Anja Christine Wagner | UEBERflow

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07.03.2013 Aufrufe

© a c w F a z i t mi t Au sb li c k 342 Rahmenbedingungen einer internationalen Bildungspolitik und der abschließenden Einordnung der Expertinnen-Meinungen diskutiert. Diese Diskussion mündete in vier Alternativ-Szenarien, die darauf hinwirken könnten, mehr Menschen auf den Weg hin zum formulierten Leitbild für das Jahr 2020 mitzunehmen. Über den gesamten Forschungsprozess hinweg lassen sich abschließend vier grobe Linien zeichnen, die sich durch die gesamte Arbeit ziehen: 1. Das raum-zeitliche Gefüge hat sich verändert. 2. Die kulturellen Identitätsmarker individualisieren sich. 3. Lernen bedeutet Entwicklung und Netzkontakt bedeutet Lernen. 4. Neue Kampflinien entstehen entlang der sanktionierten Netznutzung. 6.1.1 DAS RAUM-ZEITLICHE GEFÜGE HAT SICH VERÄNDERT In der Netzwerkgesellschaft komprimiert sich das Zeit-Raum-Kontinuum in eine qualitativ neue Dimension, die auf verschiedenen Ebenen fortwirkt: In Zeiten des space of flows kommt dem space of places eine geringere Bedeutung in der Gestaltung der sozio-politischen, sozio-kulturellen wie sozio-ökonomischen Handlungsfelder zu. Der nationalstaatliche Einfluss weicht angesichts der Global Governance zurück, auch wenn Staaten weiterhin bemüht sind, Kontrolle über die Netzwerke zu gewinnen. Internationale Organisationen dominieren die weltpolitische Agenda und entziehen ihre Entscheidungen einer unmittelbaren demokratischen Legitimation. Gleichzeitig steigt der anerkannte Einflussbereich der Zivilgesellschaft über die legitimierende Kraft möglichst internationaler NGOs, die begrenzt demokratisierende Effekte haben. Derweil stossen die Einflusssphären internationaler Organisationen indirekt harmonisierend bis in die (Hoch-)Schulen vor. Das Humboldt'sche Ideal von gesellschaftlich sanktionierten Räumen, in denen junge Studenten für eine Karenzzeit ihren bildungsbürgerlichen Forschungen nachgehen können, um an ihrer inneren Ordnung zu arbeiten, hat sich zugunsten einer konsequent output-orientierten äußeren Ordnung überholt. Gleichwohl hält das traditionelle Bildungssystem an der räumlichen wie zeitlichen Organisation von Bildung fest: Einerseits sollen Individuen bestimmte Ausbildungsschritte in einer zeitlich sequentiellen Ordnung in möglichst staatlich sanktionierten, örtlich klar definierten Institutionen absolvieren, um dem gesellschaftlichen Auftrag nachzukommen. Andererseits dehnen sich klassische Bildungsinstitutionen entlang der neuen räumlichen wie zeitlichen Gelegenheiten aus, um selbst zu überleben. Während also die klassischen Bildungsinstitutionen um ihre Daseinsberechtigung kämpfen, verlagert sich das eigentliche Lernen in den informellen Bereich. In verschiedenen Bezügen konnte aufgezeigt werden, um wieviel bedeutsamer das

© a c w F a z i t mi t Au s b l i c k 343 kontextuelle Netzwerk einer Person ist als der spezifische Inhalt resp. das gelernte Wissen. Sich global zu vernetzen über vorhandene (soziale) Netzwerke oder Communities of Practice (CoP) ist sehr wichtig für Menschen, wollen sie die Netzwerkgesellschaft aktiv mitgestalten. CoPs vermögen dabei am space of places einen Einstieg bieten in die dezentrale Netzwerk-Struktur. Individuelle Netz- Kompetenz aber setzt voraus, sich fortan selbst kontinuierlich einzubringen und ggf. neue Netzwerke mit aufbauen zu helfen. Seitens der Gesellschaft sind hierfür räumliche wie zeitliche Einstiegsfenster zu garantieren, so dass Personen nicht der Zugang verstellt wird, sie also (passiv) exkludiert werden. Insofern können formale Bildungsinstitutionen (Schulen, Bibliotheken, Museen, Internet-Cafés o.ä.) als funktionales Sprungbrett durchaus hilfreich sein, hier einen ersten soziotechnologischen Zugang zu gewährleisten. Das eigentliche Netzlernen aber erfolgt in den Netzen - und nicht an den Zugangspunkten. Diese Entwicklung anzuerkennen und gleichzeitig für geschützte Zeit-Räume zu sorgen, wäre ein erster wichtiger Schritt einer modernen Bildungspolitik für die Schaffung einer positiven User Experience. 6.1.2 KULTURELLE IDENTITÄTSMARKER INDIVIDUALISIEREN SICH Als soziales Muster breiteten sich seit den 1960er Jahren progressive Bewegungen aus, die als „networked individualism“ eine „Kultur realer Virtualität“ schufen, indem sie die traditionelle Kultur herausforderten und sukzessive transformierten. Mit den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) und der Restrukturierung des Kapitalismus erwuchsen hieraus oppositionelle Bewegungen, die nicht nur bisherige kollektive Identitätsmuster in Frage stellten, sondern auch eine neue Basis für vielfältige Innovationen boten. Im Gefolge der raum-zeitlichen Kompression in der Netzwerkgesellschaft verändern sich zudem die sinnstiftenden Bezüge, die sich den vernetzten Personen anbieten. Die historische territoriale Kontinuität, die den sozio-kulturellen Bezug traditionell dominierte, weicht sukzessive einer globalen Kultur, die sich bis zur Web 2.0-Kultur ausdifferenziert. Denn im Social Web setzt sich eine Kulturform durch, die als globale Schicht sich quer zu den interkulturellen Codes und Praktiken des space of places legt. In dieser Schicht manifestieren sich neue, sozio-technologisch bedingte soziokulturelle Werte und Normen, die in den dezentralen sozialen Netzwerken ausgehandelt und als kulturelle Codes im space of flows weitergetragen werden. An den Schnittstellen des space of flows mit dem space of places sickern diese dann in die Handlungspraktiken vor Ort ein. Die Virtualität realisiert sich sukzessive. Dabei entsteht keine uniforme Weltkultur, wohl aber ein ähnliches Kulturmuster, das allerdings am space of places von tradierten Wertemustern -also auch vom regionalen, medialen Kulturmodell- jeweils durchdrungen ist. Gleichzeitig definieren selbstbestimmte Personen ihre verschiedenen Zugehörigkeiten

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kontextuelle Netzwerk einer Person ist als der spezifische Inhalt resp. das gelernte<br />

Wissen. Sich global zu vernetzen über vorhandene (soziale) Netzwerke oder<br />

Communities of Practice (CoP) ist sehr wichtig für Menschen, wollen sie die<br />

Netzwerkgesellschaft aktiv mitgestalten. CoPs vermögen dabei am space of places<br />

einen Einstieg bieten in die dezentrale Netzwerk-Struktur. Individuelle Netz-<br />

Kompetenz aber setzt voraus, sich fortan selbst kontinuierlich einzubringen und ggf.<br />

neue Netzwerke mit aufbauen zu helfen. Seitens der Gesellschaft sind hierfür<br />

räumliche wie zeitliche Einstiegsfenster zu garantieren, so dass Personen nicht der<br />

Zugang verstellt wird, sie also (passiv) exkludiert werden. Insofern können formale<br />

Bildungsinstitutionen (Schulen, Bibliotheken, Museen, Internet-Cafés o.ä.) als<br />

funktionales Sprungbrett durchaus hilfreich sein, hier einen ersten soziotechnologischen<br />

Zugang zu gewährleisten. Das eigentliche Netzlernen aber erfolgt in<br />

den Netzen - und nicht an den Zugangspunkten. Diese Entwicklung anzuerkennen und<br />

gleichzeitig für geschützte Zeit-Räume zu sorgen, wäre ein erster wichtiger Schritt<br />

einer modernen Bildungspolitik für die Schaffung einer positiven User Experience.<br />

6.1.2 KULTURELLE IDENTITÄTSMARKER INDIVIDUALISIEREN SICH<br />

Als soziales Muster breiteten sich seit den 1960er Jahren progressive Bewegungen aus,<br />

die als „networked individualism“ eine „Kultur realer Virtualität“ schufen, indem sie<br />

die traditionelle Kultur herausforderten und sukzessive transformierten. Mit den<br />

neuen Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) und der<br />

Restrukturierung des Kapitalismus erwuchsen hieraus oppositionelle Bewegungen, die<br />

nicht nur bisherige kollektive Identitätsmuster in Frage stellten, sondern auch eine<br />

neue Basis für vielfältige Innovationen boten.<br />

Im Gefolge der raum-zeitlichen Kompression in der Netzwerkgesellschaft verändern<br />

sich zudem die sinnstiftenden Bezüge, die sich den vernetzten Personen anbieten. Die<br />

historische territoriale Kontinuität, die den sozio-kulturellen Bezug traditionell<br />

dominierte, weicht sukzessive einer globalen Kultur, die sich bis zur Web 2.0-Kultur<br />

ausdifferenziert. Denn im Social Web setzt sich eine Kulturform durch, die als globale<br />

Schicht sich quer zu den interkulturellen Codes und Praktiken des space of places legt.<br />

In dieser Schicht manifestieren sich neue, sozio-technologisch bedingte soziokulturelle<br />

Werte und Normen, die in den dezentralen sozialen Netzwerken<br />

ausgehandelt und als kulturelle Codes im space of flows weitergetragen werden. An<br />

den Schnittstellen des space of flows mit dem space of places sickern diese dann in die<br />

Handlungspraktiken vor Ort ein. Die Virtualität realisiert sich sukzessive. Dabei<br />

entsteht keine uniforme Weltkultur, wohl aber ein ähnliches Kulturmuster, das<br />

allerdings am space of places von tradierten Wertemustern -also auch vom regionalen,<br />

medialen Kulturmodell- jeweils durchdrungen ist.<br />

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