Triuwe im Nibelungenlied - Repositório Aberto da Universidade do ...
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FACULDADE DE LETRAS<br />
DA UNIVERSIDADE DO PORTO<br />
DISSERTAÇÃO DE MESTRADO<br />
<strong>Triuwe</strong> <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong><br />
apresenta<strong>da</strong> por:<br />
Katarina Miric Ribeiro<br />
Porto, 2004
INHALT<br />
0. Vorbemerkung 1<br />
1. triuwe - Die Wortgeschichte 1<br />
2. Rezeptionsgeschichte - Einleitung 6<br />
2.1. Rezeption und Wirkung 8<br />
2.1.1. Rezeption und Wirkung bis 1939 (Isolierende Rezeption) 10<br />
2.1.2. Nachkriegsforschungen (Konstruierende / interpolierende<br />
Rezeption) 15<br />
3. triuwe <strong>im</strong> Lichte historischer Anthropologie 22<br />
4. Metho<strong>do</strong>logisches 24<br />
5. triuwe <strong>im</strong> Lehnswesen 28<br />
5.1. Der Personenverband(sstaat) 32<br />
6. Herrschaftliche und verwandtschaftliche Bindungen 38<br />
7. Genossenschaftliche Bindungen 70<br />
8. Die triuwe Dietrichs von Bern 77<br />
9. triuwe in der Minne 85<br />
10. Zusammenfassung 94<br />
Abkurzungsverzeichnis 98<br />
Literaturverzeichnis 99
Vorbemerkung:<br />
Jahrzehntelang lastete auf der triuwe <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong> die bedruckende<br />
Hypothek, die die wáhrend des 19. Jahrhunderts bis hin zum Zusammenbruch<br />
des Dritten Reiches kontinuierlich anwachsende national(istisch)e Idéologie,<br />
unterstùtzt durch <strong>da</strong>s geringe Interesse der germanistischen Mediávistik am<br />
Bedeutungsreichtum des insgesamt schmalen Vokabulars des<br />
Mittelhochdeutschen, dem Begriff vermacht hatte. In der vorliegenden Arbeit<br />
wird es in erster Linie <strong>da</strong>rum gehen, am Beispiel des <strong>Nibelungenlied</strong>es die<br />
Relevanz und die Verbindlichkeit der triuwe innerhalb des mittelalterlichen<br />
Wertesystems aufzuzeigen mit besonderer Berucksichtigung ihrer<br />
Manipulierbarkeit, sowohl <strong>im</strong> mittelalterlichen Kontext als auch durch die<br />
begeisterte <strong>Nibelungenlied</strong>-Rezeption. Doch bevor die Rezeptionsgeschichte<br />
náher ausgelegt wird, scheint es angebracht, einen Blick auf die<br />
morphologische und semantische Geschichte der triuwe zu werfen, urn<br />
anschlieBend ein besseres Verstãndnis aufzubringen fur die teilweise<br />
kontroversen Deutungen, die die Nibelungen-Forschung hervorgebracht hat.<br />
1. triuwe - Die Wortgeschichte<br />
Auf die facettenreiche Schwingungsbreite des friuwe-Begriffs ist vielerorts<br />
hingewiesen worden. Im Gegensatz zu anderen groBen Werken des hohen<br />
Mittelalters, mit denen <strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong> in einem Zug genannt wird, scheint es,<br />
<strong>da</strong>B in dem Epos dieser Begriff nur sparsam verwendet wird. Zu zeigen, <strong>da</strong>B ihm<br />
trotzdem eine besondere Bedeutung zukommt, wird u.a. <strong>da</strong>s Ziel dieser Arbeit<br />
sein.<br />
Den relativ schmalen Wortschatz des Mittelhochdeutschen charakterisiert generell<br />
ein hoher Grad an Allgemeinheit. Dem schlieBt sich durch die<br />
Bedeutungszerlegung in einzelne und voneinander manchmal võllig unabhángige<br />
Lexeme, so wie es der Eintrag in Wórterbúcher zwangsláufig nach sich zieht, der<br />
Eindruck der Sinnentlehrung an. Daher ist es sinnvoll, die Entstehungsgeschichte<br />
des Begriffes genau zu betrachten, denn nur indem „<strong>da</strong>s ZusammenflieBen der<br />
verschiedenen Bedeutungsbereiche, die der Begriff <strong>im</strong> Verlauf seiner Geschichte<br />
1
in sich aufn<strong>im</strong>mt" 1 in vollem Umfang erfaBt wird, macht die Entzifferung seiner<br />
gesamten Sinnfulle, die sich in der Literatur um 1200 entfaltet, mõglich.<br />
Ethymologisch geht die Entwicklung des mittelhochdeutschen Femininabstraktums<br />
triuwe und seiner Entsprechungen in anderen germanischen Sprachen auf die<br />
in<strong>do</strong>europáische Urform *dereu zuruck, der die Bedeutung v Holz', "Eiche'<br />
zugeschrieben wird. Die gotische Variante dieser Form lautet *triu, in der<br />
Bedeutung 'Baum, Stamm, Holz', aus der sich, infolge der nordischen<br />
Doppelbildung, die Form *triggw-a, <strong>im</strong> Sinne von 'treu' entwickelte. 2 Die<br />
ethymologische Verwandtschaft der beiden Begriffe triu (Baum, Holz, Stamm) und<br />
triggw-a (treu) ist nicht nur aus ihrer Phonetik und Morphologie ablesbar, auch<br />
ihre Bedeutungsgeschichten sind eng miteinander verbunden. Dieser<br />
Zusammenhang basiert auf der gemeinsamen Urbedeutung, die sich <strong>im</strong> Kontext<br />
von '(baum)stark, hart, test, <strong>da</strong>uernd' bewegt. Eine ErschlieBung der<br />
Wortbedeutung aus der vorliterarischer Zeit gestaltet sich je<strong>do</strong>ch <strong>im</strong>mer<br />
problematisch und es ist deshalb keine Seltenheit, <strong>da</strong>B die Worthistoriographen in<br />
ihren Untersuchungen zu võllig entgegengesetzten Ergebnissen kommen. Ulrich<br />
Pretzel behauptet beispielsweise, <strong>da</strong>s Wort hàtte, ehe es in den deutschen<br />
Sprachdenkmàlern Eingang gefunden hatte, schon den ersten Abschnitt seiner<br />
Bedeutungsgeschichte hinter sich und gibt in der Bedeutungsentwickung von<br />
triuwe dem Konkreten vor dem Abstrakten den Vorrang:<br />
„die bedeutungsentwicklung hat sich also, grob gesehen, von dem<br />
begriff einer concreten handlung zu dem abstracteren des<br />
verhaltens, schlieszlich des wesens eines menschen entwickelt,<br />
und neben den relativen gebrauch tritt, zumal in mhd., als <strong>im</strong>mer<br />
entscheidender die verwendung des wortes als eines allgemeinen<br />
tugendbegriffs. vorher aber ubern<strong>im</strong>mt <strong>da</strong>s wort (nicht nur <strong>im</strong><br />
deutschen) noch in anlehnung an die altere concretere bedeutung<br />
1 Kraft, Karl-Friedrich O., Iweins triuwe. Zu Ethos und Form der Aventiurenfolge in Hartmanns<br />
Iwein. Eine Interpretation, Amster<strong>da</strong>m: Ro<strong>do</strong>pi, 1979, S. 38.<br />
2 Die hier folgende Auslegung beruht zum gròBten Teil auf der ausfûhrlichen Arbeit Ulrich Pretzels<br />
zum Lexem Treue' aus dem Gr<strong>im</strong>mschen Wórterbuch (Gr<strong>im</strong>m, Jakob und Wilhelm, Deutsches<br />
2
in geistlicher spháre eine besondere funktion, die bis zu Luther hin<br />
lebendig bleibt: es tritt neben glaube auf <strong>da</strong>s gleiche 'wortfeld'." 3<br />
Ausgehend von der Tatsache, <strong>da</strong>B <strong>da</strong>s gothische *triggw-a fur 'Bund, Vertrag'<br />
stand, widerspricht Helga Albrand in ihrer Studie Untersuchungen uber<br />
Sinnbereich und Bedeutungsgeschichte von and. triuwa und mhd. triuwe bis<br />
einschlieBlich Hartmann von Aue (1964) dieser Ansicht Pretzels und meint, der<br />
àlteren Stufe liege mit groBer Wahrscheinlichkeit eine abstrakte Bedeutung <strong>im</strong><br />
Sinne von Testigkeit, zuverlássiges Verhalten aufgrund eines Vertages' zugrunde.<br />
Demzufolge wurde also die konkrete Bedeutung von "Bund, Vertrag', dessen<br />
„dingliche Sachverhalte, die auf der ursprùnglichen abstrakten Bedeutung beruhen<br />
und die zum eigentlichen Sinngehalt der Bezeichung wurden" 4 erst einer spáteren<br />
Bedeutungsstufe angehõren. In den spãrlichen Belegen der althochdeutschen Zeit<br />
ist sie nachweisbar und zwar <strong>im</strong> Bereich der Rechtssprache, wo sie ein rechtlich<br />
wirksames und verbindliches Bindungsverhàltnis bezeichnet, <strong>da</strong>s die<br />
Vertragsparteien eingehen. In diesem Zusammenhang bezog sich die ahd. triuwa<br />
nicht auf die persõnliche Tugend der Zuverlãssigkeit, sondem bezeichnete<br />
lediglich die Verhaltensweise, die zur rechtmaBigen Erfùllung des Vertrages<br />
fuhrte. 5 Der Eindruck je<strong>do</strong>ch, den solch ein Verhalten erweckte, d.h. <strong>da</strong>s<br />
Vertrauen, <strong>da</strong>s aus einem solchen Verhàltnis entstand, durchdrang so sehr die<br />
konkrete Bedetung des Begriffs, <strong>da</strong>B man fortan mit zwei Seiten des Begriffs zu<br />
tun hat: einer vertragsrechtlichen und einer moralischen. Die Vorstellung eines<br />
gegenseitigen Bundnisses wird indessen ausgeweitet, und eine weitere<br />
Konnotation erobert <strong>da</strong>s Bedeutungsfeld: <strong>da</strong>s Verhàltnis von Person zu Person <strong>im</strong><br />
Allgemeinen, wobei die semantische Fárbung von zuverlássigem Handeln, dem<br />
Befolgen und Erfullen von eingegangenen Verpflichtungen, von Aufrichtigkeit,<br />
Gewissenhaftigkeit und Uneigennutzigkeit, ob auf rechtmaBiger oder rein<br />
Wõrterbuch, Leipzig:Hirzel, Sp. 282-342), sowie auf Krafts Kapitel N Zu Geschichte und Sinnbereich<br />
des Begriffs' aus seiner Studie zu Iwein.<br />
3 Pretzel, Ulrich, (Anm.2), Sp. 286.<br />
4 Albrand, Helga, apud. Kraft, Karl-Friedrich O., (Anm.1), S. 39.<br />
5 Ich weise auf die entgegengesetzte Meinung Pretzels hin, <strong>da</strong>B bereits „<strong>im</strong> althochdeutschen (...)<br />
<strong>da</strong>s wort in den geistlichen bereich ruckt, manchmal bis zu scheinbarer synon<strong>im</strong>itât mit galauba<br />
und galaubo, (...)", (Anm.2), Sp. 286.<br />
3
zwischenmenschlicher Ebene, <strong>da</strong>s Wort in alien seinen Bedeutungsnuancen<br />
prágen wird.<br />
Auch die ersten christlich gefárbten Belege von triuwa/triuwe bezeichneten<br />
zunáchst <strong>da</strong>s Verhàltnis Gottes zu den Menschen und der Menschen zu Gott<br />
generell ais ein Verhàltnis, <strong>da</strong>s einerseits <strong>im</strong> Sinne von "fides Dei' auf der „Treue<br />
und Wahrhaftigkeit Gottes" beruht, „die ihn veranlaBt, seine VerheiBungen zu<br />
erfullen" und andererseits <strong>im</strong> Sinne von "tides' des Menschen, in dem „weniger die<br />
Clberzeugung von der Heilswahrheit (...) als vielmehr eine (...) umgreifende<br />
Einstellung zu den Geboten Gottes" 6 zàhlt. Diese Auffassung von dem<br />
gegenseitigen Charakter <strong>im</strong> Verhàltnis des Menschen zu Gott wurde in erster Unie<br />
auf die alt- und neutestamentarischen Vorstellungen gestutzt, wie die vom<br />
Treubund Gottes mit Abraham oder von der Taufe als einem Akt Pakt mit Gott.<br />
Auch hier wird deutlich, <strong>da</strong>l3 triuwa/triuwe zu diesem Zeitpunkt kaum innere<br />
Werte meinte, sondern fur ein gewissenhaftes PflichtbewuBtsein stand.<br />
Das Denkmal Heliand zeigte uns inzwischen, <strong>da</strong>B unter mehreren germanischen<br />
Dialekten es zunáchst <strong>da</strong>s unter dem starken EinfluB der angelsàchsischen<br />
Missionssprache stehende Altsàchsische war, <strong>da</strong>s sich fur die geistigen<br />
Konnotationen des triuwe-Begriffs <strong>im</strong> Sinne der Náchsten- und Menschenliebe am<br />
ehesten empfànglich zeigte. Durch die mittelalterliche typologische Denkform <strong>im</strong><br />
Sinne von Urbild-Abbild begunstigt, gewann triuwe <strong>im</strong>mer mehr an ethischem<br />
Wert und eine Unterscheidung ihrer Ûbergangsstadien gestaltete sich als<br />
zunehmend schwieriger. Eine sinngerechte Deutung wurde auch <strong>da</strong>durch<br />
erschwert, <strong>da</strong>B ihr formelhafter Gebrauch, zumal in prápositonalen Verbindungen,<br />
zu wuchern begann, so <strong>da</strong>B „die schweren ethischen Sinngehalte" und „die<br />
Neigung zu verflachten, abgeschwâchten Flickwendung merkwurdig<br />
dichtnebeneinander" 7 gingen.<br />
In den hochhófischen Epen, die an der Schwelle des 12. zum 13. Jahrhundert<br />
entstanden, erfuhr triuwe ihre gesamte Bedeutungsvielfalt und zwar <strong>da</strong>durch, <strong>da</strong>B<br />
die obigen aus dem Heliand genannten Bedeutungsvarianten durch neue Nuancen<br />
6 Albrand, Helga, apud., Kraft, Karl-Friedrich O., (Anm.1), S. 41-42.<br />
7 Pretzel, Ulrich, (Anm.2), Sp. 287.<br />
4
<strong>im</strong>mer vielfàltiger wurden: sie beinhalteten zwischenmenschliches Mitgefuhl und<br />
Erbarmen, wohl in die christliche Vorstellung von der misericórdia Dei<br />
eingekleidet, wáhrend <strong>da</strong>s ursprungliche sàkulare Rechtsverstãndnis, <strong>da</strong>s mit dem<br />
Erfullen von Vertragsverpflichtungen gewãhrleistet wurde, nun allmàhlich<br />
zugunsten eines „weniger rechtlich begrundeten als vielmehr gefuhls- und<br />
gesinnungsmaBig verstandene(n) Verhalten(s)" 8 weicht. Dies geschieht<br />
hauptsàchlich in Wolframscher Dichtung, in der triuwe zunáchst der religiõsen<br />
Sphàre angehõrt und <strong>im</strong> Mittelpunkt seines ethischen Systems steht. Fur Wolfram<br />
ist triuwe vor aliem Bindung (religio): die feu<strong>da</strong>le Bindung zwischen Lehnsherr<br />
und Lehnsmann, insbesondere aber zwischen den Verwandten und mit den Toten.<br />
Und weil Gott ais <strong>da</strong>s Herzstùck des gesamten Verwandtschaftsystems figuriert<br />
und ais hõchster Richter seine Verpflichtungen kennt und erfullt (iustitia Dei), wird<br />
er nicht nur triuwe genannt, sondem mit ihr gleichgesetzt. Wurde die Bindung des<br />
Menschen an Gott vorerst ais ein durch den Akt der Taufe geschlossener Vertrag<br />
verstanden, die eine gegenseitig einzufordernde tríuu;e-Leistung <strong>im</strong>plizierte, so<br />
wurde sie zu einer exemplarischen Verhaltensweise, die der Mensch, <strong>im</strong><br />
Gegenzug, Gott und seinen Mitmenschen gegenuber schuldete.<br />
Dieser Doppelcharakter, der zahlreiche, vor aliem aus dem Gefolgschaftswesen<br />
entnommene mittelhochdeutsche Begriffe auszeichnete, <strong>im</strong> Sinne <strong>da</strong>l3 sie sowohl<br />
eine auf Jenseits ausgerichtete Bedeutungsvariante besaBen ais auch weltliche<br />
Dinge bezeichneten, fúhrte die Forschung nicht selten <strong>da</strong>zu, unterschiedliche,<br />
manchmal einander ausschlieBende Meinungen zu entwickeln, wie sie <strong>im</strong><br />
Folgenden <strong>da</strong>rstellt werden.<br />
8 In seinem 1969 veróffentlichten Beitrag „Die Ehre <strong>im</strong> Menschenbild der deutschen Dichtung um<br />
1200" (in Bindschedler, Maria u. Zinsli, Paul (Hrsg.), Geschichte, Deutung, Kritik.<br />
Literaturwissenschaftliche Beitrâge <strong>da</strong>rgebracht zum 65. Geburtstag Werner Kohlschmidts, Bern:<br />
Francke, 1969, S. 30-44) weist Friedrich Maurer auf eine ganze Reihe alter, wie er sie nennt,<br />
Gefolgschaftswórter hin, wie êra/êre, triuwa/triuwe, gnâde und hulde, u.a., in die „der religiose<br />
Inhalt hineingetragen worden ist" und die demzufolge einen <strong>do</strong>ppelseitigen Charakter aufweisen.<br />
Genauso wie triuwa bezeichnet era zunáchst <strong>da</strong>s Verhàltnis zwischen Mensch und Mensch, um<br />
spàter auch <strong>da</strong>s Verhàltnis zwischen Mensch und Gott zu bezeichnen. „Mit era ist <strong>da</strong>s Ansehen<br />
und Wurde gemeint, die Gott besitzt; es ist die Ehrerbietung und Ehrung gemeint, die der Mensch<br />
Gott entgegenbringt; es ist auch Gottes Allmacht gemeint und die Gnade, die er dem Menschen<br />
schenkt. Aber es ist auch die Anerkennung und Ehrung gemeint, die der Mensch dem Menschen,<br />
seinem weltlichen Herrn, entgegenbringt, wie auch die Gunst, die der Herr seinem Getolgsmann<br />
5
2. Rezeptionsgeschichte - Einleitung<br />
Die Zahl der wissenschaftlichen Publikationen, die sich ausschlieBlich dem Thema<br />
triuwe <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong> widmet, ist verhaltnismàBig gering gegenùber der<br />
erstaunlichen Resonanz, deren es sich in den breiten Óffentlichkeit erfreute, und<br />
gegenùber dem EinfluB, den es auf den Ablauf der Geschichte einer ganzen<br />
Nation auszuùben vermochte. Dies mag <strong>da</strong>ran geiegen haben, <strong>da</strong>B seine<br />
Rezeptionsgeschichte wesentlich starker durch den nichtakademischen, d.h. durch<br />
den schulischen, kùnstlerischen und vor allem journalistischen Bereich beeinfluBt<br />
wurde als durch die akademische Forschung, die lange Zeit, bis in <strong>da</strong>s 20.<br />
Jahrhundert hinein, von der Breitenwirkung weitgehend abgekapselt war. 9<br />
Wàhrend ùber triuwe in den Werken Wolframs von Eschenbach Tausende von<br />
Seiten produziert werden, sind die wissenschaftlichen Publikationen, die dièse<br />
treibende Kraft und Kardinaltugend des mittelalterlichen Menschen am Beispiel<br />
des <strong>Nibelungenlied</strong>es erõrtern, wesentlich seltener, es sei denn sie blieben in ihrer<br />
historischen Bedingtheit dem EinfluB der nationalen Idéologie verhaftet. Dies will<br />
je<strong>do</strong>ch nicht besagen, <strong>da</strong>B triuwe der Nibelungen-Forschung gánzlich fremd war.<br />
Eine ganze Reihe von Abhandlungen aus der zweiten Phase der Nibelungen-<br />
Rezeption, die <strong>im</strong> Folgenden <strong>da</strong>rgestellt wird, zeugt <strong>da</strong>von, <strong>da</strong>B dieses Fun<strong>da</strong>ment<br />
der mittelalterlichen Gesellschaftsordnung sehr wohl zur Débatte stand, je<strong>do</strong>ch<br />
entweder als Charakteristikum einzelner Gestalten (Hagen, Kriemhild, Rùdiger)<br />
oder als <strong>im</strong>manenter Bestandteil eines best<strong>im</strong>mten Forschungsgegenstandes, zum<br />
Beispiel <strong>im</strong> Bezug auf die politischen Verhàltnisse der Zeit um 1200, in der <strong>da</strong>s<br />
<strong>Nibelungenlied</strong> wahrscheinlich nicht nur niedergeschrieben wurde, sondern auch<br />
erstmals so, wie wir es kennen, entstand. Es scheint je<strong>do</strong>ch, <strong>da</strong>B einige Fragen zu<br />
schenkt." (S. 33) Daran ist auch der Entwicklungsweg und die Bedeutungspalette der triuwe<br />
ablesbar.<br />
9 Helmut Brackert spricht in dem Zusammenhang nicht ohne Geringschàtzung von der<br />
„Glashausphilologie" und Friedrich Panzer àuBert sich, mit einem Hauch Wehmut scheint es, in<br />
seiner Rezension zu Heuslers Buch Ùber Nibelungensage und <strong>Nibelungenlied</strong> von 1921<br />
folgendermaBen ùber die Nibelungen-Philologie des 19. Jahrunderts: „Die wissenschaft hat rasch<br />
verstanden, sie (altdeutsche dichtung und <strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong>) zu ersticken, indem sie die<br />
ùberlieferung mit einem stacheldraht umzàunte und hundert schilder in die runde stellte die<br />
unbefugten (...) den zutritt wehrten." (Panzer, Friedrich, Zu Heusler, in ZfdPh 50 (1926), S. 456-461,<br />
hier S. 461)<br />
6
diesem Thema often geblieben sind, zumindest vor dem Hintergrund neuester<br />
Forschungstendenzen, beispielsweise wie láGt sich zwischen den verschiedenen<br />
fnuiue-Arten ais einerseits der feu<strong>da</strong>len Wirklichkeit entnommenen Kategorie und<br />
andererseits als literarisches Konstrukt eines so vielschichtigen und zugleich<br />
ungere<strong>im</strong>ten Werkes wie des <strong>Nibelungenlied</strong>es ein Zusammenhang herstellen und<br />
wo sind ihre Reibungspunkte? Erschópfte sich triuwe nur <strong>im</strong> ausharrenden<br />
Waffendienst Oder gab es auch eine auf friedensstriftende triuwe-Art? Und vor<br />
allem, welche erweist sich als starker, wie kommen sie zum Ausdruck und wieso<br />
scheitern sie?<br />
Urn auf diese Fragen gewiBermaBen plausible Antworten zu finden, muB die<br />
Grenze zwischen der Literatur- und Geschichtswissenschaft uberschritten werden.<br />
Die neueste Tendenz in der Mittelalterforschung <strong>im</strong> Allgemeinen und in der<br />
Altgermanistik <strong>im</strong> Besonderen geht seit ungefàhr zwei Jahrzehnten in Richtung<br />
historischer Anthropologie und Mentalitàtshistorie, fur deren verstàrkten Einsatz in<br />
der Untersuchung mittelalterlicher Texte u.a. Jan-Dirk Muller wiederholt plãdiert<br />
hat. Die in den sechziger Jahren vertretenen gesellschaftshistorischen i<br />
Interpretationsansàtze sind seit der Mitte der siebziger Jahre nach und nach<br />
abgelõst worden zugunsten eines neuen Paradigmas der mentalités collectives,<br />
die die „in d(en) Texten eingegangenen und sie in ihrer Thematik best<strong>im</strong>menden<br />
Verhaltensdispositionen und Einsteliungen, die gruppenspezifischen<br />
Handlungsnormen, die Glaubensvorstellungen und Rituale" 10 zum Gegenstand<br />
haben. Daher ist es von Bedeutung, <strong>da</strong>B man bei der Untersuchung eines der<br />
zentralen Begriffe der mittelalterlichen Lebensauffassung insgesamt, des Begriffs<br />
triuwe nàmlich, neben seiner bereits viel diskutierten Relevanz <strong>im</strong> Lehnswesen,<br />
bzw. in herrschaftlichen Bindungen, seinen Stellenwert auch in andersartigen<br />
Bindungen untersucht. Darùber hinaus ist es von Belang, die Formen seiner<br />
Konkretisierung <strong>im</strong> Rahmen mittelalterlicher Verhaltensnormen ein Stuck weiter zu<br />
analysieren, als dies bislang getan wurde, und auch den Zusammenhang zu<br />
untersuchen zwischen triuwe und Recht, die nicht selten eng miteinander<br />
10 Peters, Ursula, „Familienhistorie als neues Paradigma der mittelalterlichen Literaturgeschichte?",<br />
in Heinzle, Joach<strong>im</strong> (Hrsg.), Modernes Mittelalter. Neue Bilder einer populàren Epoche, Frankfurt<br />
am Main: Insel, 1999, S. 134-162, hierS. 134.<br />
7
verbunden waren. Trotz der Interdisziplinaritàt allerdings sollte jede<br />
literaturwissenschafliche Arbeit móglichst nah am Text bleiben. Dennoch: es <strong>da</strong>rf<br />
von der Dichtung keineswegs geradewegs auf geschichtliche Wirklichkeit<br />
geschlossen werden so wie die Heranziehung von Kenntnissen, die ihre Grundlage<br />
in historischer Wirklichkeit haben, nicht mechanisch auf die fiktiv konstruierte Welt,<br />
so wie sie uns in einem literarischen Werk begegnet, ubertragen werden durfen.<br />
Vielmehr sollte man nach den sogenannten anthropologischen Konstanten<br />
Ausschau halten und versuchen, Faktizitãt und Fiktionalitãt auf eine differenzierte,<br />
sowohl der Literaturwissenschaft als auch der historischen Anthropologie gerechte<br />
Weise miteinander zu vereinbaren und zu verknupfen.<br />
2.1. Rezeption und Wirkung<br />
Die sachbezogene Forschung am <strong>Nibelungenlied</strong> <strong>im</strong> 19. und zu Beginn des 20.<br />
Jahrhunderts, angeregt von Karl Lachmanns Diaskeuastentheorie 11 und<br />
weitergefuhrt durch Andreas Heuslers Anschwellungstheorie, 12 wurde groGtenteils<br />
von den Auseinandersetzungen urn die Entstehung des Epos und die<br />
Handschriftenwertung und -kritik best<strong>im</strong>mt. Diese Theorien fallen unter den<br />
Oberbegriff Genesetheorien, die zeittypisch inhaltliche Interpretationen nur wenig<br />
zu schàtzen wuBten und aus deren, urn mit Panzer zu sprechen, „anatomischer"<br />
Betrachtungsweise es erkennbar ist, <strong>da</strong>B der Begriff triuive <strong>da</strong>rin so gut wie keine<br />
Rolle spielte. AuBerhalb dieser Forschungstendenz hat es allerdings eine Reihe<br />
unterschiedlicher Beitràge gegeben, die strenggenommen nicht dem<br />
akademischen Bereich zuzuschreiben waren, oder die trotz ihrer<br />
11 Diaskeuastentheorie (vom. griechischen Diaskeuast: der Bearbeiter eines literarischen Werkes,<br />
insbesondere der Homerischen Epen), angeregt und weitergefuhrt wàhrend der ersten Hàifte des<br />
19. Jahrhunderts vom einfluBreichen Berliner Philologen Karl Lachmann, war ein erster Versuch,<br />
<strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong> wissenschaftlich zu erforschen. Der Ausgangspunkt seiner Théorie, ùbrigens<br />
nur einer unter mehreren Genesetheorien, war, der Dichter sei eigentlich ein Úberarbeiter und<br />
Ordner gewesen, der die ursprunglichen Lieder gesammelt und unter eine best<strong>im</strong>mte Idee geordnet<br />
hat.<br />
12 Im Gegensatz zur Diaskeuastentheorie Lachmanns, nach der <strong>da</strong>s Epos durch die einfache<br />
Addition von Liedern entstanden sein sollte, ruckte Andreas Heusler die dichterische Leistung in<br />
den Vordergrund, der die "Anschwellung' der verschiedenen Quellen (<strong>da</strong>runter die Brunhild- und<br />
die Burgundensage) der Heldensage zu einem solchen Epos zu ver<strong>da</strong>nken sei.<br />
8
wissenschaftlicher Natur gegen den EinfluB nationaler Idéologie nicht <strong>im</strong>mun<br />
haben bleiben kõnnen. In diesen Beitrâgen spielte demzufolge die<br />
"Nibelungentreue' eine nicht zu unterschãtzende Rolle und ubte einen<br />
entscheidenden EinfluB auf die Mentalitát der deutschen Nation aus. Urn sich ein<br />
mehr oder weniger vollstândiges Bild dieses beruhmten und zugleich anruchigen<br />
Begriffes machen zu kõnnen, sei hier zunáchst ein Résumée stichwortartig<br />
vorangestellt, wie <strong>da</strong>mit bis 1939 vorgegangen wurde.<br />
Spricht man von der Rezeptionsgeschichte des <strong>Nibelungenlied</strong>es, so werden<br />
grosso mo<strong>do</strong> zwei Rezeptionsmodelle unterschieden: <strong>da</strong>s erste, isolierende<br />
Rezeptionsmodell war úberwiegend eine populáre Rezeption des Epos, die nach<br />
einer Breitenwirkung strebte und die den Arbeiten mit wissenschaftlichem<br />
Anspruch mehrfach verschlossen blieb. Dieses Modell zeichnete sich <strong>da</strong>durch aus,<br />
„<strong>da</strong>B man einzelne, isolierte Momente des Textes zur Formuliereung von<br />
Sinnaussagen benutzt, die vom Werk als Ganzem nicht gedeckt sind, und,<br />
parasitenhaft, gleichwohl dessen Autoritàt zur Beglaubigung in Anspruch<br />
(n<strong>im</strong>mt)." 13 Dieses Modell beherrschte die Nibelungen-Rezeption bis zu ihrer<br />
ersten groBen Zásur, dem Zweiten Weltkrieg. Infolge der Bemùhungen der<br />
Nachkriegsgermanistik, die Forschung des <strong>Nibelungenlied</strong>es vom nationalistischen<br />
und nationalsozialistischen Erbe zu befreien, entstand ein weiteres, ebenfalls<br />
jahrzehntelang vorherrschendes Rezeptionsmodell, nàmlich die sogenannte<br />
konstruierende Rezeption. In ihrem Anliegen, <strong>da</strong>s Werk als ein in sich<br />
geschlossenes Ganzes zu betrachten, versuchten die Altgermanisten, die Risse<br />
und Unebenheiten in seiner epischen Struktur mittels moderner metho<strong>do</strong>logischer<br />
Ansátze zu beheben und ihm somit zu einem oberflàchlich verweigerten Sinn zu<br />
verhelfen.<br />
13 Heinzle, Joach<strong>im</strong>, „Zwe<strong>im</strong>al Hagen oder: Rezeption als Sinnunterstellung", in Heinzle, Joach<strong>im</strong><br />
und Waldschmidt, Anneliese (Hrsg.), Die Nibelungen. Ein deutscher Wahn, ein deutscher Alptraum.<br />
Studien und Dokumente zur Rezeption des Nibelungenstoffs <strong>im</strong> 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt<br />
am Main: Suhrkamp, 1991, S. 21-40, hierS. 33.<br />
9
2.1.1. Rezeption und Wirkung bis 1939 (Isolierende Rezeption)<br />
Da die Rezeptionsweise eines jeden Kunstwerks oder gar eines seiner Motive<br />
vom Geist der jeweiligen Epoche unverkennbar gepràgt ist, ist es zunàchst wichtig<br />
auf die historische Folie der isolierenden Rezeption hinzuweisen, durch die die<br />
steigende Popularitàt des <strong>Nibelungenlied</strong>es erst mõglich wurde.<br />
Wie uns die Geschichte <strong>im</strong>mer wieder gezeigt hat, entsteht gerade in Notzeiten die<br />
Besinnung auf die eigenen, identitàtsstiftenden Traditionen, so zûndete auch <strong>da</strong>s<br />
<strong>Nibelungenlied</strong> den Funken des deutschen Patriotisumus angesichts der<br />
miserablen St<strong>im</strong>mungslage nach den Niederlagen von Jena und Auerstedt <strong>im</strong><br />
Jahre 1806/07 an. Auch <strong>da</strong>s Nichtvorhandensein eines positiven geschichtlichen<br />
Ereignisses bzw. historischer GroBe, auf die man sich auf der Suche nach einer<br />
nationalen Identitàt hãtte beziehen kõnnen, fõrderte geradezu den Aufstieg des<br />
<strong>Nibelungenlied</strong>es zu einer nationalen Epopóe des deutschen Volkes. Dieses Kl<strong>im</strong>a<br />
der allgemeinen Frustration und Niedergeschlagenheit ging Seite an Seite mit der<br />
<strong>da</strong>maligen kulturideologischen Strõmung, in der die Romantiker in ihrer in<br />
trãumerischer Versponnenheit grùndenden Verherrlichung vergangener Zeiten die<br />
Neubelebung der alten Nationalmythen und -epen forderten.<br />
Die romantische Naivisierung, die sich in erster Unie durch ihren apolitischen<br />
Charakter auszeichente, schloB die politische Aktualisierung des Stoffes je<strong>do</strong>ch<br />
keineswegs aus, sie zeigte sich sogar <strong>da</strong>fùr ais hóchst anfãllig. In einer<br />
Atmosphère zwischen gemàBigter vaterlàndischer Inbrunst und aufwallender<br />
teutomanischer Agitation wurde <strong>da</strong>s Epos der Nibelungen schlagartig zum Inbegriff<br />
des patriotischen Widerstandes gegen die napoleonische Vorherrschaft zum einen<br />
und gegen ailes Franzõsische zum anderen. Es ûbernahm die Aufgabe, fehlendes<br />
nationales SelbstbewuBtsein der Deutschen - <strong>da</strong>s bis <strong>da</strong>hin nur aus Tacitus'<br />
Schrift Germânia sich hatte speisen konnen - zu beheben, ungeachtet dessen, <strong>da</strong>B<br />
es mit der deutschen Geschichte nur wenige Berùhrungspunkte hatte. 14<br />
14 Als Antwort auf den berùhmten Satz des Schweizer Historikers Johannes Mùller aus dem Jahr<br />
1786, <strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong> kònnte die "Teutsche Nias' werden, gibt der Philosoph Friedrich Theodeor<br />
Vischer zu bedenken: „Unser he<strong>im</strong>isches Heldenlied, dem griechischen so verwandt wie die Poésie<br />
keines anderen Volks, steht <strong>da</strong>rin <strong>im</strong> hóchsten Nachteil gegen die griechische Sage, <strong>da</strong>ss dièse<br />
10
Das von Germânia inspirierte und von den Humanisten propagierte Bild des<br />
germanischen Heidentums wurde von den patriotisch gesinnten Romantikern zur<br />
deutschen Ursprungslegende umgedeutet. Auch die sog. taciteischen<br />
Germanentugenden, wie Gefolgschaftssinn, Rassenreinheit, Naturnáhe und der<br />
hohe Stellenwert der Gruppenbindung ùberhaupt gingen mit dem durch die<br />
Ossian-Mode verunklarten Bild, <strong>da</strong>s die Romantker sich vom Mittelalter schufen,<br />
Hand in Hand. Man bildete sich ein, es bestûnde zwischen den taciteischen<br />
Germanen und den heutigen Deutschen, ùber <strong>da</strong>s gesamte Mittelalter hinweg,<br />
eine ungebrochene Kontinuitàt der Sitten und Lebensformen. Die vielbeschworene<br />
Naturnáhe der germanischen Võlker wurde <strong>da</strong>bei <strong>im</strong> Sinne Rousseaus gedeutet,<br />
nach dem sie als Kritik an der europáischen Feu<strong>da</strong>lgesellschaft und der bùrgerlich-<br />
dekadenten Zivilisation als eine Art Chance zur Erneuerung vorgehalten wird,<br />
wobei die Tatsache ubersehen wurde, <strong>da</strong>B es Tacitus nicht so sehr <strong>da</strong>rum ging,<br />
„seinen Lesern einen Haufen spezieller und detaillierter Informationen uber die<br />
Germanen zu liefern als vielmehr, ihnen in kunstlerisch eindringlicher Form vor<br />
Augen zu fuhren, <strong>da</strong>B die zivilisierte Welt nach wie vor von barbarischen<br />
Volkerschaften bedroht ist." 15 Unterstutzt durch die Anonymitàt des Autors als<br />
"Volkspoesie' gepriesen und idealisiert, stand <strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong> fur die<br />
vornehmsten Zùge des germanischen (bzw. deutschen) Wesens, die es von<br />
seinen Nachbarvõlkern unterscheiden sollten. 16<br />
Urn eine gewisse Breitenwirkung ùberhaupt in die Wege zu leiten, muBte <strong>da</strong>s<br />
<strong>Nibelungenlied</strong> vorerst ins Neuhochdeutsche ubertragen werden. 1807 gab der<br />
eine geschichtlich nachweisbare Volks-Unternehmung zum Inhalt hat. (...) Unsere Heldensage hat<br />
nicht die Sturme der Vòlkerwanderung, nicht den groBen Sieg uber die Rómer zum Stoffe<br />
genommen; mit deutschem Eigensinn hat sie sich in eine Familiengeschichte eingehaust und sucht<br />
vergebens (...), <strong>da</strong>s enge Interesse zu einem welthistorischen zu erweitern." in Seitter, Walter,<br />
„Urszenen des Politischen. Von der zivilisatorischen Funktion der Literatur und ihrem Ausfall am<br />
Beispiel des <strong>Nibelungenlied</strong>es", in Bónnen, Gerold u. Galle, Volker (Hrsg.), Der Mord und die Klage.<br />
Das <strong>Nibelungenlied</strong> und die Kulturen der Gewalt. Dokumentation des 4. Symposiums der<br />
<strong>Nibelungenlied</strong>gesellschaft Worms e.V. vom 11.bis 13. Oktober 2002, Worms: Verlag Stadtarchiv,<br />
2003, S. 103-121, hierS. 109.<br />
15<br />
von See, Klaus, Barbar Germane Arier. Die Suche nach der Identitàt der Deutschen, Heidelberg:<br />
Carl Winter, 1994, S. 37.<br />
16<br />
Mehr uber die Germanenideologie vgl. von See, Klaus, ,;Blond und blauáugig' Der Germane als<br />
als literarische und ideologische Fiktion", in Bònnen, Gerold und Galle, Volker (Hrsg.), Ein Lied von<br />
gestern? Wormser Symposium zur Rezeptionsgeshichte des <strong>Nibelungenlied</strong>es, Worms: Verlag<br />
Stadtarchiv, 1999, S. 105-139.<br />
11
Schlegel-Schùler Friedrich Heinrich von der Hagen seine Ubertragung heraus: vom<br />
Prinzip der „Erneuung" geleitet, formte v.d.Hagen den mittelalterlichen Text so um,<br />
<strong>da</strong>B er sich hauptsáchlich um die Aufrechterhaltung der vermeintlichen Naivitàt und<br />
Einfachheit der Sprache bemùhte. Dies geschah vornehmlich auf der Ebene der<br />
Worteinheit und zwar durch die móglichst konsequente Beibehaltung der Worter<br />
aus dem heldischen Sprachbereich (wie recke, degen, trost) mit dem gezielten<br />
Effekt, <strong>im</strong> modernen Léser eine Gefùhlswelt zu erwecken, die weniger an <strong>da</strong>s<br />
Mittelalter erinnerte, ais vielmehr eine vage Vorstellung vom Naiv-Germanischen<br />
entstehen lieB, wàhrend die semantischen Ànderungen auf der Strecke blieben.<br />
Ungeachtet der Tatsache, <strong>da</strong>B dièse Ubertragung insgesamt wenig erneuert hat,<br />
strebte v.d.Hagen weit ùber <strong>da</strong>s Àsthetische hinaus: vor dem Hintergrund der<br />
aktuellen Tagespolitik forderte er <strong>da</strong>rùber hinaus eine Erneuerung der Nation. Am<br />
Epos selbst hob er einseitig<br />
„Gastlichkeit, Biederkeit, Redlichkeit, Treue und Freundschaft bis in<br />
den Tod, Menschlichkeit, Milde und GroBmuth in des Kampfes<br />
Noth, Heldensinn, unerschûtterlich(en) Standmuth,<br />
ùbermenschliche Tapferkeit, Kùhnheit, und willige Opferung fur<br />
Ehre, Pflicht und Recht." 17<br />
hervor, wohl in der „Hoffnung auf dereinstige Wiederkehr Deutscher Glorie und<br />
Weltherrlichkeit", 18 was auch <strong>im</strong>mer er mit diesem hohlen Pathos meinen mochte.<br />
War <strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong> einst Volksepos, so wurde es nun Heldenepos:<br />
Wissenschaft und ideologisches Gut konnten <strong>im</strong>mer seltener auseinander<br />
gehalten werden.<br />
Als spàtestens nach den Befreiungskriegen und den Karlsbader Beschlùssen der<br />
patriotische Enthusiasmus verflog und der Zeitgeist friedfertiger wurde, fand die<br />
sog. deutsche Treue ihre weitere Vorbildfunktion <strong>im</strong> Rahmen der Bestrebungen<br />
nach nationalstaatlicher Einheit, indem sie deutschen Fùrsten als unentbehrlicher<br />
17 v.d.Hagen, Friedrich Heinrich, Nibelungen Lied, Vorwort, apud. Ehrismann, Otfrid, Das<br />
<strong>Nibelungenlied</strong> in Deutschland. Studien zur Rezeption des <strong>Nibelungenlied</strong>es von der Mitte des 18.<br />
Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg, Mùnchen: Wilhelm Fink, 1975, S. 71.<br />
12
Faktor der Stabilitàt und moralischer Prinzipien vorgehalten wurde. Diese erste<br />
Rezeptionsphase, die sich bis zur Reichsgrùndung erstreckt, tràgt, nach Klaus von<br />
Sees 19 bildhafter Einteilung der Rezeptionsphasen, den Namen x Kriemhild-Phase',<br />
weil sie sich, unter dem EinfluB des Biedermeiers und des ihn charakterisierenden<br />
biirgerlichen Zeitgeistes, durch die Vorliebe fur <strong>da</strong>s Familiáre und Gefuhlsvolle<br />
auszeichnete. Seit der 1871 muhselig erreichten Reichseinheit wurde die Idee von<br />
der biederen Sittlichkeit und dem treuherzigen Familiensinn aufgegeben zugunsten<br />
der Ethik der Reichsgrûndungszeit, die sich in den folgenden Jahren des<br />
politischen und wissenschaftlichen Aufbruchs verstárkt am Kriegerisch-Heldischen<br />
orientierte. Horaz' beruhmter Satz: Dulce et decorum pro pátria mori wurde neu<br />
entdeckt und die Begriffe 'Held' und 'Heldentum' begannen, bedingt durch die<br />
wilhelminische Idéologie und <strong>da</strong>s Bestreben, die vorhandenen Machtstrukturen zu<br />
festigen, sich allmàhlich mit der Vorstellung des Vaterlandes zu verbinden. 20 Die<br />
herkómmlichen taciteischen Tugenden wurden von dem gewaltigen Aufkommen<br />
politischer und militárischer Tugenden verdrángt. Der arglose Siegfried wurde zum<br />
herrlichsten Nibelungenhelden, „ein(em) Sinnbild des Deutschen, der sich fúr<br />
Fremde opfert und <strong>da</strong>bei den eigenen Nutzen vergieBt." 21 Unter dem Vorzeichen<br />
eines neuen NationalbewuBtseins setzte nun die zweite Rezeptionsphase, die sog.<br />
N Siegfried-Phase' ein, in der der bis <strong>da</strong>hin <strong>im</strong> Elfenbeinturm lebende akademische<br />
Bereich eines Lachmann und der Bruder Gr<strong>im</strong>m eine zunehmende Popularisierung<br />
erlebte und in der die Grenze zwischen Sachbezogenheit und Idéologie <strong>im</strong>mer<br />
flieBender wurde. Selbst Karl Bartsch, dessen Ùbertragung des <strong>Nibelungenlied</strong>es<br />
ais ein herausragendes Zeugnis fur sein philologisches Kónnen steht, ruhmt in<br />
seinem Aufsatz „Die Treue in deutscher Sage und Poésie" die v sprichwõrtliche<br />
deutsche Treue' mit germanischen Wurzeln, 22 freilich ohne diese popularisierende<br />
Rhetorik in seine sachbezogene Forschung angemessen intergrieren zu kónnen.<br />
ia v.d.Hagen, (Anm.17), S. 72.<br />
19 von See, Klaus, „Das Nibelungen-Lied - ein Nationalepos?", in Heinzle, Joach<strong>im</strong> und<br />
Waldschmidt, Anneliese (Hrsg.), (1991), S. 43-110.<br />
20 Úber die ursprungliche Unparteilichkeit des Helden und die Genèse des Begriffs in Richtung<br />
patriotischer Gemeinschaftsbezogenheit vgl. von See, Klaus, „Held und Kollektiv", in ZfdA 122<br />
(1993), S. 1-35, insb. 29-35.<br />
21 von See, Klaus, (Anm.18), S. 77.<br />
22 Bartsch, Karl, Gesammelte Vortràge undAufsàtze, Freiburg i.B.: Mohr, 1883.<br />
13
Bezeichnend hierfùr ist, <strong>da</strong>B dieser Treuebegriff nichts mehr mit der<br />
mittelalterlichen Vasallitàt zu tun hatte, sondern lediglich eine moralische (und<br />
moralisierende) Funktion hatte, die, aus dem Kontext gelõst, der weiteren<br />
Radikalisierung der bereits ohnehin irrational gewordenen politischen Kráfte diente.<br />
Analog zu der Atmosphère nach der Niederlage in den napoleonischen Kriegen<br />
breitete sich 1918 nach dem Kriegsende eine St<strong>im</strong>mung von Enttãuschung und<br />
Verbitterung aus. Doch die Idéologie der Nibelungentreue verschwand keineswegs<br />
aus dem Repertoire der politischen Rhetorik, sondern trat nach dem Krieg verstàrkt<br />
hervor. Nun wurde sie eingesetzt, urn die Vereinigung des Reichs mit Ósterreich<br />
zu propagieren. Der Held der Heldensage wurde von nun an <strong>im</strong>mer willkurlicher<br />
gedeutet - rassistisch, mythisch, antichristlich, <strong>da</strong>rwinistisch - und Treue wurde<br />
nicht mehr ais persõnliche Tugend, sondern als eine auf eiserner Disziplin und<br />
Strenge beruhende Lebenshaltung dem Staat als Treueverband gegenuber<br />
angesehen.<br />
Dies ist zugleich die Leitidee der dritten Phase der <strong>Nibelungenlied</strong>-Rezeption, der<br />
dùsteren v Hagen-Phase'. Hagens Unbeirrbarkeit, seine unerschutterliche Hingabe<br />
und selbstlose Treue lôsten Siegfried in seiner Rolle als nationaler Held ab.<br />
Daruber hinaus war Hagen ein infolge seiner Eingebundenheit in dessen<br />
Gefolgsherrn der neue idéale Heldentyp, der sich als vorbildlicher Staatsdiener fur<br />
die menschenverachtende Idéologie der NSDAP am besten verwerten lieB. 23 Zu<br />
der Frage, wieso gerade <strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong> zum Werkzeug der faschistischen<br />
Propagan<strong>da</strong>maschinerie pràdestiniert war, gibt Helmut Brackert folgendermaBen<br />
zu bedenken:<br />
„Die Geschichte der Rezeption des <strong>Nibelungenlied</strong>es ist nur<br />
erklârbar als der Reflex einer stetig zunehmenden Ideologisierung<br />
Deutschlands, dessen Verlauf nationale, <strong>da</strong>nn nationalistische,<br />
<strong>da</strong>nn <strong>im</strong>perialistische, schlieBlich rassisch-võlkische Politiker<br />
best<strong>im</strong>mten; der Nationalsozialismus bot nur eine letzte, allerdings<br />
23 Dennoch spurten auch die Nazionalsozialisten, <strong>da</strong>B <strong>da</strong>s dustere <strong>Nibelungenlied</strong>, <strong>da</strong> es mit einer<br />
Katastrophe endet, keineswegs <strong>da</strong>s geeignetste Vorbild fur die vielbeschworene Erneuerung<br />
Deutschlands war.<br />
J4
unùberbietbare Form einer schon frùh angelegten Perversion des<br />
Textes, der, solchermaBen verfalscht und s<strong>im</strong>plifiziert, die ewige<br />
Gúltigkeit lángst abstándiger, infantiler Tugendideale postulieren<br />
sollte und so fur die gewissenlose Manipulation von politisch<br />
gefahrlichen Interessen die ideelle Folie bereitstellte.' 24<br />
ZusammengefaBt làBt sich behaupten, <strong>da</strong>s Rezeptionsbild des 19. und 20.<br />
Jahrunderts bis zum Zusammenbruch des Dritten Reiches war, mit einigen<br />
Abweichungen die unterschiedlichen Rezeptionsbereiche betreffend, eine<br />
Mischung aus<br />
«nationale(r) Idéologie, eine(r) oberflàchlichen, auf Typisierung<br />
abgest<strong>im</strong>mte(n) Textkenntnis und eine(r) Ahnung von der Genèse<br />
des Epos, <strong>da</strong>B es irgendwie [Hervorhebung von mir] <strong>im</strong> Volk oder<br />
zumindest in groBer Volksnahe entstanden sei und <strong>da</strong>B es alte<br />
deutsche Sagen enthalte." 25<br />
Nur vereinzelt ging man vom mittelhochdeutschen Text aus, man stútzte sich<br />
<strong>da</strong>gegen auf vorhandene Ùbertragungen und Ùbersetzungen, in denen es trotz ail<br />
ihrer Repràsentativitàt, von, z.T. unbewuBt vorgenommenen, willkùrlichen<br />
Umdeutungen w<strong>im</strong>melte. Und anstatt <strong>da</strong>s Kunstwerk in seiner Gesamtheit zu<br />
betrachten, begnùgte man sich mit Syndromen, <strong>da</strong>runter dem <strong>da</strong>s ganze<br />
Tugendsystem ùberstrahlenden Treue-Syndrom, fur <strong>da</strong>s man <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong><br />
einen glaubwùrdigen Beleg zu finden glaubte.<br />
2.1.2. Nachkriegsforschungen (Konstruierende/interpolierende Rezeption)<br />
Im Hinblick auf den MiBbrauch, der mit dem Begriff ^Nibelungentreue' <strong>im</strong> Laufe<br />
des 19. Jahrhunderts getrieben wurde, und insbesondere auf die "Hypothek des<br />
24 Brackert, Helmut, „<strong>Nibelungenlied</strong> und Nationalge<strong>da</strong>nke. Zur Geschichte einer deutschen<br />
Idéologie", in Hennig, Ursula und Kolb, Herbert (Hrsg.), Medievalia literária. Festschrift fúr Helmut<br />
de Boor zum 80. Geburtstag, Mùnchen: Beck, 1971, S. 343-364, hier S. 363.<br />
25 Ehrismann, Otfrid, (Anm 17), S. 272.<br />
15
SS-Ahnenerbes', wurde er nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches nicht<br />
mehr als heroischer, sondern zunehmend als geistiger Wert gelesen, nicht selten<br />
<strong>im</strong> Sinne Hartmanns oder Wolframs. 26 Mit dem Argument, die Welt sei endlich<br />
befriedet und zivilisiert, wurden all die Begriffe, die auf irgendwelche Weise mit<br />
dem Bereich des Heidnischen, bzw. des Germanischen assoziiert werden konnten,<br />
tabuisiert und <strong>im</strong> eifrigen Bemuhen, den Text von politischen Konnotationen<br />
endgultig zu sáubern, rùckten seit den 50er Jahren andere Analyseebenen in den<br />
Mittelpunkt, die sich urn <strong>da</strong>s Gefuge der Motivationsstrukturen konzentrierten, und<br />
die uber Jahrzehnte hinweg fur reichlich Diskussionsstoff und eine breite Palette<br />
von Interpretationsversuchen sorgten. Ihre Rechtfertigung fanden sie in all den<br />
Ungere<strong>im</strong>theiten, Lùcken und Widerspruchen, die <strong>da</strong>s Nibelungen-Epos aufweist.<br />
Der moderne Léser und Interpret sah sich gezwungen, ergànzend einzugreifen<br />
und Leerstellen 27 (die bereits 1903 Friedrich Panzer als „unbehagliche<br />
kunstlerische Widerspruche" bezeichnete), bzw. <strong>da</strong>s vom Epiker auf der<br />
Oberflãche Verweigerte, aufzufùllen, und meistens geschah dies unter einem<br />
Ansatz, der mit Hilfe von psychologisierenden Verknúpfungen der kausal<br />
Meinungen, nach denen man zwischen Siegfried und Parzival oder Hagen und Parzival<br />
vergleichbare Fálle zu finden glaubte, sind lángst nicht mehr verwertbar. Das Vergleichen von<br />
Wolframschen und Nibelungischen Figuren hat teilweise zu skurrilen Behauptungen gefuhrt, so z.B.<br />
Mergells Urteil, die „selbstlosen" Aussagen des sterbenden Siegfried zeigten, <strong>da</strong>í3 er<br />
„Wolframschen Gestalten wesensverwandt" sei oder <strong>da</strong>sjenige, <strong>da</strong>s Hagens Weg „durch Schuld<br />
und Sùhne" Parzivals Weg gegenuberstellt. Vgl. Mergell, Bo<strong>do</strong>, „<strong>Nibelungenlied</strong> und hòfischer<br />
Roman", in Euphorion 45 (1950), S. 305-336, hier S.334.<br />
27 In seiner inzwischen klassisch gewordenen Studie Die Apellstruktur der Texte. Unbest<strong>im</strong>mtheit<br />
als Wirkungsbedingung literarischer Prosa (Konstanzer Universitátsreden, 28., Constance:<br />
Universitátsverlag, 1970) uber die Rezeptionsàsthetik verweist Wolfgang Iser auf die Tatsache, <strong>da</strong>l3<br />
ein gewisser Grad an Unbest<strong>im</strong>mtheiten „zu den elementaren Existenzbedingungen literarischer<br />
Texte" gehórt (Heinzle, [Anm.13], S. 265), und zwar indem „der Text eine Mannigfaltigkeit von<br />
Ansichten entrollt" und den narrativen Gegenstand nur „schrittweise hervorbringt und ihn<br />
gleichzeitig fur die Anschauung der Léser konkret macht. (...) Solche Leerstellen eròffnen (...) einen<br />
Auslegungsspielraum fur die Art, in der man die in den Ansichten vorgestellten Aspekte aufeinander<br />
beziehen kann." (apud., Heinzle, [Anm.13] S. 265-266) Je nach der Art und Weise wie ein Interpret<br />
bei dem Verbinden der vorgegebenen Punkte vorgeht und welche metho<strong>do</strong>logischen Ansátze er<br />
<strong>da</strong>bei benutzt, ergeben sich jeweils unterschiedliche Interpretationen. Das Problem liegt <strong>da</strong>bei<br />
<strong>da</strong>rin, <strong>da</strong>l3 die epische Inkonsistenz, die <strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong> prágt, nicht <strong>im</strong> modernen Sinne als<br />
kunstlerisch gewollt aufzufassen ist, sondern als Strukturdefizit eines Erzàhlstoffes bei seinem<br />
Ùbergang aus der Mùndlichkeit in die schriftliche Form. Auf der anderen Seite leiden heldenepische<br />
Texte in betrachtlichem MaBe gattungsbedingt an mangelnder Folgerichtigkeit und Kohàrenz: die<br />
<strong>im</strong> voraus best<strong>im</strong>mte und ûbergeordnete Finalitàt des Handlungsfortgangs geschieht auf Kosten<br />
von dessen Kausalitát.<br />
16
motivierten Ebene zu ihrer Plausibilitàt zu verhelfen versuchte. Somit war die<br />
Stunde der konstruierenden Rezeption gekommen. Da aber weder der Text noch<br />
die bekannten historischen Erfahrungsmuster die Beweggrunde der<br />
/V/£>e/ungen//ec/-Protagonisten verraten, lassen sich die unterschiedlichen<br />
Deutungsmodelle weder endgultig widerlegen noch ais richtig bestátigen.<br />
Dièse Betrachtungsweise des <strong>Nibelungenlied</strong>es, die seit der Mitte der 50er Jahre<br />
sich in der Nibelungen-Forschung etabliert hat, machte den Weg frei fur eine Reihe<br />
von Interpretationen, die <strong>da</strong>s Epos erstmals als Ganzes zu deuten beginnen, und<br />
ihm seinen Sinn abzugewinnen versuchen. Die in der Stoffgeschichte verankerte<br />
Analyseebene verschiebt sich in Richtung text<strong>im</strong>manenter Untersuchungen, die<br />
<strong>da</strong>s Epos ais indivuduelle Schõpfung eines hochbegabten Dichters in den<br />
Mittelpunkt rucken. So unterschiedlich diese Untersuchungen auch sein mõgen,<br />
verfàhrt diese Interpretationspraxis <strong>im</strong>mer nach demselben Schema: „sie unterstellt<br />
dem Werk einen Sinn, indem sie die Widerspuche in einer ubergreifenden<br />
Ge<strong>da</strong>nkenkonstruktion aufgehen laBt, die die erzãhlte Welt um eine sinnstiftende<br />
D<strong>im</strong>ension von Psychologie und Moral ergánzt." 29<br />
In einer kaum mehr zu uberblickenden Reihe von sich widersprechenden Studien<br />
zum <strong>Nibelungenlied</strong> lassen sich eindeutig zwei Hauptrichtungen ausmachen: die<br />
sog. historischen Interpretationen, die die Aktualitàts-Best<strong>im</strong>mungen des<br />
Nibelunegenliedes zu fixieren versuchen und parallel <strong>da</strong>zu eine<br />
psychologisierende, die die Motivationsstrukturen ins Innere der Figuren verlegt<br />
und sozusagen eine innere Privatsphâre herstellt. Der DDR-<strong>Nibelungenlied</strong>-<br />
Forscher Karl-Heinz Ihlenburg war einer der wenigen, der es in der<br />
Nachkriegsgermanistik gewagt hat, nach der politischen Botschaft des Epos<br />
explizit zu fragen und sein Geschehen mit der historischen Wirklichkeit um 1200 zu<br />
verknúpfen. 30 Er tat dies in Anlehnung an Friedrich Engels' Rezeption der<br />
Vereinzelte VorstòGe, <strong>da</strong>s Lied von seinem Inhalt her psychologisierend zu interpretieren, gab es<br />
bereits <strong>im</strong> 19. Jahrhundert, allerdings fanden sie kaum Beachtung, <strong>da</strong>runter die These des Grazer<br />
Professors Anton Emanuel Schónbach uber <strong>da</strong>s Christentum in der altdeutschen Heldendichtung<br />
und <strong>da</strong>s Menschliche <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong>.<br />
29 Heinzle, Joach<strong>im</strong>, (Anm.13), S. 30.<br />
30 Ihlenburg, Karl-Heinz, Das <strong>Nibelungenlied</strong>. Problem und Gehalt, Berlin: Akad.-Verlag, 1969.<br />
17
Siegfried-Figur und vertrat die Ansicht, die uralte Geschichte stunde vor dem<br />
Hintergrund des mittelalterlichen Reiches und dessen Krise um 1200. In fiktiven<br />
und individuellen Konflikten glaubte Ihlenburg die geschichtliche Wirklichkeit zu<br />
erkennen, in der <strong>da</strong>s Rittertum zum x Opfer der antagonisch wirkenden<br />
gesellschaftlichen Kràfte' und die angebliche kónigliche Schwáche zur Schwãche<br />
der gesamten herrschaftlichen Ordnung erklàrt wurde. Dementsprechend wurde<br />
triiiwe <strong>im</strong> Hinblick auf den Konflikt zwischen dem Kônig und den Reichsfursten<br />
gedeutet, unabhàngig <strong>da</strong>von, <strong>da</strong>B <strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong> keinen feu<strong>da</strong>len Konflikt<br />
thematisiert, sondern ein Netz von wechselseitigen, voneinander abhàngigen<br />
Bindungen.<br />
Entsprechend den unterschiedlichen methodischen Ansàtzen, die die skizzierten<br />
Forschungstendenzen vertreten, unterscheiden sich sich auch in ihren Deutungen<br />
des Phànomens triuwe. Ais Anreger und Vertreter der v historischen' Lekture<br />
versteht Siegfried Beyschlag <strong>im</strong> AnschluB an Friedrich Neumann 31 die untriuwe,<br />
die die Nibelungenhelden begehen, nicht als Relikt altérer Stufen, sondern als <strong>da</strong>s<br />
Stuck der feu<strong>da</strong>len Wirklichkeit, die der hófische Roman ausspart. Fur Beyschlag<br />
erscheinen die Gestalten des Epos „nunmehr in weit hoherem Grade als nach<br />
bisheriger Auffassung als Angehõrige eines kóniglichen Hauses, verantwortliche<br />
Regenten ihres Landes" und handeln „aus harten, herrscherlichen Einsichten und<br />
Notwendigkeiten, die uber die Bande des Blutes, der Freundschaft, der<br />
persónlichen Treuverpflichtung hinwegschreiten." 32 Dabei sind nicht nur die<br />
mànnlichen Mitglieder des Kónigshauses gemeint, auch Brunhild wird<br />
charakterisiert als „durchaus als ihrer kóniglichen Stellung bewuBte Gattin des<br />
Landesherrschers, die jeden ihr zustehenden Rang- und Rechtsanspruch zu<br />
behaupten und jeder AnmaBung entgegenzutreten gesonnen ist" und sogar<br />
Kriemhild, der die Eigenschaft von der Jiebenden Jungfrau" abgesprochen wird<br />
und die auf die gleiche Stufe gesetzt wird wie ihre Gegner Brunhild und Hagen,<br />
„deren Denken und Handeln machtpolitische Rucksicht auf Kónigtum und Reich<br />
31 Neumann, Friedrich, „Schichten der Ethik <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong>e", (wieder abgedruckt) in Neumann,<br />
Friedrich, Das <strong>Nibelungenlied</strong> in seiner Zeit, Góttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1967, S. 9-34.<br />
32 Beyschlag, Siegfried, „Das Motiv der Macht bei Siegfrieds Tod", in GRM, NF 2, (Bd. 33 der<br />
Gesamtreihe) (1951/52) S. 95-108, hierS. 102 u. S. 106.<br />
18
Freundschaft und Verwandtschaft ùberdeckt. An Beyschlags Deutung des<br />
<strong>Nibelungenlied</strong>es ist hauptsáchlich zu bemãngeln, <strong>da</strong>B sie, indem sie den Konflikt<br />
ais Ergebnis persõnlich verstandener Machtinteressen auffaBt, einerseits die<br />
personalen Bindungen stark in Mitleidenschaft zieht und andererseits die bereits<br />
erwàhnte, fur <strong>da</strong>s Mittelalter abwegige Trennung einer privaten und òffentlichen<br />
Sphàre voraussetzt. 34<br />
Auf der anderen Seite steht Werner Schroder 35 als Vertreter eines ins Innere der<br />
Figuren gerichteten Blickwinkels, der, <strong>im</strong> Gegensatz zu Beyschlag, die rein private<br />
Innerlichkeit als Movens des Geschehens sieht. Nach einer ausfuhrlichen<br />
positivistischen Auflistung der triuwe/untriuwe-Be\ege, mit knappen<br />
Kommentaren versehen und unter Heranziehung der entsprechenden Passagen<br />
aus der C-Fassung, erláutert Schroder Kriemhilds triuwe mit ihrer ubergroBen<br />
Liebe zu Siegfried und spricht ihr jeglichen Machtanspruch ab. So wie er die<br />
Tragõdie Brunhilds nicht als „Politikum", sondern als eine „Frage der menschlichen<br />
Wurde" betrachtet, so sieht er auch Kriemhilds kit ausschlieBlich <strong>im</strong> Verlust ihres<br />
Geliebten. Schroder leugnet jegliche politische, matérielle und rechtliche Motivik <strong>im</strong><br />
<strong>Nibelungenlied</strong>, seine These kann er dementsprechend am besten an der C-<br />
Fassung und an der "Klage' - also anhand der spáter entstandenen<br />
interpolierenden Versionen - ausfuhren, entfernt sich <strong>da</strong>bei je<strong>do</strong>ch von dem<br />
Ausgangspunkt, der B-Fassung des <strong>Nibelungenlied</strong>es, allzu weit.<br />
Eine weitere D<strong>im</strong>ension unter den Interpretationstendenzen des <strong>Nibelungenlied</strong>es<br />
stellen die heilsgeschichtlich und moraltheologisch orientierten Untersuchungen 36<br />
33 Beyschlag, Siegfried, (Anm.32), S. 104.<br />
34 Bei dieser These, die auf Jùrgen Habermas' maBgebliche Studie Strukturwandel der<br />
Òffentlichkeit: Untersuchungen zu einer Kategorie der bùrgerlichen Gesellschaft (1962) zurùckgeht,<br />
ist allerding Vorsicht geboten. Eine plausible Argumentation <strong>da</strong>gegen liefert Horst Wenzel, indem er<br />
behauptet, eine feu<strong>da</strong>le Privatheit sei noch nicht gegeben, „aber <strong>do</strong>ch eine Nichtóffentlichkeit<br />
(He<strong>im</strong>lichkeit), die viel mit der spàteren Privatheit zu tun hat. Allé die Sinnpotentiale und<br />
Handlungsformen, die nicht mit dem óffentlichkeitsfàhigen Bild des Herm harmonisierbar sind,<br />
werden vom repràsentativen Herrscherbild abgespalten; <strong>da</strong>s betrifft etwa die Schamsphare, aber<br />
auch <strong>da</strong>s politische secretum, <strong>da</strong>s konstitutiv ist fur <strong>da</strong>s Herrschaftshandeln.", in: Wenzel, Horst,<br />
..Representation und schòner Schein am Hof und in der hòfischen Literatur", in Ragotzky, Hed<strong>da</strong> u.<br />
Wenzel, Horst (Hrsg.), Hófische Representation. Das Zeremoniell und die Zeichen, Tubingen: Max<br />
Niemeyer, 1990, S. 171-208, hier S. 174.<br />
35 Schroder, Werner, „Die Tragodie Kriemhilds <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong>", in ZfdA 90 (1960/61), S. 41-80.<br />
36 Darunter auch: Hempel, Wolfgang, Ûbermuot diu alte Der Superbia-Ge<strong>da</strong>nke in der<br />
deutschen Literatur des Mittelalters (Studien zur Germanistik, Anglistik und Komparatistik 1), Bonn:<br />
19
<strong>da</strong>r, am markantesten <strong>da</strong>runter die Arbeiten von Bemhard Willson. Zunãchst in<br />
seinem Aufsatz „Blood and Wounds in the "<strong>Nibelungenlied</strong>"' 37 untersucht Willson,<br />
wie er sagt, <strong>im</strong> AnschluB an Julius Schwieterings Der Tristan Gottfrieds von<br />
StraBburg und die Bernhardische Mystik, 38 die religiõsen Konnotationen <strong>im</strong><br />
<strong>Nibelungenlied</strong> und deutet diese als den "modernisierenden' Zusatz des<br />
<strong>Nibelungenlied</strong>-Dlchters. Dies geht so weit, <strong>da</strong>l3 <strong>da</strong>s hinterháltige Komplott gegen<br />
Siegfried und dessen Ermordung als Analogie zum Verrat Christi verstanden<br />
werden, sogar <strong>da</strong>s von Kriemhild angenâhte Kreuzchen, <strong>da</strong>s dem Morder die<br />
einzige an Siegfrieds Kórper verwundbare Stelle verraten soil, wird <strong>im</strong><br />
heilsgeschichtlichen Kontext als Reminiszenz an die Kreuzigung Christi aufgefaBt.<br />
Willsons Fehler besteht m.E. <strong>da</strong>rin, <strong>da</strong>B er Schwieterings Ideen angesichts des<br />
Parzival und des Tristan auf <strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong> ùbertràgt, triuwe ausschlieBlich<br />
mit leit und erbaermde gleichsetzt, fur die <strong>da</strong>s Diesseits nur eine Etappe ist auf<br />
dem Weg ins Jenseits. In seinem drei Jahre spãter erschienenen Aufsatz „Or<strong>do</strong><br />
und Inordinatio <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong>" 39 revidiert Willson zum Teil seine Vorstellung<br />
von triuwe, ohne sich je<strong>do</strong>ch von deren moraltheologischer Grundlage zu<br />
distanzieren. Diesmal tut er dies vor dem Hintergrund des mittelalterlichen Or<strong>do</strong>-<br />
Ge<strong>da</strong>nkens und definiert dementsprechend triuwe <strong>im</strong> Bezug auf maze. Nach wie<br />
vor werden Siegfried Zuge zugeschrieben, die an Christus erinnem<br />
insbesondere wàhrend seines Dienstes auf Isenstein -, der, zu einer hõheren or<strong>do</strong><br />
gehõrend, sich aus triuwe zu Menschen auf deren geringere Ebene herablasse,<br />
sich „eine fremde zuhf auferlege und so sein eigenes Verhàngnis herbeifuhrt.<br />
triuwe gilt nur als Tugend, solange sie an maze gekoppelt ist; sobald sie sich von<br />
dieser ablòst, hõrt sie auf, begehrenswerte Tugend zu sein und stiftet Konflikte, die<br />
Bouvier, 1970, der <strong>da</strong>s unheilvolle Geschehen <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong> als Résultat von superbia seiner<br />
Figuren sieht und <strong>da</strong>bei die differenzierte soziologische und psychologische Perspektive auBer Acht<br />
láBt und Sammner, Marianne, ,J5'einem sunewenden der groze mort geschach...<strong>Nibelungenlied</strong><br />
und Klage zwischen Moraltheologie und Liturgie", in Institut fur Bayrische Literatur der Universitàt in<br />
Mûnchen (Hrsg.), Literatur in Bayern 42, Dez. 1995, S. 6-20.<br />
37 Willson, Bernhard, "Blood and Wounds in the ^<strong>Nibelungenlied</strong>'", in MLR 55 (1960), S. 40-50.<br />
38 Schwietering, Julius, Der Tristan Gottfrieds von StraBburg und die Bernhardische Mystik, Berlin:<br />
Verlag der Akademie der Wissenschaften, 1943.<br />
39 Willson, Bernhard, „Or<strong>do</strong> und Inordinatio <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong>", in PBB 85 (1963), S. 83-101 (Teil I)<br />
und S. 325-365 (Teil II), wieder abgedruckt (und hier) in Rupp, Heinz (Hrsg.), <strong>Nibelungenlied</strong> und<br />
Kudrun, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1976, S. 237-292.<br />
20
ins Verderben fùhren. Mehr ais jedes andere Werk der mhd. Literatur, so Willson,<br />
mache <strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong> die furchtbaren Folgen einer solchen "ungeordneterT<br />
Liebe deutlich. In diesem Sinne sei <strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong> ein v gottloses' Gedicht und<br />
<strong>do</strong>ch seiner Intention nach zutiefst christlich. (...) Der Autor wàhle sein Material aus<br />
einer anderen, einer nicht-christlichen, nicht-hõfischen Epoche, weil er die<br />
dringende Botschaft, <strong>da</strong>G die, die mit dem Schwert leben, durch <strong>da</strong>s Schwert<br />
umkommen werden, vermitteln wolle. 40<br />
40 Dièse transzendentale Existenzbegrùndung des mittelalterlichen Menschen, die lediglich auf<br />
Harmonie als eine gottgewollte Ordnung ausgerichtet ist und die jegliche Konflikte ais Stórung und<br />
Mangel empfindet, mag vielleicht den Vorstellungen des mittelalterlichen Menschen entsprochen<br />
haben, Iàl3t je<strong>do</strong>ch auBer Acht, <strong>da</strong>B die Positionen von Personen und Gruppierungen sich eher auf<br />
dem Dissenskurs befanden und <strong>da</strong>B der Charakter der <strong>da</strong>maligen Gesellschaft prinzipiell friedlos<br />
war. Denn wenn der mittelalterliche Autor, in diesem Fali der <strong>Nibelungenlied</strong>-DicMer, von den<br />
konfliktauslósenden Geschehnissen berichtet und dièse <strong>da</strong>bei diffamiert, <strong>da</strong>nn geht er von Or<strong>do</strong>-<br />
Vorstellungen aus, die der moderne Theoretiker nicht fur eine nùchterne Auslegung eines solchen<br />
literarischen Werks hinnehmen dùrfte. Vgl. Althoff, Gerd, Verwandte, Freunde und Getreue. Zum<br />
politischen Stellenwert der Gruppenbindungen <strong>im</strong> frûhen Mittelalter, Darmstadt: Wissenschaftliche<br />
Buchgesellschaft, 1990, S. 16-17.<br />
21
3. triuwe <strong>im</strong> Lichte historischer Anthropologie<br />
Seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts wird eine Tendenz in der<br />
<strong>Nibelungenlied</strong>-Forschung sichtbar, die die Ebene plausibler, <strong>im</strong> Text nicht explizit<br />
gegebener individualpsychologischer Verknupfungen 41 zugunsten einer Analyse-<br />
Ebene verlaBt, die sich <strong>im</strong> Raum kollektiv verbindlicher Ordnungen bewegt. Nach<br />
und nach ist man sich der Notwendigkeit bewuBt geworden, sich die historische<br />
Fremdheit des <strong>Nibelungenlied</strong>es vor die Augen zu fuhren und die „gefàhrlichen<br />
Verwechslungen mit unbefragt gultigen gegenwártigen Annahmen" 42 so gut wie<br />
moglich zu meiden. Die psychologisierenden Theorien wurden allmâhlich, obgleich<br />
nie vóllig, aufgegeben und es setzte sich die Meinung durch, <strong>da</strong>l3 „in der Welt des<br />
<strong>Nibelungenlied</strong>es (...) die Schichten des Psychologischen, der hófischen Form und<br />
der politisch-rechtlichen Realitát tatsàchlich nicht zu trennen" 43 sind. Kritische<br />
Reflexionen und <strong>da</strong>s BewuBtsein von den historischen Handlungszwângen wurden<br />
<strong>im</strong>mer wichtiger. Die Betonung der Einheit persõnlicher, rechtlicher und politischer<br />
Motivationsstrukturen bedeutet je<strong>do</strong>ch keine Parallelisierung mit den historischen<br />
Ereignissen, sondern setzt die Erkenntnis von Ordnungen voraus, die die<br />
Verhaltensschemata und die emotionalen Einstellungen, von denen der Text<br />
spricht, ermoglichen. Genau an diesem Punkt setzt Jan-Dirk Muller in seinem<br />
1998 erschienenen Buch Spielregeln fur den Untergang. Die Welt des<br />
^<strong>Nibelungenlied</strong>es' seine These an von der Abkoppelung von vermeintlich<br />
uberzeitlichen anthropologischen Konstanten (wie z.B. Liebe, HaB, Treue, Zorn,<br />
Eifersucht, usw.) von deren psychischen Grundlage. Er plâdiert <strong>da</strong>rin fur ein streng<br />
textbezogenes Vorgehen, <strong>da</strong>s Spekulationen uber psychologisch plausible<br />
Verhaltensweisen meidet und „mit der Móglichkeit historisch andersartiger<br />
Entwurfe von psychischen Dispositionen, Verhaltensmustern, Motivationen und<br />
41 Die Fremdheit des Textes, seine mangelnde psychologische Verknupfung, die Blockartigkeit<br />
seiner Episoden und die Beschrànkung auf die AuBenseite seiner Figuren wirkte nicht nur auf unser<br />
zeitgenóssisches Einfuhlungvermógen. Bereits der Verfasser der Handschrift C bemuhte sich,<br />
durch eine Glàttung der Unebenheiten auf der Textoberflãche eine innere Einheit herzustellen.<br />
42 Muller, Jan-Dirk, Spielregeln fur den Untergang, Die Welt des <strong>Nibelungenlied</strong>es, Tubingen: Max<br />
Niemeyer Verlag, 1998, S. 202.<br />
22
personaler Identitát rechnet. Um sie zu ermitteln, muBte man die Einsichten der<br />
historischen Anthropologie und der Ethnologie sowie deren Verfahren in der<br />
Erforschung archaischer Gesellschaften fur die Untersuchung mittelalterlicher<br />
Texte miteinbeziehen, ein methodischer Ansatz, der nur selten in der Mediávistik<br />
nutzbar gemacht wurde.<br />
Die Handlungsspielràume, innerhalb derer die <strong>Nibelungenlied</strong>-Figuren agieren,<br />
lassen sich weder ausschlieBlich auf ihre Rolle noch auf ihre individuell gepràgte<br />
Charaktere zuruckfuhren. Auch die Annahme, sie seien bloBe Marionetten und<br />
Funktionstràger epischer Klischees und Stereotypen verweist auf unzeitgemaBe<br />
Vorstellungen, die bei jeder Figur je eine individuelle und eine gesellschaftliche<br />
Existenz voraussetzen. Gerade die enge Eingebundenheit des Einzelnen in<br />
familière, religiose, und stándische Verbànde ist fur <strong>da</strong>s Mittelalter<br />
ausschlaggebend. AuBerdem ist es áuBerst wichtig, <strong>da</strong>B jeglicher<br />
Interpretationsversuch die Gattungsfrage nicht auBer Acht lãBt, denn der kollektive<br />
Charakter des Heldenepos urn 1200 setzt sich klar von dem des hõfischen<br />
Romans ab. Und diese "kollektive' Ordnung hat als Basis und Garantie ihres<br />
Zusammenhangs gerade die vieldeutige triuwe, die in einer Gesellschaft wie der<br />
des <strong>Nibelungenlied</strong>es, ohne ùbergeordnete Rechtsnormen und Instanzen und mit<br />
einer nur schwach gesicherten sozialen Ordnung, oft <strong>da</strong>s einzige rechtskráftige<br />
Mittel zur Wahrung der Integritàt und des Wohlstandes des Reiches war. Sie<br />
best<strong>im</strong>mte Aktionen und Reaktionen der einzelnen Figuren, sowie die<br />
wechselseitigen Abhàngigkeiten, in denen sie zueinander standen und war <strong>da</strong>s<br />
tragende und scheinbar sicherste Prinzip, nach dem <strong>da</strong>s soziale Gefuge<br />
funktionierte. Dieser Entwurf besitzt je<strong>do</strong>ch keinen Anspruch auf allgemeine,<br />
historische Gultigkeit und <strong>da</strong>rf nicht als Ausdruck einer geschichtlichen Epoche<br />
verstanden werden, sondern ist vor allem ein literarischer Entwurf, der, den<br />
Gesetzen der Gattung gehorchend, sich mehr oder weniger von der alltàglichen<br />
Wirklichkeit entfernen kann.<br />
43 Wachinger, B., apud. Mùller, Jan-Dirk, „Motivationsstrukturen und personale Identitát <strong>im</strong><br />
'<strong>Nibelungenlied</strong>'", in Knapp, Fritz Peter (Hrsg.), <strong>Nibelungenlied</strong> und Klage. Sage und Geschichte,<br />
Strukturund Gattung. Passauer Nibelungengespràche 1985, Heidelberg: Carl Winter, 1987, S. 231.<br />
44 Muller, Jan-Dirk, (Anm.42), S. 202.<br />
23
4. Metho<strong>do</strong>logisches<br />
Jedes Interpretationsverfahren soil auf die gattungsspezifischen Bedingungen, die<br />
<strong>da</strong>s zu untersuchende Werk mitkonstituieren, sowie auf dessen epische Struktur<br />
genau abgest<strong>im</strong>mt werden. Dies mag ais eine selbstverstándliche Erkenntnis<br />
erscheinen, wurde je<strong>do</strong>ch <strong>im</strong> Laufe der Rezeptionsgeschichte des<br />
<strong>Nibelungenlied</strong>es hin und wieder auBer Acht gelassen. Indem man sich urn eine<br />
innere, psychologische Rekonstruktion von den auf der Erzàhloberfláche<br />
ausgesparten Kohàrenzstrukturen bemùhte und die Handlung als ein Geflecht<br />
individueller Verhaltensweisen betrachtete, ubersah man leicht, <strong>da</strong>B dies sich eher<br />
fur die Interpretation eines hõfischen Romans als eines Epos eignete. Denn der<br />
Protagonist eines Heldenepos<br />
„erscheint nicht als individueller Charakter, sondern als 'welthaltige<br />
Figur', als reprásentativer Typus, und er ist getragen von einer<br />
Vielzahl naturlicher wie gesellschaftlicher Bedingungen. Den<br />
Roman kennzeichnet demgegenuber eine Personalisierung,<br />
Individualisierung, und auch Privatisierung von Gestalten. Fur den<br />
Romanhelden ist wohl am charakteristischsten, <strong>da</strong>B er prinzipiell<br />
als Suchender erscheint, dem der Sinn der (ausschnitthaften) Welt<br />
und seiner selbst in ihr nicht vorgegeben, sondern zu finden<br />
aufgegeben ist." 45<br />
Davon ausgehend, so wird man nicht verkennen kõnnen, <strong>da</strong>B <strong>im</strong> Falle des<br />
<strong>Nibelungenlied</strong>es jegliche kausalmotivierende Psychologisierung fehl am Platze ist.<br />
Statt <strong>da</strong>nach zu suchen, was der Text verweigert, scheint es angemessener und<br />
sinnvoller, <strong>da</strong>s zu untersuchen, was er aussagt ohne sich <strong>da</strong>bei von ihm allzuweit<br />
zu entfernen. Selbstverstándlich ist diese Aufforderung nicht als Apell zu einer<br />
positivistischen Auslegung des Werkes zu betrachten, auch <strong>da</strong>s Streben nach<br />
einer historisch objektiven Rekonstruktion erwies sich indessen als abwegig und<br />
uberholt. Vielmehr sollte man die bereits vorliegenden Erkenntnisse, in erster Linie<br />
45 Hoffmann, Werner, Mittelhochdeutsche Heldendichtung, Berlin: Erich Schmidt, 1974, S. 62.<br />
24
literaturwissenschaftliche, aber auch aus dem Bereich der historischen<br />
Anthropologie und Rechtsgeschichte, interdisziplinár heranziehen und so die<br />
Voraussetzung schaffen fur ein besseres Verstàndnis befremdlich wirkender und<br />
liickenhafter Zusammenhãnge, die der Text aufweist, zum einen und<br />
mittelalterlicher Vergangenheit in ihrer Andersartigkeit zum anderen.<br />
Fragt man nach den Regeln des Handelns und Verhaltens <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong> und<br />
bedenkt man die entscheidende Bedeutung, die der Eingebundenheit des<br />
Einzelnen <strong>im</strong> Mittelalter in unterschiedliche Gruppen und Verbànde zukam -<br />
schlieBlich lebte er in einer prinzipiell friedlosen Gesellschaft -, <strong>da</strong>nn dràngt sich<br />
einem die Einsicht auf, <strong>da</strong>B der Handlungsablauf sowie die Spielràume der<br />
Aktionen und Reaktionen, die <strong>da</strong>rin entstehen, wesentlich auf dem kollektiven<br />
Charakter der Gesellschaft beruhen. Zu dieser Erkenntnis ist bereits Mitte der 80er<br />
Jahre Jan-Dirk Muller gelangt und seitdem ist sie von der <strong>Nibelungenlied</strong>-<br />
Forschung intensiver in Betracht gezogen worden. AuBerdem befinden sich die<br />
Charaktere der Heldenepik gattungsbedingt in einer Umgebung, die sich durch<br />
deren Herkunft, Status und andere kollektiv gultige Vorgaben auszeichnet.<br />
Konflikte, in die sie geraten, dúrften weder auf persõnliche Entscheidungen noch<br />
auf ihren individuellen Charakter zurùckgefùhrt werden, vielmehr stammen sie aus<br />
den Spannungen, die sich aus ihrer gleichzeitigen Zugehõrigkeit zu mehreren<br />
verschiedenartigen Netzen der sozialen triuiue-Bindungen ergeben. Dem schlieBt<br />
sich die Tatsache an, <strong>da</strong>l3 die Rechte und Pflichten jedes Einzelnen, wie auch<br />
<strong>im</strong>mer sie in den Treueiden scheinbar klar formuliert wurden, eigentlich nur vage<br />
und global definiert waren. Trotz bestehender hierarchischer Ordnungen setzte der<br />
Kanon von Rechten und Pflichten weder eine Hiérarchie unter den verschiedenen<br />
Bindungen voraus, noch kannte er eine Verfahrensweise fur den Fall, <strong>da</strong>B es zu<br />
einer Interessenkollision kam. Die Verhaltensnormen wurden fast ausschlieBlich<br />
durch ihre Situationsbedingtheit geprágt und es gait die Devise: sich N von Rechts<br />
wegen' zu benehmen, ohne <strong>da</strong>B vorher Abmachungen getroffen wurden, was dies<br />
in jeder konkreten Situation bedeutete. 46 Dasselbe gait fur den friuiue-Begriff und<br />
46 Diesen Zusammenhang kommentiert Althoff folgendermaBen: „(...), scheint <strong>im</strong> fruhen und hohen<br />
Mittelalter ein unerschùtterlicher, fur uns naiv wirkender Glaube bestanden zu haben, es werde in<br />
der konkreten Situation schon Konsens <strong>da</strong>ruber bestehen, wozu der einzelne verpflichtet sei und<br />
25
zwar sowohl auf <strong>da</strong>s soziale Milieu bezogen als auch in seinen zahlreichen, nicht<br />
selten ans Abstrakte grenzenden dichterischen Ausformungen. Der hohe Grad an<br />
Allgemeinheit, der ihn ais eine der exemplarischsten Tugenden kennzeichnete,<br />
wurde nicht nur zum Hindernis seiner Verwirklichung als friedensstiftendes<br />
Rechtsmittel, ihn genau zu erkennen und festzulegen war uberdies ein<br />
langwieriger ProzeB, den die mittelalterliche Gesellschaft und ihr Personenverband<br />
uber sich hatte ergehen lassen mussen. 47<br />
Klar ist, <strong>da</strong>B der <strong>Nibelungenlied</strong>-D\ch\er weder von seiner Umgebung noch von<br />
seiner Zeit spricht. Er kundigt ivunder an und stellt sich die Aufgabe, von alten<br />
maeren zu erzàhlen, von einer auBerordentlichen Kriegerwelt, die zum Zeitpunkt<br />
der Niederschrift des <strong>Nibelungenlied</strong>es bereits als archaisch empfunden wurde.<br />
Zudem ist die Annahme gerechtfertigt, <strong>da</strong>B er von der Frùhgeschichte des<br />
sagenhaften Stoffes vermutlich weniger Kenntnis hatte als die Altgermanisten von<br />
heute. Im Laufe seiner schriftlichen Fixierung wurde der Stoff allerdings<br />
unvermeidlich von den úblichen Vorstellungen und der Lebenspraxis um 1200<br />
mitgeprâgt - um dies zu belegen bemuht sich eine Reihe von Untersuchungen, die<br />
<strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong> als "Dichtung seiner Zeit' charakterisieren 48 - <strong>do</strong>ch prioritár<br />
<strong>da</strong>von auszugehen birgt <strong>im</strong>mer wieder die Gefahr, die aus dem Text<br />
hervorgehenden Zusammenhange verallgemeinernd als geschichtliche Wirklichkeit<br />
zu postulieren. Ein literarischer Text und insbesondere heldenepische Dichtung,<br />
indem sie von auBerordentlichen Helden und weit in Vergangenheit reichenden<br />
welche Rechte er habe. Vielleicht ist auch weniger ein naiver Glaube an die Herstellung von<br />
Konsens zu konstatieren als die Unfàhigkeit, Verhaltensnormen theoretisch zu formulieren." (S.12)<br />
„Nun ist fur die Gesellschaft des Mittelalters zu konstatieren, <strong>da</strong>B gewohnheitsrechtliche Normen in<br />
der Tat wirkmàchtig waren und zur Entscheidung vieler Einzelfragen ausreichten. Auf der anderen<br />
Seite hat die durchaus schmerzliche Erfahrung <strong>da</strong>s Leben aller mittelalterlichen Gruppen gepràgt,<br />
<strong>da</strong>B es vom consensus omnium zur dissensio inexpiabilis háufig nur ein kleiner Schritt war." Vgl.<br />
Althoff, Gerd, (Anm.40), S.140.<br />
47 Auch was die Artusepik betrifft, waren die Forscher, die sich mit triuwe beschàftigten, mit<br />
demselben Problem konfrontiert, <strong>da</strong> sie sich, die triuwe, gemessen an der Heldendichtung, noch<br />
starker von ihren konkreten politisch-stàndischen Beziehungen zu lósen scheint, und „begunstigt<br />
durch ihren ohnehin abstrakten Charakter, ihren pràsizen Bedeutungsgehalt (...) verlier(t)<br />
zugunsten einer ins UnfaBbare tendierenden Allgemeinheit und mehr und mehr zur Metapher<br />
w(ird).", Kraft, Karl-Friedrich O., (Anm.1), S. 30-31.<br />
48 Darunter gelten als reprâsentativ: Szóvérffy, Josef, „Das <strong>Nibelungenlied</strong>. Strukturelle<br />
Beobachtungen und Zeitgeschichte", zunàchst erschienen in WW 15 (1965), S. 233-238 und <strong>da</strong>ran<br />
anschlieBend Beyschlag, Siegfried, „Das <strong>Nibelungenlied</strong> als aktuelle Dichtung seiner Zeit", in GRM,<br />
neue Folge, Bd. XVII (1967), S. 225-231.<br />
26
Geschehnissen erzáhlen, schaffen eine geschlossene Heldenwelt, in der die<br />
Wirklichkeit nicht nur mechanisch abgebildet, sondern je nach der Absicht des<br />
Autors idealisiert, karikiert, getadelt, verhõhnt oder einfach gesagt problematisiert<br />
wird.<br />
Angesichts des Facettenreichtums, der dem mittelhochdeutschen Begriff<br />
innewohnt, stellt sich zunáchst die Frage nach dem metho<strong>do</strong>logischen Ansatz, der<br />
sich fur eine Untersuchung am <strong>Nibelungenlied</strong> am meisten eignet. Auf den ersten<br />
Blick spielt die semantische Problematik des triuive- Beg riffs <strong>da</strong>rin keine so groBe<br />
Rolle, wie dies in anderen Werken des deutschen Hochmittelalters der Fall ist. Als<br />
Beweis <strong>da</strong>fur ist die Tatsache zu nennen, <strong>da</strong>l3 es, abgesehen von Francis Gentrys<br />
Triuive and vriuntin the '<strong>Nibelungenlied</strong>' 49 kaum nennenswerte Arbeiten gab, die<br />
sich ausschlieGlich diesem Phanomen widmeten. Dies mag in einem Epos wie<br />
diesem, <strong>da</strong>s aus unterschiedlichen Sagenkreisen entstand und dessen Inhalte<br />
bereits Jahrhunderte vor seiner schriftlichen Fixierung existierten, als plausibel<br />
erscheinen, denn triuive war <strong>im</strong>merhin ein àsthetisierter literarischer Entwurf in der<br />
Zeit der Niederschrift des <strong>Nibelungenlied</strong>es, <strong>do</strong>ch sie war auch, wie die am Anfang<br />
grob skizzierte Wortgeschichte es zeigt, ein réelles gesellschaftliches Phánomen,<br />
<strong>da</strong>s <strong>da</strong>s soziale Leben - und nicht nur bei den Germanen - bereits seit dem fruhen<br />
Mittelalter maGgeblich geprãgt hat sowie ein erster rechtlich-politischer Versuch,<br />
labiler sozialer Ordnung entgegenzusteuern und fur Sicherheit und Recht zu<br />
sorgen. Daher scheint es angebracht, vorerst einen Blick auf die Umstande zu<br />
werfen, die zur Entstehung von triuwe als einem umfassenden Terminus mit<br />
rechtlichen Konnotationen beitrugen.<br />
49 Gentry, Francis F., <strong>Triuwe</strong> and vriunt in the <strong>Nibelungenlied</strong>, Amster<strong>da</strong>m: Ro<strong>do</strong>pi, 1975.<br />
27
5. triuwe <strong>im</strong> Lehnswesen<br />
Noch bevor sie literarisiert wurde, begann triuwe sich seit der Karolingerzeit <strong>im</strong> 8.<br />
Jahrhundert infolge der Entstehung des Lehnswesens zu einer Idealtugend zu<br />
entwickeln. In Anlehnung an die germanische Gefolgschaft, die sich in den ersten<br />
Jahrhunderten unserer Zeitrechnung herausbildete und fur die Tacitus mit seiner<br />
Germânia ein ausfuhrliches und zuverlássiges Zeugnis hinterlieB, begann sich in<br />
dieser Epoche eine Schicht von „Privatsol<strong>da</strong>ten", eine sogenannte „Kriegerkaste",<br />
zu profilieren, die sich um Kônige, Fúrsten oder sonstige GrõBen sammelte und ihr<br />
bewaffnetes Gefolge bildete. Manner, die Schutz und Schirm nótig hatten,<br />
begaben sich in die Dienste von Mãchtigen, urn ihnen Waffenhilfe zu leisten. So<br />
entstand die Vasallitàt, eine rechtliche Institution, die sich <strong>im</strong> Laufe der<br />
Jahrhunderte in verschiedenen europàischen Lándern verfestigen wird. Der<br />
vasallische Vertrag war ein synallagmatischer Vertrag, der sowohl den Herrn als<br />
auch den Vasallen gleichermaBen verpflichtete. Er bezog sich auf eine Reihe von<br />
gegenseitigen Rechten und Verpflichtungen, zunãchst aber bedeutete die<br />
Treueverpflichtung die Unterlassungspflicht, eine Pflicht des non facere, so wie<br />
diese bemerkenswerte Definition des Bischofs Fulbert von Chartres aus dem Jahre<br />
1020 die aus dem vasallitischen Vertrag erwachsenden Verpflichtungen<br />
veranschaulicht:<br />
„Wer seinem Herrn Treue schwõrt, soil stets die sechs folgenden<br />
Worte <strong>im</strong> Gedáchtnis haben: gesund und wohlbehalten, sicher,<br />
erfahrbar, nutzlich, leicht, móglich. Gesund und wohlbehalten,<br />
<strong>da</strong>mit der Herr durch ihn an seinem Kórper keinen Schaden<br />
erleidet. Sicher, <strong>da</strong>mit er seinem Herrn nicht durch Verrat seines<br />
Gehe<strong>im</strong>nisses oder seiner Befestigungen, die seine Sicherheit<br />
garantieren, Schaden zufugt. Ehrbar, <strong>da</strong>mit er die Gerichtsbarkeit<br />
seines Herrn oder andere ihm rechtmáGig zustehende und zur<br />
Ehre gereichende Rechte nicht antastet. Nùtzlich, <strong>da</strong>mit er den<br />
Besitz seines Herrn nicht schãdigt. Leicht und moglich, <strong>da</strong>mit er<br />
seinem Herrn nicht erschwert, Gutes zu tun, wenn dieser es leicht<br />
28
tun kónnte und <strong>da</strong>mit er nicht unmoglich macht, was seinem Herrn<br />
móglich ware. Es gehõrt sich von Rechts wegen, <strong>da</strong>B der Vasall<br />
auf diese Weise seinem Herrn nicht schadet. Aber sein Lehen<br />
verdient er <strong>da</strong>mit noch nicht; denn es genúgt nicht, sich des<br />
Schlechten zu enthalten, sondern man muB <strong>da</strong>s Gute tun. (...) Der<br />
Herr muB sich auf alien diesen Gebieten demjenigen gegenuber,<br />
der ihm Treue geschworen hat, ebenso verhalten. Tàte er es nicht,<br />
so wùrde er mit gutem Recht fur treulos erklárt ebenso wiirde sich<br />
ein Vasall, den man <strong>da</strong>bei entdeckt, wie er durch Tat Oder Billigung<br />
seine Pflichten verletzt, der Untreue und des Meineides schuldig<br />
machen". 50<br />
Die positiven Seiten der Vasallenpflicht lassen sich <strong>da</strong>gegen in Form einer<br />
Wendung fassen, die lautet: consilium etauxilium, Rat und Hilfe. Da die Institution<br />
des Lehnswesens, wie ubrigens die der àlteren Gefolgschaft, hauptsãchlich aus<br />
der Notwendigkeit hervorging, territoriale Einheit und Stabilitàt zu wahren, also<br />
militàrischen Charakters war, bestand auch <strong>da</strong>s auxilium hauptsãchlich aus dem<br />
Waffendienst des Vasallen, der seinem Herrn zur Verfugung stand. Daruber hinaus<br />
gab es auBer militàrischen Dienstleistungen noch weitere Formen von Hilfe, die<br />
Vasallen oblagen, <strong>da</strong>runter z.B. die Ùberbringung von Botschaften (Botendienst),<br />
Geleit, Aufgaben in der Verwaltung des Grundbesitzes Oder in den hõheren<br />
Àmtern <strong>im</strong> Haus des Herrn, usw. Diese Dienstleistungen sind insbesondere <strong>im</strong><br />
deutschen Sprachraum zu beobachten, wo sie den Ministerialen oblagen, die<br />
wàhrend des 12. Jahrhunderts in den Vasallenstand aufgenommen wurden. Eine<br />
weitere Leistung, die ein Vasall seinem Herrn gegenuber zu erbringen hatte, war,<br />
ihm mit Rat (consilium) beizustehen. Was andererseits den Gegenstand der<br />
Herrenpflicht betrifft, so schuldet der Herr seinem Vasallen Schutz und Unterhalt;<br />
Schutz bedeutet, <strong>da</strong>B der Herr seinen Vasallen gegen dessen Feinde zu<br />
verteidigen hat, falls dieser angegriffen wurde. Der Herr muBte seinem Vasallen<br />
<strong>da</strong>zu Unterhalt gewàhren, entweder direkt am Hofe, Oder indem er ihm ein Lehen,<br />
50 Ganshof, François Louis, Was ist <strong>da</strong>s Lehnswesen? Darmstadt: Wissenschaftliche<br />
Buchgesellschaft,1961, S. 87.<br />
29
meistens ein Grundstúck unterschiedlichen Umfangs, ùberlieB, ùber <strong>da</strong>s der<br />
Beliehene ùber einen lãngeren Zeitraum, nicht selten sogar auf Lebenszeit,<br />
verfugen konnte und <strong>da</strong>riiber Herrschaft und Recht ausubte. 51<br />
Der vasallische Vertrag wurde weitgehend in mundlicher Form zelebriert - seltener<br />
schriftlich in Form einer Urkunde - und zwar durch einen genau festgelegten und<br />
stan<strong>da</strong>rdisierten Ritus: die Kommen<strong>da</strong>tion. Die Kommen<strong>da</strong>tion bestand aus der<br />
<strong>im</strong>mixtio manum, 52 einer sinnfàlligen und symbolischen Handlung, wo der<br />
knieende Vasall seine Hànde in die des sitzenden Herrn legte, der sie mit seinen<br />
eigenen umschlieBt. Auf diesen Ritus der „Selbstûbergabe" folgte der Treueid, der<br />
meist stehend geleistet wurde mit dem Auflegen der Hand auf eine Reliquie. Der<br />
Eidesleistung kam eine herausragende Bedeutung zu, denn durch sie wurde ein<br />
"Rechtsraum' geschaffen, nach dem sich <strong>da</strong>s kunftige Handeln der<br />
Eidesleistenden richten wird. Darauf folgte ein dritter Akt, der KuB {osculum) und<br />
obwohl der KuB fur <strong>da</strong>s Zustandekommen des vasallischen Vertrages nicht<br />
unerlaBlich war, hinterlieB er als ein durch Gebárde <strong>da</strong>rgestellter Akt auf die<br />
Anwesenden einen nachhaltigeren Eindruck als dies <strong>da</strong>s gesprochene Wort<br />
vermocht hàtte. Ùberhaupt stellten die Gebàrden ein grundlegendes Element<br />
mittelalterlicher Kommunikation <strong>da</strong>r, indem sie unterschiedliche Inhalte<br />
demonstrativ vermittelten. Das Prinzip der Óffentlichkeit und Offenkundigkeit sowie<br />
die Kommunikationsbedingungen einer oralen Gesellschaft, die „auf eine<br />
mùndliche und informelle Verstándigung face to face angewiesen war", 53<br />
51 Es waren durchaus Fàlle bekannt, in denen der Gegenstand der Belehnung nicht ein Stuck Land<br />
war, sondern ein Recht auf ein regelmàGiges Einkommen ("Rente', "Kammerlehen'). Ein weiteres<br />
begehrtes Lehnsobjekt stellten Kirchen und Klóster <strong>da</strong>r, vor allem wegen den Einkunften, die die<br />
Belehnten von dieser Art von Lehen bezogen. Dazu zàhlte pr<strong>im</strong>ar der Zehnt (dec<strong>im</strong>ae novalium),<br />
eine von der Kirche zum Unterhalt des Klerus geforderte Abgabe (ursprunglich ein Zehntel von<br />
Getreide, Vieh, usw.).Vgl. Ganshof, François, (Anm.50), S.126-134.<br />
52 Ritualisierte Kòrperhaltungen, zumal ausgefuhrt in der Óffentlichkeit, spielten <strong>im</strong> Mittelalter eine<br />
unubersehbare Rolle. Sie repràsentierten anstelle von verbaler Kommunikation Einschàtzungen,<br />
Gesinnungen, Rang und Stellung, Werte und Normen. Dal3 die inmixtio manum unerlàBlicher<br />
Bestandteil des Kommen<strong>da</strong>tion-Zeremoniells war, lag fur Ganshof vor allem an „dem geringe(n)<br />
Abstraktionsvermõgen der <strong>da</strong>maligen Zeit, (sowie an) ihre(r) Vorliebe fur <strong>da</strong>s Konkrete". (Ganshof,<br />
[Anm.50], S. 75) Handlungen zeichenhaften Charakters <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong>, an denen <strong>da</strong>s Einhalten,<br />
bzw. <strong>da</strong>s Fehlen von triuwe abzulesen ist, werden an gegebener Stelle ausfuhrlicher besprochen<br />
werden.<br />
53 Thum, Bernd, ..Óffentlichkeit und Kommunikation <strong>im</strong> Mittelalter. Zur Herstellung von Óffentlichkeit<br />
<strong>im</strong> Bezugsfeld elementarer Kommunikationsformen <strong>im</strong> 13. Jahrhundert", in Ragotzky, Hed<strong>da</strong> u.<br />
Wenzel, Horst (Hrsg.), (1990), S. 65-87.<br />
30
verlangten, <strong>da</strong>B die Zusammenhánge mit Hilfe von allgemein akzeptierten Zeichen<br />
veranschaulicht wurden Oder, wie der Soziologe Niklas Luhmann diese<br />
Kommunikationsweise genannt hat, durch „Anwesenheit <strong>im</strong> reziproken<br />
Wahrnehmungsfeld". 54 Mag die Funktion des Kusses lediglich <strong>da</strong>rin bestanden<br />
haben, die festgelegten vertraglichen Abmachungen zu bekrâftigen (so Ganshof,<br />
der ihn etwa mit dem báuerlichen Handschlag be<strong>im</strong> Viehhandel vergleicht), so<br />
erfullte er <strong>da</strong>ruber hinaus die wichtige „Funktion eines rechtskonstitutiven<br />
Sinnzeichens, <strong>da</strong>s die Geltungskraft und Einklagbarkeit getroffener<br />
Vereinbarungen verburgen sollte", denn Jnnerhalb eines Autoritats- und<br />
Machtgefallés signalisierte der KuB soziale Distanz, rechtliche Abhàngigkeit und<br />
politische Untertanenschaft." 55<br />
Zu betonen ist weiter, <strong>da</strong>B der mittelalterliche Mensch móglichst viele und enge<br />
Bindungen mit seinem Mitmenschen einging, denn Zugehõrigkeit zu einer Gruppe<br />
durfte „getrost als Voraussetzung fur die Mõglichkeit des Ùberlebens angesehen<br />
werden." 56 Dabei war die herrschaftliche Beziehung zwischen dem Herrn und dem<br />
Vasall <strong>im</strong> Unterschied zu anderen Gruppierungen, wie z.B. unter den Verwandten<br />
oder Genossen, in der Regel eine Zweierbeziehung, die den Umgang zwischen<br />
den beiden regelte, nicht aber unter den Vasallen untereinander. Andererseits<br />
charakterisierte <strong>da</strong>s Lehnswesen, und dies ebenfalls in Anlehnung an die<br />
spãtantike Gefolgschaft, <strong>da</strong>B der Vasall den Unterwerfungsgesten wáhrend der<br />
Kommen<strong>da</strong>tion zum Trotz <strong>im</strong>merhin ein freier Mann war, der seinem Herrn nicht<br />
wie <strong>im</strong> Falle eines Unfreien auf blinden Gehorsam zu dienen verpflichtet war. Der<br />
Vasall diente seinem Herrn einzig ausschlieBlich aufgrund seiner unter Eid<br />
versprochenen Treue.<br />
Luhmann, Niklas, apud. Thum, Bernd, (Anm.53), S. 75. Thum nennt weiter <strong>da</strong>s Beispiel des<br />
nor<strong>da</strong>merikanischen Historikers Percy Ernst Schramm, der in seiner Einschátzung des<br />
mittelalterlichen Denkens und Handelns so weit geht, <strong>da</strong>(3 er <strong>da</strong>s Sichtbare fur „<strong>da</strong>s eigentliche<br />
Charakteristikum des Zeitalters" erklàrt. „Das Mittelalter unterscheide sich von anderen<br />
geschichtlichen Epochen durch <strong>da</strong>s Vermogen, Unsichtbares in Sichtbares einzukleiden und <strong>im</strong><br />
Sichtbaren Unsichtbares aufzuspuren.", apud., Thum, Bernd, (Anm.53), S. 76.<br />
55 Schreiner, Klaus, ""Er kùsse mich mit dem Kul3 seines Mundes'(Osculetur me osculo oris sui,<br />
Cant 1,1). Metaphorik, kommunikative und herrschaftliche Funktionen einer symbolischen<br />
Handlung", in Ragotzky, Hed<strong>da</strong> u. Wenzel, Horst (Hrsg.), (1990), S. 89-132.<br />
56 Althoff, Gerd, (Anm.40), S. 8.<br />
31
Doch Treue garantierte nicht nur <strong>da</strong>s Funktionieren einer herrschaftlich<br />
strukturierten Lehnsbeziehung, sondern auch den Zusammenhalt von<br />
verwandtschaftlichen und genossenschaftlichen Bindungen. Sie hatte sogar in<br />
einem viel grõBerem MaBe kollektiven und vor aliem integrativen Charakter ais der<br />
Rest der reprásentativen hòfischen Tugenden. Ihre Aufgabe war, Menschen in<br />
Gruppen zu binden, ihnen <strong>da</strong>s BewuBtsein der Zugehórigkeit zu verschaffen und<br />
mittels ungeschriebener, teilweise in zeremoniellen und rituellen 57 Handlungen<br />
zum Ausdruck gebrachten Spielregeln fur eine funktionierende Herrschafts- und<br />
Gesellschaftsordnung zu sorgen. triuwe, was auch <strong>im</strong>mer man <strong>da</strong>runter verstand,<br />
muBte <strong>da</strong>s leisten, was heute <strong>im</strong> modernen Tlàchenstaat' dem Behórdenapparat<br />
und der Justiz obliegt, wobei die fehlende Gesetzgebung durch eine <strong>im</strong><br />
mittelalterlichen Recht und in der Théologie verankerte Urbild-Abbild-Vorstellung<br />
kompensiert wurde, nàmlich <strong>da</strong>B die diesseitige Ordnung lediglich eine faBbare<br />
Vergegenwàrtigung einer hóheren, „dem momentanen Erfassen nicht<br />
zugánglich(en) Ordnung" <strong>da</strong>rstelle. Das Versagen der triuwe erregte<br />
MiBvertrauen, sei es innerhalb der Familie, sei es innerhalb des Lehnswesens, und<br />
entzog der ohnehin fragilen gesellschaftlichen Ordnung ihren einzigen Halt.<br />
5.1. Der Personenverband(sstaat)<br />
Die gesellschaftliche Zugehórigkeit gestaltete sich <strong>im</strong> Mittelalter auf mehreren<br />
Ebenen, von denen zwei Arten von Bindungen besondere Bedeutung<br />
beigemessen wurde: <strong>da</strong>s waren zum einen die herrschaftlichen Bindungen, wie sie<br />
etwa <strong>im</strong> Lehnswesen vorkommen, auch als vertikale Abhãnigigkeiten zwischen<br />
Ungleichen bezeichnet und zum anderen die verwandtschaftlichen Bindungen, die<br />
sog. horizontalen Abhángigkeiten, deren Ausformungen von der allgemeinen<br />
Verwandtengruppe uber Sippen bis hin zum geschlossenen Adelsgeschlecht<br />
reichten. Im Gegensatz zu den herrschaftlichen Bindungen, die aufgrund ihres<br />
57 Als "Ritual' wird ein stan<strong>da</strong>rdisiertes Verhaltensmuster verstanden, <strong>da</strong>s sich auf religiose<br />
und/oder okkulte Vorstellungen bezieht, "Zeremonie' <strong>da</strong>gegen hat einen weltlichen Charakter,<br />
obgleich auch durch sie nicht selten christliche Grundwahrheiten fur die sinnliche Wahrnehmung<br />
faBbar gemacht werden. Vgl. Wenzel, Horst, (Anm.34), S. 175.<br />
32
vertraglichen Charakters eher konstant waren und lediglich infolge einer<br />
Pflichtverletzung von Seiten eines der Partner gelóst werden konnten, zeichneten<br />
sich die verwandtschaftlichen Bindungen <strong>im</strong> Mittelalter durch eine starke<br />
Fluktuation aus, sei es infolge biologischer Einflusse wie Seuchen oder-<br />
Sterblichkeit, sei es infolge von Fehden und politischen Verãnderungen, so <strong>da</strong>l3 sie<br />
<strong>im</strong> rechtlichen Sinne keine eindeutig abzugrenzende GrõBe waren. Vielmehr waren<br />
sie ein durchlàssiges, an ihren ãuBeren Rándern unscharfes System, <strong>da</strong>s,<br />
begunstigt durch die unpràzise Terminologie in der Best<strong>im</strong>mung der<br />
Verwandtschaftverhàltnisse, weiteren Gruppierungen offen stand. Die<br />
verwandtschaftlichen Bindungen vereinten in sich nicht nur agnatische, also auf die<br />
Sohnesfolge ausgerichtete - auch wenn diese fur die Besitz- und<br />
Herrschaftssicherung best<strong>im</strong>mend waren - sondern auch kognatische Bindungen 58<br />
(in Fall <strong>Nibelungenlied</strong> Siegfried und Etzel) und ihr Fortbestehen wurde nicht so<br />
sehr durch objektive Burgschaften wie Lehen oder Àmter gewàhrleistet, ais<br />
vielmehr durch ein hohes gemeinsames BewuGtsein verwandtschaflicher<br />
Zusammengehôrigkeit und der <strong>da</strong>raus resultierenden Hilfeverpflichtungen. Doch<br />
wie jede Einteilung in Kategorien Ausnahmen und Abweichungen in sich birgt, so<br />
sind auch die beiden Formen von Gruppierungen mittelalterlicher Gesellschaft<br />
nicht scharf voneinander zu trennen, sondern unterliegen lediglich<br />
unterschiedlichen Akzentuierungen.<br />
Der Personenverband gait als die allgemeine gesellschaftliche Kemeinheit und je<br />
nachdem, auf welcher Art von Bindungen der jeweilige Personenverband beruhte,<br />
hingen auch die Formen des Umgangs miteinander, die sog. ungeschriebenen<br />
Spielregeln, <strong>da</strong>von ab, die die Funktionsfáhigkeit der mittelalterlichen Herrschafts-<br />
und Gesellschaftsordnung sicherstellten. Der Personenverband ist zugleich der<br />
eigentliche kollektive Held des <strong>Nibelungenlied</strong>es, von dem Kriemhild sich nach und<br />
nach absondert und dem sie sich entgegenstellt. Da der Personenverband der<br />
58 Der ProzeB der Umstruktirierung der offenen zur geschlossenen Verwandtengruppe vollzog sich<br />
uber Jahrzehnte hinweg vom fruhen bis ins hohe Mittelalter und scheint fruhestens seit dem 11.<br />
Jahrhundert, dem Zeitpunkt des allgemeinen Strukturwandels der Herrschaft in Europa und der<br />
Machtkonzentration auf die Herrenburgen, der agnatisch organisierten Familie den Vorrang<br />
gegeben zu haben. Diese Erkenntnis durfte je<strong>do</strong>ch fur diese Auslegungen kaum verwertbar sein,<br />
<strong>da</strong> die literarische Wirklichkeit des <strong>Nibelungenlied</strong>es diesen ProzeB nicht wahrzunehmen scheint.<br />
33
Burgunder gleichzeitig eine staatlich-politische D<strong>im</strong>ension besitzt, gewinnt er<br />
wesentlich an Stellenwert, denn die Burgunden sind nicht nur eine Gruppe von<br />
Blutsverwandten, sie sind auBerdem eine Ordnung zur Erreichung, Bewahrung<br />
und Ausweitung ihrer Macht und ihrer politischen Ziele. 59 Das Ùberkreuzen<br />
widersprûchlicher Anforderungen, die aus der Natur der unterschiedlichen<br />
Gruppierungen sich ergeben konnten, war nicht selten jener kleine Schritt, der<br />
Konflikte anzundete, von denen auch die erschreckende und zugleich<br />
faszinierende Geschichte des <strong>Nibelungenlied</strong>es erzàhlt.<br />
Bereits in den ersten Strophen der ersten âventiure wird deutlich <strong>da</strong>l3 Kriemhild,<br />
ihrer exponierten Stellung zum Trotz, in erster Linie Mitglied eines herrschaftlichen<br />
Hauses in Obhut ihrer Bruder, der Kónige Gunther, Gemot und Giselher ist. Sie ist<br />
nach den MáGstáben der Heldenepik vorwiegend durch ihre Position in der<br />
Gesellschaft best<strong>im</strong>mt. Hagen hingegen ist, zunàchst nur beilàufig <strong>im</strong> Rahmen<br />
einer Aufzàhlung von burgundischen Vasallen eingefuhrt, durch seine Position als<br />
erster Vasall und Heifer am burgundischen Hof definiert und weniger durch seine<br />
nicht eindeutig fixierbare Verwandtschaft mit der kõniglichen Familie. Àhnlich wird<br />
Siegfried durch seine Abstammung und seinen Status als Kronprinz eingefuhrt:<br />
Fur die spezifische Form von Herrschaftsorganisation, die von germanischer Zeit bis ins 12.<br />
Jahrhundert als einzige Form von Staatlichkeit existierte, wurde 1933 von Theo<strong>do</strong>r Mayer der<br />
Begriff "Personenverbandsstaaf gepràgt, eine Bezeichnung, die sich trotz ihrer starken<br />
Instrumentalisierung seitens der zeittypischen Idéologie des NS-Reg<strong>im</strong>es in Historiker-Kreisen bis<br />
heute erhalten hat. Auch die sozialgeschichtlich orientierte Altgermanistik ubernahm, allerdings<br />
Jahrzehnte spàter, diesen Begriff und setzte ihn fur ihre Zwecke vermehrt ein. Zusammen mit dem<br />
durch Gert Kaiser popular gewordenen Stichwort von Territorialisierungsprozessen war der<br />
'Personenverbandsstaat' unter den Altgermanisten zu einer Art 'Zauberformel' fur die Deutung der<br />
deutschen Heldenepik geworden. Kaiser geht <strong>da</strong>von aus, <strong>da</strong>l3 infolge der sich seit dem 12.<br />
Jahrhundert bemerkbar machenden Territorialisierungsprozesse, der allmàhlichen Markteròffnung<br />
und dem <strong>da</strong>mit verbundenen wirtschaftlichen Aufschwung, der Personenverbandsstaat einem<br />
tiefgreifenden Wandel unterlag und allmahlich in den institutionellen Flàchenstaat uberging. Das<br />
wichtigste Merkmal des Personenverbandsstaates liegt <strong>da</strong>rin, so Kaiser, <strong>da</strong>B er keine Herrschaft <strong>im</strong><br />
modernen Sinne ùber ein Gebiet <strong>da</strong>rstellt, sondem „Herrschaft uber einen Verband von Personen",<br />
gegrúndet auf persònlichen Bindungen, eine „tief verwurzelte Form von Sozial- und<br />
Herrschaftsbeziehungen, die sich <strong>im</strong> Treue- und Gefolgschaftsdenken eine eigene, kraftvolle Ethik<br />
gegeben hatte (...)". Inzwischen hat die Geschichtswissenschaft erwiesen, <strong>da</strong>B mittelalterliche<br />
Personenverbânde sehr wohl uber eine Tlàche' herrschten, bzw. <strong>da</strong>B ein Gebiet unter ihrem<br />
EinfluBbereich stand, ohne je<strong>do</strong>ch uber einen Beamtenapparat <strong>im</strong> modernen Sinne zu verfugen.<br />
Problematischer als diese Feststellung scheint je<strong>do</strong>ch die Inhaltsbeschreibung der Prinzipien, nach<br />
denen diese Verbànde funktionierten sowie von Faktoren, die die Eigenart ihres Zusammenlebens<br />
best<strong>im</strong>mten. Vgl. Kaiser, Gert., apud. Knapp, Fritz Peter, „Nibelungentreue wider Babenberg? Das<br />
Heldenepos und die verfassungsgeschichtliche Entwicklung Òsterreichs <strong>im</strong> Lichte der neuesten<br />
Forschung", in PBB 107 (1985), S. 174-189, hierS. 176.<br />
34
„Dô wuoch in Niderlanden eins edelen kiineges kint<br />
der voter der hiez Sigemunt, sin muoter Sigelint,<br />
in einer rîchen bùrge wîten wol bekant,<br />
nidene M dem Rîne: diu was ze Santen gênant.<br />
Sîvrît was geheizen der snelle degen guot." (20,1-21,1)<br />
Der Hof in Worms zeichnet sich <strong>im</strong> Gegesatz zum Hof Etzels zu Gran durch<br />
erstaunliche Geschlossenheit aus. Die verwandtschaftlichen Bindungen <strong>im</strong><br />
Burgunden-Reich sind klar definiert, je<strong>do</strong>ch kaum iiber den Rahmen der engeren<br />
Konigsfamilie hinaus. Lediglich die Stellung Hagens innerhalb der Kónigsfamilie<br />
bleibt unklar: einerseits ist er ihr Verwandter, andererseits ist er ihr als man zu<br />
Dienst verpflichtet. Im Falle Ortwins, Hagens und Dankwarts neve, findet<br />
beispielsweise die Verwandtschaft zum Kónigshaus uberhaupt keine Erwãhnung.<br />
In der Schilderung vertikaler Abhàngigkeit unter den Burgunden begnugt sich der<br />
Dichter <strong>da</strong>mit, „mit Rud<strong>im</strong>enten zur Bezeichnung von Herrschaft und Abhàngigkeit:<br />
Herr und Mann" 61 zu operieren, ohne sich auf eine differenziertere Gliederung<br />
lehensrechtlicher Verhàltnisse einzulassen. Gunther erscheint am Wormser Hof als<br />
pr<strong>im</strong>us inter pares unter den drei Kõnigen, mit einem Rangetikett versehen sind<br />
lediglich marcgrâve Eckewart und marcgrâve/Jurste Gere, die beide je<strong>do</strong>ch am<br />
Rande des Geschehens bleiben. AuBerdem werden vier Gestalten als Tràger<br />
eines Hofamtes vorgestellt: der Kùchenmeister Rumolt, der Marschall Dankwart,<br />
dessen neve der TruchseB Ortwin von Metz und der Mundschenk Sinold, 62 je<strong>do</strong>ch<br />
60 Zitiert nach: Das <strong>Nibelungenlied</strong>. Nach dem Text von Karl Bartsch und Helmut de Boor ins<br />
Neuhochdeutsche ubersetzt und kommentiert von Siegfried Grosse, Stuttgart: Philipp Reclam jun.,<br />
1997.<br />
61 Hennig, Ursula, „Herr und Mann - Zur Stándesgliederung <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong>", in: Monfort -<br />
Vierteljahresschritt fur Geschichte und Gegenwart Vorarlbergs, (Hohenemser Studien zum<br />
<strong>Nibelungenlied</strong>), Heft 3/4, Dornbirn, 1981, S. 175-185, hier S. 179.<br />
62 Die Hofàmter, auch Erzàmter genannt, waren historisch gesehen symbolische Dienste, mit Hilfe<br />
derer ein Herrscher seine Vasallen ehrte und auszeichnete, zugleich je<strong>do</strong>ch auf diese Weise ihre<br />
Unterordnung demonstrativ zur Anschauung brachte. Diese Verbindung von Ehrung und<br />
Auszeichnung einerseits und Unterordnung andererseits entsprach der gàngigen mittelalterlichen<br />
Praxis, die sich sowohl in Konsens- als auch in Dissens-Situationen <strong>da</strong>rauf richtete, Rang und Ehre<br />
des Gegenùbers zu wahren. Daher spricht man auch gerne in diesem Zusammenhang von<br />
35
ohne Auswirkung auf ihren Stand, <strong>da</strong> sie mit Ausnahme Dankwarts ebenfalls am<br />
Randgeschehen bleiben. Damit ist die stândische Gliederung des burgundischen<br />
Hofes vollzogen. Trotz der kargen Hiérarchie ist er ein „nach Rang und Funktion<br />
differenzierte(s) politisch-soziales Gebilde", 63 <strong>da</strong>s stàndische Zugehórigkeit ùber<br />
ailes stellt, so <strong>da</strong>l3 die angeborene Ranginferioritàt durch persónliche Dienste<br />
kaum aufzuwiegen ist:<br />
„Wie het ich <strong>da</strong>z verdienet", sprach Gunther der degen,<br />
„des mîn voter mit êren hât gepflegen,<br />
<strong>da</strong>z voir <strong>da</strong>z solden vliesen von iemannes kraft?<br />
wir liezen schînen, <strong>da</strong>z wir ouchpflegen riterschqft." (112)<br />
„Wir hân des nihtgedingen", sprach dô Gêrnôt,<br />
„<strong>da</strong>z wir iht lande ertwingen, <strong>da</strong>z iemen drumbe tôt<br />
gelige vor heldes handen. wir haben rîchiu lant;<br />
diu dienent uns von rente, ze niemen sint si baz bewant." (115)<br />
Dem in sich geschlossenen burgundischen Reich steht <strong>da</strong>s <strong>im</strong>mense Imperium<br />
des Hunnenherrschers Etzel gegenûber, <strong>da</strong>s sich ùber weite Teile Europas<br />
erstreckt. In Anlehnung an <strong>da</strong>s traditionelle Attila-Bild sù<strong>do</strong>steuropaischer Võlker<br />
erscheint auch Etzel <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong> als machtiger Beschùtzer, in dessen<br />
Gefolge Võlkerscharen von Polen, Russen, Griechen, Walachen und<br />
Petschenegen auftauchen, unter ihnen zahllose exilierte Fùrsten, Vasallen,<br />
Herzoge und Kônige, die wiederum voneinander wechselseitig abhãngen. Als Etzel<br />
Kriemhild in Wien zu ihren Empfang entgegenreitet, befinden sich in seinem<br />
Gefolge sage und schreibe vierundzwanzig Fùrsten (1342,3). Auch <strong>im</strong><br />
Hunnenreich herrschen, obgleich weit vielfáltigere, klare hierarchische Strukturen,<br />
in denen jeder seinen festen Platz und seine Verpflichtungen dem Herrn<br />
gegenûber kennt. Innerhalb von Fùrstengruppen sind weitere herrschaftlich<br />
"EhrendiensterT. Mehr <strong>da</strong>zu, Althoff, Gerd, Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft <strong>im</strong><br />
Mittelalter, Darmstadt: Pr<strong>im</strong>us, 2003, S. 93ff.<br />
63 Mùller, Jan-Dirk, „Sîvrit: kùnec-man-eigenholt. Zur sozialen Problematik des <strong>Nibelungenlied</strong>es",<br />
in ABàG 7 (1974), S. 85-124, hier S. 94.<br />
36
strukturierte Untergruppierungen zu beobachten, in denen Fursten eigene<br />
Kriegermannschaften mitfùhren, wie <strong>im</strong> Falle des dànischen Exilfùrsten Irinc, der<br />
Hawarts man ist.<br />
AuBer verwandtschaftlichen und herrschaftlichen Bindungen gab es <strong>im</strong> Mittelalter<br />
noch eine dritte Art von Bindungen in Personenverbànden, deren Mitglieder <strong>im</strong><br />
Unterschied zu den anderen zwei Gruppierungen voile Gleichordnung und<br />
Gleichberechtigung genossen: die sog. genossenschaftlichen Bindungen. Der<br />
Definition der Rechtshistoriker nach sind die Genossenschaften ein<br />
„Personenverband zur Erfullung der von seinen Mitgliedern angestrebten<br />
religiósen, kulturellen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, rechtlichen und<br />
politischen Zwecke." 64 Diese Art von Bindung ist mit dem heutigen Begriff<br />
Freundschaft eng verwandt, je<strong>do</strong>ch nicht identisch, <strong>da</strong> Freundschaft <strong>im</strong> Mittelater<br />
„nicht Ausdruck eines subjektiven Gefuhls (war), sondern Vertragscharakter (hatte)<br />
und zu gegenseitiger Hilfe und Unterstutzung in alien Lebenslagen<br />
(verpflichtete)". 65 Sie verband Personen, die weder miteinander verwandt waren<br />
noch in einem Verhàltnis herrschaftlicher Abhàngigkeit standen.<br />
Genossenschaftlich strukturierte Gruppierungen bezogen <strong>da</strong>ruber hinaus<br />
verschiedene Arten von Freundschaftsbundnissen ein, deren informeller und<br />
nichtinstitutioneller Charakter sie von der vasallischer Bindung unterschied, obwohl<br />
diese wie jene mit rituellen Handlungen eingegangen und durch Eidsprechungen<br />
bekràftigt wurden. Das weite Bedeutungsfeld der mittelalterlichen<br />
amicitia/vriuntschaft deckte u.a. religiose, rechtliche und politische D<strong>im</strong>ensionen<br />
ab und war eine unspezifische Bindung fur aile Fàlle mit dem Anspruch auf<br />
Unterstutzung in alien Lebensbereichen. Im <strong>Nibelungenlied</strong> ist dies insbesondere<br />
<strong>da</strong>s Freundschaftsbundnis zwischen Hagen und Volker, <strong>da</strong>s sich von den anderen<br />
beiden Bundnissen, dem zwischen Siegfried und Gunther und dem zwischen<br />
Rudiger und den Burgunden, <strong>da</strong>durch abhebt, <strong>da</strong>B es sich unbelastet ob weiterer<br />
Bindungen ohne jeglichen Konflikt bis in den Tod bewãhrt.<br />
64 Stra<strong>da</strong>l, H., Art. „Genossenschaft", <strong>im</strong> Handwòrterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 1, Sp.<br />
1522-1527, apud. Althoff, Gerd, (Anm.40), S. 85.<br />
65 Althoff, Gerd, (Anm.40), S. 86.<br />
37
6. Herrschaftliche und verwandtschaftliche Bindungen<br />
Die Nebeneinanderstellung von auf herrschaftlicher und auf verwandtschaftlicher<br />
Basis organisierten Gruppierungen lãuft einer in der <strong>Nibelungenlied</strong>-Forschung<br />
etablierten Tendenz zuwider, dem Text einerseits seine politische und andererseits<br />
seine private D<strong>im</strong>ension herauszuarbeiten. Der Grund fur diese zwei<br />
entgegengesetzte Forschungstendenzen liegt in der bereits zu Anfang skizzierten<br />
Rezeption, in der nach einer stark politisierten Phase ein Abschnitt folgte, in dem<br />
sich die Forschung urn Interpretationen bemuhte, die von allem Politischen<br />
gesàubert waren. Diese zwei Richtungen veranschaulichte Klaus von See in seiner<br />
vielzitierten Frage:<br />
„ (...) wieso ein Epos zur deutschen nationalen Idéologie werden<br />
konnte, <strong>da</strong>s mit der deutschen Geschichte gar nichts zu tun hat,<br />
sondern von Zwist und Mord <strong>im</strong> burgundischen Kónigshaus<br />
handelt, - eine abstrus-peinliche Betrugskomodie, die sich <strong>da</strong>nk der<br />
undisziplinierten oder auch nur tõrichten Schwatzhaftigkeit ihrer<br />
Protagonisten zur Ehetragõdie auswáchst...' 66<br />
Dal3 der Text keine oder nur einzeln verstreute Gemeinsamkeiten mit der<br />
deutschen Geschichte aufweist, bedeutet nicht automatisch, <strong>da</strong>B er keine<br />
politische D<strong>im</strong>ension besitzt. Im Gegenteil: <strong>da</strong> die Handlungstràger aristokratischer<br />
Abstammung sind, besitzt der Text notwendigerweise auch eine politische<br />
D<strong>im</strong>ension, die in solchen Kreisen eng gebunden ist an private Angelegenheiten<br />
wie Familie, Heirat, Fortpflanzung, usw. Unser aufgeklàrtes BewuBtsein verleitet<br />
uns je<strong>do</strong>ch <strong>da</strong>zu, best<strong>im</strong>mte Sphàren dem Privaten bzw. Gesellschaftlichen<br />
zuzuordnen, wáhrend <strong>im</strong> Mittelalter die Grenzen zwischen den jeweiligen<br />
Bereichen durchlássiger waren, <strong>da</strong> auch die Eingebundenheit des Einzelnen in<br />
verschiedene Gruppierungen intensiver war. Im <strong>Nibelungenlied</strong> wiirde sich eine<br />
solche Trennung schon wegen der <strong>da</strong>rin vorkommenden Personenkonstellation als<br />
abwegig erweisen, <strong>da</strong> zum herrschaftlichen Personenverband des burgundischen<br />
38
Kónigshauses Verwandte unterschiedlichen Grades gehõrten, die untereinander<br />
sowohl durch herrschaftliche (Hagen vs. Gunther, Gemot, Giselher und Kriemhild,<br />
u.a.) ais auch verwandtschaftliche (sie alie untereinander) Verhàltnisse verbunden<br />
waren.<br />
Spricht man von den herrschaftlichen Bindungen <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong>, so stellt man<br />
sich in erster Unie die harmonisierte Bindung zwischen Kónig Gunther und dessen<br />
wichtigstem Helfer und Vasallen Hagen vor. „Hagen repràsentiert einen in der<br />
mittelalterlichen Epik verbreiteten Typus von Helfergestalten, auf denen <strong>da</strong>s<br />
Ùberleben des Gemeinwesens beruht (...)" 67 : Ais welterfahren ist er der Kundige<br />
am Hof, der zu Rate gezogen wird, wenn Fremde erscheinen (82, 151,1177,1205,<br />
1210, 1431) und der die ehrende Funktion des Ratgebers ausùbt, der seinem<br />
Herrn nach bestem Wissen und Gewissen ohne Wenn und Aber mit Rat und Tat<br />
beisteht: 68<br />
„Hagen ist eine der wenigen Gestalten dieser Dichtung, deren<br />
Ethos klare, von Zweifeln freie Entscheidungen erlaubt. (...) Weder<br />
steht Hagen <strong>im</strong> Bereich des christlichen Ethos, noch macht er eine<br />
Wandlung zu einem neuen Selbstverstàndnis durch. Einen<br />
'Dualismus von Sein und Sollen' hat es fur Hagen nie gegeben. Er<br />
von See, Klaus, (Anm.19), S. 59.<br />
67 Mûller, Jan-Dirk (Anm.42), S. 156.<br />
68 Alois Wolf zàhlt die Vasallierung des ursprûnglichen, in der nordischen Dichtung bewahrten<br />
Bruderverháltnisses - wohl aus Rucksicht auf christliche Werte, um einen direkten Verwandtenmord<br />
innerhalb der engeren Burgundenfamilie zu vermeiden - zwischen Gunther und Hagen zu den<br />
Einflùssen der altfranzòsischen heldenepischen Tradition, bzw. chanson de gesfe-Tradition, eine<br />
Erkenntnis, die in der <strong>Nibelungenlied</strong>-Forschung weitgehend auf Akzeptanz gestoBen ist. Allen<br />
punktuellen Inkonsequenzen zum Trotz, so Wolf, ergebe sich bei dieser Vasallenthematik eine<br />
durchgehende Unie, die von Anfang an klar erkennbar ist und auf die es dem Dichter ankommt;<br />
eine Unie, die <strong>da</strong>nn <strong>im</strong> Sterben Hagens und <strong>im</strong> letzten Triumph, der eben auch als Triumph des<br />
Vasallen <strong>da</strong>rgestellt wird, gipfele. Die Aufwertung der Vasallenrolle beschrànke sich je<strong>do</strong>ch nicht<br />
auf die Gestalt Hagens, auch die Figur Rùdigers ist malîgeblich durch den EinfluB der Wilhelmsepik<br />
gepràgt: am deutlichsten manifestiere sich dies in der Szene des FuBfalls des Herrschers vor<br />
seinem Vasallen, die sowohl Bataille d'Aliscans als auch Couronnement de Louis kennen. Weiter<br />
<strong>da</strong>zu: Wolf, Alois, „Die Verschriftlichung der Nibelungensage und die franzósisch-deutschen<br />
Literaturbeziehungen <strong>im</strong> Mittelalter", in: Masser, Ach<strong>im</strong> (Hrsg.), Monfort - Vierteljahresschrift fur<br />
Geschichte und Gegenwart des Vorarlbergs, (Hohenemser Studien zum <strong>Nibelungenlied</strong>), Heft 3/4,<br />
Vorarlberger Verlaganstalt, Dornbirn, 1980, S. 227-245; Kritisch zur These der schriftliterarischen<br />
Intertextualitàt vgl. Mùller, Jan-Dirk, (Anm.42), bes. S. 55-102.<br />
39
kennt stets seine Lage und <strong>da</strong>mit auch sein Verháltnis zum<br />
Gegenùber." 69<br />
Obwohl nur nebenbei eingefùhrt (9,1), wird Hagen <strong>im</strong> Laufe der dritten âventiure in<br />
den Vordergrund gerùckt: er entwickelt sich zunâchst unauffàllig zum Gegner der<br />
zwei anfangs vorgestellten Gestalten: Kriemhild (1. âventiure) und Siegfried (2.<br />
âventiure). Hier hat er seinen ersten õffentlichen Auftritt zuerst als Berichterstatter,<br />
<strong>da</strong>nn als Gunthers Ratgeber, um sich von nun an, wie Ingeborg Cavalié richtig<br />
bemerkt hat, <strong>im</strong>mer mehr zum eigenstàndigen Wortfùhrer zu „schwingen". 70 In<br />
dieser Szene ist ebenfalls der Ke<strong>im</strong> der kùnftigen Feindschaft zwischen Hagen und<br />
Siegfried zu suchen, die in der 14. âventiure kulminieren wird, in der es um die<br />
Beleidigung der Kõnigin und den BeschluB, Siegfried zu ermorden, gehen wird.<br />
Obwohl zurùckhaltender als der temperamentvolle Ortwin, senden Hagens Worte<br />
(...): „uns mac wol wesen leit,<br />
alien dînen degenen, <strong>da</strong>z er ie gereit<br />
durch strîten her ze Rîne; er soltez haben lân.<br />
<strong>im</strong> heten mine herren sõlher leide niht getân." (121,1-4)<br />
ein unmiBverstàndliches Signal aus, <strong>da</strong>(3 Siegfrieds widersage als leit 71 , <strong>da</strong>s er<br />
soltez haben lân (121,3) bzw. als Bedrohung und Ehrverletzung empfunden wurde,<br />
was nach dem mittelalterlichen Ehrenkodex schwerwiegende Konsequenzen hatte<br />
Harms, Wolfgang, Der Kampf mit dem Freund oder Verwandten in der deutschen Literaturbis um<br />
1200, Mùnchen: Ei<strong>do</strong>s, 1963, S. 33-46, hier S. 36.<br />
70 Cavalié, Ingeborg, „Die umstrittene Episode in der dritten âventiure des "<strong>Nibelungenlied</strong>': Sîfrits<br />
widersage an die Burgunden", in ZfdPh 120 (2001), S. 361-380, hier S. 375; Fur Friedrich<br />
Neumann („Schichten der Ethik <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong>e" (1924), wieder abgedruckt in ders., Das<br />
<strong>Nibelungenlied</strong> in seiner Zeit, Góttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1967, S. 9-34) ist Hagen<br />
ebensowenig wie Siegfried eigenmann, denn ùberlegen vermag er, seinen Herm von der<br />
Richtigkeit eigener Ansichten und Plane zu ùberzeugen.<br />
Ausfùhrlich zum Thema leit in Maurer, Friedrich, Leid. Studien zur Bedeutungs- und<br />
Problemgeschichte, besonders in den groBen Epen der staufischen Zeit, Berlin: Francke, 1961, <strong>im</strong><br />
<strong>Nibelungenlied</strong> S. 13-38. Es herrschte lange Jahre die hartnàckische Auffassung, Siegfrieds Auftritt<br />
als Herausforderer sei eine ..unhofische Vorzeitsitte", ein ..blindes Motiv", <strong>da</strong>s auf recht<br />
unterschiedliche Art und Weise - sagenhistorisch, gattungsbedingt oder <strong>im</strong> Hinblick auf<br />
zeitgenõssische Machtspannungen der Stauferzeit - gedeutet wurde. Heutzutage ist je<strong>do</strong>ch die<br />
Meinung vorherrschend, die Episode weise ein arturisches Muster auf, was sich <strong>da</strong>ran zeigt, <strong>da</strong>!3<br />
40
und nicht selten Konflikte auslóste. Fur einen Vasallen, dessen oberstes Prinzip<br />
nicht nur die Fursorge fur die Sicherheit seiner Herren ist, sondem der auch die<br />
Pflicht hat, die Wùrde des Reiches (dignitas <strong>im</strong>perii) zu verteidigen, ist dies Grund<br />
genug, MiBtrauen gegen den Eindringling zu hegen und auf der Lauer zu bleiben.<br />
Als Reaktion auf die traditionsreiche Heldenverehrung vertraten etliche<br />
Altgermanistinnen die Ansicht, Gunther sei wegen seiner <strong>im</strong>mer wiederkehrenden<br />
Konsultationen ein schwacher und schlechter Kónig gewesen. 72 Diese These ist<br />
anhand der Kenntnisse, die uns die Geschichtswissenschaft inzwischen geliefert<br />
hat, vom heutigen germanistischen main stream verworfen worden, denn die<br />
Forschungen der Geschichtswissenschaft haben ergeben, <strong>da</strong>B in der Beratung<br />
und <strong>im</strong> Rat {consilium) die mittelalterliche Staatlichkeit und Herrschaft eine ihrer<br />
zentraien Institutionen hatten und der Vasall eine seiner wichtigsten und<br />
vornehmsten Funktionen. Und <strong>da</strong> Gunther kein absolutistischer Herrscher war,<br />
konnte er auf den Rat seiner vriunde nicht verzichten, was nichts mit seiner<br />
persónlichen Entscheidungsschwáche zu tun hatte. Die Bedeutung der<br />
Entscheidungsfindung und Konsensstiftung ist uns auBerdem durch zahlreiche<br />
zeitgenõssische Schriften des Mittelalters uberliefert worden. Erst wenn wir diese<br />
Bedeutung wurdigen, kõnnen wir uns von der auBerordentlich hohen Position, auf<br />
der der mittelalterliche hõfische Ratgeber rangierte, ein Bild machen. Die<br />
historischen Quellen zeigen uns auch, <strong>da</strong>B bei diesen, so Althoff,<br />
„Grundsituationen des mittelalterlichen Menschen" 73 die Kónigshófe nicht selten als<br />
Schauplàtze fur entgegengesetzte Interessenbildungen fungierten, wobei jede<br />
zahlreiche Artus-Romane <strong>da</strong>mit eròffnen werden, und folglich sehr wohl von einer planmaBigen<br />
Erzàhltechnik des anonymen Dichters zeuge.<br />
72 Angeregt von Roswitha Wisniewski und ihrem Aufsatz „Das Versagen des Kónigs. Zur<br />
Interpretation des <strong>Nibelungenlied</strong>es", (in Schmidtke, Dietrich (Hrsg.), Festschrift fur Ingeborg<br />
Schrõbler, Tubingen: Max Niemeyer, 1973, S. 170-186) setzte diese These am Beispiel Siegfrieds<br />
und Dietrichs ihre Schúlerin Carola L. Gottzmann fort. Neuerdings hat Walter Seitter in seinem<br />
Aufsatz „Die Urszenen des Politischen. Von der zivilisatorischen Funktion der Literatur und ihrem<br />
Ausfall am Beispiel des <strong>Nibelungenlied</strong>es" eine àhnliche Ansicht vertreten, nàmlich <strong>da</strong>B „<strong>da</strong>s<br />
<strong>Nibelungenlied</strong> (...) fur sich genommen einen riesigen seriellen und zwar negativen Furstenspiegel<br />
entfalte. Viele sehr verschiedene Versagen vieler verschiedener Kònige - vom alten Siegmund bis<br />
zum alten Etzel - verketteten sich zu einer <strong>im</strong>mer unentrinnbarer werdenden Kette von Unglucken.",<br />
Vgl. Seitter, Walter, (Anm.14), S. 113.<br />
73 Althoff, Gerd, „Gloria et Nomen Perpetuum. Wodurch wurde man <strong>im</strong> Mittelalter beruhmt?", in:<br />
Althoff, Gerd, et allii. (Hrsg.), Person und Gemeinschaft <strong>im</strong> Mittelalter. Karl Schmid zum<br />
funfundsechzigsten Geburtstag, Sigmaringen: Jan Thorbecke, 1988, S. 296-313, hier S. 301.<br />
41
Partei auf die jeweilige Beeinflussung und Willensbildung des Herrschers abzielte.<br />
Diese Gegebenheit ist in der Literatur allzugut bekannt und ais Hofkritik oft in Form<br />
des Motivs des schmeichlerischen Ratgebers pràsent, auf dessen Betreiben<br />
hõfische Intrigen entfacht werden. Am Wormser Hof, mit seinem auf den engsten<br />
Kreis reduzierten Personen, kommt diese Rolle dem Troneger Hagen zu, auch<br />
wenn er von einem gesichtslosen schmeichlerischen Hõfling weit entfernt ist. Um<br />
die verletzte Ehre seines Herrn wieder herzustellen, agiert er zunáchst aus dem<br />
Hintergrund als Berater gegen Siegfried (151,4; 331; 532), <strong>im</strong> nachhinein aber<br />
<strong>im</strong>mer selbstsicherer, um letztendlich die Regie von dessen Tod selbst in die Hand<br />
zu nehmen.<br />
AuGer der in idealisierender, heldenepischer Manier gestalteten Beziehung<br />
zwischen Gunther und seinem Vasallen Hagen schildert uns <strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong><br />
eine weitere Beziehung, die zwar keine réelle Herr-Vasall-Beziehung ist, aber<br />
<strong>im</strong>merhin Zùge einer herrschaftlichen, durch Eid (335,1) rechtsmâBig bekráftigten<br />
Bindung ann<strong>im</strong>mt. Es geht um <strong>da</strong>s Verháltnis zwischen Gunther und Siegfried.<br />
Siegfried ist einerseits ein vielerorts berùhmter Held, von dessen sagenhaften<br />
Heldentaten Hagen berichtet: wie er sich <strong>da</strong>s unermeBliche Reich der Nibelungen<br />
zu eigen gemacht hat, zu einem nie zu erschõpfenden Schatz gelangte und einen<br />
Drachen ùberwàltigte, dessen Blut ihm eine Schicht von Hornhaut verlieh, usw.<br />
Ùberdies ist Siegfried ein hófisch erzogener junger Fùrst, wie er in der Exposition<br />
in der 2. âventiure <strong>da</strong>rgestellt wurde: er verehrt seine Dame aus der Feme und ùbt<br />
sich u.a. in geduldigem Warten, ohne <strong>da</strong>B ihm Zeichen der Zuversicht<br />
entgegenkommen (staete). 74 Diese zwei widersprùchlichen Verhaltensparadigmen<br />
Staete war neben triuwe eine der zentralen und vornehmsten Tugenden in der mittelalterlichen<br />
Literatur. Desselben ethymologischen Ursprungs wie <strong>da</strong>s Verb "stehen' (and., mhd. stân, stên)<br />
drùckte <strong>da</strong>s Abstraktum staete die Bestàndigkeit, die Dauer und <strong>da</strong>s Ausharren in einem Zustand<br />
aus. Dem Begriff kam insbesondere in der theologischen Lehre des Christentums eine gewichtige<br />
Rolle zu, fur die die Welt in <strong>da</strong>s vergângliche und unbestàndige Diesseits und <strong>da</strong>s unvergángliche<br />
und ewige Jenseits zerfiel. Der Mensch wurde dieser Lehre nach infolge des Sûndenfalls dem<br />
Fluch der Vergànglichkeit anhe<strong>im</strong>gegeben, von dem er durch die Auferstehung Christi erlòst wurde.<br />
Aber auch in der weltlichen Dichtung fand staete ihren Eingang und festen Platz <strong>im</strong> ritterlichhófischen<br />
Tugendsystem. Ihre kosmisch-metaphysische und psychologisch-moralische D<strong>im</strong>ension<br />
existierten, bedingt durch die fur <strong>da</strong>s Mittelalter typische typologische Denkweise, nebeneinander:<br />
bedeutete sie <strong>im</strong> góttlichen Bereich gottgewollte, ewig reine und unverànderliche paradiesische<br />
Zustànde, so kennzeichnete sie <strong>im</strong> diesseitigen Bereich <strong>da</strong>s menschliche Handeln, <strong>da</strong>s diesen<br />
góttlichen Zustánden sich zu nàhern scheint, indem es die Ordnung dieser Welt des Wandels, der<br />
42
ein und derselben Figur alternieren, bis es <strong>im</strong> nachfolgenden Sachsenkrieg zu<br />
einer Verschmelzung der beiden Muster kommt. Fur seinen Minnedienst in diesem<br />
fingierten Vasallenverhàltnis bekommt er als Ion den hõfischen gruoz seiner<br />
Dame, der nicht nur ein Signal der BegrùBung war, sondem auch ein Akt, mit dem<br />
man die ère des anderen anerkannte. Doch dies reicht noch nicht aus, urn die<br />
geliebte Dame zu gewinnen. Siegfried muB eine weitere Aufgabe bewáltigen: wenn<br />
er, Siegfried, Gunther bei dessen Brauwerbung urn die máchtige islándische<br />
Kõnigin Brunhild hilft und ihn <strong>im</strong> Kampf gegen sie vertritt, wird er als Gegenleistung<br />
die Hand Kriemhilds bekommen. Ein zweites Mal ist hier der Einsatz von Siegfrieds<br />
sagenhaften Fàhigkeiten gefragt, <strong>da</strong>mit er seine hôfische Karriere am Wormser<br />
Hof erfolgreich abschlieBen kann. Urn seine Mission auf Isenstein móglichst<br />
erfolgreich zu erfullen, inszeniert Siegfried sich selbst als Gunthers Vasall, zuerst<br />
durch die Anweisung an seine Reisegefâhrten, sie sollen wan einer redejehen: /<br />
Gunther sî mîn herre, und ich si sin man (386,3-4) und <strong>da</strong>nach, nach der Ankunft,<br />
durch den ostentativen Statordienst, den er Gunther vor den Augen Brunhilds und<br />
ihrer Frauen leistet. Wahrend dieser „Mauerschau" hat <strong>da</strong>s Gesinde Brunhilds die<br />
Gelegenheit, die Ankunft der Burgunden zu verfolgen, wie Gunther sich in den<br />
Sattel schwingt und wie Siegfried ihm durch eine Geste von demostrativer<br />
Unterordnung dienstbereit den Steigbugel halt, so wie sie <strong>im</strong> Lehnsverháltnis<br />
vorgegeben war. Zieht man nun die Erkenntnisse der Geschichtswissenschaft iiber<br />
rituelle Verhaltensmuster und die Zeichenhaftigkeit der mittelalterlichen<br />
Kommunikation heran, kõnnte man <strong>da</strong>raus schlieBen, die Szene der Landung auf<br />
Isenstein sei einem zeitgenóssischen Geschichtsbuch entnommen worden, denn<br />
sie làuft ganz genau nach den Regeln ritueller Kommunikation ab. Nonverbal und<br />
vor gróBtmõglichen Óffentlichkeit angelegt muBte sie besonders starke Wirkung<br />
erreicht haben. Dennoch verfehlt dieses Tàuschungsmanóver sein Ziel und<br />
Bruhnhild begruBt zunáchst Siegfried, worauf er sie verbal auf Gunthers<br />
vermeintlich hóheren Rang verweist. Damit stellt sich <strong>da</strong>s Problem der Deutung<br />
Siinde und der Hinfàlligkeit zumindest vorûbergehend veriàRt. Angestrebt wurde dieses Verhalten<br />
vorwiegend <strong>im</strong> Bereich der Minne: staete auf Erden stellte die erste Stufe der Vergegenwártigung<br />
des Gòttlichen <strong>im</strong> Diesseits <strong>da</strong>r. Vgl. Wisniewski, Roswitha, „Staete", in: Grossklaus, Gótz (Hrsg.),<br />
43
itueller ÀuBerungen, die, trotz ihres Anspruchs auf Verbindlichkeit, nicht <strong>im</strong>mer<br />
eindeutige Botschaften vermittelten. 75 Demzufolge ist auch Brunhilds<br />
Rásonnement nicht ungerechtfertigt: noch wáhrend des 12. Jahrhunderts hat es<br />
eine rege Diskussion uber die Symbolik des Stratordienstes gegeben, - den sowohl<br />
die byzantinischen als auch die rõmischen und deutschen Kõnige bzw. Kaiser<br />
mehrfach dem Papst leisteten -, námlich ob er aus Verpflichtung oder als Geste<br />
der Hõflichkeit vorgenommen wurde. Dabei bestritt man ausdrucklich seine<br />
Konnotation als Ausdruck der Unterwerfung (denn er gehõrte zu den ublichen<br />
Aufgaben eines Marschalls, eines Lehnsmannes also), zumindest was den<br />
Stratordienst dem Papst gegenuber angeht. Diese Auseinandersetzung zeigt eine<br />
verbluffende Náhe zu unserem modernen, wohl durch Politikverdrossenheit<br />
bedingten Standpunkt, was Rituale und Inszenierung auf hõchster staatlicher<br />
Ebene eigentlich sind: nichts als leerer Schein und minuties vorbereitetes Theater.<br />
Diese heutige pejorative Einschátzung ist wiederum keineswegs auf die<br />
besprochene Situation anwendbar, sie kann uns je<strong>do</strong>ch <strong>da</strong>zu anregen, uber die<br />
Mehrdeutigkeit rituellen Verhaltens nachzudenken: wahrend Siegfried auf die<br />
absolute Eindeutigkeit des Búgeldienstes setzt, begreift Brunhild ihn als Courtoisie<br />
und zwingt <strong>da</strong>mit Siegfried, wenn auch unbewuGt, zur verbalen Standesluge.<br />
Nach dem erfolgten Kampf mit Brunhild, als Hagen einen Angriff von Seiten von<br />
Brunhilds vriunde, mage und man befurchtet, und als Siegfried als Reaktion<br />
<strong>da</strong>rauf seine Nibelungen-Krieger einholen will, bestátigt Siegfried wiederholt seine<br />
gespielte untergeordnete Position, indem er die Burgunden ausrichten Iál3t: <strong>da</strong>z ir<br />
Geistesgeschichtliche Perspektiven. Rùckblick-Augenblick-Ausblick. Festgabe fur Ru<strong>do</strong>lf Fahrner<br />
zu seinem 65. Geburtstag, Bonn: H. Bouvier und Co., 1969, S. 47-60.<br />
75 In seinem Aufsatz „Offentlichkeit und Kommunikation <strong>im</strong> Mittelalter. Zur Herstellung von<br />
Óffentlichkeit <strong>im</strong> Bezugsfeld elementarer Kommunikationsformen <strong>im</strong> 13. Jahrhundert" analysiert<br />
Thum sowohl verbal-sprachliche als auch non-verbale Verstandigungsformen und kommt, in<br />
Anlehnung an Informatik und Kommunikationstheorie zum Ergebnis, die Sprache und insgesamt<br />
die Verstândigung seien <strong>im</strong> Mittelalter hauptsàchlich durch die analoge Kommunikation gepràgt<br />
worden, wogegen <strong>im</strong> modernen Zeitalter die sog. digitale Verstàndigungsweise vorherrschend sei.<br />
Die erste zeichnet sich <strong>da</strong>durch aus, <strong>da</strong>B sie vorwiegend auf Zeichen, Symbole, Bilder und Gesten<br />
setzt und demzufolge konnotativen Charakters ist. Diese 'Verstandigungszeichen' sind nie<br />
eindeutig festzulegen, sie kennen „weder abstrakte logische Ableitung noch eine klare<br />
Differenzierung der Zeitstufen, noch auch die einfache Negation". Jene hingegen zeichnen sich<br />
durch ihren denotativen Charakter - Worter und Zahlen, die in keiner logischen Beziehung zum<br />
Bezeichneten stehen -, kónnen logisch-diskursive Denkvorgãnge zum Ausdruck bringen und<br />
44
mich habt gesendet, <strong>da</strong>z suit ir Prilnhilde sagen (481,4). Dieses Moment ist<br />
àuBerst wichtig, denn hier fàngt die Relativierung rituellen Verhaltens an, <strong>da</strong>s<br />
abgesehen von der Verbindlichkeit fur die Gegenwart „in aller Regel eine auf die<br />
Zukunft weisende D<strong>im</strong>ension besaB." Rituelles Verhalten lieferte Vergewisserung<br />
und Bestàtigung, <strong>da</strong>B die bestehenden sozialen Ordnungen funktionierten und <strong>da</strong>B<br />
auf sie VerlaB war. Und <strong>da</strong> „<strong>im</strong> Mittelalter etablierte Gewohnheiten einen hohen<br />
Geltungsanspruch besaBen", 76 konnte <strong>da</strong>s Nichteinhalten dieser Gewohnheiten,<br />
uber deren Eindeutigkeit allgemeiner Konsens herrschte, zu nicht vorhersehbaren<br />
Konfliktsituationen fuhren. Und genau an dieser Stelle setzt <strong>da</strong>s Epos an:<br />
„Retrospektiv erweist sich <strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong> somit auch als eine Erzàhlung vom<br />
Untergang einer verlàBlichen Zeichenwelt." 77 Auf die Handlungsstruktur ubertragen<br />
bedeutet dies, <strong>da</strong>B auch elementare, auf triuwe grundende zwischenmenschliche<br />
Beziehungen scheitern, wenn sie VerlàBlichkeit und Vertrauen, aus welchen<br />
Griinden auch <strong>im</strong>mer, aufs Spiel setzen.<br />
Brunhild wird diese ihr vorgefuhrte Sicht der Dinge spàter, in der 14. âventiure, ais<br />
Kriemhild mit dem vermeintlichen Vasallen Siegfried verlobt wird bzw. ais der Streit<br />
der Kóniginnen bereits seinen verhángnisvollen Lauf angenommen hatte, expressis<br />
verbis betonen:<br />
,Jch mac wol balde weinen", sprach diu schoene meit.<br />
„umbe dîne swester ist mir von herzen leit.<br />
die sihe ich sitzen nâhen dem eigenholden din.<br />
<strong>da</strong>z muoz ich <strong>im</strong>mer weinen, sol si also verderbet sin." (620)<br />
„Unt dà er mine minne sô ritterlîch gewan,<br />
dô jack des selbe Sîfrit, er waere 'skiineges man.<br />
des hân ich injur eigen, sit ichs in hôrtejehen." (821,1 -3)<br />
erlauben eine Unterscheidung zwischen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. Vgl. mehr <strong>da</strong>zu:<br />
Thum, Bernd, (Anm.53), S. 65-87, insbesondere S. 79.<br />
76 Althoff, Gerd, (Anm.62), S. 23.<br />
45
Exkurs:<br />
Den Ke<strong>im</strong> kunftigen Unheils kann man unter anderem auch in dieser<br />
Behauptung Brunhilds suchen, in der sie die durch <strong>da</strong>s unprázise man<br />
ausgedruckte Inferioritãt Siegfrieds als eigenholt auffaBt und mit dieser<br />
"Verschiebung und Verschàrfung' Kriemhild zusátzlich reizt. Ein<br />
eigenholt war nicht nur ein Vasall (der durchaus auch adelig sein<br />
konnte), er war auBerdem der Vertreter einer Gruppe von Unfreien, der<br />
sog. Ministerialen, die seit dem 12. Jahrhundert <strong>im</strong> Zuge der<br />
Territorialisierungsprozesse und der Ausweitung des landesfúrstlichen<br />
Suprematieanspruchs <strong>im</strong> Dienst adeliger Herrscher <strong>im</strong>mer hòhere<br />
Positionen einnahmen und so „ihre adeligen Standesgenossen zu<br />
ùberflùgeln beg(a)nnen und zur Landesherrschaft aufst(ie)gen.<br />
Komplementar zu dieser Entwicklung w(u)rden adelige Herrschaften<br />
mediatisiert, s(a)nken edelfreie Dynasten in die Ministerialitãt des<br />
Landesherrn ab Oder w(u)rden durch dessen Ministerialen in ihren<br />
Herrschaftsfunktionen ersetzt." 78 Noch weiter in der Deutung des<br />
Terminus eigen (man), eigenholt und eigene diu geht Ursula Hennig<br />
(1980), die unter der Einbeziehung vom Corpus der Altdeutschen<br />
Originalurkunden die standesrechtliche Fixierung desselben Terminus <strong>im</strong><br />
Bereich von homo senilis condicionis sehen will, einem Bereich, der<br />
jenseits der Ministerialitãt liegt und dem neben der Unfreiheit <strong>da</strong>s Mal der<br />
Leibeigenschaft anhaftet, was zwangslàufig die unterste Stufe der<br />
standesrechtlichen Ordnung bedeutet und grundsátzliche<br />
Lehensunfáhigkeit <strong>im</strong>pliziert. Unabhángig <strong>da</strong>von, wie man die ÀuBerung<br />
Brùnhilds interpretiert, bleibt festzustellen, <strong>da</strong>B <strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong> und<br />
die Gattung der deutschen Heldenepik insgesamt, <strong>im</strong> Unterschied zur<br />
Gattung des Artusromans, wo der ritterliche Dienst der ministerialis <strong>da</strong>s<br />
Gesellschaftsideal schlechthin <strong>da</strong>rstellt, den TJienst' vor allem als ein<br />
stàndisches Unterscheidungmerkmal bewerten. 79 Dennoch: <strong>da</strong>von<br />
auszugehen, <strong>da</strong>B Siegfrieds Stellung als die eines Ministerialen Oder<br />
eines Leibeigenen gemeint ist Oder <strong>da</strong>B der ei'genman-Anspruch<br />
77 Wenzel, Horst, „Szene und Gebàrde. Zur Visuellen Imagination <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong>", in ZfdPh 111<br />
(1992), S. 321-343, hierS. 341.<br />
78 Muller, Jan-Dirk, (Anm.63), S.108-109.<br />
79 Am eindeutigsten in der Zeile 118,3: ich bin ein kiinec riche, sô bistu kilneges man.<br />
46
Brùnhilds vor dem Hintergrund der durch die Territorialisierungspolitik<br />
entstandenen Konflikte zu verstehen ist oder vielleicht als „Urangst des<br />
europàischen Feu<strong>da</strong>lismus, (...) <strong>da</strong>B mit der Herrscherfamilie auch der<br />
Staat untergeht", 80 erweist sich als Ausgangspunkt fur die Interpretation<br />
als nicht angemessen, <strong>da</strong> sowohl die streng soziologisch orientierten, als<br />
auch die sog. „panpolitisierenden" Deutungen <strong>da</strong>s komplexe Gefuge aus<br />
Tradition, Gattung und literarischem Zeitgeist aus den Augen verlieren.<br />
Hagens Handlungsmuster, wie bereits erwàhnt, ist in seiner heroischen Position<br />
fest verankert: kompromiGlos lehnt er jegliche hófische Verhaltensnorm als Mittel<br />
zur Versõhnung ab. Als Kriemhild ihn fur sich beansprucht, antwortet er, ohne<br />
Umschweife:<br />
er sprach: Jane mac uns Gunther ze werlde niemén gegeben.<br />
Ander iuwer gesinde lât iu volgen mite,<br />
want ir <strong>do</strong>ch wol bekennet der Tronegaere site:<br />
voir mûezen bî den kunigen hie en hove bestân.<br />
wir suln in langer dienen, den wir alher gevolget hân." (698,4 - 699,4)<br />
Anderson und Schweikle 81 haben in dieser Erklárung restloser Ergebenheit dem<br />
Herrn gegenùber eine erste Spannung zwischen Hagen und Kriemhild und <strong>da</strong>s<br />
erste Anzeichen einer zukùnftigen Rivalitãt zwischen Hagen und Siegfried<br />
gesehen. Doch ihre Rivalitãt, wie wir bereits gesehen haben, reicht weit in die<br />
Vergangenheit zurûck, nàmlich in die 3. âventiure und Siegfrieds widersage. Der<br />
Zank zwischen den beiden Kõniginnen der 14. âventiure, der in der õffentlichen<br />
(offenliche) Demùtigung Brùnhilds durch Kriemhild gipfeln wird, war lediglich der<br />
Zúndstoff, der Hagens langjáhrige Feindschaft zu Siegfried aktivieren wird. Seine<br />
80 Galle, Volker, „Barbaren werden gemacht - von den Handlangern der Zivilisation", in Galle,<br />
Volker und Bònnen, Gerold (Hrsg.), (2003), S. 40-62, hier S. 40.<br />
81 Anderson, Philip N., „Kriemhild's Quest", in Euphorion 75 (1985), S. 3-12, hier S. 8 und<br />
Schweikle, Gunther, „Das <strong>Nibelungenlied</strong> - ein heroisch-tragischer Liebesroman?" in, De poeticis<br />
medii aevi questiones. Kàte Hamburger zum 85. Geburtstag, Gòppingen: Kummerle, 1981, S. 59-<br />
84, hier S. 62.<br />
47
Unbeirrbarkeit steht auch in dieser Situation Giselhers versõnhlicher Haltung<br />
entgegen<br />
„Suln wir gouche Ziehen", sprach aber Hagene:<br />
„des habent lùtzel ère sô goute degene.<br />
<strong>da</strong>z er sich hât gerilemet der lieben vrouwen mm,<br />
<strong>do</strong>r umbe wil ich sterben, ez engê <strong>im</strong> an <strong>da</strong>z leben sin." (867)<br />
Daraufhin wird auf Hagens Betreiben <strong>da</strong>s Mordkomplott ins Spiel gebracht. Obwohl<br />
die Idee ursprùnglich aus Brunhilds innerem Monolog kam (845) gehen die<br />
Meinungen der Forscher auseinander, ob Hagens Tat als dessen Eigeninitiative<br />
anzusehen ist oder ob er auf Anweisung Brunhilds gehandelt hat. Man beruft sich<br />
auf die nicht eindeutig formulierte Zeile 864,2 - dô sagte si <strong>im</strong> diu maere - welche?<br />
- und <strong>da</strong> eine explizite Anordnung von Seiten Brunhilds nicht gegeben ist, sehen<br />
u.a. Siegfried Beyschlag (1951/52), Wolfgang Harms (1963) und nun auch<br />
Ingeborg Cavalié (2001) Hagen, dessen oberstes Gesetz der Einsatz fur die ere<br />
seiner Herrin war, als den einzigen Schuldigen, der die anderen in die<br />
Komplizenschaft dràngt. Zacharias 83 <strong>da</strong>gegen glaubt, Hagen hátte ausdrûcklich<br />
den Anweisungen Brunhilds entsprechend gehandelt, denn die erste Erwáhnung<br />
von Siegfrieds Tod entstammt dem inneren Monolog Brunhilds hât er sich<br />
geriiemet, ez get an Sifrides Up (845,4). Zacharias fuhrt auBerdem seine<br />
Ùberlegungen auf die Tatsache zuruck, <strong>da</strong>B die Vollstreckung der Rache<br />
ausschlieBlich Mànnern vorenthalten und eine direkte Beteiligung von Frauen an<br />
deren Ausfuhrung strikt unzulàBig war. Auch wenn diese zwei Argumente sich<br />
nicht ausschlieBen - d.h. die Frau konnte zwar eine Fehde oder Rachehandlung<br />
initiieren, je<strong>do</strong>ch nicht selbst ausfuhren -, wurde ich mich der zweiten Móglichkeit<br />
anschlieBen und dies mit der auktorialen Aussage bekràftigen, námlich <strong>da</strong>z het<br />
geraten Prùnhilt, des kùnic Guntheres wîp (917,4). Brunhilds Verhalten <strong>im</strong> ersten<br />
Teil des Epos wird sich in Kriemhilds Verhalten <strong>im</strong> zweiten Teil wiederholen, indem<br />
Eine ausfiihrliche und noch <strong>im</strong>mer brauchbare Interpretation der Gestalt Giselhers liefert<br />
Wolfgang Mohrs Aufsatz „Giselher", in ZfdA 78 (1941), S. 90-120.<br />
83 Zacharias, Rainer, „Die Blutrache <strong>im</strong> deutschen Mittelalter", in ZfdA 91 (1961/62), S. 167-201.<br />
48
sie, Kriemhild, auf die Krieger Etzels einreden wird, sich fur sie an Hagen zu<br />
ràchen. Das Beispiellose wird erst <strong>da</strong>nn auftauchen, als Kriemhild vollig aus dem<br />
Rahmen der mittelalterlichen Rechtsauffassung fàllt, selber zum Schwert greift und<br />
Gunther und wenig spáter Hagen eigenhãndig enthauptet.<br />
Die Funktion des fragwùrdigen Reinigungseides, den Gunther Siegfried<br />
abgenommen, schien eher auf die demonstrative Entlastung Gunthers als rex<br />
iustus abzuzielen, als Siegfried tatsàchlich von den Beschuldigungen Brunhilds<br />
freizusprechen. 84 AuBerdem wies Siegfried nur <strong>da</strong>s zuruck, was man ihm<br />
anlastete, nàmlich <strong>da</strong>B er uber die burgundische Kónigin nichts Beleidigendes<br />
gesagt hat, wãhrend der eigentliche Sachverhalt, dessen Kriemhild Brunhild<br />
bezichtigte, merkwurdigerweise uberhaupt nicht zur Débatte stand! An dieser<br />
Stelle profiliert sich klar <strong>da</strong>s Handlungsprinzip, <strong>da</strong>s <strong>da</strong>s Werk in groBtem Teil<br />
best<strong>im</strong>men wird: So wie <strong>da</strong>mais der Stratordienst trotz seiner allgemein<br />
akzeptierten Zeichenhaftigkeit keine zuverlàBige Botschaft vermittelte, kann auch<br />
fur den Eid als Rechtsmittel behauptet werden, <strong>da</strong>B er als Machtmittel miBbraucht<br />
kein Recht garantiert, sondem Recht unterhóhlt.<br />
Die Stratégie, die Hagen von nun an verfolgt, zeigt frappante Áhnlichkeit zu<br />
derjenigen, die Gunther und Siegfried zuvor auf der Brautwerbungsfahrt eingesetzt<br />
haben: auch er setzt auf die VerlàBlichkeit von Zeichen, wobei es diesmal urn<br />
verbale Zeichen, also Worte, geht. Er inszeniert die erneute Kampfansage durch<br />
die Kõnige Liudegast und Liudeger und miBbraucht <strong>da</strong>s Vertrauen, <strong>da</strong>s Kriemhild<br />
84 Sogar der groBe italienische Diplomat und Schriftsteller Niccolò Machiavelli (1469-1527) war der<br />
Ansicht, <strong>da</strong>B instrumentelles und symbolisches Handeln strikt auseinander zu halten sind. Er<br />
erkannte in seinem von vielen miBverstandenen und zu Unrecht gemaBregelten Werk // Principe<br />
(zu Deutsch Der Fùrst) die Bedeutung der òffentlichen Darstellung von Herrschaft auf der einen<br />
Seite und der gehe<strong>im</strong>en Diplomatie auf der anderen: „A uno principe, adunque, non é necessário<br />
avère in fatto tutte le soprascritte qualité ma é bene necessário parère di averle. Anzi ardirò di dire<br />
questo, che, aven<strong>do</strong>le e osservan<strong>do</strong>le sempre, sono <strong>da</strong>nnose; e paren<strong>do</strong> di averle, sono utili;<br />
come parère pietoso, fedele, umano, intero, religioso, ed essere; ma stare in mo<strong>do</strong> edificato con<br />
l'an<strong>im</strong>o, che, bisognan<strong>do</strong> non essere, tu possa e sappi mutare al contrario. Ed hassi ad intendere<br />
questo, che uno principe , e mass<strong>im</strong>e uno principe nuovo, non puó osservare tutte quelle cose per<br />
le quali gli uomini sono tenuti buoni, sen<strong>do</strong> spesso necessitato, per mantenere lo stato, operare<br />
contro alla fede, contro alla carità, contro alla umanità, contro alla religione. E però bisogna che elli<br />
abbi uno an<strong>im</strong>o disposto a volgersi secon<strong>do</strong> ch'e venti delia fortuna e le variazioni délie cose li<br />
coman<strong>da</strong>no, e, corne di sopra dissi, non partirsi <strong>da</strong>l bene, poten<strong>do</strong>, ma sapere intrare nel maie,<br />
necessitato." (Capitolo XVIII - In che mo<strong>do</strong> e principi abbino a mantenere la fede), Biblioteca dei<br />
Classici Italiani, Online <strong>im</strong> Internet: URL: http://www.fausernet.novara.it/fauser/biblio/index007.htm<br />
[Stand: 24.09.2004].<br />
49
ihm bedenkenlos in verwandtschaftlicher triuwe schenkt - „du bist mm mac, sô<br />
bin ich der dm. ich bevilhe dir mit triuwen den holden wine min, <strong>da</strong>z du mir wol<br />
behùetestden mînen lieben man" (898, 1-2), indem er Siegfried niedertráchtig und<br />
hinterhàltig ermordet, und zwar nicht <strong>im</strong> Krieg, der inzwischen "abgesagf worden<br />
ist, sondern in friedlichen Verháltnissen wàhrend der gemeinsamen Jagd.<br />
Bedeutungslos ist diese Tatsache keineswegs, vielmehr<br />
„machte dies die Tat zum Gipfel der Ruchlosigkeit, <strong>da</strong> mit der Jagd<br />
die Spháre der friedfertigen Geselligkeit miBbraucht wurde, zu der<br />
man eigentlich aufbrach, urn seine Verbundenheit zu stárken.' 65<br />
Mit dem Mord an Siegfried trat ein unùberbrùckbarer Ri(3 innerhalb der<br />
verwandtschaftlichen triuwe ein, der gravierende Auswirkungen fur den weiteren<br />
Ablauf des Geschehens haben wird. In dieser Tat prallen herrschaftliche und<br />
verwandtschaftliche triuwe unmittelbar aufeinander: Um die gekrãnkte Ehre seiner<br />
Lehnsherrin wieder gutzumachen, scheut Hagen sich nicht <strong>da</strong>vor, <strong>da</strong>s<br />
Familienmitglied, nachdem er Kriemhild niedertráchtig dessen verwundbare Stelle<br />
entlockt hat, hinterrucks zu erschlagen. Siegfried gehórte nàmlich, indem er die<br />
burgundische Prinzessin zur Frau nahm, automatisch zum engeren Kreis der<br />
nàchsten Verwandten der Burgunder. Das diensí-Zón-Verhàltnis ein letztes Mai<br />
ironisch aufnehmend bringt Siegfried <strong>im</strong> Todeskampf seine Resignation zum<br />
Ausdruck sowie <strong>da</strong>s Schandmal, <strong>da</strong>s von nun an kùnftige Generationen des<br />
burgundischen Kõnigshauses stigmatisiren wird. Das Absurde dieser Szene liegt<br />
<strong>da</strong>rin, <strong>da</strong>B der getriuwe <strong>im</strong> Dienst seiner kônemagen von diesen selben ermordet<br />
wird, wàhrend er, Siegfried, von ihnen (ungetriuwen) als Familienangehorigen<br />
gerade triuwe erwartet, wenn es um ihre Schwester Kriemhild geht.<br />
Die sint dâ von bescholten, swaz ir wirt geborn<br />
her nâch disen zíten, ir habet iuwern zorn<br />
gerochen ai ze sêre an dem Ube mîn.<br />
mit laster ir gescheiden suit von guoten recken sin." (990)<br />
50
Dô sprachjaemerlîche der verchwunde man:<br />
„Welt ir, kiinic edele, triuwen iht began<br />
in der werlt an iemen, lât iu bevolhen sin<br />
ûfiuwer genâde die holden triutinne min. (996)<br />
Zieht man nun einen Vergleich zwischen dem vasallischen Verhàltnis Gunther -<br />
Hagen und der angeblichen Beziehung Gunther - Siegfried, wird man feststellen<br />
kónnen, <strong>da</strong>B sowohl die echte lehnsrechtliche frz'uiue-Beziehung als auch die<br />
fingierte, die Brunhild fur wahr halt, fur <strong>da</strong>s Erreichen ihrer Ziele auf die gleichen<br />
unlauteren Mitteln zuruckgreifen. Bezeichnend ist, <strong>da</strong>B Siegfried „zum Opfer jener<br />
Strategien (wird), die er ais Tràger der Tarnkappe (und als Initiator des<br />
Stratordienstes) selbst symbolisiert." 86 Oder umgekehrt: die Protagonisten setzen<br />
niedrige Mittel wie List und Betrug ein fur die Aufrechterhaltung eines an sich edlen<br />
Zieles - triuwe - und kompromittieren <strong>da</strong>mit die Tugend, die dem ohnehin schwach<br />
abgesicherten sozialen Gefuge stabilen Halt geben soil. 87<br />
Doch Hagens triuwe gegenuber seinem Herrn, die ihn rûcksichtslos gegen allé<br />
anderen Bindungen handeln lãBt, ist mit dem Abgang Siegfrieds bei weitem nicht<br />
erschopft. Die gekrànkte ere seiner Herrin Brunhild mag <strong>da</strong>mit wiedergutgemacht<br />
worden sein (ergetzen), <strong>do</strong>ch der sagenhafte Nibelungen-Hort, den Siegfried<br />
Kriemhild als Morgengabe hinterlassen hatte, bleibt in ihren Hánden, wo er sich als<br />
gefàhrliches Vehikel ihrer potentiellen Machtgewinnung erwiest.<br />
Nach Siegfrieds Totung kreisen Hagens Ge<strong>da</strong>nken ausschlieBlich urn <strong>da</strong>s<br />
sagenhafte Gold, einer Einstellung, aus der er bereits vorher keinen Hehl gemacht<br />
hat („(...) hort der Nibelungen beslozzen hat sin hant.f hey sold er komen <strong>im</strong>mer in<br />
der Burgonden lantl" (774,3-4) oder (...) ob Sîfrit niht enlebte, so wurde <strong>im</strong><br />
undertân / vil der kùnege lande. (...) (870,3-4). Da psychologisierende<br />
85 Althoff, Gerd, (Anm.40), S. 185.<br />
86 Wenzel, Horst, (Anm.77), S. 340.<br />
Auf die Frage, wieso Siegfried sterben mu(3, soil hier nicht eingegangen werden, <strong>da</strong> es eine<br />
ganze Reihe von Arbeiten zu diesem Thema gibt. Es sei nur auf einige hingewiesen: Schulze,<br />
Ursula, „Gunther sî mîn herre, und ich sî sîn man. Bedeutung und Deutung der Standeslùge und<br />
die Interpretierbarkeit des '<strong>Nibelungenlied</strong>es" in ZfdA 126 (1997), S. 32-52; Campbell, lan,<br />
"Gunther's Role in the Murder Plot: Das <strong>Nibelungenlied</strong>, 14. âventiure", in Dunne, Kerry u.<br />
Campbell, lan R. (ed.), Unravelling the Labyrinth. Festschrift fur Eric Lowson Marson, Frankfurt am<br />
Main: Peter Lang, 1997, S. 121-136.<br />
51
Spekulationen innerhalb der heldenepischen Dichtung insgesamt als<br />
unangemessen gelten, ist auch diesmal àuBerste Vorsicht geboten, wenn man<br />
ùber „Macht- und Habgier" spricht. Solche Verhaltensweisen sollte man vielmehr<br />
zeitgemaB als festen Bestandteil mittelalterlicher Politik betrachten, wo einerseits<br />
<strong>da</strong>s Arrangieren von Heiraten - die nur sporadisch und in der Fiktion der hõfischen<br />
Welt eine Legalisierung von Liebe waren, in Wirklichkeit hingegen eine<br />
Interessengemeinschaft zwischen zwei Familien <strong>da</strong>rstellten - und andererseits die<br />
Verwaltung des Besitzes verwitweter Herrinnen der (mánnlichen) Verwandtschaft<br />
oblag und wo Verwandtschaftsverbãnde auch eine Art „Besitzgemeinschaften"<br />
waren, an deren Beteiligung Frauen ebenfalls Anspruch hatten 88 ((...) „ir ist Up und<br />
guot. 1129). Auf der anderen Seite kónnen Hagens kontinuierliche Anspielungen<br />
auf den potentiellen Landgewinn durch die El<strong>im</strong>inierung Siegfrieds als literarisches<br />
Motiv aufgefaBt werden, <strong>da</strong>s in der 3. âventiure von Siegfried selbst zur Sprache<br />
gebracht worden ist. Nun ist es Hagen, der in umgekehrter Ordnung auf Siegfrieds<br />
einstigen Vorschlag, <strong>da</strong>s Land mit Gewalt zu erobern, zurùckgreift, je<strong>do</strong>ch mit<br />
einem gravierenden Unterschied: wáhrend Siegfried <strong>da</strong>mais den rechtsmaBigen<br />
Landesherrn in aller Òffentlichkeit herausforderte, wird ihm hier zwar âne schulde<br />
widerseit (869,4) je<strong>do</strong>ch nicht õffentlich, sondern aus dem Hinterhalt. 89<br />
Hagen befurchtet unkunde Recken, die Kriemhild durch ihre ubertriebene<br />
GroBzugigkeit (milte, dementia) ins Burgundenreich lockt und in ihre Gunst zieht.<br />
Die folgenden Strophen 1132 bis 1139 stellen eine fragile Rechtsordnung <strong>da</strong>r, die<br />
sich unserem heutigen Verstándnis nur schwer erschlieBen kann: auf Hagens<br />
émeutes Drángen wird der Schatz Kriemhild trotz Gunthers Eidesleistung - „ich<br />
swuor ir einen eit, <strong>da</strong>z ich ir getaete n<strong>im</strong>mer mere leit" (1131,1-2) - genommen.<br />
Dies bedeutet, <strong>da</strong>B der Eid nur punktuell zwischen den Personen, zwischen denen<br />
er geleistet wurde, Gultigkeit hatte, so <strong>da</strong>B Dritte, die sich <strong>da</strong>ran nicht beteiligten,<br />
88 Vgl. Muller, Jan-Dirk (Anm.42), S. 236.<br />
89 Zwischen der Strophe 116,4 iu hât der starke Sîvrit unverdienet widerseit und 869,4 dô heten<br />
<strong>im</strong> die helde âne schulde widerseit sieht Cavalié einen ùber zehn âventiuren gespannten Bogen,<br />
der als Antwort auf die einstige Kampfansage der 3. âventiure fungiert. Vgl. mehr Cavalié,<br />
Ingeborg, (Anm.70), S. 376 ff. Ùbrigens gait die Herausforderung des Landesherrn vom Ritterroman<br />
(wie beispielsweise <strong>im</strong> Iwein) bis hin zum Don Quijote als ein gàngiges literarisches Motiv, und so<br />
auch <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong>: bevor er Burgund zu erobern ge<strong>da</strong>chte, hatte Siegfried bereits <strong>da</strong>s<br />
52
nicht durch den Eid gebunden waren. So ermõglicht die stillschweigende<br />
Zust<strong>im</strong>mung der Kõnige - ir sumelîcher eide wâren unbehuot (1132,1) - Hagen<br />
ungehinderte Handlungsfreiheit, womit er nochmals seine Ùberlegenheit,<br />
Ùberzeugungskraft und sein Durchsetzungsvermõgen unter Beweis stellt. Um<br />
Hagen émeute Handlungsfreiheit zu gewâhren, den Schatz in den Rhein zu<br />
versenken, der kiinic und sine mage rûmten dô <strong>da</strong>z lant (1136), d.h. sie sind<br />
ausgeritten fur einen best<strong>im</strong>mten, je<strong>do</strong>ch nicht pràzise definierten Zeitraum,<br />
wàhrendessen ihre Haft- und Schutzpflichten ihrer Schwester gegenûber, die sich<br />
aus der durch suone und eit hergestellten Rechtsordnung ergeben, zeitweise<br />
auGer Kraft gesetzt sind. Analog zu Siegfrieds Strator-Dienst auf Isenstein und<br />
seinem spàteren Reinigungseid werden auch in diesem Fall vertraute Zeichen und<br />
Mittel, die fur eine Rechtsordnung sorgen sollen, miBbraucht, womit dièse<br />
Rechtsordnung untergraben wird: „Zur Auflósung einer verlàBlichen Zeichenwelt<br />
gesellt sich die Auflósung verlàBlicher Rede von Seiten des Herrschers." 90 Die<br />
Reaktion der Kónige <strong>da</strong>rauf: in was harte leit (1138) muB von ihrer psychischen<br />
Grundlage abgekoppelt und auf eine andere Kohàrenzebene ùbertragen werden,<br />
nàmlich auf die Ebene politisch-gesellschaftlicher Zusammenhánge, die wàhrend<br />
des Mittelalters vorwiegend auf Sichtbarkeit angelegt war. leit, in zorn eingekleidet,<br />
ist hier keine subjektive Gefúhlslage, sondem der Ausdruck eines gestórten<br />
Rechtsverháltnisses, „ein kontrollierter Schritt der Eskalation", 91 bzw. die Reaktion<br />
auf eine Normverletzung, die einerseits die Ùberlegenheit des Kônigs symbolisch<br />
Nibelungenland <strong>da</strong>nk seiner Kùhnheit unterworien und auch auf Isenstein gilt <strong>da</strong>s Gesetz, nach<br />
dem die personliche Tùchtigkeit mit der Herrschaftslegit<strong>im</strong>ation zusammenfàllt.<br />
90 Brinker-von der Heyde, Claudia, „Hagen- valant oder trost der Nibelungen? Zur Unertràglichkeit<br />
ambivalenter Gewalt <strong>im</strong> "<strong>Nibelungenlied</strong>' und ihrer Bewàltigung in der v Klage"\ in Bonnen, Gerold<br />
und Galle, Volker (Hrsg.), (1993), S. 122-144, hier S. 126.<br />
91 Althoff, Gerd (Anm.40), S. 201. Was den zorn (ira) betrifft, hat die Geschichtswissenschaft<br />
mittlerweile ùberzeugende Erkenntnisse <strong>da</strong>rùber geliefert, <strong>da</strong>B seine óffentliche Zurschaustellung<br />
„oft wohl kalkuliert und in der Tat ein Ausdruck von Macht war". Âhnlich den Begriffen triuwe,<br />
ùbermuot, huld, ère, usw., kannte der zorn ebenfalls einerseits einen theologischen und<br />
andererseits einen weltlichen Sprachgebrauch. Von der Geistlichkeit zunàchst ais eine der sieben<br />
Todsùnden verschmàht, machte der zorn dièse negative Konnotation wett, indem seine Bedeutung<br />
und Wertung <strong>im</strong> Laufe der Zeit abgeschwàcht wurden, in dem Sinne, <strong>da</strong>l3 es auch einen positiven<br />
und gerechtfertigten Zorn geben kann, Solange er sich gegen diejenigen richtete, die sûndigten<br />
oder die die ère des anderen bedrohten. Mehr ùber zorn <strong>im</strong> Mittelalter: White, Stephen D., "The<br />
Politics of Anger" and Barton, Richard E., "Zealous Anger and the Renegotiation of Aristocratic<br />
Relationships in Eleventh- and Twelfth-Century France", apud. Starkey, Kathryn, „Die Anordnung<br />
53
zu verdichten und andererseits die rechtmâBige Erfullung der von ihm garantierten<br />
Ordnung õffentlich unter Beweis zu stellen hat. So ist <strong>da</strong>s hit der Kónige <strong>da</strong>s<br />
genaue Gegenteil jener harmonischen St<strong>im</strong>mung der hohen muot, die sich auf der<br />
Skala der begehrenswerten Tugenden ganz oben befand. Die <strong>da</strong>rauffolgende<br />
StrafmaBnahme war, in diesem Fall, der Entzug der Huld, die sich allerdings als<br />
wiederherstellbar erweist: unz er gewan ir hulde; si liezen in genesen (1139,4). Die<br />
Wiedergewàhrung der Huld hatte zum Ziel, die bestrafte Person in ihre vorherige<br />
Stellung zu reintegrieren und die Konfliktsituation friedlich beizulegen. 92<br />
Bei kaum einer anderen Gestalt des <strong>Nibelungenlied</strong>es ist die Wandlung vom ersten<br />
zum zweiten Teil des Epos so deutlich ausgeprágt wie <strong>im</strong> Falle Hagens. Von dem<br />
Zeitpunkt an, als seine Warnungen vor der verràterischen Einladung Kriemhilds bei<br />
den burgundischen Kõnigen auf taube Ohren stoGen und als sein Abraten zum<br />
ersten Mai erfolglos bleibt, richtet sich Hagens gesamtes Tun <strong>da</strong>rauf, wenn nicht<br />
den heroischen Untergang schnellstmoglich herbeizufuhren, <strong>da</strong>nn zumindest die<br />
Gewaltspirale so weit wie moglich zu drehen. Der Rat Gemots, er moge in Worms<br />
bleiben, wâhrend sie, die Kõnige, zu ihrer Schwester reisen werden, ist fur seinen<br />
heroischen Standpunkt inakzeptabel und wird von ihm als Vorwurf der Feigheit<br />
verstanden:<br />
der Unordnung: Inszenierung, Macht und Verhandlung in Wolframs "Willehalm"', in ZfdPh 121<br />
(2002), S. 321-341, hier S. 339.<br />
Der Begriff Huld (lat. gratia, ahd. huldi) kam wie triuwe aus dem germanischen<br />
Gefolgschaftswesen und war in seiner Bedeutung ambivalent, d.h. er war sowohl als die<br />
„wohlwollende Gesinnung" des Gefolgsherrn dem Gefolgsmann gegenuber als auch als die<br />
Ergebenheit des Gefolgsmannes dem Gefolgsherrn gegenuber zu verstehen. Im Mittelalter wurde<br />
die Huld ins Lehnswesen ubernommen, wo sie eines der am hàufigsten praktizierten Straf- Oder<br />
Belohnungsmittel war. Der Huldentzug als Sanktion und DisziplinierungsmaBnahme war vor allem<br />
<strong>da</strong>durch gekennzeichnet, <strong>da</strong>l3 zu seiner Vollstreckung kein fórmliches Gerichtsverfahren nótig war,<br />
bzw. <strong>da</strong>l3 die Verfugung <strong>da</strong>ruber allein dem Ermessen des Herrschers oblag. Urn den Eindruck<br />
einer verantwortungsvollen Rechtssprechung in der Òffentlichkeit zu erwecken, erfolgte die<br />
Verurteilung eines augenscheinlich Schuldigen sofort nach "handhafter' Tat. In meisten Fallen<br />
erzielte der Huldentzug den gewunschten Effekt: er Jsolierte denjenigen, den er betraf, tangierte<br />
auch seine anderen Bindungen, <strong>da</strong> weitere Kontakte mit dem in Ungnade Gefallenen als Affront<br />
gegenuber dem Herrn gewertet wurden. Dennoch ist zu betonen, <strong>da</strong>B sich hàufig genug Verwandte<br />
und Freunde fur den vom Huldverlust Betroffenen entschieden, ja ihn sogar tatkràftig unterstutzten,<br />
so <strong>da</strong>B der beabsichte Effekt manchmal auch wirkungslos blieb". DaB Hagen auBer seiner<br />
Vasallenfuktion auch mit den drei Kònigen verwandt war, ist dies Grund genug, in seinem rein<br />
symbolischen Huldentzug die Demonstration der Machtfùlle Gunthers einerseits, sowie dessen<br />
Presentation als rex iustus andererseits zu sehen. Mehr zu Huld: Althoff, Gerd, „Huld.<br />
Ùberlegungen zu einem Zentralbegriff der mittelalterlichen Herrschaftsordnung", in FMS 25 (1991),<br />
Berlin: de Gruyter, S. 25-282, hier S. 265.<br />
54
Dô sprach von Tronege Hagene: „ durch vorhte ich niht entuo.<br />
swenne ir gebietet, helde, sô suit ir grîfen zuo.<br />
jâ rît ' ich mit iu geme in Etzelen lant. "(1513,1 -3)<br />
Der ehrbesessene Hagen schickt sich an, ein ganzes Heer in den Untergang zu<br />
fuhren und gleichzeitig seine Herren, fur deren Wohl er sich bedingungslos<br />
einsetzte, der Vernichtung preiszugeben. Spátestens nach der Donauùberfahrt, ais<br />
Hagens dústere Vorahnung zur nicht mehr abwendbaren GewiBheit wird, <strong>da</strong>B wir<br />
enkomen n<strong>im</strong>mer widere in der Burgonden lant (1587,4), erfàhrt die Gestalt<br />
Hagens eine unubersehbare Heroisierung und Stilisierung - Gentry spricht von<br />
einer ..Rehabilitation" - und zwar in der Richtung, <strong>da</strong>B er seine bedingungslose<br />
triuwe zum burgundischen Kõnigshaus gegen eine andere Art von triuwe<br />
eintauscht: triuwe zwischen Gleichen, die weder auf verwandtschaftlicher noch<br />
õkonomischer Basis beruht.<br />
Sein Verhalten weist zunehmend Zuge auf, die mit der restlosen Ergebenheit dem<br />
Herrn gegenuber <strong>im</strong>mer weniger gemeinsam haben: wàhrend der Donauùberfahrt<br />
tãuscht er seine Herren úber den wahren Stand der Dinge (1568) hinweg - wenn<br />
auch aus Rucksicht - und verschweigt ihnen allés Unfreuliche. Auch den Kampf<br />
zwischen Else und Gelphrat leugnet er den lieben herren (1620). Die Forschung<br />
hat ihn indessen einst<strong>im</strong>mig zum Siegfried des zweiten Teils erklárt, in dem er<br />
zwar weiterhin als Epizentrum des Geschehns agiert, <strong>da</strong>bei allerdings aus seiner<br />
Tàterrolle nach und nach in die Position des Opfers abrutscht. Dieser<br />
Perspektivenwechsel hat allerdings weniger mit der Figur Hagens zu tun als mit<br />
den durch die Literarisierung des Nibelungenstoffes vorgenommenen „veranderten<br />
Handlungsràumen und Handlungskonstellationen", 93 die ihn von nun an in<br />
positivem Licht <strong>da</strong>rstellen. Das heiBt: die Darstellungsperspektiven der beiden<br />
Teile des Epos sind so grundverschieden, <strong>da</strong>B <strong>da</strong>durch unsere Wahrnehmung und<br />
Bewertung der Handlungsweisen der Figuren beeinfluBt wird: wàhrend Hagens<br />
Motivation und Tun <strong>im</strong> ersten Teil, ungeachtet des êre-Anspruchs, fur dessen<br />
Wahrung er sich bedingungslos einsetzt, vor dem hófischen Hintergrund als<br />
von der Brinker-Heyde, Claudia, (Anm.90), S. 128.<br />
55
archaisch empfunden wird, verhelfen sie ihm <strong>im</strong> zweiten Teil, in einem rein<br />
heroischen Umfeld, zum Epitheton getriuwe. Fur Kriemhild wird <strong>da</strong>gegen<br />
behauptet, <strong>im</strong> zweiten Teil werde sie zum Hagen des ersten Teils, und zwar, wie<br />
Walter Haug scharfsinnig bemerkt hat, gerade durch Hagen, der ihr seine<br />
heroische Stratégie von der objektiven Verpflichtung so lange aufzwingt, bis sie die<br />
Subjektivitãt ihrer Rache aufgibt und sie gegen seine heroisch-gesinnte Taktik<br />
eintauscht. 94 Auch Kriemhild wird auf die Zuverlàssigkeit der Zeichen und die aus<br />
suone sich ergebende Verpflichtung setzen, <strong>da</strong>mit ihre Einladung angenommen<br />
wird. So wird sie, ihrer eigenen Macht bewuBt und in der memoria ùber <strong>da</strong>s ihr<br />
angetane Leid, auf die arglose Akzeptanz ihrer Bruder hoffen und <strong>da</strong>mit<br />
automatisch Hagens Prásenz bewirken. Und <strong>da</strong> suone ebenso wie eit nur punktuell<br />
gilt, námlich solange die Parteien sich <strong>da</strong>ran halten, und eine fríuife-Bindung die<br />
andere nach sich zieht, kann sie <strong>da</strong>von ausgehen, <strong>da</strong>f3 Hagen unter keinen<br />
Umstánden seine Herren ohne seine Begleitung wurde reisen lassen.<br />
Allerdings wird die „starre und ehrversessene Haltung Hagens" kontrapunktisch<br />
von einem anderen Verhaltensmodell begleitet, <strong>da</strong>s sparsam aber trotzdem an<br />
entscheidenden Stellen <strong>im</strong> Text durchsch<strong>im</strong>mert, um dem sturen<br />
Konfrontationskurs durch gútliche Einigung, Genugtuung, Súhne oder vermittelnde<br />
Diplomatie Einhalt zu gebieten. Neben den atavistisch wirkenden<br />
Handlungsweisen Hagens, Ortwins und Wolfharts zum einen und dem<br />
chevalesken Verhalten des hófischen Siegfried zum anderen, fúhrte Haymes eine<br />
dritte Schicht ins <strong>Nibelungenlied</strong> ein, die auf Stabilitãt und Frieden ausgerichtet ist<br />
und die er am Beispiel Dietrichs 95 erórtert, die aber gleichzeitig auch in Gemot,<br />
Giselher, Rùdiger und Etzel ihre Reprâsentanten findet. Denn anders ais in der<br />
Heldenepik, die von unvorstellbarer Gewalt und auBergewõhnlichen Ereignissen<br />
und Helden zu berichten hat, besaG die mittelalterliche Konfliktfuhrung auch ihre<br />
auf Konsens ausgerichtete Seite. Úber Jahrhunderte hinweg bildete sich allerdings<br />
sowohl in populáren Publikationen ais auch in der Forschung ein weit verbreitetes<br />
94<br />
Haug, Walter, ..Montage und Individualitàt <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong>", in Knapp, Fritz Peter (Hrsg.),<br />
(1987), S. 277-293, hier S. 289.<br />
Haymes, Edward R., ..Dietrich von Bern <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong>", in ZfdA 114 (1985), S. 159-165.<br />
56
klischeehaftes Bild vom Mittelalter als einer Epoche heraus, in der aufgrund des<br />
Nichtvorhandenseins eines staatlichen Gewaltmonopols blindwutiges Morden und<br />
Gesetzlosigkeit herrschten. Historiker sind je<strong>do</strong>ch der Auffassung, <strong>da</strong>B man vor<br />
allem seit der Gottes- und Landesfriedensbewegung Formen der friedlichen<br />
Konfliktbeilegung ubersehen hat, die durchaus und nach festen Regeln praktiziert<br />
wurden.<br />
Doch zuriick zur Heldenepik: in seiner brillanten Studie „Held und Kollektiv"<br />
konstatiert Klaus von See, <strong>da</strong>B die gàngige Formel sapientia et fortitude* âuBerst<br />
selten als Merkmal eines einzigen Helden zu finden sei, sondem dièse tendenziell<br />
eher auf zwei Figuren verteilt werde, wobei dem Helden die fortitu<strong>do</strong> und einem<br />
besonnenen Kampfgenossen sapientia uberlassen wird, wie be<strong>im</strong> Beispiel<br />
Hildebrands und seines Sohns Hadubrand Oder Oliviers und Rolands. So wãren <strong>im</strong><br />
<strong>Nibelungenlied</strong> Figuren wie Hagen, Volker, Ortwin oder Wolfhart und teilweise<br />
Siegfried Vertreter der „unleugbare(n) Exorbitanz, MaBlosigkeit und<br />
Unbesonnenheit" des heldischen Verhaltens, der fortitu<strong>do</strong> also, denen gegenuber<br />
Gemot, Giselher und spáter Etzel und Dietrich als eine Partei von vernunftigen<br />
(sapientia) Friedensstiftern und Konsensfindern stunden. Vor diesem Hintergrund<br />
ware es notwendig, einen kurzen Blick auf diese von der Forschung zu Unrecht<br />
benachteiligten Streitschlichter zu werfen.<br />
Im ersten Teil des Epos treten insbesondere zwei Gestalten durch ihre Bereitschaft<br />
zum Einlenken und zur Schadensbegrenzung hervor: Gemot und Giselher. Nach<br />
dem „Zwillingsgesetz" stilisiert, nach dem eine Rolle auf zwei Tràger verteilt ist,<br />
wird vor allem <strong>im</strong> ersten Teil des Epos zwischen den beiden nicht <strong>im</strong>mer eindeutig<br />
unterschieden. 96 Gemots erster Auftritt (3. âventiure) ist gleichzeitig seine erste<br />
diplomatische Mission, als er in der Vermittlerrolle 97 den draufgángerischen<br />
Siegfried zum friedlichen Umgang umst<strong>im</strong>mt und den Hitzkopf Ortwin auf seinen<br />
96 Vgl. <strong>da</strong>zu Mohr, Wolfgang, (Antn.82), S. 92.<br />
97 Die Vermittler (mediatores) spielten in der mittelalterlichen Konfliktschlichtung eine wichtige<br />
Rolle. Sie pflegten in der Regel enge Beziehungen zu den beiden Konfliktparteien, die ihnen<br />
ermoglichten, getrennt mit den Parteien uber eine angemessene Schadensbegrenzung zu<br />
verhandeln und so der Eskalation der Gewalt entgegenzusteuern. Eine bedeutende Rolle spielte<br />
<strong>da</strong>rin die Idee von Christus als mediator Dei et hominum (Vermittler zwischen Gott und den<br />
Menschen). DaB die heldenepische Dichtung sie je<strong>do</strong>ch nicht in den Vordergrund stellt, ergibt sich<br />
57
Platz verweist. Der Konflikt wird zurechtgebogen und vorlàufig aus der Welt<br />
geschafft bis zur nàchsten Gelegenheit, als auf Betreiben Hagens der Verrat<br />
Siegfrieds beschlossen wird. Giselher, uber die juristische D<strong>im</strong>ension des<br />
Skan<strong>da</strong>ls nicht eingeweiht, wendet ein:<br />
„Ir vil guoten recken, war umbe tuot ir <strong>da</strong>z?<br />
jane gediente Sîfrit nie alsolhen haz,<br />
<strong>da</strong>z er <strong>da</strong>r umbe solde verliesen sînen Up." (866,1-3)<br />
Trotz des miGlungenen Einsatzes fur die friedliche Beilegung des Konflikts<br />
entlastet der Erzáhler Giselher und Gemot <strong>im</strong> Gegensatz zu Gunther, <strong>da</strong> die<br />
beiden an der verhàngnisvollen Jagd nicht teilgenommen hatten. Denn, wenn es<br />
<strong>da</strong>rum ging zu zeigen, <strong>da</strong>B man etwas nicht billigte Oder nicht einverstanden war,<br />
hielt man sich dem Ereignis fern. Nach unserer heutigen Auffassung wurden wir<br />
ein solches Verhalten zumindest als hypokritisch bezeichnen, nach<br />
mittelalterlichen Kriterien je<strong>do</strong>ch handelten die beiden Bruder gángiger<br />
Rechtsauffassung entsprechend, und dies genugt, urn sie von eventuellen<br />
Vorwurfen <strong>im</strong> voraus zu entlasten. Folglich sind Gemot und Giselher die einzigen,<br />
die, nachdem Siegfried bestattet worden ist, dem alten Siegmund und den<br />
nibelungischen Helden ihr aufrichtiges Beileid aussprechen und denen sie auf der<br />
He<strong>im</strong>reise Geleit gewàhren.<br />
Besonders Giselher, dem jungsten der drei Brùder, kommt eine friedensstiftende<br />
Rolle seiner Schwester gegenuber zu. Seine triuwe begleitet ihn „manchmal<br />
formelhaft, manchmal bedeutungsschwer" 98 (322,4; 1047,4; 1099,4; 1138,4;<br />
1418,4). Zunáchst spielt er den Gelegenheitsschmied zwischen Kriemhild und<br />
Siegfried, <strong>da</strong>nn ist er derjenige, der von der Idee von Siegfrieds Ermordung abrát<br />
(866). Von Giselhers innigem Verhàltnis zur Schwester wissend, rat Hagen<br />
Gunther, Giselher und Gemot zu holen, um bei seiner Aussõhnung mit Kriemhild<br />
zu vermitteln. Giselhers verwandtschaftliche Beziehung zu Hagen je<strong>do</strong>ch erlaubt<br />
aus der Eigenart dieser literarischen Gattung, die hauptsàchlich auf Konfrontationskurs und<br />
Konfliktaustragungen ihren Wert legt.<br />
98 Mohr, Wolfgang (Anm.82), S. 113.<br />
58
ihm nicht, ausschlieBlich <strong>im</strong> Sinne seiner Schwester zu handeln und ailes zu tun,<br />
um ihr leit zu ergetzen:<br />
„Dô sprach der herre Gîselher: "Hagen hât getân<br />
vil leides miner swester; ich sold ' iz unterstân.<br />
waer ' er niht mm mac, ez gienge <strong>im</strong> an den lip."<br />
iteniuwez weinen tet dô Sîfrides wîp. (1133)<br />
Dieses ist eines der pràgnantesten Beispiele <strong>da</strong>fùr, <strong>da</strong>l3 die verwandtschaftliche<br />
und die herrschaftliche triuive <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong> nicht auseinander zu halten sind:<br />
Wegen des unùberwindlichen Risses innerhalb der verwandtschaftlichen<br />
Beziehung mu(3 Giselher sich ais Kõnig fur <strong>da</strong>s kleinere Ùbel fur <strong>da</strong>s Kónigreich<br />
entscheiden, und <strong>da</strong>bei wohl oder ùbel der triuwe seiner Schwester gegenuber<br />
nicht in vollem MaGe gerecht werden. Umgekehrt wird Kriemhild nicht nur die<br />
verwandtschaftliche triuwe verletzen, sondern grob gegen den streng geregelten<br />
hõfischen Verhaltenskodex verstoBen, wenn sie bei der Ankunft der Burgunden am<br />
Hof Etzels statt protokollarischen Regeln der BegrùBung zufolge aile drei Brùder<br />
dem Rang nach, also Gunther und Gemot zuerst, zu begruBen und mit einem KuB<br />
auszuzeichnen, lediglich Giselher herzlich begruBt und kuBt." Die MiBachtung der<br />
Rangordnung, sei es <strong>im</strong> herrschaftlichen oder <strong>im</strong> verwandtschaftlichen Bereich,<br />
war in einer Gesellschaft, die, wie die mittelalterliche „auf der Ungleichheit der<br />
sozialen Range" 100 und Wahrung der ère beruhte, gleichzusetzen mit der<br />
Úbertretung der allgemein kollektiv-gùltigen Ordnungen, auf deren<br />
Aufrechterhaltung man genau achtete. Dazu war die Verweigerung vom grouz fur<br />
den mittelalterlichen Menschen auch ein klares Signal fur eine feindliche<br />
Gesinnung, wenn nicht sogar fur HaB, und dieses Signal versteht Hagen nur<br />
allzugut, wenn er als Reaktion <strong>da</strong>rauf seinen Helm fester bindet.<br />
Unter anderem sahen die Spielregeln bei einer offentlichen BegrùBung vor, <strong>da</strong>l3 der Rangniedere<br />
dem Ranghóheren als erster entgegenschritt (oder entgegenritt) oder <strong>da</strong>iî der Ranghóhere sitzen<br />
blieb. Daraus ist die hohe Achtung, die Kõnig Gunther Rùdiger erwies, ersichtlich, als der Erzàhler<br />
uns zu vestehen gibt: der herre stuont von sedele. <strong>da</strong>z tuas durch grôze zuht getân (1185,4).<br />
100 Althoff, Gerd, (Anm.62), S. 18.<br />
59
Auf diesen ersten Eklat folgen andere, die unaufhaltsam <strong>da</strong>s gesamte System der<br />
hõfischen Ethik zu Fall bringen werden. Darauf angelegt ist auBerdem die<br />
vielzitierte Schwertszene der 29. âventiure, sowie der bûhurt der 31. âventiure.<br />
Dieser Akt des friedfertigen hõfischen Kampfspieles, <strong>da</strong>s zugleich der<br />
Kanalisierung der Gewalt dienen sollte, wird fur eine weitere Provokation<br />
miBbraucht: entgegen den versõhnlichen Worten seines Herrn Gunther entlàdt<br />
Volker seinen HaB auf einen vorbeireitenden hunnischen Knappen und tótet ihn.<br />
Anstatt die wildgewordenen und rachesuchtigen Hunnen, die am liebsten Volkêren<br />
ze tôde erslâgen (1893,3) wurden, handeln zu lassen, schreitet der Kõnig Etzel,<br />
obwohl er den Ablauf der Auseinandersetzung bescheidenliche sah, in den Konflikt<br />
ein und verhindert weiteres BlutvergieBen. Unter dem Deckmantel der<br />
Gastfreundlichkeit, aber zugleich ais konemâge der Burgunden, deckt er Volker<br />
und erklárt die Angelegenheit zu einem be<strong>da</strong>uemswerten Unfall. Doch auch vor<br />
dem Turnier zeigt sich Etzel ais musterhafter Gastgeber, námlich ais ihm auffállt,<br />
<strong>da</strong>B die Burgunden bewaffnet zur Messe gehen. In ihrer Weigerung Waffen<br />
abzulegen bzw. in der Kampfbereitschaft der Gaste erkennt er, <strong>da</strong>B ihnen leit<br />
wideríahren sein mul3, fur <strong>da</strong>s er nun bereit ist, Genugtuung zu schaffen: Ich solz<br />
in geme biiezen (...) (1862,1). DaB die friedliche Alternative sich nicht durchsetzt,<br />
hàngt nicht so sehr von Etzel ab ais von Hagen, der der hunnischen Seite kein<br />
Vertrauen schenkt und den Vorgang <strong>da</strong>mit rechtfertigt, am burgundischen Hof sei<br />
es Gewohnheit, bei einem Fest die ersten drei Tage Waffen zu tragen. 101<br />
Das Unerhõrte wird sich je<strong>do</strong>ch wàhrend des gemeinsamen Mahls ereignen: voll<br />
vàterlichen Stolzes zeigt sich der máchtige Herrscher den Verwandten seiner Frau<br />
101 In diesem Zusammenhang findet sich einer der deutlichsten Belege fur die sog. abgewiesene<br />
Alternative, der besagt, <strong>da</strong>B die Katastrophe vermeidbar gewesen wàre, hàtten die Burgunden dies<br />
nicht durch ihre Haltung verhindert: Swie gr<strong>im</strong>me und swie starke si in vient waere, / het iemen<br />
gesaget Etzeln diu rehten maere, / er het' wol understanden, <strong>da</strong>z <strong>do</strong>ch sít dâ geschach. / durch ir<br />
vil starken iibermuot ir deheiner <strong>im</strong>s verjach. (1865). Ein weiteres Beispiel fur die 'abgewiesene<br />
Alternative' vgl. 2238. Mehr zu diesem Phánomen: Strohschneider, Peter, „Einfache Formen -<br />
komplexe Regeln. Ein strukturanalytisches Exper<strong>im</strong>ent zum '<strong>Nibelungenlied</strong>'", in: Harms, Wolfgang<br />
und Mùller, Jan-Dirk (Hrsg.), Mediàvistische Komparatistik. Festschrift fur Franz Josef Worstbrock<br />
zum 60. Geburtstag, Stuttgart: Hirzel, 1997, S. 43-75. Eine weit kritischere Distanz gegenuber der<br />
Handlungsweise der Protagonisten und dem Handlungsgeschehen wird die Klage zeigen, die mit<br />
ihrem starken reflektierend-di<strong>da</strong>ktischen Charakter sich <strong>im</strong> Unterschied zum <strong>Nibelungenlied</strong> nicht<br />
auf die Darstellung, sondern auf die (moralische) Interpretation konzentriert.<br />
60
und schlágt ihnen vor, seinen Sohn Ortlieb am Wormser Hof aufwachsen zu<br />
lassen. Das gemeinsame Mahl wirkt, trotz seines friedensstifenden Charakters<br />
gespenstisch und furchteinflõBend. 45 Strophen weiter, als Dankwart<br />
blutverschmiert in den Saal kommt und die hovemaere vom Tod seiner Leute<br />
uberbringt, enthauptet Hagen kurzerhand den jungen Prinzen. Dieses Ereignis<br />
besitzt die Funktion eines Katalysators, „der bewirkt, <strong>da</strong>B die Energie sich<br />
entládt" 102 und ist gewiB eines der schrecklichsten und unerhõrtesten, vor allem<br />
wenn man sich die gewichtige Rolle vor Augen halt, die dem<br />
„Erziehungsavunkulat", bzw. der Erziehung des Kindes durch Mutterbruder, <strong>im</strong><br />
Mittelalter zukam. 103 Durch diese seine Absicht verkundet Etzel einen<br />
hochrangigen Stellenwert fur seine kognatische Verwandtschaft und erweist ihr<br />
gleichzeitig eine besondere ere, denn einen zukunftigen Herrscher uber zwõlf<br />
Lander zum Neffen zu haben, war best<strong>im</strong>mt keine geringe Sache. Dessen ist auch<br />
Etzel sich bewuBt und <strong>da</strong>her sagt er <strong>da</strong>z mac iu alien wesenfrum (1914,4). DaB<br />
die bestehenden, scheinbar unantastbaren Ordnungen auf einmal ihre Gultigkeit<br />
einbuBen und auf dem Trummerfeld der triuwe enden, macht <strong>da</strong>s ganze AusmaB<br />
der sich anbahnenden Vernichtung vorstellbar.<br />
Im voranschreitenden Aufflammen des Kampfes gewãhrt Kónig Gunther zunáchst<br />
Dietrich (1994) und <strong>da</strong>nn, unter Berufung zu wide und suone, Rudiger und dessen<br />
Gefolgsleuten freien Abzug aus dem Saal. Die Konfrontation mit Kriemhild in der<br />
36. âventiure bringt aufs Neue <strong>da</strong>s alte Szenario: Gunther beteuert ihr „(■•■) ich<br />
kom zuo dir ûf triuive; ich xvande, <strong>da</strong>z dû mir waerest holt" (2091,4) und <strong>da</strong>mit<br />
den unerschùtterlichen Glauben an die ungeschriebene Regel, eine Einladung,<br />
zumal unter Verwandten, sei ein Ausdruck des Wohlwollens. DaB Einladungen<br />
auch Vehikel eigennutziger Intrigen sein konnten, áhnlich wie Jahre zuvor als<br />
Kriemhild und Siegfried auf Brùnhilds Betreiben nach Worms eingeladen wurden,<br />
<strong>da</strong>ran hat Gunther aufgrund der friedlichen Konfliktbeilegung mit seiner Schwester<br />
durch suone nicht glauben wollen. Dieser Glaube wurde auBerdem <strong>da</strong>durch<br />
2<br />
Vgl. Mùller, Jan-Dirk, Das <strong>Nibelungenlied</strong>, (Reihe Klassiker-Lektùren, Bd.5), Berlin: Erich<br />
Schmidt, 2002, S. 150.<br />
103<br />
Mehr <strong>da</strong>zu: Nolte, Theo<strong>do</strong>r, „Das Avunkulat in der deutschen Literatur des Mittelalters", in<br />
Poética. Zeitschrift fur Sprach- und Literaturwissenschaft 27 (1995), S. 225-253.<br />
61
verstàrkt, <strong>da</strong>l3 persõnlicher Kontakt <strong>im</strong> Mittelalter zu denjenigen Voraussetzungen<br />
zàhlte, nach denen die sonst institutionell schwach abgesicherte soziale Ordnung<br />
funktionierte. Er bedeutete Nàhe und intakte Beziehungen, ihn zu meiden - in<br />
einer, wie bereits festgestellt, auf Sichtbarkeit angelegten Gesellschaft - <strong>im</strong>plizierte<br />
Abneigung, mangelnde Anerkennung und <strong>im</strong> schl<strong>im</strong>msten Fall Feindschaft, was<br />
die Worte des zur Zeit noch ahnungslosen Etzel eindeutig belegen:<br />
Mich n<strong>im</strong>t des michel wunder, waz ich iu habe getân,<br />
(sô manigen gast vil edele, den ich gewunne hân),<br />
<strong>da</strong>z ir nie geruochtet komen in mîniu lant.<br />
<strong>da</strong>z ich iuch nû gesehen hân, <strong>da</strong>z ist zen vreuden mir gewant." (1814) 104<br />
Kriemhild spielt dièse ungeschriebene Spielregel aus und setzt sie zum Erreichen<br />
ihrer individuellen Ziele ein. Etablierte Zeichen, die <strong>im</strong> Mittelalter einen hohen<br />
Geltungsanspruch besaBen und als verlaBlich galten, wurden so zum Deckmantel<br />
eines persõnlichen Racheplans. Auch Giselher fragt sich nach dem Warum von<br />
Kriemhilds he<strong>im</strong>tùckischer Einladung:<br />
wie hân ich an den Hiunen hie verdíenét den tôt?<br />
Ich was dir ie getriuwe, nie getét ich dir leit.<br />
ûfsolhén gedingen ich her ze hove reit,<br />
<strong>da</strong>z du mir holt waerest, vil liebiu swester min.<br />
bedenke an uns genâde, ez mac niht ándérs gesîn." (2101,4-2102)<br />
Auch wenn Kriemhild zunáchst ihre náchsten Verwandten ncht in ihren Racheplan<br />
einbezogen hat, n<strong>im</strong>mt die Handlung ihre tragische Wendung ausgerechnet<br />
<strong>da</strong>durch, <strong>da</strong>i3 die Burgunden ihre herrschaftlich-verwandtschaftliche triuwe Hagen<br />
gegenùber nicht preisgeben wollen:<br />
104 Noch zuvor bekùndet Etzel: mich muet <strong>da</strong>z harte sêre, <strong>da</strong>z si uns sô lange vremde sind (1406,4).<br />
Auch die Boten Etzels Wàrbel und Swâmmel fragen: sô wôld er (Etzel) <strong>do</strong>ch gérne wizzen, waz ér<br />
iu hété getân / Daz ir in alsô uremdet unt ouch sîniu lant (1448,4-1449,1 ).<br />
62
„Welt ir mir Hagenen einen ze gísél geben,<br />
sone wil ich niht versprechen, ich welle iuch lâzen leben,<br />
wande ir sit mine bruoder wide éiner muoter kint:<br />
sô réd ich ez nâch suone mit disen helden, die hie sint."<br />
>fNune wélle got von h<strong>im</strong>ele", sprach dô Gêrnôt,<br />
„ob wiser tûsent waeren, wir laegen aile tôt,<br />
der sippen dîner mage, ê wir dir éinen man<br />
gaeben hie ze gîsel: ez wird et n<strong>im</strong>mér getân." (2104-2105)<br />
Erkenntnisse der Geschichtswissenschaft belegen, <strong>da</strong>B <strong>da</strong>s politisch-rechtliche<br />
Leben <strong>im</strong> Mittelalter situationsbedingt war und <strong>da</strong>l3 es unter den unterschiedlichen<br />
Verhaltnissen, die auf triuwe beruhten, trotz hierarchisierenden Ordnungen, keine<br />
eindeutige Hiérarchie gab. Dazu trug sicherlich die Tatsache bei, <strong>da</strong>B eine<br />
saubere Trennung der verwandtschaftlichen, herrschaftlichen und<br />
genossenschaftlichen Bindungen áuBerst selten vorkam. Welcher Bindung<br />
grõBeres Gewicht zukam, entschied sich meistens <strong>im</strong> Einzelfall. Die Entscheidung<br />
der Burgunder, zusammenzuhalten, und den einzigen Mann auch um den Preis<br />
der allgemeinen Vernichtung keineswegs auszuliefern, war gewiB ein<br />
unumgãngliches Element der Vorlage, <strong>da</strong>s auf die kùnstlerische Stilisierung des<br />
heldenepischen Stoffs abzielte, was je<strong>do</strong>ch den zeitgenõssischen Rezipienten<br />
mehr als realitàtsfremd vorkommen durfte. Indem der Erzàhler lediglich die<br />
Konsequenzen von Entscheidungen pràsentiert, scheint er <strong>da</strong>s Publikum geradezu<br />
aufzufordern, selbst nach moglichen Begrùndungen zu suchen. Seine Botschaft,<br />
auch wenn nicht explizit gefaBt, sch<strong>im</strong>mert auf aile Fàlle durch: triuwe als Tugend<br />
erlebt den endgùltigen Zusammenbruch und zwar para<strong>do</strong>xerweise durch sich<br />
selbst: als Fun<strong>da</strong>ment der sozialen Ordnung erweist sie sich, wenn aus dem<br />
Kontext der real vorgegebenen Situation betrachtet und radikalisiert, als<br />
zerstòrerisch und unheilvoll.<br />
Nun soil ein Blick auf die zweite lehnsrechtliche Bindung geworfen werden, die <strong>da</strong>s<br />
<strong>Nibelungenlied</strong> thematisiert, nàmlich die Bindung Rùdigers an Etzel und Kriemhild.<br />
AuBer seiner Stellung als erster Vasall des màchtigen Etzel n<strong>im</strong>mt Rùdiger eine<br />
63
weitere wichtige Funktion wahr, nàmlich die des Brautwerbers (allerdings nicht die<br />
eines spielmannischen).<br />
Als Kriemhild nach làngerer Abwágung in die zweite Heirat mit dem verwitweten<br />
Etzel einwilligt, wird sie automatisch Rudigers Lehnsherrin. Wie wir gesehen<br />
haben, wurde dieses Rechtsverháltnis der Regel nach durch einen Eid besiegelt.<br />
Dieser Eid - der spáter fur Rùdigers seelisches Dilemma maBgeblich verantwortlich<br />
sein wird - so unklar er auch sein mag, scheint <strong>im</strong> Hinblick auf seine weiteren<br />
Folgen weniger sorglos geleistet worden zu sein als vielmehr fur unterschiedliche<br />
Interpretationsvarianten often. Eine glaubhafte Annahme ware, <strong>da</strong>B Rùdiger unter<br />
Erfolgszwang stand, denn es ware unzumutbar, dem Kõnig und dem eigenen<br />
Lehnsherrn eine Absage zu erteilen. Andererseits ware eine Ablehnung von seiten<br />
Gunthers ein nicht abschátzbarer politischer Schaden, der einen potenziellen<br />
Konflikt mit Etzel hãtte verursachen kônnen. Deswegen war der Eid, so wie er von<br />
Rùdiger und seinem Gefolge ausgesprochen wurde,<br />
,Mit alien sinen mannen swuor ir dô Rudiger<br />
mit triuwen <strong>im</strong>mer dienen, unt <strong>da</strong>z die recken her<br />
ir n<strong>im</strong>mer niht versageten ûz Etzelen lant,<br />
des si ere haben solde, des sichert ' ir Rùdegêres hant." (1258)<br />
eine fur die Offentlichkeit "uberarbeitete' Version des Schwures, den er Kriemhild<br />
unter vier Augen abgelegt hat. Aus ihrem Gespràch ist seine Mehrdeutigkeit leicht<br />
erkennbar: zunáchst in indirekter Rede auf die Vergangenheit bezogen - er wolde<br />
si ergetzen, sivaz ir ie geschach (1255,3) - und spàter von Rùdiger selbst in der<br />
Richtung bestàtigt - er miieses sêr' engelten, unt het iu iemen iht getân (1256,4)<br />
faBt Kriemhild spáter diesen Sachverhalt als etwas Zukunftiges auf, wenn sie sagt:<br />
(...) „sô swert mir eide, swaz mir íemén getuot, / <strong>da</strong>z ir sit der naehste, der biieze<br />
miniu leit." (1257,2-3). 105 Entgegen diesen zwei widerspruchlichen Aussagen tritt<br />
105 Fur Ruth Schmidt-Wiegand (Schmidt-Wiegand, Ruth, „Kriemhilds Rache. Zu Funktion und<br />
Wertung des Rechts <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong>", in: Kamp, Norbert und Wollasch, Joach<strong>im</strong>, Tradition als<br />
historische Kraft. Interdisziplinàre Forschungen zur Geschichte des Mittelalters, Berlin: Walter de<br />
Gruyter, 1982, S. 372-387, hier S. 378), in Anlehnung an Splett, gibt der Wortlaut von Kriemhilds<br />
Mahnung - (...; gedenke Riiedegêr, der grôzen triuwe dîn (2151,1) - „erstaunlich genau den Inhalt<br />
64
die dritte in Form des óffentlich ausgesprochenen Eides hinzu, die sich von den<br />
ersten beiden <strong>da</strong>durch unterscheidet, <strong>da</strong>B sie inhaltlich fur die Óffentlichkeit zwar<br />
die korrekteste ist, gleichzeitig aber die unverbindlichste. Sie n<strong>im</strong>mt Rucksicht auf<br />
die ere Kriemhilds, versichert ihr triuwe, ohne je<strong>do</strong>ch genau festzulegen, was dies<br />
konkret zu bedeuten hat. Und <strong>da</strong> sind wir erneut an dem bereits angesprochenen<br />
Punkt angelangt, <strong>da</strong>B der mittelalterliche Kanon von Rechten und Pflichten nur<br />
sehr allgemein formuliert war und sich in Begriffen wie "Schutz und Schirm' und<br />
v Huld und Treue' erschópfte. GewiB hàngt dies mit dem oralen Charakter der<br />
Gesellschaft zusammen, in der die Schriftlichkeit nur insofern relevant war, als sie<br />
dem Zugang zum Wort Gottes, also in die Domàne des Geistlichen, gewáhrte und<br />
wo der Wortlaut einer Aussage auf seine Wortwórtlichkeit kaum uberprufbar war. 106<br />
Daruber hinaus haben wir bereits gesehen, <strong>da</strong>B Eide keine allgemeine<br />
Rechtsordnung garantierten: <strong>im</strong>merhin hat in diesem Falle Kriemhild die<br />
Eidesformel selbst fur Rùdiger formuliert. Eigentlich hàtte seine Funktion die<br />
Verbindlichkeit zum gegebenen Wort sein sollen, die als eine sichere und<br />
zuverláBige Grundlage fur die instabile soziale Ordnung sorgen wurde. Indem<br />
Kriemhild ihn aufgrund seiner Interpretierbarkeit fur ihre eigenen Zwecke<br />
manipuliert und miBbraucht, wird auch der Eid zum Gegensatz dessen, was er<br />
urspunglich war: ein Garant der triuwe und der ZuverlãBigkeit.<br />
Als Kriemhild spàter, mitten <strong>im</strong> entflammten Kampf, Rùdiger ermahnt und ihn an<br />
seine lehnsrechtliche Pflicht erinnert, antwortet er: er hat ihr zwar geschworen,<br />
ihretwillen sein Ansehen und sein Leben aufs Spiel zu setzen, <strong>do</strong>ch seine Seele zu<br />
verlieren, <strong>da</strong>s hat er nicht geschworen. Rùdiger ist die einzige Gestalt, die, gewiB<br />
unter christlichem EinfluB, eine Differenzierung zwischen ère und sêle macht, er<br />
sieht sich in der ausweglosen Lage zwischen dem Lehnsherrn und der Bindung an<br />
die Freunde und die angehende Verwandtschaft, auf die weiter unten náher<br />
eingegangen wird. Sowohl <strong>da</strong>s Eingreifen zugunsten Etzels und Kriemhilds als<br />
der Eidesformeln wieder" und Rudigers Entscheidung wird als Ergebnis der Zwangslâufigkeit<br />
angesehen, die sich aus dem abgelegten Eide ergibt.<br />
106 Eine eindrucksvolle und konzise Darstellung des Forschungsstandes zum Thema Mundlichkeit /<br />
Schriftlichkeit und zum oral / literate state of mind vgl. Schaefer, Ursula, „Zum Problem der<br />
Mundlichkeit", in Heinzle, Joach<strong>im</strong> (Hrsg.), (1999), S. 357-375.<br />
65
auch eine neutrale Lage 107 wurden ihn, nach christlicher Auffassung, sundig<br />
machen. Er versucht deshalb unbeschadet aus dem Konflikt herauszukommen,<br />
indem er versucht, die Lehnsbindung zu kundigen. Dieser Akt heiBt formaljuristisch<br />
diffidentia oder diffi<strong>da</strong>tio und war ursprunglich dem Vasallen nicht erlaubt. Erst<br />
seit Ende des 11. Jahrhunderts beginnt die diffi<strong>da</strong>tio sich auf deutschem Boden,<br />
vom Westen her, durchzusetzen, je<strong>do</strong>ch unter der Voraussetzung, <strong>da</strong>B der Vasall<br />
auf sein Lehen verzichtete. Dies schlágt auch Rudiger vor:<br />
Dô sprach zuo dem kiinege der vil kiiene man:<br />
„her kilnec, nu némt hin wiedere, al <strong>da</strong>z ich von iu hân.<br />
<strong>da</strong>z lant mit den bùrgen, des sol mir niht bestân.<br />
ich wil ufminenfilezen in <strong>da</strong>z éllénde gân." (2157)<br />
Die hunnischen Kõnige mit ihren Gegenargumenten lassen ihn je<strong>do</strong>ch nicht los<br />
und Rùdiger sieht keinen anderen Weg, als fur die Partei seiner Lehnsherrin in den<br />
bewaffneten Kampf einzugreifen. BeeinfluBt wurde seine Entscheidung gewiB<br />
durch den pathetischen und nicht minder aussagekráftigen FuBfall des<br />
Herrscherpaares vor ihm. In der rituellen Kommunikation war der FuBfall 108 ein<br />
gàngiges und allgemein anerkanntes Ausdrucksmittel <strong>da</strong>fur, <strong>da</strong>B man den hohen<br />
Rang des anderen wahrn<strong>im</strong>mt und sich unterordnet. Dièse Geste wurde des<br />
õfteren be<strong>im</strong> AbschluB eines vasallischen Vertrages (Kommen<strong>da</strong>tion) praktiziert.<br />
Wapnewski hat richtig festgestellt, <strong>da</strong>B ein mògliches Eingreifen zugunsten der burgundischen<br />
Freunde uberhaupt nicht zur Sprache gebracht wird. Vgl. <strong>da</strong>zu Wapnewski, Peter, „Rùdigers Schild.<br />
Zur 37. Aventiure des <strong>Nibelungenlied</strong>es", in Euphorion 54 (1960), S. 380-410, hier S. 391.<br />
108 Unterwerfungsrituale waren jahrhundertelang nicht nur Untertanen vorbehalten, auch Herrscher<br />
und Kõnige praktizierten durchaus, in Rahmen ihrer Machtausubung, symbolische Formen der<br />
Selbsterniedrigung. Die ersten dieser Gesten waren rituelle Selbsterniedrigung gegenuber Gott und<br />
den Heiligen, durch die die Herrscher ihr DemutsbewuBtsein óffentlich unter Beweis stellten, die<br />
je<strong>do</strong>ch nach dem BuBgang Heinrichs des IV. nach Canossa dermaBen stigmatisiert wurde, <strong>da</strong>B<br />
man sie kaum mehr praktizierte. Seit dem 11. Jahrhundert wurde es <strong>im</strong>mer ublicher, <strong>da</strong>B Kõnige<br />
sich dieses Mittels auch gegenuber ihren getreuen Untertanen bewuBt bedienten und zwar in klarer<br />
Absicht, „auf diese Weise den Widerstand zu brechen und den eigenen politischen Willen<br />
durchzusetzen." Inszeniert oder nicht, machte der FuBfall die Eindringlichkeit der Bitte sowie deren<br />
Gewàhrung mehr als sinnfàllig und erschwerte von vornherein eine mógliche Ablehnung des<br />
Gesuchs erheblich. Vgl. mehr <strong>da</strong>zu, Althoff, Gerd, (Anm.62), S. 104-129 Als literarisches Motiv sieht<br />
Alois Wolf die Szene des FuBfalls als eine weitere Entlehnung aus der Wilhelmsepik, wo diese<br />
mehrfach belegt sind, beispielsweise <strong>im</strong> Couronnement de Louis oder in der Bataille d'Aliscans.<br />
Mehr <strong>da</strong>zu vgl. Wolf, Alois, (Anm.68), S. 230.<br />
66
Der kùnftige Vasall legte seine Hãnde in die seines Herrn, was meist in kniender<br />
Position geschah. Immerhin war <strong>da</strong>s wesentliche Merkmal fertiger Muster rituellen<br />
Verhaltens, <strong>da</strong>B sie sich nicht auf sklavische Wiederholung beschrànkten, sondem<br />
<strong>da</strong>B sie situationsbedingt sich abwandelten, wodurch sie <strong>im</strong>mer wieder neue<br />
Akzente setzten. Ànhliches gilt auch fur diese FuBfall-Szene, die, gewiB in ihrem<br />
Grund-Schema pervertiert, <strong>da</strong>rauf abzielt, „vermuteten Unmut Oder Unwillen des<br />
Gegenùbers zu besànftigen, ihn nonverbal um Verzeihung zu bitten." 109 Damit<br />
ubergibt sich <strong>da</strong>s hunnische Herrscherpaar ihrem Diener Rudiger und macht somit<br />
sein eigenes Schicksal sowie <strong>da</strong>s Schicksal ihres Reiches von ihm abhângig. Peter<br />
Wapnewski hat auf die rechtliche D<strong>im</strong>ension von Rudigers Konflikt hingewiesen<br />
und auf eine Reihe von "termini technici' aus dem Bereich des Rechts aufmerksam<br />
gemacht, unter dem Vorbehalt je<strong>do</strong>ch, <strong>da</strong>s „um 1200 Umgangssprache, Sprache<br />
der Dichtung und Sprache des Rechts keine sáuberlich voneinander ablósbaren<br />
Idiome" 110 waren. Mir scheint <strong>da</strong>gegen, <strong>da</strong>B <strong>im</strong> Falle von Rùdigers Entscheidung<br />
zugunsten seiner Herren die ere eine wichtigere Rolle spielt als bislang<br />
angenommen. Ausgerechnet dieses Phanomen sorgt fur zusátzlichen Zundstoff,<br />
als Rùdiger den Hunnen erschlãgt, der ihn vorher beleidigt hat: (...) „<strong>da</strong> beswart er<br />
mir den muot / unde hât mir gëitewîzet ere wide guot (2146,1-2). Die<br />
Ausweglosigkeit, in der er sich infolge des herrschaftlichen FuBfalles befunden hat,<br />
scheint ebenfalls <strong>da</strong>rauf zu beruhen, <strong>da</strong>B er seine ere in Gefahr sieht:<br />
„Owê mir gotes armen, <strong>da</strong>z ich díze gelebet hân.<br />
aller miner êren der muoz ich abe stân,<br />
triuwen unde ziihte, der got an mir gebot.<br />
owe got von h<strong>im</strong>ele, <strong>da</strong>z michs niht wéndét der tôt!" (2153)<br />
Die Argumentation, die Etzels Vasall hierauf liefert, stùtzt sich zum gróBten Teil auf<br />
<strong>da</strong>s mõgliche Urteil der Óffentlichkeit, einer máchtigen Instanz, deren Kompetenz<br />
es ist, auf den Einzelnen jeweils gutes oder schlechtes Licht zu werfen: lâze aber<br />
ich si beide, mich schiltet elliu diet (2154,3); ob er ir einen sliiege, <strong>da</strong>z <strong>im</strong> diu xverlt<br />
109 Althoff, Gerd, (Anm.62), S. 41.<br />
110 Wapnewski, Peter, (Anm.107), S. 382.<br />
67
triiege haz (2156,4); Die liute waenent lïhte, <strong>da</strong>z ich sî verzaget (2160,1). Das<br />
heiBt, <strong>da</strong>l3 die Entscheidungen und Verhaltensweisen weniger von den<br />
tatsàchlichen Fakten oder von der eigenen, subjektiven moralischen Urteilskraft,<br />
des sog. ehrenhaften Charakters, abhàngen, sondem maí3geblich <strong>da</strong>von, wie<br />
diese in den Augen anderer zu werten sein werden. 111 Auch widersprach es<br />
einfach dem Gebot der ère, den Herrn vor dem Kampf oder <strong>im</strong> Ungluck zu<br />
verlassen. 112 Im Gegenzug ist eine Verwandtschaft durch die Verlobung Giselhers<br />
mit der Tochter Rùdigers, wenn formal noch nicht in Kraft getreten, so <strong>im</strong>merhin in<br />
einer juristisch faBbaren Form besiegelt. Zudem wurde mit der Ermordung des<br />
kleinen Prinzen ein zu schweres Verbrechen begangen, als <strong>da</strong>f3 Rùdiger als Vasall<br />
hàtte freigegeben werden kõnnen.<br />
Rùdigers Lage als Vasall erkennt Hagens Freund Volker, als er sagt: an uns wil<br />
dienen Rûdigêr sine biirge und siniu lant (2173), wogegen Giselher in ihm seinen<br />
sweher, also Verwandten und Heifer sieht (2171). Nachdem Rùdiger den<br />
Burgunden widerseit hat: ê <strong>do</strong> wâren wir friunde: der triuwen wil ich ledec sin<br />
(2175,4) - denn <strong>im</strong>merhin stehen sie in einem legit<strong>im</strong>en Verháltnis, <strong>da</strong>s des<br />
widersagens be<strong>da</strong>rf - und <strong>im</strong> letzten Dialog Rùdigers mit jedem der drei Kõnige ist<br />
es interessanterweise Gunther, der sich auf die Bande der triuwe beruft (2177,3;<br />
2179,3; 2180,4) und sich urn eine friedliche Beilegung des Konflikt bemùht.<br />
Giselher hingegen schlàgt <strong>im</strong>pulsiv den Kurs des Konflikts ein und kùndigt die<br />
Bindung, die er mit Rùdiger und dessen Tochter eingegangen ist:<br />
„Daz taet ' ich billîchen", sprach Giselher <strong>da</strong>z kint<br />
die hôhen mine mâgedie noch hier inné sint,<br />
suln die vor iu ersterben, sô muoz gescheiden sin<br />
diu vil staete vriuntschqft zuo dir und ouch der tohter din." (2191 )<br />
111<br />
Vgl. auch 1781,2-3; ; 1887,2; 1954,1-3; 2302; 2341, 2-3; Mehr <strong>da</strong>zu vgl. Maurer, Friedrich,<br />
(Anm.8), <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong>: S. 34-35.<br />
Àhnliches schreibt Tacitus uber die Kampfmoral der Germanen in seiner Schrift De Origine et<br />
Situ Germanorum. Dennoch ist hóchste Vorsicht geboten, wenn man <strong>da</strong>s Kriegerische aus der<br />
mittelalterlichen Heldenepik bedenkenlos und geradlinig aus dem Germanischen ableitet. GewiB<br />
rangierte in germanischen Vorzeiten die kriegerische Gesinnung auf hoher Stelle, dies aber war<br />
auch in christlich-karolinischer Zeit der Fall, bedingt durch âuBere Feinde und innere Spannungen.<br />
Daher ist von den unbe<strong>da</strong>chten und einst so beliebten Berufungen auf Germânia abzuraten und<br />
eher nach moglichen Verknupfungen in der frùhmittelalterlichen Wirklichkeit zu suchen.<br />
68
Der erschùtterte Glaube an die Verbindlichkeit einer rechtlich noch nicht gultigen<br />
verwandtschaftlichen Beziehung mag als Beweggrund fur Giselhers gereizte<br />
Reaktion gelten. Oder sollte Giselher, <strong>im</strong> Gegensatz zu seinen àlteren Brudern und<br />
infolge seiner jugendlichen Unerfahrenheit, 113 Rudigers Lage und <strong>da</strong>s Gewicht der<br />
Bindung an den Lehensherrn nicht erkennen? Mir scheint, <strong>da</strong>G die Antwort<br />
teilweise in der Strophe 1729 liegt:<br />
Dô giengen sundersprâchen die drîe kilnige rich,<br />
Gunther und Gêrnôt und ouch her Dietrich.<br />
,JSiu sage uns von Berne vil edel ritter guot,<br />
wie dir si gewizzen umb der kiineginne muot."<br />
Dies bedeutet, <strong>da</strong>G Giselher ais der jùngste der drei Kónige bis zuletzt nichts von<br />
Kriemhilds Rachsucht gewuGt hat, bzw. <strong>da</strong>G er fast bis ans Ende ahnungslos<br />
geblieben ist.<br />
113 Dazu mehr: Mohr, Wolfgang, (Anm.82).<br />
69
7. Genossenschaftliche Bindungen<br />
AuBer der Bindung an seine Lehnsherren, geht Rùdiger, voter aller tugende, eine<br />
weitere, genossenschaftliche Bindung mit den Burgunden ein, die er seit geraumer<br />
Zeit kennt (1147,4). Diese Bindung wird in der 27. âventiure, der sog. Bechelaren-<br />
Idylle, in der die Burgunden auf ihrer Reise zu Etzel und Kriemhild dem Markgrafen<br />
Rùdiger in Bechelaren einen viertágigen Besuch abstatten, ihren Hohepunkt<br />
finden. Diese Episode des <strong>Nibelungenlied</strong>es ist einst<strong>im</strong>mig als eine einzige Hymne<br />
„auf Rùdiger, seine Fùrsorge, Gastfreundschaft, Herzensgute und<br />
Freundlichkeit" 114 bezeichnet worden. Ùberhaupt gilt Etzels erster Lehnsmann als<br />
die hófischste Gestalt <strong>im</strong> gesamten <strong>Nibelungenlied</strong>: er ist zugleich ein Meister des<br />
Zeremoniells und des Protokolls, dessen Bindung an <strong>da</strong>s burgundische<br />
Kónigshaus erst hier recht hergestellt wird, obwohl eine Freundschaft zwischen<br />
ihm und Hagen, wahrscheinlich durch den intertextuellen Bezug des Waltharius,<br />
bereits in der fernen Vergangenheit vom <strong>Nibelungenlied</strong>-D\chter angenommen<br />
wird. Rùdiger und seine Ehefrau Gotelind bewirten die Gàste so vortrefflich, <strong>da</strong>(3<br />
<strong>da</strong>z het in wirt deheiner <strong>da</strong> vor vil séltén getân (1660,4): ùppige Mahlzeiten 115 und<br />
lustiges (gàmelîche) Treiben wechseln einander ab. Inmitten des SpaBtreibens<br />
konzentriert sich <strong>da</strong>s Gespràch nun allmàhlich auf Rùdigers schõne Tochter, die<br />
alien Helden gut gefàllt. Auf Volkers Anmerkung ob ich ein fiirste waere / und<br />
solde ich tragen krône, ze wîbe ivold ich hân / die iuwern schoenen tohter, des<br />
wùnschet mir der muot (1675,1-3) antwortet Rùdiger in seiner Bescheidenheit:<br />
Dô sprach der marcgrâve: „wie môhte <strong>da</strong>z gesîn,<br />
<strong>da</strong>z <strong>im</strong>mer kûnec gerte der lieben tohter mîn?<br />
wir sîn ellende, beide ich únd mîn wîp:<br />
waz hilfet grôziu schoene der guotenjúncvróuwen lip?" (1676)<br />
114<br />
Kunstmann, Heinrich, „Wer war Rùdiger von Bechelaren?", in ZfdA 112 (1983), S. 233-252, hier<br />
S. 245.<br />
115<br />
Mehr ùber den gemeinschaftstàrkenden Charakter von Màhlern, Gelagen oder Festen vgl.<br />
Althoff, Gerd (1990), S. 203-209; u. ders., „Der frieden-, bùndnis- und gemeinschaftsstiftende<br />
70
An diesem Punkt greift Hagen mit seinem „nu sol mm herre Gîselher nemen <strong>do</strong>ck<br />
ein wîp" (1678,1) ein und fádelt <strong>da</strong>mit die Verschwágerung zwischen Rùdiger und<br />
den Burgunden ein. 116 Befremdlich kõnnte auf den ersten Blick diese Aussage<br />
Hagens erscheinen, wenn man sich in Erinnerung ruft, <strong>da</strong>l3 Hagen eigentlich der<br />
einzige ist, der vom verhàngnisvollen Ausgang der Reise zum Hof Etzels weiB. Er<br />
weiB auBerdem, <strong>da</strong>B Rùdiger als ein Fremder in Etzels Reich der bùrge niht<br />
enhân (1681,4), bzw. <strong>da</strong>B er als Mitgift fur seine Tochter anstatt Besitztumer nur<br />
seine triuwe geben kann, und genau <strong>da</strong>rauf zielt er ab: aus scharfem Kalkul bindet<br />
Hagen Rùdiger von jetzt an offiziell an die Partei der Burgunden. Damit hátte er<br />
einen zusãtzlichen Schutz gegen die Plane Kriemhilds bewirkt, <strong>do</strong>ch ohne <strong>im</strong><br />
geringsten ahnen zu kónnen, was fur eine ausweglose Lage dies fur Rùdiger<br />
bedeuten wùrde.<br />
Am vierten Tag, als der freundschaftliche Besuch seinem Ende zugeht, làBt<br />
Rùdiger seine milte, <strong>da</strong>z verre wart geseit (1691,3), walten und beschenkt seine<br />
burgundischen Gàste in Hùlle und Fùlle, ohne irgend jemandem etwas<br />
abzuschlagen: aus der Hand der schónen Gotelind bekommt Gemot ein<br />
vorzùgliches Schwert, <strong>da</strong>s dem gùtigen Rùdiger spáter <strong>im</strong> Kampf zum Verhàngnis<br />
werden wird; Hagen erbittet sich den Schild, der Rùdigers erschlagenem Sohn<br />
Nudung gehõrte, sogar Gunther kann nicht umhin, ein pràchtiges Gewand als<br />
Geschenk aus Rùdigers Hand anzunehmen. Zum krõnenden AbschluB dieser Ode<br />
an die Freundschaft und die Gastfreundlichkeit bietet der Markgraf von Bechelaren<br />
den Burgunden <strong>da</strong>s Geleit, wie <strong>da</strong>mais Gemot und Giselher dem alten Siegmund<br />
und den nibelungischen Kriegern, <strong>da</strong>mit ihnen ûfder strâze niemen muge schaden<br />
(1708). In dieser âventiure entstehen Bande, die nicht leicht zu zerreiBen sein<br />
werden: Freundschaft, die Verpflichtung des Gastgebers fur <strong>da</strong>s Wohlergehen der<br />
Gàste, sowie die Dankbarkeit der Beschenkten. Denn die Gabe bzw. <strong>da</strong>s<br />
Charakter des Mahles <strong>im</strong> fruheren Mittelalter" in Bitsch, Irmgard et alii (Hrsg.), Essen und Trinken in<br />
Mittelalter und Neuzeit, Sigmaringen: Jan Thorbecke, 1987, S. 13-25.<br />
116 Es mag befremden, <strong>da</strong>B sich hier ein Kónig mit der Tochter eines Vasallen verlobt, wàhrend<br />
<strong>da</strong>mais die Bindung eines vermeintlichen Vasallen, Siegfried nàmlich, mit einer Prinzessin aus<br />
Brúnhilds Perspektive ein Skan<strong>da</strong>l auslóste, vor allem wegen ihrer Auffassung Siegfrieds als<br />
eigenholt, was fur <strong>da</strong>s Kònigshaus eine Entehrung bedeuten wùrde. Die Verlobung Giselhers mit<br />
Rùdigers Tochter erweist sich indes als unanstóBig, <strong>da</strong> die Markgràfin aller Wahrscheinlichkeit nach<br />
adeliger Abstammung ist: ez ist sô hoher mâge der marcgrâvinne lip (1678,2).<br />
71
Geschenk spielte eine nicht zu unterschàtzende Rolle in den<br />
zwischenmenschlichen Beziehungen, und zwar weit uber <strong>da</strong>s Mittelalter hinaus.<br />
Der Akt des Schenkens bedeutete weit mehr als eine Eigentumsubertragung eines<br />
Gegenstandes: es war ein verpflichtender Akt, dessen friedens- und<br />
bundnisstiftende Wirkung dem mittelalterlichen Menschen àuBerst prãsent war.<br />
Daruber hinaus trug er die Botschaft, bestehende Zustànde der Freundschaft, der<br />
Ehrung und wohlwolleneder Zuneigung wurden auch in der Zukunft ihre Gultigkeit<br />
behalten. Dem konkreten geschenkten Gegenstand wohnte eine besondere Kraft<br />
inné: es herrschte nàmlich der weitverbreitete Glauben, <strong>da</strong>s Geschenk besitze eine<br />
Seele und trage einen Teil dessen in sich, der es besaB, und werde diese Seele<br />
offenbaren. Doch nicht nur einen Teil seiner Seele ubertrug 117 der Gebende durch<br />
<strong>da</strong>s Geschenk auf den Nehmenden, er ùbertrug <strong>da</strong>durch automatisch auch einen<br />
Teil seiner Gewalt, was bedeutete, <strong>da</strong>B der Empfànger dem Schenkenden<br />
gegeniiber zwangsláufig eine untergeordnete Position einnahm. Auf der anderen<br />
Seite ist es fur Rudiger, den Schenkenden also, eine hohe Auszeichnung, wenn<br />
Gunther, swie sélten er gabe enpfienge (1965,3), der sonst ais Kõnig <strong>im</strong>mer Gaben<br />
austeilt, von ihm <strong>da</strong>s Geschenk ann<strong>im</strong>mt. Die Haltung von suone und vriede, der<br />
die Beschenkten verpflichtet sind, wird verstàrkt durch die angehende<br />
Verschwâgerung zwischen Rùdiger und den Burgunden, die zwar noch <strong>im</strong>mer<br />
nicht formal in Kraft getreten ist, aber <strong>im</strong>merhin mit eiden besiegelt worden ist.<br />
Dies bedeutet, <strong>da</strong>B die vriuntschaft zwischen dem Markgrafen und den Burgunden<br />
nicht nur emotional begrundet ist, sondern eine feste, juristisch faBbare Form<br />
erhãlt.<br />
Die faszinierendste Bindung auf Etzels Burg allerdings, die die Blicke aller auf sich<br />
Ziehen wird, wird die Freundschaft zwischen Hagen und Volker und ihre bis in den<br />
Tod wàhrende triuwe sein. Dies belegen zahlreiche Stophen: 1777-1779, 1786,<br />
1805, 1830-1832, 1975-1976, 2005 usw. GewiB nutzte der <strong>Nibelungenlied</strong>-D\chter<br />
diese Bindung, urn dem heroischen Klischee einer durch keine Umstànde zu<br />
erschutternden Loyalitàt Ausdruck zu geben, andererseits trágt die Rudiger-<br />
117 Wapnewski, Peter, (Anm.107), S. 399.<br />
72
Handlung mit ihrer Thematik der Pflichtenkollision wie keine andere zu der<br />
zunehmenden Humanisierung des Nibelungen-SXofíes bei.<br />
Eine andere Technik, der sich der Dichter des <strong>Nibelungenlied</strong>es bei der<br />
Aufwertung des burgundischen Lagers bedient, ist die nicht zu ubersehende<br />
Abwertung des Gegenlagers: vor allem Freigheit - die helden kêrten von <strong>da</strong>nnen:<br />
jâ vorhten si den tôt (1799) 118 - und Gier nach Macht und Reichtum (2130), von<br />
der sie sich verleiten lassen, werden den heidnischen Kriegern angekreidet. Urn<br />
den Streit vom Zaun zu brechen, greift Kriemhild auf <strong>da</strong>s niedrige Motiv der<br />
Lohnversprechung zuruck: sobald sie dem bislang noch Joyalen" Bruder Etzels<br />
Bloedelin, der zunàchst wegen seines Bruders keine Kampfhandlungen gegen die<br />
burgundischen Gaste wagt, <strong>da</strong>z lánt zúo den bûrgen und <strong>da</strong>zu noch eine maget<br />
schoene, <strong>da</strong>z Nuodunges wip in Aussicht stellt, wirft er aile Skrupeln bedenkenlos<br />
ab und greift ungeachtet des Gastrechts die Burgunden an. DaB die Burgunden<br />
aus hóheren Motiven, der triuwe zueinander, kámpfen, die Hunnen, die<br />
ungetriuwen, <strong>da</strong>gegen aus schmãhlicher Gier nach Besitztumern, irdischem Ion<br />
also, ist eine sich aufdrángende und klischeehafte Parallèle zur Wilhelmsepik, wo<br />
auf der einen Seite die sarazenischen Minneritter stehen und auf der anderen die<br />
christlichen, die um den h<strong>im</strong>mlischen Ions willen in den Kampf Ziehen. 119<br />
Gleichzeitig hat <strong>da</strong>s negative Hunnenbild seinen Ursprung in der<br />
jahrhundertelangen Tradition eines heldenepischen Stoffes, der in mehreren<br />
Dichtungen, wie zum Beispiel <strong>im</strong> Waltharilied, dem Attlilied Oder in der<br />
11B Vgl. auch 1793,4; 1842; 1847,2.<br />
119 Dem gegenuber hat Hans-A<strong>do</strong>lf Klein <strong>da</strong>rauf hingewiesen, <strong>da</strong>B es dem Erzàhler sichtlich <strong>da</strong>rum<br />
gent, Etzel „wo nur moglich zu entlasten, um <strong>da</strong>fur Kriemhild zu belasten. Sieht man in Kriemhild<br />
eine Vertreterin des Christentums, so ist hier die Kritik an einer nur formal ausgeubten kirchlichen<br />
Praxis besonders dicht." Dies ist m.E. insofern fraglich, ais der Erzàhler lediglich Etzel positiv<br />
konzipiert und, der heldenepischen Tradition verpflichtet, sich insgesamt nur ansatzweise auf<br />
moralisierende Diskurse einlàBt. Dennoch: Etzel vermittelt insgesamt mehr christliche Werte als die<br />
Burgunden, ganz zu schweigen von Kriemhild. Mehr zur Gestalt Etzels: Klein, Hans-A<strong>do</strong>lf,<br />
Erzáhlabsicht <strong>im</strong> Heldenepos und <strong>im</strong> hòfischen Epos. Studien zum Ethos <strong>im</strong> „<strong>Nibelungenlied</strong>" und<br />
in Konrad Flechs „Flore und Blanschefleur", Gòppingen: Kummerle, 1978, S. 154-177. Auch <strong>da</strong>s<br />
sog. niedrige Motiv der Lohnversprechung ist m.E. an und fur sich nicht so niedrig als es die<br />
Tatsache ist, <strong>da</strong>B Kriemhild, um ihr Recht geltend zu machen, buchstàblich iiber die Leichen geht.<br />
Ein bemerkenswertes Beispiel <strong>da</strong>fur, <strong>da</strong>B <strong>da</strong>s Motiv der Lohnversprechung keineswegs negativ<br />
konnotiert werden mul3, liefert uns Wolframs Willehalm, als die Mutter Willehalms, Irmschart von<br />
Pavia, résolut in ihrer Bereitschaft, ihren Sohn moralisch und materiell zu unterstutzen, nicht <strong>da</strong>vor<br />
scheut, auf <strong>da</strong>sselbe Motiv zuruckzugreifen: welt ir manliche leben, / so milezet ir lihen und geben,<br />
/ und helfet dem der zuns ist komen, des vlust wie aile han verkomen. (152, 17-20)<br />
73
Thiedriksaga, dichterisch geformt wurde. Das Verdienst des <strong>Nibelungenlied</strong>-<br />
Dichters besteht <strong>da</strong>rin, <strong>da</strong>B er <strong>da</strong>s <strong>da</strong>rin vorhandene abwertende Bild der Hunnen<br />
nicht mechanisch ubernommen, sondern insofern abgewandelt hat, als er die auf<br />
den ersten Blick so présente SchwarzweiBmalerei <strong>im</strong> Rahmen seiner<br />
Darstellungsmõglichkeiten gemieden hat. Von alien Klischees abgesehen nennt<br />
der Erzàhler die hunnischen Krieger <strong>im</strong>merhin degene (1794,1; 1868,4; 1876,2,<br />
usw.), helde (1866,4; 1921,4; 1978,3) Oder recken (1840,1; 1874,2), die <strong>da</strong>s<br />
Gesetz des Gastrechts zu schàtzen wissen (1905). Auch sind nicht allé Hunnen<br />
ungetriuwe, einige werden durchaus mit dem Epitheton vil getriuwer versehen<br />
(1928,3). Es bleibt festztstellen, <strong>da</strong>B all die negativen Handlungen der Hunnen auf<br />
Kriemhilds Rachegier zurùckzufùhren sind, womit sie dàmonisiert wird,<br />
wohingegen <strong>da</strong>s Freundespaar noch starker als Helden einer gerechten Sache<br />
hervortritt.<br />
Dennoch ist Hagen nicht nur seiner Partei, sondern auch Rudiger freundschaftlich<br />
zugeneigt: Zwischen ihrem letzten Gespràch und dem sich annáhernden<br />
ZusammenstoB findet die groBangelegte retardierende Szene von Hagens<br />
Schildbitte, in der seine Humanisierung ihren Hõhepunkt erreichen wird. Als<br />
Wissender erkennt Hagen die Notlage Rudigers, <strong>da</strong>B sich dieser wider seinen<br />
eigenen Willen in einer ausweglosen Situation befindet und den Kampf gegen die<br />
Freunde antreten muB. Hagen schreitet ein und bittet Rudiger, er moge ihm seinen<br />
Schild geben unter dem Vorwand, er habe seinen, den ihm Gotelind geschenkt<br />
hatte, <strong>im</strong> Kampf verloren. Mit dieser allerletzten Gabe wird zweierlei bewirkt:<br />
einerseits láBt Hagen Rudiger seine milte noch einmal walten, womit er seine ere<br />
unter Beweis stellt und sein Gesicht wahrt, die, mit seiner Entscheidung gegen die<br />
Freunde in den Kampf zu Ziehen, in MiBkredit hàtten geraten kónnen. Aus heutiger<br />
Sicht klingt dies gewiB plausibel, <strong>do</strong>ch man muB die Frage stellen, ob die<br />
Burgunden eines solchen Beweises uberhaupt bedurften. Als ob die drei Kõnige<br />
die Verbindlichkeit einer Lehnsbeziehung und der ere nicht genùgend zu schàtzen<br />
wùBten, so wie es Volker einzuschãtzen wuBte. Andererseits dient dièse Geste -<br />
wie Wapnewski richtig bemerkt hat - der eindeutigen Heroisierung Hagens, von<br />
74
dem der Erzàhler pathetisch bemerkt Swie gr<strong>im</strong>me Hagen waere und swie hérté<br />
gemuot, / ja erbârmte <strong>im</strong> diu gâbe ... (2198,1 -2). 120 Er beweist <strong>da</strong>durch, <strong>da</strong>B er zu<br />
seiner Freundschaft steht und <strong>da</strong>B er den Gegner versteht und ihm verzeiht, ohne<br />
je<strong>do</strong>ch dessen ratlosen Seelenkonflikt vom Standpunkt des christlichen Glaubens<br />
zu fassen. Hagen versichert ihm:<br />
JVu Ion ' ich iu der gâbe, vil edel Rùedegêr,<br />
swie halt gein iu gebâren dise recken her,<br />
<strong>da</strong>z n<strong>im</strong>mer iuch gerileret in strife hie mîn hant,<br />
ob ir si aile slùeget die von Búrgónden lant." (2201 )<br />
Damit hat Hagen <strong>da</strong>s Unerhõrte und <strong>da</strong>s Ungeheuerliche ausgesprochen: er stellt<br />
die freundschaftliche triuwe uber die herrschaftliche und verzichtet auf den Kampf<br />
mit dem Freund auch urn den Preis, <strong>da</strong>B seine Herren deswegen mit dem Leben<br />
bezahlen. Es scheint, der Dichter habe mit dieser Verkundung einen<br />
kunstlerischen Ausgleich geschaffen, der die durch Rudigers Konfliktsituation<br />
gestõrte Ordnung wieder herstellt. Peter Wapnewski hat es folgendermaBen<br />
ausgedruckt:<br />
„Rùdiger, Inbild der Freundschaft, Giite, der zart beschenkenden<br />
Liebe, láBt seine Freunde <strong>im</strong> Stich, urn seine Lehnstreue zu halten.<br />
Hagen, Inbild der Vasallitát, der in der unbarmherzígen Hárte<br />
seines Lehnsmannenbegriffs selbst den Mord nicht gescheut natte,<br />
láBt seine Herren <strong>im</strong> Stich, um die Freundestreue zu halten. Dieser<br />
Rollentausch ist wahrlich ein wunderbares und groBartiges Symbol<br />
der Aussòhnbarkeit des <strong>im</strong> Leben gegrùndeten Widerspruchs.<br />
Dièse Helden, jeder der Vertreter eines Treueprinzips, bekunden in<br />
ihrer kontrafaktischen Bezogenheit <strong>da</strong>s Prinzip Treue<br />
schlechthin." 121<br />
Wolf sagt von diesem Kontrast: „dieses gr<strong>im</strong>me wird durch <strong>da</strong>s Erbarmen sent<strong>im</strong>entalisierend<br />
aufgehoben." Vgl. <strong>da</strong>zu Wolf, Alois (Anm.68), S. 236.<br />
121 Wapnewski, Peter, (Anm.107), S. 398.<br />
75
Nicht weniger bedeutend war in dieser Szene die Rolle der burgundischen Kónige,<br />
ohne deren - wenn auch stillschweigender - Zust<strong>im</strong>mung diese<br />
"VerzichtproklamatiorT Hagens nicht mõglich ware. Die burgundische Partei war<br />
dermaBen zusammengeschweiBt, <strong>da</strong>B der Lehnsmann Hagen grenzenloses<br />
Vertrauen seiner Lehnsherren genoG und <strong>da</strong>zu die uneingeschrànkte<br />
Handlungsfreiheit, was bei Rùdiger nicht der Fall war. Die Tatsache, <strong>da</strong>B Gunther<br />
Hagens Entscheidung, die fur seinen jungeren Bruder Gemot den Tod bedeuten<br />
wird, nicht widerspricht, spiegelt auf symbolische Weise den gro(3en<br />
Gemeinschaftssinn des burgundischen Lagers. Hagens Abstention ist hier keine<br />
Félonie, sie ist eine Helden- und Ruhmestat, was gewi'13 einen Kontrast zur<br />
feu<strong>da</strong>lrechtlichen Realitât bildet. 122<br />
122 DaB Rudigers Problem <strong>im</strong> Waltharilied Hagens Problem war, <strong>da</strong>rauf hat Gentry hingewiesen:<br />
„The situation in which he finds h<strong>im</strong>self in the 37th aventiure is not new for Hagen, however. In the<br />
"Waltharius' he was also caught in the conflict between feu<strong>da</strong>l triuwe and friendship. In this work<br />
Hagen and Walther were both hostages at Etzel's court. While there, the two hostages swore an<br />
oath of friendship, Hagen escaped and became Gunther's vassal. Walther and his betrothed,<br />
Hildegund, later fled from Etzel and on their way to Walther's home they passed through Gunther's<br />
land. Gunther learned of their presence and also that they had brought with them a vast treasure<br />
and therefore decided to attack them against the wishes of Hagen. Hagen adhered to his oath of<br />
friendship and refrained from the battle. Only after all Gunther's men have been slain by Walther,<br />
including Hagen's nephew, did Hagen enter the battle. Before he fought, however, he made very<br />
clear to Gunther that he was <strong>do</strong>ing so only because of his ult<strong>im</strong>ate loyalty to h<strong>im</strong>: (...). In the<br />
"Waltharius', then, feu<strong>da</strong>l triuwe takes precedence over friendship although at the end of the<br />
friends are reconciled. The "<strong>Nibelungenlied</strong>' poet has taken this scene and reshaped it." Gentry,<br />
Francis G. (Anm.49), S. 78-79. Daruber hinaus ware ein EinfluR der kulturell-literarischen Situation<br />
76
8. Die triuwe Dietrichs von Bern<br />
Neben Rudiger ist der exilierte Kónig Dietrich von Bern die zweite Gestalt des<br />
<strong>Nibelungenlied</strong>es, die die Forschung bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts<br />
maBgeblich unter dem EinfluB von christlichem Ethos gesehen hat. Mit ihm ist<br />
eine gewaltige Stofftradition „erzahlender Versdichtungen in mittelhochdeutscher<br />
Sprache" 123 verknupft, in denen die Erinnerung an den ostgotischen Herrscher<br />
Theoderich den GroBen (7454-526) lebt. Àhnlich wie der historische<br />
Hunnenherrscher Attila von der eroberungslustigen x GeiBel Gottes' zum uberaus<br />
freigebigen und vorbildlichen Etzel wurde, so formte die Sage Theoderichs<br />
historische Eroberung Italiens in die Vertreibung Dietrichs aus Italien um und<br />
machte aus dem Gewaltherrscher, der sogar vor den kirchlichen Wúrdentrâgern<br />
keinen Halt machte und vermutlich am Tod Papst Johannes des I. mitschuldig war,<br />
den groBen Dulder, den armen Dietrich, der am Hof des Hunnenherrschers<br />
Zuflucht fand. 124 In dieser Eigenschaft tritt Dietrich von Bern <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong> auf,<br />
so wie in weiteren Werken der historischen Dietrichepik.<br />
Die Dietrich-Gestalt des <strong>Nibelungenlied</strong>es hat <strong>im</strong> Laufe der Jahrzehnte die<br />
Aufmerksamkeit etlicher Literaturwissenschaftler auf sich gezogen. DaB er eine<br />
auBerordentlich wichtige Rolle <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong> spielt, die dem sich dem<br />
Untergang <strong>im</strong>mer rasanter nãhernden Handlungsablauf neue Perspektiven<br />
erôffnet, wurde nie bezweifelt. Ùber die Bewertung seiner Handlungen gehen die<br />
Meinungen der Forscher je<strong>do</strong>ch auseinander: Vertreter altérer Generation,<br />
<strong>da</strong>runter Gottfried Weber, Bert Nagel, Karl-Heinz Ihlenburg, haben Dietrich als<br />
urn 1200 annehmbar, denn der Minnesang und der hófische Roman setzten sich zunehmend mit<br />
dem Thema Individuum und Freundschaft auseinander.<br />
,Xi Heinzle, Joach<strong>im</strong>, Einfuhrung in die mittelhochdeutsche Dietrichepik, Berlin: Walter de Gruyter<br />
1999, S. 1.<br />
124 I<br />
Insgesamt zeichnet sich die historische Dietrichepik <strong>da</strong>durch aus, <strong>da</strong>l3 <strong>da</strong>s <strong>da</strong>monische<br />
Dietrichbild aus dem Volksglauben verblaBt zugunsten der Vorstellung vom elenden Dietrich, die<br />
stellvertretend fur <strong>da</strong>s menschliche Elend uberhaupt steht. Dabei ist „Elend nicht nur <strong>im</strong> heutigen<br />
Sinn als ^Bedrangnis, Jammer, Not' (zu) verstehen (...), sondern auch in seiner ursprunglichen<br />
Bedeutung: and. eli-lenti heiBt ja zunàchst so viel wie 'anderes Land', <strong>da</strong>nn auch 'Ausland,<br />
Verbannung, Not' und somit eben auch x Exil'." Vgl. Gschwantler, Otto, „Heldensage als tragoedia.<br />
Zu einem Brief des Domschulmeisters Meinhard an Bischof Gunther von Bamberg", in Zatloukal,<br />
Klaus, 2. Põchlarner Heldenliedgesprach. Die historische Dietrichepik, Wien: Fassbaender, 1992<br />
S. 39-67, hier S. 41.<br />
77
„utopietràchtige" Opposition und Alternative zu heroisch gepràgten Helden<br />
gesehen. 125 Bert Nagel, dessen Argumentation sich groBtenteils auf einen<br />
Gegensatz zwischen Christentum und Heidentum <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong> stùtzt, geht<br />
von einer gerundeten, in sich geschlossenen Dietrich-Gestalt aus, deren Funktion<br />
auf „Verhùtung des Bôsen, auf Schlichtung und Ùberwindung feindlicher<br />
Gegensàtze, auf Gerechtigkeit und Bereinigung <strong>im</strong> Geiste verzeihender Liebe<br />
gerichtet" ist. Als einer, der „weil3, <strong>da</strong>B Rache letztlich keine Lõsung ist, <strong>da</strong>B sie<br />
<strong>im</strong>mer nur neue Schuld hãuft" 126 und der bereit ist, alte Schulden zu verzeihen und<br />
zu vergessen, mag <strong>da</strong>zu verleiten, in Dietrich einen, wenn auch erst gegen Ende<br />
eingefùhrten Repràsentanten des christlichen Ethos (freilich neben Rùdiger) zu<br />
sehen, in dem der sittlich-moralische Aspekt der íríuu;e-Tugend zum Vorschein<br />
kommt. Es stellt sich allerdings die Frage, ob <strong>da</strong>von so wie in der Interpretation<br />
Nagels ausgegangen werden kann.<br />
Karl Heinz Ihlenburg hingegen, wohl unter dem EinfluB seines zeitgenóssischen<br />
ideologischen Zeitgeistes, betrachtet die Figur <strong>im</strong> AnschluB an die Rudiger-Gestalt,<br />
und behauptet, <strong>da</strong>B Dietrich „ùberwindet, woran Hagen und Rùdiger zugrunde<br />
gehen." 127 Auch wenn dies einleuchtend erscheinen mag, ist dem schwer<br />
zuzust<strong>im</strong>men, wenn man bedenkt, <strong>da</strong>B die Positionen der beiden Helden <strong>im</strong><br />
Rahmen ihrer gesellschaftlichen Stellung zu verschieden sind, als <strong>da</strong>B man ihre<br />
Schicksale ùber einen Kamm scheren kõnnte. Sie unterscheiden sich vor allem<br />
<strong>da</strong>durch, <strong>da</strong>B Dietrich Etzels Gast ist und nicht dessen Vasall, so <strong>da</strong>B er es sich als<br />
souveràner (wenn auch exilierter) Herrscher leisten kann, <strong>im</strong> Kampf neutral zu<br />
bleiben. Daher kann von einem seelischen Konflikt, an dem Rùdiger scheitert, bei<br />
Dietrich nicht die Rede sein. 128 Die Ideen Ihlenburgs sind <strong>im</strong> Grunde genommen<br />
Weber, Gottfried, Das <strong>Nibelungenlied</strong>. Problem und Idee, Stuttgart: Metzler, 1963; Nagel, Bert,<br />
„Das Dietrichbild des <strong>Nibelungenlied</strong>es", in ZfdPh 78 (1959), S. 258-268 und ZfdPh 79 (1960), S.<br />
28-57; Ihlenburg, Karl-Heinz, (Anm.30).<br />
126<br />
Nagel, Bert, (Anm.125), S. 48 u. 35.<br />
127<br />
Ihlenburg, Karl Heiz, (Anm.30), S. 130.<br />
128<br />
Einige Literaturwissenschaftler, wie z.B. Wolfgang Spiewok oder Wolfgang Mohr halten je<strong>do</strong>ch<br />
Dietrich fur Etzels Vasall. Otfrid Ehrismann schlàgt indes eine elegantere Losung vor, indem er<br />
Dietrich zwar einen „fùrstlichen Vasall" nennt, von einer lehensrechtlichen Pflicht aber befreit. Vgl,<br />
Ehrismann, Otfrid, „Dietrich oder die Produktivitàt der Trànen - verhinderte Trauerarbeit am<br />
<strong>Nibelungenlied</strong>" in: Diskussion Deutsch 18, Heft 96, Frankfurt am Main: Moritz Diesterweg, 1987, S.<br />
306-320, hier S. 195.<br />
78
vom heutigen Forschungsstandpunkt aus kaum mehr verwertbar, wie z.B. die<br />
Ansicht, Dietrich bringe „die historische Fragwúrdigkeit der Feu<strong>da</strong>lgesetzlichkeit"<br />
zum Ausdruck oder <strong>da</strong>B<br />
„Dietrich von Bern als Symbol der Humanitát inmitten einer Welt,<br />
die der Selbstzerstõrung verfallen ist, (...) mehr als nur ein<br />
gestalterisches Mittel zur Milderung des grausigen Ausgangs<br />
bedeutet. Darin liegt eine Aussage des Dichters iiber seine Zeit.<br />
Nicht den Gestalten wie Hagen, Volker oder Wolfhart gibt der<br />
Dichter die Chance des Ùberlebens, sondem Dietrich von Bern.<br />
Seine Gestalt weist in die Zukunft. Nicht <strong>da</strong>s ehrgeizige Bild des<br />
heroischen Kriegers sammelt am Ende <strong>da</strong>s Licht auf sich, sondem<br />
<strong>da</strong>s zuchtvoll beherrschte, den Frieden erstrebende Bild des<br />
humanen Ritters." 129<br />
In die entgegengesetzte Richtung bewegt sich die Arbeit der jùngst verstorbenen<br />
Wiener Germanistin Blanka Horacek, 130 die anscheinend <strong>da</strong>rauf abzielt, allé<br />
Erkenntnisse und Schlusse Nagels nicht nur in Frage zu stellen, sondern<br />
regelrecht auBer Kraft zu setzen. Sie ráumt mit dem bis <strong>da</strong>hin „verklarten" und<br />
„verhatschelten" 131 Dietrichbild auf, indem sie ihn als einen "Wendehals' diffamiert,<br />
der eigens aus seinem „ichbezogenen Interesse" die Fronten wechselt. Sie wirft<br />
ihm seine verhángnisvolle Untâtigkeit, sein Zógern vor, <strong>da</strong>s an der Grenze zur<br />
Untreue liege und entlarvt seine Konfliktvermeidungsstrategie als „<strong>do</strong>ppelte Moral".<br />
Ferner sieht sie sein Verschulden in der Tatsache, <strong>da</strong>B er sein Wissen nicht<br />
zugunsten einer Verhinderung der sich anbahnenden Katastrophe einsetzt und die<br />
zwei uberlebenden Burgunden, Hagen und Gunther, an ihre Erzfeindin Kriemhild<br />
ausliefert.<br />
Wir haben es demzufolge mit zwei Seiten einer und derselben Mé<strong>da</strong>ille zu tun:<br />
einerseits wird Dietrich von Bern ausdrucklich als rex iustus et pacificus<br />
Ihlenburg, Karl Heiz, (Anm.30), S. 134.<br />
Horacek, Blanka, „Der Charakter Dietrichs von Bern <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong>", in: Birkhan, Helmut<br />
sg.), Festgabe fur Otto Holler, Wien: Braumuller, 1976, S. 297-336.<br />
Ehrismann, Orfrid, (Anm.128), S. 309.<br />
79
geschildert, dessen Beherrschtheit als christliche und ritterliche Tugend klar gegen<br />
<strong>da</strong>s heroische Ethos eines Hagen, Volker oder Wolfhart absticht, andererseits wird<br />
an ihm eben diese Zuruckhaltung getadelt. Da extreme Polarisierungen in ihrer<br />
Undifferenziertheit in der Regel eine suspekte Nuance aufweisen, ist es in solchen<br />
Fallen von Nutzen, <strong>da</strong>s zu analysierende Objekt vor dem Hintergrund des<br />
narrativen Musters und seiner Funktion <strong>da</strong>rin náher zu beleuchten. Diesen Weg<br />
sind Otfrid Ehrismann und Peter Gõhler 132 gegangen, deren Erkenntnisse eine<br />
Kehrtwendung in der polarisierten Dietrich-Forschung gebracht haben, und dies ist<br />
ihnen gelungen, indem sie von grõBtmôglicher Textnàhe ausgehend nach den<br />
Argumentationswegen gesucht haben, die einem durchaus positiven und / oder<br />
negativen Dietrichbild zuwiderliefen, und indem sie eine selektive und<br />
interpolierende Lekture <strong>im</strong> Sinne ihrer Vorgânger mieden.<br />
Àhnlich der Hortforderungsszene aus der 39. âventiure, einer der kontroversesten<br />
Szenen, die in der <strong>Nibelungenlied</strong>-Forschung viel Aufsehen erregt hatte, bleibt<br />
auch die Szene von Dietrichs Ùbergabe von gefangenen Burgunden an Kriemhild<br />
fur die Forschung ein Rátsel. Einen hóchst interessanten Lósungsvorschlag hat<br />
hierzu Ehrismann geliefert, wenn er zu bedenken gibt, <strong>da</strong>f3, obwohl<br />
..Dietrich Kriemhilds Recht auf Rache niemals bestritten hatte, die<br />
Geiseln (...) bei Kriemhild zunàchst sicherer ais bei Etzel wa(e)ren,<br />
<strong>da</strong> Kriemhild nach dem Recht der Zeit die Rache nicht selbst<br />
ausfuhren durfte, wohl aber Etzel, dessen Sohn zwei Tage zuvor<br />
ermordet worden war und der <strong>da</strong>raufhin Kriemhilds Kampf klar<br />
unterstiitzt hatte. Im Begriff der ellenden (2364,4) bindet Dietrich<br />
Kriemhild, die sich bei den Hunnen nie he<strong>im</strong>isch gefuhlt hatte,<br />
Gunther, Hagen und sich selbst gegen Etzel zusammen." 133<br />
Dabei <strong>da</strong>rf man keineswegs vergessen, wie spárlich <strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong> die<br />
Reflexionen und die inneren Einstellungen seiner Protagonisten preisgibt. Der<br />
132 Ehrismann, Otfrid, (Anm.128) u. Góhler, Peter, „Die Funktion der Dietrichfigur <strong>im</strong><br />
'<strong>Nibelungenlied</strong>'. Zu metho<strong>do</strong>logischen Problemen der Analyse", in Zatloukal, Klaus (Hrsg.), (1992),<br />
S. 25-38.<br />
133 Ehrismann, Otfrid, (Anm.128), S. 316.<br />
80
Erzáhler deutet zwar sporadisch die Mõglichkeiten an, die der Katastrophe eine<br />
andere Richtung hàtten geben kõnnen; die heroische Haltung, die allé in den<br />
Untergang treibt, wird vom Erzáhler also <strong>do</strong>ch problematisiert, ihre Alternativen<br />
allerdings von den Figuren in den Wind geschlagen. Die Ursache hierfur mag, urn<br />
mit Walter Haug zu sprechen, in Erzàhlmustern der heldenepischen Tradition<br />
liegen, bzw. in den Gesetzlichkeiten, nach denen die heldenepischen Figuren<br />
agieren und der heldenepische Stoff geformt wird. Diese Erzáhlmuster oder -<br />
strukturen sind die literarische Schicht, die <strong>da</strong>s fragmentarische, auf historischen<br />
Fakten grùndende "Substrat' ûberlagern und in einen sinnvollen<br />
Erzàhlzusammenhang bringen. Aller Kritik zum Trotz, <strong>da</strong>l3 die Haugschen<br />
"poetologische Universalien' zu „eigenstandig, eigengesetzlich und<br />
eigendynamisch" seien, die dem Dichter kaum autonomen Spielraum<br />
ubriglassen, 134 bleibt festzuhalten, <strong>da</strong>l3, Strukturen hin oder her, die ubergeordnete<br />
Finalitát des Handlungsfortgangs, die ihn best<strong>im</strong>mt und nach der er sich richten<br />
muB, sich <strong>do</strong>ch letztendlich durchsetzt. Im Falle des <strong>Nibelungenlied</strong>es ist es die<br />
Ùberlieferung, die den Dichter fesselt und an der er nicht vorbei kann: Hagen und<br />
Gunther sind <strong>da</strong>zu verurteilt, in Kriemhilds Hãnden ihr Ende zu finden.<br />
Wenn man die Stellen <strong>im</strong> Text, wo die Dietrichfigur entweder vom Erzáhler erwàhnt<br />
wird oder selbst zu Wort kommt, genauer untersucht, wird man zum Ergebnis<br />
kommen, <strong>da</strong>(3 sie nicht anders als die meisten Akteure des <strong>Nibelungenlied</strong>es von<br />
Ambivalenz gepràgt ist. Nur beiláufig eingefúhrt, <strong>im</strong> Rahmen von Kriemhilds<br />
feierlicher Begegnung mit Etzel und seinem Gefolge (1347,1), wird Dietrichs<br />
Prãsenz vom Erzáhler nicht explizit erlàutert. So ist die Annahme gerechtfertigt,<br />
<strong>da</strong>B <strong>da</strong>s Publikum mit der Gestalt des exilierten Kõnigs bereits vertraut war. Seit<br />
der Ankunft der Burgunden am Hof Etzels profiliert sich Dietrich allerdings durch<br />
seine spezifische Haltung: er macht die Burgunden mit Kriemhilds Gesinnung<br />
bekannt und warnt sie <strong>da</strong>vor (1723-1724; 1729-1730); seinen Gefolgsleuten<br />
134 Vgl. Rezension zu Haugs Strukturen als Schlussel zur Welt. Kleine Schriften zur Erzàhlliteratur<br />
des Mittelalters von Knapp, Fritz Peter in ZfdA 122 (1993), S. 82-87; auch Klaus von See àuBert<br />
sich kritisch gegenuber dem Begriff 'literarische Schemata' und fragt sich „woher (...) diese frei<br />
verfúgbaren Schemata herangeflogen sein (sollen und) auf welche Weise (....) sie entstanden sein<br />
sollen." Von der „Gesetzlichkeit" und „Mechanik" der Schemata sei stàndig die Rede, und man sei<br />
81
verbietet er ausdrùcklich jegliche Teilnahme am Turnier (1874), <strong>da</strong> er eine<br />
Eskalation von zunàchst friedlichen Reitspielen befurchtet; er lehnt Kriemhilds<br />
Gebot ab, ihr bei der Verwirklichung ihrer Rachepláne behilflich zu sein (1900 und<br />
1984), und entfernt <strong>da</strong>nn, als die Burgunden ihm und seinen amelungischen<br />
Kriegern den Abzug gewàhren, <strong>do</strong>ch <strong>da</strong>s Herrscherpaar aus dem<br />
Kampfgeschehen. Obwohl er die Burgunden als Freunde behandelt, wahrt er<br />
Hagens provokativer Rede (1725) gegenùber Distanz: „Die Sîfrides wunden lâzen<br />
wir nu stên" (1726,1). Er tritt weder fur die Partei der Gaste noch fur die<br />
Rachepláne Kriemhilds ein. Dennoch: als Kriemhild in eine Notlage geràt, zeigt er<br />
sich hilfsbereit, auch wenn er, selbst unbewaffnet urn sein Leben bangen muB:<br />
„Wie sol ich iu gehelfen (...) nu sorge ich umbe mich" (1984,1-2). Indem er<br />
Kriemhild und Etzel aus dem Saal entfernt, rettet er sie aus dem zu eskalieren<br />
drohenden Kampf und bringt die beiden in Sicherheit. Daraus làBt sich schlieBen,<br />
<strong>da</strong>B Dietrich zunàchst nach dem Recht (oder auch manchen Interpreten zufolge<br />
nach dem Lehensrecht) handelt, denn er gibt nicht der freundschaftlichen Bindung<br />
mit den Burgunden den Vorrang, sondem der legalen, herrschaftlichen zu Kônig<br />
Etzel. 135 Einerseits gelten seine Warnung an die Burgunden (ist iu niht bekant? /<br />
Kriemhild noch sêre weinet den helt von Nibelunge lant. [1724,3-4]) und sein<br />
Be<strong>da</strong>uern, <strong>da</strong>B sie nicht frùher von Rudiger gewarnt worden sind als Ausdruck<br />
freundschafticher Verbundenheit, die, eine Strophe spàter (1726) in unterkuhlte<br />
und distanzierte Reaktion auf Hagens „Si mac wol lange weinen (...) / er lit vor<br />
manigem jure ze tôde erslagene (1725,1-2) in Anerkennung der Rachepflicht<br />
umschlàgt, die, juristisch gesehen, auch nach manigem jâre nicht verjàhrt. Nach<br />
dem Recht handeln oder zumindest versuchen, Unrecht zu verhindern, kõnnte als<br />
Richtlinie definiert werden, nach der sich Dietrichs von Bern Handeln <strong>im</strong><br />
<strong>Nibelungenlied</strong> richtet. Auch die Episode von der Geiselnahme gehòrt <strong>da</strong>zu: sie<br />
war, nach den ungeschriebenen Verhaltensregeln <strong>da</strong>maliger Zeit, eine gàngige<br />
Stratégie, Leben zu schonen, die eine bessere Behandlung zur Folge hatte als<br />
schon froh, in dieser papiernen Welt einmal <strong>da</strong>s Wort „Vasallenthematik" zu hóren, urn wieder an<br />
historische Wirklichkeit erinnert zu werden. Vgl., von See, Klaus, (Anm.20), S. 26.<br />
135 Ehrismanns Feststellung, Hagen nutze die alte Bindung, um den màchtigen Fursten (Dietrich)<br />
auf die Seite seiner Kónige zu Ziehen, ist <strong>im</strong> Text m.E. nicht explizit nachweisbar.<br />
82
dies <strong>im</strong> Falle der Gefangenschaft war. Zur Erinnerung: Hagen war als Geisel am<br />
Hunnenhof aufgewachsen (1756), Kriemhild hátte gerne Hagen als Geisel von<br />
ihren Brudern erzwungen (2104) - und ihnen somit <strong>da</strong>s Leben gerettet (freilich<br />
nach der mittelalterlichen Praxis nur nachdem sie nâch der suone mit disen helden,<br />
die hie sint (2104,4) sien beraten natte) -, auch Gunther natte lángst zuvor<br />
unzáhlige Geiseln aus dem Sachsenkrieg an seinen Hof in Worms gebracht (238).<br />
Daher ist die Annahme, Dietrich wechsle mit der Geiselnahme die Front und stelle<br />
sich an die Seite Kriemhilds, nicht gerechtfertigt. Es ist eher anzunehmen - und<br />
dies belegen die Worte Dietrichs (2337,2-4) - <strong>da</strong>B er Gunther und Hagen in bester<br />
Absicht die Chance geben wollte, am Leben zu bleiben, die allerdings durch<br />
Hagens klischeehaften Starrsinn und Kriemhilds Hort-Forderung zum Scheitern<br />
verurteilt wurde.<br />
Peter Gõhler 136 hat <strong>da</strong>rauf hingewiesen, <strong>da</strong>B die Dietrichgestalt von einer gewiBen<br />
Diskontinuitát geprágt wird, was einer ganzen Reihe sich teilweise<br />
widersprechenden Interpretationen seines ohnehin vielschichtigen Charakters<br />
zweifelsohne zugute kommt. So ist er nicht <strong>im</strong>mer <strong>do</strong>rt pràsent, wo man ihn dem<br />
Handlungsverlauf nach hàtte erwarten kõnnen, wie beispielsweise be<strong>im</strong><br />
spannungsbeladenen Messebesuch oder be<strong>im</strong> Turnierzwischenfall, wo <strong>do</strong>ch seine<br />
Náhe zum Austragungsort kurz vorher erwãhnt wird. So werden wir mit einer<br />
bruchstùckhaften Dietrichfigur konfrontiert, deren Position in entscheidenden<br />
Momenten nicht <strong>im</strong>mer klar zu werten ist. Vor allem sein Nichteingreifen, als<br />
Rùdiger zu scheitern droht, ist befremdlich, <strong>da</strong> er mit diesem nicht nur<br />
freundschaftlich eng verbunden, sondern auch verwandt ist (2314,3).<br />
Mõglicherweise hat ihn seine Funktion <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong> <strong>da</strong>ran gehindert, die<br />
mehr als bei anderen in ihrer ásthetischen Eigenart ge<strong>da</strong>cht ist und nicht so sehr<br />
als Handlungstràger oder einer, der eine Wende des poetischen Konzepts hàtte<br />
herbeifùhren konnen, nach dem sich der <strong>Nibelungenlied</strong>-D\ch\er richtete. Vielleicht<br />
ist dièse einzigartige Gestalt, die am Ende des Epos sich gegen <strong>da</strong>s blinde<br />
Abschlachten des Gegners ausspricht, um <strong>da</strong>nn <strong>do</strong>ch die kaltblùtige Enthauptung<br />
der letzten zwei ùberlebenden burgundischen Krieger in die Wege zu leiten, eine<br />
136 Gohler, Peter, (Anm.132).<br />
83
einzige groBangelegte „abgewiesene Alternative", die nicht in <strong>da</strong>s Konzept paBte.<br />
Seine <strong>im</strong> christlichen Sinne aufgefaBte friuu;e-Vorstellung von der Schonung des<br />
Gegners, die ihm so manche Forscher nachgesagt hatten, erweist sich als<br />
perspektivlos in einer Welt, wo <strong>da</strong>s heroische Ethos tief verwurzelt ist. Die Figur<br />
des Helden von Bern trágt zwar zur „Vielschichtigkeit der Darstellung, die Raum fur<br />
distanzierte Betrachtung der Ereignisse und der Akteure lãBt", 137 bei, vermag aber<br />
<strong>da</strong>s grausige Ende, an dem die Figur des Helden von Bern selbst teiln<strong>im</strong>mt, nicht<br />
abzuwenden.<br />
Góhler, Peter, (Anm.132), S. 38.<br />
84
9- triuwe in der Minne<br />
Im Gegensatz zu den drei bisher erorterten triuwe-Arten, die, je nach der<br />
gesellschaftlichen Gruppenbindungen, fur deren Erhalt und Funktionsfáhigkeit sie<br />
sorgen, herrschaftliche, verwandtschaftliche und genossenschaftliche triuwe<br />
genannt werden, kennt die mittelalterliche Literatur eine weitere, vierte triuwe-Art,<br />
die sich von den ersten drei pr<strong>im</strong>ar <strong>da</strong>durch unterscheidet, <strong>da</strong>G sie in weit<br />
breiterem MaBe die Nuance des moralisch Gebotenen in sich tragi: es ist die<br />
triuwe zwischen Mann und Frau. Diese Art von triuwe beschrànkt sich<br />
gattungsgemaB auf den hófischen Roman (insbesondere n<strong>im</strong>mt sie in den<br />
Romanen Wolframs von Eschenbach einen hohen Stellenwert ein) und den<br />
Minnesang, wo sie, zwar mit unterschiedlichen Akzentuierungen, sozusagen<br />
zivilisierende Wirkung ausubt. Im heldenepischen Muster hingegen spielt sie keine<br />
bedeutende Rolle, <strong>da</strong> Heldenepen insgesamt <strong>da</strong>s Individuum durch <strong>da</strong>s Prisma<br />
des Kollektiven handeln lassen und dem Subjektiv-lndividuellen per se wenig<br />
Aufmerksamkeit widmen.<br />
Das <strong>Nibelungenlied</strong> ist ein einzigartig strukturiertes Heldenepos, in dem <strong>da</strong>s<br />
„Reckenhafte" der Vólkerwanderungszeit und <strong>da</strong>s zeitgenõssische hõfische Ideal<br />
sich in merkwurdiger und nicht <strong>im</strong>mer gelungener Weise vermischen und <strong>da</strong>s<br />
demzufolge kein Heldenepos <strong>im</strong> engeren Sinne ist. Wahrend <strong>da</strong>s heldenepische<br />
Prinzip auf den kollektiv-gultigen Mechanismen beruht, fokussiert <strong>da</strong>s hõfische<br />
Prinzip <strong>da</strong>s Individuum in seiner Subjektivitát. Diese beiden Prinzipien lassen sich<br />
<strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong> <strong>im</strong> Falle Kriemhilds am deutlichsten erkennen. Kriemhild ist die<br />
einzige Gestalt <strong>im</strong> Epos, deren innere Subjektivitát thematisiert und zur Sprache<br />
gebracht wird, womit sie „zur ersten Gestalt in der mittelalterlichen Literatur (wird),<br />
die ihre persónliche Erfahrung als ihr Schicksal ann<strong>im</strong>mt und ihr Leben individuell<br />
entwirft", wie Haug in seinem Aufsatz „Montage und Individualitàt <strong>im</strong><br />
<strong>Nibelungenlied</strong>" 8 konstatiert hat. Allen stofflichen Bindungen an die alte<br />
Heldensage zum Trotz, ist die Kriemhild-Gestalt - wenn man von der religiõsen<br />
Komponente absieht - der einer Sigune, Herzeloyde, Enite oder Gyburc weit<br />
138 Haug, Walter, (Anm. 94).<br />
85
ãhnlicher angelegt ais dies <strong>im</strong> Vergleich zu der rachedurstigen Gudrun der<br />
nordischen Sagen der Fali ist. Doch âhnlich den Figuren Hagens und Dietrichs ist<br />
auch die Kriemhilds durch ihre Widerspruchlichkeit geprágt, die am besten an ihrer<br />
triuwe zu Siegfried ablesbar ist.<br />
Ais sie gleich am Anfang ais eine auGerordentlich schóne Frau vorgestellt wird, die<br />
den Tod vieler Helden herbeifùhrt, werden wir mit ihrer musterhaften hõfischen<br />
Existenz am Wormser Hof vertraut gemacht. Kurz <strong>da</strong>rauf beginnt Kriemhild je<strong>do</strong>ch<br />
Signale zu entsenden, <strong>da</strong>(3 sie eine Eigenstãndigkeit besitzt, die sie vom Rahmen<br />
ihrer hõfischen Umwelt abhebt und die sich <strong>im</strong> Laufe des Geschehens <strong>im</strong>mer<br />
ausgepràgter gestalten wird. Vorerst zeigt sich dies in ihrer Weigerung, die minne<br />
eines Ritters anzunehmen, wohl <strong>im</strong> BewuBtsein <strong>da</strong>z ich von mannes minne sol<br />
gewinnen <strong>im</strong>mer nôt" (15,4), spáter wird es ihre triuwe Siegfried gegenùber sein,<br />
die, wenn nicht die einzige, <strong>da</strong>nn zumindest die eigentliche Triebkraft sein wird. 139<br />
Doch ist Kriemhilds triuwe, die erst nach dem Tod Siegfrieds zu ihrer vollen<br />
Entfaltung kommt, von dem stereotypen Verhalten von Witwen, so wie es die<br />
mittelhochdeutsche Epik <strong>da</strong>rstellt, grundverschieden. An dieser Stelle kann <strong>da</strong>rauf<br />
verzichtet werden, dièse Zusammenhànge nàher zu beleuchten, <strong>da</strong> die<br />
altgermanistische Forschung sich <strong>da</strong>rum bereits bemùht und aile wesentlichen<br />
Aspekte in dem Zusammenhang herausgearbeitet hat. 140 Stattdessen werde ich zu<br />
zeigen versuchen, wie Kriemhild den eigenen Schmerz und <strong>da</strong>s eigene Leid als<br />
neuen MaBstab des Todeszeremoniells setzt und sowohl die Regie der Klage als<br />
auch der Rache eigenhãndig ùbern<strong>im</strong>mt.<br />
Zwischen der ersten, 'privaten' Phase der Klage (1005-1025) und der zweiten,<br />
õffentlichen (1036-1072) befinden sich zehn Strophen, die <strong>da</strong>s traditionelle Thema<br />
der Blutrache in Dialog-Form zwischen Kriemhild und ihrem Schwiegervater<br />
139<br />
In dieser scheinbaren Widerspruchlichkeit erkannte Theo<strong>do</strong>re M. Andersson eine Erzáhltechnik<br />
des Dichters, die <strong>da</strong>rin besteht, <strong>da</strong>B er einzelne Elemente aus der Brunhild-Tradition auf die<br />
Kriemhild-Handlung Cibertrãgt. So entsteht der Eindruck, best<strong>im</strong>mte Erzàhlmuster wie <strong>da</strong>s der<br />
Brautwerbung oder der tuckischen Einladung werden wiederholt. Auch diese anfângliche<br />
Ehefeindlichkeit Kriemhilds sei Andersson zufolge bei Brunhild zu suchen. Vgl., Andersson,<br />
Theodeore M., "The Legend of Brynhild", (Islandica 43), Ithaca: Cornell University Press, 1980.<br />
Ich weise auf den am International Symposium vom 27.10.2002 vorgelegten Beitrag John<br />
Greenfields „Frau, Tod und Trauer <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong>: Ûberlegungen zu Kriemhilt" hin. In<br />
Greenfield, John (Hrsg.), Das <strong>Nibelungenlied</strong>. Actas <strong>do</strong> S<strong>im</strong>pósio Internacional 27 de Outubro de<br />
2000, Facul<strong>da</strong>de de Letras <strong>da</strong> Universi<strong>da</strong>de <strong>do</strong> Porto, 2001, S. 95-114.<br />
86
Siegmund ansprechen. Damit ist die rechtliche D<strong>im</strong>ension des Epos beruhrt. Fur<br />
<strong>da</strong>s Verstàndnis von Kriemhiids triuwe sind diese zehn Strophen von<br />
auBerordentlicher Bedeutung, einerseits weil Rache fur den Tod eines Verwandten<br />
eine unwiderrufliche Pflicht der Familienangehórigen zur Wiederherstellung der<br />
allgemeinen Gerechtigkeit war und andererseits, weil Kriemhiids Handeln diesem<br />
durch Jahrhunderte hinweg etablierten Gesetz ihre auf ihrer persõnlichen Minne<br />
grùndende Auffassung des Rechts aufzwingt und so seine Ausfuhrung verhindert.<br />
Siegfrieds Leute reagieren zunáchst erwartungsgemàB, indem sie nach sofortiger<br />
Rache fur ihren ermordeten Herrn verlangen: „in sol <strong>im</strong>mer rechen mit willen<br />
unser hant. er ist in dirre biirge, der iz hât getân." dô îlten nâch den wâfen alie<br />
Sîfrides man (1027,2-4). An zahlreichen Stellen <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong> findet man<br />
dieses heldenepische Topos: ais Siegfried die Herren vom Nibelungenland<br />
Schilbung und Nibelung liquidiert, schwõrt ihr Kammerer Alberich unverzugliche<br />
Rache (96,3), sogar der todverwundete Siegfried hátte sich an seinen Mordem<br />
gern geràcht, wenn er <strong>da</strong>zu in der Lage gewesen ware (985,4). Else hàtte an<br />
seinen Lehnsmann und Bruder Gelfrat Rache genommen (1614,3) und am Hof zu<br />
Gran, nachdem Etzel gerade noch die Rache der hunnischen Krieger fur ihren von<br />
Volker erstochenen Genossen abzuwenden vermochte, lost ein Racheakt den<br />
anderen ab: ais Blõdel Dankwart bezùglich des Mordes an Siegfried mit dem<br />
Hinweis ermahnt, <strong>da</strong>B sein Racheverlangen vóllig legit<strong>im</strong> sei, auch wenn es gegen<br />
ihn als Hagens nàchsten Verwandten gerichtet sei, erschlàgt ihn Dankwart<br />
kurzerhand, worauf in der náchsten âventiure, ais Reaktion auf Dankwarts maere<br />
ùber den Ùberfall der Hunnen, Hagen <strong>da</strong>s Schwert zûckt und Kriemhiids und<br />
Etzels Sohn enthauptet. DaB Kriemhild mit dem Thema Rache nicht <strong>im</strong>pulsiv,<br />
sondern planvoll und umsichtig umgeht, macht ihre Einzigartigkeit und 'Modernitát'<br />
(wie auch <strong>im</strong>mer dieser Begriff fur die Epoche klingen mag) <strong>im</strong> Rahmen des<br />
Heldenepischen aus: sie fugt sich in die Welt des hófischen Ethos und baut<br />
gleichzeitig eine innerliche Sphere auf, in der sie ihre he<strong>im</strong>lichen Plane schmiedet.<br />
Doch kehren wir zu den Rachegesprâchen der 17. âventiure zurúck: Kriemhild<br />
besànftigt <strong>da</strong>s Racheverlangen des nach dem heldenepischen Muster handelnden<br />
87
Siegmund und unterbreitet ihm stattdessen einen zweckrationalen und<br />
strategischen Vorschlag:<br />
Si sprach: „herre Sigemunt, ir suit iz lâzen stân,<br />
unz ez sich baz gefiiege: sô wil ich mînen man<br />
<strong>im</strong>mer mit iu rechen. der mir in hât benomen,<br />
wird' ich des bewîset, ich sol <strong>im</strong> schàdelîche komen. (1033) 141<br />
Damit bricht Kriemhild mit einer langjàhrigen erzàhlerischen Tradition: sie hinder!<br />
Siegfrieds nâchsten Verwandten, seinen Vater namlich, seinem Sohn die<br />
verwandtschaftliche triuwe zu erweisen, indem sie ihm, unter dem Vorwand eine<br />
bessere Gelegenheit abzuwarten, ihre persõnliche Minne-triuwe aufzwingt und<br />
spãter die Rache selbst in die Hand n<strong>im</strong>mt. Bemerkenswert ist auBerdem, wie <strong>da</strong>s<br />
<strong>Nibelungenlied</strong> mit der anderen íríuiue-Pflicht, nàmlich mit der der Rache<br />
vorausgehenden Konvention des Mitklagens, verfáhrt: wáhrend Kriemhild die<br />
Racheplanung auf sich n<strong>im</strong>mt, ubern<strong>im</strong>mt Siegmund die Pflicht vom helfen klagen:<br />
er ist es, und nicht Kriemhild, der nach rituellen Vorgaben die Leiche umfaBt und in<br />
den SchoB legt. 142 Das heiBt, <strong>da</strong>B <strong>da</strong>s von Kriemhild angeordnete Klageprotokoll<br />
<strong>da</strong>s legit<strong>im</strong>e (wenn auch aussichtslose) Racheverlangen unterbindet und einen<br />
heroischen Trauerúberschwang, wie er uns am Ende des Epos begegnet, der die<br />
Gewalt nur anspornen wurde, verhindert. AuBerdem durften am wuof nur die<br />
getriuwen teilnehmen, die Kriemhild, unterstutzt durch die Bahrprobe, nach ihrem<br />
eigenen Ermessen selbst <strong>da</strong>zu ernannt hat. Kriemhilds eigene Gestik hingegen, in<br />
Ohnmacht fallen (1009,1), Schreien (1009,4), Blutweinen (1010,2), sowie der<br />
Es sei auf die frappante Àhnlichkeit zwischen den Strophen 1034 und 1767 hingewiesen: wie sie<br />
<strong>da</strong>mais in Worms die Gefolgsleute Siegfrieds vor der Úberlegenheit der Burgunden gewarnt hat,<br />
mahnt Kriemhild auch diesmal ihr hunnisches Gefolge <strong>da</strong>zu, sich nicht unvorbereitet in den Kampf<br />
zu sturzen.<br />
42 Gegen Ende begegnet uns eine àhnlich angelegte Szene, ais der alte Hildebrandt seinen tódlich<br />
verwundeten neven Wolfhart in dessen eigenem Blute liegen sieht: er beslôz mit armen den recken<br />
Men unde guot (2299,4). Dieses Ritual wird ublicherweise durch <strong>da</strong>s Wegschleppen des Toten /<br />
Verwundeten von dem Kampfplatz und <strong>da</strong>s heldisch-archaische Element des Hinbringens zur<br />
Grabstatte begleitet, was Hildebrandt allerdings nicht zustande bringen kann: Er wolde'n ûzem<br />
hûse mit <strong>im</strong> tragen <strong>da</strong>n: / er was ein teil ze swaere, er muose in lîgen lân. Auch Wolfram bedient<br />
sich in seinem Willehalm dieser ^type-scene', ais der Markgraf von Orange seinen toten Neffen<br />
88
Selbstfluch (1056,3) - ist zwar dem Trauerritual verpflichtet, halt sich allerdings in<br />
Grenzen der Minnegebârden, die keine (ubrigens vom Sachsenspiegel<br />
vorgeschriebene) Exzesse wie Selbstverwundung, Hànderingen und Sich-Haare-<br />
Raufen aufweisen. 143<br />
Von diesem Zeitpunkt an wird Kriemhild ihr ganzes Tun und all ihre Krâfte nur<br />
diesem einen Ziel unterordnen. An dieser Stelle fángt gleichzeitig ihre<br />
Vereinsamung an. Aus ihrer individuellen Minne-triuwe entfaltet sich nach und<br />
nach eine Art „autoritare" triuwe, die <strong>da</strong>s Mitgefuhl der anderen miBachtet und<br />
sogar gegen die Etikette verstoBt. Und von nun an wird sie nur eines vor Augen<br />
haben: Rache nehmen fur <strong>da</strong>s angetane leit, ungeachtet dessen, wie lange es bis<br />
zum richtigen Augenblick <strong>da</strong>uern wird und welche Mittel zu diesem Zweck zum<br />
Einsatz kommen werden. 144 Abgesehen von der Reaktion, die die blo(3e<br />
Vorstellung einer sich ràchenden Frau auslõsen kõnnte, 145 handelt Kriemhild hier<br />
Vivianz auf <strong>da</strong>s Pferd hebt, um ihn wenig spáter notgedrungen wieder auf der StraBe liegen zu<br />
lassen.<br />
Eine gelungene und hõchst lesenswerte Darstellung von Kriemhilds Klage-Gebàrden liefert<br />
Urban Kusters in seinem Aufsatz: „Klagefiguren. Vom hófischen Umgang mi der Trauer", in Kaiser,<br />
Gert (Hrsg.), An den Grenzen hõfischer Kultur. Anfechtungen der Lebensordnung in der deutschen<br />
Erzàhldichtung des hohen Mittelalters, Munchen: Wilhelm Fink, 1991, S. 9-75.<br />
In diesem Zusammenhang hat Otfrid Ehrismann anlaBlich seines diesjàhrigen Vortrages „Von<br />
der Kanalisierung der Emotionalitàt <strong>im</strong> N <strong>Nibelungenlied</strong>'" an der Facul<strong>da</strong>de de Letras der Universitát<br />
Porto aus Wilhelm Grònbechs Kultur und Religion der Germanen (1909) zitiert: „Sie (die Rache)<br />
spannt ihre Untenehmungslust beinahe uber die Kraft, macht, <strong>da</strong>B sie sich starker, mutiger fuhlen.<br />
Aber sie lehrt sie auch warten, sich besinnen, berechnen; jahraus und jahrein kann ein Mann<br />
warten und wàgen, alie seine Plane <strong>da</strong>rauf einstellen, die flùchtigste Gelegenheit fur eine<br />
Ehrenabrechnung zu ergreifen; ja sogar seine tàglichen Verrichtungen in der Wirtschaft, wenn er<br />
sein Heu und sein Vieh besorgt, werden so zurechtgelegt, <strong>da</strong>B er <strong>im</strong>mer nach den Wegen<br />
Ausschau halten und jeden Augenblick sehen kann, ob der erwúnschte Mann vorùberreiten sollte.<br />
Die Rache lehrt ihn, mit Zeit und Raum wie mit Kleinigkeiten zu rechnen. Er wird von der<br />
Erinnerung durch die Zeit getragen, und er kann uber Land und Meer getrieben werden von einem<br />
Ziel, <strong>da</strong>s er vor sich sieht. (...) Die Rache hebt ihn empor und verklàrt ihn. Sie hebt ihn nicht nur,<br />
sondem hàlt ihn schwebend, láBt ihn auf einer hõheren Ebene fortleben. Die kann geschehen, weil<br />
<strong>da</strong>s Verlangen nach Genugtuung nicht nur die erhabenste von alien Empfindungen ist, sondem<br />
zugleich die alltâglichste, die allgemeinste menschliche. Welche Unterschiede sonst zwischen<br />
Menschen auch bestanden, in einem begegneten sie sich: sie muBten, sollten und konnten nicht<br />
anders ais Genugtuung suchen. (...) In dem Strafenden wie in dem Rachgierigen kreisen alie<br />
Ge<strong>da</strong>nken um jenen anderen, um <strong>da</strong>s, was mit ihm geschehen soil, ob er richtig und fuhlbar<br />
getroffen werden kann. Der Ràcher <strong>da</strong>gegen hat <strong>da</strong>s Zentrum seiner Ge<strong>da</strong>nken in sich selbst. Es<br />
kommt alies <strong>da</strong>rauf an, was er tut, nicht, was der andere leidet. Der Ràcher holt etwas. Er n<strong>im</strong>mt<br />
Rache."<br />
Die Ausfùhrung der Rache von Hand einer Frau war nach mittelalterlichem Recht strikt<br />
unzulàBig und ais literarisches Motiv mit groBer Wahrscheinlichkeit ais hõchst irritierend empfunden<br />
worden. Einsichten hierùber liefern u.a. Hartmann von Aue in seinem Iwein, ais er Lunete von ihrer<br />
Herrin Laudine sagen láBt, <strong>da</strong>z mín vrouwe ein wíp ist, / und <strong>da</strong>z si sich niht gerechen mac (3128-<br />
89
nicht anders ais es vor ihr Siegfried und Hagen getan haben: auch sie wird<br />
hinterlistig auf die VerlàGlichkeit der Zeichen setzen, die triuwe signalisieren, um<br />
die triuwe Siegfried gegenuber bis zu ihrem bitteren Ende auszutragen, auch<br />
wenn <strong>da</strong>bei die elementare triuwe unter den Verwandten und die soziale<br />
Harmonie in Schutt und Asche gelegt werden.<br />
Dennoch endet der erste Teil mit einem ausdrucklichen Hinweis auf die triuwe<br />
ihrem toten Gemahl gegenuber:<br />
Nâch Sîfrides tôde, <strong>da</strong>z ist alwar,<br />
si wonte in manigem sêre driuzehenjâr,<br />
<strong>da</strong>z si des recken tôdes vergezzen kunde niht.<br />
si was <strong>im</strong> getriuwe, des ir diu meiste menige giht. (1142)<br />
Dieser Sachverhalt wird in der 20. âventiure sogar intensiviert, als Kriemhild den in<br />
Etzels Namen werbenden Rudiger empfangt, was die Strophen 1228 und 1259 am<br />
eindeutigsten belegen. Von der 21. âventiure an treten je<strong>do</strong>ch andersartig<br />
angelegte Erzàhlmuster auf, die den Dichter <strong>da</strong>zu zwangen, sich starker an<br />
heldenepischen Strukturen zu orientieren. Das hat unter anderem zu<br />
Feststellungen gefuhrt, auf die bereits hingewiesen worden ist, nàmlich, <strong>da</strong>l3 die<br />
Kriemhild des zweiten Teils die Rolle Hagens aus dem ersten Teil ubernehme,<br />
je<strong>do</strong>ch mit einem gravierenden Unterschied: wãhrend Hagen von Anfang an seine<br />
heroische Position entscheidend vertritt und die hõfische Konvention als Mittel der<br />
Versõhnung kategorisch ablehnt, bedient Kriemhild sich nun der hõfischen Norm,<br />
allerdings nicht zum Zwecke der Aussõhnung oder Kanalisierung der durch die all<br />
die Jahre des Trauerns aufgestauten Energien, sondern als Tarnung fur ihr <strong>im</strong><br />
Grunde heroisch motiviertes Anliegen. Dies <strong>im</strong>pliziert, <strong>da</strong>G es bei dieser Gestalt<br />
gleichzeitig eine individuelle, innerliche sowie eine nach auBen gerichtete Sphàre<br />
gibt, die am deutlichsten in der 23. âventiure nebeneinander auftreten.<br />
3129) und Gottfried von StraBburg in seinem Tristan-Roman, als Mutter-Isolde ihre Tochter <strong>da</strong>von<br />
abzuhalten gedenkt, sich eigenhàndig am Morder ihres Onkels zu ràchen: Nu gie diu kilniginne, /<br />
ir muoter, zuo den tilren in: / „wie nû?" sprach sî,"waz sol diz sin? / tohter, waz tiutest dû hie<br />
mite?/sint diz schoene vrouwen site?/hâstu dînen sin verlorn?/ weder ist diz sch<strong>im</strong>pfoder zorn?<br />
/ waz sol <strong>da</strong>z swert in dîner hant?" (10166-10173).<br />
90
Die 23. âventiure ist insofern von Bedeutung, als sich <strong>da</strong>rin Kriemhilds Wunsche,<br />
Ùberlegungen, Erinnerungen, innerer Monolog, Traum und Wirklichkeit in<br />
befremdlicher Weise verflechten. Im BewuBtsein an die wieder gewonnene<br />
Machtposition ais Kõnigin des Hunnenreiches (1391,1), die ihr die Ausfuhrung ihrer<br />
Rachepláne ermõglichen wurde, evoziert Kriemhild ihre einstige Position, ihr leit,<br />
und <strong>im</strong> Traum vermiBt sie Giselher, ihren jungsten Bruder. Die Ebene des<br />
UnbewuBten schurt je<strong>do</strong>ch den bewuBten Rachewunsch erneut und der Ge<strong>da</strong>nke<br />
an suone flustert ihr ein, ihre Verwandten einzuladen und so mittelbar auch die<br />
Prásenz Hagens innerhalb ihres Machtbereichs, an Etzels Hof also, zu bewirken.<br />
Das bedeutet, <strong>da</strong>B der Wunsch, den vermiBten Verwandten zu sehen, als Vorwand<br />
verwendet wird, urn den Racheplan zu verwirklichen. DaB der Dichter selbst den<br />
bloBen Ge<strong>da</strong>nken an eine mõgliche Rache innerhalb der Verwandtschaft als<br />
hóchst irritierend empfand, belegt die Wendung der ùbel valant (1394,1), mit der<br />
ein ùbermàchtiger ùberpersonaler Instigator gemeint ist, der solch widrige<br />
Ge<strong>da</strong>nken ùberhaupt zulàBt: Ich waene der ùbel valant Kriemhilde <strong>da</strong>z geriet, /<br />
<strong>da</strong>z sie sich mit friuntschefte von Gunthere schiet, / den si durch suone kuste in<br />
Burgonden lant (1394,1-3). Das Problem liegt allerdings nicht nur in der<br />
tùckischen Einladung, sondern auch in der MiBachtung des auf rechtsverbindliche<br />
Weise durch suone gewonnenen und mit VersõhnungskuB (osculum pads)<br />
besiegelten Sippenfriedens, ùber den Kriemhild sich rùcksichtslos hinwegsetzt. Die<br />
Rechnung geht auf, weil die drei Kõnige ihrer Schwester arglos vertrauen und auf<br />
Hagens Rat ausnahmsweise nicht hóren. Es ist die durch suone wiederhergestellte<br />
triuwe, auf die die Brùder setzen und die sie zum Etzelhof ziehen láBt und es ist<br />
die herrschaftliche triuwe Hagens, die ihn <strong>da</strong>ran hindert, sie allein reisen zu<br />
lassen, und es ist wiederum die herrschaftliche triuwe Hagen gegenùber, die sie<br />
spãter aile in den Tod treiben wird. Die dichte Verkettung und Verflechtung von<br />
fnuiue-Bindungen innerhalb des Personenverbands, die ihm Ùberlebensfâhigkeit<br />
und stabilen Hait gewàhren sollen, wird ab absurdum gefùhrt bis die<br />
selbstverstàndliche und verbindliche Ordnung auf dem Scheiterhaufen endet und<br />
fast keiner mehr am Leben ist.<br />
91
Es ist intéressant zu beobachten, wie Kriemhild nach der Ankunft der Burgunden<br />
am Etzel-Hof in einer „Abfolge von Feindseligkeiten, die <strong>da</strong>nn in Kàmpfe<br />
ûbergehen, wobei <strong>da</strong>s Ganze konsequent (...) von einem spannungsschaffenden<br />
Prinzip beherrscht ist", 146 ihre hõfische Maske ablegt und ihre wahre Absichten<br />
unverhohlen zum Ausdruck bringt und wie dièse gegen Hagens heroische (und<br />
sichtlich humanisierte) Gesinnung prallen. Ùber Hagens Position als Volkers und<br />
Rùdigers vriunt wurde bereits gesprochen. Im rein heroischen GrundriB des<br />
zweiten Teils verliert Kriemhilds Subjektivitàt je<strong>do</strong>ch nach und nach ihre einstigen<br />
Zùge und ihre triuwe zu Siegfried, die bereits in der 17. âventiure zumindest<br />
ansatzweise als MaBstab ihres Handelns galt, wird wáhrend des Gemetzels zum<br />
allgemeinen Gesetz. Ihr ursprùnglicher, nur auf Hagen gerichteter Rachewunsch<br />
entpuppt sich zu einem Moloch, dessen Hunger auf neue Opfer unstillbar ist. 147<br />
Trotz der archaischen Zutaten, die <strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong> zu bieten hat, weist es auch<br />
manche fur seine Entstehungszeit moderne Themen auf, wenngleich der Begriff<br />
"modern' in diesem Zusammenhang bedenklich erscheinen mag. Das Moderne<br />
besteht <strong>da</strong>rin, <strong>da</strong>(3 der Dichter neben des sturen heldenepischen Ethos der<br />
Vasallitàt die Minne unter der //ep-Zezf-Thematik ansprach, einem Thema, <strong>da</strong>s sich<br />
seinerzeit <strong>im</strong> hõfischen Roman und <strong>im</strong> Minnesang groBer Beliebtheit erfreute,<br />
je<strong>do</strong>ch in der Gattung der heldenepischen Dichtung hõchst unùblich war. Dièse oft<br />
befremdlich wirkende Mischung aus Elementen der Sagentradition und den<br />
Neuerungen, die am deutlichsten in der Gestalt Kriemhilds nebeneinander<br />
konkurrieren, mag nicht selten fur Verwirrung gesorgt haben: dies ist am<br />
Wolf, Alois, „<strong>Nibelungenlied</strong> - Chanson de geste - hòfischer Roman. Zur Problematik der<br />
Verschriftlichung der deutschen Nibelungensagen", in Knapp, Fritz Peter (Hrsg.), (1987), S. 171-<br />
201, hier S. 193-194.<br />
Etliche Forscher haben in diesem Zusammenhang auf die analoge Situation <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong><br />
und Wolframs Willehalm hingewiesen: der Einzelne macht sein Schicksal zum Schicksal aller mit<br />
dem Unterschied, <strong>da</strong>B <strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong> insgesamt nur vereinzelt ùber die Schuldfrage reflektiert<br />
und <strong>da</strong>s Prinzip Hoffnung <strong>im</strong> heilsgeschichtlichen Sinne ùberhaupt nicht und <strong>im</strong> profanen nur<br />
bedingt kennt. Die Sippen-trïuwe, die <strong>im</strong> Willehalm an ebenso hoher Stelle rangiert wie die <strong>im</strong><br />
<strong>Nibelungenlied</strong>, kann sich bei Wolfram letzten Endes als siegreich erweisen, weil sie sich vom<br />
Bekenntnis zum Christentum speist, wáhrend <strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong> ohne dièse religiose Konnotation<br />
auskommt. Eine weitere Parallèle zwischen den beiden Werken besteht <strong>da</strong>rin, <strong>da</strong>B weder <strong>im</strong><br />
<strong>Nibelungenlied</strong> noch <strong>im</strong> Willehalm die feindselig gegenùberstehenden Parteien klar getrennt sind<br />
(wie beispielsweise <strong>im</strong> Rolandslied Heiden und Christen), sondem <strong>da</strong>B in den beiden Epen die<br />
Kàmpfe zwangsweise in <strong>da</strong>s Lager von Verwandten und Freunden mit ail der <strong>da</strong>zugehórenden<br />
Tragik eingreifen.<br />
92
háufigsten am Beispiel der Hortfrage erórtert worden, ais nàmlich Kriemhild in der<br />
39. âventiure, ihren Erzfeind Hagen endlich in ihrer Gewalt, ihm sozusagen ein<br />
Tauschgeschàft vorschlàgt: "welt ir mir geben widere, <strong>da</strong>z ir mir habt genomen, /<br />
sô muget ir noch wol lebende he<strong>im</strong> zen Burgonden komen" (2367,3-4). Nun <strong>im</strong><br />
<strong>Nibelungenlied</strong>, in dem die Goldgier durch die Rachsucht deutlich abgeschwácht<br />
wurde und wo Kriemhild uber Jahre hinweg nur úber die Rache fur die Ermordung<br />
ihres geliebten Siegfried sinnt, kommt dieses Motiv gegen alie Logik vor, denn es<br />
zeigt Kriemhild, die bereit ist, den Erzfeind Hagen am Leben zu lassen, <strong>im</strong> Falle<br />
<strong>da</strong>B er ihr ihren <strong>da</strong>mais entwendeten Hort aushàndigt. Ich móchte auf die z.T. sehr<br />
kontroversen Meinungen, die hierùber in der Forschung herrschen, nur hinweisen,<br />
ohne sie an dieser Stelle einzeln anzufuhren, <strong>da</strong> dies bereits getan wurde. 148 Trotz<br />
der Mangel, die die Hortforderungsszene der 39. âventiure aufweist (und gleich<br />
am Anfang wurde betont, wie wenig sich die rein logischen MaBstàbe fur die<br />
Deutung des <strong>Nibelungenlied</strong>es eigentlich eignen), scheint es mir, <strong>da</strong>B sie eher<br />
erzàhltechnisch als handlungslogisch angelegt war: wahrscheinlich wollte der<br />
Dichter noch einmal den Eid aufnehmen, den Hagen mit seinen Herren in der<br />
Strophe 1140 schwor, <strong>da</strong>B solange einer von ihnen noch lebte, keiner den Ort<br />
preisgeben wurde, wo der Schatz verborgen blieb. Stellvertretend fur all die<br />
vorherigen Eidesleistungen, die kontextbedingt <strong>da</strong>s Gegenteil hervorgebracht<br />
haben von dem, wofur sie ursprunglich eingestanden sind, entzieht sich auch<br />
dieser vor Jahren geleistete Eid selbst den Boden, diesmal je<strong>do</strong>ch wegen der<br />
strikten Einhaltung desselben: so kommt es <strong>da</strong>zu, <strong>da</strong>B Hagen, der Inbegriff des<br />
treuen Vasallen, seinen eigenen Herrn in den Tod schickt. Daraus ergibt sich, <strong>da</strong>B<br />
<strong>da</strong>s Heldenepos <strong>Nibelungenlied</strong> der genaue Gegensatz dessen ist, was die<br />
gesamte erste Phase der Rezeption, seit Anfang des 19. Jahrhunderts bis 1939<br />
vertreten hat, <strong>da</strong>B es námlich ein Hohelied der deutschen Treue sei.<br />
Vgl. <strong>da</strong>zu mehr Heinzle, Joach<strong>im</strong>, (Anm.13), S. 257-276.<br />
93
10. Zusammenfassung<br />
Betrachtet man den Umfang der Seiten, die jeweils den vier Aden der triuwe-<br />
Bindungen gewidmet sind, rein quantitativ, (wobei die herrschaftlichen und die<br />
verwandtschaftlichen Bindungen aus den bereits erórterten Grunden in ein Kapitel<br />
zusammenfallen), kommt man zu dem Ergebnis, <strong>da</strong>G <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong> die beiden<br />
Arten der Bindungen in entsprechend breiterem Ma3e fur den Handlungsablauf<br />
von Bedeutung sind als die genossenschaftliche und die triuwe in der Minne. Im<br />
<strong>Nibelungenlied</strong> bewahrt sie generell ihren alien, aus dem spátantiken<br />
Gefolgschaftswesen ubernommenen, sekulár verankerten Rechtscharakter, wird<br />
je<strong>do</strong>ch vom anonymen Verfasser - <strong>im</strong> Rahmen seiner Mõglichkeiten und soweit es<br />
der traditionsreiche Stoff ihm erlaubte - vor dem Hintergrund der zeitgenõssischen<br />
Zríuu;e-Konflikte problematisiert. Das <strong>da</strong>mais relativ neue triuwe-\dea\, <strong>da</strong>s<br />
einerseits dem Minnesang und andererseits den groBen Werken Wolframs oder<br />
Hartmanns seine besondere und unverkennbare Pràgung gab, vermochte auf <strong>da</strong>s<br />
<strong>Nibelungenlied</strong> wegen den anders angelegten gattungsbedingten Dispositionen,<br />
die es vom hõfischen Ritterroman.unterschieden, keinen entscheidenden EinfluB<br />
ausùben. Zwar ùbern<strong>im</strong>mt der Dichter die Zeif-Zzep-Thematik und bindet sie in die<br />
Kriemhild-Handlung ein, <strong>do</strong>ch eine Aufrechterhaltung derselben scheitert an den<br />
erzàhltechnischen Zwángen der Heldenepik, die <strong>im</strong> zweiten Teil des Epos die<br />
hõfische Fassade zunàchst brõckeln lassen, um sie gegen Ende endgùltig<br />
abzureiBen.<br />
Dieses Ergebnis bedeutet, <strong>da</strong>l3 die triuwe <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong> zunàchst mit den<br />
lehnsrechtlichen Bindungen zusammenhángt, was, <strong>im</strong> Hinblick auf <strong>da</strong>s <strong>im</strong><br />
Abschnitt 2.1. Dargelegte, eigentlich keine neue Erkenntnis ist. Wàhrend die erste<br />
Rezeptionsphase des <strong>Nibelungenlied</strong>es bis 1939 dem friuwe-Begriff seinen<br />
mittelalterlichen Kontext absprach und seine matérielle Seite vernachlâssigte, um<br />
ihn als germanische Tugend rein moralischen Charakters zu deuten, 149 verlagerte<br />
AuBerdem hat ein betontes Interesse an Sagen und Mythen als Vorstufen des <strong>Nibelungenlied</strong>es<br />
entscheidend <strong>da</strong>zu beigetragen, <strong>da</strong>G <strong>da</strong>s mittelhochdeutsche Epos erneut in ein, nun politisches<br />
Mythos, umgemùnzt wurde. DaB die Entstehung von Mythen, und insbesondere von Mythen, die<br />
sich nach den jeweiligen politischen Konstallationen richten, mittels S<strong>im</strong>plifizierung erfolgt,' hat<br />
94
die altgermanistische Forschung der Nachkriegszeit die Frage um die Rolle der<br />
triuwe <strong>im</strong> Epos in den Bereich der psychologisierenden und moraltheologischen<br />
Spekulationen. Die gegenwàrtige Forschung hingegen baut ihre Thesen weiter aus<br />
und zwar ausgehend von Untersuchungsansatzen, die den<br />
literaturwissenschaftlichen Rahmen sprengen und interdisziplinàr in die<br />
Geschichtswissenschaft hineingreifen. Dennoch ist es nicht mehr die<br />
Gesellschaftsgeschichte, die als Ausgangspunkt fur die <strong>Nibelungenlied</strong>-<br />
Interpretation einiger ostdeutscher Altgermanisten diente, sondern die bereits<br />
erwáhnte historische Anthropologie, die sich <strong>im</strong> Spannungsfeld zwischen<br />
Geschichte und Humanwissenschaften bewegt.<br />
Diese zunehmend stàrkere Annãherung zwischen der anthropologischen und der<br />
historischen Forschung hat zu einer relativ neuen Art historischen Erkennens<br />
gefuhrt, die sich bemuht, eine objektivistische historische Wissenschaft einerseits<br />
und ahistorische kultur-anthropologische Konstanten andererseits in Frage zu<br />
stellen, um einen umfassenden Blick auf den Menschen und seine Geschichte zu<br />
werfen. Die mediavistische Literaturwissenschaft hat dies erkannt und die neue<br />
Forschungsrichtung fur ihre Zwecke zu nutzen gesucht. Die bis in den 70er Jahren<br />
ublichen Interpretationstendenzen wurden nach und nach uberwunden und <strong>da</strong>s<br />
Interesse der Forscher begann sich von den ubergreifenden makrogeschichtlichen<br />
und psychologisierenden Realitáten nach kleineren Wirklichkeitsausschnitten, der<br />
sog. Innenseite der Gesellschaft, zu richten. Dadurch gerieten soziale Phénomène<br />
verstãrkt ins Blickfeld, <strong>da</strong>runter geschlechts- und generationsbedingte Spezifika,<br />
soziale Gruppierungen aber auch Rituale, Bràuche, symbolische Handlungen und<br />
Herrschaftsformen.<br />
Auch die mittelalterliche triuwe, die <strong>im</strong> gesamten mittelalterlichen Tugendsystem<br />
am stàrksten in sozialer Wirklichkeit verankerte Tugend, war demnach ein<br />
Phànomen mit seinem spezifischen, durch die jeweilige Kultur und Epoche<br />
bedingten Ausdruck. Die genaue Beobachtung und Beschreibung der Formen ihrer<br />
Herfired Munkler in seinem Aufsatz „Siegfrieden - Politische Mythen um <strong>da</strong>s <strong>Nibelungenlied</strong>"<br />
gezeigt. Damit je<strong>do</strong>ch eine solene S<strong>im</strong>plifizierung entstehen kann, mussen folgende drei Muster am<br />
Werke sein: die Kontingenzreduktion, die Komplexitàtsreduktion und die Loyalitãtenreduktion. Mehr<br />
95
Austragung, unterstùtzt durch zeitgenõssische Texte nichtliterarischen Charakters<br />
und die Erkenntnisse der historischen Wissenschaft, ermõglichen es, die Rolle von<br />
triuwe <strong>im</strong> gesellschaftlichen Alltag genauer abzuschàtzen. Besonders wichtig ist<br />
zu bedenken, <strong>da</strong>8, wenn man sich der Analyse eines solchen Begriffes anhand<br />
eines literarischen Textes wie dem <strong>Nibelungenlied</strong> widmet, man auf eine<br />
konstruierte, fiktionale Welt stóBt, die nur teilweise mit der sog. historischen<br />
Wirklichkeit zusammenfãllt. Es gilt ais Regel in der Literatur, <strong>da</strong>B <strong>da</strong>s, was zur<br />
Sprache gebracht wird, <strong>da</strong>s eigentlich Besondere ist, in dessen Hintergrund <strong>da</strong>s<br />
Gewõhnliche und demnach weniger Erzàhlenswerte steht. Es gehórt mittlerweile<br />
zu einer der unabdingbaren Voraussetzungen, zwischen diesen zwei Strukturen zu<br />
unterscheiden, wenn es um die Analyse eines mittelalterlichen Textes geht, auch<br />
wenn es hin und wieder àuBerst problematisch ist, sie voneinander klar<br />
abzugrenzen. Mit dieser Arbeit sollte triuwe <strong>im</strong> <strong>Nibelungenlied</strong> so stark wie<br />
móglich aus dem makrogeschichtlichen Kontext entfernt werden und vor den<br />
Aspekt der historischen Anthropologie gestellt und nàher beleuchtet werden. Das<br />
heiBt, anstatt sie gemáB der bisherigen Praxis lediglich zu konstatieren, wurden<br />
ihre Austragungsformen innerhalb von unterschiedlichen zeitgenóssischen<br />
Gruppierungen beschrieben, wobei der Schwerpunkt auf performativen Akten als<br />
einem festen Bestandteil der mittelalterlichen Kommunikation lag. Wir konnten<br />
beobachten, wie unbegrenzt <strong>da</strong>s Vertrauen des mittelalterlichen Menschen in<br />
ritualisierte Verhaltensweisen war, die triuwe signalisierten, aber auch die<br />
Bereitschaft, dièse fur unterschiedliche Zwecke zu miBbrauchen; aus triuwe auf<br />
Konfrontationskurs zu gehen, aber auch die Waffen ruhen zu lassen. Inwieweit der<br />
<strong>Nibelungenlied</strong>-Autor mit seinem Werk auf Erwartungen seiner Zuhõrer einging<br />
Oder welche Reaktionen <strong>da</strong>s Epos bei ihnen ausgelóst haben mag, ist heute nicht<br />
mehr zu rekonstruieren. Dafur aber kónnen wir behaupten, <strong>da</strong>B er, indem er uns,<br />
die modernen Leser, lediglich mit Konsequenzen von Entscheidungen konfrontiert<br />
und die innere Motivationsstruktur der Gestalten fast vóllig ausspart, auffordert,<br />
diese Entscheidungen kritisch zu ûberprùfen und uber die ungeschriebenen<br />
<strong>da</strong>zu und zum Terminus ^bricolage' vgl. Munkler, Herfried, „Siegfrieden - politische Mythen um <strong>da</strong>s<br />
<strong>Nibelungenlied</strong>", in Bónnen, Gerold und Galle, Volker (Hrsg.), (1999), S. 141-157.<br />
96
'Spielregeln' nachzudenken, die den Handlungsverlauf so und nicht auf alternative<br />
Wege gelenkt hatten.
ABKÙRZUNGEN<br />
ABàG - Amster<strong>da</strong>mer Beitráge zur ãlteren Germanistik<br />
DWB - Deutsches Wórterbuch<br />
GRM - Germanisch-Romanische Monatsschrift<br />
MLR - Modem Language Review<br />
PBB - Beitráge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur<br />
WW - Wirkendes Wort<br />
ZfdA - Zeitschrift fur deutsches Altertum<br />
ZfdPh - Zeitschrift fur deutsche Philologie
1. Mittelalterliche Texte<br />
LITERATURVERZEICHNIS<br />
- Das <strong>Nibelungenlied</strong>, nach dem Text von Karl Bartsch und Helmut de<br />
Boor, ins Neuhochdeutsche ubersetzt und kommentiert von Siegfried<br />
Grosse, Stuttgart: Philipp Reclam jun. Verlag, 2001.<br />
- Gottfried von StraBburg, Tristan, nach dem Text von Friedrich Ranke,<br />
neu herausgegeben, ins Neuhochdeutsche ubersetzt, mit einem<br />
Stellenkommentar und einem Nachwort von Rudiger Krohn, Stuttgart:<br />
Philipp Reclam Jun., 2001.<br />
- Hartmann von Aue, Iwein, 4., uberarbeitete Auflage, Text der siebenten<br />
Ausgabe von G. F. Benecke, K. Lachmann und L. Wolff, Ùbersetzung<br />
und Nachwort von Thomas Cramer, Berlin: Walter de Gruyter, 2001.<br />
- Macchiavelli, Nicolò, // Principe, Online <strong>im</strong> Internet: URL:<br />
http://www.fausernet.novara.it/fauser/biblio/index007.htm [Stand:<br />
24.09.2004].<br />
- Wolfram von Eschenbach, Willehalm, Text der Ausgabe von Werner<br />
Schroder, vóllig neu bearbeitete Ùbersetzung, Vorwort und Register von<br />
Dieter Kartschoke, Berlin: Walter de Gruyter, 1989.<br />
2. Wissenschaftliche Publikationen:<br />
- Althoff, Gerd, „Der frieden-, bundnis- und gemeinschaftsstiftende<br />
Charakter des Mahles <strong>im</strong> fruhen Mittelalter", in Bitsch, Irmgard et allii<br />
(Hrsg.), Essen und Trinken in Mittelalter und Neuzeit, Sigmaringen: Jan<br />
Thorbecke, 1987, S. 13-25.<br />
- Althoff, Gerd, „Gloria et nomen perpetuum. Wodurch wurde man <strong>im</strong><br />
Mittelalter beruhmt?", in Althoff, Gerd et allii (Hrsg.), Person und<br />
99
Gemeinschaft <strong>im</strong> Mittelalter. Karl Schmid zum funfundsechzigsten<br />
Geburtstag, Sigmaringen: Jan Thorbecke, S. 297-313.<br />
- Althoff, Gerd, Verwandte, Freunde und Getreue. Zum politischen<br />
Stellenwert der Gruppenbindungen <strong>im</strong> fruheren Mittelalter, Darmstadt:<br />
Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1990.<br />
- Althoff, Gerd, „Huld. Ùberlegungen zu einem Zentralbegriff der<br />
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