, die ihm so manche Forscher nachgesagt hatten, erweist sich als<br />

perspektivlos in einer Welt, wo <strong>da</strong>s heroische Ethos tief verwurzelt ist. Die Figur<br />

des Helden von Bern trágt zwar zur „Vielschichtigkeit der Darstellung, die Raum fur<br />

distanzierte Betrachtung der Ereignisse und der Akteure lãBt", 137 bei, vermag aber<br />

<strong>da</strong>s grausige Ende, an dem die Figur des Helden von Bern selbst teiln<strong>im</strong>mt, nicht<br />

abzuwenden.<br />

Góhler, Peter, (Anm.132), S. 38.<br />

84


9- triuwe in der Minne<br />

Im Gegensatz zu den drei bisher erorterten triuwe-Arten, die, je nach der<br />

gesellschaftlichen Gruppenbindungen, fur deren Erhalt und Funktionsfáhigkeit sie<br />

sorgen, herrschaftliche, verwandtschaftliche und genossenschaftliche triuwe<br />

genannt werden, kennt die mittelalterliche Literatur eine weitere, vierte triuwe-Art,<br />

die sich von den ersten drei pr<strong>im</strong>ar <strong>da</strong>durch unterscheidet, <strong>da</strong>G sie in weit<br />

breiterem MaBe die Nuance des moralisch Gebotenen in sich tragi: es ist die<br />

triuwe zwischen Mann und Frau. Diese Art von triuwe beschrànkt sich<br />

gattungsgemaB auf den hófischen Roman (insbesondere n<strong>im</strong>mt sie in den<br />

Romanen Wolframs von Eschenbach einen hohen Stellenwert ein) und den<br />

Minnesang, wo sie, zwar mit unterschiedlichen Akzentuierungen, sozusagen<br />

zivilisierende Wirkung ausubt. Im heldenepischen Muster hingegen spielt sie keine<br />

bedeutende Rolle, <strong>da</strong> Heldenepen insgesamt <strong>da</strong>s Individuum durch <strong>da</strong>s Prisma<br />

des Kollektiven handeln lassen und dem Subjektiv-lndividuellen per se wenig<br />

Aufmerksamkeit widmen.<br />

Das <strong>Nibelungenlied</strong> ist ein einzigartig strukturiertes Heldenepos, in dem <strong>da</strong>s<br />

„Reckenhafte" der Vólkerwanderungszeit und <strong>da</strong>s zeitgenõssische hõfische Ideal<br />

sich in merkwurdiger und nicht <strong>im</strong>mer gelungener Weise vermischen und <strong>da</strong>s<br />

demzufolge kein Heldenepos <strong>im</strong> engeren Sinne ist. Wahrend <strong>da</strong>s heldenepische<br />

Prinzip auf den kollektiv-gultigen Mechanismen beruht, fokussiert <strong>da</strong>s hõfische<br />

Prinzip <strong>da</strong>s Individuum in seiner Subjektivitát. Diese beiden Prinzipien lassen sich<br />

<strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong> <strong>im</strong> Falle Kriemhilds am deutlichsten erkennen. Kriemhild ist die<br />

einzige Gestalt <strong>im</strong> Epos, deren innere Subjektivitát thematisiert und zur Sprache<br />

gebracht wird, womit sie „zur ersten Gestalt in der mittelalterlichen Literatur (wird),<br />

die ihre persónliche Erfahrung als ihr Schicksal ann<strong>im</strong>mt und ihr Leben individuell<br />

entwirft", wie Haug in seinem Aufsatz „Montage und Individualitàt <strong>im</strong><br />

<strong>Nibelungenlied</strong>" 8 konstatiert hat. Allen stofflichen Bindungen an die alte<br />

Heldensage zum Trotz, ist die Kriemhild-Gestalt - wenn man von der religiõsen<br />

Komponente absieht - der einer Sigune, Herzeloyde, Enite oder Gyburc weit<br />

138 Haug, Walter, (Anm. 94).<br />

85


ãhnlicher angelegt ais dies <strong>im</strong> Vergleich zu der rachedurstigen Gudrun der<br />

nordischen Sagen der Fali ist. Doch âhnlich den Figuren Hagens und Dietrichs ist<br />

auch die Kriemhilds durch ihre Widerspruchlichkeit geprágt, die am besten an ihrer<br />

triuwe zu Siegfried ablesbar ist.<br />

Ais sie gleich am Anfang ais eine auGerordentlich schóne Frau vorgestellt wird, die<br />

den Tod vieler Helden herbeifùhrt, werden wir mit ihrer musterhaften hõfischen<br />

Existenz am Wormser Hof vertraut gemacht. Kurz <strong>da</strong>rauf beginnt Kriemhild je<strong>do</strong>ch<br />

Signale zu entsenden, <strong>da</strong>(3 sie eine Eigenstãndigkeit besitzt, die sie vom Rahmen<br />

ihrer hõfischen Umwelt abhebt und die sich <strong>im</strong> Laufe des Geschehens <strong>im</strong>mer<br />

ausgepràgter gestalten wird. Vorerst zeigt sich dies in ihrer Weigerung, die minne<br />

eines Ritters anzunehmen, wohl <strong>im</strong> BewuBtsein <strong>da</strong>z ich von mannes minne sol<br />

gewinnen <strong>im</strong>mer nôt" (15,4), spáter wird es ihre triuwe Siegfried gegenùber sein,<br />

die, wenn nicht die einzige, <strong>da</strong>nn zumindest die eigentliche Triebkraft sein wird. 139<br />

Doch ist Kriemhilds triuwe, die erst nach dem Tod Siegfrieds zu ihrer vollen<br />

Entfaltung kommt, von dem stereotypen Verhalten von Witwen, so wie es die<br />

mittelhochdeutsche Epik <strong>da</strong>rstellt, grundverschieden. An dieser Stelle kann <strong>da</strong>rauf<br />

verzichtet werden, dièse Zusammenhànge nàher zu beleuchten, <strong>da</strong> die<br />

altgermanistische Forschung sich <strong>da</strong>rum bereits bemùht und aile wesentlichen<br />

Aspekte in dem Zusammenhang herausgearbeitet hat. 140 Stattdessen werde ich zu<br />

zeigen versuchen, wie Kriemhild den eigenen Schmerz und <strong>da</strong>s eigene Leid als<br />

neuen MaBstab des Todeszeremoniells setzt und sowohl die Regie der Klage als<br />

auch der Rache eigenhãndig ùbern<strong>im</strong>mt.<br />

Zwischen der ersten, 'privaten' Phase der Klage (1005-1025) und der zweiten,<br />

õffentlichen (1036-1072) befinden sich zehn Strophen, die <strong>da</strong>s traditionelle Thema<br />

der Blutrache in Dialog-Form zwischen Kriemhild und ihrem Schwiegervater<br />

139<br />

In dieser scheinbaren Widerspruchlichkeit erkannte Theo<strong>do</strong>re M. Andersson eine Erzáhltechnik<br />

des Dichters, die <strong>da</strong>rin besteht, <strong>da</strong>B er einzelne Elemente aus der Brunhild-Tradition auf die<br />

Kriemhild-Handlung Cibertrãgt. So entsteht der Eindruck, best<strong>im</strong>mte Erzàhlmuster wie <strong>da</strong>s der<br />

Brautwerbung oder der tuckischen Einladung werden wiederholt. Auch diese anfângliche<br />

Ehefeindlichkeit Kriemhilds sei Andersson zufolge bei Brunhild zu suchen. Vgl., Andersson,<br />

Theodeore M., "The Legend of Brynhild", (Islandica 43), Ithaca: Cornell University Press, 1980.<br />

Ich weise auf den am International Symposium vom 27.10.2002 vorgelegten Beitrag John<br />

Greenfields „Frau, Tod und Trauer <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong>: Ûberlegungen zu Kriemhilt" hin. In<br />

Greenfield, John (Hrsg.), Das <strong>Nibelungenlied</strong>. Actas <strong>do</strong> S<strong>im</strong>pósio Internacional 27 de Outubro de<br />

2000, Facul<strong>da</strong>de de Letras <strong>da</strong> Universi<strong>da</strong>de <strong>do</strong> Porto, 2001, S. 95-114.<br />

86


Siegmund ansprechen. Damit ist die rechtliche D<strong>im</strong>ension des Epos beruhrt. Fur<br />

<strong>da</strong>s Verstàndnis von Kriemhiids triuwe sind diese zehn Strophen von<br />

auBerordentlicher Bedeutung, einerseits weil Rache fur den Tod eines Verwandten<br />

eine unwiderrufliche Pflicht der Familienangehórigen zur Wiederherstellung der<br />

allgemeinen Gerechtigkeit war und andererseits, weil Kriemhiids Handeln diesem<br />

durch Jahrhunderte hinweg etablierten Gesetz ihre auf ihrer persõnlichen Minne<br />

grùndende Auffassung des Rechts aufzwingt und so seine Ausfuhrung verhindert.<br />

Siegfrieds Leute reagieren zunáchst erwartungsgemàB, indem sie nach sofortiger<br />

Rache fur ihren ermordeten Herrn verlangen: „in sol <strong>im</strong>mer rechen mit willen<br />

unser hant. er ist in dirre biirge, der iz hât getân." dô îlten nâch den wâfen alie<br />

Sîfrides man (1027,2-4). An zahlreichen Stellen <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong> findet man<br />

dieses heldenepische Topos: ais Siegfried die Herren vom Nibelungenland<br />

Schilbung und Nibelung liquidiert, schwõrt ihr Kammerer Alberich unverzugliche<br />

Rache (96,3), sogar der todverwundete Siegfried hátte sich an seinen Mordem<br />

gern geràcht, wenn er <strong>da</strong>zu in der Lage gewesen ware (985,4). Else hàtte an<br />

seinen Lehnsmann und Bruder Gelfrat Rache genommen (1614,3) und am Hof zu<br />

Gran, nachdem Etzel gerade noch die Rache der hunnischen Krieger fur ihren von<br />

Volker erstochenen Genossen abzuwenden vermochte, lost ein Racheakt den<br />

anderen ab: ais Blõdel Dankwart bezùglich des Mordes an Siegfried mit dem<br />

Hinweis ermahnt, <strong>da</strong>B sein Racheverlangen vóllig legit<strong>im</strong> sei, auch wenn es gegen<br />

ihn als Hagens nàchsten Verwandten gerichtet sei, erschlàgt ihn Dankwart<br />

kurzerhand, worauf in der náchsten âventiure, ais Reaktion auf Dankwarts maere<br />

ùber den Ùberfall der Hunnen, Hagen <strong>da</strong>s Schwert zûckt und Kriemhiids und<br />

Etzels Sohn enthauptet. DaB Kriemhild mit dem Thema Rache nicht <strong>im</strong>pulsiv,<br />

sondern planvoll und umsichtig umgeht, macht ihre Einzigartigkeit und 'Modernitát'<br />

(wie auch <strong>im</strong>mer dieser Begriff fur die Epoche klingen mag) <strong>im</strong> Rahmen des<br />

Heldenepischen aus: sie fugt sich in die Welt des hófischen Ethos und baut<br />

gleichzeitig eine innerliche Sphere auf, in der sie ihre he<strong>im</strong>lichen Plane schmiedet.<br />

Doch kehren wir zu den Rachegesprâchen der 17. âventiure zurúck: Kriemhild<br />

besànftigt <strong>da</strong>s Racheverlangen des nach dem heldenepischen Muster handelnden<br />

87


Siegmund und unterbreitet ihm stattdessen einen zweckrationalen und<br />

strategischen Vorschlag:<br />

Si sprach: „herre Sigemunt, ir suit iz lâzen stân,<br />

unz ez sich baz gefiiege: sô wil ich mînen man<br />

<strong>im</strong>mer mit iu rechen. der mir in hât benomen,<br />

wird' ich des bewîset, ich sol <strong>im</strong> schàdelîche komen. (1033) 141<br />

Damit bricht Kriemhild mit einer langjàhrigen erzàhlerischen Tradition: sie hinder!<br />

Siegfrieds nâchsten Verwandten, seinen Vater namlich, seinem Sohn die<br />

verwandtschaftliche triuwe zu erweisen, indem sie ihm, unter dem Vorwand eine<br />

bessere Gelegenheit abzuwarten, ihre persõnliche Minne-triuwe aufzwingt und<br />

spãter die Rache selbst in die Hand n<strong>im</strong>mt. Bemerkenswert ist auBerdem, wie <strong>da</strong>s<br />

<strong>Nibelungenlied</strong> mit der anderen íríuiue-Pflicht, nàmlich mit der der Rache<br />

vorausgehenden Konvention des Mitklagens, verfáhrt: wáhrend Kriemhild die<br />

Racheplanung auf sich n<strong>im</strong>mt, ubern<strong>im</strong>mt Siegmund die Pflicht vom helfen klagen:<br />

er ist es, und nicht Kriemhild, der nach rituellen Vorgaben die Leiche umfaBt und in<br />

den SchoB legt. 142 Das heiBt, <strong>da</strong>B <strong>da</strong>s von Kriemhild angeordnete Klageprotokoll<br />

<strong>da</strong>s legit<strong>im</strong>e (wenn auch aussichtslose) Racheverlangen unterbindet und einen<br />

heroischen Trauerúberschwang, wie er uns am Ende des Epos begegnet, der die<br />

Gewalt nur anspornen wurde, verhindert. AuBerdem durften am wuof nur die<br />

getriuwen teilnehmen, die Kriemhild, unterstutzt durch die Bahrprobe, nach ihrem<br />

eigenen Ermessen selbst <strong>da</strong>zu ernannt hat. Kriemhilds eigene Gestik hingegen, in<br />

Ohnmacht fallen (1009,1), Schreien (1009,4), Blutweinen (1010,2), sowie der<br />

Es sei auf die frappante Àhnlichkeit zwischen den Strophen 1034 und 1767 hingewiesen: wie sie<br />

<strong>da</strong>mais in Worms die Gefolgsleute Siegfrieds vor der Úberlegenheit der Burgunden gewarnt hat,<br />

mahnt Kriemhild auch diesmal ihr hunnisches Gefolge <strong>da</strong>zu, sich nicht unvorbereitet in den Kampf<br />

zu sturzen.<br />

42 Gegen Ende begegnet uns eine àhnlich angelegte Szene, ais der alte Hildebrandt seinen tódlich<br />

verwundeten neven Wolfhart in dessen eigenem Blute liegen sieht: er beslôz mit armen den recken<br />

Men unde guot (2299,4). Dieses Ritual wird ublicherweise durch <strong>da</strong>s Wegschleppen des Toten /<br />

Verwundeten von dem Kampfplatz und <strong>da</strong>s heldisch-archaische Element des Hinbringens zur<br />

Grabstatte begleitet, was Hildebrandt allerdings nicht zustande bringen kann: Er wolde'n ûzem<br />

hûse mit <strong>im</strong> tragen <strong>da</strong>n: / er was ein teil ze swaere, er muose in lîgen lân. Auch Wolfram bedient<br />

sich in seinem Willehalm dieser ^type-scene', ais der Markgraf von Orange seinen toten Neffen<br />

88


Selbstfluch (1056,3) - ist zwar dem Trauerritual verpflichtet, halt sich allerdings in<br />

Grenzen der Minnegebârden, die keine (ubrigens vom Sachsenspiegel<br />

vorgeschriebene) Exzesse wie Selbstverwundung, Hànderingen und Sich-Haare-<br />

Raufen aufweisen. 143<br />

Von diesem Zeitpunkt an wird Kriemhild ihr ganzes Tun und all ihre Krâfte nur<br />

diesem einen Ziel unterordnen. An dieser Stelle fángt gleichzeitig ihre<br />

Vereinsamung an. Aus ihrer individuellen Minne-triuwe entfaltet sich nach und<br />

nach eine Art „autoritare" triuwe, die <strong>da</strong>s Mitgefuhl der anderen miBachtet und<br />

sogar gegen die Etikette verstoBt. Und von nun an wird sie nur eines vor Augen<br />

haben: Rache nehmen fur <strong>da</strong>s angetane leit, ungeachtet dessen, wie lange es bis<br />

zum richtigen Augenblick <strong>da</strong>uern wird und welche Mittel zu diesem Zweck zum<br />

Einsatz kommen werden. 144 Abgesehen von der Reaktion, die die blo(3e<br />

Vorstellung einer sich ràchenden Frau auslõsen kõnnte, 145 handelt Kriemhild hier<br />

Vivianz auf <strong>da</strong>s Pferd hebt, um ihn wenig spáter notgedrungen wieder auf der StraBe liegen zu<br />

lassen.<br />

Eine gelungene und hõchst lesenswerte Darstellung von Kriemhilds Klage-Gebàrden liefert<br />

Urban Kusters in seinem Aufsatz: „Klagefiguren. Vom hófischen Umgang mi der Trauer", in Kaiser,<br />

Gert (Hrsg.), An den Grenzen hõfischer Kultur. Anfechtungen der Lebensordnung in der deutschen<br />

Erzàhldichtung des hohen Mittelalters, Munchen: Wilhelm Fink, 1991, S. 9-75.<br />

In diesem Zusammenhang hat Otfrid Ehrismann anlaBlich seines diesjàhrigen Vortrages „Von<br />

der Kanalisierung der Emotionalitàt <strong>im</strong> N <strong>Nibelungenlied</strong>'" an der Facul<strong>da</strong>de de Letras der Universitát<br />

Porto aus Wilhelm Grònbechs Kultur und Religion der Germanen (1909) zitiert: „Sie (die Rache)<br />

spannt ihre Untenehmungslust beinahe uber die Kraft, macht, <strong>da</strong>B sie sich starker, mutiger fuhlen.<br />

Aber sie lehrt sie auch warten, sich besinnen, berechnen; jahraus und jahrein kann ein Mann<br />

warten und wàgen, alie seine Plane <strong>da</strong>rauf einstellen, die flùchtigste Gelegenheit fur eine<br />

Ehrenabrechnung zu ergreifen; ja sogar seine tàglichen Verrichtungen in der Wirtschaft, wenn er<br />

sein Heu und sein Vieh besorgt, werden so zurechtgelegt, <strong>da</strong>B er <strong>im</strong>mer nach den Wegen<br />

Ausschau halten und jeden Augenblick sehen kann, ob der erwúnschte Mann vorùberreiten sollte.<br />

Die Rache lehrt ihn, mit Zeit und Raum wie mit Kleinigkeiten zu rechnen. Er wird von der<br />

Erinnerung durch die Zeit getragen, und er kann uber Land und Meer getrieben werden von einem<br />

Ziel, <strong>da</strong>s er vor sich sieht. (...) Die Rache hebt ihn empor und verklàrt ihn. Sie hebt ihn nicht nur,<br />

sondem hàlt ihn schwebend, láBt ihn auf einer hõheren Ebene fortleben. Die kann geschehen, weil<br />

<strong>da</strong>s Verlangen nach Genugtuung nicht nur die erhabenste von alien Empfindungen ist, sondem<br />

zugleich die alltâglichste, die allgemeinste menschliche. Welche Unterschiede sonst zwischen<br />

Menschen auch bestanden, in einem begegneten sie sich: sie muBten, sollten und konnten nicht<br />

anders ais Genugtuung suchen. (...) In dem Strafenden wie in dem Rachgierigen kreisen alie<br />

Ge<strong>da</strong>nken um jenen anderen, um <strong>da</strong>s, was mit ihm geschehen soil, ob er richtig und fuhlbar<br />

getroffen werden kann. Der Ràcher <strong>da</strong>gegen hat <strong>da</strong>s Zentrum seiner Ge<strong>da</strong>nken in sich selbst. Es<br />

kommt alies <strong>da</strong>rauf an, was er tut, nicht, was der andere leidet. Der Ràcher holt etwas. Er n<strong>im</strong>mt<br />

Rache."<br />

Die Ausfùhrung der Rache von Hand einer Frau war nach mittelalterlichem Recht strikt<br />

unzulàBig und ais literarisches Motiv mit groBer Wahrscheinlichkeit ais hõchst irritierend empfunden<br />

worden. Einsichten hierùber liefern u.a. Hartmann von Aue in seinem Iwein, ais er Lunete von ihrer<br />

Herrin Laudine sagen láBt, <strong>da</strong>z mín vrouwe ein wíp ist, / und <strong>da</strong>z si sich niht gerechen mac (3128-<br />

89


nicht anders ais es vor ihr Siegfried und Hagen getan haben: auch sie wird<br />

hinterlistig auf die VerlàGlichkeit der Zeichen setzen, die triuwe signalisieren, um<br />

die triuwe Siegfried gegenuber bis zu ihrem bitteren Ende auszutragen, auch<br />

wenn <strong>da</strong>bei die elementare triuwe unter den Verwandten und die soziale<br />

Harmonie in Schutt und Asche gelegt werden.<br />

Dennoch endet der erste Teil mit einem ausdrucklichen Hinweis auf die triuwe<br />

ihrem toten Gemahl gegenuber:<br />

Nâch Sîfrides tôde, <strong>da</strong>z ist alwar,<br />

si wonte in manigem sêre driuzehenjâr,<br />

<strong>da</strong>z si des recken tôdes vergezzen kunde niht.<br />

si was <strong>im</strong> getriuwe, des ir diu meiste menige giht. (1142)<br />

Dieser Sachverhalt wird in der 20. âventiure sogar intensiviert, als Kriemhild den in<br />

Etzels Namen werbenden Rudiger empfangt, was die Strophen 1228 und 1259 am<br />

eindeutigsten belegen. Von der 21. âventiure an treten je<strong>do</strong>ch andersartig<br />

angelegte Erzàhlmuster auf, die den Dichter <strong>da</strong>zu zwangen, sich starker an<br />

heldenepischen Strukturen zu orientieren. Das hat unter anderem zu<br />

Feststellungen gefuhrt, auf die bereits hingewiesen worden ist, nàmlich, <strong>da</strong>l3 die<br />

Kriemhild des zweiten Teils die Rolle Hagens aus dem ersten Teil ubernehme,<br />

je<strong>do</strong>ch mit einem gravierenden Unterschied: wãhrend Hagen von Anfang an seine<br />

heroische Position entscheidend vertritt und die hõfische Konvention als Mittel der<br />

Versõhnung kategorisch ablehnt, bedient Kriemhild sich nun der hõfischen Norm,<br />

allerdings nicht zum Zwecke der Aussõhnung oder Kanalisierung der durch die all<br />

die Jahre des Trauerns aufgestauten Energien, sondern als Tarnung fur ihr <strong>im</strong><br />

Grunde heroisch motiviertes Anliegen. Dies <strong>im</strong>pliziert, <strong>da</strong>G es bei dieser Gestalt<br />

gleichzeitig eine individuelle, innerliche sowie eine nach auBen gerichtete Sphàre<br />

gibt, die am deutlichsten in der 23. âventiure nebeneinander auftreten.<br />

3129) und Gottfried von StraBburg in seinem Tristan-Roman, als Mutter-Isolde ihre Tochter <strong>da</strong>von<br />

abzuhalten gedenkt, sich eigenhàndig am Morder ihres Onkels zu ràchen: Nu gie diu kilniginne, /<br />

ir muoter, zuo den tilren in: / „wie nû?" sprach sî,"waz sol diz sin? / tohter, waz tiutest dû hie<br />

mite?/sint diz schoene vrouwen site?/hâstu dînen sin verlorn?/ weder ist diz sch<strong>im</strong>pfoder zorn?<br />

/ waz sol <strong>da</strong>z swert in dîner hant?" (10166-10173).<br />

90


Die 23. âventiure ist insofern von Bedeutung, als sich <strong>da</strong>rin Kriemhilds Wunsche,<br />

Ùberlegungen, Erinnerungen, innerer Monolog, Traum und Wirklichkeit in<br />

befremdlicher Weise verflechten. Im BewuBtsein an die wieder gewonnene<br />

Machtposition ais Kõnigin des Hunnenreiches (1391,1), die ihr die Ausfuhrung ihrer<br />

Rachepláne ermõglichen wurde, evoziert Kriemhild ihre einstige Position, ihr leit,<br />

und <strong>im</strong> Traum vermiBt sie Giselher, ihren jungsten Bruder. Die Ebene des<br />

UnbewuBten schurt je<strong>do</strong>ch den bewuBten Rachewunsch erneut und der Ge<strong>da</strong>nke<br />

an suone flustert ihr ein, ihre Verwandten einzuladen und so mittelbar auch die<br />

Prásenz Hagens innerhalb ihres Machtbereichs, an Etzels Hof also, zu bewirken.<br />

Das bedeutet, <strong>da</strong>B der Wunsch, den vermiBten Verwandten zu sehen, als Vorwand<br />

verwendet wird, urn den Racheplan zu verwirklichen. DaB der Dichter selbst den<br />

bloBen Ge<strong>da</strong>nken an eine mõgliche Rache innerhalb der Verwandtschaft als<br />

hóchst irritierend empfand, belegt die Wendung der ùbel valant (1394,1), mit der<br />

ein ùbermàchtiger ùberpersonaler Instigator gemeint ist, der solch widrige<br />

Ge<strong>da</strong>nken ùberhaupt zulàBt: Ich waene der ùbel valant Kriemhilde <strong>da</strong>z geriet, /<br />

<strong>da</strong>z sie sich mit friuntschefte von Gunthere schiet, / den si durch suone kuste in<br />

Burgonden lant (1394,1-3). Das Problem liegt allerdings nicht nur in der<br />

tùckischen Einladung, sondern auch in der MiBachtung des auf rechtsverbindliche<br />

Weise durch suone gewonnenen und mit VersõhnungskuB (osculum pads)<br />

besiegelten Sippenfriedens, ùber den Kriemhild sich rùcksichtslos hinwegsetzt. Die<br />

Rechnung geht auf, weil die drei Kõnige ihrer Schwester arglos vertrauen und auf<br />

Hagens Rat ausnahmsweise nicht hóren. Es ist die durch suone wiederhergestellte<br />

triuwe, auf die die Brùder setzen und die sie zum Etzelhof ziehen láBt und es ist<br />

die herrschaftliche triuwe Hagens, die ihn <strong>da</strong>ran hindert, sie allein reisen zu<br />

lassen, und es ist wiederum die herrschaftliche triuwe Hagen gegenùber, die sie<br />

spãter aile in den Tod treiben wird. Die dichte Verkettung und Verflechtung von<br />

fnuiue-Bindungen innerhalb des Personenverbands, die ihm Ùberlebensfâhigkeit<br />

und stabilen Hait gewàhren sollen, wird ab absurdum gefùhrt bis die<br />

selbstverstàndliche und verbindliche Ordnung auf dem Scheiterhaufen endet und<br />

fast keiner mehr am Leben ist.<br />

91


Es ist intéressant zu beobachten, wie Kriemhild nach der Ankunft der Burgunden<br />

am Etzel-Hof in einer „Abfolge von Feindseligkeiten, die <strong>da</strong>nn in Kàmpfe<br />

ûbergehen, wobei <strong>da</strong>s Ganze konsequent (...) von einem spannungsschaffenden<br />

Prinzip beherrscht ist", 146 ihre hõfische Maske ablegt und ihre wahre Absichten<br />

unverhohlen zum Ausdruck bringt und wie dièse gegen Hagens heroische (und<br />

sichtlich humanisierte) Gesinnung prallen. Ùber Hagens Position als Volkers und<br />

Rùdigers vriunt wurde bereits gesprochen. Im rein heroischen GrundriB des<br />

zweiten Teils verliert Kriemhilds Subjektivitàt je<strong>do</strong>ch nach und nach ihre einstigen<br />

Zùge und ihre triuwe zu Siegfried, die bereits in der 17. âventiure zumindest<br />

ansatzweise als MaBstab ihres Handelns galt, wird wáhrend des Gemetzels zum<br />

allgemeinen Gesetz. Ihr ursprùnglicher, nur auf Hagen gerichteter Rachewunsch<br />

entpuppt sich zu einem Moloch, dessen Hunger auf neue Opfer unstillbar ist. 147<br />

Trotz der archaischen Zutaten, die <strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong> zu bieten hat, weist es auch<br />

manche fur seine Entstehungszeit moderne Themen auf, wenngleich der Begriff<br />

"modern' in diesem Zusammenhang bedenklich erscheinen mag. Das Moderne<br />

besteht <strong>da</strong>rin, <strong>da</strong>(3 der Dichter neben des sturen heldenepischen Ethos der<br />

Vasallitàt die Minne unter der //ep-Zezf-Thematik ansprach, einem Thema, <strong>da</strong>s sich<br />

seinerzeit <strong>im</strong> hõfischen Roman und <strong>im</strong> Minnesang groBer Beliebtheit erfreute,<br />

je<strong>do</strong>ch in der Gattung der heldenepischen Dichtung hõchst unùblich war. Dièse oft<br />

befremdlich wirkende Mischung aus Elementen der Sagentradition und den<br />

Neuerungen, die am deutlichsten in der Gestalt Kriemhilds nebeneinander<br />

konkurrieren, mag nicht selten fur Verwirrung gesorgt haben: dies ist am<br />

Wolf, Alois, „<strong>Nibelungenlied</strong> - Chanson de geste - hòfischer Roman. Zur Problematik der<br />

Verschriftlichung der deutschen Nibelungensagen", in Knapp, Fritz Peter (Hrsg.), (1987), S. 171-<br />

201, hier S. 193-194.<br />

Etliche Forscher haben in diesem Zusammenhang auf die analoge Situation <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong><br />

und Wolframs Willehalm hingewiesen: der Einzelne macht sein Schicksal zum Schicksal aller mit<br />

dem Unterschied, <strong>da</strong>B <strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong> insgesamt nur vereinzelt ùber die Schuldfrage reflektiert<br />

und <strong>da</strong>s Prinzip Hoffnung <strong>im</strong> heilsgeschichtlichen Sinne ùberhaupt nicht und <strong>im</strong> profanen nur<br />

bedingt kennt. Die Sippen-trïuwe, die <strong>im</strong> Willehalm an ebenso hoher Stelle rangiert wie die <strong>im</strong><br />

<strong>Nibelungenlied</strong>, kann sich bei Wolfram letzten Endes als siegreich erweisen, weil sie sich vom<br />

Bekenntnis zum Christentum speist, wáhrend <strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong> ohne dièse religiose Konnotation<br />

auskommt. Eine weitere Parallèle zwischen den beiden Werken besteht <strong>da</strong>rin, <strong>da</strong>B weder <strong>im</strong><br />

<strong>Nibelungenlied</strong> noch <strong>im</strong> Willehalm die feindselig gegenùberstehenden Parteien klar getrennt sind<br />

(wie beispielsweise <strong>im</strong> Rolandslied Heiden und Christen), sondem <strong>da</strong>B in den beiden Epen die<br />

Kàmpfe zwangsweise in <strong>da</strong>s Lager von Verwandten und Freunden mit ail der <strong>da</strong>zugehórenden<br />

Tragik eingreifen.<br />

92


háufigsten am Beispiel der Hortfrage erórtert worden, ais nàmlich Kriemhild in der<br />

39. âventiure, ihren Erzfeind Hagen endlich in ihrer Gewalt, ihm sozusagen ein<br />

Tauschgeschàft vorschlàgt: "welt ir mir geben widere, <strong>da</strong>z ir mir habt genomen, /<br />

sô muget ir noch wol lebende he<strong>im</strong> zen Burgonden komen" (2367,3-4). Nun <strong>im</strong><br />

<strong>Nibelungenlied</strong>, in dem die Goldgier durch die Rachsucht deutlich abgeschwácht<br />

wurde und wo Kriemhild uber Jahre hinweg nur úber die Rache fur die Ermordung<br />

ihres geliebten Siegfried sinnt, kommt dieses Motiv gegen alie Logik vor, denn es<br />

zeigt Kriemhild, die bereit ist, den Erzfeind Hagen am Leben zu lassen, <strong>im</strong> Falle<br />

<strong>da</strong>B er ihr ihren <strong>da</strong>mais entwendeten Hort aushàndigt. Ich móchte auf die z.T. sehr<br />

kontroversen Meinungen, die hierùber in der Forschung herrschen, nur hinweisen,<br />

ohne sie an dieser Stelle einzeln anzufuhren, <strong>da</strong> dies bereits getan wurde. 148 Trotz<br />

der Mangel, die die Hortforderungsszene der 39. âventiure aufweist (und gleich<br />

am Anfang wurde betont, wie wenig sich die rein logischen MaBstàbe fur die<br />

Deutung des <strong>Nibelungenlied</strong>es eigentlich eignen), scheint es mir, <strong>da</strong>B sie eher<br />

erzàhltechnisch als handlungslogisch angelegt war: wahrscheinlich wollte der<br />

Dichter noch einmal den Eid aufnehmen, den Hagen mit seinen Herren in der<br />

Strophe 1140 schwor, <strong>da</strong>B solange einer von ihnen noch lebte, keiner den Ort<br />

preisgeben wurde, wo der Schatz verborgen blieb. Stellvertretend fur all die<br />

vorherigen Eidesleistungen, die kontextbedingt <strong>da</strong>s Gegenteil hervorgebracht<br />

haben von dem, wofur sie ursprunglich eingestanden sind, entzieht sich auch<br />

dieser vor Jahren geleistete Eid selbst den Boden, diesmal je<strong>do</strong>ch wegen der<br />

strikten Einhaltung desselben: so kommt es <strong>da</strong>zu, <strong>da</strong>B Hagen, der Inbegriff des<br />

treuen Vasallen, seinen eigenen Herrn in den Tod schickt. Daraus ergibt sich, <strong>da</strong>B<br />

<strong>da</strong>s Heldenepos <strong>Nibelungenlied</strong> der genaue Gegensatz dessen ist, was die<br />

gesamte erste Phase der Rezeption, seit Anfang des 19. Jahrhunderts bis 1939<br />

vertreten hat, <strong>da</strong>B es námlich ein Hohelied der deutschen Treue sei.<br />

Vgl. <strong>da</strong>zu mehr Heinzle, Joach<strong>im</strong>, (Anm.13), S. 257-276.<br />

93


10. Zusammenfassung<br />

Betrachtet man den Umfang der Seiten, die jeweils den vier Aden der triuwe-<br />

Bindungen gewidmet sind, rein quantitativ, (wobei die herrschaftlichen und die<br />

verwandtschaftlichen Bindungen aus den bereits erórterten Grunden in ein Kapitel<br />

zusammenfallen), kommt man zu dem Ergebnis, <strong>da</strong>G <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong> die beiden<br />

Arten der Bindungen in entsprechend breiterem Ma3e fur den Handlungsablauf<br />

von Bedeutung sind als die genossenschaftliche und die triuwe in der Minne. Im<br />

<strong>Nibelungenlied</strong> bewahrt sie generell ihren alien, aus dem spátantiken<br />

Gefolgschaftswesen ubernommenen, sekulár verankerten Rechtscharakter, wird<br />

je<strong>do</strong>ch vom anonymen Verfasser - <strong>im</strong> Rahmen seiner Mõglichkeiten und soweit es<br />

der traditionsreiche Stoff ihm erlaubte - vor dem Hintergrund der zeitgenõssischen<br />

Zríuu;e-Konflikte problematisiert. Das <strong>da</strong>mais relativ neue triuwe-\dea\, <strong>da</strong>s<br />

einerseits dem Minnesang und andererseits den groBen Werken Wolframs oder<br />

Hartmanns seine besondere und unverkennbare Pràgung gab, vermochte auf <strong>da</strong>s<br />

<strong>Nibelungenlied</strong> wegen den anders angelegten gattungsbedingten Dispositionen,<br />

die es vom hõfischen Ritterroman.unterschieden, keinen entscheidenden EinfluB<br />

ausùben. Zwar ùbern<strong>im</strong>mt der Dichter die Zeif-Zzep-Thematik und bindet sie in die<br />

Kriemhild-Handlung ein, <strong>do</strong>ch eine Aufrechterhaltung derselben scheitert an den<br />

erzàhltechnischen Zwángen der Heldenepik, die <strong>im</strong> zweiten Teil des Epos die<br />

hõfische Fassade zunàchst brõckeln lassen, um sie gegen Ende endgùltig<br />

abzureiBen.<br />

Dieses Ergebnis bedeutet, <strong>da</strong>l3 die triuwe <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong> zunàchst mit den<br />

lehnsrechtlichen Bindungen zusammenhángt, was, <strong>im</strong> Hinblick auf <strong>da</strong>s <strong>im</strong><br />

Abschnitt 2.1. Dargelegte, eigentlich keine neue Erkenntnis ist. Wàhrend die erste<br />

Rezeptionsphase des <strong>Nibelungenlied</strong>es bis 1939 dem friuwe-Begriff seinen<br />

mittelalterlichen Kontext absprach und seine matérielle Seite vernachlâssigte, um<br />

ihn als germanische Tugend rein moralischen Charakters zu deuten, 149 verlagerte<br />

AuBerdem hat ein betontes Interesse an Sagen und Mythen als Vorstufen des <strong>Nibelungenlied</strong>es<br />

entscheidend <strong>da</strong>zu beigetragen, <strong>da</strong>G <strong>da</strong>s mittelhochdeutsche Epos erneut in ein, nun politisches<br />

Mythos, umgemùnzt wurde. DaB die Entstehung von Mythen, und insbesondere von Mythen, die<br />

sich nach den jeweiligen politischen Konstallationen richten, mittels S<strong>im</strong>plifizierung erfolgt,' hat<br />

94


die altgermanistische Forschung der Nachkriegszeit die Frage um die Rolle der<br />

triuwe <strong>im</strong> Epos in den Bereich der psychologisierenden und moraltheologischen<br />

Spekulationen. Die gegenwàrtige Forschung hingegen baut ihre Thesen weiter aus<br />

und zwar ausgehend von Untersuchungsansatzen, die den<br />

literaturwissenschaftlichen Rahmen sprengen und interdisziplinàr in die<br />

Geschichtswissenschaft hineingreifen. Dennoch ist es nicht mehr die<br />

Gesellschaftsgeschichte, die als Ausgangspunkt fur die <strong>Nibelungenlied</strong>-<br />

Interpretation einiger ostdeutscher Altgermanisten diente, sondern die bereits<br />

erwáhnte historische Anthropologie, die sich <strong>im</strong> Spannungsfeld zwischen<br />

Geschichte und Humanwissenschaften bewegt.<br />

Diese zunehmend stàrkere Annãherung zwischen der anthropologischen und der<br />

historischen Forschung hat zu einer relativ neuen Art historischen Erkennens<br />

gefuhrt, die sich bemuht, eine objektivistische historische Wissenschaft einerseits<br />

und ahistorische kultur-anthropologische Konstanten andererseits in Frage zu<br />

stellen, um einen umfassenden Blick auf den Menschen und seine Geschichte zu<br />

werfen. Die mediavistische Literaturwissenschaft hat dies erkannt und die neue<br />

Forschungsrichtung fur ihre Zwecke zu nutzen gesucht. Die bis in den 70er Jahren<br />

ublichen Interpretationstendenzen wurden nach und nach uberwunden und <strong>da</strong>s<br />

Interesse der Forscher begann sich von den ubergreifenden makrogeschichtlichen<br />

und psychologisierenden Realitáten nach kleineren Wirklichkeitsausschnitten, der<br />

sog. Innenseite der Gesellschaft, zu richten. Dadurch gerieten soziale Phénomène<br />

verstãrkt ins Blickfeld, <strong>da</strong>runter geschlechts- und generationsbedingte Spezifika,<br />

soziale Gruppierungen aber auch Rituale, Bràuche, symbolische Handlungen und<br />

Herrschaftsformen.<br />

Auch die mittelalterliche triuwe, die <strong>im</strong> gesamten mittelalterlichen Tugendsystem<br />

am stàrksten in sozialer Wirklichkeit verankerte Tugend, war demnach ein<br />

Phànomen mit seinem spezifischen, durch die jeweilige Kultur und Epoche<br />

bedingten Ausdruck. Die genaue Beobachtung und Beschreibung der Formen ihrer<br />

Herfired Munkler in seinem Aufsatz „Siegfrieden - Politische Mythen um <strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong>"<br />

gezeigt. Damit je<strong>do</strong>ch eine solene S<strong>im</strong>plifizierung entstehen kann, mussen folgende drei Muster am<br />

Werke sein: die Kontingenzreduktion, die Komplexitàtsreduktion und die Loyalitãtenreduktion. Mehr<br />

95


Austragung, unterstùtzt durch zeitgenõssische Texte nichtliterarischen Charakters<br />

und die Erkenntnisse der historischen Wissenschaft, ermõglichen es, die Rolle von<br />

triuwe <strong>im</strong> gesellschaftlichen Alltag genauer abzuschàtzen. Besonders wichtig ist<br />

zu bedenken, <strong>da</strong>8, wenn man sich der Analyse eines solchen Begriffes anhand<br />

eines literarischen Textes wie dem <strong>Nibelungenlied</strong> widmet, man auf eine<br />

konstruierte, fiktionale Welt stóBt, die nur teilweise mit der sog. historischen<br />

Wirklichkeit zusammenfãllt. Es gilt ais Regel in der Literatur, <strong>da</strong>B <strong>da</strong>s, was zur<br />

Sprache gebracht wird, <strong>da</strong>s eigentlich Besondere ist, in dessen Hintergrund <strong>da</strong>s<br />

Gewõhnliche und demnach weniger Erzàhlenswerte steht. Es gehórt mittlerweile<br />

zu einer der unabdingbaren Voraussetzungen, zwischen diesen zwei Strukturen zu<br />

unterscheiden, wenn es um die Analyse eines mittelalterlichen Textes geht, auch<br />

wenn es hin und wieder àuBerst problematisch ist, sie voneinander klar<br />

abzugrenzen. Mit dieser Arbeit sollte triuwe <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong> so stark wie<br />

móglich aus dem makrogeschichtlichen Kontext entfernt werden und vor den<br />

Aspekt der historischen Anthropologie gestellt und nàher beleuchtet werden. Das<br />

heiBt, anstatt sie gemáB der bisherigen Praxis lediglich zu konstatieren, wurden<br />

ihre Austragungsformen innerhalb von unterschiedlichen zeitgenóssischen<br />

Gruppierungen beschrieben, wobei der Schwerpunkt auf performativen Akten als<br />

einem festen Bestandteil der mittelalterlichen Kommunikation lag. Wir konnten<br />

beobachten, wie unbegrenzt <strong>da</strong>s Vertrauen des mittelalterlichen Menschen in<br />

ritualisierte Verhaltensweisen war, die triuwe signalisierten, aber auch die<br />

Bereitschaft, dièse fur unterschiedliche Zwecke zu miBbrauchen; aus triuwe auf<br />

Konfrontationskurs zu gehen, aber auch die Waffen ruhen zu lassen. Inwieweit der<br />

<strong>Nibelungenlied</strong>-Autor mit seinem Werk auf Erwartungen seiner Zuhõrer einging<br />

Oder welche Reaktionen <strong>da</strong>s Epos bei ihnen ausgelóst haben mag, ist heute nicht<br />

mehr zu rekonstruieren. Dafur aber kónnen wir behaupten, <strong>da</strong>B er, indem er uns,<br />

die modernen Leser, lediglich mit Konsequenzen von Entscheidungen konfrontiert<br />

und die innere Motivationsstruktur der Gestalten fast vóllig ausspart, auffordert,<br />

diese Entscheidungen kritisch zu ûberprùfen und uber die ungeschriebenen<br />

<strong>da</strong>zu und zum Terminus ^bricolage' vgl. Munkler, Herfried, „Siegfrieden - politische Mythen um <strong>da</strong>s<br />

<strong>Nibelungenlied</strong>", in Bónnen, Gerold und Galle, Volker (Hrsg.), (1999), S. 141-157.<br />

96


'Spielregeln' nachzudenken, die den Handlungsverlauf so und nicht auf alternative<br />

Wege gelenkt hatten.


ABKÙRZUNGEN<br />

ABàG - Amster<strong>da</strong>mer Beitráge zur ãlteren Germanistik<br />

DWB - Deutsches Wórterbuch<br />

GRM - Germanisch-Romanische Monatsschrift<br />

MLR - Modem Language Review<br />

PBB - Beitráge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur<br />

WW - Wirkendes Wort<br />

ZfdA - Zeitschrift fur deutsches Altertum<br />

ZfdPh - Zeitschrift fur deutsche Philologie


1. Mittelalterliche Texte<br />

LITERATURVERZEICHNIS<br />

- Das <strong>Nibelungenlied</strong>, nach dem Text von Karl Bartsch und Helmut de<br />

Boor, ins Neuhochdeutsche ubersetzt und kommentiert von Siegfried<br />

Grosse, Stuttgart: Philipp Reclam jun. Verlag, 2001.<br />

- Gottfried von StraBburg, Tristan, nach dem Text von Friedrich Ranke,<br />

neu herausgegeben, ins Neuhochdeutsche ubersetzt, mit einem<br />

Stellenkommentar und einem Nachwort von Rudiger Krohn, Stuttgart:<br />

Philipp Reclam Jun., 2001.<br />

- Hartmann von Aue, Iwein, 4., uberarbeitete Auflage, Text der siebenten<br />

Ausgabe von G. F. Benecke, K. Lachmann und L. Wolff, Ùbersetzung<br />

und Nachwort von Thomas Cramer, Berlin: Walter de Gruyter, 2001.<br />

- Macchiavelli, Nicolò, // Principe, Online <strong>im</strong> Internet: URL:<br />

http://www.fausernet.novara.it/fauser/biblio/index007.htm [Stand:<br />

24.09.2004].<br />

- Wolfram von Eschenbach, Willehalm, Text der Ausgabe von Werner<br />

Schroder, vóllig neu bearbeitete Ùbersetzung, Vorwort und Register von<br />

Dieter Kartschoke, Berlin: Walter de Gruyter, 1989.<br />

2. Wissenschaftliche Publikationen:<br />

- Althoff, Gerd, „Der frieden-, bundnis- und gemeinschaftsstiftende<br />

Charakter des Mahles <strong>im</strong> fruhen Mittelalter", in Bitsch, Irmgard et allii<br />

(Hrsg.), Essen und Trinken in Mittelalter und Neuzeit, Sigmaringen: Jan<br />

Thorbecke, 1987, S. 13-25.<br />

- Althoff, Gerd, „Gloria et nomen perpetuum. Wodurch wurde man <strong>im</strong><br />

Mittelalter beruhmt?", in Althoff, Gerd et allii (Hrsg.), Person und<br />

99


Gemeinschaft <strong>im</strong> Mittelalter. Karl Schmid zum funfundsechzigsten<br />

Geburtstag, Sigmaringen: Jan Thorbecke, S. 297-313.<br />

- Althoff, Gerd, Verwandte, Freunde und Getreue. Zum politischen<br />

Stellenwert der Gruppenbindungen <strong>im</strong> fruheren Mittelalter, Darmstadt:<br />

Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1990.<br />

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- Althoff, Gerd, „Das <strong>Nibelungenlied</strong> und die Spielregeln der Gesellschaft<br />

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Mord und die Klage. Das <strong>Nibelungenlied</strong> und die Kulturen der Gewalt.<br />

Dokumentation des 4. Symposiums der <strong>Nibelungenlied</strong>gesellschaft<br />

Worms e.V. vom 11. bis 13. Oktober2002, Worms: Verlag Stadtarchiv,<br />

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Gerold und Galle, Volker (Hrsg.), Der Mord und die Klage. Das<br />

<strong>Nibelungenlied</strong> und die Kulturen der Gewalt. Dokumentation des 4.<br />

Symposiums der <strong>Nibelungenlied</strong>gesellschaft Worms e. V. vom 11. bis 13.<br />

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die Klage. Das <strong>Nibelungenlied</strong> und die Kulturen der Gewalt.<br />

Dokumentation des 4. Symposiums der <strong>Nibelungenlied</strong>gesellschaft<br />

Worms e.V. vom 11. bis 13. Oktober 2002, Worms: Verlag Stadtarchiv,<br />

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Mord und die Klage. Das <strong>Nibelungenlied</strong> und die Kulturen der Gewalt.<br />

Dokumentation des 4. Symposiums der <strong>Nibelungenlied</strong>gesellschaft<br />

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- Wolf, Alois, ..<strong>Nibelungenlied</strong> - Chanson de geste - hõfischer Roman. Zur<br />

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Geschichte, Struktur und Gattung, Heidelberg: Carl Winter, 1987, S.<br />

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