07.03.2013 Aufrufe

pdf (1197 KB) - Mediaculture online

pdf (1197 KB) - Mediaculture online

pdf (1197 KB) - Mediaculture online

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Autorin: Everling, Esther.<br />

Titel: Ein Hörspiel produzieren. Aneignung sprachlicher und technischer<br />

Gestaltungselemente in der Sekundarstufe I.<br />

Quelle: Frankfurt am Main/Bielefeld 1988.<br />

Verlag: Cornelsen Verlag Scriptor.<br />

Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Autorin.<br />

Esther Everling<br />

Ein Hörspiel produzieren<br />

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Aneignung sprachlicher und technischer Gestaltungselemente in der Sekundarstufe I<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Vorwort .............................................................................................................................................................................3<br />

Anmerkungen zur Geschichte des Hörspiels .....................................................................................................7<br />

Das Hörspiel im Deutschunterricht ........................................................................................................................9<br />

Sprache und Geräusch als Gestaltungsmittel ....................................................................................................9<br />

Möglichkeiten kreativen Schreibens ...................................................................................................................11<br />

Hörspiel als Rollenspiel ..........................................................................................................................................15<br />

Gruppenarbeit ...........................................................................................................................................................16<br />

Schülertexte als Unterrichtstexte ........................................................................................................................18<br />

Die Erarbeitungsphase ..............................................................................................................................................19<br />

Lernziele und didaktisch - methodische Überlegungen .................................................................................19<br />

Die wichtigsten Arbeits- und Erkenntnisschritte im Überblick .................................................................21<br />

Einstieg ........................................................................................................................................................................22<br />

Arbeitsblatt 1........................................................................................................................................................25<br />

Weiterarbeit: Erste »Gehversuche« ......................................................................................................................27<br />

Beurteilung der ersten Versuche ..........................................................................................................................29<br />

Vertiefung ...................................................................................................................................................................34<br />

1


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Arbeitsblatt 2: Ort – Zeit – Personen ..............................................................................................................36<br />

Erarbeitung der Beziehungen zwischen Personen: Tonfall und Wortwahl .............................................37<br />

Arbeitsblatt 3: Beziehungen zwischen Personen (a)..................................................................................39<br />

Arbeitsblatt 4: Beziehungen zwischen Personen (b).................................................................................42<br />

Arbeitsblatt 5: Trio – »Sabine« .........................................................................................................................43<br />

Vertiefung: Bewußte Gestaltung von Charakteren .........................................................................................45<br />

Arbeitsblatt 6: Verhaltensweisen und Wesenszüge: Kilian .....................................................................48<br />

Arbeitsblatt 7: Verhaltensweisen und Wesenszüge: Müller- Detmold .................................................50<br />

Arbeitsblatt 8: Selbstdarstellung – Aus Claudias Tagebuch ...................................................................54<br />

Arbeitsblatt 9: Charakterbild einer Person – ein paar Beispiele .............................................................55<br />

Zweiter Gestaltungsversuch ..................................................................................................................................56<br />

Die Raucherecke ...................................................................................................................................................57<br />

Reflexion des zweiten Gestaltungsversuchs ....................................................................................................59<br />

Einführung von Szenenwechsel, Raumakustik und Geräuschen ...............................................................61<br />

Arbeitsblatt 10: Zur Technik des Szenenwechsels ....................................................................................63<br />

Arbeitsblatt 11: Geräusche selbst herstellen ...............................................................................................70<br />

Der innere Monolog .................................................................................................................................................71<br />

Arbeitsblatt 12: Der innere Monolog .............................................................................................................73<br />

Arbeitsblatt 13: Der innere Monolog .............................................................................................................74<br />

Einführung in die Funktion des Erzählers ........................................................................................................76<br />

Abschluß der Erarbeitungsphase ........................................................................................................................77<br />

Zusätzliche Planungshilfen bei der Vorbereitung produktiver Hörspielarbeit ab Klasse 10 ........78<br />

I. Analytische und synthetische Hörspielform ................................................................................................78<br />

II. Spannende Exposition ........................................................................................................................................79<br />

III. Dramaturgisch ergiebige und unergiebige Themen .................................................................................79<br />

Arbeitsblatt 14: Ein spannender Hörspielanfang fesselt die Aufmerksamkeit des Hörers ...........80<br />

Arbeitsblatt 15: Drei Zeitungsmeldungen ....................................................................................................81<br />

IV. Schwerpunkt der Handlung ............................................................................................................................82<br />

V. Grundtenor der Handlung ................................................................................................................................82<br />

Wünschenswert: Ein Besuch beim Rundfunk ...................................................................................................83<br />

Die Hauptgestaltungsphase: Eigenproduktion eines Hörspiels .................................................................84<br />

Das »große« Hörspiel: Ein offenes Rahmenthema .........................................................................................84<br />

Arbeitsblatt 16: Regieanweisung .....................................................................................................................86<br />

Aus der Praxis für die Praxis: Schülerzitate .....................................................................................................89<br />

Beurteilen der eigenen Hörspiele .........................................................................................................................96<br />

Arbeitsblatt 17 ...................................................................................................................................................101<br />

2


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Veröffentlichung der Hörspiele .........................................................................................................................102<br />

3


Vorwort<br />

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

»Die Schule bringt es fertig,<br />

aus Kindern, die neugierig und<br />

wissensdurstig in das erste<br />

Schuljahr kommen, innerhalb<br />

weniger Jahre apathische und<br />

desinteressierte Schüler zu<br />

machen.«<br />

Angelika Wagner 1<br />

In einer Zeit wachsender Bedeutung und Wirkung der Medien wird es immer wichtiger,<br />

aktive Medienarbeit und Medienerziehung in der Schule zu unterstützen und Medien<br />

selbst – über ihren rein didaktischen Einsatz hinaus – zum Gegenstand des Unterrichts zu<br />

machen. In keiner anderen Gesellschaft hat es je eine derartige Konzentration visueller<br />

und sprachlicher Botschaften gegeben wie in dieser. Die »Wirklichkeit aus zweiter Hand«<br />

wird in ihrer totalen Präsenz fast genauso passiv hingenommen wie das Wetter. Film und<br />

Fotographie besitzen die Faszination des Konkreten.<br />

Schulabgänger von heute können kaum noch unterscheiden, welcher Teil ihres Weltbildes<br />

realer Erfahrung entspringt und welcher Teil nur die Summe der in den Medien<br />

vorproduzierten Einstellungen ist. Leseratte und Bücherwurm sind im Aussterben<br />

begriffen; Geduld und Konzentrationsfähigkeit der Schüler gehen dem Nullpunkt<br />

entgegen. Dynamik, Bewegung, Augen- und Ohrenkitzel heißt die Devise: die Welt als<br />

Spektakel, als flackernde Collage, wo die Grenzen zwischen greifbarer und inszenierter<br />

Wirklichkeit immer mehr verwischen.<br />

Will man den Schülern die Machbarkeit dieser allgegenwärtigen Medien exemplarisch vor<br />

Augen führen und ihre kritische Auseinandersetzung durch aktive Medienarbeit fördern,<br />

braucht man nicht immer gleich ein aufwendiges Videoprojekt zu starten. Die Überlegung,<br />

statt dessen eine Unterrichtseinheit »Hörspiel« durchzuführen, wirft natürlich eine<br />

grundlegende Frage auf: Widmet man sich da nicht einem Medium, das sich inmitten der<br />

Flut visueller Kommunikationsmittel als unmodern oder längst veraltet entpuppt hat? Im<br />

Gegenteil.<br />

1 Angelika Wagner (Hrsg.): Schülerzentrierter Unterricht, Weinheim 1982, S. 16/17.<br />

4


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Erwin Wickert 2 , einer der Pioniere in der Diskussion um das Hörspiel der Nachkriegszeit,<br />

meinte bereits 1954, daß es fraglich sei, ob der Rundfunk – und mit ihm das Hörspiel –<br />

wegen der visuellen Medien zum Untergang verurteilt sei, wie einst der Stummfilm mit<br />

dem Aufkommen des Tonfilms.<br />

Er scheint recht zu behalten, erlebt das Hörspiel zur Zeit doch eine Renaissance. Mehr<br />

und mehr traditionelle und moderne Hörspiele werden bei den Rundfunkanstalten wieder<br />

ausgegraben, auf Kassette gezogen und verkauft 3 . Autoren sprechen ihre Werke auf<br />

Band, beliebte Schauspieler lesen aus der Weltliteratur vor. Genießer schieben in ihr<br />

Auto-Kassettenfach ein Hörspiel statt poppiger Musik.<br />

Gerade im Hinblick auf den Deutschunterricht ist die Beschäftigung mit dem Hörspiel eine<br />

Fundgrube: Das Hörspiel zeichnet sich durch die Konzentration auf das gesprochene<br />

Wort aus. Zudem bedarf aktive Medienarbeit – hier die Eigenproduktion eines Hörspiels –<br />

keiner besonderen technischen Kenntnisse, Fertigkeiten und Apparaturen. Mit nur<br />

wenigen Mitteln können Lerngruppen ihre Ideen eindrucksvoll umsetzen, wird aus<br />

erdachten Geschichten »inszenierte Realität«.<br />

Die vorliegenden Handreichungen sind als praktische Hilfe für die Vorbereitung eines<br />

Hörspiel-Projekts zu verstehen, das allen Beteiligten Freude macht; sie sollen jedem<br />

Lehrer eine leichte Übertragung auf die eigene Klasse und damit den unmittelbaren<br />

Einstieg in die aktive Hörspielarbeit ermöglichen.<br />

Vor Beginn des eigentlichen Manuskriptschreibens steht eine Erarbeitungsphase, die ca.<br />

3-4 Unterrichtsstunden in Anspruch nimmt und hier ausführlich beschrieben wird. Sie dient<br />

dazu, gemeinsam mit der Klasse alle notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten zu<br />

entwickeln, um dann zum eigentlichen Schwerpunkt des Projekts, dem eigenständigen<br />

Verfassen eines Hörspiels, zu gelangen. Das jeweilige Rahmenthema, mit dem sich die<br />

Klasse in ihrem »großen« Hörspielmanuskript befassen wird, bleibt hier offen, da es in<br />

2 Erwin Wickert: Die innere Bühne. Neue Dichtungsgattung Hörspiel, in: Akzente, 6/1954, S. 512 f.<br />

3 Im Klett-Verlag gibt es seit geraumer Zeit die Kassettenreihe »Cotta's Hörbühne«; sie erscheint in<br />

Zusammenarbeit mit den Rundfunkanstalten der ARD, umfaßt derzeit etwa 40 Titel und wird halbjährlich<br />

ergänzt. Die Kassetten kosten DM 19,80 und sind freigegeben für den Einsatz im Schulunterricht. Wer<br />

selbst Hörspiele aus dem Rundfunk mitschneiden möchte, kann im Anhang die jeweiligen Sendezeiten<br />

der Rundfunkanstalten nachlesen.<br />

5


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

jeder Klasse anders lauten kann. Wichtig ist das Handwerkszeug, das die Schüler<br />

benötigen: die technischen und sprachlichen Gestaltungselemente.<br />

Primäres Ziel ist nicht die unterrichtliche Erschließung eines Hörspiels als<br />

Gesamtkunstwerk, als literarisches Portrait eines bestimmten Autors, oder die Darbietung<br />

von Hörspielen als einer Form der Auseinandersetzung mit einem zeitkritischen Stoff. Die<br />

Rezeption eines Hörspiels als Gattung oder journalistisch-literarische Mischform sollte<br />

meines Erachtens erst im Anschluß an eine aktive, produktive Eigentätigkeit der Schüler<br />

ins Auge gefaßt werden.<br />

Was ein Hörspiel ist, erfahren Schüler am besten, wenn sie sich selbst aktiv mit eigenen<br />

Inhalten und deren adäquater Umsetzung beschäftigen. Schrittweise werden sie mit dem<br />

»Wesen« des Hörspiels vertraut: durch eigene, kurze Szenenentwürfe in Gruppen,<br />

Reflexion im Plenum, Textarbeit an eigenen und fremden Texten, neue<br />

Gestaltungsversuche.<br />

Am Ende steht das Schreiben eines größeren Hörspielmanuskripts und dessen<br />

technische Realisation. Solch induktives, sukzessive erkennendes »Herantasten« an das<br />

Hörspiel macht den Schülern die grundlegenden Gestaltungsmittel bewußt und<br />

sensibilisiert sie nachhaltig für die spätere Rezeption von Werken anderer Autoren.<br />

Wer die maßgeblichen Didaktiken liest, wird immer wieder auf die Empfehlung stoßen, bei<br />

einer Unterrichtseinheit Hörspiel solle die Rezeption eines Gesamtkunstwerks am Anfang<br />

stehen, um auf dieser Basis dann inhaltlich-gestalterische Aspekte aufzuarbeiten. Klose<br />

möchte in seiner »Didaktik des Hörspiels« 4 das mehrfache Hören von Gesamtwerken<br />

zugrunde gelegt wissen, bevor die Schüler selbst Texte verfassen; Lermen 5 meint: »Am<br />

Anfang sollte grundsätzlich das Hören einer Hörspielaufnahme stehen«, und das Hörspiel<br />

sei »besonders geeignet, die rezeptive Sprachkompetenz des Schülers zu fördern«, »den<br />

Schüler zum gesammelten und verstehenden Hinhören anzuleiten«. Eigene<br />

Hörspielversuche sollen, so Lermen, erst nach dem Lesen und Interpretieren eines<br />

Hörspieltextes erfolgen.<br />

4 Werner Klose: Didaktik des Hörspiels, Stuttgart 1977.<br />

5 Birgit Lermen: Das traditionelle und neue Hörspiel im Deutschunterricht, Paderborn 1975, S. 132, 127,<br />

128.<br />

6


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Meiner Ansicht nach sollte man beim Einstieg in eine Unterrichtseinheit »Hörspiel« darauf<br />

verzichten, den Schülern die technisch perfekte Produktion einer Rundfunkanstalt<br />

vorzuspielen, weil dadurch ein Großteil ihrer Spontaneität und Unbefangenheit<br />

verlorengeht. »Ein bewußter oder unbewußter Vergleich mit den Werken der<br />

Erwachsenenkultur kann zu Perfektionsängsten führen ... Dem kann nur entgegengewirkt<br />

werden, wenn im Unterricht der Prozeß der praktischen Machbarkeit in den Mittelpunkt<br />

gerückt wird.« 6<br />

Die Präsentation eines Gesamtwerkes gleich zu Beginn einer Einheit ist auch noch unter<br />

einem anderen Gesichtspunkt bedenklich. Man sollte immer damit rechnen, daß fernseh-<br />

und video-»verwöhnte« Schüler nur schwer einschätzen können, welche Arbeit in einem<br />

Hörspieltext steckt. Ohne geschultes, d. h. auch »geduldiges« Zuhören und die<br />

Bereitschaft, sich auf das Gehörte einzulassen, statt es zu konsumieren, rauscht ein<br />

Hörspiel möglicherweise an den Schülern vorbei. Sie begreifen es als eine weitere (wenn<br />

auch akustische) Textsorte, die, wie gewöhnlich, interpretiert werden soll. Haben die<br />

Schüler aber erst einmal produktive Sprachkompetenzen durch eigene Hörspielarbeit<br />

erworben, werden sie automatisch auch im rezeptiven Bereich kompetent sein und die<br />

Präsentation eines Gesamtkunstwerkes zu würdigen wissen.<br />

Wer gerne ein Projekt »Hörspiel« in seiner Klasse durchführen möchte, steht vor einer<br />

Fülle von Fragen: Wie fange ich an? Welches Thema kommt für die Klasse in Frage?<br />

Sollen wir im Klassenverband ein Stück schreiben oder in Gruppen? Wie vermittele ich<br />

ohne Input-Frontalunterricht das elementare Handwerkszeug, auf das die Schüler<br />

angewiesen sind, um eigenständig ein passables Manuskript schreiben zu können?<br />

Welche Gestaltungsmittel gibt es, welche sind notwendig, und welche können<br />

weggelassen werden? '<br />

Die großen Didaktiken helfen hier nicht weiter, und zum Nachschlagen in<br />

Fachpublikationen fehlt nur allzuoft die Zeit. Die hier unterbreiteten Beispiele und<br />

praktischen Hilfen sollen diese Lücke schließen und dem Lehrer die Vorbereitung und<br />

Durchführung seines Hörspielprojekts erleichtern.<br />

6 Der Kultusminister des Landes Hessen: Rahmenrichtlinien für das Fach Deutsch, 1980, S. 77.<br />

7


Anmerkungen zur Geschichte des Hörspiels<br />

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Das Hörspiel ist nicht zu trennen vom Medium Rundfunk, aus dem es hervorgegangen ist.<br />

Die Frage danach, was denn nun »Hörspiel« sei, ist nicht einfach zu beantworten.<br />

Betrachtet man die Geschichte des Hörspiels, steht man einer Reihe sich wandelnder<br />

Definitionen gegenüber. Eines läßt sich ohne Vorbehalte sagen: Das Hörspiel ist eine<br />

Form der Literatur, die jedoch eines anderen Mediums bedarf. Die Problematik von Form,<br />

Wirkungsgrad und künstlerischer Gestaltung des Hörspiels ist immer eingebettet in die<br />

technischen Möglichkeiten des Rundfunks.<br />

Die eigentliche »Geburtsstunde« des Hörspiels lag im Jahre 1924. Das erste Hörspiel,<br />

das in Europa ausgestrahlt wurde, trug den Titel »A Comedy of Danger« (London) und<br />

spielte bezeichnenderweise im Stollen einer Kohlengrube, wo infolge eines Kurzschlusses<br />

völlige Dunkelheit herrschte. »Es wird doppelt dunkel, das Auge des Kumpels wie des<br />

8


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Hörers fällt aus; das Ohr wird zum einzig wirksamen Sinnesempfänger (...) Prägend für<br />

die erste Phase des Hörspiels ist der akustische Illusionismus fingierter Katastrophen,<br />

deren scheinbar zufälliger Ohrenzeuge der Rundfunkhörer wird.« 7<br />

Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten war das Hörspiel freilich selten<br />

mehr als ein Propagandainstrument. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das<br />

kulturelle Leben stark vom zentralen Kommunikationsträger Rundfunk mitgeprägt.<br />

Innerhalb der Runkfunkanstalten nahm das Hörspiel eine Vorrangstellung ein. Die Suche<br />

nach Halt und Sinn in einer zerbombten Umwelt, Innerlichkeit versus Entpersonifizierung<br />

waren denn auch sozialkritische Inhalte des Nachkriegshörspiels. Menschen lesen und<br />

hören das am liebsten, worin sie sich wiederfinden; das Hörspiel bot seinen Hörern<br />

Identifikation und verlieh seiner Zeit Sprache; »... alle namhaften deutschen Autoren<br />

lieferten Beiträge zur Entfaltung der neuen Kunstform, so daß die Hörspielliteratur schon<br />

zwischen 1953 und 1958 ihren ersten Höhepunkt erreichte und das Hörspiel in der<br />

literarischen Produktion der fünfziger Jahre als Kunstform den breitesten Raum<br />

einnahm.« 8 Seit 1952 wird alljährlich an den Autor des bedeutendsten Originalhörspiels in<br />

deutscher Sprache der Hörspielpreis der Kriegsblinden verliehen. 9<br />

Anfang der sechziger Jahre begann in der BRD die Zeit des sogenannten Neuen<br />

Hörspiels, das die Technik der Stereophonie nutzte. Durch O-Töne (d. h. Originaltöne, per<br />

Mikrophon aufgezeichnete, authentische Sprache und/oder Geräusche) und Toncollagen<br />

wandte man sich ab vom traditionellen Hörspiel, der Innerlichkeit, entfernte sich von der<br />

»Literatur«. Montageartig wurde im Neuen Hörspiel sowohl sprachliche als auch<br />

gesellschaftliche Ohnmacht und Entfremdung demonstriert.<br />

7 Gerhard Hey: Hörspiel, in: Borchmeyer/Zmegac (Hrsg.): Moderne Literatur in Grundbegriffen, Frankfurt<br />

1987, S. 175.<br />

8 Birgit Lermen: a. a. O., S. 11.<br />

9 Die Reden der Autoren, die das damalige Selbstverständnis dokumentieren, können auf den im Handel<br />

erhältlichen Kassetten mit preisgekrönten Hörspielen von Klett (Cotta's Hörbühne, vgl. Anm. 2a) abgehört<br />

werden. Sie finden sich jeweils im Anschluß an das Hörspiel. Klett bietet u. a. an: Fr. Dürrenmatt. Das<br />

Unternehmen der Wega, W. Borchert. Draußen vor der Tür.<br />

9


Das Hörspiel im Deutschunterricht<br />

Sprache und Geräusch als Gestaltungsmittel<br />

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Der Begriff »Hörspiel« umschließt – ausgehend von der semiotischen Bedeutung der<br />

Wörter hören und Spiel – sowohl das Schauspiel oder das Drama als auch den rein<br />

auditiven Charakter der Präsentation. Vorwürfe einer ästhetischen Reduktion des<br />

Hörspiels auf das »bloß« Akustische (durch das Fehlen visueller Komponenten) erweisen<br />

sich als nicht stichhaltig. Erwin Wickert sah hinter dieser Kritik noch die Forderung nach<br />

einem Gesamtkunstwerk. Tatsächlich hängt die Form des Hörspiels viel enger mit der<br />

geschriebenen Form der Literatur zusammen als ein Bühnenwerk oder Tonfilm, wo das<br />

gesprochene Wort nur einen Teil des akustisch-visuell vermittelten Eindrucks von Zeit und<br />

Raum darstellt. Die »innere Bühne«, die das Hörspiel erzeugt, so meint Wickert, sei noch<br />

viel weitgreifender als die des gelesenen Wortes. Mehr noch als das geschriebene Wort<br />

provoziert das Hörspiel eine Art subjektives Theater, ein »Kino im Kopf«, ein Bündel von<br />

Emotionen, Begriffen, Gedanken. Es steht dem assoziativen, sprunghaften Denken des<br />

Menschen näher als Buch oder Film, weil es Stimmungen, Befindlichkeiten, Traumwelten<br />

am intensivsten nachempfinden läßt, ja, weil es durch die Suggestionskraft von Wort und<br />

Geräusch simulieren kann, was in einem Menschen vorgeht, statt nur dessen<br />

»Oberfläche« oder Umgebung abzubilden, wie dies im Film häufig geschieht. In einem<br />

Wechselspiel zwischen Imagination, Traum und Wirklichkeit vermag das Hörspiel eine Art<br />

Bewußtseinsstrom zu kreieren, der räumlich und zeitlich begrenzte Handlungsabläufe<br />

auflöst.<br />

»Noch bedeutungsvoller als das Wort kann das Geräusch sein, wenn es richtig und<br />

sparsam, nicht als überflüssige Begleitung des Dialogs, sondern als key sound<br />

angewandt wird: Zu Beginn einer Hörspielszene hören wir eine Schiffssirene, und sofort<br />

stellen sich in unserer Phantasie, ohne daß sie im einzelnen bewußt zu werden brauchen,<br />

Bilder ein wie Schiff, Nebel, Reise, Hafen, Meer, Wellen, Horizont, Wind, ferne Küste,<br />

Insel. ( ... ) Das Geräusch, real oder musikalisch umgesetzt, kann im Hörspiel weit mehr<br />

als im Theater die Handlung fortführen, erklären oder vertiefen, stärker als dies durch<br />

direkte Aussage im Dialog möglich ist.« 10 Zwar werden auch im Film und auf der Bühne<br />

10 Wickert, a. a. O., S. 510 f.<br />

10


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Geräusche eingesetzt, doch dienen sie dort lediglich der Unterstützung visueller Anteile,<br />

die den Zuschauer festlegen: Seine Phantasie wird gebunden. Der Hörer eines Hörspiels<br />

kann sich sein eigenes Bild erschaffen. Das Hörspiel als akustisches, assoziatives<br />

Gebilde motiviert den Hörer, seine Phantasie zu entfalten und voll auszuschöpfen.<br />

Durch die Konzentration auf Wort und Geräusch trägt ein Unterrichtsprojekt Hörspiel,<br />

insbesondere die Eigenproduktion eines Hörspiels, zur Entfaltung von Fähigkeiten in den<br />

verschiedenen Arbeitsbereichen des Faches Deutsch bei: Reflexion über Sprache,<br />

Umgang mit Texten, kreatives Schreiben, Förderung der Sprachkompetenz. Die<br />

vielschichtigen Dimensionen, die Hörspielarbeit in sich birgt, decken den Grenzbereich<br />

zwischen mündlicher und schriftlicher Kommunikation quasi multifunktional ab:<br />

Kommunikative Absichten müssen beim Entwurf eines Manuskriptes ausschließlich durch<br />

das Gestaltungsmittel Sprache (neben den non-verbalen Kommunikationsanteilen das<br />

Medium sozialer Interaktion überhaupt) transportiert werden. Dies erfordert, den Schülern<br />

Sprache in ihrer differenzierten Bedeutungsvielfalt begreifbar und erfahrbar zu machen,<br />

sie letztlich zu befähigen, in ihren Manuskriptdialogen Inhalts- und Beziehungsaspekte<br />

selbst so differenziert zu versprachlichen, wie dies das Hörspiel verlangt.<br />

Der Entwurf »glaubhafter«, d. h. überzeugender Hörspieldialoge stellt einige<br />

Anforderungen an die Sprachkompetenz der Verfasser: Durch das Fehlen der visuellen<br />

Elemente zur Kennzeichnung von Ort, Zeit, Situation, Personen etc. muß der Hörer<br />

indirekt – und nicht plump! – auf Zusammenhänge und Gegebenheiten hingewiesen<br />

werden. Der Hörer darf nicht das Empfinden haben, daß es sich nur um ein Konstrukt<br />

handelt. Unnatürlich klingende Dialoge oder platte Hinweise auf die Hintergründe wirken<br />

aufgesetzt und gekünstelt. Die Schüler stehen vor der schwierigen, aber durchaus<br />

lösbaren Aufgabe, Dialoge in kontextgebundener Form zu präsentieren, dabei aber die<br />

Kriterien kontextfreien Sprechens zu berücksichtigen. Was bedeutet das?<br />

Kontextgebundenes Sprechen/Schreiben setzt beim Adressaten die Kenntnis der<br />

Zusammenhänge, in die das Mitgeteilte gehört, den Kontext, weitgehend voraus. Diese<br />

Zusammenhänge werden also nicht mitgeliefert, nicht sprachlich ausgeführt. Der Zuhörer/Leser<br />

hat es, wenn er in die Zusammenhänge nicht eingeweiht ist, darum schwerer, das Mitgeteilte zu<br />

verstehen: Es wirkt für ihn oft zusammenhanglos und zufällig ausgewählt oder akzentuiert.<br />

Kontextfreies Sprechen/Schreiben setzt dagegen die Fähigkeit voraus, sich genau in den<br />

Zuhörer/Leser hineinzuversetzen und alle Zusammenhänge. die dieser wahrscheinlich nicht<br />

kennt, sprachlich auszuführen. Der Kontext wird jeweils expliziert. (...) Kontextgebundenes<br />

11


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Sprechen herrscht häufig in der mündlichen Kommunikation vor, während die schriftliche<br />

Kommunikation der genaueren Explikation und damit kontextfreien Sprechens bedarf. 11<br />

Eine explizite Benennung des Kontextes ist im Hörspiel fehl am Platz. Schüler so weit zu<br />

sensibilisieren, daß sie den Kontext subtil in ihre Dialoge miteinfließen lassen, ist ein Ziel,<br />

das schon ganz zu Beginn der Erarbeitungsphase thematisiert werden soll.<br />

Möglichkeiten kreativen Schreibens<br />

Kreatives Schreiben, das emanzipatorischen Ansprüchen genügen will, faßt Realität<br />

kritisch ins Auge, vermag Realität auch durch Verfremdung, satirische Überzeichnung<br />

oder Gegenentwürfe zu eröffnen; » ... wo bestimmte Gegebenheiten in der Realität ihren<br />

Wünschen und Vorstellungen gegenüberstehen«, malen sich Schüler »... das<br />

Nichtvorhandene und Nichtmögliche in der Phantasie aus.« 12 Dagegen fördert reines<br />

Fabulieren, wie es früher oft im sogenannten Phantasieaufsatz erwartet wurde, meist nur<br />

Klischeewelten zutage; hier besteht zudem die Gefahr, daß sich die Schüler in reine<br />

Fiktion hineinflüchten (Eskapismus versus Emanzipation!). In angespannter Einzelarbeit<br />

sitzen die Schüler da und sollen nach ein bis zwei Stunden ein formal korrektes<br />

Phantasie-Produkt abgeben. Wirkt diese Zwangsjacke nicht eher wie ein Dämpfer auf die<br />

kreative Eigenproduktion von Texten? Mit einer Schärfung der Wahrnehmungsfähigkeit<br />

für Realitäten hat diese Art »kreativen« Schreibens nur wenig zu tun. Schon wegen der<br />

Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit und den formalisierten Ansprüchen an<br />

Rechtschreibung, guten Sprachstil usw. kann ein erzwungener, der Notenfindung<br />

dienender Schulaufsatz die Phantasie und Kreativität nie in dem Maße anregen, wie dies<br />

ein langfristiges Gemeinschafts-Projekt »Hörspiel« vermag. Ich erinnere mich an eine<br />

Reihe von Aufsatzthemen, die ich selbst in der fünften bis siebten Klasse gestellt bekam.<br />

Sie lauteten:<br />

»Was mir der Grasfrosch am Tümpel erzählte« (Phantasieaufsatz) 5. Klasse, »Eine<br />

Orange erzählt aus ihrem Leben« (Phantasieaufsatz) 5. Klasse, »Die gute Tat«<br />

11 Der Kultusminister des Landes Hessen: Rahmenrichtlinien für das Fach Deutsch, a. a. O., S. 36.<br />

12 Ebd., S. 73.<br />

12


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

(Erlebnisaufsatz) 6. Klasse, »Ich war im Traum in einem fernen Land« (Phantasieaufsatz)<br />

7. Klasse.<br />

»Was mir der Grasfrosch am Tümpel erzählte«, könnte in heutigen Tagen durchaus einer<br />

kritischen, ökologischen Betrachtung wert sein. Damals jedoch, so erinnere ich mich,<br />

stöhnten wir unter dieser Aufgabenstellung, zu der niemandem etwas einfallen wollte.<br />

Glücklicherweise kam mir dann doch noch eine wirkungsvolle Idee, nämlich das<br />

grauenvolle Ende eines Schmetterlings, welcher ein guter Freund des besagten<br />

Grasfrosches gewesen war. Zitat:<br />

»Da hast du aber einen guten Freund gehabt«, meinte ich gedankenvoll, »wo ist er denn jetzt?«<br />

»Er ist später von einem Jungen gefangen und mit etwas Spitzem aufgespießt worden«, meinte<br />

der Frosch mit Tränen in den Augen. »Oh, das ist aber traurig, rief ich erschrocken.<br />

Gedankenversunken stand ich auf und schlenderte mit dem guten Vorsatz, nie mehr einen<br />

Schmetterling oder einen Frosch zu fangen, nach Hause.«<br />

In der Tat kann man auch hinter dieser dramatischen Begebenheit eine Art kritischer<br />

Auseinandersetzung mit der Realität entdecken. Allerdings muß dazu gesagt werden, daß<br />

der Phantasieaufsatz insgesamt sechs DIN A 5-Seiten lang war, und die eben zitierten,<br />

emotional leicht überfrachteten Sätze lediglich den Schluß des Aufsatzes bildeten, der mit<br />

»sehr gut« benotet wurde.<br />

Die Ausführungen zu »Eine Orange erzählt aus ihrem Leben« erinnern stark an den<br />

süßlichen »ei-dei-dei«-Stil, in dem viele Kinderbücher geschrieben wurden, aber auch an<br />

Floskeln aus dem Fernsehen. Während vielleicht ein Thema wie »Eine Mülltonne erzählt<br />

aus ihrem Leben« oder »Ein Huhn aus der Legebatterie erzählt aus seinem Leben« es<br />

zuließe, Realität kritisch ins Auge zu fassen, bewog mich die Lebensgeschichte einer<br />

Orange nur dazu, ein Klischee an das andere zu reihen:<br />

»Ich bin eine Apfelsine und hing einst auf einem Baum in Spanien neben vielen anderen<br />

Brüdern und Schwestern. Wir wurden von braungebrannten, schwarzäugigen Menschen gehegt<br />

und gepflegt. ( ... ) Dann verlud man uns in ein Lastauto ( ... ) Und schon begann das Geschrei.<br />

»Oh, wie ist es hier so dunkel, ich habe Angst!«, und »Wo ist die liebe Sonne, die uns wärmt?«<br />

schrie alles durcheinander.«<br />

Auf dem Flug von Barcelona nach München setzen sich dann zwei blinde Passagiere auf<br />

die Apfelsinenkiste, und die Orange überlegt am Schluß des Aufsatzes, als sie mit zwei<br />

13


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

»Kameraden« auf einem Küchentisch liegt, »was wohl mit den beiden ungebetenen<br />

Fluggästen geschehen war. Hatte man sie geschnappt oder waren sie entkommen?«<br />

Der Erlebnisaufsatz »Die gute Tat« wurde für die meisten Schüler zum Phantasieaufsatz,<br />

weil ihnen nichts aus dem eigenen Leben einfiel, das vier bis fünf DIN A 5-Seiten hätte<br />

füllen können. Die Ausführungen zu dem Thema »Ich war im Traum in einem fernen<br />

Land« strotzten vor unreflektiert übernommenen Touristik- und Kino-Klischees: Palmen,<br />

blaues Meer, Sandstrand, Dschungel, Löwen, Elefanten, Indianer, Kanus, Pfeil und<br />

Bogen. In meinem Aufsatz wurde ich von einer Horde schwarzer Menschenfresser<br />

verfolgt, die mich »als pikante Fleischzugabe« (Spruch aus der damaligen Werbung) in<br />

einem Wasserkessel kochen wollten.<br />

Es schien zumindest damals nicht so schwierig, was da zusammenfabuliert wurde:<br />

Hauptsache, es wurde viel – und vor allem fehlerfrei geschrieben. War die Sache<br />

irgendwie »rund«, dann gab es für »Form« und »Inhalt«: sehr gut. Die Frage bleibt, ob<br />

man Phantasieaufsätze überhaupt benoten kann. Ich erinnere mich, daß ich für einen<br />

Phantasieaufsatz ganz unerwartet eine Vier erhielt, weil wir zum Schuljahreswechsel<br />

einen anderen Deutschlehrer bekommen hatten. Die Themenstellung »Phantasieaufsatz«<br />

war mir vertraut, und mein Aufsatz entsprach von Form und Inhalt her ganz dem, worin ich<br />

in den vergangenen Jahren positiv bestärkt worden war. Nun aber galt eine neue, für uns<br />

undurchsichtige Notengebung, und so mancher bisher »gute« Schüler verlor<br />

Selbstbewußtsein und Schreiblust. Sowohl Themenstellungen als auch<br />

Bewertungsmaßstäbe im Deutschunterricht sind immer ein Glücksspiel für die Schüler. Es<br />

ist hier nicht der Ort, diese Problematik zu vertiefen: wichtig scheint mir allerdings die<br />

Erkenntnis, daß meine – wenn auch sehr subjektiven – Erfahrungen mit dem Thema<br />

»Kreativität« aufzeigen, welche Rolle die sorgfältige Wahl des zu bearbeitenden Themas<br />

spielt: Die Aufgabe darf nicht zum Korsett werden, sie soll die Phantasie entfalten, und<br />

nicht hemmen oder in stereotype Bahnen lenken. Für ein Hörspielprojekt bedeutet dies,<br />

ein offenes Rahmenthema vorzugeben, maßgeschneidert auf die jeweilige Klasse, das<br />

die Arbeitsgruppen geradezu herausfordert, produktiv tätig zu werden. Sie sollen sich<br />

(Eskapismus versus Emanzipation!) kreativ, aber gezielt mit der Realität befassen und<br />

nicht einfach ins Blaue hinein fabulieren.<br />

14


Ein Beispiel für ein solches Rahmenthema könnte lauten:<br />

Zeitungsmeldung<br />

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Der Schüler ... / Die Schülerin ... ist seit 2 Tagen verschwunden. Er/ Sie nahm 700 DM<br />

einer Lohnsteuerrückzahlung mit, die sich im Küchenschrank der Familie befanden. Die<br />

Eltern sind ratlos. Ihr Sohn/ Ihre Tochter soll Probleme mit Klassenkameraden gehabt<br />

haben.<br />

Hier wird deutlich, was es heißt, Phantasie anzuregen und gleichzeitig Realität kritisch ins<br />

Auge zu fassen. Dieses Thema bietet eine Fülle von Bearbeitungsmöglichkeiten und ist<br />

speziell für eine relativ unsolidarische Gruppe gedacht.<br />

Bei allen Vorteilen der Hörspielarbeit muß der Lehrer dennoch seine Schüler davor<br />

bewahren, die Sache zu locker zu sehen und beim Entwurf ihrer Story auf reine<br />

Effekthascherei zu setzen, die sich bei akustischen und optischen Medien nahezu<br />

aufdrängt. Ernsthafte Reflexionsphasen bei der Erarbeitung der Grundlagen verhindern,<br />

daß später, beim »großen« Hörspielmanuskript, bloß imitativer Slapstick-Klamauk oder<br />

Stereotypien reproduziert werden.<br />

Interessant – wenn auch nicht ganz so flexibel in den Ausgestaltungsmöglichkeiten – ist<br />

das Zuendeschreiben eines Textes. Hierbei haben die Schüler allerdings nicht die<br />

Gelegenheit, Charaktere selbst zu entwerfen. Ein solches Hörspielprojekt bringt<br />

außerdem das Problem mit sich, daß die Schüler nach der Lektüre bzw. akustischen<br />

Textrezeption (Lehrer, Tonband) einen Arbeitsauftrag erhalten, für dessen Ausführung<br />

ihnen kein Handwerkszeug zur Verfügung steht. Der Bezug zum Text und die<br />

Schreibmotivation ginge verloren, wollte man nun schnell eine Lernphase einschieben, in<br />

der wichtige Gestaltungsmittel sozusagen als »Quicky« verabreicht werden. Die<br />

Themenstellung sollte stets nach einer solchen Vorlaufphase erfolgen, niemals vorher<br />

oder zwischendurch!<br />

Weniger anspruchsvoll, der Altersstufe aber durchaus angemessen, ist die Erstellung<br />

kleinerer Hörfolgen im Deutschunterricht fünfter und sechster Klassen oder das Schreiben<br />

15


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

szenischer Minidialoge (zum Beispiel die Tonband-Begleitung einer Diareihe, die Schüler<br />

während eines Schullandheimaufenthaltes angefertigt haben).<br />

Abzuraten hingegen ist von der rein akustischen Aufbereitung vorliegender Prosatexte,<br />

wie Kurzgeschichte, Novelle oder Lesebuchtext. Zwar wird auf diese Möglichkeit in der<br />

didaktischen Literatur des öfteren hingewiesen, doch in Fachkreisen und<br />

Rundfunkanstalten steht man der »Verhörspielung« von Texten skeptisch gegenüber. Sie<br />

bringt immer einen Verlust an Authentizität mit sich. Sicherlich: es mag eine<br />

Herausforderung darstellen, Prosa-Fremdmaterial so zu bearbeiten, daß ein Transfer des<br />

Sinnganzen ins Akustische gewährleistet ist, dennoch bleibt diese Gestaltungsübung ein<br />

formaler Akt und scheint nur dort angebracht, wo ihr didaktischer Ort ist: als<br />

vorbereitender Versuch, z. B. innerhalb einer Erarbeitungsphase, an kurzen Prosatext-<br />

Abschnitten zu erproben, wie man Ort, Zeit, Situation usf. durch Sprache und Geräusch<br />

angemessen kennzeichnen kann. Auf die Arbeit mit solchen literarischen Prosatexten<br />

wurde in der hier vorgestellten Erarbeitungsphase jedoch verzichtet. Als Klassenarbeit im<br />

Anschluß an das Unterrichtsprojekt ist ein Prosatext denkbar (vgl. Arbeitsblatt 17, S.97)<br />

Hörspiel als Rollenspiel<br />

Das Hörspiel ist eine Sonderform des für den Deutschunterricht so wichtigen Rollenspiels.<br />

Beide thematisieren modellhaft Situationen, können typische Konfliktfälle im<br />

Spannungsfeld zwischen Individuum und Umwelt simulieren (z. B. symmetrische versus<br />

komplementäre Kommunikation) oder alternative Verhaltensweisen erproben. Während im<br />

Rollenspiel der situative Rahmen meist stark eingegrenzt und zudem vom Lehrer<br />

vorgegeben ist, sollte es beim Hörspiel den Schülern vorbehalten bleiben, welche<br />

Inhalte/Situationen sie im Rahmen einer relativ weitgefaßten Thematik bearbeiten<br />

möchten. Das Verfassen eines Hörspielmanuskripts verlangt mehr von den Schülern, weil<br />

der dem Rollenspiel immanente Aspekt der Flüchtigkeit, die Improvisation im kurzen<br />

Stegreifspiel vor der Klasse, wegfällt. Dialoge müssen, im Gegensatz zum Rollenspiel,<br />

vorher genau durchdacht, niedergeschrieben und später akustisch umgesetzt werden. Die<br />

Schüler müssen hierzu überzeugende Personen ersinnen, in die viele Eigenerfahrungen,<br />

aber auch Ideen für Handlungsalternativen mit einfließen können. Sie erhalten so<br />

16


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Gelegenheit, ihre fiktiven Hörspielfiguren langfristig interagieren zu lassen, sie in ein<br />

Geschehen einzubetten und sie dabei mit bestimmten Wesenszügen und<br />

Verhaltensweisen auszustatten.<br />

In Klassen der Sekundarstufe I herrschen häufig zwei Artikulationstendenzen vor:<br />

Entweder Schüler sprechen/schreiben sehr persönlich, emotional, ja bekenntnishaft, oder<br />

sie begeben sich in ein äußerst distanziertes Rollenverhalten, das bewußt nicht der<br />

eigenen Erfahrungswelt entlehnt ist. Der Entwurf von Hörspielcharakteren ermöglicht es,<br />

in beiden Artikulationsformen eigene Gefühle auszudrücken, sie dabei aber in einem<br />

Konflikttypus, d. h. einer erdachten Figur, zu verarbeiten, ohne sich selbst vor anderen<br />

preisgeben zu müssen.<br />

Schwächen zu zeigen fällt vielen Jugendlichen schwer, »Coolness« ist »in«.<br />

Selbstsicherheit, Orientierungsvermögen und Zielstrebigkeit, kurzum, äußere Indikatoren<br />

für Identität haben heute einen hohen Stellenwert unter Jugendlichen – und sei Identität<br />

auch nur simuliert. In einer Weit ohne orientierende Eckpfeiler, ohne handfeste soziale<br />

Bezüge, in einer Welt von Fassaden produzieren Jugendliche aus Selbstschutz<br />

möglicherweise auch nur noch Fassaden. Sie geben sich zumindest den Anstrich von<br />

Identität und »Coolness« in einer Altersstufe, die gekennzeichnet ist durch ein starkes<br />

Anwachsen der eigenen Handlungsfähigkeit, die aber in umgekehrtem Verhältnis zu den<br />

Handlungsmöglichkeiten steht.<br />

Hörspielarbeit an einer wohldurchdachten Themenstellung gibt Jugendlichen die<br />

Möglichkeit, Gefühle indirekt zum Ausdruck zu bringen. Wo Schüler sich weigern, für ein<br />

Rollenspiel vor die Klasse zu treten, sind sie beim Schreiben eines Hörspielmanuskripts<br />

ehrgeizig genug, sich sozusagen »vom grünen Tisch« aus im schriftlichen Probehandeln<br />

mit einer Problematik auseinanderzusetzen.<br />

Gruppenarbeit<br />

Die Erarbeitung eines Hörspiels im Klassenverband bringt immer organisatorische und<br />

arbeitsökonomische Probleme mit sich. Deshalb sollten arbeitsgleiche Gruppen gebildet<br />

werden. Unterricht mit Kleingruppen von vier bis sechs Schülern fördert grundsätzlich die<br />

17


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Teamfähigkeit; dies gilt in ganz besonderem Maße für Hörspielarbeit. Die Gefahr, daß nur<br />

ein Teil der Schüler mit dem Thema befaßt ist und das »Gruppen«-Ergebnis allein<br />

erarbeitet, besteht nicht. Beim gemeinsamen Verfassen eines Manuskriptes in der<br />

Gruppe werden soziale und kreative Kräfte geweckt, wie es beim normalen<br />

Gruppenunterricht selten der Fall ist. Die Gruppenmitglieder müssen ihre Hörspiel-<br />

Charaktere, den Handlungsablauf ihrer Geschichte sowie deren sprachlich-akustische<br />

Umsetzung miteinander abstimmen, ja um eine Konsensfindung ringen. Man lernt sich<br />

sehr viel besser kennen beim Austausch über das Wer, Was, Wie und Warum; man lernt<br />

sich besser verstehen, geduldiger zu werden, sich in den anderen hineinzuversetzen,<br />

dessen Gedanken nachzuvollziehen, ihm aufmerksam zuzuhören. Bei der gemeinsamen<br />

Erörterung von Ideen und Umsetzungsvorschlägen wirken mehrere Ebenen des<br />

intensiven Aufeinander-Beziehens. Zum einen müssen die Gruppenmitglieder lernen, sich<br />

gegenseitig zu akzeptieren, ihre Meinungen zu koordinieren, zum anderen muß der<br />

Gruppenkonsens zu Papier gebracht, akustisch umgesetzt und im Plenum zur Diskussion<br />

gestellt werden. Deshalb eignet sich die Eigenproduktion eines Hörspiels auch gerade für<br />

»Problemklassen«. Nach anfänglichem Geschrei und Reibereien bessert sich in aller<br />

Regel das allgemeine »Betriebsklima« langfristig, womit nicht nur die<br />

Schülerbeziehungen, sondern auch das Schüler-Lehrer-Verhältnis gemeint sind.<br />

Was die vorangestellte Erarbeitungsphase angeht, so steht und fällt natürlich nicht jeder<br />

Erkenntnisschritt, jeder Arbeitsauftrag damit, daß man sich fanatisch an das Postulat der<br />

Gruppenarbeit klammert. Es gibt Unterrichtsphasen, die anderer Sozialformen bedürfen,<br />

und die Entscheidung für die jeweilige Arbeitsform obliegt dem Ermessen des Lehrers.<br />

Neben der Gruppenarbeit gibt es selbstverständlich auch im Hörspielprojekt Lehrer-<br />

Schüler-Gespräche, Einzel- oder Partnerarbeit, Unterrichtsgespräche im Klassenverband,<br />

Stillarbeit, Tafelanschriebe, reine Lehreraktivitäten, Lehrerimpulse, rezeptiv ausgerichtete<br />

Kurzpräsentationen akustischen Materials, Textarbeit als Einstieg oder als Vertiefung, es<br />

gibt festigende Hausaufgaben, und natürlich sollten sich die Schüler während des<br />

Unterrichts immer Notizen machen.<br />

Einige Schritte in der Erarbeitungsphase machen Gruppenarbeit allerdings unabdingbar:<br />

Es handelt sich hierbei um die ersten »Gehversuche«, also die ersten eigenen<br />

Dialogisierungs-Übungen. Sie sind jeweils Grundlage der gemeinsamen Reflexion und<br />

18


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Weiterarbeit. Daher ist es angebracht, daß die Schüler von Anfang an in selbstgewählten<br />

Gruppen sitzen und diese Regelung für die Dauer des Gesamtprojekts beibehalten wird,<br />

selbst wenn Gespräche im Plenum anstehen. Wichtig anzumerken bleibt, daß der Lehrer<br />

immer nur richtungsweisende Impulse setzen sollte; es kann nicht angehen, daß er alle<br />

Ergebnisse nach abzuhakenden Stundenzielen vorplant. Er kann gar nicht wissen, welche<br />

Texte die einzelnen Arbeitsgruppen in der Erarbeitungsphase verfassen werden, ob darin<br />

wichtige Anregungen enthalten sind, deren Behandlung besonderer Aufmerksamkeit<br />

bedarf. Das Feed-Back zu Gruppenergebnissen muß in der Hauptsache von Schülerseite<br />

kommen, denn das Projekt ist schülerzentriert angelegt. Das Gebot lautet also, sich<br />

weitgehend zurückzunehmen, damit die Gruppen voneinander und miteinander lernen<br />

können. Dirigistische Lehrer-Schüler-Befragungen verhindern den regen Austausch.<br />

Diese Handreichungen wollen und können keine exakt kalkulierten Planstunden auflisten,<br />

geordnet nach Unterrichtsphasen wie Hinführung, Erarbeitung, Vertiefung, Festigung und<br />

Hinweisen zu geplantem Lehrerverhalten, erwartetem Schülerverhalten usw. Jede Klasse<br />

arbeitet anders. Deshalb gibt die hier vorgestellte Erarbeitungsphase Anregungen, die<br />

aber kein Muß sind. Der Lehrer sollte den Erkenntnisprozeß stets seiner speziellen<br />

Lerngruppe, ihrem Lerntempo, der Altersstufe und der Schulform anpassen.<br />

Schülertexte als Unterrichtstexte<br />

Die Arbeit in Kleingruppen birgt einen außerordentlich wichtigen Aspekt, nämlich die<br />

Möglichkeit, die unterschiedlichen Ausarbeitungen und akustischen Umsetzungen einer<br />

arbeitsgleichen Themenstellung zu vergleichen. Somit werden Gruppentexte zu<br />

fruchtbaren Unterrichtstexten für die Arbeit im Klassenverband. Eine höhere Motivation zu<br />

Mitarbeit, kritischer Reflexion von Sprache, Umgang und Auseinandersetzung mit Texten<br />

kann im Deutschunterricht wohl kaum erzielt werden. Die Präsentation der in<br />

Gruppenarbeit erstellten Texte im Plenum und deren gemeinsame, kritische Reflexion hat<br />

zweierlei Vorteile: Erstens wird durch Verbesserungsvorschläge der anderen Gruppen der<br />

kreative Umgang mit den eigenen literarischen Produkten gefördert (Feed-back), zweitens<br />

erfahren die Schüler die Ergebnisse anderer Gruppen als »literarische« Texte, die es –<br />

von den Autoren erwartungsvoll zur Diskussion gestellt – zu hinterfragen, zu erörtern, zu<br />

19


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

interpretieren gilt. Die Gruppen lernen stetig voneinander, erkennen Fehler, die auch bei<br />

ihnen hätten auftreten können oder erhalten Gestaltungsideen, auf die sie selbst nicht<br />

gekommen wären. Der rege Austausch der Ergebnisse bei den ersten »Gehversuchen«<br />

bereits in der Erarbeitungsphase wirkt wie ein Akzelerator im Erkenntnisprozeß: Die<br />

»kritische Analyse von ästhetischen Texten« bewirkt, daß die Schüler »fremde ...<br />

Erfahrungen ... auf ihre eigenen ... beziehen«. 13<br />

In der Zeitschrift »Praxis Deutsch«, Nr. 45, findet sich zum Thema »Schülertexte als<br />

Unterrichtstexte« folgende Aussage: »Fruchtbar ... wird die Arbeit ... wohl erst, wenn man<br />

solche Texte ... zur Grundlage von Unterricht macht, die von Mitschülern der jeweiligen<br />

Klasse selbst verfaßt worden sind. ( ... ) Methodisch kann man mit solchen Texten<br />

verfahren wie mit anderen literarischen Texten, – und man sollte dies auch tun, damit die<br />

Schüler lernen, sie als Literatur – ihre eigene und wie auch immer zu qualifizierende – zu<br />

begreifen. ( ... ) Sie können zur Anregung dienen, nach ihnen weitere Texte zu schreiben;<br />

sie können unter kritischer Aufgabenstellung betrachtet werden; vor allem können sie den<br />

Prozeß der Aufklärung in Gang setzen, Aufklärung über eigene Empfindungen,<br />

Präzisierung der Gefühle; und nicht zuletzt sollen sie zum Schreiben ermutigen und das<br />

Schreiben lehren als einen Vorgang, mit dem man sich über die Dinge außerhalb und<br />

innerhalb seiner selbst Klarheit verschaffen kann.« 14<br />

Die Erarbeitungsphase<br />

Lernziele und didaktisch-methodische Überlegungen<br />

Für die Hörspielarbeit in der Sekundarstufe I finden hier ausschließlich diejenigen<br />

Gestaltungselemente Berücksichtigung, die zur akustischen Umsetzung von<br />

Handlungsabläufen und die Darstellung von Charakteren notwendig sind. Am Ende der<br />

Erarbeitungsphase verfügen die Schüler über grundlegende Kenntnisse und Fertigkeiten,<br />

die dann beim Verfassen bzw. akustischen Umsetzen ihres »großen« Hörspiels von ihnen<br />

angewendet werden sollen.<br />

13 Ebd., S. 113.<br />

14 Praxis Deutsch, Heft 45/1981, S. 18.<br />

20


Hierzu gehören:<br />

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

1. Bestimmung von Ort, Zeit, Situationen, Personen durch Versprachlichung in Dialog,<br />

innerem Monolog, durch Geräusche und/oder Raumakustik<br />

2. Anwendung der Kriterien kontextfreien Sprechens in kontextgebundener Form<br />

3. Verdeutlichung der Beziehungen zwischen Personen durch bewußte Wortwahl, Tonfall<br />

und überzeugende Dialoge<br />

4. Entwurf glaubhafter, überzeugender Charaktere durch bewußte Wortwahl, Tonfall und<br />

überzeugende Dialoge/Monologe<br />

5. Kenntnis der Funktion, Anwendung und richtigen technischen Umsetzung des inneren<br />

Monologes<br />

6. Kenntnis der Funktion von Geräuschen, Raumakustik und evtl. Musik, eigene<br />

Herstellung von Geräuschen und deren sparsame Verwendung<br />

7. Kenntnis der Funktion und Anwendung verschiedener Techniken des Szenenwechsels<br />

(einschließlich Rückblende als Zeitwechsel)<br />

8. Kenntnis der verschiedenen Funktionen eines Erzählers<br />

9. Vorlage eines Manuskriptheftes mit Regieanweisungen: Wer spricht? Wie wird<br />

gesprochen? Was wird gesprochen? Bemerkungen zu Geräuschen u. ä.<br />

10.(fakultativ) Kenntnis der Unterschiede zwischen analytischer und synthetischer<br />

Hörspielform<br />

11.(fakultativ) Kenntnis der Funktion einer spannenden Exposition<br />

Der Lehrer übernimmt in der Erarbeitungsphase sozusagen die Funktion eines »Filters«:<br />

Er greift die elementaren Gestaltungsmittel heraus und hält erweiternde oder vertiefende<br />

Beispiele parat. Elementar meint: Vermittlung grundlegender Kenntnisse und Fertigkeiten,<br />

die den Schülern eigenständiges, kreatives und konzentriertes Arbeiten bei der<br />

Konzeption ihres Hörspiels in der Hauptphase des Projektes ermöglichen, ohne dabei<br />

ständig auf Rückfragen beim Lehrer angewiesen zu sein. Ein Zuviel an detaillierten<br />

Vorinformationen zieht die Erarbeitungsphase stark in die Länge und geht zu Lasten der<br />

Motivation der Schüler. Keinesfalls sollte der Vorspann als »Lehrgang« ablaufen, bei dem<br />

die Schüler nur rezeptiv Wissen ansammeln. Deshalb ist das methodisch-didaktische<br />

Modell so angelegt, daß die Schüler von Anfang an Gelegenheit erhalten, eigene,<br />

aufeinander aufbauende Gestaltungsversuche zu unternehmen und sich dabei mit dem<br />

»Wie« vertraut zu machen.<br />

21


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Die Lernziele lassen sich in die drei Kategorien sprachlich, technisch und formal gliedern.<br />

Im Bereich der technischen Gestaltungsmittel muß man sich auf das mit einfachen<br />

Kassettenrekordern Machbare beschränken. So wird z. B. die Möglichkeit des Ein- und<br />

Ausblendens ( = eine Form des Szenenwechsels) mit Hilfe manueller Regler nicht immer<br />

zur Verfügung stehen; leider verfügen auch nicht alle Geräte über einen Anschluß für ein<br />

externes Mikro. Es besteht aber sicher eine Auswahlmöglichkeit zwischen mehreren,<br />

verschiedenartig ausgerüsteten Rekordern innerhalb der Schülergruppe. Zudem halten<br />

die AV-Berater der Schulen eine Reihe von Arbeitsgeräten, auch Mikrophone, bereit. Wer<br />

seinen Bedarf an Technik damit noch nicht gedeckt hat, wendet sich an die zuständige<br />

Kreisbildstelle. Dort bietet sich die Gelegenheit, Mischpulte zu benutzen bzw. zu<br />

entleihen, die bei der Nachbearbeitung des aufgenommenen Materials nicht nur Ein- und<br />

Ausblendungen, sondern sogar Überblendungen einzelner Szenen ermöglichen. Darüber<br />

hinaus kann das Bandmaterial im Nachhinein auch tontechnisch manipuliert werden (z. B.<br />

durch Echo, Equalizer/Frequenzfilter oder Pitch Control/ Veränderung der<br />

Abspielgeschwindigkeit).<br />

Solch »radiofonischer« Verfremdungszauber ist ein akustisch reizvoller Höhenflug für<br />

experimentierfreudige Schüler. Dennoch: derartige Gestaltungsmittel bleiben hier außer<br />

acht, weil die notwendigen Geräte meist nur nach Terminabsprache zugänglich sind und<br />

zumindest in der Sekundarstufe I Arbeitsgruppen dazu verleiten können, daß sie ihre<br />

Manuskripte nur der Effekte wegen »konstruieren«. Dies ist jedoch den Zielsetzungen<br />

eines Hörspielprojekts im Deutschunterricht abträglich: Technik wird zum bloßen<br />

Selbstzweck, ohne daß mit ihr Inhalte unterstrichen, demonstriert, eröffnet werden.<br />

Die wichtigsten Arbeits- und Erkenntnisschritte im Überblick<br />

Die schrittweise Sensibilisierung der Lerngruppe an das »Wie« gliedert sich inhaltlich und<br />

zeitlich wie folgt:<br />

1. Einsteig: Erkennen der Wesensunterschiede zwischen einem audiovisuell<br />

wahrnehmbaren Medium (Video, Film, Fernsehen) und einem rein akustisch<br />

wahrnehmbaren Medium (Hörspiel).<br />

2. Erkenntnis der notwendigen Versprachlichung von Ort, Zeit, Situation, Personen.<br />

22


3. Erste Gestaltungsübung und vertiefende Hausaufgabe.<br />

4. Erster Eigenentwurf einer Szene; Thema: z. B. Frühstück.<br />

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

5. Reflexion der Ergebnisse. Schlußfolgerung: Auf den Kontext darf nicht explizit und<br />

vordergründig hingewiesen werden, indirekte Hinweise sind notwendig. Die natürliche<br />

Intonation ist wichtig. Zuviele Personen in einer kurzen Szene können vom Hörer nicht<br />

auseinandergehalten werden.<br />

6. Erarbeitung richtiger Wortwahl und des Tonfalls zur Verdeutlichung von Beziehungen<br />

zwischen Personen.<br />

7. Gestaltung von Charakteren. Arbeit an Text- oder Tonmaterial. Erstellung einer<br />

umfassenden Liste beschreibender Adjektive für Charaktere. Eigenentwurf einer<br />

Szene, in der nur drei vorher fixierte Charaktere auftreten dürfen. Ein Ortswechsel soll<br />

am Ende der Szene stattfinden. Thema z. B.: Pausenhofszene – Lehrer kommt in<br />

Raucherecke, »erwischt« zwei Schüler, bringt sie ins Sekretariat.<br />

8. Akustische Umsetzung der Szene aus 7; Reflexion der Ergebnisse unter dem<br />

Gesichtspunkt »Glaubwürdigkeit« der entworfenen Charaktere, der Dialoge, des<br />

Tonfalls, der Wortwahl. Erste Ideen zur Gestaltung des Szenenwechsels (hier: z. B.<br />

vom Schulhof ins Sekretariat) .<br />

9. Erarbeitung der Funktion und der Techniken des Szenenwechsels, Einführung des<br />

Terminus »Rückblende« als einer Form des Szenenwechsels ( = Zeitwechsel);<br />

Sensibilisierung für Hörräume, Raumakustiken, Geräusche und evtl. Musik;<br />

Herstellung von Geräuschen; Erkenntnis: sparsame Verwendung von Geräuschen ist<br />

notwendig.<br />

10.Einführung des Begriffes »innerer Monolog«; Verfassen eines inneren Monologs in<br />

Einzelarbeit.<br />

11.Erarbeitung der Funktionen des Erzählers.<br />

12.Wiederholung der Ergebnisse und Erkenntnisse; Übereinkunft zur Regieanweisung<br />

(Spaltenraster Wer spricht – Wie wird gesprochen – Was wird gesprochen); fakultativ:<br />

Bedeutung einer spannenden Exposition; Unterschiede zwischen analytischem und<br />

synthetischem Hörspielaufbau; ergiebige und unergiebige Themen; Schwerpunkt der<br />

Handlung; Grundtenor der Handlung<br />

Einstieg<br />

Das Hören ist eine der Lieblingsbeschäftigungen Jugendlicher, wenn sich dies auch<br />

weniger auf intensives Zuhören im Unterricht als auf die Rezeption von Musik bezieht.<br />

Auch wissen Schüler mit dem Begriff »Hörspiel« durchaus etwas anzufangen.<br />

Wahrscheinlich besitzen sie noch Märchenplatten oder -kassetten aus der Kinderzeit und<br />

haben gelegentlich Schulfunksendungen bzw. Tonkassetten des Instituts für Film und Bild<br />

23


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

(FWU) im Unterricht gehört: Nicht zuletzt sind ihnen kurze Hörszenen aus der täglichen<br />

Radiowerbung geläufig.<br />

Die erste Stunde der Erarbeitungsphase soll Anstöße dafür geben, daß Worte und<br />

Geräusche die Wesensmerkmale des Hörspiels sind und daß alle anderen<br />

Ausdrucksmittel ausgeschaltet bleiben. Es wäre verkehrt, nun einfach an den<br />

Übertragungskanal Telefon anzuknüpfen. Zwar erfolgt auch hier nur rein verbale<br />

Kommunikation, doch eine Kennzeichnung von Ort, Zeit, Personen für Dritte usf., sowie<br />

die Beteiligung mehrerer Personen ist im Fallbeispiel Telefonat nur schwer möglich.<br />

Genauso falsch wäre es, »mit der Tür ins Haus zu fallen« und den Gruppen den<br />

Arbeitsauftrag zu geben: Schreibt einmal eine Szene zum Thema » ... «. Wo wäre da der<br />

Sinnzusammenhang für die Schüler? Die erste Stunde muß den Schülern einen<br />

motivierenden Handlungsanlaß bieten und sie über eine konkrete Situation für das Wesen<br />

des Hörspiels sensibilisieren.<br />

Motivation zu schaffen, erfordert zwar ein bißchen Vorarbeit, bringt dafür aber das<br />

Anliegen »Sensibilisierung für das Hörspiel« rasch auf den Punkt: Hierzu benötigt man<br />

den Mitschnitt einiger Fernsehfilm-Sequenzen auf Videokassette. Am besten eignen sich<br />

Szenen aus einem Krimi, die aktionsgeladen sind, die aber auch immer Dialog und<br />

nonverbale Kommunikationsanteile implizieren (z. B. Achselzucken, Augenzwinkern,<br />

Kopfschütteln). Der Ausschnitt sollte relativ kurz und prägnant sein, etwa drei bis vier<br />

Szenenwechsel enthalten. Hat man eine geeignete Filmsequenz gefunden, zeichnet man<br />

die Tonspur des entsprechenden Ausschnitts auf einen Kassettenrekorder auf und<br />

präsentiert sie der Klasse. Die Schüler erwarten – unbewußt – hörergerecht aufbereitetes<br />

Sprachmaterial. Nun aber entsteht nach kurzem Zuhören Verwunderung: Die Szenen sind<br />

vom bloßen Höreindruck her völlig unzureichend, der Handlungsablauf kann nur<br />

fragmentarisch nachvollzogen werden. Geräusche (Reifenquietschen, Bremsen,<br />

Türenknallen) sind zwar teilweise identifizierbar, helfen jedoch bei der Interpretation des<br />

Geschehens kaum weiter. Aus den akustischen Mosaiksteinen entsteht kein Gesamtbild,<br />

da ursprünglich alles an den optisch vermittelten Kontext gebunden ist.<br />

An die Präsentation der Tonspur schließt sich eine Spontanphase an, in der die Schüler<br />

die unterschiedlichsten Vermutungen über den Sinnzusammenhang anstellen werden.<br />

24


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Auch sollte man sie schildern lassen, welche Szenerie sich vor ihrem geistigen Auge beim<br />

Hören auftat. Die Ergebnisse des »Kinos im Kopf« sind häufig verblüffend unterschiedlich.<br />

Das klärende Aha-Ergebnis folgt mit der Präsentation des Ausschnittes per Videorekorder<br />

über den Bildschirm. Die Lerngruppe wird dabei erkennen, wie sehr der imaginierte<br />

Kontext vom Handlungsablauf auf dem Bildschirm abweicht und wie stark sich die eigene<br />

Vorstellung der Handlungssorte von der filmischen Inszenierung unterscheidet. Sie erfährt<br />

hautnah, daß auf der »inneren Bühne« stets individuelle Schauplätze assoziiert werden,<br />

die auf Alltagserfahrungen und medial vermittelten Bildern gründen.<br />

Nach der Spontanphase kann ein Arbeitsauftrag erfolgen. Der Lehrer verteilt das<br />

Transkript einer Film-Sequenz, das in eine linke und eine rechte Hälfte unterteilt ist: links<br />

sind alle akustischen Elemente aufgelistet, die in der Szene enthalten sind, d. h. Dialoge<br />

und Geräusche; rechts stehen die optischen Elemente, d. h. die Bildinformationen. Im<br />

folgenden ein Beispiel für ein solches Arbeitsblatt.<br />

25


Arbeitsblatt 1<br />

Akustische und optische Informationen<br />

26<br />

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Die beiden Rubriken »akustische Information« und »optische Information« sind<br />

unabdingbar, damit die Schüler während der sich nun anschließenden Gruppenarbeit ihr<br />

Blatt in der Mitte umklappen können, um so noch einmal den Wegfall der optischen<br />

Elemente nachzuvollziehen. Es wird ihnen sofort ins Auge springen, an welchen Stellen<br />

Dialoge und Geräusche allein nicht genügend Aussagekraft besitzen.<br />

In arbeitsgleicher Gruppenarbeit sollen die Schüler dann versuchen, die vorliegende<br />

Sequenz so umzugestalten, daß die fehlenden optischen Elemente durch akustische<br />

Informationen ersetzt werden. Hierbei kommt es nur auf Gestaltungsideen an, nicht auf<br />

konsequente Ausformulierung. Stichpunktartige Notizen und Vorschläge, wie ein besseres<br />

Hörverstehen erzielt werden kann, reichen aus. (Eine zu intensive Beschäftigung mit<br />

diesem inhaltlich vorgegebenen Stoff »Krimi« soll nicht stattfinden, denn der Schwerpunkt<br />

der Unterrichtseinheit liegt in der eigenen Textproduktion.)<br />

Arbeitsgleicher Gruppenunterricht ermöglicht den kritischen Vergleich der Ideen und<br />

Vorschläge zur akustischen Aufbereitung der Krimisequenz. Dabei wird relativ rasch<br />

deutlich, wie unterschiedlich der gleiche Sachverhalt akustisch umgesetzt werden könnte.<br />

Schon jetzt bringen die Gruppen praktikable Vorschläge ein; gegenseitige Kritik ist bereits<br />

in dieser Phase zu erwarten. Erste Hinweise zum Einbau eines Erzählers oder Ideen für<br />

einen inneren Monolog (»der könnte doch irgendwie mit sich selbst reden«) sollten lobend<br />

registriert, aber nicht vertieft werden, da sie – in dieser Phase – davon zeugen, daß man<br />

27


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

es sich leicht machen will, weil man es noch nicht besser weiß. Erzähler und innerer<br />

Monolog sind gesonderte, wichtige Gestaltungselemente, die einer intensiveren<br />

Beschäftigung bedürfen (vgl. Seite 73 f. und 67 f.).<br />

Bei der Besprechung der Ergebnisse wird deutlich, daß es gar nicht nötig ist, alle<br />

optischen Informationen zu versprachlichen, da diese häufig redundant sind. Zur<br />

Vertiefung bekommen die Schüler eine Hausaufgabe gestellt: Sie sollen eine weitere<br />

Szene des Krimimitschnittes (möglichst keine Sequenz von Szenen wie in der Stunde)<br />

hörergerecht ausformulieren, d. h. diesmal sind sprachliche Details gefordert. Der<br />

Arbeitsauftrag könnte lauten: »Versuche, diese Szene so in Dialogform zu bringen, daß<br />

weitgehend alle wichtigen optischen Elemente in Deinem Hörbild akustisch vermittelt<br />

werden.« Als Orientierungshilfe dient den Schülern ein Arbeitsblatt, das genauso<br />

gegliedert ist wie das oben vorgestellte Beispiel. Da zu Hause mehr getan werden muß<br />

als nur Ideen zu skizzieren, muß die Szene entsprechend kurz sein.<br />

Weiterarbeit: Erste »Gehversuche«<br />

Die einzelnen Arbeitsgruppen sollen bald Gelegenheit zum Entwurf und zur Aufnahme<br />

einer ersten, eigenen Hörszene erhalten. Es muß sich um eine Situation handeln, die<br />

inhaltlich einfach zu bewältigen ist: Sie darf kein langes Sinnieren um einen<br />

Handlungsablauf implizieren und soll daher auf Alltagserfahrungen beruhen. Als<br />

Rahmensituation bietet sich hier z. B. das Thema »Frühstück« an. Jeder ist damit vertraut<br />

und kennt den üblichen, allmorgendlichen Gesprächsstoff. Das Frühstück läuft nach<br />

wiederkehrenden Ritualen und in Floskeln ab und enthält eine vorhersehbare<br />

Handlungsfolge.<br />

»Frühstück« nur durch Sprache und Geräusche vermitteln, heißt: es muß deutlich werden,<br />

daß die Familie nicht beim Mittagstisch sitzt und daß man sich nicht im Wohnzimmer oder<br />

Kinderzimmer unterhält, sondern in der Küche. Ort und Zeit sind also vorgegeben. Es<br />

bleibt den Gruppen überlassen, welche Personenkonstellation sie wählen. Die Begriffe<br />

Ort, Zeit, Personen usf. werden vom Lehrer nicht erwähnt, sondern sollen bei der<br />

Reflexion später von den Schülern möglichst selbst eingebracht werden. Man muß damit<br />

rechnen, daß das Erstellen dieser ersten, gemeinsamen Szene in manchen Klassen<br />

28


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

längere Zeit (ca. 30 Min.) in Anspruch nimmt, denn die Schüler stehen wahrscheinlich<br />

erstmals vor der ungewohnten Aufgabe, einen Gruppenkonsens zu selbsterdachtem Inhalt<br />

zu finden. Auf anfänglich lautstarke Meinungsverschiedenheiten, in denen sich dominante<br />

Schüler durchsetzen wollen und andere schmollend die weitere Mitarbeit zu verweigern<br />

drohen, muß man gefaßt sein, wenn man ein Hörspielprojekt startet. Auch wird gewiß viel<br />

Klamauk und Übertreibung in die erste Szene mit einfließen. Übrigens macht der recht<br />

simpel lautende Arbeitsauftrag »Frühstück« auch Schülern einer 9. Klasse noch viel Spaß,<br />

weil unerwartet geforderte Kreativität eine Herausforderung darstellt. Es ist zu erwarten,<br />

daß Elemente aus witzigen Fernsehsendungen, Slapstick, Werbung oder Comic-Heftchen<br />

(»klatsch«, »bumm«, »gähn«) imitiert oder verballhornt werden. Auch Geräusche können<br />

bereits stimmlich simuliert vorkommen.<br />

Die akustische Umsetzung der ersten Kurzszene »Frühstück« geht so vonstatten, daß<br />

jede Gruppe vor die Klasse tritt und nach einem Probedurchlauf ihre Szene in verteilten<br />

Rollen auf Band spricht. (Wer welche Rolle spricht, kann wiederum Zündstoff in sich<br />

bergen!) Auch bei einer Klasse, die sich bislang nicht dazu überreden ließ, Rollenspiele<br />

durchzuführen, ist in diesem Fall die Hemmschwelle gering. Durch die Rückendeckung<br />

der Gruppe (mit der man eben vielleicht noch stritt) fällt es selbst notorischen Rollenspiel-<br />

Gegnern leicht, vor der Klasse zu stehen: Sie sind nun nicht mehr eigenverantwortlich,<br />

sondern gruppenverantwortlich. Mikrofonangst bauen die Schüler meist selbstregulierend<br />

durch gegenseitiges Mutmachen ab. Der Lehrer braucht hier nicht aktiv zu werden.<br />

Während der Aufnahme der Frühstücksszene sollten Unterbrechungen bzw.<br />

Wiederholungen ausgeschlossen sein, damit jede Gruppe in dieser Stunde noch zum<br />

Zuge kommen kann. Außerdem geschieht dies aus der Überlegung heraus, daß man aus<br />

Fehlern lernt und diese ersten Versuche eine Fülle von Anknüpfungspunkten für die<br />

anschließende Reflexionsphase in sich bergen, z. B. Intonation, Identifizieren<br />

verschiedener Personen, Vielzahl der auftretenden Sprecher. Das Plenum braucht<br />

konkreten Gesprächsstoff, um kritisch reflektieren und für die Weiterarbeit Nutzen aus den<br />

ersten »Gehversuchen« ziehen zu können.<br />

29


Beurteilung der ersten Versuche<br />

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Es sei noch einmal daran erinnert, daß der Lehrer sich weitgehend zurückhalten und<br />

möglichst immer nur richtungsweisende Impulse setzen sollte; das Feed-back zu den<br />

Gruppenergebnissen muß hauptsächlich von Schülerseite kommen, damit die Gruppen<br />

voneinander lernen.<br />

Da zwischen der Aufnahme und dem Abhören der Gruppenergebnisse wahrscheinlich ein<br />

oder zwei Schultage liegen, entsteht kritische Distanz, auch zum jeweils eigenen<br />

Gruppenprodukt. Vor dem eigentlichen Abhören der Frühstücksszenen sollen sich die<br />

Gruppen zunächst an die Phase des Entwerfens und Niederschreibens erinnern und dem<br />

Plenum ihre Erfahrungen während des Entstehungsprozesses berichten. Dabei werden<br />

sie feststellen, daß alle ganz ähnliche Probleme hatten.<br />

Um dem Plenum eine bessere Auswertung der Gruppenergebnisse zu ermöglichen, ist es<br />

empfehlenswert, daß der Lehrer zu Hause das Tonmaterial abhört und die kurzen<br />

Gesprächsverläufe mit der Maschine abtippt. Die Transkriptionen werden den Schülern<br />

jedoch nicht gleich beim ersten Abhören ausgehändigt. Es ist wichtig, daß sie sich erst<br />

einmal ganz in die Hörerrolle hineinversetzen, um so besser beurteilen zu können, ob die<br />

jeweilige Gruppe das Thema »Frühstück« hörergerecht dargeboten hat. Erst nach einer<br />

Spontanphase zum Gehörten wird das jeweilige Transkript ausgegeben. Es dient als<br />

Orientierungshilfe, um beim zweiten Hören markante Stellen zu kennzeichnen, die gut<br />

oder weniger gut gelungen scheinen. Im folgenden ein Beispiel aus der Praxis: Es zeigt<br />

die abgetippten Arbeitsergebnisse von drei Gruppen.<br />

Gruppe 1<br />

W 1: Das Frühstück ist fertig! Kommt mal alle in die Küche.<br />

M 1: Moment, Mama!<br />

W 2: Ich hab keinen Hunger, Papa. Außerdem muß ich noch meine Tasche packen.<br />

M 2: Das kann man ja wohl abends machen. Hock dich hin!<br />

30


W 2: Okay, dann eß ich eben noch was.<br />

M 1: Guten morgen, hier bin ich.<br />

W 2: Es war doch gut, daß ich noch was gegessen hab.<br />

M 1: Mutti, gib mir bitte mal die Milch.<br />

M 2: Ja, Udo! Das ist gesund!<br />

Es klingelt<br />

W 2: Ach, da sind schon Aless und Jens.<br />

Es poltert<br />

M 2: Was wollen die schon hier?<br />

W 1: Die holen die Kinder zur Schule ab.<br />

W 3: Guten morgen, seid ihr fertig?<br />

M 3: Können wir gehn?<br />

Alle: Tschüs!<br />

Gruppe 2<br />

W 1: Das Frühstück ist fertig!<br />

M 1: Guten morgen, Mama.<br />

W 1: Wo bleibt denn Linda? Es ist schon Viertel nach sieben.<br />

M 1: Was weiß ich!<br />

M 2 und3: Guten morgen, Elfriede.<br />

31<br />

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de


Radiowerbung-Erkennungsmelodie<br />

M 2: Wie sieht's denn hier in der Küche aus?<br />

W 1: Ich hab genug Arbeit zu tun. Ich kann nicht alles auf einmal machen.<br />

M 3: Wo ischt mein Gebisch? Ohne kann ich nicht miteschen.<br />

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

W 2: Opa! Das Gebiß liegt doch im Bad im Glas. Mach mal das Radio lauter.<br />

M 3: Mach mal leiser!<br />

W 2: Tschüs, wir gehn jetzt in die Schule.<br />

M 1: Ja, tschüs.<br />

M 3: Ich leg mich noch mal aufs Ohr.<br />

W 1: Ja ja, mach nur.<br />

Gruppe 3<br />

M 1: Heinz, Jörg, Michael! Essen kommen! Wo bleibt mein Kaffee, Linda?<br />

W 1: Der steht schon auf dem Tisch, du brauchst ihn dir nur noch einzuschenken.<br />

M 1: Dankeschön. Wo bleibt denn Jörg? Jeden Samstag und Sonntag morgen<br />

dasselbe ...<br />

M 2: Uuääh ...<br />

M 1: ... mit dieser Schlafmütze!<br />

M 2: Guten Morgen, Papi, uuääh<br />

M 3: Kommt diese Schlafmütze auch mal runter?<br />

32


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

W 1: Ja ja, nachts geht er nicht ins Bett und morgens kommt er nicht raus. Nimm dir mal<br />

ein Beispiel an Michael!<br />

Es ist hilfreich, wenn man auf dem entsprechenden Arbeitsblatt die verschiedenen<br />

Sprecherstimmen als M 1, M 2, M 3 ( = Männliche Sprecher) bzw. W 1, W 2, W 3 ( =<br />

Weibliche Sprecher) ausweist und nicht die Namen der jeweils sprechenden Schüler<br />

verwendet. Auf diese Weise muß die Klasse beim Nachlesen von den – ihnen bestens<br />

vertrauten – Stimmen ihrer Mitschüler abstrahieren und stellt bald fest, daß zuviele<br />

Personen in sehr kurzen Szenen auftreten. Die Klasse wird damit auch in die Lage eines<br />

neutralen Hörers versetzt, der so viele unterschiedliche, ihm nicht bekannte Stimmen<br />

unmöglich auseinanderhalten kann. Aus dieser Erfahrung können die Schüler in der<br />

Auswertungsphase später eine erste, wichtige Faustregel für künftige Dialogtexte<br />

ableiten: Keinesfalls den Hörer mit vier oder gar sechs Stimmen gleichzeitig konfrontieren!<br />

Darüber hinaus werden die Schüler merken, daß Hörspielfiguren, die nicht oft genug zu<br />

Wort kommen, sich sozusagen »in Luft auflösen«, d.h., vom Hörer vergessen werden.<br />

Man sieht sie ja nicht – wie im Fernsehen – kauend, aber schweigend am Tisch sitzen.<br />

Bei der Besprechung der Ergebnisse werden die Gruppen anfänglich in die Defensive<br />

gehen, wenn Kritik von anderen kommt. Ich habe selbst die Erfahrung gemacht, daß zu<br />

Beginn eines solchen Projektes um den eigenen Text regelrecht gekämpft wird, da sich<br />

die Gruppen sehr viel stärker mit ihrem selbsterdachten Produkt identifizieren, als dies bei<br />

»normaler« Gruppenarbeit der Fall ist. So reagieren sie häufig gekränkt. Man kann<br />

beobachten, daß die Gruppen beginnen, sich gegenseitig zu reglementieren, wenn<br />

andere nicht richtig zuhören. Dies ist ein wichtiger Schritt: Schüler kommunizieren nicht<br />

mehr für den Lehrer, sondern miteinander.<br />

Bei der Besprechung der Hörszenen sollen folgende Fragen aufgeworfen werden:<br />

• Was wird gesprochen?<br />

• Wie wird gesprochen?<br />

• Wer spricht?<br />

• Wo spielt sich die Szene ab?<br />

• Wann spielt sich die Szene ab?<br />

33


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Einige Schülerreaktionen zu den drei oben genannten Szenentranskripten zeigen<br />

beispielhaft Reflexionsergebnisse in dieser Phase. Sie zielen bereits ab auf die<br />

angemessene Versprachlichung von kommunikativen Absichten, auf kontextgebundenes<br />

Sprechen unter Bedingungen kontextfreien Sprechens, auf Verdeutlichung der<br />

Charaktere, richtige Intonation und natürlichen Redefluß:<br />

»Kommt mal alle in die Küche«, klingt unnatürlich, würde man nicht sagen. Besser ist es,<br />

Worte wie »Toaster« oder »Kühlschrank« einzuflechten. / »Essen kommen«, sagt man<br />

nicht beim Frühstück. / »Hock dich hin«, klingt sehr streng, das bekommt man nur gesagt,<br />

wenn jemand auf sein Kind sauer ist. Ein normaler Vater würde das nicht sagen. / Die<br />

Stimme des Vaters klingt »zu lasch«. / Die Mutter redet so wenig. / Man weiß gar nicht,<br />

wer das Kind und wer die Schwester und wer die Mutter ist. / Das klingt alles unecht, viel<br />

zu abgelesen. / Zwischen den Äußerungen »Dann eß ich eben doch noch was« und »war<br />

doch gut, daß ich noch was gegessen hab« steht nur ein einziger Satz. So schnell kann<br />

niemand alles herunterwürgen.<br />

Der Lehrer hält während des Unterrichtsgespräches stichpunktartig die Kritikpunkte an der<br />

Tafel fest; sie werden später auf einen Lehrerimpuls hin von der Klasse in die oben<br />

bereits erwähnten »Faustregeln« umformuliert. (Bei den Stichpunkten sollte man bereits<br />

auf eine optische Gliederung in achten, um den Schülern die nachfolgende Erstellung von<br />

Regeln zu erleichtern, z. B. Inhalt, Stimme, Personen.)<br />

Folgende »Faustregeln« wurden z. B. als Schlußfolgerung von den Schülern abgeleitet:<br />

• Die Texte dürfen nicht abgelesen klingen.<br />

• Es dürfen nicht zu viele Personen auftauchen; wenn zu viele reden, weiß keiner, wer<br />

was ist.<br />

• Es ist eine gute Idee, einen Dialekt einzubauen. Wenn die betreffende Person dann<br />

wieder spricht, erkennt man sie sofort.<br />

• Man muß immer wieder mal einen Namen nennen, damit man weiß, wer Vater, Mutter,<br />

Kinder usw. sind.<br />

• Die einzelnen Sprecher müssen mehr als nur einen Satz sagen.<br />

• Es sollen diejenigen Schüler eine Rolle sprechen, die zu der Rolle am besten passen<br />

oder die die Rolle gut nachmachen können.<br />

34


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

• Man muß das, was geredet wird, vorher so aufschreiben, wie es in Wirklichkeit gesagt<br />

wird, sonst hört sich das an wie im Lesebuch.<br />

• Man benutzt Reizwörter, bei denen jeder gleich versteht, worum es geht: Butter,<br />

Brötchen usw.<br />

Eine Neufassung der Frühstücksszene ist nicht vorgesehen, da dies die Schüler ermüden<br />

würde. Nach eingehender Beschäftigung mit allen Gruppenergebnissen soll das Gelernte<br />

in einem späteren Gestaltungsversuch Anwendung finden.<br />

Vertiefung<br />

Zur Vertiefung (im Klassenverband oder als Hausaufgabe) eignet sich ein abgetippter<br />

Hörspielausschnitt aus Erwin Wickerts »Der Klassenaufsatz« 15 . Das Hörspiel wurde 1954<br />

zum ersten Mal vom Südwestfunk gesendet. Ich habe es ausgewählt, weil es sich in<br />

verschiedenen Phasen der Erarbeitung vorzüglich zur Darstellung wichtiger sprachlicher<br />

und technischer Gestaltungselemente eignet.<br />

»Der Klassenaufsatz« spielt im Jahre 1954, und zwar an dem Tag, an dem der alte Lehrer<br />

Siebusch beerdigt worden ist. Sein ehemaliger Schüler Geiger kehrt noch einmal zurück<br />

zu seiner alten Schule, in der er vor fast dreißig Jahren sein Abitur bestand. In seinem<br />

damaligen Klassenraum verbindet Geiger in 35 Zeit- und Raumblenden die<br />

Einzelschicksale der sieben Operprimaner zu einem Mosaikbild seiner Generation: Ihre<br />

Lebenspläne, die sie in dem vom alten Siebusch gestellten Aufsatzthema »Wie ich mir<br />

mein Leben vorstelle« 1926 kundtun, werden durch private Probleme, aber auch durch die<br />

Wirren des Zweiten Weltkriegs zunichte gemacht. Der Schüler Müller-Detmold begeht<br />

Selbstmord; Lohmann wird durch einen Sturz zum Invaliden; von Scholz stirbt den<br />

Soldatentod; Eva erlebt einen lieblosen Alltag; Geiger ist selbstkritisch verbittert und<br />

Kilian, der schon als Schüler schüchtern und melancholisch war, endet im Irrenhaus, wo<br />

er von den Nazis »eliminiert« wird. Geiger fungiert als moderierender Erzähler und<br />

Mitspieler zugleich, der durch seine Erinnerungen an frühere Dialoge, durch Zeitsprünge<br />

zwischen dem Jetzt, der Schulzeit und dazwischenliegenden Begebenheiten subtil die<br />

15 Erwin Wickert: Der Klassenaufsatz. Hörspiel. Produktion: Südwestfunk Baden-Baden 1954; Regie: Gerd<br />

Westphal. Laufzeit: 56 Minuten. Bildstellen-Verleihnummer 2200283 (FWU). Siehe Textheft unter<br />

Anmerkung 26 f.<br />

35


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Aufsatzthemas (oder des Lebens überhaupt?)<br />

nahelegt.<br />

Die verschiedenen Ausschnitte aus Wickerts »Klassenaufsatz« sind so gewählt, daß sie<br />

zum Einstieg oder zur Vertiefung eines bestimmten Gestaltungselementes dienen<br />

können; sie verstehen sich als Möglichkeit, nicht als Muß. Die Textausschnitte stellen<br />

einen jeweils in sich geschlossenen Sinnzusammenhang dar und vermeiden bewußt eine<br />

intensive Beschäftigung mit dem Hörspiel als Gesamtkunstwerk.<br />

36


Arbeitsblatt 2: Ort – Zeit – Personen<br />

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Geiger: Es ist noch dasselbe alte Eisentor. Ich gehe über den Hof zum Schülereingang. Der Himmel ist<br />

wieder klar, und die Sonne scheint; aber von den Blättern der Kastanienbäume fallen noch Tropfen. Die<br />

Steintreppe ist in den vergangenen achtundzwanzig Jahren abgewetzt worden. Überhaupt ist alles<br />

schäbiger. Oder war es früher auch schon so, ohne daß es uns aufgefallen wäre? ... Hallo? Hallo? – Herr<br />

Schreiber? ... Hallo?<br />

Schirmer: Ja?<br />

Geiger: Sind Sie der Schuldiener?<br />

Schirmer: Der Hausmeister. Ja.<br />

Geiger: Herr Schreiber ist wohl nicht mehr da? Er war Schuldiener – Hausmeister, als ich hier zur Schule<br />

ging.<br />

Schirmer: Schreiber? Nee, kann ich mich nicht erinnern. Ich bin doch schon siebzehn – Jahre hier.<br />

Geiger: Das war lange, vorher. Vor achtundzwanzig Jahren. Ich komme mit einer ganz ausgefallenen Bitte.<br />

Ich möchte gern, noch einmal die Schule sehen. Ich habe gar keinen besonderen Grund. Ich kam nur einmal<br />

hier vorbei.<br />

Schirmer: Ach, so ausgefallen ist das gar nicht. Es kommen gelegentlich schon mal alte Schüler wieder ...<br />

Aber da müßte ich erst mal die Schlüssel holen. Die Klassen sind heute nachmittag alle zu.<br />

Geiger: Ach! Alle?<br />

Schirmer: Bis auf die Oberprima. Die haben heute um vier Uhr nochmal Unterricht. Weil zwei Stunden heute<br />

vormittag ausgefallen sind. Wegen der Beerdigung. Wenn Sie raufgehen wollen. Ich bin dazu wohl nicht<br />

nötig?<br />

Geiger: Ist die Oberprima noch oben neben dem Zeichensaal?<br />

Schirmer: Ja, immer noch. Dritter Stock, neben dem Zeichensaal rechts. In einer halben Stunde ist wieder<br />

Unterricht, aber so lange wird's, ja wohl nicht dauern.<br />

***********<br />

• Durch welche Stichworte gibt der Autor Erwin Wickert dem Hörer gleich zu Beginn Auskunft darüber,<br />

wohin Geiger gehen will (Ort)?<br />

• Durch welche Hinweise hast du erfahren, zu welchher Tageszeit (morgens? mittags? abends?) die<br />

Szene spielt?<br />

• Wie alt mag Geiger wohl etwa sein, und welche Hinweise im Text helfen dir, dies herauszufinden<br />

(Personen)?<br />

37


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Erarbeitung der Beziehungen zwischen Personen: Tonfall und Wortwahl<br />

In dieser Projektphase findet Metakommunikation statt. Die Schüler erkennen den<br />

Unterschied zwischen symmetrischer und komplementärer Kommunikation;<br />

Sprachverwendung wird auf ihre Abhängigkeit von Rollen hin reflektiert. Auch wird<br />

deutlich, daß indirekte Mitteilungen, die häufig unbewußt ausgesprochen oder<br />

wahrgenommen werden, etwas über die Beziehungen zwischen Personen aussagen. Aus<br />

sprachlichen Äußerungen lassen sich auf zweierlei Art Rückschlüsse auf das Verhältnis,<br />

in dem zwei Dialogpartner zueinander stehen, ziehen: Zum einen durch die Wahl der<br />

Worte, mit denen kommunikative Absichten transportiert werden, zum anderen durch den<br />

Tonfall. Zur Einstimmung kann ein weiterer Ausschnitt aus Wickerts Hörspiel »Der<br />

Klassenaufsatz« in Form eines Arbeitsblatts herangezogen werden (s. Arbeitsblatt 3).<br />

Gleichzeitig wird hierbei ohne explizite Benennung in die Formalia der Regieanweisung im<br />

Hörspiel eingeführt (Wer spricht? Wie wird gesprochen? Was wird gesprochen?).<br />

Siebusch und Kilian sind keine gleichgestellten Personen; Siebusch ist deutlich<br />

überlegen. Am besten, man läßt die Schüler den Ausschnitt mehrmals in verteilten Rollen<br />

laut vorlesen und die richtige Betonung in die offengelassenen Klammern eintragen. Hier<br />

erfahren sie bereits in Ansätzen, wie eine richtige Regieanweisung im Hörspiel<br />

auszusehen hat, nämlich wer spricht, wie betont und was gesagt wird.<br />

Das Was und Wie soll nun noch genauer beleuchtet werden. Ein und derselbe Satz kann<br />

durch verschiedene Intonation eine völlig andere Bedeutung erhalten. Man kann eine<br />

beliebige Menge passender Beispielsätze finden und die Schüler die unterschiedlichen<br />

Absichten des Sprechers vermuten lassen. So könnte ein Tafelanschrieb wie folgt<br />

aussehen:<br />

• Wollen Sie nicht hereinkommen?<br />

• Wollen Sie nicht hereinkommen?<br />

• Wollen Sie nicht hereinkommen?<br />

• Wollen Sie nicht hereinkommen?<br />

38


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Je nachdem, wie der obige Satz betont wird, meint er etwas anderes. Man kann ihn<br />

vorwurfsvoll, zaghaft, ironisch, liebevoll sprechen oder sogar brüllen.<br />

39


Arbeitsblatt 3: Beziehungen zwischen Personen (a)<br />

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Geiger befindet sich in seinem alten Klassenraum und erinnert sich. Sein Lehrer Siebusch<br />

hatte die Aufsatzhefte zurückgegeben. Ein Schüler, Kilian, achtet nicht darauf, was<br />

Siebusch spricht. Er starrt aus dem Fenster. Siebusch bemerkt es und ruft Kilian plötzlich<br />

auf.<br />

**********<br />

Siebusch: (..........) Kilian, was meinen Sie dazu?<br />

Kilian: (..........) Bitte?<br />

Siebusch: (..........) Sie haben wieder zum Fenster hinausgeschaut, Kilian. Was sehen Sie<br />

denn nur da draußen?<br />

Kilian: (..........) Die Kastanienbäume.<br />

Siebusch: (..........) Nun werden Sie auch noch unverschämt. Ich verbitte mir das! In der<br />

nächsten Stunde wechseln Sie Ihren Fensterplatz mit dem Geiger.<br />

Kilian: (..........) Verzeihung, ich wollte gar nicht unverschämt sein. Ich dachte nur ...<br />

Siebusch: (..........) Es ist gut.<br />

**********<br />

40


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Darüber hinaus gibt es Sätze, die prinzipiell ähnliche Aussagen enthalten, sich aber doch<br />

wesentlich – durch veränderte Wortwahl – voneinander unterscheiden (Tafelanschrieb<br />

oder Arbeitsblatt 4).<br />

Nur wenige Änderungen im Wortlaut oder in der Betonung lassen uns sofort wissen, ob<br />

ein Mensch einen anderen mag oder nicht, ob man sich kennt oder sich fremd ist. Durch<br />

das Was und Wie kann man zwar nicht immer erkennen, welchen Charakter ein Mensch<br />

hat, aber man vermag schnell festzustellen, in welcher Laune er sich befindet, ob er sich<br />

gut oder schlecht fühlt und wie sein momentanes Verhältnis zum Dialogpartner ist.<br />

Die beiden Aussagen im Arbeitsblatt 4 (Beispiel 1 und 2) werden von den Schülern laut<br />

vorgetragen und nach dem gleichen Verfahren vervollständigt wie beim<br />

»Klassenaufsatz«.<br />

Ausgesprochen gut zur Vertiefung des Themas »Beziehungen zwischen Personen«<br />

eignet sich ein Lied »Sabine« der Gruppe »Trio« (s. Arbeitsblatt 5). Es handelt sich um<br />

einen gesprochenen Text, der mit Hintergrundmusik unterlegt ist. Die ganze Zeit über ist<br />

nur eine männliche Stimme beim Telefonat zu hören: Ein junger Mann ruft bei dem<br />

Mädchen Sabine an. Er klingt zielstrebig und forsch in seinem Vorhaben, mit ihr ein<br />

Treffen zu vereinbaren. Ihre Antworten sind zwar nicht zu hören, liegen aber auf der Hand<br />

durch die Reaktionen, die sie in dem jungen Mann hervorrufen. Seine Verunsicherung<br />

drückt sich an keiner Stelle durch Worte, sondern nur durch Intonation aus: er beginnt,<br />

zögernder zu sprechen, bricht Sätze ab. Dann wieder gibt er Gleichgültigkeit vor, dann ist<br />

er beleidigt, dann verärgert, enttäuscht. Akustisch gelungen umgesetzt ist sein Hin- und<br />

Hergerissensein zwischen romantischen Gefühlen und dem Wunsch, sein Gesicht zu<br />

wahren, indem er das Gegenteil des Gemeinten beteuert, ja gar am Ende den<br />

Gelangweilten spielt.<br />

Wer keinen Zugang zur Liedversion von »Sabine« hat, kann auch nur mit dem hier<br />

abgedruckten Text arbeiten. In beiden Fällen ist die erste Spalte (Betonung) beim<br />

Kopieren des Textes abzudecken, da sie von den Schülern selbst gefunden und<br />

eingetragen werden soll.<br />

41


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Nachdem sie das Lied gehört und sich spontan dazu geäußert haben, wird es ein zweites<br />

Mal dargeboten, wobei die Schüler in die erste Spalte (vor den gesprochenen Text) die<br />

jeweilige Intonation des Satzes eintragen.<br />

Im Unterrichtsgespräch werden folgende Fragen geklärt:<br />

• Wie verläuft das Telefonat?<br />

• Wie reagiert der Anrufer auf Sabine und warum?<br />

• Wie reagiert sie vermutlich auf ihn?<br />

• Weshalb ändert der Anrufer sein Verhalten mehrmals?<br />

42


Arbeitsblatt 4: Beziehungen zwischen Personen (b)<br />

1. Komm rein.<br />

2. Komm mal rein.<br />

3. Mach, daßdu reinkommst!<br />

4. Nun kommen Sie schon rein.<br />

5. Wollen Sie nicht auf einen Sprung hereinkommen?<br />

6. Treten Sie bitte ein.<br />

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Arbeitsauftrag. Überlege, wer in welcher Situation den jeweiligen Satz zu wem sagen<br />

könnte.<br />

Beispiel 1:<br />

Mann: (..................) Na hör mal! Ich war zuerst hier mit, meinem Auto! Da park ich jetzt!<br />

Ist das klar? Also ein für allemal: ich parke da mit meinem Auto! Hier, auf dieser Stelle!<br />

Das ist mein Platz, klar!?<br />

Beispiel 2:<br />

Mann: (...................) Verzeihung aber ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß<br />

ich mit meinem Wagen vor Ihnen da war, und daß ich mich ebenfalls auf der Suche nach<br />

einem Parkplatz befinde. 16<br />

16 Hessischer Rundfunk, Schulfunk, 10teilige Sendereihe »Elemente des Hörspiels«, Beispiele 1 und 2 sind<br />

Teil VII entnommen. Ausgestrahlt 1986 und 1987.<br />

43


Arbeitsblatt 5: Trio – »Sabine«<br />

44<br />

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de


45<br />

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Zum Thema »Stimme« und »Intonation« gibt es eine Fülle von Beispielen in einer<br />

Schulfunkproduktion des Hessischen Rundfunks. Die zehn jeweils ca. 15 Minuten langen<br />

Sendungen »Elemente des Hörspiels« 17 können von den hessischen Bildstellen entliehen<br />

bzw. gegen Einsendung zweier 90-Minuten-Leerkassetten überspielt werden, wenn eine<br />

schriftliche Genehmigung der Schulfunkabteilung des HR beiliegt. In einer Vielzahl von<br />

Hörbeispielen gibt die Schulfunkproduktion Einblick in das Wesen des traditionellen und<br />

modernen Hörspiels; zur Demonstration unterschiedlicher Betonung eignen sich<br />

Abschnitte aus Teil 1 (aber auch III und VII), wobei der Text vom distanziert-neutralen<br />

Nachrichtenstil bis hin zum zärtlich-sanften Gesäusel dargeboten wird. Das Moment<br />

»Beziehungen zwischen Personen« allerdings bleibt ausgeklammert, da jeweils derselbe<br />

Text immer von nur einem Sprecher verlesen wird. In Teil 1 finden sich zusätzlich<br />

Beispiele für die Wirkung veränderten Abstandes zwischen Sprecher und Mikrophon<br />

sowie für die Wirkung einer musikalischen Untermalung. Solche Gestaltungsmittel<br />

kommen aber erst in der zweiten Hälfte der Erarbeitungsphase zur Sprache.<br />

Vertiefung: Bewußte Gestaltung von Charakteren<br />

Zwar ist die Einsicht in die Flexibilität des situativen Verhaltens von Menschen von großer<br />

Bedeutung, aber es reicht nicht aus, wenn die Schüler beim Entwurf ihres<br />

Hörspielmanuskriptes nur der Ebene »Beziehungen zwischen Personen« verhaftet<br />

bleiben. Die Arbeitsgruppen sollen in die Lage versetzt werden, vor dem Entwurf ihres<br />

späteren »großen« Hörspiels glaubhafte Charaktere zu ersinnen. Diese müssen deutliche<br />

Wesenszüge tragen, bestimmte Eigenschaften und Verhaltensdispositionen haben. Die<br />

Zugehörigkeit einer Hörspielfigur zu einer bestimmten Gesellschaftsschicht, einem Milieu,<br />

einer Altersgruppe muß in entsprechender Sprachverwendung deutlich und bei der<br />

Gestaltung der Charaktere selbstverständlich beibehalten werden. Die Handlungsmotive<br />

einer Hörspielfigur müssen für den Hörer transparent, d. h. logisch nachvollziehbar sein.<br />

Der Hörer darf nicht durch die Willkür eines Verfassers irritiert werden, der »sprunghafte«<br />

17 Ebd., Bildstellen-Verleihnummer (hess. Bildstellen): Teil I: H 258/ Teil II: H 270/ Teil III: H 281/ Teil IV: J<br />

114/ Teil V: J 124/ Teil VI: J 137/ Teil VII: J 303/ Teil VIII: J 315/ Teil IX: K 56/ Teil X: K 67. Zu jeder<br />

Produktion gibt es schriftliches Informationsmaterial, das über den HR Schulfunk sowie über die<br />

hessischen Bildstellen zu beziehen ist. Die Sendungen sind so konzipiert, daß das jeweilige<br />

Gestaltungselement anhand von Hörbeispielen demonstriert und eingehend kommentiert wird. Im<br />

schülerzentrierten Unterricht sollten jedoch stets nur ausgewählte Abschnitte aus den Sendungen<br />

vorgestellt werden, die den eingebauten Moderator (als Lehrerersatz) außer acht lassen.<br />

46


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Personen entwirft, die teilweise unberechenbar, unglaubwürdig, undurchsichtig<br />

erscheinen. So wäre es zum Beispiel undenkbar, daß im »Klassenaufsatz« der<br />

schüchterne Schüler Kilian seinen Lehrer Siebusch plötzlich anbrüllte. Wenn ein Mensch<br />

sich unerwartet verhält, muß dafür auch ein triftiger Grund vorliegen. Möglicherweise hat<br />

er etwas erlebt, das ihm die Augen öffnete. Vielleicht hat er lange über sein Leben, sein<br />

Verhalten nachgedacht.<br />

Ohne tieferes Sich-Hineinversetzen in die zu entwerfenden Hörspielfiguren und deren<br />

Erhellung mit Hilfe des Mediums Sprache ist in den Arbeitsgruppen keine wirklich<br />

anspruchsvolle Hörspielarbeit denkbar. Doch wie bringt man die Schüler auf den Weg<br />

dorthin? Die meisten haben im Deutschunterricht bereits Kurzgeschichten interpretiert und<br />

wurden dazu angehalten, Handlungsmotive bestimmter Personen aufzudecken. Bereits in<br />

den Klassen 5 und 6 bekommen sie häufig Arbeitsaufträge zu Lesebuchtexten u. ä., die<br />

auf Personenbeschreibungen (z. B. Sammlung beschreibender Adjektive) abzielen.<br />

Allerdings ist es wesentlich schwieriger, den Transfer von der Rezeptionsebene in die<br />

Produktionsebene zu leisten. Dies fordert ein beachtliches Maß an<br />

Wahrnehmungsfähigkeit und Erfahrung im Umgang mit anderen Menschen. Die Personen<br />

aus dem ersten Gestaltungsversuch »Frühstücksszene« besitzen noch keine klaren<br />

Umrisse, wenn auch sicherlich Figuren gezeichnet wurden, die aufgrund der Intonation<br />

und bestimmter sprachlicher Merkmale unweigerlich im Gedächtnis haften bleiben. Man<br />

muß allerdings grundsätzlich davon ausgehen, daß aufgrund ihres Erfahrungshorizonts<br />

nur wenige Schüler der Sekundarstufe 1 in der Lage sind, komplexe Charaktere zu<br />

entwerfen. Zu erreichen ist aber, daß Hauptfiguren keine überzeichneten Typen sind, kein<br />

Abklatsch aus Fernseh- oder Videoproduktionen, Karikaturen von Vätern, Müttern,<br />

Lehrern usf. Die Beschäftigung mit dem Lied »Sabine« hat die Schüler bereits dafür<br />

sensibilisiert, daß Personen nicht nur statische, starre Rollen innehaben, sondern sich<br />

flexibel verhalten, weil sie in stetem Austausch mit ihrer Umgebung stehen und situativen<br />

bzw. reflektiven Veränderungen unterworfen sind. Im Hörspiel fügen sich die<br />

verschiedenen Verhaltensweisen, Gedanken und Handlungen zu einem Gesamtbild<br />

»Charakter« zusammen; der Hörer lernt die Figur – wie in der Realität – langsam kennen.<br />

47


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Der »Klassenaufsatz« bietet Abschnitte, die zur Darstellung gänzlich unterschiedlicher<br />

Charaktere geeignet sind. Ich habe den Schüler Müller-Detmold zum einen, den<br />

schüchternen Kilian zum anderen ausgewählt.<br />

48


Arbeitsblatt 6: Verhaltensweisen und Wesenszüge: Kilian<br />

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Lehrer Siebusch ruft den Schüler Kilian auf. Er soll seinen Aufsatz »Wie ich mir mein<br />

Leben vorstelle« vorlesen.<br />

**********<br />

Geiger: Kilian war verlegen, als Siebusch ihm den Aufsatz zurückgab. Er strich sich das<br />

Haar aus der Stirn, wurde rot, setzte sich wieder hin, stand wieder auf.<br />

Siebusch: Warum lesen Sie denn nicht vor, was Sie geschrieben haben, Kilian?<br />

Kilian: Vorlesen? Ja, aber ich weiß nicht. Gut. Es ist eigentlich kein Aufsatz.<br />

Siebusch: Zieren Sie sich? Wollen Sie nicht?<br />

Kilian: Es ist eigentlich kein Aufsatz. Ich weiß nicht, ob ich mich verständlich machen<br />

kann. Ich habe das so ausgedrückt:<br />

Wer weiß denn, wo wir stehen!<br />

Ob am Morgen oder am Abend.<br />

Siebusch: Ein bißchen lauter, bitte, Kilian!<br />

Kilian: ...<br />

Wer weiß denn, wo wir stehen!<br />

Du glaubst, zu lieben,<br />

Aber der Mund, den du küßt,<br />

ist schon zahnlos<br />

Und die Finger geschwollen.<br />

Du zeichnest Wege für deine Schritte,<br />

Aber dann gehst du rückwärts,<br />

Oder du springst in die Kluft...<br />

Du träumst, du seiest noch ganz,<br />

Aber plötzlich zerspringst du,<br />

Wie die Schale einer Kastanie.<br />

Wer weiß denn, wohin wir gehen!...<br />

Siebusch: Unser Thema hieß: Wie ich mir mein Leben vorstelle. Von Ihrer Zukunft<br />

erfahren wir jedoch aus Ihrem Gedichtaufsatz nichts. Wenn ich Sie recht verstehe,<br />

umkreisen Sie nur immer den Gedanken, daß das ganze Thema Unsinn ist; daß wir<br />

überhaupt keine Vorstellung von unserer Zukunft haben können; daß wir uns dauernd<br />

irren. Wollten Sie das sagen?<br />

49


Kilian: Ich weiß nicht, ob ich mich verständlich machen kann...<br />

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Siebusch: Ach Gott, Kilian, lassen Sie doch diese Redensart! Sie irritiert mich, je öfter ich<br />

sie höre. Ich frage mich: Ist das, was Sie in Ihrem Gedicht ausdrücken, die rechte Haltung<br />

dem Leben und der Zukunft gegenüber? Haben Sie sich denn gar keinen Plan gemacht,<br />

sich kein Ziel gesteckt?<br />

Kilian: Nein.<br />

Siebusch: Nein?<br />

Kilian: Ich weiß auch nicht, aber als eben diese Aufsätze vorgelesen wurden, hatte ich<br />

wieder das gleiche Gefühl.<br />

Siebusch: Welches denn?<br />

Kilian: Das Gefühl, das auch aus dem Gedicht spricht – daß man manchmal so erschrickt.<br />

Geiger: Siebusch schüttelte den Kopf und gab es auf.<br />

**********<br />

Arbeitsauftrag: Erstellt eine Liste mit Adjektiven, die Euch zur Person »Kilian« einfallen.<br />

Weiche Lebenseinstellung hat er, und mit weichen Worten könnte man seinen Charakter<br />

am besten beschreiben?<br />

50


Arbeitsblatt 7: Verhaltensweisen und Wesenszüge: Müller-Detmold<br />

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Müller: Also: Müller-Detmolds 50-Jahresplan. Ich werde Jurisprudenz studieren, und zwar die ersten beiden<br />

Semester in Kiel, dann zwei Semester in Heidelberg und die letzten vier Semester in Berlin. Im achten<br />

Semester werde ich das Referendarexamen bestehen. Dreieinhalb Jahre werde ich mich auf das<br />

Gerichtsassessor-Examen vorbereiten, das ich mithin im Jahre 1932 bestehen werde. Ich beabsichtige,<br />

dann in die Verwaltungslaufbahn einzutreten. Die Ernennung zum Regierungsrat wird nach meiner<br />

Berechnung 1936 erfolgen. Ein Jahr danach heirate ich. Kinder erwarten wir 1939 und 1940 – ... Ich werde<br />

zwar schon an 1938 in der Besoldungsklasse A 2 C 2 sein, möchte aber bis zur Gründung einer Familie<br />

noch die erste Gehaltserhöhung abwarten. Meine Frau und ich werden unsere Familie auf die eben<br />

erwähnten zwei Kinder beschränken.<br />

Geiger: Söhne oder Töchter?<br />

Siebusch: Müller-Detmold, fahren Sie bitte fort!<br />

Müller: Ich wette gerne mit Geiger, daß ich meine Ziele zu den festgesetzten Zeitpunkten erreiche. Die<br />

Entscheidung, ob Sohn oder Tochter, will ich mir noch vorbehalten. Und zwar wette ich um eine Flasche<br />

Sekt, daß ich jede Stufe ...<br />

Siebusch: Das können Sie in der Pause abmachen. Also bitte weiter!<br />

Müller: Die Ernennung zum Oberregierungsrat erfolgt 1944. Mit dem Ministerialrat lasse ich mir Zeit bis<br />

1955. Weiter beabsichtige ich nicht zu steigen. Mit fünfundsechzig Jahren lasse ich mich pensionieren,<br />

ziehe in eine mitteldeutsche Stadt und werde in Muße malen.<br />

Siebusch: Und warum wollen Sie dann malen?<br />

Müller: Der Mensch braucht ein Steckenpferd, und ich denke daran, mich dem Malen als<br />

Nebenbeschäftigung schon zu widmen, sobald die Kinder aus dem Gröbsten heraus sind. Es ist, glaube ich,<br />

ein guter Ausgleich zu meiner amtlichen Tätigkeit.<br />

Siebusch: Danke. Ja, Lohmann?<br />

Lohmann: Ich möchte Müller-Detmold den Vers Wilhelm Buschs ins Gedächtnis rufen: Erstens kommt es<br />

anders, zweitens als man denkt ...<br />

Geiger: Aber es kam merkwürdigerweise gar nicht anders. Nur ein einziges Mal wich Müller-Detmold von<br />

seinem Lebensplan ab. Er schickte mir jedesmal eine, Postkarte, wenn er planmäßig eine Stufe erreicht<br />

hatte, und ich antwortete mit einer Flasche Sekt. Acht Semester Studium, Referendar, Gerichtsassessor,<br />

Regierungsrat, Heirat. Immer genau nach dem – Terminkalender, den er in der Oberprima aufgestellt hatte.<br />

Es kam die Geburtsanzeige eines Jungen und zwei Jahre später die eines Mädchens. Aber dann gab er<br />

seinen 50-Jahresplan, dessen Soll er bis dahin regelmäßig erfüllt hatte, ganz unvermittelt und ohne jede<br />

entschuldigende Erklärung auf. Als seine Frau eines Tages von einem Wochenendausflug nach Hause kam<br />

und die Tür öffnete, fand sie ihn im Flur. Er hatte sich erhängt. Und niemand erfuhr, warum.<br />

**********<br />

Arbeitsauftrag: Mit welchen Adjektiven könnte man die Person Müller-Detmolds beschreiben? Stellt eine<br />

möglichst ausführliche Liste auf, in der alle Charaktereigenschaften, die man nach dem Hören seines<br />

Aufsatzes vermuten kann, enthalten sind. Gibt es eine Erklärung dafür, daß Müller-Detmold Selbstmord<br />

begeht?<br />

51


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Die Schüler können durch das Gespräch über Müller-Detmolds Freitod erkennen, daß<br />

(und weshalb) Menschen sich plötzlich völlig unerwartet verhalten können. Sie verfügen<br />

nun über zwei Listen beschreibender Adjektive. In einem Unterrichtsgespräch sollten nun<br />

die grundlegenden Unterschiede der beiden vorgestellten Figuren herausgearbeitet<br />

werden, um die Beschäftigung mit Charakteren, deren Verhaltensweisen und<br />

Wesenszügen, noch zu vertiefen. Darüber hinaus ist es ratsam, die beiden Listen<br />

beschreibender Adjektive auszuweiten, um ein möglichst breites Spektrum von<br />

Eigenschaften zu erhalten, auf das die Arbeitsgruppen beim Entwurf ihrer eigenen<br />

Hörspielfiguren später zurückgreifen können. An der Tafel kann man von den Schülern<br />

weitere Eigenschaften zusammentragen lassen, die weder bei Kilian noch bei Müller-<br />

Detmold vorkamen.<br />

Eine alternative Vorgehensweise zur bewußten Gestaltung von Charakteren gründet nicht<br />

auf der Verwendung von Textmaterial, sondern von Tonmaterial. Es ist recht einfach, an<br />

aktuelle Schulfunksendungen heranzukommen, die den Schülern Gelegenheit geben,<br />

Menschen mit all ihren Problemen, Schwächen oder Ängsten kennenzulernen und daraus<br />

Konsequenzen für die gewissenhafte Gestaltung eigener Hörspielfiguren zu ziehen. Die<br />

Bildstellen halten stets alle Mitschnitte von Schulfunksendungen der vergangenen zwei<br />

Jahre bereit. Darunter finden sich in der Regel Selbstdarstellungen von Menschen, die<br />

über ihr Leben, ihre Situation und ihre Gefühle sprechen. Beispiele für häufig<br />

wiederkehrende Themenbereiche sind Drogensucht, Strafvollzug, Alkoholabhängigkeit,<br />

Nichtseßhaftigkeit oder auch Aids. Es ist empfehlenswert, sich mehrere Sendungen<br />

auszuleihen, um den eindrucksvollsten Charakter auswählen zu können, der ein möglichst<br />

facettenreiches Bild seiner Persönlichkeit und seiner Verhaltensdispositionen bietet. Man<br />

sollte den Schülern nicht die gesamte Schulfunksendung präsentieren, da sie hierdurch zu<br />

sehr vom eigentlichen Projekt »Hörspiel« abgelenkt würden. Nur einige längere<br />

Passagen, in denen der/die Betroffene zu Wort kommt, sind in Betracht zu ziehen.<br />

Um eine solche geeignete Schulfunksendung handelt es sich bei Teil III der Reihe<br />

»Selbstdarstellung« des Hessischen Rundfunks 18 (vgl. Arbeitsblatt 8). Diese<br />

Selbstdarstellungen zeigen die Facetten eines Charakters in kurzer Zeit auf.<br />

18 Hessischer Rundfunk, Schulfunk, Reihe »Selbstdarstellung«, Teil III, Produktionsjahr 1985, Verleih-Nr.<br />

(hess. Bildstellen): H 108<br />

52


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Hörspielausschnitte können dies nicht leisten, da das Gesamtbild einer Person erst im<br />

Verlauf der Handlung erhellt wird und für den Hörer die Kenntnis des Gesamtwerks<br />

unbedingt erforderlich ist. Die Präsentation eines perfekten, professionellen Hörspiels soll<br />

ja aber gerade vermieden werden. Zwar verfügen die Bildstellen über eine große Anzahl<br />

auch von Kurzhörspielen des FWU, die jedoch meist themen- und nicht personenorientiert<br />

sind. Dabei werden »Grauzonen« menschlichen – und vor allem jugendlichen –<br />

Verhaltens kaum deutlich, wie z. B. vorgetäuschte Selbstsicherheit, vorgetäuschtes<br />

Interesse an anderen, gespielte Gefühle usw. Gerade diese »Grauzonen« scheinen mir<br />

für die Hörspielarbeit in der Sekundarstufe 1 eine besonders wichtige Rolle zu spielen, da<br />

in dieser Altersgruppe – wie in Arbeitsblatt 8, Claudia B.s Tagebuch, so anschaulich<br />

formuliert – Identitätsprobleme oder Verunsicherung vorherrschen und häufig überspielt<br />

werden (vgl. »Hörspiel als Rollenspiel«).<br />

Wie kann man nun das Bandmaterial des Schulfunks auswerten? Es gibt zwei Wege: 1.<br />

Man läßt die Klasse die betreffende Person (hier Claudia B.) beschreiben, sammelt all<br />

ihre Eigenschaften von selbstbewußt über scheinbar »cool« bis zu verzweifelt. 2. Man teilt<br />

ein Arbeitsblatt aus, auf dem Claudias wichtigste Wesenszüge/Verhaltensdispositionen in<br />

eine Palette nicht zutreffender, unterschiedlichster Eigenschaften eingebettet sind. Die<br />

Schüler erhalten die Aufgabe, aus dem Spektrum von Eigenschaften die passenden<br />

anzukreuzen.<br />

Das Ankreuz-Verfahren dient der schnelleren Erschließung des Materials und kann<br />

selbstverständlich auch bei der Arbeit mit den Texten aus dem »Klassenaufsatz«<br />

angewendet werden. Es bleibt zu bedenken, daß die Arbeitsblattvorgaben zwar<br />

zeitsparend, aber nicht schülerorientiert sind. Es hängt von der jeweiligen Situation ab, für<br />

welche Art der Materialerschließung sich der Lehrer entscheidet. Die zur bewußten<br />

Gestaltung von Charakteren erforderliche Bandbreite von Eigenschaften mit Hilfe von<br />

Tonmaterial sukzessive mit der Klasse zu erarbeiten, nimmt sicherlich ein bis zwei<br />

zusätzliche Stunden in Anspruch, und wer nicht mit Text-, sondern mit Tonmaterial<br />

arbeiten möchte. sollte sich nicht nur mit einem einzigen Hörbeispiel begnügen. Es gilt,<br />

zumindest zwei solcher Charaktere – am besten gegensätzliche wie Kilian und Müller-<br />

Detmold – vorzustellen und sorgfältig im Plenum zu besprechen. Darüber hinaus wäre zur<br />

Erarbeitung eine Mischform von Ton- und Schriftmaterial denkbar. Bei der Erschließung<br />

53


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

des Materials durch Ankreuzen kommt es darauf an, daß die Schüler ihre Entscheidung<br />

für ein bestimmtes Charakteristikum stets begründen können durch entsprechende<br />

Hinweise auf Wortwahl, (vermutete) Intonation, Inhalte.<br />

Welchen Weg man auch wählt: Am Ende der Erschließung soll die Klasse über eine<br />

detaillierte Liste beschreibender Adjektive u. ä. verfügten, die reichlich<br />

Auswahlmöglichkeiten zur Gestaltung eigener Hörspielfiguren bietet. Schon beim<br />

schnellen Durchlesen wird die Liste in der späteren Produktionsphase die Phantasie der<br />

Arbeitsgruppen anregen, kreative Prozesse in Gang setzen. »Läßt sich alles gefallen«.<br />

»verletzt andere absichtlich« (siehe Arbeitsblatt 9) sind Beispiele dafür, wie wenige<br />

Stichworte an reale Personen erinnern können, die tatsächlich diese oder jene Eigenart<br />

besitzen. Stichworte – ob vorgegeben oder selbst abgeleitet – sind ein Anreiz, denn sie<br />

wecken Ideen zur Erschaffung von Hörspielfiguren, in denen die Schüler ihre<br />

Eigenerfahrungen verarbeiten.<br />

Ein interessanter Gesichtspunkt, der vor dem Abschluß des Themas »Charaktere« eine<br />

Betrachtung wert wäre, ist die Tatsache, daß der Ablauf von Geschehnissen durch die<br />

Konstellation der interagierenden Charaktere mitbedingt ist. Um diese Einsicht (die kein<br />

Muß ist!) zu fördern, kann der Lehrer sich auf die Schilderungen Claudias beziehen.<br />

Auf einen Lehrerimpuls hin soll sich zur Abrundung aus den Erkenntnissen im Plenum nun<br />

eine konsequente Schlußfolgerung ergeben: Die Personen, die in der »Frühstücksszene«<br />

aufgetreten sind, zeigten als Charaktere keine deutlichen Konturen. Die Arbeitsgruppen<br />

hatten sie nicht bewußt definiert und nur oberflächlich gezeichnet. Hiervon ausgehend soll<br />

nun eine Rückkoppelung zur Eigenproduktivität erfolgen.<br />

54


Arbeitsblatt 8: Selbstdarstellung – Aus Claudias Tagebuch<br />

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Claudia B. ist 15 Jahre alt. Sie ist mit ihrer Familie in eine andere Stadt gezogen. Zwar<br />

findet sie die neue Wohnung »super«, aber dann schreibt sie in ihr Tagebuch:<br />

»... Trotzdem, alles ist so fremd und ungewohnt. Irgendwie habe ich auch Angst vor der<br />

neuen Schule. Die werden mich bestimmt alle total anstarren oder einen Bogen um mich<br />

machen. Wahrscheinlich halten sie mich für langweilig oder eingebildet oder blöd.«<br />

Am nächsten Tag trägt Claudia ein:<br />

»Gestern war ich zum ersten Mal beim Bäcker. Der hat mich vielleicht angestarrt. Von<br />

oben bis unten. Ich könnte mich ärgern, weil ich bloß rot geworden bin, statt irgendeinen<br />

coolen Spruch loszulassen. Und dann habe ich eine Clique junger Leutchen gesehen. Die<br />

haben mich auch so komisch angeguckt und rumgetuschelt. Na egal, ich bin nicht auf die<br />

angewiesen. Aber trotzdem ... die sahen anders aus, saumäßig aufgestylt. Irgendwie<br />

komm' ich mir ganz beschissen vor. Hab' totale Trauerstimmung im Bauch. Bin halt nicht<br />

der Typ für so'n cooles Hingehen, Anquatschen. Und auf meiner Bude halte ich es auch<br />

nicht aus. Die Alten sind gereizt, und die ganze Wohnung sieht unendlich chaotisch aus.<br />

Mann, ich könnt' heulen. Bloß nicht gehenlassen. Niemandem zeigen, was los ist. Kein<br />

Gefühl. Die coole Gleichgültigkeit.«<br />

Nach dem ersten Tag in der neuen Schule schreibt sie:<br />

"So was von blöd. Ich stand ganz alleine auf dem Schulhof. Niemand, mit dem man reden<br />

kann. Ich kam mir so richtig als Außenseiter vor.«<br />

Als die erste Woche vorüber ist, erinnert sie sich:<br />

"Die ganze Woche war zum Kotzen. In der Schule keine Änderung. Ach, ich muß mal alte<br />

einladen, damit ich nicht als spießig oder eingebildet dastehe. Irgendwo leih' ich dann tolle<br />

Platten aus. Also irgend etwas Tolles muß ich in der Schule einfach bringen.«<br />

Nach ein paar Wochen schreibt Claudia:<br />

»Herrlicher Tag. Ich war super drauf. Hab Thorsten kennengelernt. Aus meiner Klasse.<br />

Ich war nach der Schule mit'n paar Leuten aus der Klasse noch'ne Cola trinken. Wir<br />

haben viel geredet. Thorsten sagte, er fühle sich manchmal ganz komisch. Er kommt sich<br />

manchmal vor wie'n Hamster in nem Laufrad ... Alle haben gelacht. Ich auch. Jetzt könnt'<br />

ich mich dafür ohrfeigen ... Ich würd' mich nie trauen, über so was zu reden. Aber<br />

irgendwie ist Thorsten doch ziemlich toll. Ich glaub, ich weiß, was er gemeint hat. Ich frag<br />

mich auch manchmal, wer ich bin und was ich hier soll.«<br />

55


Arbeitsblatt 9: Charakterbild einer Person – ein paar Beispiele<br />

56<br />

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de


Zweiter Gestaltungsversuch<br />

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Die Arbeitsgruppen sollen ihre Erkenntnisse in eine eigene, neue Szene einfließen<br />

lassen, in der nun nicht mehr vier oder gar fünf, sondern nur noch drei Figuren auftreten<br />

dürfen. Am besten läßt man die Schüler das Thema für eine Kurzszene selbst wählen. Mit<br />

der Vorgabe »drei Personen« fallen der Klasse sofort eine Fülle von Beispielen ein:<br />

Unfall, Schlägerei, eine Clique spricht über die Mathearbeit, ein Lehrer taucht plötzlich in<br />

der heimlichen Raucherecke des Schulhofs auf und erwischt zwei Schüler. In dem von mir<br />

durchgeführten Projekt fiel die Wahl auf diese zuletzt genannte Pausenhofszene. Die<br />

Arbeitsgruppen werden darauf hingewiesen, daß am Ende der Szene ein Ortswechsel<br />

stattzufinden hat, hier z. B. vom Pausenhof ins Sekretariat der Schule. Eine solche<br />

Vorgabe birgt (über die bewußte Gestaltung von Charakteren hinausgehend) gleichzeitig<br />

die Aufgabenstellung, einen Szenenwechsel zu bewerkstelligen, auf dessen Umsetzung<br />

man gespannt sein darf.<br />

Vor dem Entwurf der einzelnen Dialogteile sollen die Arbeitsgruppen zunächst die drei<br />

interagierenden Hörspielcharaktere schriftlich fixieren. Als Grundlage dient ihnen hierzu<br />

die Liste der beschreibenden Adjektive. Es liegt nahe, daß die meisten Arbeitsgruppen<br />

sich für einen selbstbewußten und einen unsicheren Schüler entscheiden, die von einem<br />

autoritären Aufsichtslehrer zurechtgewiesen werden. Selbstverständlich sind auch andere<br />

Konstellationen denkbar. Bei der Planung der Charaktere müssen »echte« Wesenszüge<br />

und rein reaktive Verhaltensweisen auseinandergehalten werden. Auch sollte klar sein,<br />

daß z. B. »Raucher« oder »hohe Position« keine Wesensmerkmale sind. Die Gruppen<br />

sollten möglichst darauf achten, ihren Szenenentwurf nach den Formalia einer<br />

Regieanweisung (Wer spricht – Wie wird gesprochen – Was wird gesprochen)<br />

anzufertigen. Am Stundenende borgt man sich die einzelnen Szenenmanuskripte kurz<br />

aus, um sie zu fotokopieren. Die akustische Umsetzung der Szene ist Hausaufgabe, denn<br />

die Gruppen benötigen diesmal genügend Zeit für Sprechproben und mehrmaliges<br />

Aufnehmen, bis sie mit der Realisation zufrieden sind. Während des zweiten<br />

Gestaltungsversuches wird die Arbeit in den Gruppen sehr viel ruhiger und planvoller<br />

verlaufen als bei der »Frühstücksszene«.<br />

57


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Im folgenden ein authentisches Beispiel für den Szenenentwurf zu einer Pausenhofszene<br />

(9. Klasse Realschule):<br />

Die Raucherecke<br />

(Klingel)<br />

Udo: (freudig) Hallo Tania! Endlich Pause!<br />

Tania: (gequält) Na, wie geht's? Wie war's bei dir?<br />

Udo: (locker) Ich glaub', ich hab die Deutscharbeit schon wieder verhauen. Und du?<br />

Tania: (jammernd) Mir ist irgendwie nichts eingefallen, war bloß Schrott, was ich<br />

hingeschrieben habe.<br />

(Schritte)<br />

Udo: (locker) So geht's mir auch immer.<br />

Tania: (leise) Bin total fertig und zitterig.<br />

Udo: (aufmunternd) Da hast Du 'ne Kippe, – beruhigt!<br />

Tania: (leise) Danke, die kann ich gebrauchen. Hast du auch Feuer?<br />

(Klick)<br />

Udo: (cool) Klar. Ohne Kippen läuft bei mir nichts! Was machst'n du heute nach den<br />

Hausaufgaben? Könnten doch ein bißchen mit dem Mofa durch die Gegend düsen!<br />

Bringt's voll.<br />

Tania: (unentschlossen) Ich weiß noch nicht ... Eigentlich wollte ich mal wieder zur<br />

Claudia fahren. Bei der ...<br />

Udo: (bestürzt) Achtung!! Mach die Kippe aus, da kommt der Müller!<br />

58


(Schritte)<br />

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Tania: (wehleidig) Oh je, wenn der mich jetzt gesehen hat – meine Eltern dürfen das nicht<br />

wissen!<br />

Lehrer: (ironisch) Ach der Udo ... Schon wieder mal beim Rauchen erwischt?!<br />

Udo: (cool) Na und?<br />

Lehrer: (empört) Werd' nicht frech! Wer ist denn das junge Fräulein, mit dem du dich da<br />

gerade unterhalten hast?<br />

Udo: (überheblich) Die heißt Tania!<br />

Lehrer: Tja, ihr zwei, dann muß ich euch wohl einen Brief nach Hause schicken.<br />

Tania: (entsetzt) Bitte nicht! Meine Eltern dürfen das nicht wissen!<br />

Lehrer: Dann darfst du dich halt nicht erwischen lassen.<br />

Udo: (vorwurfsvoll, frech) Das ist ja ziemlich fies von Ihnen!<br />

Lehrer: (verärgert) Diesen Ton verbitte ich mir! Oder willst du Ärger zu Hause, Udo?<br />

Udo: (arrogant) Meine Eltern wissen, daß ich rauche.<br />

Lehrer: Ihr wißt, daß in der Schulordnung steht, daß ...<br />

Udo: (gelangweilt) Ja ja, ist schon gut, Mann.<br />

Lehrer: (wütend) Laß mich bitte ausreden!!!<br />

Udo: (frech) Ich wüßte gern mal, wie oft Sie gegen die Schulordnung verstoßen. Sie<br />

rauchen doch selbst im Lehrerzimmer.<br />

Tania: (ängstlich) Sei doch still, Udo ... Du machst alles noch viel schlimmer.<br />

59


Lehrer: (ungeduldig) Jetzt reicht es aber. Ihr kommt mit ins Sekretariat.<br />

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Tania: (bettelnd) Bitte, Herr Müller, wollen Sie sich das mit dem Brief nicht noch mal<br />

überlegen, meine Eltern ...<br />

Udo: (freundlich) Ja, Herr Müller, drücken Sie doch noch mal ein Auge zu, wir haben<br />

gerade eine schwere Arbeit geschrieben.<br />

Lehrer: (ungeduldig) Schluß jetzt, das soll die Schulleitung entscheiden. (Schritte. Tür auf,<br />

Tür zu.)<br />

Sekretariat.<br />

Lehrer: So, da bring ich zwei Früchtchen aus der Raucherecke!<br />

Reflexion des zweiten Gestaltungsversuchs<br />

In dieser Stunde teilt der Lehrer die fotokopierten (oder besser: abgetippten)<br />

Kurzmanuskripte aus. Vor dem Abhören der Ergebnisse ist es zweckmäßig, wenn die<br />

Gruppen erst einmal allgemein von ihren guten und schlechten Erfahrungen bei der<br />

außerschulischen Szenenumsetzung berichten. Das Plenum hört sich alsdann die<br />

Kurzszenen an, was zuerst ohne Mitlesen der Textvorlage geschieht: Die Schüler sollen<br />

sich voll und ganz als Hörer begreifen. Anschließend wird die jeweilige Szene im Hinblick<br />

auf die Gestaltung der drei Charaktere beurteilt. Sind sie glaubwürdig und in sich stimmig?<br />

Nun erst wird der Text als Orientierungshilfe herangezogen. Das Plenum begutachtet,<br />

inwieweit die stimmliche Realisation den vorher fixierten (auf dem Transkript ablesbaren)<br />

Regieanweisungen entspricht. Falls nachträglich bei der Aufnahme Änderungen im Text<br />

oder im Tonfall vorgenommen wurden, sind diese von der Arbeitsgruppe zu begründen.<br />

Die Gruppen werden ihre Ergebnisse gegenseitig zwar kritisch, aber konstruktiv und viel<br />

besonnener als bei der Frühstücksszene unter die Lupe nehmen. Mit Sicherheit ergibt<br />

sich ein breites Spektrum von Aspekten, die es wert sind, besprochen zu werden. Falls<br />

wichtige Beobachtungen einmal nicht von Schülerseite her kommen, kann der Lehrer<br />

Impulse geben. Bei der Besprechung wird es nicht mehr allein um die Verwirklichung<br />

60


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

fixierter Charaktere oder um die Verdeutlichung von Ort, Zeit und Situation gehen. Weitere<br />

Gesichtspunkte der Erörterung könnten z. B. sein: Langatmigkeit einer Szene oder zu<br />

große Hektik in der Szene. Gerade eventuell intuitiv eingebaute Geräusche und erste<br />

Experimente, einen Szenenwechsel zu realisieren, können eine Fundgrube gegenseitiger<br />

Anregungen und des Ideenaustauschs sein und bieten eine Anknüpfungsmöglichkeit für<br />

die später folgende Erarbeitung von Geräuschen und Szenenwechsel. So werden im<br />

Beispiel »Pausenhofszene« einige Gruppen etwa eine Pausenklingel oder das Schrillen<br />

eines Weckers an den Anfang ihres Dialogs setzen, andere wiederum nehmen Schritte im<br />

Flur oder das Schulhofgeschrei mit hin ein. Arbeitsgruppen, die vielleicht den langen Weg<br />

zum Sekretariat Schritt für Schritt aufgenommen haben, um den Ortswechsel zu<br />

kennzeichnen, lernen von anderen, daß es genügt, eine kurze Pause<br />

dazwischenzuschalten und dann Schreibmaschinengeklapper (= Sekretariat) ertönen zu<br />

lassen.<br />

Will man zur Vorbereitung für die Beschäftigung mit dem Szenenwechsel einen<br />

Schülertext zur Arbeitsgrundlage machen, könnte man – um das vorher abgedruckte<br />

Beispiel Udo-Tania zu benutzen – die Stelle, an der ein Szenenwechsel stattfindet, im<br />

abgetippten Transkript folgendermaßen wiedergeben (und die akustische Umsetzung<br />

zunächst nicht vorspielen):<br />

Udo: (freundlich) Ja, drücken Sie doch mal ein Auge zu, wir haben gerade eine schwere<br />

Arbeit geschrieben.<br />

Lehrer: Schluß jetzt, das soll die Schulleitung entscheiden.<br />

Lehrer: So, da bring' ich zwei Früchtchen aus der Raucherecke!<br />

Arbeitsauftrag: Kennzeichne, an welcher Stelle ein Szenenwechsel stattfindet. Wie<br />

könnte man ihn technisch bewerkstelligen?<br />

Nach dieser Stunde sollte sich der Lehrer die Kassetten mit nach Hause nehmen,<br />

nochmals abhören und jeder Gruppe einen etwas detaillierteren, netten Kommentar<br />

schreiben, der sie in ihrer Arbeit unterstützt und eventuell auf Aspekte eingeht, die in der<br />

Stunde zu kurz gekommen sind.<br />

61


Einführung von Szenenwechsel, Raumakustik und Geräuschen<br />

Mit der Technik des Szenenwechsels soll an elementare Teilbereiche der<br />

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Hörspielproduktion angeknüpft werden, die den Gruppen bei der Realisation ihres zweiten<br />

Szenenentwurfs begegnet sind. Es ist anzunehmen, daß jeder Schüler mit dem, was ein<br />

Szenenwechsel ist, durch das Fernsehen vertraut ist: Ein Szenenwechsel ist immer eine<br />

Änderung von Ort oder Zeit. Der Transfer zur Gattung Hörspiel mag zunächst relativ<br />

einfach anmuten, doch der Schein trügt: Ein Szenenwechsel im Hörspiel kann ja nicht<br />

visuell wahrgenommen werden, versteht sich also nicht von selbst für den nur auf den<br />

akustischen Übertragungskanal angewiesenen Hörer. Daher muß eine Änderung von Ort<br />

und Zeit bezüglich der akustischen Umsetzung reiflich durchdacht und so eindeutig sein,<br />

daß Verwechslungen oder Irritationen beim Hörer vermieden werden. Ähnlich wie bei<br />

diffusen Charakteren kann hier eine nachlässige Konzeption den Hörer so verwirren, daß<br />

er den Handlungsfaden verliert.<br />

Zur Realisierung eines Szenenwechsels steht eine Fülle von Möglichkeiten offen:<br />

• die Pause,<br />

• das Aus-/Ein- und Überblenden (im Gegensatz zum harten Aneinanderschneiden, das<br />

sehr kontrapunktiv wirken kann),<br />

• das einleitende Geräusch (z. B. Pausenklingel),<br />

• die Vorankündigung der nächsten Szene durch einen Hinweis in der vorangehenden<br />

Szene,<br />

• die Neufixierung von Ort/Zeit/Situation/Personen durch sprachliche Mittel gleich zu<br />

Beginn der neuen Szene.<br />

Die Technik des Ein-, Aus-, Überblendens soll, wie bereits erwähnt, in diesem<br />

didaktischen Modell außer acht gelassen werden. Und auch ein hartes<br />

Aneinanderschneiden von Szenen als dramaturgisches Mittel zur Kontrastierung zweier<br />

Spielräume würde hier zu weit führen. (Wer dennoch Wert darauf legt, kann der HR-<br />

Schulfunkproduktion »Elemente des Hörspiels«, Teil VIII »Blende und Schnitt«,<br />

Hörbeispiele entnehmen.) Unberücksichtigt muß hier gleichfalls die Funktion der Pause<br />

als dramaturgisches Element innerhalb einer Szene bleiben, wenngleich sprachloses<br />

Schweigen oder Stille natürlich Neugier weckt und dazu provoziert, das gerade Gehörte<br />

62


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

noch intensiver wahrzunehmen (Hörbeispiele hierzu finden sich in Teil IX der o. g. Reihe<br />

unter dem Titel »Pause und Stille«.) Ich warne jedoch davor, die Schüler mit zuviel<br />

Gestaltungselementen zu überfrachten. Eine Einführung in spezielle, dramaturgische<br />

Mittel und Techniken wie z. B. »Stille« scheint mir im Rahmen der Rezeption und<br />

Interpretation eines Gesamtwerkes sinnvoller.<br />

Aufgrund ihrer ersten Versuche mit dem Szenenwechsel vom Pausenhof zum Sekretariat<br />

sind die Schüler schon ein wenig sensibilisiert für die Frage nach dem Einsatz der<br />

entsprechenden Technik. Zunächst soll im Plenum geklärt werden, was überhaupt ein<br />

Szenenwechsel ist. Dabei muß unterschieden werden zwischen seiner Funktion allgemein<br />

und den Möglichkeiten der Umsetzung. Eine graphische Tafelanordnung leistet den<br />

Schülern bei der Erarbeitung Hilfestellung, am besten eingeleitet durch einen stummen<br />

Impuls:<br />

Linke Tafelhälfte: Szenenwechsel – wann?<br />

Rechte Tafelhälfte: Szenenwechsel – wie?<br />

Diese beiden Signalüberschriften dürften die Schüler veranlassen, eigenständig die ihnen<br />

bekannten Kriterien (neuer Ort, neue Zeit usf.) auf der linken Seite zu sammeln, ebenso<br />

sind bereits Lösungsvorschläge für das »wie« denkbar, die Erfahrungen bei der<br />

Pausenhofszene entstammen. Es gibt eine Reihe von Techniken des Szenenwechsels,<br />

auf die die Schüler kaum von selbst kommen werden-, durch Hinzuziehung von Texten<br />

sollen sie daher weitere Möglichkeiten kennenlernen.<br />

63


Arbeitsblatt 10: Zur Technik des Szenenwechsels<br />

Beispiel 1:<br />

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Lies den folgenden Text und kennzeichne den Szenenwechsel. Wie könnte man ihn technisch<br />

bewerkstelligen?<br />

Das Telefon läutet.<br />

**********<br />

Paul: Hallo? Oliver? Ja? Ach du, Roger. Was gibt's denn? ... wie spät ist es?<br />

Roger: Vier Uhr früh. Wenn du sehen willst, was von deinem Freund Oliver übriggeblieben ist, brauchst du<br />

nur herzukommen.<br />

Paul: Was? Wo bist du?<br />

Roger: Im Krankenhaus von Kirchheim.<br />

Roger: Sieht nicht gut aus, was? Einige Knochenbrüche, Brustkorb eingedrückt, innere Blutungen.<br />

Beispiel 2:<br />

Erinnern wir uns an den Beginn des Hörspiels »Der Klassenaufsatz«. Geiger wollte seinen alten<br />

Klassenraum noch einmal sehen und sprach im Treppenhaus mit dem Hausmeister Schirmer.<br />

**********<br />

Geiger: Ist die Oberprima noch oben neben dem Zeichensaal?<br />

Schirmer: Ja, immer noch. Dritter Stock, neben dem Zeichensaal rechts. In einer halben Stunde ist wieder<br />

Unterricht, aber so lange wird's ja nicht dauern.<br />

Geiger: Oberprima. Da hängt das Bild vom alten Siebusch. ... Deutsch von der Obersekunda bis Oberprima.<br />

Ja, es ist dunkler in der Klasse, weil die Bäume jetzt so hoch stehen. ... Hier habe ich gesessen, und ich<br />

konnte von meinem Platz über den Schulhof auf die Stadt sehen... Da saß Lohmann. Und da? Vergessen.<br />

Nein, dort saß Lohmann, und hier neben mir Scholz. Dann Kilian. Ganz hinten saß Christa Daniels, die wir<br />

»das Reh« nannten, und hinter mir saß, Eva Vor mir: Müller-Detmold. Gott ja – Der Aufsatz! Und da am<br />

Fenster stand Siebusch, und lehnte sich, an die Wand. Er trug eine goldgefaßte Brille, setzte sie dauernd auf<br />

und ab, und unter dem Arm hatte er unsere Aufsatzhefte ...<br />

Siebusch: Ich gebe Ihnen heute den Aufsatz. Sie waren anscheinend alle auf das Thema vorbereitet. Es hat<br />

sich wohl herumgesprochen, daß ich, immer, wenn ich in der Oberprima unterrichte, über das Thema »Wie<br />

ich mir mein Loben vorstelle« einen Aufsatz schreiben lasse.<br />

**********<br />

64


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Befragt man die Schüler, woher sie wissen, wo der Szenenwechsel in Beispiel 1<br />

stattgefunden hat, werden sie sagen, daß am Ende der vorangehenden Szene eine<br />

Vorankündigung als Hinweis auf den Ort der nächsten Szene stattgefunden hat.<br />

(Unterpunkt auf rechter Tafelseite vermerken!) Auch die Kennzeichnung der beiden<br />

Szenenwechsel in Beispiel 2 wird den Schülern nicht schwerfallen. Gleich zu Beginn der<br />

Szene, die sich im Klassenraum abspielt, wurde der neue Ort fixiert. Es sei vom Lehrer<br />

hervorzuheben, daß der zweite Szenenwechsel den Fachterminus Rückblende trägt. Ein<br />

Szenenwechsel – das wissen die Schüler ja nun – ist immer eine Veränderung von Ort<br />

oder Zeit. Im Gegensatz zum ersten Szenenwechsel im Beispiel 1 findet nun kein Orts-,<br />

sondern ein Zeitwechsel statt. Es ist derselbe Klassenraum, in dem aber nun Siebusch zu<br />

Wort kommt. Rückblenden kennen die Schüler aus Film und Fernsehen, wo sie häufig<br />

durch das Verschwimmen eines Bildes oder durch das Einblenden eines zurückliegenden<br />

Datums eingeleitet werden.<br />

Die Frage nach der technischen Realisierung der vorgestellten Szenenwechsel wird die<br />

Klasse vor ein kleines Problem stellen. Die zeitliche Rückblende zu kennzeichnen, ist<br />

recht einfach, indem man, nach einer kurzen Pause, typische Unterrichtsgeräusche<br />

(Tuscheln, Scharren mit den Füßen oder Rascheln mit Papier) hinzunimmt. Wie hebt man<br />

jedoch bei den Ortswechseln in Beispiel 1 und 2 die Stimme von Roger bzw. von Geiger<br />

akustisch ab, d. h., wie kann man den Ortswechsel auch akustisch verdeutlichen? Zur<br />

Bewerkstelligung der beiden Szenenwechsel werden die Schüler vielleicht auf die Idee<br />

kommen, Schritte einzubauen, vielleicht auch Treppensteigen oder das Öffnen und<br />

Schließen einer Tür nennen. Darüber hinaus bieten sich für beide Beispiele aber kaum<br />

typische Situationsgeräusche an: Weder ein Krankenhauszimmer noch ein leerer<br />

Klassensaal können durch spezifische Geräuschkulissen identifizierbar gemacht werden.<br />

Die Schwierigkeiten, die sich auftun, dienen als Ausgangspunkt für eine intensivere<br />

Auseinandersetzung mit den Elementen »Raumakustik« und »Geräusch«. Die Stichworte<br />

»hohes, kahles Krankenhauszimmer« und »hohes, kahles Schultreppenhaus« (evtl.<br />

stummer Impuls durch Tafelanschrieb) helfen den Schülern auf die Sprünge. Sie kommen<br />

schnell darauf, daß in solchen Großräumen Schritte oder Stimmen verhallen. Der Schall<br />

bricht sich und wird als Echo zurückgeworfen. Rogers bzw. Geigers Stimme muß nach<br />

dem Ortswechsel völlig anders klingen, denn in hohen, kahlen Räumen, wie<br />

65


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Treppenhaus, Krankenhaus, aber auch in Hinterhöfen, engen Gassen und U-<br />

Bahnstationen, herrscht eine andere Akustik als in einem mit Möbeln und Teppichen<br />

ausgestatteten Wohnzimmer, das einen Großteil des Schalls absorbiert. (Als Hörbeispiel<br />

hierzu eignet sich Teil V der HR-Schulfunk-Reihe »Elemente des Hörspiels«.)<br />

Doch damit ist es noch nicht getan: Die Raumakustik eines Wohnzimmers unterscheidet<br />

sich auch von der Klangwirkung eines Gesprächs im Freien. Hier verschwinden die<br />

Schallschwingungen einfach, da sie nirgends aufprallen und folglich nicht reflektiert<br />

werden. Hörspielstudios verfügen eigens über sogenannte schalltote Räume, in denen<br />

Sprachaufnahmen im Freien simuliert werden können. Sie sind an den Wänden und an<br />

der Decke auswattiert. Die gewünschten Zusatzgeräusche werden dann im Nachhinein<br />

eingespielt. Übrigens sind Rundfunkanstalten mit großen Archiven verschiedenster<br />

Geräusche und Hörräume bestückt, selbst das Motorengeräusch eines 1958er Mercedes<br />

kann man dort aufstöbern.<br />

Geräuscheraten macht den Schülern sehr viel Spaß. Man spielt ihnen mit dem<br />

Kassettenrecorder eine Reihe von Einzelgeräuschen sowie verschiedene Hörräume vor.<br />

Der Hörraum »Hallenbad« zum Beispiel unterscheidet sich wesentlich vom Hörraum<br />

»Freibad«; man kann die Schüler überlegen lassen, weshalb sie eigentlich automatisch<br />

zwischen Innenraum und Außenraum zu unterscheiden vermögen. Aus Hörräumen wie<br />

»Gartencafé« oder »Kirmes« sollen sie sodann die Bilder, die vor ihrem geistigen Auge<br />

entstehen, kurz skizzieren und ihre Sinneseindrücke untereinander vergleichen (innere<br />

Bühne!). Durch eine etwas intensivere Beschäftigung mit dem Kapitel »Geräusche«<br />

entdecken die Schüler, wie stark die Wirkung einer »nur« akustischen Kulisse ist: Sie läßt<br />

sofort einen (irrealen) Handlungsort und eine spezifische Gesamtatmosphäre entstehen.<br />

Schreibmaschinengeklapper z. B. erweckt im Hörer unwillkürlich Büro- und<br />

Arbeitsatmosphäre, er ist aber auch in der Lage, bei einem neuen Geräusch, z. B.<br />

»Freibad«., sofort »Freizeit« zu assoziieren. Er überwindet Zeit und Raum und stellt sich<br />

ein jeweils neues, maßgeschneidertes Szenarium vor.<br />

Leider hat das FWU, das Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht, das die<br />

Bildstellen mit Schulmedien beliefert, bislang keine Hörraum- und Geräuschkassetten im<br />

Angebot. Das einzig eventuell Verwertbare sind Tonkassetten zur Hörschulung im<br />

66


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Rahmen der Verkehrserzichung sowie einige Kassetten mit Vogel- und Tierstimmen für<br />

den Biologieunterricht 19 . Einige Bildstellen haben jedoch von anderen Medienanbietern<br />

Geräuschkassetten gekauft, deren Titel und Verleihnummern an Ort und Stelle erfragt<br />

werden müssen. Wer bei seiner Bildstelle kein Glück hat, dem bleibt nur eine<br />

Eigeninvestition, die aber allemal ihr Geld wert ist: Überall im Fachhandel sind Kassetten<br />

und Schallplatten für Amateurfilmer erhältlich, die selbstgedrehte Filme und Videos<br />

nachvertonen wollen. Die Auswahl an Geräuschen und Hörräumen ist breit gefächert, z.<br />

B. Bahnhofsatmosphäre, Autobahn, Flughafen, Zugfahrt, Kinderspielplatz, Kaffeehaus<br />

innen, Gartencafé draußen, Jahrmarkt, Feuerwerk, Kirchenglocken (fröhlich/traurig),<br />

Wind, Sturm, Regen, Gewitter, – aber auch Einzelgeräusche wie das Füllen eines Glases<br />

mit Sekt, Wasser oder Bier, Schritte auf Holz, auf Beton, Kies, Marmor, Treppen hinauf-<br />

und -hinabsteigen, Knarren einer Tür, Ticken eines Weckers, einer Wanduhr und vieles<br />

mehr.<br />

Es ist nun allerdings nicht der Sinn einer Eigenproduktion »Hörspiel«, daß die<br />

Arbeitsgruppen unkreativ all ihre Geräusche vorgefertigten Tonkonserven entnehmen. Im<br />

Gegenteil: sie haben ungeheure Freude daran, mit dem Mikrophon auf Geräuschejagd zu<br />

gehen oder selbst Geräusche herzustellen. Zur Einstimmung möge man die Schüler<br />

fragen, wie sie denn z. B. »Regen« zuhause simulieren würden. Spontane Idee: die<br />

Brause aufdrehen. Bei der Frage nach der Vertonung von »Feuer« wird es schon<br />

schwieriger: vielleicht Äste zerknicken? Eine Demonstration durch den Lehrer, bei der die<br />

Klasse die Augen schließen soll, wird zeigen, mit welch einfachen Mitteln große Effekte<br />

erzielt werden können. Man braucht dazu ein Stück Zellophan und zerknittert es langsam.<br />

Vorher sagt man jeweils, was die Schüler sich dabei vorstellen sollen. Mithilfe des<br />

Zellophanknisterns braucht er nur wenig Imaginationskraft, um einmal Regen, einmal<br />

Feuer zu assoziieren. Preßt man das Zellophan rhythmisch zusammen, klingt dies wie<br />

Schritte im Sand oder auf Kies. Erfahrungsgemäß ist eine solche Veran»schau«-lichung<br />

sehr eindrucksvoll.<br />

Das Zusammenwirken von Wort und Geräusch kann übrigens auch hervorragend an Teil<br />

IV der HR-Schulfunkreihe verdeutlicht werden. Vier Rausch-Geräusche sind zu hören, die<br />

19 FWU-Tonkassette, 2 Tonkassetten »Vogelstimmen«. Bei allen Bildstellen. Verleih-Nr. 2302633 und<br />

2302643, je ca. 15 Minuten, Stereo. Verkehrserziehung (Geräusche): Verleih-Nr. 2202542, 10 Minuten.<br />

67


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

einander sehr ähneln und die, obwohl es sich dabei um reale Geräusche handelt, schwer<br />

identifizierbar sind. Erst durch einen stützenden Text erhalten sie Erkennungswert:<br />

»Immer wieder schön, dieser Wasserfall ... «<br />

»Der Beifall ist verdient.«<br />

»Erfrischend, dieser Gewitterregen.«<br />

»Schön warm heute, die Dusche.«<br />

Die Serie könnte ohne weiteres fortgeführt werden. Ein Rauschen vernimmt man auch,<br />

wenn man auf einer Autobahnbrücke, der Besucherterrasse eines Flughafens oder an den<br />

Ufern eines reißenden Flusses steht.<br />

Es gibt selbstverständlich Dinge, die man durch Geräusche überhaupt nicht kenntlich<br />

machen kann, zum Beispiel die Nacht, den Winter oder die Kälte. Dort bedarf es<br />

unbedingt der Worte. Mit wenigen Andeutungen kann Atmosphäre geschaffen werden.<br />

Eine meiner Arbeitsgruppen ließ im Pausenhof einen Jungen vor dem Hintergrund<br />

lärmender Kinder händereibend sagen: »Puuh, heut' ist es aber kalt!« Die so hergestellte<br />

Froststimmung weckt Assoziationen zu anorak- und mützetragenden Schülern, – der<br />

Hörer friert mit, selbst wenn die Aufnahme an einem heißen Sommertag gemacht wurde.<br />

Am Ende der Geräusch-Stunde bekommen die Schüler ein Info-Blatt an die Hand, auf<br />

dem die künstliche Erzeugung verschiedener Geräusche beschrieben wird und die sie<br />

zuhause ausprobieren können.<br />

Bevor man die Klasse in die Experimentierphase entläßt, sollte man nochmals darauf<br />

hinweisen, mit Geräuschen sparsam umzugehen, denn ein Zuviel »erschlägt« oder<br />

verwirrt den Hörer.<br />

Übrigens: In den Anfängen des Radios wurde der Überfrachtung an akustischen Reizen<br />

geradezu gefrönt. Aber auch in jüngster Zeit gibt es noch Beispiele für Zuviel des Guten:<br />

Es gibt ein Kurzhörspiel des Hessischen Rundfunks mit dem Titel »Alkohol«, dessen<br />

Geräuschkulisse stark an den Mitschnitt der Tonspur eines Fernsehfilms erinnert. Mitunter<br />

zehn verschiedene Geräusche laufen – oft parallel, sehr laut und nicht identifizierbar –<br />

68


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

während eines Gaststättengespräches nebenher. Ständig wird etwas geöffnet oder<br />

zugeschlagen; es rappelt, klappert und kracht. Selbst bei höchster Imaginationskraft sind<br />

die Geräusche zu vieldeutig, als daß sie dem Hörer beim Aufbau seiner inneren Bühne<br />

dienlich sein könnten. Leider ist dieses Hörspiel nicht entleihbar, um damit die Schüler<br />

abzuschrecken; Teil IV der HR-Schulfunkreihe bietet aber eine Alternative: Der akustisch<br />

eingefangene Alltag einer Hausfrau zeigt, wie redundant, ja nervtötend eine Überflutung<br />

mit Hörreizen sein kann.<br />

Als wohltuendes Gegenbeispiel soll ein Ausschnitt aus dem inzwischen zum Klassiker<br />

gewordenen Hörspiel »Das Schiff Esperanza« 20 dienen. Jede Bildstelle hält diese FWU-<br />

Kassette bereit. Im weiter unten abgedruckten Ausschnitt liegen die Dinge genau<br />

umgekehrt. Es herrscht besinnliche Stille. Obgleich die Szene auf dem Oberdeck eines<br />

Schiffes spielt, sind weder Wind noch Wellengang zu hören. Nur manchmal ist, kaum<br />

wahrnehmbar, das leise Tuckern des Schiffsmotors eingespielt. Alles ist der Phantasie<br />

überlassen, die durch Sprache und bedächtigen Tonfall angeregt wird: Welche ungeheure<br />

Wirkung wohlgewählter Worte, die keiner monumentalen Geräuschkulisse bedürfen. Das<br />

Benennen von Farben und Stimmungen reicht aus, um die Assoziationskraft des Hörers<br />

auszuschöpfen. Leider kann der gedruckte Hörspielauszug aus dem Selbstgespräch<br />

eines Mannes nur einen Bruchteil der Atmosphäre wiedergeben:<br />

»Der ganze Himmel ist voller Sterne ... Ich will nur zusehen, wie es hell wird... Ich habe noch<br />

nie gesehen ... wie die Sonne aufgeht ... Ich würde gerne eine Decke um die Schultern legen ...<br />

es ist kühl ... Wie herrlich... Das dunkle Meer ... das dunkle Schiff... Der dunkle Himmel... Aber<br />

es wird heller ... immer heller... Jetzt wird sie bald erscheinen, die Sonne... Kaum zu glauben,<br />

daß in diese Dunkelheit und Stille der Tag einbrechen wird.«<br />

Ähnlich sparsam wie mit Geräuschen muß mit dem Einsatz von Musik im Hörspiel<br />

umgegangen werden. In der Sekundarstufe 1 wird Musik wohl hauptsächlich als<br />

Handlungsbestandteil (Plattenhören, Discothekenbesuch) eine Rolle spielen. Die Schüler<br />

kommen wahrscheinlich gar nicht auf die Idee, Musik als Untermalung oder gar als<br />

wiederkehrendes Leitmotiv (man denke an Doktor Schiwago) einbauen zu wollen.<br />

Vermutlich fänden sie dies in Assoziation zu Hollywoodfilmen kitschig. Es würde<br />

20 Fred von Hoerschelmann: Das Schiff Esperanza. Hörspiel. Regie: Robert Michael, Süddeutscher<br />

Rundfunk, Stuttgart, 89 Minuten. FWU-Verleihnummer bei den Bildstellen: 2202001. HINWEIS: Es gibt<br />

einen 16-mm-Film (schwarz-weiß), der die Aufnahmen des Hörspiels »Das Schiff Esperanza«<br />

dokumentiert. Er ist bei den Bildstellen unter der FWU-Verleihnr. 3202064 archiviert. Laufzeit: 26<br />

Minuten. Titel: »Aufnahme eines Hörspiels. Das Schiff Esperanza«.<br />

69


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

außerdem den Rahmen der Erarbeitungsphase sprengen, den Schülern musikalische<br />

Verfremdungs-Techniken, leitmotivische Funktion oder parodierende Möglichkeiten von<br />

Musik nahezubringen. Durchaus denkbar wäre es hingegen, bei der Darbietung von<br />

Einzelgeräuschen und Hörräumen auch verschiedene Musikarten miteinzubeziehen, um<br />

das Thema »Musik« wenigstens zu streifen.<br />

Bei den Bildstellen ist eine Musik-Kassette zu entleihen mit dem Titel: »Zum Mitspielen:<br />

Playbacks zum Improvisieren« 21 . Darüber hinaus gibt es reichlich Tonbeispiele, die für<br />

den Einsatz im Musikunterricht gedacht sind, dazu gehören auch Jazz und kosmische<br />

Synthesizerklänge; Einzelheiten stehen im FWU-Verleihkatalog, der in jeder Schule<br />

ausliegt, unter der Rubrik »Musik«. Auf den im Handel erhältlichen Geräuschkassetten<br />

sind häufig auch typische Musikstücke enthalten, so zum Beispiel Spieluhr,<br />

Slapstickmusik (Klavierbegleitung zu Stummfilmen), gediegene<br />

Unterhaltungsmusik/Instrumental, Country and Western, romantische Geigenmusik,<br />

Disco-Sound. Man darf auf die Assoziationen der Schüler zu dieser kleinen Auswahl<br />

gespannt sein. Meine Schüler assoziierten erwartungsgemäß Spieluhr mit Weihnachten,<br />

Slapstickmusik jedoch mit Fernsehzirkus, Unterhaltungsmusik mit einlullender<br />

Atmosphäre im Supermarkt, Country- and Western-Musik mit Cowboyfilmen und<br />

Amerikanern, Geigenmusik mit dem Happy-End amerikanischer Liebesfilme, und der<br />

Disco-Sound war natürlich für sie »ihre« Musik. Interessant in diesem Zusammenhang<br />

scheint mir, wie sich das Rezeptionsverhalten geändert hat. Musik ist für Jugendliche<br />

häufig kein eigenständiges, künstlerisches Produkt mehr, sondern »Dauerberieselung« in<br />

einer Medien- und Konsumgesellschaft.<br />

21 FWU-Tonkassette. »Zum Mitspielen: Playbacks zum Improvisieren«. 31 Minuten, Stereo. Bildstellen-<br />

Verleih-Nr. 2302355.<br />

70


Arbeitsblatt 11: Geräusche selbst herstellen<br />

71<br />

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de


Der innere Monolog<br />

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Anknüpfend an das einstimmende Selbstgespräch aus dem »Schiff Esperanza« soll der<br />

Begriff »innerer Monolog« eingeführt werden. W. G. Müller beschreibt ihn so: »Der innere<br />

Monolog ... ist eine ... Technik der direkten Wiedergabe der stummen, den Innenraum des<br />

Bewußtseins einer Person nicht transzendierenden Gedanken- und Gefühlsprozesse in<br />

der 1. Person Singular und der Gegenwart ( ... ) Zu trennen ist der i. M... von der freien<br />

indirekten Gedankenwiedergabe, ( ... ), die in Tempus (Präteritum) und Person (3.<br />

Person) dem Erzählbericht angeglichen ist«. Der innere Monolog läßt »die innerste<br />

Sprache eines Charakters, die intimsten Bewußtseinsabläufe ... vernehmlich werden«. 22<br />

Ein innerer Monolog – und das sollen die Schüler erkennen – meint nicht banale<br />

Feststellungen im Selbstgespräch wie: »Heute ist aber schönes Wetter« oder »Ich muß<br />

nachher noch schnell Katzenfutter besorgen.« Wenn im »Klassenaufsatz« Geiger sagt:<br />

»Ich gehe über den Hof zum Schülereingang. Der Himmel ist wieder klar, und die Sonne<br />

scheint«, handelt es sich auch hierbei nicht um einen wirklichen, inneren Monolog,<br />

sondern um eine Beschreibung, die der Orientierung des Hörers dienen soll. Der innere<br />

Monolog meint eher das Zwiegespräch mit sich selbst, das um eine bestimmte<br />

Konfliktsituation kreist, Momente also, in denen ein Mensch sich unschlüssig ist, wie er<br />

sich verhalten soll. Gedanken schießen ihm durch den Kopf, er stellt sich Fragen, sucht<br />

nach Lösungen, ist hin- und hergerissen. Während ein laut denkender Mensch auf der<br />

Bühne etwas eigentümlich wirkt, ist das Hörspiel geradezu dafür geschaffen, Innerliches<br />

nah ans Ohr des Hörers zu rücken: der innere Monolog gleicht dem natürlichen<br />

Gedanken- und Bewußtseinsstrom, der jedem Menschen vertraut ist.<br />

Der in der 1. Person gesprochene innere Monolog muß von den Schülern eindeutig von<br />

der freien, indirekten Gedankenwiedergabe in der 3. Person unterschieden werden<br />

können. Eine solche dritte Person wäre zum Beispiel ein Erzähler. Der Arbeitsauftrag zum<br />

Text des Arbeitsblattes 12 auf S. 68 zielt genau auf diese Unterscheidung ab.<br />

22 Wolfgang G. Müller: Innerer Monolog, in: Borchmeyer/Zmegac (Hrg.): Moderne Literatur in<br />

Grundbegriffen, Frankfurt 1987, S. 190 f.<br />

72


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

1. Ingrid könnte mit sich selbst »reden«, oder 2. ein Erzähler könnte dem Hörer berichten,<br />

wie Ingrid sich fühlt.<br />

Im Anschluß an das Arbeitsblatt 12 soll noch ein weiterer Text gegeben werden, eine<br />

Stelle aus »Klassenaufsatz«, die geeignet ist, den Schülern das Wesen des inneren<br />

Monologes zu verdeutlichen: Es ist der Moment, in dem Kilian seinen Aufsatz vorlesen<br />

soll (s. Arbeitsblatt 13 auf S. 69).<br />

73


Arbeitsblatt 12: Der innere Monolog<br />

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Ingrid lag grübelnd und voller Angst auf ihrem Bett, als Mutter mit dem blauen Brief<br />

hereinkam. Schnell schloß sie die Augen und tat, als ob sie schlief. Mehrmals rief die<br />

Mutter ihren Namen, aber Ingrid reagierte nicht. Wie glaubhaft schien es, daß sie einfach<br />

müde war. Die Mutter rüttelte sie. Ingrid gähnte, lachte der Mutter fröhlich ins Gesicht und<br />

sagte-. »Ach Mammi, ich habe gerade von Dir geträumt!« Als Ingrid sich so sprechen<br />

hörte, wunderte sie sich selbst über ihre Fähigkeit, zu lügen.<br />

Arbeitsauftrag: Wollte man aus dem obigen Text ein Hörspiel machen, bliebe nur wenig<br />

übrig, was die Sprecher zu sagen hätten. Das würde dann so aussehen:<br />

Mutter: Ingrid! – Ingrid? – Ingrid!<br />

Ingrid: (gähnt, dann fröhlich lachend) Ach Mammi, ich habe gerade von Dir geträumt!<br />

»Gähnt« und »fröhlich lachend« sagt aber gar nichts über Ingrids Gefühle aus. Welche<br />

Möglichkeiten gibt es, ihren inneren Konflikt in einem Hörspiel zu vermitteln?<br />

1. Man<br />

könnte ...........................................................................................................................<br />

2. Man<br />

könnte ............................................................................................................................<br />

74


Arbeitsblatt 13: Der innere Monolog<br />

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Geiger: Kilian war verlegen, als Siebusch ihm den Aufsatz zurückgab. Er strich sich das<br />

Haar aus der Stirn, wurde rot, stand auf, setzte sich wieder hin, stand wieder auf.<br />

Siebusch: Warum lesen Sie denn nicht vor, was Sie geschrieben haben, Kilian?<br />

Kilian: Vorlesen? Ja, aber ich weiß nicht. ... Es ist eigentlich kein Aufsatz...<br />

Siebusch: Zieren Sie sich? Wollen Sie nicht?<br />

Kilian: Es ist eigentlich kein Aufsatz. Ich weiß nicht, ob ich mich verständlich machen<br />

kann.<br />

**********<br />

Arbeitsauftrag: Was mag in diesen Sekunden wohl im schüchternen Kilian vorgehen?<br />

Notiere ein paar Sätze, die ihm wahrscheinlich durch den Kopf schießen.<br />

Eine konkrete Ausformulierung ist auch an dieser Stelle nicht verlangt, da das Schreiben<br />

eigener Texte Vorrang vor der Beschäftigung mit Fremdmaterial hat. Ein Arbeitsauftrag<br />

zum Verfassen eines eigenen inneren Monologes könnte lauten:<br />

»Du wachst morgens auf und dir fällt ein, daß du heute eine Klassenarbeit schreibst. Du<br />

weißt, du hast in den letzten Arbeiten in diesem Fach schon mehrere schlechte Noten<br />

geschrieben und überlegst, was du nun tun sollst. Du kannst aufschreiben, was du vor<br />

oder während der Klassenarbeit empfindest.«<br />

75


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Schulangst ist ein Thema, bei dem fast alle aus dem Vollen schöpfen können. Die<br />

Ergebnisse des in Einzelarbeit erstellten inneren Monologes können frappierend sein in<br />

ihrer Authentizität; einige Schüler tendieren dazu, sich in seitenlangen Selbstgesprächen<br />

zu verlieren. Einer meiner Schüler, ein Legastheniker, schilderte offen seine<br />

Versagensängste. Da mit Sicherheit viel Persönliches in die inneren Monologe mit<br />

einfließt, werden eventuell nur wenige Schüler bereit sein, ihre Ausarbeitung im Plenum<br />

zur Diskussion zu stellen. Dennoch ist zum Erkennen von »Fehlern« (z. B. Monolog in der<br />

Vergangenheit oder Banalitäten anstelle von konkreter Betroffenheit) das Heranziehen<br />

einiger Beispiele erforderlich. Sollte sich tatsächlich kein Schüler finden, der vorliest, wäre<br />

es gut, einen selbst vorbereiteten inneren Monolog vorzustellen, der Diskussionsanreize<br />

in Form von eingebauten »Fehlern« enthalten sollte.<br />

Es ist empfehlenswert, am Stundenende die Blätter derjenigen Schüler einzusammeln, die<br />

dies wünschen, und sie mit einem kurzen – auf das Hörspielschreiben abzielenden –<br />

Kommentar zu versehen. (Es wäre auch denkbar, den inneren Monolog als Hausaufgabe<br />

schreiben zu lassen; dies hängt von der Zeitplanung des Lehrers ab.)<br />

Hier das Arbeitsbeispiel eines 14jährigen Schülers zum obengenannten Thema:<br />

(Hier folgen im Original handschriftliche Textauszüge in schlechter Qualität.)<br />

Das Wesen des inneren Monologes kann mit Hilfe motivierender Arbeitsaufträge schnell<br />

deutlich gemacht werden. Doch wie muß ein Selbstgespräch akustisch umgesetzt<br />

werden, damit es sich vom Dialog abhebt? Woher soll der Hörer wissen, daß die<br />

betreffenden Sätze gedacht und nicht gesprochen werden; der Dialogpartner der<br />

denkenden Hörspielfigur diese Sätze also nicht hören kann? Diese Frage könnte von den<br />

Schülern beantwortet werden mit dem Hinweis, einen Sprecher einzubauen, der<br />

ankündigt, wenn eine Person zu sich selbst spricht, z. B.: »Peter beginnt zu Grübeln. Er<br />

denkt: » ... « Die Schüler müssen erkennen, daß eine solche Lösung einen Bruch im<br />

Hörspiel darstellen würde (siehe auch: Funktion des Erzählers, S. 73). Die einfachste,<br />

technische Lösung, die man der Klasse vorführen kann, ist die akustische Abhebung des<br />

gedachten Textes durch das Sprechen in ein Gefäß (Dose, Eimer). Durch diesen Trick<br />

76


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

erhält die Stimme einen Nachhall, der natürlich nicht so professionell klingt wie die<br />

Anwendung des Echoreglers bei hochwertigen Tonbandgeräten.<br />

Eine zweite Möglichkeit der akustischen Differenzierung ist, beim Sprechen des inneren<br />

Monologes ganz dicht an das Mikrophon heranzugehen, wobei der Eindruck entsteht, ein<br />

vertrauter Mensch flüstere einem direkt ins Ohr (Hörbeispiel in »Elemente des Hörspiels«,<br />

Teil 1). Letzteres muß jedoch erst ausprobiert werden, wenn der Kassettenrekorder nur<br />

über ein eingebautes Mikrophon verfügt; die Aufnahme könnte übersteuert sein. Zum<br />

Experimentieren und zur Vervollständigung der Liste »Eigene Herstellung von<br />

Geräuschen« ist es wichtig, daß die Schüler diese technischen Tricks auf ihrem<br />

Arbeitsblatt nachträglich notieren.<br />

Einführung in die Funktion des Erzählers<br />

Mit dem Erzähler im Hörspiel ist die Lerngruppe an verschiedenen Stellen der<br />

Erarbeitungsphase bereits konfrontiert worden, vor allem durch die Person Geigers im<br />

»Klassenaufsatz«, aber auch durch einen Arbeitsauftrag im Abschnitt »innerer Monolog«.<br />

Somit kennen sie bereits die beiden Arten von Erzählern: zum einen den ins Hörspiel<br />

integrierten Erzähler, der quasi als Moderator fungiert (Geiger leitet ein, gibt<br />

Hintergrundinformationen, spielt selbst mit, tritt dann wieder heraus und kommentiert das<br />

Geschehen. Gleiches gilt z. B. auch für Edgar Wibeau im Hörspiel »Die neuen Leiden des<br />

jungen W.« 23 oder für die drei Erzähler in »Fahrerflucht« 24 ; zum andern den<br />

»überflüssigen« Erzähler, der als unbeteiligter Dritter gerne eingebaut wird, um sich Arbeit<br />

zu sparen. Beispiele für solche »überflüssigen« Erzähler gibt es zuhauf, insbesondere in<br />

themenorientierten Hörszenen für den Unterricht. Unbeteiligte Dritte leiten ein, fassen das<br />

bisher Gehörte zusammen oder kündigen die jeweils kommende Szene an. Dies hat bei<br />

themenorientierten FWU-Kurzhörspielen den didaktischen Nutzen, Inhalte rascher zu<br />

transportieren und die Aufmerksamkeit der Klasse gezielt in eine Richtung zu lenken. Ein<br />

unbeteiligter, »auktorialer« Erzähler hat dann seine Berechtigung, wenn beispielsweise für<br />

das Verständnis der Handlung notwendige, manchmal komplizierte Vorgeschichten oder<br />

23 Ulrich Plenzdorf: Die neuen Leiden des jungen W., Hörspielfassung. Produktion: Bayerischer Rundfunk,<br />

61 Minuten, (FWU) Bildstellen-VerleihNr.2202066.<br />

24 Alfred Andersch: Fahrerflucht. Hörspiel. Regie: Marcel Wal-Ophüls, 57 Minuten. (FWU) Bildstellen-<br />

Verleih-Nr. 2200346. Bestellnr. bei Cotta's Hörbühne (vgl. Anmerkung 2a): 761070.<br />

77


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Hintergründe als »Auftakt« oder »Zwischenbilanz« zusammenfassend vorgetragen<br />

werden müssen. Für das Unterrichtsprojekt halte ich es didaktisch für günstiger, mit einem<br />

integrierten Erzähler bzw. ganz ohne Erzähler zu arbeiten. Ein unbeteiligter Erzähler<br />

macht es den Schülern zu leicht und erspart ihnen das Kopfzerbrechen, Handlungsteile<br />

dialogisch und technisch aufzubereiten, kurz, dramaturgisch tätig zu werden. Natürlich<br />

gibt es, wie überall, Ausnahmen (man denke an Ingeborg Bachmanns Hörspiel<br />

»Zikaden« 25 ).<br />

Um den Schülern die ihnen ansatzweise bekannten zwei Erzählertypen zu verdeutlichen,<br />

ist es vorteilhaft, ihnen einen kurzen Abschnitt der themenorientierten FWU-Hörszene<br />

»War das nötig?« 26 vorzuspielen und den Unterschied zum Erzähler in »Klassenaufsatz«<br />

herausarbeiten zu lassen. Ein vertiefender Arbeitsauftrag könnte sein, daß die Schüler in<br />

arbeitsteiligem Gruppenunterricht drei verschiedene Versionen des gleichen Geschehens<br />

bearbeiten: 1. Szene als reiner Dialog, 2. Szene eingeleitet und kommentiert von einem<br />

unbeteiligten Erzähler, 3. Szene als Dialog mit eingebautem, integriertem Erzähler, der<br />

gleichzeitig einen der beiden Dialogpartner darstellt. Die dritte Version dürfte die<br />

schwierigste sein. Entscheidet man sich für diese Zusatzübung, sollte man im Plenum<br />

eine sehr kurze Szene wählen, die keinen allzu großen Arbeitsaufwand erfordert. Eine<br />

akustische Aufzeichnung soll nicht stattfinden. Der vertiefende Arbeitsauftrag eignet sich<br />

auch als Hausaufgabe.<br />

Abschluß der Erarbeitungsphase<br />

Für die letzte Stunde der Erarbeitungsphase schlage ich vor, der Klasse einige<br />

ausgewählte Ausschnitte aus Wickerts »Klassenaufsatz« vorzuspielen, am besten auch<br />

Teile, die ihnen vom Textmaterial her bekannt sind. Dies umschließt den Anfang des<br />

Hörspiels bis zu der Stelle, in der Christa Daniels (»das Reh«) aufgerufen wird 27 ; dann<br />

25 Ingeborg Bachmann: Zikaden. Hörspiel. Regie: Gerd Westphal, NWDR Hamburg, 1955. 93 Minuten. Im<br />

Handel über »Cotta's Hörbühne« (vgl. Anmerkung 2 a).<br />

26 FWU-Tonkassette: »War das nötig?« 4 Hörfolgen, Laufzeit 37 Minuten. Bildstellen-Verleih-Nr. 2202300.<br />

27 Erwin Wickert: Der Klassenaufsatz. Reclam-Textheft 8443. Mit einem autobiographischen Nachwort,<br />

Stuttgart 1986, S. 9 oben.<br />

78


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Müller-Detmolds 50-Jahresplan 28 sowie den Auftritt von Kilian 29 und seinen Werdegang bis<br />

hin zum Schluß des Hörspiels 30 , als Geiger seine ehemalige Schule wieder verläßt und<br />

nachdenklich durch die Straßen geht.<br />

Dies ist das erste Mal, daß die Schüler längere Hörspielpassagen vorgespielt bekommen.<br />

Die Szenen sollten nicht einfach präsentiert, sondern mitunter angehalten und<br />

besprochen werden, insbesondere an Stellen, die Anlaß zu kritischer Reflexion über<br />

Sprache, Technik und Dramaturgie geben. Das Hauptaugenmerk soll auf den den<br />

Schülern bislang unbekannten Part (Kilians Auftritt bis Schluß) gerichtet sein. Beim<br />

Unterrichtsgespräch wird man erstaunt feststellen, mit welch geschärften Sinnen die<br />

Klasse detaillierte Kommentare zu den sprachlichen und technischen<br />

Gestaltungselementen abgeben kann.<br />

Zusätzliche Planungshilfen bei der Vorbereitung produktiver<br />

Hörspielarbeit ab Klasse 10<br />

Es kann sehr fruchtbar sein (ist aber kein Muß), Schülern ab der 10. Klasse noch einige<br />

Denkanstöße zum planvollen Aufbau ihres Hörspielmanuskripts zu geben.<br />

I. Analytische und synthetische Hörspielform<br />

Beim analytischen Hörspiel liegt das eigentliche Ereignis, der Wendepunkt oder gar die<br />

Katastrophe am Anfang. Man denke zum Beispiel an »Die neuen Leiden des jungen W.« 31<br />

– Der Hörer weiß von Beginn an, daß Edgar Wibeau ums Leben gekommen ist. In<br />

»Fahrerflucht« 32 beginnt das Hörspiel ebenfalls damit, daß eine junge Frau zu Tode<br />

kommt. Die Hörspiele befassen sich in ihrem Verlauf mit den Details, die zur Katastrophe,<br />

Wende u. ä. geführt haben und beleuchten die Frage, wie es denn überhaupt so weit<br />

28 Ebd., S. 12-14.<br />

29 Ebd., ab S. 28.<br />

30 Ebd., S. 35.<br />

31 Winfried Pielow: Ein Stück schreiben, in: Praxis Deutsch, 20, 1976, S. 55-57.<br />

32 Wolfgang Borgmeyer: Die Arbeit am Hörspiel, in: Information und Beispiel 1987/88, S. 51. Hrsg.:<br />

Landesbildstellen.<br />

79


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

kommen konnte. Steht das Ereignis am Anfang, wird Neugier im Hörer geweckt. Ähnlich<br />

wie bei einem Krimi, bei dem der Mord am Anfang steht, wird der Hörer »bei der Stange<br />

gehalten«, bis er des Rätsels Lösung erfährt.<br />

Beim synthetischen Hörspiel liegt der Höhepunkt des Spannungsbogens am Schluß. Die<br />

Ereignisse spitzen sich nach anfänglich harmlosen, locker aneinandergereiht<br />

scheinenden Begebenheiten langsam zu.<br />

II. Spannende Exposition<br />

Die im Arbeitsblatt 14 aufgeführten (fiktiven) Expositionen ziehen den Hörer ins<br />

Geschehen hinein und könnten der analytischen Hörspielform zugeordnet werden.<br />

III. Dramaturgisch ergiebige und unergiebige Themen<br />

Obgleich man sicherlich jeder der drei Meldungen (s. Arbeitsblatt 15) Aspekte abgewinnen<br />

kann, die eine Umarbeitung des Stoffes in Hörspielform interessant erscheinen lassen,<br />

sind doch die Meldungen Nr. 2 und 3 unergiebiger als Nr. 1. Meldung Nr. 3 ist weniger<br />

geeignet insofern, als sie nur eine dramatische Situation, nicht aber einen dramatischen<br />

Handlungsverlauf beinhaltet. Die Nebelbank taucht plötzlich auf; aus dieser Tatsache<br />

heraus läßt sich keine Handlung entwickeln. Denkbar wäre lediglich – nach der<br />

Katastrophe – eine Aneinanderreihung von Rückblenden und die Erschaffung einer<br />

fiktiven Person, die letztendlich in die Karambolage verstrickt würde. (Auch dieses<br />

weniger geeignete Beispiel läßt bereits die Phantasie spielen und beweist, daß sich aus<br />

jeder Tageszeitung Themen entnehmen lassen, aus denen eine imaginäre »Story«<br />

erwachsen kann.) Bei Meldung Nr. 2 verhält es sich ähnlich wie bei Meldung 3; auch hier<br />

müßte die Handlung in die Vergangenheit zurückverlegt werden. Beide Meldungen<br />

benennen keine konkreten Personen und sind daher in einer Schulklasse schwerer<br />

anzugehen als Meldung Nr. 1.<br />

80


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Arbeitsblatt 14: Ein spannender Hörspielanfang fesselt die Aufmerksamkeit des<br />

Hörers<br />

a) Biggie: Mann, wir müssen hier runter, Peter! Hier können sie uns sehen!<br />

b) Mario: Tja – und wann ist die Gerichtsverhandlung?<br />

c) Else: Tut mir echt leid, Mama, aber ich glaube, ich muß dir was Unangenehmes<br />

beichten ...<br />

d) Vater: Schon zwei Stunden! Die Kinder hätten längst anrufen müssen! Ob da was<br />

passiert ist?<br />

e) Henny: Und? Wie geht's ihr? Immer noch so schlimm?<br />

Norbert: Ja, vorhin hat sie nur dummes Zeug vor sich hin geredet.<br />

Henny: Am besten, wir geben ihr ein Schlafmittel. Das ist das einzige, was wir überhaupt<br />

für sie tun können.<br />

81


Arbeitsblatt 15: Drei Zeitungsmeldungen<br />

1. Gerade noch zur rechten Zeit<br />

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Stundenlang waren gestern Polizeiwagen im Einsatz, um in Frankfurt einen roten VW Golf<br />

ausfindig zu machen. Der 18jährige Fahrer des Pkw wollte Selbstmord begehen. Er hatte<br />

vierzig Schlaftabletten genommen und war dann in seinen Wagen gestiegen. Zwei<br />

Fußgänger entdeckten den Golf beim Abendspaziergang an der Isenburger Schneise. Der<br />

junge Mann war ohne Bewußtsein. Mit einem Rettungsfahrzeug wurde er ins<br />

Heiliggeisthospital gebracht.<br />

2. Gedenkmarsch für die Opfer<br />

Amsterdam: Ein Strom von Menschen ging am Wochenende schweigend die Hoover-<br />

Gracht entlang, wo sich vor einem Jahr das schwere Schiffsunglück ereignet hatte, bei<br />

dem über 40 Passagiere den Tod fanden.<br />

3. Massenkarambolage bei dichtem Nebel<br />

Stuttgart. Drei Menschen konnten nur noch tot aus den Trümmern geborgen werden,<br />

nachdem sich gestern nachmittag gegen 16 Uhr fünfzehn Autos auf der Autobahn<br />

Stuttgart-Ulm ineinander verkeilt hatten. Die Sichtweite betrug bei plötzlich aufgetretenem,<br />

dichten Nebel kaum mehr als zehn Meter. Erste Ermittlungen ergaben, daß plötzlich ein<br />

Reisebus quer auf der Fahrbahn gestanden hatte. Der Autobahnabschnitt mußte drei<br />

Stunden lang in beiden Fahrtrichtungen gesperrt werden.<br />

**********<br />

Arbeitsauftrag: Lies die drei Zeitungsmeldungen aufmerksam durch und überlege,<br />

welche Meldung sich am ehesten für ein Hörspiel eignet. Begründe deine Entscheidung<br />

sorgfältig.<br />

82


IV. Schwerpunkt der Handlung<br />

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Spielt man das Beispiel 1 aus Arbeitsblatt 15 gedanklich durch, kann diese Geschichte<br />

auf unterschiedlichste Art und Weise angelegt werden. Nicht nur mannigfaltige<br />

Beweggründe für den Selbstmordgedanken des jungen Mannes kommen in Betracht; man<br />

kann auch unter verschiedenen Erzählperspektiven wählen. Der Hörer könnte die<br />

Hintergründe z. B. durch folgende Sichtweisen vermittelt bekommen:<br />

– im Mittelpunkt steht der junge Mann (vgl. z. B. auch »Die neuenLeiden des jungen<br />

W.«)<br />

– im Mittelpunkt steht eine andere Person, die den jungen Mann kennt, und dessen<br />

Handlung ggf. mit ihr zu tun hat (vgl. Abschnitte aus »Der Klassenaufsatz«, in denen<br />

sich Lebenswege kreuzen und die Handlung beeinflussen)<br />

– im Mittelpunkt steht die Polizei, die im Dunkeln tappt<br />

– der Schwerpunkt wechselt von einer Person auf eine (oder mehrere) andere (vgl.<br />

»Fahrerflucht«; dort kommen drei Erzähler zu Wort, die alle an einem Ereignis beteiligt<br />

waren).<br />

V. Grundtenor der Handlung<br />

Der Grundtenor einer »Story« kann tragisch, komisch, tragikomisch, dokumentarisch,<br />

kriminalistisch oder aktionsgeladen sein. Um dies etwas zu verdeutlichen, hier ein paar<br />

Variationen:<br />

kriminalistisch: Man nehme an, der junge Mann aus Arbeitsblatt 15, Beispiel 1 wurde aus<br />

irgendeinem Grunde dazu gezwungen, die Tabletten einzunehmen, oder er glaubte, es<br />

handele sich nicht um echte Tabletten. Im Mittelpunkt steht wahrscheinlich die Polizei. Die<br />

Handlung ist spannend.<br />

dokumentarisch: Der Hergang der Ereignisse wird objektiv dargestellt, betrachtet,<br />

erforscht.<br />

tragisch: Welche Person auch immer im Mittelpunkt steht, die Handlung endet tragisch,<br />

selbst wenn der junge Mann gerettet wird.<br />

83


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

komisch: Der junge Mann hat (wissend oder unwissend) gar keine echten Schlaftabletten<br />

geschluckt und ist nach einem Waldspaziergang eingenickt.<br />

tragikomisch: Der junge Mann glaubt, echte Tabletten genommen zu haben (der Hörer<br />

ebenso), es stellt sich dann aber (für den Hörer) heraus, daß es harmlose Tabletten<br />

waren. Trotzdem durchleidet er in seiner Imagination die Folgen der Tabletteneinnahme.<br />

Wünschenswert: Ein Besuch beim Rundfunk<br />

Zur Abrundung der Erarbeitungsphase ein Anliegen, das sicherlich nur mit etwas Glück zu<br />

realisieren ist: Wenn es irgend möglich ist, sollte man versuchen, einen Besuchstermin im<br />

Hörspielstudio einer Rundfunkanstalt zu vereinbaren. Dies muß schon einige Wochen –<br />

mancherorts Monate – im voraus geplant werden. Beim Hessischen Rundfunk<br />

beispielsweise ist man gerne bereit, Schulklassen zu empfangen und ihnen ein Gespräch<br />

mit einem Hörspielregisseur/-redakteur zu ermöglichen. Die Gestaltung des Treffens kann<br />

der Lehrer vorab mit dem Betreffenden abstimmen und z. B. mit darüber befinden,<br />

welches Kurzhörspiel beim Besuch präsentiert und zur Diskussion gestellt werden soll.<br />

Ein solches Gespräch mit einem Profi in Verbindung mit dem Besuch von Hörspielstudio,<br />

Regieraum, schalltotem Raum und Geräuschearchiv kann außerordentlich fruchtbar sein.<br />

Die Schüler werden in ihrem Wissen bestärkt und zusätzlich motiviert. Ich erinnere mich<br />

an einen Besuch mit einer neunten Realschulklasse, während dessen Verlauf Christian<br />

Gebert, Hörspielredakteur beim HR, mehrmals verwundert feststellte, er müsse erst<br />

einmal »umschalten«, da er es mit Schülern zu tun hatte, die »nicht nur passiv den<br />

Apparat Rundfunk bestaunen«, sondern fachkundig auf Machart und Gestaltung des<br />

vorgestellten Kurzhörspiels »Der Schnorrer« eingingen. Sie berichteten von ihren eigenen<br />

Erfahrungen bei der Umsetzung ihrer Pausenhofszene, erkundigten sich über spezielle<br />

Verfahrensweisen, Aufnahmetechniken und zur Verfügung stehende Produktionszeit.<br />

Natürlich sollte man am Ende des Besuches den Schülern nicht verwehren, einen kurzen<br />

Blick durch die Scheibe des Servicewellen-Regieraums zu werfen, um Radio auch einmal<br />

»live« zu erleben.<br />

84


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Die Hauptgestaltungsphase: Eigenproduktion eines Hörspiels<br />

Vor Bekanntgabe des Themas bietet es sich an, gemeinsam noch einmal alle für das<br />

Verfassen eines Hörspiels wichtigen Gestaltungselemente an der Tafel<br />

zusammenzutragen. Hinzu kommen die »Faustregeln«, die in jeder Klasse anders lauten<br />

können; von Schülern meiner 9. Klasse beispielsweise wurde noch einmal herausgestellt,<br />

daß mit Geräuschen sparsam umgegangen werden muß, Geräusche nicht zu laut<br />

eingespielt werden dürfen (damit sich der Hörer auf die Dialoge konzentrieren kann) oder<br />

daß einzelne Szenen nicht zu sehr in die Länge gezogen sein dürfen (um Langeweile und<br />

inneres Abschalten beim Hörer zu vermeiden). Was am Ende als »das Wichtigste«<br />

festgehalten wird, hängt nicht zuletzt davon ab, welche Erkenntnisse sich während der<br />

Erarbeitungsphase in der speziellen Lerngruppe ergeben haben.<br />

Es sollte eine für alle Gruppen verbindliche Übereinkunft darüber getroffen werden, wie<br />

die Regieanweisung aussehen soll, z. B.<br />

• WER spricht?<br />

• WIE wird gesprochen?<br />

• WAS wird gesprochen?<br />

• Anmerkungen, Geräusche etc.<br />

Zur Festigung der Anwendung richtiger Regieanweisungen kann an dieser Stelle (oder<br />

aber in einer beliebigen, früheren Stunde als Hausaufgabe) das Arbeitsblatt 16<br />

eingebracht werden.<br />

Das »große« Hörspiel: Ein offenes Rahmenthema<br />

Nun ist es soweit: Das Rahmenthema wird bekanntgegeben (oder von den Schülern<br />

selbst gefunden). Eine Themenstellung ist dann optimal, wenn sie eine breite Palette<br />

inhaltlicher Aufbereitung bietet und sich am Erfahrungshorizont der Lerngruppe orientiert<br />

(vgl. auch »Möglichkeiten kreativen Schreibens«.). Die Schüler selbst sollen den<br />

größtmöglichen Nutzen aus ihrer Arbeit ziehen können. »Themen für eigene Stücke<br />

liegen dort auf der Straße, wo man zuhause ist. Das Problembewußtsein der Schüler im<br />

85


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Hinblick auf ihre eigenen Erfahrungs- und Wahrnehmungsmöglichkeiten ist die<br />

selbstverständliche Voraussetzung für diese Arbeit. Wir erkunden also aktuelle Fragen,<br />

Sorgen, Ängste. Derartige Voraussetzungen lassen sich auch durch Informationen aus<br />

Presse und Medien aufbereiten« 33 .<br />

33 H. J. Tymister, zitiert nach Wulf Wallrabenstein: Ein Hörspiel selber herstellen, in: Grundschule 11, 1979,<br />

S. 38-40.<br />

86


Arbeitsblatt 16: Regieanweisung<br />

a) Brigitte (plötzlich mit aufgeregter Stimme):<br />

»Ach, glaube, ich weiß jetzt, was er gemeint hat!«,<br />

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

b) (Autobahnraststätte. Ein junger Mann schaut ungeduldig auf die Uhr, blättert in der<br />

Speisekarte, Winkt der Bedienung.)<br />

Oliver: »Ich hätte gern eine Gulaschsuppe.«<br />

c) (Schritte. Eine Tür wird geöffnet.)<br />

Peter »Na, Wie war's?«<br />

d) (Ein Gewitter zieht auf. Am Horizont türmen sich dunkle Wolken.)<br />

Günter: »Es war aber auch Zeit.«<br />

e) (Regel prasselt an die Scheiben.)<br />

Meta: »Ich hab genau gewußt, daß er nicht kommt.«<br />

f) (Der Bahnsteig leert sich. Der Schaffner pfeift. Der Zug verschwindet in der Ferne.<br />

Rainer geht mit gesenktem Kopf fort.)<br />

Rainer (denkt): »Vielleicht ist es besser so.«<br />

g) Jens (vorwurfsvoll):<br />

»was ist denn hier los? Hast du schon wieder einen Unfall gehabt?«<br />

Arbeitsauftrag: Welche der genannten Regieanweisungen paßt am wenigsten in ein<br />

Hörspiel?<br />

87


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Im von mir durchgeführten Projekt gab ich meiner 9. Realschulklasse das auf Seite 11<br />

bereits genannte Thema, »Schüler/in verschwunden, Eltern sind ratlos, Schüler/in soll<br />

Probleme mit seinen/ihren Klassenkameraden gehabt haben«, bekannt. Dazu teilte ich<br />

Fotokopien aus, auf denen verschiedene, ähnliche Zeitungsmeldungen, die ich<br />

Tagespresse sowie einer Jugendzeitschrift entnommen hatte, nebeneinander montiert<br />

waren.<br />

In einer sich anschließenden Spontanphase wurden im Plenum unterschiedlichste<br />

Theorien entwickelt, die zum Verschwinden des Jungen/ Mädchens geführt haben<br />

mochten. Die Gruppen setzten sich danach zu einem ersten Ideenaustausch für »ihre«<br />

Story zusammen. Hier kann es nützlich sein, zur schriftlichen Fixierung der Ideen mehrere<br />

Zettel in der Gruppe kreisen zu lassen, auf die jeder Schüler einen Satz zum Thema<br />

notiert. Durch mehrmalige Weitergabe der Zettel und das Lesen der Ideen anderer<br />

Gruppenmitglieder potenziert sich der Austausch zu einem großen, assoziativen<br />

Brainstorming. (In dieser Klasse wurden vorher keine Zusatzinformationen über den<br />

Aufbau von Hörspielen gegeben; vgl. S. 62 ff.)<br />

Für die nun vor den Arbeitsgruppen liegende Phase des Entwickelns und Schreibens ihrer<br />

Manuskripte sollte man ihnen etwa zwei bis drei Wochen Zeit geben. Man darf damit<br />

rechnen, daß überdies ohne Aufforderung ein Höchstmaß an inhaltlichem Engagement<br />

während der Nachmittagstreffen stattfindet. Ich erinnere mich an eine besonders<br />

ehrgeizige Gruppe, die ein Manuskript abgab und sich dabei augenzwinkernd nicht die<br />

Bemerkung verkneifen konnte, vierzig Stunden ihrer freien Zeit, auch Samstage und<br />

Sonntage, mit Ausarbeitung und akustischer Umsetzung verbracht zu haben. Ihr<br />

»Regiebuch« hatten die Schüler penibel auf einem Computer-Textverarbeitungssystem<br />

getippt.<br />

Was die Organisation des dreiwöchigen Schreib- und Umsetzungsprozesses angeht, so<br />

wäre es wünschenswert, die Gruppen nicht alle in einem einzigen Klassenraum<br />

unterzubringen. Wer kreativ arbeitet, will nicht ständig durch fremde Themen, die sich ja<br />

zwangsläufig durch die Anwesenheit anderer Gruppen ergeben, abgelenkt werden. Man<br />

sollte in Absprache mit der Schulleitung zwei oder drei große Klassenräume (z. B. auch<br />

Kunst-/Werkräume) mit Gruppen belegen oder ihnen mehrere kleinere Räumlichkeiten zur<br />

88


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Verfügung stellen. Wichtig ist, daß diese Räume in unmittelbarer Nähe voneinander liegen<br />

(Aufsichtspflicht!). Die räumliche Trennung erlaubt es den Mitgliedern der einzelnen<br />

Gruppen, rege Diskussionen zu führen, dabei auch aufzustehen. umherzugehen und die<br />

Tafel zur Skizzierung von Ideen zu nutzen.<br />

Es kann natürlich nicht erwartet werden, daß sich die Gruppen gleich zu Beginn der<br />

Schreibphase auf eine unumstößliche »Story« festlegen. Die Entwicklung des<br />

Gesamtkonzepts, d. h. des Handlungsablaufs, die Festlegung der Charaktere, ihrer<br />

Beziehungen zueinander, ihrer Verhaltensweisen und -motive ist ein Prozeß, für den die<br />

Gruppen Zeit brauchen. Ein leeres Stück Papier vermag den einen herauszufordern, den<br />

anderen hingegen kann es erschrecken. Er schiebt die Arbeit immer weiter hinaus, trödelt<br />

herum und wird immer mißmutiger. Je länger diese Phase der Unentschlossenheit<br />

andauert, desto mehr Überwindung kostet es, den Kugelschreiber aufs Papier zu setzen,<br />

und desto schwerer fällt es, noch irgendetwas Zufriedenstellendes auf die Beine zu<br />

stellen. Dies gilt vor allem für Einzelarbeit, aber auch Gruppen können sich gegenseitig<br />

blockieren. Gruppen, die Probleme haben, eine »Storyline« zu finden, kann man den<br />

Ratschlag geben, einfach »draufloszuschreiben«. Eine vage Grundidee reicht schon aus.<br />

Die Intuition kommt häufig bei der Arbeit, und anfängliche Lücken können bald<br />

geschlossen werden. Das Wichtigste ist, daß die Gruppen mit dem Schreiben beginnen;<br />

selbst wenn sie sich nach einigen Szenen anders entscheiden sollten, so wurden sie doch<br />

durch den ersten Schreibprozeß zu Änderungen angeregt. Man sollte es auch tolerieren,<br />

daß ein Team sich in einer Schulstunde inhaltlich einmal zerstreiten kann und 45 Minuten<br />

lang auf keinen grünen Zweig kommt. So etwas darf man nicht allzu tragisch nehmen. Ich<br />

persönlich habe mich stets gefreut, wenn die Schüler mit hochroten Gesichtern über ihr<br />

Manuskript diskutierten und dadurch dokumentierten, wie sehr sie bei der Sache waren.<br />

Der Lehrer übernimmt in der Zeit der Schreibphase die Funktion eines Beraters. Er geht<br />

von einer Gruppe zur anderen, hilft hier und da weiter, gibt Anregungen, welche<br />

Gesichtspunkte vielleicht noch zu bedenken wären, oder er schlichtet, wenn die<br />

Meinungen einmal zu weit auseinandergehen. Keinesfalls aber sollte er sich zu sehr in<br />

den Entstehungsprozeß der Hörspielmanuskripte einmischen oder den produktiven<br />

Fortgang der Gruppenarbeit unablässig überwachen! Dies würde die Schüler in ihrer<br />

Entfaltung hemmen. Meistens bügeln Gruppen, die in der Schule getrödelt und daher<br />

89


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Schwierigkeiten mit dem Fortkommen haben, die verlorene Zeit aus, indem sie sich (ohne<br />

Aufforderung) in Freistunden oder zuhause zusammensetzen. Das geschieht natürlich<br />

nicht zuletzt auch unter Berücksichtigung der »Leistungen«, die andere Gruppen zu<br />

diesem Zeitpunkt bereits erbracht haben. Denn darüber ist man immer bestens informiert:<br />

einzelne Schüler oder ganze Gruppen suchen andere Gruppen auf, »spionieren« vielleicht<br />

ein bißchen, doch sie tun es auch, um Erfahrungen (manchmal auch Frustrationen)<br />

auszutauschen, Ratschläge einzuholen. Mit Genugtuung oder Erleichterung stellt man<br />

gegenseitig fest, daß es nirgendwo völlig reibungslos läuft. In allen Gruppen gibt es<br />

einmal Überschwang und einmal gedankliches »Blackout«; in allen Gruppen wird um die<br />

richtigen Formulierungen gerungen, ja gekämpft.<br />

Der folgende Auszug aus einem Szenenentwurf soll ein Beispiel für stilistisches und<br />

inhaltliches Ringen während der Entstehungsprozesse von Hörspieltexten geben:<br />

(An dieser Stelle folgen im Original handschriftliche Textauszüge in schlechter Qualität.)<br />

Obwohl meinen Schülern ein Geräuscheband zur Verfügung stand, verzichteten fast alle<br />

Gruppen darauf und nahmen ihre eigenen Geräusche auf. Eine Arbeitsgruppe setzte sich<br />

nachmittags mit dem Kassettenrekorder in den Zug und nahm über einen langen Zeitraum<br />

hinweg die typischen Zuggeräusche auf, die als Hintergrund ihrer Dialoge und inneren<br />

Monologe dienen sollten. Eine andere Gruppe baute ein Spezialgerät, um stimmliche<br />

Verfremdungseffekte zu erzielen. Die meisten Gruppen verlegten die Sprachaufnahme<br />

und die Fertigstellung ihrer Tonkassette unaufgefordert auf Zeiten außerhalb des<br />

regulären Deutschunterrichtes, vorwiegend auf Wochenenden. Man muß dazu sagen, daß<br />

dies nicht unter Protest geschah, sondern ein willkommener Anlaß war, sich einmal privat<br />

zu treffen und etwas gemeinsam zu tun, das Spaß machte. Mit Freude wurde registriert,<br />

wie das Endprodukt immer deutlichere Formen annahm.<br />

Aus der Praxis für die Praxis: Schülerzitate<br />

Da ich nicht ständig alle Gruppen beobachten oder gar überwachen wollte, mich aber<br />

trotzdem sehr für die einzelnen Gruppen- und Entstehungsprozesse interessierte, führte<br />

ich nach Beendigung der Produktionsphase eine »anonyme Umfrage« in der Klasse<br />

90


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

durch. Die Themenstellung des »großen« Hörspiels in dieser Klasse war »Schüler/in<br />

verschwunden«. Die Umfrage sollte mir über verschiedene Punkte Aufschluß geben. Die<br />

Fragen lauteten:<br />

1. Wie hat dir das Thema gefallen?<br />

Hättest du gerne andere Hörspielthemen bearbeitet?<br />

2. Wie seid ihr beim Schreiben vorgegangen?<br />

3. Hattest du negative Erfahrungen bei der Gruppenarbeit?<br />

4. Hattest du positive Erfahrungen bei der Gruppenarbeit?<br />

Hier einige Zitate:<br />

Zu 1.: Wie hat dir das Thema gefallen?/Hättest du gerne andere Hörspielthemen<br />

bearbeitet?<br />

»Das Thema ... bot viel Abwechslung. Allerdings hätte man auch andere Themen stellen<br />

können, z. B. ›Verirrt im Schneesturm‹ oder so.«<br />

»Ich fand das Thema sehr gut, weil man das Thema alleine behandeln konnte (gemeint<br />

ist: Ohne Hilfe des Lehrers, E. E.)«<br />

»Das Thema war sehr gut ausgesucht, da wir in das Hörspiel die Probleme unserer<br />

Klasse reinbringen konnten und vielleicht auch eine Lösung dieser Probleme.«<br />

»Das Thema »Abhauen« hat mir nicht gut gefallen, weil es nicht gut als Hörspiel<br />

geschrieben (vertont) werden kann Mein Vorschlag wäre ein Kriminalhörspiel.«<br />

»Das Thema war gut ausgewählt, da man aus diesem Thema viel machen kann.( ... )<br />

Außerdem ist es interessant, die Probleme von Jugendlichen darzustellen.«<br />

»Mir gefiel das Thema gut. Man konnte sein ganzes Wissen, das man in den<br />

vorhergehenden Stunden erlernt hatte, gut gebrauchen und einsetzen. Es gibt viele<br />

verschiedene Variationen, auf welche Art man das Stück schreiben kann.«<br />

91


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

»Man konnte sehr viel daraus machen, auch wenn es mir anfangs nicht besonders<br />

gefiel.«<br />

»Das Thema war recht interessant, im Gegensatz dazu, was man sonst für Themen im<br />

Deutschunterricht nimmt.«<br />

»Ich fand das Thema eigentlich ganz gut, denn man konnte selbst (mit der Gruppe) die<br />

Geschichte so erfinden, wie man es wollte.«<br />

»Das Thema war realistisch und nicht irgendwo aus der Luft gegriffen. ... Jeder konnte<br />

seinen Gedanken und Ideen freien Lauf lassen.«<br />

»Das Thema war für mich zu humorlos. Mir wäre ein anderes Thema lieber gewesen, wo<br />

es möglich gewesen wäre, komische Passagen einzubauen.«<br />

»Das Thema fand ich gut, obwohl ich am Anfang keine Lust dazu hatte.«<br />

»Es hat mir zum größten Teil gut gefallen, weil das Thema gut in unsere Altersstufe paßt<br />

und die Gemeinschaft stärkt.«<br />

»Das Thema gefiel mir am Anfang nicht besonders, weil man ... kaum witzige Szenen<br />

oder Sketche bringen konnte. ... Das Thema war eine besondere Herausforderung an die<br />

einzelnen Gruppenmitglieder.«<br />

»Es war ein sehr aktuelles Thema.«<br />

»In unserer Klasse geht es so her, daß jeder versucht, jeden fertig zu machen. Das<br />

Thema hat helfen können, die Auswirkungen solchen Verhaltens darzustellen.«<br />

Zu 2.: Wie seid ihr beim Schreiben vorgegangen?<br />

»Wir haben alle durcheinander geredet. Dabei kam nichts raus, So langsam hörten wir<br />

uns alle gegenseitig zu.«<br />

»Als erstes bestimmten wir die Charaktere und legten die Geschichte in Stichpunkten fest.<br />

Einzelheiten kamen während dem Schreiben. Jeder äußerte seine Meinung, brachte<br />

92


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Vorschläge und Ideen, wovon die besten von der Gruppe angenommen und dann<br />

verwendet wurden.«<br />

»Unsere Gruppe hat jeden Satz ausdiskutiert. Es wurde ein Satz vorgeschlagen und so<br />

lange daran rumgefeilt, bis er von jedem akzeptiert wurde. «<br />

»Wenn jemandem ein Satz eingefallen ist, haben wir erst diskutiert, ob der Satz gut ist (für<br />

den Text geeignet), bevor wir ihn in den Text eingefügt haben.«<br />

»Wir haben uns am Anfang darüber unterhalten, wie wir die Story machen und haben<br />

Stichpunkte aufgeschrieben. Dann haben wir die Geschichte ausführlich hingesehrieben.«<br />

»Wir haben uns zuerst geeinigt, wann und wo und an welcher Stelle des Textes die<br />

Hauptperson abbaut, dann haben wir das Verhältnis, in dem er zu seiner Umwelt steht<br />

und aus welchem Grund er abgehauen ist, herausgearbeitet.«<br />

»Als wir endlich die Charaktere bestimmt hatten, brauchten wir längere Zeit, einen Anfang<br />

und dazu die Fortsetzung zu finden. Man mußte ja alle Vorschläge, Ideen und Kritiken<br />

anhören und das beste herausfinden.«<br />

Wir haben uns jeder zuhause eine Kurzgeschichte ausgedacht, dann hat jeder seine<br />

Version erzählt und dann haben wir überall das beste rausgesucht und davon eine<br />

Geschichte geschrieben, mit der alle zufrieden waren.«<br />

»Beim Schreiben unseres Hörspiels war die erste Frage: Welcher Anfang. ... Bei der<br />

Erstellung eines Grundgerippes wurde sich relativ schnell geeinigt.«<br />

»Wir haben eigentlich keine Geschichte geschrieben, sondern gleich damit begonnen,<br />

Dialoge zu schreiben.«<br />

»Durch viele Vorschläge war schnell ein Grundgerüst aufgebaut, das dann mit<br />

Einzelheiten gefüllt wurde.«<br />

»Wir haben ganz am Anfang an die Tafel geschrieben, was der Junge, der abbaut, für<br />

einen Charakter hat, ob er Freunde hat usw.«<br />

93


Zu 3.: Hattest du negative Erfahrungen bei der Gruppenarbeit?<br />

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Hier muß noch einmal vorausgeschickt werden, daß es sich um eine sehr unsolidarische<br />

Klasse handelte, die häufig zerstritten war.<br />

»Unsere Gruppe hatte anfangs Schwierigkeiten, da wir vorher NIE miteinander zu tun<br />

hatten außer in der Schule mal ›Hallo‹ sagen oder so.«<br />

»Unsere Gruppe hatte am Anfang Probleme mit den Dialogen, da man sich nicht einigen<br />

konnte, ob es nun heißen sollte: »Halt deinen Mund, Peter« oder »Peter, halt deinen<br />

Mund.« Wir stritten uns manchmal 10 Minuten über einen Satz. Ich glaube, wir wollten<br />

alles perfekt machen. «<br />

»Es war schwer, einen Anfang zu finden, da wir erst sehr viel Unsinn gemacht haben...<br />

Einer in der Gruppe hat sich aufgeführt, als wäre er der Boß und alles müßte nach ihm<br />

gehen. Aber nach einer Diskussion sind wir zu dem Entschluß gekommen, daß wir noch<br />

einmal anfangen.«<br />

»Bei der Verständigung und Anerkennung von Vorschlägen einzelner Schüler gab es<br />

einige Probleme, weil ein oder zwei Schüler das »Oberhaupt« der Gruppe werden<br />

wollten.«<br />

»Oft hat man sich gestritten, wie man z. B. die Schritte aufnehmen sollte. «<br />

»Wir haben uns privat, das heißt, neben der Schule nur über das Thema gestritten.«<br />

»Probleme bei der Aufnahme, weil der Recorder manchmal nicht aufnahm und deshalb<br />

jede Szene 3-5mal gemacht werden mußte.«<br />

»Vor allem Probleme mit den Hintergrundgeräuschen, denn an dem Tag, an dem sie<br />

aufgenommen werden sollten, waren nicht die richtigen Batterien vorhanden, und die<br />

Tage danach hat es geregnet.«<br />

94


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

»Es war schwierig, daß alle zusammen etwas beschlossen, weil dann immer einer<br />

dagegen war... Wir hatten Schwierigkeiten zu Anfang des Aufnehmens, weil wir alles zu<br />

genau haben wollten, so daß wir für eine Szene einen Tag brauchten.«<br />

»Daß in der Gruppe viel rumgealbert worden ist und daß einige in manchen Stunden der<br />

Zusammenarbeit nicht richtig bei der Sache waren.«<br />

»Bei den Aufnahmen wurden zuviele Diskussionen abgewickelt, ohne diese wäre es<br />

schneller gegangen.«<br />

»Als wir in der Schule das Hörspiel vorbereiteten, haben einige Schüler gedacht, wir<br />

würden für sie die ganze Arbeit machen. Zum Glück wurde es den Schülern klar und sie<br />

haben dann mitgearbeitet.«<br />

»Wir haben zu lange an einem Satz rumgenörgelt.«<br />

»Eine negative Erfahrung war, daß ein Gruppenmitglied beim Vertonen des Hörspiels aus<br />

privaten Gründen fehlte. ... Da auch Szenen mit äußerst schwierigen Geräuschen<br />

ausgewählt wurden, war die Beschaffung der dazu benötigten Geräusche nicht gerade<br />

einfach.«<br />

»Es konnte sich lange Zeit nicht darüber geeinigt werden, wer nun die Hauptrolle ...<br />

spielt.«<br />

»Zu Beginn der Gruppenarbeit haben wir uns viel zu lang um unwichtige Einzelheiten des<br />

Stückes gekümmert, bis wir endlich zu den Charakteren gelangt sind. Während der<br />

Aufnahmen gab es häufig Streitigkeiten, wie der Sprecher den Text sprechen bzw.<br />

betonen sollte.«<br />

»Jeder will seine eigene Ideen miteinbringen. Es entstand dadurch viel Streit und Unruhe.<br />

Bis man sich einigte, verging viel Zeit.«<br />

Zu 4: Hattest du positive Erfahrungen bei der Gruppenarbeit?<br />

95


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

»Man konnte dabei seine Meinung über die Gestaltung des Hörspiels mit anderen<br />

besprechen und lernte gleichzeitig, über etwas zu diskutieren.«<br />

»Als das Stück zu Ende geschrieben wurde, war Teamgeist da.«<br />

»Bei uns war die Arbeit sehr abwechslungsreich. Die Geräusche sind uns sehr gut<br />

gelungen.«<br />

»Das Drehbuch war ziemlich schnell fertig, und die Rückblenden waren meiner Meinung<br />

nach auch gut.«<br />

»Eine der positiven Erfahrungen war, daß jeder seinen ganz privaten Vorschlag zu dem<br />

Thema machen konnte. ... Reibereien sind nicht auszuschließen, aber in unserer Gruppe<br />

hielt es sich in Grenzen.«<br />

»Die Aufnahme in unserer Gruppe verlief tadellos. Das war auch das, was beim Projekt<br />

Hörspiel am meisten Spaß gemacht hat: Daß alles mit Spaß und viel Zeit ging.«<br />

»Jeder in der Gruppe hat gut mitgearbeitet.«<br />

»Es hat jeder für jeden gearbeitet. ... Es gab eine gute Gemeinschaft. ... Es wurde immer<br />

demokratisch über einen Vorschlag abgestimmt.«<br />

»Man konnte sehen, daß auch so etwas Spaß machen kann, in einer Gruppe zu<br />

arbeiten.«<br />

»Das Gute an einer Gruppenarbeit ist, daß es viel mehr Spaß macht und man so näher<br />

mit der Klasse zusammenkommt.«<br />

»Daß alle ihre Meinung sagen konnten über ihren eigenen Text und den Text der<br />

anderen.«<br />

»Daß niemand sich von der Gruppenarbeit ausschloß.«<br />

»Manchmal ging es echt prima mit der Zusammenarbeit.«<br />

96


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

»Es hat sich keiner als Boß aufgeführt. Wir haben alle das Recht gehabt, unsere Meinung<br />

zu sagen, und wir haben alles zusammen entschieden.«<br />

»Die Texte wurden von allen ausgearbeitet, d. h. es haben alle mitgewirkt, ohne<br />

Ausnahme ... Mir hat unsere Gruppenarbeit sehr gut gefallen, nachdem wir uns<br />

aneinander gewöhnt hatten.«<br />

»Jeder hat jeden in dieser Zeit besser kennengelernt. Nach einer bestimmten Zeit sind sie<br />

aufeinander eingegangen.«<br />

»Jeder hat meiner Meinung nach sein Bestes gegeben, wenn es manchmal auch schwer<br />

war.«<br />

Beurteilen der eigenen Hörspiele<br />

Am günstigsten ist es, wenn der Abgabetermin von Regiebuch und dazugehöriger<br />

Tonkassette vor einem Kurz-Ferientermin liegt, damit zwischen Produktion und<br />

Präsentation einige Tage/Wochen Abstand liegen. Diese Überlegung basiert auf der<br />

Annahme, daß die einzelnen Gruppen Distanz zu ihrem eigenen Schaffen bekommen,<br />

abschalten müssen, um überhaupt die Ergebnisse anderer Arbeitsgruppen konzentriert<br />

wahrnehmen und kritisch beurteilen zu können.<br />

Ich habe die Erfahrung gemacht, daß ein Abhören der einzelnen Gruppenergebnisse im<br />

Sprachlabor die günstigsten Rezeptions- und damit auch Beurteilungsbedingungen<br />

schafft. Es gewährleistet ein hohes Konzentrationsniveau, und jeder Schüler kann sich<br />

ungestört stichpunktartige Notizen zum Gehörten machen. Bei der Besprechung sollten<br />

auch übergeordnete Aspekte berücksichtigt werden, die einen Rückgriff auf die<br />

»Faustregeln« in der Erarbeitungsphase darstellen. Solche Beurteilungs-Gesichtspunkte<br />

könnten sein:<br />

1. Inhalt des Hörspiels<br />

• Thema eingehalten?<br />

• Logik und Glaubwürdigkeit der Handlung<br />

97


• Themenspezifische Gesichtspunkte<br />

2. Charaktere im Hörspiel<br />

• klar herausgearbeitet?<br />

• Beziehungen zwischen den Personen deutlich?<br />

• Tonfall natürlich?<br />

• Verhaltensweisen/Wesenszüge einzelner Personen glaubwürdig?<br />

3. Dramaturgie<br />

• Rückblenden?<br />

• Innere Monologe?<br />

• Erzähler?<br />

• (Spannung/spannende Exposition?)<br />

• (Analytische oder synthetische Vorgehensweise/Mischform?)<br />

• (Schwerpunkt)<br />

• (Grundtenor)<br />

4. Techniken und Akustik<br />

• Waren die inneren Monologe als solche zu erkennen?<br />

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

• Konnte der Hörer immer den Wechsel von Ort, Zeit, Situation, Personen<br />

nachvollziehen?<br />

• Wenn ja, wie hat dies die Gruppe bewerkstelligt?<br />

– Pause zwischen Szenen<br />

– Geräusche als Orientierungshilfe<br />

– Vorankündigung/Neufixierung gleich zu Beginn der Szene<br />

– Ein-/Ausblenden<br />

• Waren die Geräusche eindeutig identifizierbar, etwa zu lang oder zu kurz?<br />

• Wurde deutlich gesprochen, etwa zu laut, zu leise?<br />

5. Regiebuch<br />

98


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Die Beurteilung kann entweder allein durch den Lehrer, aber auch durch das Plenum<br />

erfolgen. Zumindest auszugsweise sollte das Regiebuch dem Plenum zitiert oder in Teilen<br />

zugänglich gemacht werden (z. B. Charakterentwürfe). Das Regiebuch wird geprüft auf<br />

Übersichtlichkeit und Vollständigkeit. Rechtschreibfehler korrigiert der Lehrer<br />

kommentarlos.<br />

Es wäre hilfreich, wenn das Plenum nach dem ersten, unbefangenen Abhören eines<br />

Gruppen-Hörspiels die Inhaltsangabe der Einzelszenen dieses Hörspiels erhält. (Jeweils<br />

nur 1-2 Sätze pro Szene.) Diese Vorbereitungen sollten die Arbeitsgruppen auf der<br />

Grundlage ihres Regiebuches selbst treffen und ihren Mitschülern als Matrizenabzug<br />

aushändigen. Das Papier dient als Orientierungshilfe zur Stellungnahme allgemein sowie<br />

zur Erörterung obengenannter Kriterien. Ich gehe davon aus, daß die Gruppen gerne<br />

bereit sein werden, diese Zusatzarbeit für das Plenum zu übernehmen, da sie eine<br />

fundierte, kritische Würdigung ihrer Arbeit erwarten. Sie identifizieren sich mit ihrem<br />

»Werk«, das im Laufe seines Entstehungsprozesses zu einem Teil von ihnen geworden<br />

ist und sehen der Präsentation im Plenum stolz, aber auch etwas bang entgegen.<br />

Interessant dürfte es sein, wenn sich das Plenum auch einmal eingehender mit der<br />

Entstehungsgeschichte verschiedener, ausgewählter Hörspielszenen auseinandersetzt.<br />

So könnte man in der Gruppe umstrittene, d. h. mehrmals überarbeitete<br />

Manuskriptentwürfe zur Hand nehmen, sie mit der Endversion vergleichen und an einigen<br />

Textstellen erforschen, weshalb aus der Formulierung A die Formulierung B wurde,<br />

weshalb die »Story« vielleicht zunächst dieses, dann jedoch jenes Ende nahm. Bei einer<br />

solchen Betrachtung werden ein weiteres Mal Schülertexte zu ernst zu nehmenden<br />

literarischen Texten und schulen ebenfalls den Blick für den dramaturgischen Aufbau und<br />

die Sprachverwendung in Werken anderer Autoren.<br />

Ein Beispiel für Formulierungsänderungen, die eine Gruppe vorgenommen hatte:<br />

Aus (Mutter) »Ich freu mich, daß du wieder daheim bist« wurde »Was machst du denn für<br />

Sachen!«<br />

Aus »Hallo Mutti, hier ist Christian« wurde: Aa, äh, hallo, Mama, ich bin's.«<br />

Beispiel für die Streichung eines Schlusses:<br />

99


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Der Schluß hieß zunächst (nachdem der Ausreißer zurückgekehrt war): »Laßt uns nun<br />

anstoßen auf eine glückliche Zukunft. Prost.«<br />

Daran angefügt war ein unbeteiligter Erzähler, der hier zum ersten Mal auftauchte. Er sollte<br />

sagen: »Und es wurde eine glückliche Zukunft für die Familie Weinmann. ( ... ) Nach diesem<br />

Erlebnis verbesserten sich die Noten Christians schlagartig. Und wie Frau Weinmann<br />

vorhergesagt hatte, hatte er auch dementsprechend Freunde. Auch Carmen begann, sich für<br />

ihn zu interessieren ( ... ).<br />

Aus dem Rohmanuskript geht hervor, daß zunächst nur der unglaubwürdige<br />

Märchenonkel wegfallen sollte, dann jedoch, nach Beendigung des schriftlichen<br />

Endkonzeptes, wurde auch die Prost-Szene nicht mehr aufgenommen. Aus dieser<br />

zweimaligen Kürzung kann geschlossen werden, daß die ursprüngliche Euphorie (und<br />

auch Adaption von Happy-End-Vorlagen) – also der naive Glaube an klischeehafte<br />

Patentrezepte zur Lösung von Problemen – Zweifeln gewichen war. Die »schlagartigen«<br />

Verbesserungen schienen den Autoren nach allem, was den Jungen Christian zum<br />

Fortlaufen bewegt hatte, doch zu blauäugig zu sein. Man kann hieran gut sehen, daß die<br />

Gruppe den Sprung vom Hollywoodklischee zum geschärften Blick für Realitäten<br />

geschafft hat!<br />

Von einer Benotung der Ergebnisse würde ich abraten, es sei denn, die Klasse wünscht<br />

dies im nachhinein ausdrücklich als Honorierung ihrer Gruppenarbeit. In diesem Falle<br />

sollte das Plenum natürlich in die Notenfindung miteinbezogen werden. Keinesfalls jedoch<br />

darf die Note als Klassenarbeit gewertet werden. Peter W. Kahl schreibt in der Zeitschrift<br />

»Pädagogik«, Heft 4/88 S. 17: »Wichtig ist ..., daß die eigentlichen Anliegen der Schule,<br />

nämlich das Lehren, die Erziehung und Förderung des jungen Menschen nicht völlig durch<br />

die Momente des Beurteilens, Zensierens und Auslesens in den Hintergrund gedrängt<br />

werden. Die Frage nach dem pädagogischen Sinn der Leistungsmessung und<br />

-beurteilung im Gesamtzusammenhang der intellektuellen und sozialen Erziehung ist<br />

immer wieder zu stellen.«<br />

Sicherlich ist es notwendig, im Anschluß an das Hörspielprojekt den Stoff zu nutzen, um<br />

eine Einzelbeurteilung in Form einer Klassenarbeit vorzunehmen. Hierbei sollten jedoch<br />

die Bewertungskriterien vorher detailliert festgelegt und mit den Schülern besprochen<br />

werden, damit sie wissen, worauf es ankommt. So könnte der Lehrer beispielsweise einen<br />

kurzen Prosatext austeilen und diesen in zwei bis drei kleine Hörszenen umformulieren<br />

100


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

lassen. Neben der sprachlichen Ausführung wird bewertet, ob etwa eine Rückblende, ein<br />

innerer Monolog, ein Szenenwechsel eingebaut wurde, ob Regieanweisungen zu Tonfall<br />

und Geräuschen vorhanden sind usw.<br />

Hier ein Beispiel für einen solchen kurzen Prosatext:<br />

101


Arbeitsblatt 17<br />

»Trampen«: Textvorlage für die Gestaltung kleiner Hörszenen<br />

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

So schnell hatte Bernd die Strecke noch nie geschafft. Von Frankfurt bis zum Rasthof<br />

Wetterau in nur zwanzig Minuten. Schade, daß es eine so kurze Mitfahrgelegenheit war,<br />

dachte er, denn er wollte nur noch fort von hier, so weit es nur ging. Nach Hamburg. Dann<br />

werde ich erst einmal einen Kaffee trinken, bevor ich wieder den Daumen raushalte, ging<br />

es ihm durch den Kopf, Er bedankte sich, nahm seinen Rucksack, Die Raststätte war<br />

überfüllt. An der Theke holte er sich einen Becher Kaffee und balancierte ihn in Richtung<br />

des einzigen Tisches, an dem noch ein Platz frei war. Dort saß eine junge Frau, das<br />

Gesicht in den Händen vergraben. Bernd trank einen Schluck von dem Plastikkaffee und<br />

sah sich seine Tischgenossin an. So, wie sie aussah, war sie wohl auch eine Tramperin.<br />

Sie machte einen völlig verstörten Eindruck. »Ich will Richtung Hamburg«, sagte er zu ihr.<br />

»Und du?«<br />

102


Veröffentlichung der Hörspiele<br />

Was kann man nun mit den »großen« Hörspielen anfangen?<br />

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Abgesehen davon, daß die Gruppen ihr »Werk« mit Sicherheit privat noch sehr lange<br />

aufbewahren werden, könnte man ihnen vorschlagen, die Ergebnisse auf irgendeine Art<br />

zu veröffentlichen. Dies wäre im Rahmen eines Elternabends, eines Schulfestes oder<br />

eines Tages der offenen Tür denkbar. Diskutabel finde ich auch die Idee, daß von den<br />

Schülern in der Bibliothek ein Hörspielstudio eingerichtet wird, in dem ab und an Hörspiele<br />

vorgeführt und mit einem abwechselnden Publikum diskutiert werden.<br />

Ein weiterer Vorschlag wäre die Einrichtung von Schul-Rundfunk als einer sinnvollen<br />

Ergänzung zur Schülerzeitung: Am Schul-Rundfunk könnten sich verschiedene Klassen<br />

mit eigenen Beiträgen über das Schulleben beteiligen.<br />

Ich möchte dieses Buch beschließen mit der Hoffnung, daß mehr Lehrer den Mut finden,<br />

Unterrichtsprojekte in offener Arbeitsweise anzugehen. Schule kann Freiräume nutzen, in<br />

denen das Arbeiten Spaß macht. Dabei kann der Lernende »die Fähigkeit erlangen, die<br />

eigenen Arbeitserfolge zu erkennen und als für ihn positiv zu deuten, damit er sich auf<br />

Dauer von Bestätigungen, Bekräftigungen und Ermutigungen der Erwachsenen<br />

freimachen und Strategien der Selbstbestätigung und Selbstermutigung entwickeln kann.<br />

Dieser notwendige Prozeß der Emanzipation des Lernenden ... kann zeitlich verkürzt und<br />

in der Wirkung intensiviert werden, wenn Lernende Gelegenheit bekommen.«<br />

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung<br />

außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des<br />

Rechteinhabers unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen,<br />

Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in<br />

elektronischen Systemen.<br />

103

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!