PHONOLOGISCHE PROZESSE UND REGELN
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<strong>PHONOLOGISCHE</strong> <strong>PROZESSE</strong> <strong>UND</strong> <strong>REGELN</strong><br />
(erweitert auf der Grundlage von Ramers & Vater 1995: 47-66)<br />
1. Phonologisches Wissen<br />
(1) Potentielle phonologische Sequenzen im Deutschen:<br />
(a) [ ¡ ¢ £ ] [¤ ¥ ¦ § ¤ ] [¨ © ¨ ] [ ] [ ]<br />
(b) *[ ] *[ ] *[ ] *[ ] *[ ]<br />
(2) Potentielle phonologische Sequenzen im Slowenischen:<br />
(a) [ ] [ ] [ ] [ ] [ ]<br />
(b) *[ ] *[ ] *[ ] *[ ] *[ ]<br />
• Nur eine phonologische Sequenz in Reihe (1a) und (2a) kommt im<br />
deutschen bzw. im slowenischen Wortschatz tatsächlich vor.<br />
• Dennoch können deutsche bzw. slowenische Sprecher die phonologischen<br />
Sequenzen in der Reihe (1a) bzw. (2a) ohne Mühe aussprechen und mit<br />
großer Wahrscheinlichkeit ohne Mühe als muttersprachlich mögliche<br />
Phonemkombinationen einordnen.<br />
• Reihe (1b) und (2b) bestehen aus Phonemen der deutschen bzw.<br />
slowenischen Sprache, würden jedoch von Muttersprachlern der jeweiligen<br />
Sprache als nicht-wohlgeformte phonologische Sequenzen beurteilt werden.<br />
• Deutsche oder slowenische Sprecher wissen auch, dass in ihrer<br />
Muttersprache vor dem velaren Obstruenten [k] der velare Nasalkonsonant<br />
[ ] und nicht der dental-alveolare Nasalkonsonant [n] auszusprechen ist.<br />
Wenn sie einen Text lesen, in dem das Graphem beispielsweise vor dem<br />
Graphem auftritt, sprechen sie das Graphem , ohne überhaupt<br />
darüber nachdenken zu müssen, als velaren Nasalkonsonanten [ ] aus.<br />
Weitere Beispiele würden zeigen, dass Sprecher des Deutschen bzw. des<br />
Slowenischen noch über ein wesentlich größeres phonemisches und<br />
phonotaktisches Wissen verfügen.
2. Phonologische Prozesse<br />
Begriff "phonologischer Prozess" mehrdeutig:<br />
(a) diachronisch (zeitlich-dynamisch),<br />
(b) (synchronisch gesehen) Veränderungen, von denen die distinktiven<br />
Einheiten (d.h. die Phoneme, Segmente oder ihre Merkmale) im<br />
phonologischen System einer Sprache betroffen sind, wenn sie<br />
untereinander Verbindungen eingehen.<br />
Psychologische Realität der phonologischen Prozesse, z.B. in Versprechern:<br />
pick slimp statt pink slip ([ ] Platz gewechselt, intuitiv auch Prozess<br />
durchgeführt, d.h. [ ] [m] / [__p]: pink slimp) und dadurch eine<br />
wohlgeformte phonologische Sequenz gebildet ( Versprecherliste der<br />
Marburger Germanistik im Internet).<br />
Unter den phonologischen Prozessen mehrere Haupttypen unterscheidbar:<br />
2.1 Tilgung von Segmenten<br />
2.2 Hinzufügung von Segmenten<br />
2.3 Anpassung von Segmenten<br />
2.4 Differenzierung von Segmenten<br />
2.5 Umstellung von Segmenten
2.1 Tilgung von Segmenten<br />
• Tilgung von Konsonanten oder Vokalen Reduktion der phonetischen<br />
Substanz + gewöhnlich Erleichterung der Artikulation. Aber:<br />
Segmenttilgungen (vor allem Vokaltilgungen) können auch zu schweren<br />
Konsonantenverbindungen führen (slow. statt dvigni se).<br />
• Tilgung (Elision oder Deletion) in bestimmten lautlichen Umgebungen<br />
obligatorisch, in anderen fakultativ. Bestimmte Segmenttilgungen vom<br />
Sprechstil abhängig (Allegrostil). Aphärese, die Synkope, die Apokope,<br />
die Synärese, die Synisesis, die Synaloepha (Trask 1996; Bußmann 2 1990).<br />
• Obligatorische Vokaltilgung: frz. best. Artikel la + Nomen (mit Vokal):<br />
l'amie "Freundin" statt la + amie wie in la mere "Mutter" (Nomen beginnt<br />
mit Konsonanten).<br />
• In slow. Umgangssprache fakultative Vokaltilgung in Infinitivendungen:<br />
vgl. SL jesti UL jest "essen", SL UL "backen".<br />
• Im Kroatischen oder Serbischen: Vokaltilgung in Infinitivendungen noch<br />
nicht üblich, im Tschechischen: bereits grammatikalisiert + obligatorisch.<br />
• Im Deutschen fakultative Segmenttilgungen. Auffällig ist die Schwa-<br />
Tilgung in der Infinitivendung -en, die eine Reihe weiterer Veränderungen<br />
ins Rollen bringen kann, nach Ramers & Vater (1995: 49) ein Sonderfall der<br />
allgemeinen Schwa-Tilgung vor Sonoranten (d.h. vor [ ]).<br />
Besonders weitreichend Veränderungen in Infinitiven bei Schwa-Ausfall<br />
nach Obstruenten.<br />
(3) Schwa-Tilgung in -en, -em, -el (vgl. Ramers & Vater 1995: 49)<br />
Hochlautung Umgangslautung<br />
[ [ <br />
[h<br />
[h <br />
[ [ <br />
[ [ <br />
[ ]/[ [ <br />
[ <br />
[<br />
[ [ <br />
[ [ <br />
[ [ <br />
[ [ <br />
[ [ <br />
<br />
(a) gehen ] gehn ]<br />
(b) hauen ] haun ]<br />
(c) holen ] holn ]<br />
(d) fahren ] fahrn ]<br />
(e) rennen ] renn'n ]<br />
(f) laufen ] lauf'n ]<br />
(g) leben ] leb'm ]<br />
(h) reden ] red'n ]<br />
(i) Haken ] Hak'n ]<br />
(j) Atem ] At'm ]<br />
(k) Hammel ] Hamm'l<br />
]
• Nach langem Vokal (a) , Diphthong (b) oder Liquid (c - d): Silbenreduktion.<br />
Möglich auch zweisilbige Formen mit silbischem Sonoranten (z.B. [ ]).<br />
• In (e) treffen nach der Schwa-Tilgung zwei Nasale aufeinander (vgl. komm'n<br />
und sing'n). Der letzte Nasal: entweder silbisch oder verschmilzt mit<br />
ersterem (Silbenreduktion). Bei vorausgehendem [m]: durch Angleichung<br />
ein [m:]. Bei vorausgehendem [ ]: durch Angleichung ein [ ].<br />
• Nach Obstruenten (f - k) zahlreiche Veränderungen: Silbenreduktion,<br />
Assimilationserscheinungen, Obstruententilgungen in der betonten Silbe.<br />
Nach Obstruent: Nasalkonsonant = Silbenkern der unbetonten Silbe.<br />
Charakteristisch: Angleichung des Nasals an vorangehenden Obstruenten. In<br />
(f): [n] [ ] / [f__], in (g) [n] [m] / [b__], in (i) [n] [ ] / [k__].<br />
Merkmal [f] [ ] [n]<br />
+Frikativ + - -<br />
+dental + + +<br />
+Nasal - + +<br />
+labial + + -<br />
Merkmal [k] [ ] [n]<br />
+Plosiv + - -<br />
+Verschluss + + +<br />
+Nasal - + +<br />
+velar + + -<br />
• In Fällen wie (g): in der Umgangslautung mit dem Schwa-Ausfall sogar<br />
Tilgung des bilabialen Plosivs des Stammmorphems, im Anlaut der<br />
unbetonten Silbe: [ ] [ ] [ ]; [ ] [ ] <br />
[ ] [ ] [ ]. Ramers & Vater (1995: 50): /b/ und /g/<br />
hinterlassen im Gegensatz zu /d/ eine Spur durch Assimilierung des<br />
folgenden /n/.<br />
• Schwa-Tilgung: in regional beschränkten Umgangslautungen + Dialekten<br />
des Deutschen: z.B. "… keine Red' davon" (Brecht, Mutter Courage).<br />
• Nasaltilgung im Alemannischen: z.B. schaffen schaffe.<br />
• Obstruententilgung ist im Deutschen ebenfalls beobachtbar, insbesondere<br />
in der Aussprache mittel- und norddeutscher Sprecher : z.B. nicht nich;<br />
vielleicht vielleich; sonst sons.<br />
[ ]. Seltener: wenn ein dental-alveolarer Plosiv vor dem Nasal steht (h):
2.2 Hinzufügung von Segmenten<br />
• Hinzufügung von Segmenten (Epenthese oder Addition): gemäß Ramers &<br />
Vater (1995: 50) in der Phonologie des Deutschen eine geringere Rolle.<br />
• Epenthese: Ausspracheverdeutlichung und damit Aussprachekomplizierung<br />
andererseits Ausspracheerleichterung.<br />
• Vokalepenthese Konsonantenepenthese.<br />
• Vokalepenthese (Sprossvokal): Simplifizierung der Silbenstruktur. Häufig<br />
bei spanischen Englischlernern (Carlisle 1994), aber auch bei slowenischen<br />
Schwa-<br />
Epenthese sorgt für Auflockerung der Konsonantencluster: z.B. space<br />
es-pace (span. Englischlerner); Wurm Wu-rem (slow. Deutschlerner). Die<br />
Vermeidung einer schwierigen Konsonantensequenz wird somit mit dem<br />
Zuwachs an phonetischer Substanz (und einer weiteren Silbe) erkauft.<br />
• In der slowenischen Umgangssprache fakultative Hinzufügung eines<br />
Schwa-Vokals in Präpositionalphrasen mit der Präposition z/s "mit": ze<br />
menoj "mit mir", se seboj "mit sich".<br />
• Konsonantenepenthese im Deutschen seltener. Historische Hinzufügung<br />
des /t/ an Nasale: z.B. wesen-t-lich, hoffen-t-lich, wöchen-t-lich.<br />
Vereinfachung der Aussprache:<br />
Merkmal [n] [t] [l]<br />
+Plosiv - + -<br />
+Dentalverschluss + + +<br />
+Nasalöffnung + - -<br />
+Lateralöffnung - - +<br />
• Laut Ramers & Vater (1995: 50) /t/-Epenthese vereinzelte Tendenz des<br />
umgangssprachlichen Gegenwartsdeutschen: z.B. eben ebend; neben <br />
nebend [ ]. Entsprechend: Ofen, offen, oben und Infinitivendung -en<br />
komplexere Silbenendränder + verdeutlichende (nicht simplifizierende)<br />
Wirkung, die mit Schwa-Ausfall (und Assimilierung des Nasals an den<br />
Plosiv) zu tun haben könnte = Kompensationsprozess.<br />
• In der deutschen Umgangssprache: gelegentlich stimmloser Plosiv zwischen<br />
homorganem Nasalkonsonanten und /s/ oder /t/. In (a) wird ein [p], in (b) ein<br />
[t] und in (c) ein [k] eingefügt.
(4) Plosiv-Epenthese zwischen Nasal und /s/ oder /t/<br />
Standardlautung Umgangslautung<br />
(a) kommt, kommst [ ], [ ] [ ], [ ]<br />
(b) rennst [ ] [ ]<br />
(c) singt, singst [ ], [ ] [ ], [ ]<br />
• Konsonanten-Epenthese als Artikulationserleichterung:<br />
Merkmal [m] [p] [s] / [t]<br />
+Plosiv - + +<br />
+bilabial + + -<br />
+Nasalöffnung + - -<br />
• /k/-Epenthese in (c) Verdunkelung oder Entdeutlichung der Aussprache,<br />
singt, singst vs. sinkt, sinkst gleich ausgesprochen.<br />
• /k/- oder /g/-Epenthese nach [ ] bei slowenischen Deutschlernern:<br />
Interferenzeinfluss (z.B. dt. SL Junge [ ] slow. DaF Junge [ ]).<br />
Diese Interferenzerscheinung = Artikulationsvereinfachung.<br />
Merkmal [ ] [ ] [ ]<br />
+Oralverschluss + + -<br />
+velar + + -<br />
+Nasalöffnung + - -<br />
• Die Artikulationserleichterung besteht darin, dass die gleichzeitige<br />
Bewegung von zwei Artikulatoren (die Senkung der Zunge und die Hebung<br />
des Gaumensegels) durch ihre nachzeitige Bewegung abgelöst wird. Die<br />
Annahme einer Artikulationserleichterung beruht somit auf der Annahme,<br />
dass die nachzeitige Bewegung von zwei Artikulatoren durch den<br />
menschlichen Sprachapparat leichter zu kontrollieren ist als die gleichzeitige<br />
Bewegung von zwei (oder mehr) Artikulatoren.
2.2 Angleichung von Segmenten<br />
• Assimilation: artikulatorische Angleichung von Segmenten in einer<br />
Lautfolge hinsichtlich eines oder mehrerer Merkmale. Slow.: prilikovanje.<br />
• Diese Erscheinungen spiegeln den Prozess der Koartikulation wider, d.h.<br />
den kontinuierlichen und daher antizipierenden Bewegungsablauf<br />
artikulatorischer Vorgänge (vgl. Kind und Kunst).<br />
• Einerseits Vereinfachung der Artikulation, andererseits Entdeutlichung<br />
von Lautsequenzen durch Kontrastabnahme.<br />
• Die sprachgeschichtlich bedeutsamsten A.-Prozesse: Auslautverhärtung,<br />
Labialisierung, Monophthongierung, Nasalierung, Palatalisierung,<br />
Sonorisierung, i-Umlaut, Vokalharmonie.<br />
• Der zur Assimilation gegenläufige Prozess ist Dissimilation.<br />
Mehrere Arten von Assimilation, und zwar mit Bezug auf:<br />
(a) das Artikulationsorgan<br />
(b) die Artikulationsstelle<br />
(c) die Artikulationsart<br />
(d) das Verhalten der Stimmbänder<br />
(e) das Verhalten des Gaumensegels.<br />
(f) die Einflussrichtung<br />
(g) die Vollständigkeit der Angleichung<br />
(h) die Wechselseitigkeit der Angleichung<br />
(i) die Entfernung zwischen den betroffenen Segmenten<br />
(j) die Bezugseinheit oder Domäne (Silbe, Morphem).<br />
(a) Assimilation mit Bezug auf das Artikulationsorgan<br />
• Artikulationsorgan von zwei Segmenten vereinheitlicht, z.B. Senf UL<br />
[ ] SL [ ].<br />
(b) Assimilation mit Bezug auf die Artikulationsstelle<br />
• Artikulationsstelle eine Lautes an die Artikulationsstelle eines anderen in der<br />
betreffenden Lautfolge angepasst: z.B. dt. geben UL [ ¡ ] SL<br />
[ ¢ ]. Vereinfachung der Aussprache durch Einsparung einer<br />
Zungenbewegung (keine Zungenhebung notwendig). Tabelle:
Merkmal [ £ ] [¤ ] [¥ ]<br />
+Verschluss + + -<br />
+bilabial + + -<br />
+Plosiv + - -<br />
+Nasalöffnung - + +<br />
• In UL [¦ § ¨¤ © ] ( [¦ § ¨ £ ¤ © ]) noch [ £ ] getilgt. Markiertheitstheorie: Ein<br />
eingliedriger Wortauslaut weniger markiert (d.h. weniger komplex u.a.) als<br />
ein mehrgliedriger. Mehrgliedrige Wortauslaute daher häufiger verkürzt.<br />
Obstruenten im Wortauslaut markierter als Sonoranten (Sprachen, die<br />
auslautende Sonoranten, aber keine auslautenden Obstruenten zulassen): der<br />
Wortauslaut [ £ ¤ ] wird zu [¤ ] vereinfacht.<br />
(c) Assimilation mit Bezug auf die Artikulationsart<br />
• In regional gefärbter Umgangssprache: Artikulationsmodus eines Segments<br />
kann sich wegen der Bildungsweise eines benachbarten Segments ändern:<br />
z.B. Bogen SL [ £ ¨ ¦ ¥ ] UL [ ], [ ]; Wagen SL [ ]<br />
[ ], [ ]. Historisch: mhd. elne nhd. Elle. Tabelle:<br />
Merkmal [l] [ ]<br />
+Dentalverschluss + +<br />
+Lateralöffnung + -<br />
+Nasalöffnung - +<br />
• Gleichzeitig ein Beispiel für vollständige Assimilation. Im Nhd. ist der<br />
Lateralkonsonant ambisilbisch (Silbengelenk), im Mhd. dagegen noch nicht.<br />
(d) Assimilation mit Bezug auf das Verhalten der Stimmbänder<br />
• Charakteristisch für das Deutsche: Stimmhaftigkeitsassimilationen.<br />
• Zwei Möglichkeiten:<br />
(a) ein stimmhafter Laut kann in einer stimmlosen Umgebung das<br />
Merkmal der Stimmhaftigkeit verlieren oder<br />
(b) ein stimmloser Laut kann in einer stimmhaften Umgebung das<br />
Merkmal der Stimmhaftigkeit erhalten. (a) häufiger als (b)
• Auslautverhärtung: Im Silbenauslaut verlieren stimmhafte Obstruenten<br />
obligatorisch ihren Stimmton. Dieser Entstimmlichungsprozess ist rekursiv:<br />
z.B. nhd. Magd [ ] mhd. maget [ ] ahd. magad [ ].<br />
• Die Auslautverhärtung ist im heutigen Deutsch immer noch produktiv:<br />
Fremdwörtern: z.B. engl. Gag [ ] dt. Gag [ ] (vgl. Geck); bliebest<br />
[ ] bliebst [ ]; Waldes [ ] Walds [ ].<br />
• Stimmtonverlust auch im Anfangsrand einer Silbe: z.B. dt. das Salz<br />
[ ] [ ]. Die Auslautverhärtung ist somit eine partiell<br />
und zugleich beidseitig wirkende Assimilationserscheinung,<br />
• Für slowenische Deutschlerner wichtig: Entstimmlichung von Obstruenten<br />
im Slowenischen zum Teil anders geregelt. Im absoluten Wortauslaut: z.B.<br />
gozdovi [ ] "Wälder" gozd [ ] "Wald". Ein stimmhafter Laut<br />
folgt: z.B. redek redka; reden redna. Ein auslautender stimmhafter<br />
Obstruent im Slowenischen nur vor stimmlosen Obstruenten und im<br />
absoluten Wortauslaut stimmlos, nicht vor Sonoranten oder Vokalen. Die<br />
Auslautverhärtung verläuft im Slowenischen ebenfalls rekursiv.<br />
Wortverbindungen: z.B. gozd na Štajerskem "Wald in der Steiermark"<br />
(Wortgrenze kann Entstimmlichung fördern).<br />
(e) Assimilation mit Bezug auf das Verhalten des Gaumensegels<br />
• Entnasalierung im Deutschen: Nasalierte Vokale Oralvokal + velarer<br />
Nasalkonsonant: z.B. dt. Bonbon [ ] [ ]; dt. Balkon [ ]<br />
[ ]; vgl. frz. langue [ ] "Sprache" lat. lingua.<br />
• Entnasalierung im Slowenischen: z.B. bonboni [ ].<br />
(f) Assimilation mit Bezug auf die Einflussrichtung<br />
• Perseverierende (progressive): P1 P2 (nhd. Zimmer vs. mhd. zimber).<br />
• Antizipierende (regressive): P1 P2 (z.B. Umlaut ahd. gesti "Gäste" vs. *<br />
gasti).<br />
• Für slowenische Deutschlerner wichtig: bei der Artikulation von<br />
Obstruenten im An- und Auslaut deutscher Silben die progressive<br />
Assimilationsrichtung charakteristisch. Im Slowenischen ist der<br />
Assimilationsprozess in diesen Fällen dagegen regressiv ausgerichtet. Daher:<br />
slow. DaF-Lerner z.B. Sorglos sitzt sie dort [ ].<br />
Deutsche: z.B. Sorglos sitzt sie dort [ ].
(g) Assimilation mit Bezug auf ihre Vollständigkeit<br />
• Totale oder vollständige A.: wenn zwei Sprachlaute hinsichtlich aller<br />
Merkmale angeglichen werden (z.B. in nhd. Zimmer gegenüber mhd.<br />
zimber; dt. einmal SL [<br />
] oder [ ] UL []),<br />
<br />
• Partielle A.: wenn die Angleichung wie bei [ Senf ] nicht alle<br />
Merkmale betrifft. Partielle Assimilation kommt (im Deutschen und<br />
Slowenischen) häufiger vor als totale Assimilation.<br />
Merkmal [m] [ ]<br />
+Labialverschluss + +<br />
+Plosiv - +<br />
+Nasalöffnung + -<br />
(h) Assimilation mit Bezug auf ihre Wechselseitigkeit<br />
• Wechselseitige oder reziproke A.: wenn eine gegenseitige Anpassung<br />
stattfindet, wobei ein dritter Sprachlaut die beiden ursprünglichen ersetzt<br />
(vgl. nhd. Fisch [ ] mit ahd. fisk). Der Frikativ [ ] scheint einen<br />
Kompromiss zwischen dentaler und velarer Artikulationsstelle darzustellen.<br />
Merkmal [ ] [ ] [ ]<br />
+Verschluss - + -<br />
+dental-alveolar + - -<br />
+velar - + -<br />
+koronal + - +<br />
+Dauer + - +<br />
(i) Assimilation mit Bezug auf den Abstand zwischen den Segmenten<br />
• Kontaktassimilation: Assimilation unmittelbar benachbarter Sprachlaute<br />
(z.B. Senf [ ]);<br />
• Fernassimilation (wie z.B. bei lat. assimilatio gegenüber assimulatio, beim<br />
ahd. i-Umlaut und bei der Vokalharmonie im Finn. und Türk.).<br />
Kontaktassimilation kommt wesentlich häufiger vor als Fernassimilation.<br />
• Spracherwerb: Kontaktassimilation häufiger als Fernassimilation.
• Unterscheide zwischen L1- und L2-Erwerb: im L1-Erwerb ist<br />
Fernassimilation häufiger als im L2-Erwerb. L2- und FU:<br />
Substitutionsprozesse (z.T. Interferenz). Beispiel für Fernassimilation:<br />
Vokalharmonie in Wortformen wie z.B. slow. bedeti "wachen über"<br />
[ ] statt [ ].<br />
(j) Assimilation hinsichtlich der Bezugseinheit oder Domäne<br />
• Assimilationsprozesse bzw. phonologische Prozesse überhaupt haben<br />
bestimmte Wirkungsbereiche (Bezugseinheiten oder Domänen).<br />
• Viele Prozesse scheinen im Deutschen auf die Silbenebene beschränkt zu<br />
sein.<br />
• Morphemgrenzen überschreitende A.: z.B. angenehm SL [ ]<br />
umfallen), einmal [ SL<br />
Eisschrank [ SL<br />
entstehen lange ambisilbische Konsonanten, derart auch im Slowenischen.<br />
UL [ ], Unfall SL [ ] [ UL ] vs. ( Umfall<br />
] UL [<br />
] oder [<br />
],<br />
<br />
] [ UL ]. Durch diese Prozesse
2.3 Differenzierung von Segmenten<br />
• Dissimilation ( ): der Vorgang und das Ergebnis der<br />
Differenzierung oder "Unähnlichmachung" von ähnlich gebildeten Lauten.<br />
Dissimilation führt zu größeren Kontrasten zwischen Segmenten und damit<br />
zur Verdeutlichung von Lautfolgen bzw. von Silbenstrukturen.<br />
• Assimilationsvorgänge im Gegenwartsdeutschen sehr häufig,<br />
Dissimilationsprozesse eher selten. Ihr Wirken historisch nachweisbar.<br />
• Artikulatorischer Aspekt ausschlaggebend: z.B. Hauchdissimilation im<br />
Griechischen: R [ ] [ ]; lat. arbor span. arbol, dt.<br />
"Baum". r-Laute: allgemein als der markierteste Lauttyp. Im Spracherwerb:<br />
gewöhnlich am spätesten erworben. Sprachen ohne r-Laute oder Sprachen,<br />
in denen Vibranten und Laterale nicht distinktiv sind.<br />
• Auditiver Aspekt: Schaffung größerer Deutlichkeit. Möglicherweise:<br />
Münchner Stadtdialekt - vor kurzen kurzen (stimmhaften) Obstruenten wird<br />
ein Vokal lang, vor langen (stimmlosen) Obstruenten kurz ausgesprochen:<br />
z.B. wegen [ ] wecken [ ]; schade [ ] schadet [ ].<br />
Historisch: germ. [ ] nhd. [ ] / [m (V)__], z.B. germ. himin nhd.<br />
Himmel. Die Artikulationsstelle wurde beibehalten, der Artikulationsmodus<br />
(Nasalität) dagegen verändert (vgl. auch engl. heaven).<br />
Merkmal [ ] [ ] [ ]<br />
+Oralverschluss + + +<br />
+Lateralöffnung - - +<br />
+Nasalöffnung + + -<br />
+dental-alveolar - + +<br />
• Oft kaum zu entscheiden, welcher Aspekt den dissimilatorischen Vorgang<br />
entscheidend vorangetrieben hat: mhd. [ ] nhd. [ ] / [__s], z.B. in mhd.<br />
sehs [ ] nhd. sechs [ ].<br />
• Dissimilationsvorgänge, die die Artikulation eher erleichtern (z.B. die<br />
oben angeführte Entaspirierung im Griechischen);<br />
• Dissimilationsvorgänge, die die Artikulation erschwert (im DaF<br />
slowenischer Lerner z.B. die Aspiration Tafel [ ] [ ]).<br />
• Slow.: plesti pletti "stricken"; kakuš kokoš "Huhn"; edem eden<br />
"ein(er)"; gnar dnar, denar "Geld", ugs (homorgane Konsonantencluster)
2.4 Umstellung von Segmenten<br />
• Metathese: zwei oder mehrere Laute wechseln ihren zuvor üblichen Platz in<br />
einem Wort oder in der Silbe (slow. Terminus premet).<br />
• Im heutigen Deutschen oder Slowenischen eine geringe Rolle, eventuell in<br />
Versprechern: z.B. dt. Wepse statt Wespe oder Matzplätze statt Mastplätze.<br />
Ansonsten gelegentlich im Spracherwerb und in der Sprachpathologie.<br />
• In den germanischen Sprache scheint Metathese gemäß Ramers & Vater<br />
(1995: 55) eine größere Rolle gespielt zu haben:<br />
engl. horse dt. Ross (aus hros)<br />
engl. burn dt. brennen<br />
dt. Bernstein dt. brennen<br />
dt. Born (etymologisch verwandt mit) dt. Brunnen<br />
Kirsten (Personenname) Christian (Personenname)<br />
• Slawische Sprachen vs. Deutsch: regulären Liquida-Metathese:<br />
slow. breza urslaw. R berza; dt. Birke<br />
slow. Kras dt. Karst<br />
slow. krap dt. Karpfen<br />
Weitere Beispiele aus dem Slowenischen:<br />
mel-jem "mahle" (1.P.Sg.Präs.Ind.Akt.) mle-ti "mahlen" (Infinitiv)<br />
de-rem "schreie" (s.o.) dre-ti "schreien" (s.o.)<br />
or-jem "pflüge" (s.o.) ra-lo "Pflug" (s.o.)<br />
frühslow. moldb "jung" neuslow. mlad "jung"<br />
frühslow. bergb "Hang, Böschung" neuslow. breg "Hang, Böschung"<br />
kroat. ; slow. (vor 1850) be ela slow. (nach 1850) ebela "Biene"<br />
Gemäß 1992: 212) findet diese Art von Vokal-Metathese in der<br />
Umgebung eines Liquids dann statt, wenn die Verbindung aus Vokal und<br />
Liquid nicht vor einem weiteren Vokal auftritt. Im letzten Beispiel handelt es<br />
sich gemäß 1992: 213) um Konsonanten-Metathese.
2.5 Prosodische Veränderungen<br />
Assimilation, Dissimilation und prosodische (suprasegmentale) Prozesse<br />
können als phonologische Prozesse zusammengefasst werden, die zu<br />
Veränderungen von Segmenten führen, während die Metathese die distinktiven<br />
Merkmale der betroffenen Segmente nicht (wesentlich) verändert. Prosodische<br />
oder suprasegmentale Veränderungen wirken laut Ramers & Vater (1995: 54)<br />
weniger auf einzelne Segmente als vielmehr auf die Struktur von ganzen<br />
Lautfolgen: ihre Silben- und Akzentstruktur, die relative Länge von Vokalen<br />
und Konsonanten und die Intonation. Prosodische Prozesse können<br />
beispielsweise das Silbischwerden von Sonoranten zur Folge haben, d.h. die<br />
Sonoranten geraten infolge der Schwa-Tilgung in die Rolle von Silbenkernen.<br />
Prosodische Prozesse können die Längung von Vokalen hervorrufen,<br />
Akzentzunahme und -abnahme ermöglichen u.a. Mehr darüber folgt in der<br />
Beschreibung des deutschen Phonemsystems.