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KLAENGE CD - SPECIAL - Jecklin & Co. AG

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Mikhail Pletnev hat zuweilen provokante Ansichten. Frédéric Chopin<br />

Zürcher Kammerorchester<br />

«Chopin ist ein<br />

klassischer Realist»<br />

Längst pflegen sie eine «dicke» Freund-<br />

schaft: der russische Pianist Mikhail<br />

Pletnev und das Zürcher Kammeror-<br />

chester. Diesmal spielen sie die beiden<br />

Chopin-Klavierkonzerte – und Pletnev<br />

hat für das «ZKO» sogar eine neue Or-<br />

chestrierung eingerichtet.<br />

Stahlhart wirkt Mikhail Pletnev, wenn er<br />

am Flügel sitzt, und mit stählerner Kraft<br />

meisselt er seine pianistischen Unerbitt-<br />

lichkeiten in die Tasten. Einer, der auf<br />

Unterkühlung setzt; einer, der die Kon-<br />

trolle nie verliert. Dennoch lodert Feuer<br />

aus seinem Spiel, aber ein kaltes. Allzu<br />

menschliche Verbindlichkeiten sucht<br />

man bei ihm vergebens; Mikhail Pletnev<br />

redet keinem nach dem Mund. Auch<br />

wenn er spielt, vertritt er eisern seine ei-<br />

genen, zuweilen provokativen Ansichten<br />

– und natürlich denkt er sich etwas<br />

dabei.<br />

Denn wer immer das Glück hatte, ihn<br />

live im Konzert zu erleben – und dieses<br />

Glück ist dem Publikum des Zürcher<br />

Kammerorchesters bekanntlich beson-<br />

ders hold, da Pletnev seit 1999 regelmäs-<br />

4<br />

sig als Gastsolist auftritt –, der weiss<br />

eines mit Bestimmtheit: Pletnevs intel-<br />

lektuelle Kapazitäten stehen seinen rein<br />

handwerklichen in keiner Weise nach.<br />

Dieser Pianist denkt und artikuliert in<br />

einer geistig derart fundierten Weise,<br />

dass kein Rest ungelöst bleibt. Bei Pletnev<br />

ist alles in höchster Ordnung, ist fertige<br />

Form und ist tönende Endgültigkeit zu-<br />

mindest im Augenblick des Erklingens.<br />

Aber bereits der nächste Tag, das nächs-<br />

te Konzert stellt ihn wieder vor neue<br />

Herausforderungen. «Für mich ist jedes<br />

Konzert eine Lektion, fast eine Prüfung.<br />

Ich versuche, Dinge zu verbessern,<br />

zu korrigieren. Manchmal misslingt<br />

etwas, dann suche ich nach dem Grund.<br />

Ich erteile mir selbst Lektionen, deren<br />

Aufgaben darin bestehen, das in mir lie-<br />

gende Potenzial zu entfalten.»<br />

Pianist und Dirigent<br />

Dieses Potenzial ist unglaublich gross<br />

– auch wenn es sich hinter einer äus-<br />

seren Unauffälligkeit verbirgt. Gerne<br />

verschanzt sich Pletnev hinter einem<br />

geschickt «gespielten» Understatement,<br />

bezeichnet sich bestenfalls als «Musik-<br />

liebhaber», der zufälligerweise die Fä-<br />

higkeit habe, «ein bisschen Klavier zu<br />

spielen, ein bisschen zu dirigieren, ein<br />

bisschen zu komponieren». Begonnen<br />

– mit Dirigieren – hat er nach eige-<br />

ner Auskunft bereits als Zweijähriger,<br />

«mithin fünf Jahre vor meinem ersten<br />

Klavierunterricht». Seine Eltern, beide<br />

Musiker von Beruf, erkannten bald die<br />

aussergewöhnliche Begabung ihres Soh-<br />

nes und schickten den dreizehnjährigen<br />

Mikhail nach Moskau an die Zentrale Mu-<br />

sikschule. 1974 trat er ins renommierte<br />

Moskauer Konservatorium ein, wo er bei<br />

Jakob Flier studierte.<br />

Nur vier Jahre später gewann er den be-<br />

rühmten Tschaikowsky-Wettbewerb,<br />

und er hätte es sich nun leicht ma-<br />

chen können, wenn er dabei geblieben<br />

wäre, künftig als erfolgreicher Pianist<br />

kreuz und quer durch die musikalische<br />

Welt zu touren. Aber Mikhail Pletnev<br />

wollte noch etwas anderes, gründete<br />

1990 auf persönlichen Zuspruch von<br />

Mikhail Gorbatschow hin das Russische<br />

Nationalorchester – das erste unabhän-<br />

gige Orchester Russlands, das er in kür-<br />

zester Zeit ganz nach oben brachte. Bald<br />

baten ihn andere Orchester ans Pult;<br />

auch das Zürcher Kammerorchester hat<br />

Mikhail Pletnev wiederholt dirigiert: in<br />

Klavierkonzerten von Bach und Haydn<br />

oder in einem Mozart-Programm.<br />

Komponieren und Arrangieren<br />

Zudem komponiert Mikhail Pletnev.<br />

«Ich bin in dieser Beziehung vielleicht<br />

etwas altmodisch», sagt er. «Musiker<br />

– das ist für mich ein universaler Beruf,<br />

ganz wie in früheren Zeiten, auch wenn<br />

sich seither viel geändert hat. Stichwort<br />

Spezialistentum. Aber das ist über-<br />

haupt nicht mein Fall. Denken Sie an<br />

Bach, Mozart oder Liszt, die allesamt<br />

verschiedene Instrumente spielten, diri-<br />

gierten und komponierten. Für mich das<br />

Normalste der Welt. Wobei ich nicht viel<br />

Aufhebens davon mache. Aber ich meine,<br />

jeder Interpret sollte auch Komponist<br />

sein, sollte sich als Komponist fühlen.»<br />

Für Yuri Bashmet komponierte Pletnev<br />

ein Bratschenkonzert; für den Klarinet-<br />

tisten Michael <strong>Co</strong>llins schrieb er Beetho-<br />

vens unsterbliches Violinkonzert in ein<br />

Klarinettenkonzert um. Für seine bei-<br />

den bevorstehenden Konzerte mit dem<br />

Zürcher Kammerorchester, wo die bei-<br />

den Klavierkonzerte von Chopin auf den<br />

Programm stehen, wird Mikhail Pletnev<br />

Chopins Orchesterbegleitung, die selbst<br />

ausgewiesene Fachleute nicht in allen<br />

Teilen für wirklich gelungen halten,<br />

«sanft» verbessern. Sanft heisst, dass er<br />

selbstverständlich mit Stilbewusstsein<br />

und künstlerischem Takt vorgeht, bei-<br />

spielsweise am Klang – also an der Or-<br />

chesterbesetzung mit je 2 Flöten, Oboen,<br />

Klarinetten und Fagotten, mit 2 resp. 4<br />

Hörnern, 2 Trompeten, 1 Posaune und<br />

Streichern – nichts Einschneidendes än-<br />

dert.<br />

Plädoyer für Chopin<br />

«Sich als Komponist fühlen»: Genau das<br />

trifft den zentralen Aspekt von Pletnevs<br />

singulärer Interpretationskunst. Denn<br />

was den Pianisten Mikhail Pletnev aus-<br />

zeichnet, ist zwar auch – und nicht zu<br />

unterschätzen – seine phänomenale<br />

Technik, vor allem aber seine schöpfe-<br />

rische Haltung beim Interpretieren. Er<br />

geht mit den grossen Komponisten um<br />

wie mit guten Freunden, kann auch mal<br />

einen Ton hinzufügen, der nicht in den<br />

Noten steht. Macht man ihn darauf auf-<br />

merksam, sagt er: «Ich weiss. Aber es ge-<br />

fällt mir so besser.»<br />

Chopin bedeutet Mikhail Pletnev beson-<br />

ders viel – nicht zuletzt, weil er nach<br />

wie vor eine Notwendigkeit spürt, die-<br />

sen Komponisten gegen die vielen<br />

Vorurteile, die nach wie vor über ihn<br />

im Umlauf sind, in Schutz nehmen zu<br />

müssen. Was macht für ihn den typi-<br />

schen Chopin-Stil aus? «Bekanntlich<br />

gibt es so genannte Chopin-Spieler»,<br />

meint Pletnev vielsagend. «Aber sie sind<br />

nicht unbedingt die interessantesten<br />

Chopin-Interpreten.» Und kommt auf<br />

Arturo Benedetti Michelangeli zu spre-<br />

chen, alles andere als «nur» ein Chopin-<br />

Spezialist, und dennoch habe ihn dessen<br />

Chopin-Spiel viel stärker beeindruckt als<br />

das von Artur Rubinstein.<br />

Stilbewusstsein<br />

Das hängt zweifellos mit dem alten<br />

Vorurteil zusammen, dass Chopin der<br />

schmachtende Klavier-Romantiker par<br />

5

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