Anja Christine Wagner | UEBERflow
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© a c w Ko mp e t e n t e s L e r n e n i n d e r N e t zw e r k g e s e l l sc h a f t 54 forderte Illich daraufhin, eine „Entschulung der Gesellschaft“ (Illich 1973; Illich 2003). Die öffentliche Infrastruktur solle lediglich ein Angebot schaffen, das freiwillig und nicht verpflichtend zum Ziele der Herausbildung mündiger Bürger/innen genutzt werden könne. Bildungsgeflechte statt Bildungstrichter sah er als Lösungsansatz, der Homeschooling ebenso beinhalte wie aufgewertete Bibliotheken, Museen oder ähnliche Lernstätten. Als Alternative schlug Illich ein Bildungswesen vor, das sich durch drei Zwecke auszeichnet, die eine auffallende Ähnlichkeit zu aktuellen Open Education-Forderungen aufweisen, wie später aufzuzeigen sein wird: 1. Jede/r sollte jederzeit Zugang zu vorhandenen Lernmöglichkeiten haben. 2. Alle, die als Lehrende wirken möchten, sollen die Vollmacht haben, Lernende zu finden. 3. Alle, die der Öffentlichkeit ein Problem darlegen möchten, sollen die Gelegenheit haben, dies zu tun. In dieser Sichtweise brach sich ein Gedanke Bahn, der einen Ausweg aufzuzeigen vermag aus dem klassischen Bildungsdiskurs, der bis heute vorherrscht und an dieser Stelle kurz zusammengefasst werden soll: • Bildung und Lernen werden zumeist auf formale Aspekte reduziert - selbst bei der Analyse informeller Aspekte wird vorzugsweise die Einbindung in formale Kontexte untersucht. • Erziehung meint eine gelenkte Ausrichtung zugunsten einer bildungspolitisch ausgehandelten Norm an sozial geforderten Fähigkeiten - je nach Argumentationsstand zugunsten der (Aus-)Bildung selbstbestimmter Individuen oder sozio-kulturell erforderlicher Qualifikationen. • Die klassische Erziehung setzt Lehrende als Vermittler/innen voraus. Eine gestaltete Lernumgebung kann in dieser Logik nur in Fortführung oder als Ersatz von Lehrenden diskutiert werden - eine informelle Gestaltung von Lernumgebungen ist in dieser Perspektive nicht denkbar. Vielmehr verlagert sich die Erziehungsdebatte zugunsten informeller Skills in die Diskussion rund um aktuell erforderliche Kompetenzen und konzentriert sich dort v.a. auf die Kompetenzmessung, um sie wieder einzufangen in die formalen Prozesse (dazu später mehr). • Der Diskurs selbst heftet sich an klar umrissene Raum- oder Zeitkonfigurationen - selbst raum- oder zeitübergreifende Konzepte werden über die konkreten Verortungen im Bildungs- resp. Lernprozess diskutiert. Nicht verortbare und/oder zeitlich unbegrenzte Lernepisoden sind schwer zu identifizieren, weil im pädagogischen Diskurs mit dem Abgleich von intentionalem Lernziel und Lernergebnis ein zentrales Momentum einer an das Wissen- oder Können-Lernens geknüpften (Aus- oder Weiter-)Bildung existiert.
© a c w Ko mp e t e n t e s L e rn e n in d e r N e t zw e r k g e s e l l sc h a f t 55 • Bildung als politisches Konzept erscheint im politischen Diskurs vielen als nationales Heiligtum. Über bildungspolitische Parameter setzen souveräne Staaten die Prioritäten, die für ihr nationalökonomisches Fortschreiten erforderlich sind. Gezielte Anreizsysteme und Subventionen dienen den (supra-)nationalen Institutionen zur bildungspolitischen Steuerung der Geschicke „seiner“ BürgerInnen. Eine gewährleistete Schulpflicht und Unterstützung der Ausbildung ist inhärenter Bestandteil einer fortschrittlichen, nationalen „Wissensökonomie“ (auch dazu später mehr). • Diese Sichtweise entspricht keiner exklusiv deutschen oder westlichen Ausrichtung, sondern differiert international lediglich im Hinblick auf die konkreten pädagogischen Maßnahmen. Bildung als formales Ziel der Erziehung stellt ein global anerkanntes, bildungspolitisches Ziel dar - nicht zuletzt angetrieben durch gravierende sozio-ökonomische Interessen, die die Bildungsindustrie raum- und zeitübergreifend zu bedienen vermag (dazu jetzt das folgende Kapitel). 2 3 2.2.4 INTER-NATIONALE BILDUNGSÖKONOMIEN Um den Bildungsdiskurs von seinem (supra-)national verengten und normativ überhöhten Siegeszug auf den materiellen Boden zurückzuholen, drängt sich ein nüchterner Blick auf den globalen Bildungswettbewerb auf. Welche Funktionen übernimmt „die Bildung“ neben der idealtypischen Ermächtigung des Individuums, „zu sich selbst zu finden“ im Sinne Humboldts? 2.2.4.1 BEDEU TUN G DE R BILD UN G IN DER NETZWER KGESE LLSC HAF T In der von Castells beschriebenen internationalen Arbeitsorganisation [Producers of high value, Producers of high volume, Redundant producers] entlang der neuen räumlichen Flows entscheidet der Zugang zu den global verbindenden Technologien, ob die Person zu den „strukturell relevanten“ oder „irrelevanten“ Personen zählt. In diesem „informationellen Paradigma der Arbeit“ (Castells 2001a, 1:275) kann sich gewünschten Netzwerken nur anschließen und diese mit gestalten, wer Zugang findet in den space of flows. Weltweit verteilt sitzen die beteiligten Personen, die in den vernetzten Datenfluss eingreifen, neue Allianzen bilden und die Realwirtschaft am Laufen halten (Farrell und Fenwick 2007a). Selbst in den von der Weltwirtschaft vernachlässigten Weltregionen arbeitet eine kleine Elite, die Zugang zum Netz und damit zur Weltgesellschaft hat. Viele von ihnen sind Absolvierende der Kaderschmieden der Weltökonomie (Harvard, M.I.T., London School of Economics o.ä.) (Dirlik 2006, 5). Andere nutzen die vorhandenen Datenbahnen in den Internet- 23 Das folgende Kapitel entspricht (bis auf das Unterkapitel „Internationalisierung der Bildung“) größtenteils einem Auszug meines Buchbeitrages „Kompetenzentwicklung in vernetzten Kontexten. Herausforderungen für die Bildungspolitik“ (Anja C. Wagner 2011).
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forderte Illich daraufhin, eine „Entschulung der Gesellschaft“ (Illich 1973; Illich 2003).<br />
Die öffentliche Infrastruktur solle lediglich ein Angebot schaffen, das freiwillig und<br />
nicht verpflichtend zum Ziele der Herausbildung mündiger Bürger/innen genutzt<br />
werden könne. Bildungsgeflechte statt Bildungstrichter sah er als Lösungsansatz, der<br />
Homeschooling ebenso beinhalte wie aufgewertete Bibliotheken, Museen oder<br />
ähnliche Lernstätten. Als Alternative schlug Illich ein Bildungswesen vor, das sich<br />
durch drei Zwecke auszeichnet, die eine auffallende Ähnlichkeit zu aktuellen Open<br />
Education-Forderungen aufweisen, wie später aufzuzeigen sein wird:<br />
1. Jede/r sollte jederzeit Zugang zu vorhandenen Lernmöglichkeiten haben.<br />
2. Alle, die als Lehrende wirken möchten, sollen die Vollmacht haben, Lernende zu<br />
finden.<br />
3. Alle, die der Öffentlichkeit ein Problem darlegen möchten, sollen die Gelegenheit<br />
haben, dies zu tun.<br />
In dieser Sichtweise brach sich ein Gedanke Bahn, der einen Ausweg aufzuzeigen<br />
vermag aus dem klassischen Bildungsdiskurs, der bis heute vorherrscht und an dieser<br />
Stelle kurz zusammengefasst werden soll:<br />
• Bildung und Lernen werden zumeist auf formale Aspekte reduziert - selbst bei der<br />
Analyse informeller Aspekte wird vorzugsweise die Einbindung in formale Kontexte<br />
untersucht.<br />
• Erziehung meint eine gelenkte Ausrichtung zugunsten einer bildungspolitisch<br />
ausgehandelten Norm an sozial geforderten Fähigkeiten - je nach<br />
Argumentationsstand zugunsten der (Aus-)Bildung selbstbestimmter Individuen<br />
oder sozio-kulturell erforderlicher Qualifikationen.<br />
• Die klassische Erziehung setzt Lehrende als Vermittler/innen voraus. Eine<br />
gestaltete Lernumgebung kann in dieser Logik nur in Fortführung oder als Ersatz<br />
von Lehrenden diskutiert werden - eine informelle Gestaltung von<br />
Lernumgebungen ist in dieser Perspektive nicht denkbar. Vielmehr verlagert sich<br />
die Erziehungsdebatte zugunsten informeller Skills in die Diskussion rund um<br />
aktuell erforderliche Kompetenzen und konzentriert sich dort v.a. auf die<br />
Kompetenzmessung, um sie wieder einzufangen in die formalen Prozesse (dazu<br />
später mehr).<br />
• Der Diskurs selbst heftet sich an klar umrissene Raum- oder Zeitkonfigurationen -<br />
selbst raum- oder zeitübergreifende Konzepte werden über die konkreten<br />
Verortungen im Bildungs- resp. Lernprozess diskutiert. Nicht verortbare und/oder<br />
zeitlich unbegrenzte Lernepisoden sind schwer zu identifizieren, weil im<br />
pädagogischen Diskurs mit dem Abgleich von intentionalem Lernziel und<br />
Lernergebnis ein zentrales Momentum einer an das Wissen- oder Können-Lernens<br />
geknüpften (Aus- oder Weiter-)Bildung existiert.