Anja Christine Wagner | UEBERflow

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07.03.2013 Aufrufe

© a c w U s e r Ex p e r i e n c e a l s F lo w - An a l y s e 176 1. Auf der viszeralen Ebene reagieren die Sinne interkulturell vergleichbar auf starke emotionale Signale der Umwelt. Ein ansprechendes Design, eine Tonlage oder das provozierte Gefühl kann als universale ästhetische Dimension eines Angebotes wirken. Zwar üben kulturell präferierte Farben, Icons oder Symbole einen Einfluss auf das ästhetische Vergnügen aus - die kognitive Interpretation der mitschwingenden Bedeutung erfolgt allerdings auf der nächsten Ebene. Hier dagegen wirkt nur die sinnliche Ansprache - entweder spricht deren Ästhetik das kulturelle Wertegefühl des Individuums unbewusst an oder eben nicht. 2. Auf der Verhaltensebene dagegen unterscheidet sich die konkrete Nutzung hinsichtlich Funktion, Verständnis, Usability und physikalischem Zugang je nach individuellem, kulturellem Background. Hier ist die Bedeutung eines interkulturell kompetenten Designs nicht zu unterschätzen, denn die mentalen Modelle von Designern und Usern sind stark von kulturellen Einflüssen geprägt. Viele Studien wurden zwischenzeitlich veröffentlicht, die interkulturelle Ansprüche an Websites oder Informationsangebote formulieren, um den individuellen Anforderungen an gebrauchstaugliche Gestaltung gerecht werden zu können (vgl. Kamentz 2006, 117ff.). So erwartet -in Extrapolation des Hofstede'schen Ansatzes- eine Kultur mit niedriger Machtdistanz z.B. eher unterstützende Meldungen als eine unsichere Kultur mit hohem MAS-Wert, die klare, strikte und restriktive Meldungen bevorzugt. Auch das Look & Feel der gesamten Anwendung und die verwendeten Metaphern und Hierarchien lassen auf die gefühlte Machtdistanz und das Rollenverständnis einer Kultur zurück schliessen. Und im Navigationsdesign unterscheiden sich die Anforderungen je nach der kulturellen Langzeitorientierung. Entsprechend der in Kap. 3.3.2 diagnostizierten Web 2.0- Kultur und der von Kamentz zusammengetragenen Web-Ausprägungen je nach kulturellem Index (Kamentz 2006, 118ff.), lassen sich folgende Social Web- Features induktiv ableiten, die sich aufgrund des nationalen, medialen Kulturmodells graduell unterscheiden werden: • Der teils individualistische, teils kollektivistische Stil des Web 2.0 führt zu einer ambivalenten Motivationsförderung. Sowohl die Betonung persönlicher Leistung als auch die Gruppenarbeit motivieren Menschen zum Mitmach- Web. Gleichzeitig dominiert ein dialektisches Verhältnis zur Veröffentlichung wie zum Schutz der eigenen Daten. Hingegen führt das Web 2.0 eine klar individualistische Komponente, indem kontroverse Meinungen gefördert werden; und eine klar kollektivistische Ausrichtung, da soziale Beziehungen einen hohen moralischen Wert mitbringen. • Die geringe Machtdistanz im Social Web führt über die spezifischen Kanäle der regionalen Netzpräferenzen zu einer zunehmend flachen Struktur der Inhalte, zu einer Wahrnehmung der Bürgerinteressen als gleichberechtigte

© a c w U se r Ex p e r i e n c e a l s F lo w - An a l y s e 177 PartnerInnen und zu einer transparenten Informationsforderung. • Die schwache Unsicherheitsvermeidung lässt eine individualisierte User- Kontrolle über das Navigationsgeschehen zu. Kontextspezifische Hilfesysteme sollten dem Verständnis der Funktionalität dienen, weniger der Anleitung zur konkreten Problemlösung. • Die feminine Web 2.0-Kultur betont Werte wie Kooperation, Unterstützung und gegenseitigen Austausch und fördert die kommunikative Lenkung der Aufmerksamkeit durch ästhetische Kriterien der Informationsaufbereitung. 3. Auf der reflektierenden Ebene wiederum hilft ein wechselseitiges interkulturelles Verständnis, um die Botschaft und Kultur eines Angebotes zu verstehen bzw. universalen Ansprüchen anzupassen. An diesem Punkt ist die interkulturelle Kompetenz seitens der User und der Gesellschaft gefordert. Nicht als Soft Skill, sondern im Sinne eines prozessspezifischen Konzepts als „erfolgreiches ganzheitliches Zusammenspiel von individuellem, sozialem, fachlichem und strategischem Handeln in interkulturellen Kontexten“ (Bolten 2007, 759). Eine Trennung von harten zu weichen Faktoren ist im Zeitalter des Web 2.0 nicht mehr zeitgemäß. Die spezifische Soziokultur übt einen grossen Einfluss auf Wahrnehmungsprozesse aus - und das auf allen drei Stufen der Perzeption: Auf der Selektionsstufe wirken soziokulturell erlernte Filterprozesse, die Ebene der Organisation folgt tradierten Ordnungsmustern und auf der interpretativen Stufe werden Informationen nach den kulturellen Codes individuell dekodiert. Alle drei Stufen folgen dabei keinem kulturellen Determinismus, sondern ermöglichen individuelle Interventionen. Dieses Potenzial konnte erst das Web 2.0 komplett erschliessen. Im Zuge der medialen Durchdringung der soziokulturellen Entwicklungen hin zum Social Web stellen personalisierte RSS-Feeds oder die Nutzung der Folksonomy (Selektion), aggregierende RSS-Reader oder Personal Learning/Information/Knowledge Environments (Organisation) und emergentes, soziales Networking (Interpretation) Kulturtechniken dar, die zwar universal funktionieren, aufgrund ihrer individuellen Gestaltung aber sonstigen kulturellen Einflüssen einen Spielraum bieten, den jede/r nach eigenem Ermessen ausfüllen kann. Inwiefern sich global agierende, sozial vernetzte Personen ihrer interkulturellen Nuancen bewusst sein sollten, um sich optimaler in Systeme aus einem anderen kulturellen Background hineindenken zu können, bleibt angesichts der kulturellen Angleichung und Entwicklung neuer soziokultureller Werte eher fraglich. Was bedeutet dies für die persönliche Gestaltung benutzergenerierter, digitaler Lernumgebungen? Flow-Empfinden setzt die Aneignung erforderlicher Fähigkeiten zur Bewältigung je neuer Herausforderungen voraus. Je nach tradierter nationaler Kultur durchläuft jede

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PartnerInnen und zu einer transparenten Informationsforderung.<br />

• Die schwache Unsicherheitsvermeidung lässt eine individualisierte User-<br />

Kontrolle über das Navigationsgeschehen zu. Kontextspezifische Hilfesysteme<br />

sollten dem Verständnis der Funktionalität dienen, weniger der Anleitung zur<br />

konkreten Problemlösung.<br />

• Die feminine Web 2.0-Kultur betont Werte wie Kooperation, Unterstützung<br />

und gegenseitigen Austausch und fördert die kommunikative Lenkung der<br />

Aufmerksamkeit durch ästhetische Kriterien der Informationsaufbereitung.<br />

3. Auf der reflektierenden Ebene wiederum hilft ein wechselseitiges interkulturelles<br />

Verständnis, um die Botschaft und Kultur eines Angebotes zu verstehen bzw.<br />

universalen Ansprüchen anzupassen. An diesem Punkt ist die interkulturelle<br />

Kompetenz seitens der User und der Gesellschaft gefordert. Nicht als Soft Skill,<br />

sondern im Sinne eines prozessspezifischen Konzepts als „erfolgreiches<br />

ganzheitliches Zusammenspiel von individuellem, sozialem, fachlichem und<br />

strategischem Handeln in interkulturellen Kontexten“ (Bolten 2007, 759). Eine<br />

Trennung von harten zu weichen Faktoren ist im Zeitalter des Web 2.0 nicht mehr<br />

zeitgemäß.<br />

Die spezifische Soziokultur übt einen grossen Einfluss auf Wahrnehmungsprozesse aus<br />

- und das auf allen drei Stufen der Perzeption: Auf der Selektionsstufe wirken<br />

soziokulturell erlernte Filterprozesse, die Ebene der Organisation folgt tradierten<br />

Ordnungsmustern und auf der interpretativen Stufe werden Informationen nach den<br />

kulturellen Codes individuell dekodiert. Alle drei Stufen folgen dabei keinem<br />

kulturellen Determinismus, sondern ermöglichen individuelle Interventionen. Dieses<br />

Potenzial konnte erst das Web 2.0 komplett erschliessen. Im Zuge der medialen<br />

Durchdringung der soziokulturellen Entwicklungen hin zum Social Web stellen<br />

personalisierte RSS-Feeds oder die Nutzung der Folksonomy (Selektion),<br />

aggregierende RSS-Reader oder Personal Learning/Information/Knowledge<br />

Environments (Organisation) und emergentes, soziales Networking (Interpretation)<br />

Kulturtechniken dar, die zwar universal funktionieren, aufgrund ihrer individuellen<br />

Gestaltung aber sonstigen kulturellen Einflüssen einen Spielraum bieten, den jede/r<br />

nach eigenem Ermessen ausfüllen kann. Inwiefern sich global agierende, sozial<br />

vernetzte Personen ihrer interkulturellen Nuancen bewusst sein sollten, um sich<br />

optimaler in Systeme aus einem anderen kulturellen Background hineindenken zu<br />

können, bleibt angesichts der kulturellen Angleichung und Entwicklung neuer soziokultureller<br />

Werte eher fraglich.<br />

Was bedeutet dies für die persönliche Gestaltung benutzergenerierter, digitaler<br />

Lernumgebungen?<br />

Flow-Empfinden setzt die Aneignung erforderlicher Fähigkeiten zur Bewältigung je<br />

neuer Herausforderungen voraus. Je nach tradierter nationaler Kultur durchläuft jede

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