Anja Christine Wagner | UEBERflow

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© a c w Ko mp e t e n t e s L e r n e n i n d e r N e t zw e r k g e s e l l sc h a f t 112 2.4 ERSTES RESÜMEE & OFFENE FRAGEN 45 Das digitale Netz hat die Gesellschaft durchdrungen - es ist von einem Medium für die Gesellschaft zum zentralen Lebenselexier und Werkzeug herangereift (Castells 2009a). Netzfreie Inseln werden absehbar nicht mehr existieren (können) - eine größtmögliche Verlagerung sozio-ökonomischer, sozio-kultureller und sozio-politischer Aktivitäten ins Netz zeichnet sich bereits ab. Dabei verändern die sozio-kulturellen Auswirkungen die Politik ebenso grundlegend wie die ökonomischen Prozesse und die persönliche Identität. Insofern ist eine individuelle Netz-Kompetenz und eine kollektive Netzwerk- Kompetenz erforderlich als sozio-technologische wie sozio-kulturelle Basis, um die dynamischen Potentiale des global vernetzten Lernens für die gesamtgesellschaftliche Weiterentwicklung nutzen zu können. Lernen kommt hier einer sozial eingebundenen, produktiven, tagtäglichen Auseinandersetzung der Lernenden mit dem Netz gleich (und entspricht damit dem Aristoteles'schen Lernverständnis). Die Befähigung zum guten Handeln im Sinne einer gerechteren Ordnung wird in der Netzwerkgesellschaft machtpolitisch über den Austausch kultureller Codes und Praktiken im Netz ausgehandelt. Lebenslanges Lernen geschieht hier alltäglich im sozialen Austausch, oftmals nicht-intentional und by-the-way - sofern ein Netzzugang gegeben ist. Will man in diesen sozialen Prozess möglichst viele Menschen einbinden, um Humboldts Ideal der humanen Ausbildung hin zur Individualität, Totalität und Universalität nachzukommen, braucht es moderner bildungspolitischer Maßnahmen, damit sich die neue Qualität des vernetzten Lernens entfalten kann. Bewegen sich einzelne Personen noch nicht aktiv im space of flows, bedarf es neben den strukturellen Voraussetzungen ggf. einer extrinsischen Motivation, um sich hineinzugeben in den Strom und sich die erforderlichen medialen wie sozialen Skills anzueignen. Das soziale Umfeld ist dabei entscheidend als Schaltzentrale zwischen Arbeiten, Lernen und Leben und der Verknüpfung der einzelnen Subjekte. In diesem Umfeld entfaltet sich die Kompetenz und es entstehen Räume für soziale Innovationen (Kirchhöfer 2006, 34). Im Zeitalter der Netzwerkgesellschaft wird dieses soziale Umfeld von lokalen wie vernetzten Räumen konfiguriert: Sowohl der space of flows als auch der space of places beeinflussen das spezifische soziale Umfeld einer Person - gleichgültig, ob diese sich aktiv in beiden Ausformungen bewegt oder nicht. 46 Ist der Person -aus zugangsbedingten oder psychologischen Gründen (und damit ist auch die sozio-kulturelle Bedingtheit des Lernens gemeint)- der Zugriff auf den 45 Im Resümee sind auch wieder einige Textstellen meines Buchbeitrages „Kompetenzentwicklung in vernetzten Kontexten. Herausforderungen für die Bildungspolitik“ zu finden (Anja C. Wagner 2011). 46 Auch BäuerInnen in entlegenen Regionen fernab jedweden Netzwerk-Anschlusses sind z.B. über die internationale Getreidebörse mit spekulativen Kursentwicklungen mit dem space of flows indirekt verbunden - allerdings ohne eine Chance, diesen mitgestalten zu können.

© a c w Ko mp e t e n t e s L e rn e n in d e r N e t zw e r k g e s e l l sc h a f t 113 Informationsfluss nicht möglich, bedarf es zunächst eines space of places, der Bildungsangebote bereitstellt, die den persönlichen Interessen entsprechen. Inwieweit hier räumlich begrenzte Bildungseinrichtungen in einem befristeten Zeitfenster helfen, einen space of places zu schaffen, der Menschen den Einstieg in den space of flows ermöglicht, bleibt fraglich. Die Möglichkeit, in den space of flows zu springen, sollte jederzeit, je nach individuellem Bedarf gegeben sein. Ohne Hürden, ohne Zeitfenster, ohne Zwang. Hier ist das selbstbestimmte Lernen gefordert, das im Gleichschritt zur Selbstorganisation die Fähigkeiten des Einzelnen kontinuierlich an die Erfordernisse der rasch ändernden Umwelt anpasst. Der kollektiven Netzwerk-Kompetenz kommt dabei eine Funktion des gesellschaftlichen Sparringspartners zu, der die staatliche Macht und Kontrolle des Lernprozesses an vernetzte Aktivitäten und die innere Ordnung eines sich bildenden Menschheitskollektivs abgibt (vgl. dazu Reinmann 2009, 8). Die Frage, die sich stellt, ist eine nach dem Grad der Formalisierung der Lernprozesse, um eine entsprechende Kompetenzentwicklung zu fördern. Reicht es aus, pädagogische Multiplikatoren einzusetzen, um die erforderliche Dynamik anzustoßen? Wohl kaum, sind mit der kollektiven Netzwerk-Kompetenz nicht nur Personen, sondern auch soziale Prozesse gemeint, die sich in vielfältigen strukturellen Netzwerkknoten -z.B. zugunsten von Liquid Democracy, Open Data oder Open Education- äußern können. In der UNESCO und der OECD hat sich bereits die Erkenntnis durchgesetzt, dass es einer Verbindung formaler, non-formaler und informeller Bildungsformen bedarf, aus denen selbstbestimmt Lernende auswählen können sollten (Gerlach 2000, 173). Auch die Weltbank konstatiert: „It was not and is not possible to extend lifelong learning with the traditional model of secondary and higher education; the emerging modalities open the possibility that a learning system driven by the needs of learners can emerge.“ (The World Bank 2003, 55) Andererseits werden informelle Formen der Weiterbildung -wie Radio, Fernsehen, Internet, Mobile Devices- auch auf internationaler Bühne nur in einzelnen Pilotprojekten gezielt zum Einsatz gebracht (Overwien 2004). Aber auf diese Medienpalette muss seitens selbstbestimmt Lernender auch zugegriffen werden, um grundsätzlich eine Bildungsdynamik anzustoßen, die zum Mainstream anschwillt und die breite Masse längerfristig erreicht. Wie also begegnet man bildungspolitisch diesen Anforderungen, wenn die Verantwortung von den Multiplikatoren auf die Lernenden übertragen werden soll, damit diese selbstbestimmt im vernetzten Austausch zu den aktiven Interagierenden aufschliessen können? Beim derzeitigen Kenntnisstand lassen sich weltweit vier verschiedene Personengruppen mit abnehmender Netz-Kompetenz identifizieren (angelehnt an

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Informationsfluss nicht möglich, bedarf es zunächst eines space of places, der<br />

Bildungsangebote bereitstellt, die den persönlichen Interessen entsprechen. Inwieweit<br />

hier räumlich begrenzte Bildungseinrichtungen in einem befristeten Zeitfenster helfen,<br />

einen space of places zu schaffen, der Menschen den Einstieg in den space of flows<br />

ermöglicht, bleibt fraglich. Die Möglichkeit, in den space of flows zu springen, sollte<br />

jederzeit, je nach individuellem Bedarf gegeben sein. Ohne Hürden, ohne Zeitfenster,<br />

ohne Zwang.<br />

Hier ist das selbstbestimmte Lernen gefordert, das im Gleichschritt zur<br />

Selbstorganisation die Fähigkeiten des Einzelnen kontinuierlich an die Erfordernisse<br />

der rasch ändernden Umwelt anpasst. Der kollektiven Netzwerk-Kompetenz kommt<br />

dabei eine Funktion des gesellschaftlichen Sparringspartners zu, der die staatliche<br />

Macht und Kontrolle des Lernprozesses an vernetzte Aktivitäten und die innere<br />

Ordnung eines sich bildenden Menschheitskollektivs abgibt (vgl. dazu Reinmann<br />

2009, 8). Die Frage, die sich stellt, ist eine nach dem Grad der Formalisierung der<br />

Lernprozesse, um eine entsprechende Kompetenzentwicklung zu fördern. Reicht es<br />

aus, pädagogische Multiplikatoren einzusetzen, um die erforderliche Dynamik<br />

anzustoßen? Wohl kaum, sind mit der kollektiven Netzwerk-Kompetenz nicht nur<br />

Personen, sondern auch soziale Prozesse gemeint, die sich in vielfältigen strukturellen<br />

Netzwerkknoten -z.B. zugunsten von Liquid Democracy, Open Data oder Open<br />

Education- äußern können.<br />

In der UNESCO und der OECD hat sich bereits die Erkenntnis durchgesetzt, dass es<br />

einer Verbindung formaler, non-formaler und informeller Bildungsformen bedarf, aus<br />

denen selbstbestimmt Lernende auswählen können sollten (Gerlach 2000, 173). Auch<br />

die Weltbank konstatiert:<br />

„It was not and is not possible to extend lifelong learning with the<br />

traditional model of secondary and higher education; the emerging<br />

modalities open the possibility that a learning system driven by the<br />

needs of learners can emerge.“ (The World Bank 2003, 55)<br />

Andererseits werden informelle Formen der Weiterbildung -wie Radio, Fernsehen,<br />

Internet, Mobile Devices- auch auf internationaler Bühne nur in einzelnen<br />

Pilotprojekten gezielt zum Einsatz gebracht (Overwien 2004). Aber auf diese<br />

Medienpalette muss seitens selbstbestimmt Lernender auch zugegriffen werden, um<br />

grundsätzlich eine Bildungsdynamik anzustoßen, die zum Mainstream anschwillt und<br />

die breite Masse längerfristig erreicht. Wie also begegnet man bildungspolitisch diesen<br />

Anforderungen, wenn die Verantwortung von den Multiplikatoren auf die Lernenden<br />

übertragen werden soll, damit diese selbstbestimmt im vernetzten Austausch zu den<br />

aktiven Interagierenden aufschliessen können?<br />

Beim derzeitigen Kenntnisstand lassen sich weltweit vier verschiedene<br />

Personengruppen mit abnehmender Netz-Kompetenz identifizieren (angelehnt an

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