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71. Jg.-Nr. 138 Sommer 2007


Einladung<br />

Der Vorsitzen<strong>de</strong> beruft gemäß § 9 <strong>de</strong>r Satzung vom 6. September 1<strong>99</strong>1<br />

die or<strong>de</strong>ntliche Mitglie<strong>de</strong>rversammlung 2007 zu<br />

Freitag, <strong>de</strong>m 7. September um 16.00 Uhr im Lehrerzimmer <strong>de</strong>s Carolinums<br />

ein.<br />

Die Tagesordnung ergibt sich aus § 9 <strong>de</strong>r Satzung<br />

1. Begrüßung und Totenehrung durch <strong>de</strong>n Vorsitzen<strong>de</strong>n<br />

2. Genehmigung <strong>de</strong>s Protokolls <strong>de</strong>r Mitglie<strong>de</strong>rversammlung<br />

vom 1. September 2005<br />

3. Bericht <strong>de</strong>s Vorsitzen<strong>de</strong>n<br />

4. Bericht <strong>de</strong>s Kassenprüfers<br />

5. Diskussion zu <strong>de</strong>n TOP 3 und 4<br />

6. Anträge<br />

7. Verschie<strong>de</strong>nes<br />

8. Termin <strong>de</strong>r nächsten Mitglie<strong>de</strong>rversammlung:<br />

5. September 2008<br />

Anträge sind mit einer Begründung bis zum 1. August 2007 beim Vorstand<br />

einzureichen.<br />

gez. Dr. K. Zerbel<br />

Vorsitzen<strong>de</strong>r


Treffen <strong>de</strong>r Altschülerschaft<br />

<strong>de</strong>s „Carolinum“ zu Neustrelitz<br />

Programm<br />

7. September 2007<br />

10.00 Uhr Schülergespräch zum Thema: Deutschland<br />

und seine Religionen<br />

Gesprächsleiter: Pastor Dr. Reinhard Scholl Raum: 204<br />

14.00 Uhr Vorstandssitzung Raum: 204<br />

16.00 Uhr Mitglie<strong>de</strong>rversammlung Lehrerzimmer<br />

20.00 Uhr Festabend im Parkhotel-Fasanerie<br />

8. September 2007<br />

10.00 Uhr Gottesdienst in <strong>de</strong>r Aula <strong>de</strong>s Carolinums<br />

Gestaltung durch Lehrer und Schüler<br />

<strong>de</strong>s Gymnasium Carolinum<br />

15.00 Uhr Platt<strong>de</strong>utsches Erzählkaffee im Schlossgartenhotel


71. Jg.-Nr. 138 Sommer 2007


Impressum<br />

Herausgegeben im Auftrag <strong>de</strong>s Schulvereins „Carolinum“ e.V.<br />

in Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>r Altschülerschaft e.V. durch:<br />

Jost Reinhold<br />

Dr. Klaus Zerbel<br />

Dr. Eberhard Voß<br />

Henry Tesch<br />

Olaf Müller<br />

Alle Rechte vorbehalten.<br />

Die Bezugsgebühren für Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Schulvereins „Carolinum“ e.V.<br />

und <strong>de</strong>r Altschülerschaft e.V. sind in <strong>de</strong>r Spen<strong>de</strong> enthalten.<br />

Redaktionskollegium:<br />

Hannelore Gentzen<br />

Armgard Bentzin<br />

Jana Minkner<br />

Dirk Kollhoff<br />

Eike Benzin<br />

Gesamtherstellung:<br />

Göttinger Tageblatt GmbH & Co. KG – Druckhaus Göttingen<br />

Anfragen unter:<br />

Gymnasium Carolinum, Louisenstraße 30, 17235 Neustrelitz,<br />

Tel. 0 39 81 / 28 67 10, Fax 0 39 81 / 28 67 30, E-Mail: info@carolinum.<strong>de</strong>


Inhalt<br />

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .7<br />

KuMuLi-Impressionen 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .8<br />

Aus <strong>de</strong>m Schulleben<br />

• Vier Jahre Schulprogramm „Demokratie lernen und leben“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .9<br />

• 10 Jahre Kooperation mit <strong>de</strong>r Verbundnetz-Gas AG Leipzig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .11<br />

• „Rettet die Kin<strong>de</strong>r!“ – eine Ausstellung zur Kin<strong>de</strong>r- und Jugendaliyah<br />

am Gymnasium Carolinum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .13<br />

• Holocaust-Seminar am Carolinum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .17<br />

• Brandt-Preis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .19<br />

Ehemalige Lehrer erinnern sich – Herbert Schwarz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21<br />

Projekte und Studienfahrten<br />

• Das Gelobte Land und wir mittendrin – Israel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .25<br />

• „Fragt heute, <strong>de</strong>nn heute ist das Gestern von morgen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .28<br />

• Die Roboter kommen – Teil II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .31<br />

Dem Minister über die Schulter geschaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .42<br />

Aus <strong>de</strong>r Geschichte<br />

• Von <strong>de</strong>r Schulbank an die Geschütze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .45<br />

• Emil Kraepelin und seine Erinnerungen an Neustrelitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .54<br />

• Zur Alkoholabstinenz: Fragen und Antworten von Emil Kraepelin bis zur Gegenwart . . . . . . . . .60<br />

Literarisches<br />

• Rhetorikwettbewerb 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .67<br />

• Daniel-San<strong>de</strong>rs-Sprachpreis 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .72<br />

• Armer Adonis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .75<br />

Leserbriefe<br />

• Ersatzunterricht im Gaswerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .77<br />

• Zum Beitrag: Vergessener Ort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .78<br />

Pressespiegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .79<br />

5


Vorwort<br />

Dreifach kommt die Zeit:<br />

Zögernd kommt die Zukunft hergezogen,<br />

pfeilschnell ist das Jetzt entflogen,<br />

ewig still steht die Vergangenheit.<br />

Friedrich von Schiller<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

vielleicht empfin<strong>de</strong>n auch Sie immer häufiger die Schnelllebigkeit unserer Zeit. So sind<br />

schon zehn Jahre vergangen, seit das Schulgebäu<strong>de</strong> am Glambecker See wie<strong>de</strong>r seiner Bestimmung<br />

übergeben wor<strong>de</strong>n ist.<br />

Ebenfalls seit zehn Jahren besteht eine sehr erfolgreiche Kooperation zwischen <strong>de</strong>m<br />

Gymnasium Carolinum und <strong>de</strong>r Verbundnetz-Gas AG Leipzig.<br />

Und seit mehr als 100 Tagen ist Henry Tesch Minister für Bildung, Wissenschaft und<br />

Kultur in Mecklenburg-Vorpommern.<br />

Diese Deka<strong>de</strong>n nahmen wir unter an<strong>de</strong>rem zum Anlass, um über einige Begebenheiten<br />

in unserem Heft zu reflektieren.<br />

Wir wünschen Ihnen viel Freu<strong>de</strong>, wenn Sie sich beim Lesen auch an eigene Erlebnisse<br />

erinnern.<br />

Mit herzlichen Grüßen<br />

Die Redaktion<br />

7


KuMuLi-Impressionen 2007


Vier Jahre Schulprogramm<br />

„Demokratie lernen und leben“ am Carolinum<br />

Ein Rückblick<br />

Das Gymnasium Carolinum Neustrelitz nahm von 2003 bis 2007 am Programm „Demokratie lernen<br />

und leben“ <strong>de</strong>r Bund-Län<strong>de</strong>r-Kommission teil. Die für die Koordinierung an <strong>de</strong>r Schule verantwortliche<br />

Entwicklergruppe konzentrierte sich in <strong>de</strong>r Arbeit auf vier Module.<br />

Zum einen entwickelten Schülerinnen und Schüler ein Seminar für TEO. Für diese in <strong>de</strong>r Kooperation<br />

mit <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>skirche durchgeführten „Tage Ethischer Orientierung“ wur<strong>de</strong> das neue Modul<br />

„Mächtig gewaltig – Macht macht was?!“ konzipiert und durchgeführt.<br />

Weiterhin zielten die Bemühungen auf die Entwicklung <strong>de</strong>mokratischer Lern- und Arbeitsformen.<br />

In diesem Zusammenhang kam es zum Abschluss eines Kooperationsvertrages zwischen <strong>de</strong>r Schule<br />

und <strong>de</strong>m DRK Neustrelitz.<br />

In einem dritten Modul wur<strong>de</strong> die Entwicklung <strong>de</strong>r Demokratie in <strong>de</strong>r Schule thematisiert. Dazu<br />

wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>m Schülerrat umfangreiche Unterstützung angeboten. Diese ging von <strong>de</strong>r externen Beratung<br />

bis hin zu regelmäßigen Workshops für alle Schüler- und Kurssprecher.<br />

Projektorientierte Lern- und Arbeitsformen<br />

stan<strong>de</strong>n im Mittelpunkt <strong>de</strong>s vierten Moduls. Dabei<br />

wur<strong>de</strong> berücksichtigt, dass das Lernen in<br />

Projekten am Gymnasium Carolinum in Neustrelitz<br />

bereits eine gute Tradition hat. Der Entwicklergruppe<br />

war es wichtig, ein Projekt zu<br />

entwickeln, das beson<strong>de</strong>rs partizipatorische,<br />

handlungsorientierte, erfahrungsbasierte und<br />

verständnisintensive Lern- und Arbeitsformen<br />

anregt. Außer<strong>de</strong>m sollte <strong>de</strong>r Anspruch betont<br />

wer<strong>de</strong>n, dass das Lernen in diesem Projekt zu<br />

einem selbstverständlichen und differenziert<br />

ausgebil<strong>de</strong>ten Bestandteil guter Schulkultur<br />

wer<strong>de</strong>n soll. Professor Wolfgang E<strong>de</strong>lstein, <strong>de</strong>n<br />

man als <strong>de</strong>n „Vater“ <strong>de</strong>s bun<strong>de</strong>sweiten Schul-<br />

Professor Wolfgang E<strong>de</strong>lstein – <strong>de</strong>r „Vater“ <strong>de</strong>s<br />

Schulprogramms.<br />

programms „Demokratie lernen und leben“ bezeichnen<br />

kann, führte in diesem Zusammenhang<br />

aus: “Vor allem aber geht es darum, Kom-<br />

petenzen zu entwickeln, Fertigkeiten zu trainieren, Wissen aufzubauen und die Persönlichkeiten zu<br />

kultivieren, die nötig sind, um in <strong>de</strong>r Welt einsichtig, handlungsfähig und mitmenschlich zu bestehen.“<br />

(E<strong>de</strong>lstein, W.: Kompetenzen für die Zivilgesellschaft 2004)<br />

So bot das Projektlernen für die Entwicklung einer <strong>de</strong>mokratischen Schulstruktur, die die Einbindung<br />

<strong>de</strong>r Schüler in Planung, Vorbereitung, Durchführung und Evaluation vorsah, gute Möglichkeiten.<br />

Mit <strong>de</strong>m Projekt „Was ist <strong>de</strong>r Mensch?“ wur<strong>de</strong>n die guten Erfahrungen in <strong>de</strong>r Zusammenarbeit<br />

<strong>de</strong>r Fachschaften Evangelische Religion und Philosophie am Gymnasium Carolinum ausgebaut. Den<br />

Schülern wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Vorbereitung bewusst gemacht, dass die Thematik für bei<strong>de</strong> Fächer einerseits<br />

<strong>de</strong>r Kern aller weiteren Fragen ist, aber an<strong>de</strong>rerseits alle miteinan<strong>de</strong>r gehalten sind, sich mit dieser<br />

Frage zu beschäftigen, um somit auch etwas über sich zu erfahren.<br />

Angehalten durch die Rahmenpläne bei<strong>de</strong>r Fächer wur<strong>de</strong>n durch das fachübergreifen<strong>de</strong> Lernen<br />

Inhalte und Themenfel<strong>de</strong>r in größerem Kontext erfasst, Bezüge zu Außerfachlichem herstellt und gesellschaftlich<br />

relevante Aufgaben in ihrer Ganzheit ver<strong>de</strong>utlicht.<br />

Die Schüler haben – dies hat die durchgeführte Evaluation ergeben – überfachliche Fähigkeiten<br />

und Fertigkeiten, wie z. B. Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Dokumentierens und Präsentierens erlernt und somit eine<br />

gute Vorbereitung auf das Studium, ihre spätere Berufstätigkeit und eine zunehmend aktive Teilnahme<br />

am gesellschaftlichen Leben erhalten.<br />

9


Auch die Erfassung und Koordinierung <strong>de</strong>r<br />

bereits an <strong>de</strong>r Schule laufen<strong>de</strong>n Programme<br />

bzw. Projekte stand in <strong>de</strong>n vergangenen vier<br />

Jahren auf <strong>de</strong>r Tagesordnung. So arbeitete die<br />

Entwicklergruppe mit <strong>de</strong>n Schülerschlichtern<br />

zusammen und strebte weiterhin eine noch engere<br />

Verzahnung bestehen<strong>de</strong>r Projekte am<br />

Gymnasium Carolinum an. Damit leistete die<br />

DLL-Entwicklergruppe einen Beitrag zur weiteren<br />

Profilierung <strong>de</strong>r Schule. Die Entwicklergruppe<br />

bestand aus zwei Schülern – Tim Kahl<br />

und Max Alexandrin, die jetzt die 12. Klasse am<br />

Carolinum besuchen – sowie <strong>de</strong>n Lehrern Roswitha<br />

Schulze, Martina Rindt, Hans-Peter Maaß<br />

und Dirk Kollhoff<br />

Insgesamt kann nach diesen vier Jahren eingeschätzt<br />

wer<strong>de</strong>n, dass sich die Schule – das<br />

Gymnasium Carolinum – verän<strong>de</strong>rt hat. Der<br />

Gedanke einer <strong>de</strong>mokratischen Schulkultur ist<br />

sowohl bei <strong>de</strong>n Schülern aber auch bei <strong>de</strong>n Lehrern<br />

„angekommen“ und wird auch nach Beendigung<br />

<strong>de</strong>s Programms konsequent weitergeführt.<br />

10<br />

Roswitha Schulze und Dirk Kollhoff<br />

Lehrer am Carolinum<br />

Der „Sperrholzmann“ – ein kreativer Abschluss <strong>de</strong>s<br />

Projekts „Was ist <strong>de</strong>r Mensch?“ aus <strong>de</strong>m Jahre 2007.


Zehn Jahre Kooperation<br />

mit <strong>de</strong>r Verbundnetz-Gas AG Leipzig<br />

Im Jahre 1<strong>99</strong>7 wur<strong>de</strong> zwischen <strong>de</strong>m Vorstandsvorsitzen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r VNG, Herrn Dr. Klaus-Ewald holst,<br />

und <strong>de</strong>m Direktor <strong>de</strong>s Carolinums, Herrn Georg Drauschke, ein Zehn-Jahresvertrag über die Zusammenarbeit<br />

zwischen Unternehmen und Gymnasium geschlossen. Seit<strong>de</strong>m reisten jährlich 15<br />

Schüler/Innen <strong>de</strong>r Chemieleistungskurse und zwei Chemielehrerinnen nach Leipzig, um auf ihrer<br />

Studienfahrt das Unternehmen kenn zu lernen.<br />

Die VNG ist als importieren<strong>de</strong> <strong>de</strong>utsche Ferngasgesellschaft im Zentrum <strong>de</strong>s zusammenwachsen<strong>de</strong>n<br />

Europas aktiv und gehört zu <strong>de</strong>n leistungsfähigsten Unternehmen im Osten Deutschlands. Sie<br />

bezieht Erdgas von Produzenten und Anbietern aus Russland, Norwegen und Deutschland und zählt<br />

zu ihren Kun<strong>de</strong>n regionale Gasversorger, Stadtwerke, Kraftwerke und große Industrieunternehmen,<br />

hauptsächlich in <strong>de</strong>n neuen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn. Das Unternehmen tritt auch als Dienstleister in Sachen<br />

Erdgas auf <strong>de</strong>m Markt auf, z.B. auf <strong>de</strong>m Gebiet Marketing, Werbung und Verkaufsför<strong>de</strong>rung, technische<br />

Beratung und Dienstleistung bei Planung, Bau und Instandhaltung von Hochdruckanlagen.<br />

Die Caroliner absolvieren in je einer Woche ein umfangreiches Programm.<br />

Ein beson<strong>de</strong>rer Höhepunkt war es immer, wenn Herr Dr. Holst selbst die Zeit fand, zu <strong>de</strong>n<br />

Schülern zu sprechen. Seine Ausführungen über die Entwicklung <strong>de</strong>s Unternehmens vom VEB Verbundnetzgas<br />

über <strong>de</strong>n Eintritt in die Marktwirtschaft und die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft,<br />

<strong>de</strong>ren Vorstandsvorsitzen<strong>de</strong>r er seit 1<strong>99</strong>0 ist, aber auch über seinen persönlichen Wer<strong>de</strong>gang<br />

waren sehr interessant. Voller Stolz teilte er <strong>de</strong>n Schülern mit, dass er selbst auch ein ehemaliger<br />

Schüler <strong>de</strong>s Carolinums ist. Die anschließen<strong>de</strong> Diskussion war immer ganz beson<strong>de</strong>rs lebhaft und<br />

wur<strong>de</strong> für die Schüler zu einem lebendigen Stück guter Traditionspflege.<br />

Wir besuchten in Leipzig <strong>de</strong>n Firmensitz <strong>de</strong>s Unternehmens und staunten über das mo<strong>de</strong>rne vollklimatisierte<br />

Gebäu<strong>de</strong> aus Stahl und Glas mit vielen interessanten technischen Details wie Glasbrücken,<br />

auf <strong>de</strong>nen man auch im 2. und 3. Stock laufen kann o<strong>de</strong>r Glasscheiben, die auf Knopfdruck<br />

undurchsichtig wur<strong>de</strong>n u.a.m.<br />

Schüler <strong>de</strong>s Carolinums auf Studienfahrt in Leipzig 2005<br />

11


Hier befin<strong>de</strong>t sich auch die Dispatcherzentrale, von <strong>de</strong>r aus das ganze Netz <strong>de</strong>r VNG kontrolliert<br />

wird. Und dann tauchte im riesengroßen international verankerten Gasnetz <strong>de</strong>r VNG plötzlich Klein<br />

Trebbow auf und wir konnten ablesen, ob die Stadtwerke in Neustrelitz gera<strong>de</strong> Gas beziehen.<br />

Wir absolvierten Seminare und Workshops zu marktwirtschaftlichen Themen: z. B. „Bau mein Erdgashaus“<br />

o<strong>de</strong>r „die Marken Erdgas und VNG“, aber auch Themen wie „was heißt Diversifizierung<br />

und was be<strong>de</strong>utet partnerschaftlich zu han<strong>de</strong>ln?“<br />

Als beson<strong>de</strong>rer Höhepunkt <strong>de</strong>s Jahres 2005 ist die Teilnahme an einer Podiumsdiskussion mit Altbun<strong>de</strong>spräsi<strong>de</strong>nt<br />

Dr. Richard von Weizsäcker, <strong>de</strong>r Staatsministerin a. D. Dr. Hil<strong>de</strong>gard Hamm-<br />

Brücher und <strong>de</strong>m Ministerpräsi<strong>de</strong>nten von Thüringen, Herrn Dr. Althaus, zum Thema „Warum eigentlich<br />

Demokratie?“ von Schülern gewertet wor<strong>de</strong>n.<br />

Zu einem Gasunternehmen gehören natürlich auch die Gasspeicher. Wir konnten die Untergrundgasspeicherwerke<br />

in Bernburg und in Bad Lauchstädt besichtigen. Hier wird in Kavernen das Gas gespeichert.<br />

In einer solchen Kaverne hat das Leipziger Völkerschlacht<strong>de</strong>nkmal, das wir bei unserer<br />

Stadtrundfahrt besuchten fast zweimal Platz. Wir erfuhren viele technische Details über Ein- und<br />

Ausspeisung, Kapazitäten <strong>de</strong>r Speicher und Lagerung <strong>de</strong>s Erdgases.<br />

Spannend war stets auch <strong>de</strong>r Vortrag über Erdgasautos mit Praxisbezug, da viele unserer Schüler<br />

bisher wenig Wissen über diese Fahrzeuge hatten. Höhepunkt war für Besitzer <strong>de</strong>s Führerscheins<br />

dann die kleine „Proberun<strong>de</strong>“ auf <strong>de</strong>m Hotelparkplatz mit einem erdgasbetriebenen New Beetle<br />

bzw. Passat.<br />

Wir haben in dieser Woche aber auch eine große Zahl kultureller Höhepunkte erlebt. Der Einfallsreichtum<br />

von Frau Maiwald (Referentin <strong>de</strong>r Personalabteilung <strong>de</strong>r VNG), die uns die ganze Woche<br />

betreute, war grenzenlos. Wir lernten in Stadtrundfahrten und -besichtigungen Leipzig kennen, wan<strong>de</strong>lten<br />

in Jena und Weimar auf <strong>de</strong>n Spuren von Goethen und Schiller, hatten eine Veranstaltung im<br />

Zeiss-Planetarium von Jena, besuchten die Feengrotten in Saalfeld, <strong>de</strong>n berühmten Naumburger<br />

Dom und die Klosterkirche in Thalbürgel, einem kleinen thüringischen Ort, in <strong>de</strong>m auch unser Hotel<br />

stand. In <strong>de</strong>r Klosterkirche gab es noch ein kleines Highlight – einige Schüler durften die Orgel spielen<br />

und wir konnten uns von <strong>de</strong>r herrlichen Akustik überzeugen. Neben <strong>de</strong>r Kirche war eine Klostermühle,<br />

die bei unseren Schülern regelmäßig für „Märchenaugen“ sorgte, <strong>de</strong>nn ein sympathischer<br />

Müllermeister, Jahrgang 1920 (!!!), erklärte uns alle Geräte <strong>de</strong>r Mühle und erzählte vieles über das<br />

Leben im früheren Thüringen o<strong>de</strong>r woher das Lied „es klappert die Mühle am rauschen<strong>de</strong>n Bach“<br />

her kommt. Während wir mit ihm unter das Dach kletterten, wackelte die ganze Mühle, da er alle<br />

Geräte in Gang gesetzt hatte.<br />

Absoluter kultureller Höhepunkt war das Ritteressen auf <strong>de</strong>r Ru<strong>de</strong>lsburg im Saaletal. Im mittelalterlichen<br />

Stil ließen wir jeweils <strong>de</strong>n letzten Abend und die Woche ausklingen.<br />

Alle Schüler kehrten begeistert von dieser Studienfahrt zurück. Jetzt sind sie wie Herr Dr. Holst<br />

ehemalige Caroliner und in alle Win<strong>de</strong> zerstreut, einige von ihnen studieren auch Chemie. Trifft man<br />

sich dann einmal, so heißt es immer: wissen Sie noch, unsere Studienfahrt…<br />

Wir freuen uns sehr, dass in diesem Jahr ein neuer Vertrag unterzeichnet wur<strong>de</strong> und noch viel<br />

Schüler in <strong>de</strong>n Genuss dieser interessanten Studienfahrt kommen.<br />

Frau Mannsbarth<br />

Frau Paa<br />

Lehrerinnen am Carolinum<br />

12


„Rettet die Kin<strong>de</strong>r!“<br />

Eine Ausstellung zur Kin<strong>de</strong>r- und Jugendaliyah<br />

am Gymnasium Carolinum<br />

Am Gymnasium Carolinum Neustrelitz war vom 15. bis 30. März 2007 die Ausstellung „Rettet die<br />

Kin<strong>de</strong>r!“, eine Leihgabe <strong>de</strong>s Jüdischen Museums Frankfurt am Main, zu besichtigen. Diese wur<strong>de</strong><br />

vom Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>slan<strong>de</strong>s Mecklenburg-Vorpommern,<br />

Herrn Henry Tesch, und <strong>de</strong>r Kuratorin <strong>de</strong>r Ausstellung, Frau Dr. Susanne Urban, eröffnet. Zahlreiche<br />

Gäste machten sich in <strong>de</strong>m genannten Zeitraum mit <strong>de</strong>r Exposition vertraut, so auch <strong>de</strong>r stellvertreten<strong>de</strong><br />

Botschafter Israels, Herr Ilan Mor.<br />

(v. l.): Dr. Susanne Urban, Henry Tesch, William Wolff, Juri Rostov, Dr. Peter Fischer, Uri Faber.<br />

Im Folgen<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n Auszüge aus <strong>de</strong>r Eröffnungsre<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Gestalterin <strong>de</strong>r Ausstellung Frau Dr.<br />

Susanne Urban veröffentlicht.<br />

Meine Damen und Herren, liebe Freun<strong>de</strong>,<br />

an was <strong>de</strong>nken die meisten Menschen, wenn sie sich an die Jahre nach 1933 und Ju<strong>de</strong>n in Deutschland<br />

sowie Ju<strong>de</strong>n in Europa erinnern? An Opfer? An Auschwitz?<br />

Kaum jemand erinnert sich an jüdisches Leben: jüdisches Kin<strong>de</strong>rleben und jüdische Schulen, jüdische<br />

Selbstbehauptung und jüdischen Wi<strong>de</strong>rstand, Liebesgeschichten, kulturelle wie spirituelle Aktivitäten<br />

noch in Ghettos und Lagern. Mir – und uns, wenn ich an meine Arbeit in Yad Vashem <strong>de</strong>nke<br />

– geht es darum zu zeigen, wie Ju<strong>de</strong>n in Europa lebten und nicht, welche To<strong>de</strong>sarten die „Endlöser“<br />

sich für sie erdacht hatten. Und so erinnere ich mich an Individuen mit ihren Träumen, Sehnsüchten<br />

und Wünschen. Erinnere mich, dass Ju<strong>de</strong>n nicht als Opfer geboren wur<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn dazu verurteilt<br />

13


waren, Opfer zu sein. Ihr Leben begann nicht erst mit <strong>de</strong>m Holocaust. Und ich <strong>de</strong>nke auch an jene,<br />

die überlebten.<br />

Doch wie erinnert man <strong>de</strong>n Holocaust? Ju<strong>de</strong>n und das Ju<strong>de</strong>ntum sind geprägt von zwei grundlegen<strong>de</strong>n<br />

Koordinaten: <strong>de</strong>r Erinnerung und <strong>de</strong>r Hoffnung. Dies wird <strong>de</strong>utlich an Feiertagen wie Pessach,<br />

Purim o<strong>de</strong>r Chanukka-Tage, an <strong>de</strong>nen Ju<strong>de</strong>n sich an <strong>de</strong>n Auszug aus Ägypten, die Errettung<br />

vor <strong>de</strong>r Vernichtung und die wie<strong>de</strong>r errungene Freiheit erinnern. Am Anfang stehen tragische Ereignisse:<br />

Sklaverei, Unterdrückung, To<strong>de</strong>sfurcht. Am En<strong>de</strong> fin<strong>de</strong>n wir Hoffnung und Neubeginn. Verfolgung,<br />

Vernichtung, Überleben und Neuanfang: Jüdische Überleben<strong>de</strong> wählen seit Jahrhun<strong>de</strong>rten <strong>de</strong>n<br />

Weg einer Rückkehr in ein erfülltes Leben. Im Ju<strong>de</strong>ntum heißt dies auch „Tikkun Olam“ – die Welt<br />

reparieren und zum besseren verän<strong>de</strong>rn.<br />

Entlang dieser Linien ist auch die Geschichte <strong>de</strong>r Jugendaliyah zu lesen: sie birgt in sich Erinnerung<br />

und Hoffnung, Geschichten von Rettern und stillem Mut, von Verlust und Wie<strong>de</strong>raufbau, gespiegelt<br />

in tausen<strong>de</strong>n individuellen Schicksalen.<br />

In <strong>de</strong>r Ausstellung wer<strong>de</strong>n Sie zunächst Recha Freier als Grün<strong>de</strong>rin <strong>de</strong>r Jugendaliyah kennen lernen:<br />

Sie wur<strong>de</strong> von ihrer Tochter Maayan charakterisiert als: „Mit <strong>de</strong>m Kopf in <strong>de</strong>n Wolken o<strong>de</strong>r mit<br />

<strong>de</strong>m Kopf durch die Wand“.<br />

Recha Freier: „Ich war … Zionist und das be<strong>de</strong>utete, dass ich verstand, die Existenz <strong>de</strong>s Ju<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>s<br />

einzelnen und die Existenz <strong>de</strong>s ganzen Volkes hängt von einer Sache ab: dass sie … vom Gedul<strong>de</strong>twer<strong>de</strong>n<br />

und von <strong>de</strong>r Abhängigkeit <strong>de</strong>s Gastvolkes frei … und verantwortlich für ihren nationalen Aufbau<br />

wer<strong>de</strong>n.“<br />

Recha Freier erkannte bereits 1932, wie vergiftet und antisemitisch die Atmosphäre in Deutschland<br />

war. Sie wollte die jüdische Jugend vor <strong>de</strong>n Auswirkungen dieses tröpfeln<strong>de</strong>n und später strömen<strong>de</strong>n<br />

Hasses bewahren – und entwickelte die I<strong>de</strong>e, jüdische Jugendliche aus Deutschland ins damalige<br />

Palästina zu bringen. Dort sollten sie, frei und als selbstbewusste Ju<strong>de</strong>n, ein neues Leben beginnen<br />

und <strong>de</strong>n Zionismus aus <strong>de</strong>r Theorie in die Praxis überführen. Von allen Seiten bekam sie Wi<strong>de</strong>rstand<br />

zu spüren: von <strong>de</strong>r zionistischen Bewegung, von Repräsentanten <strong>de</strong>r jüdischen Gemeinschaft<br />

in Deutschland und nicht zuletzt von jüdischen Eltern. Immer wie<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong> zu<strong>de</strong>m beteuert,<br />

so schlimm sei es mit <strong>de</strong>m Antisemitismus und <strong>de</strong>n Nazis doch noch nicht. Dennoch: am 12. Oktober<br />

1932 verließen 12 Jungen als erste Jugendaliyah-Gruppe <strong>de</strong>n Anhalter-Bahnhof in Berlin.<br />

Recha Freier: „Alle Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Jugendbewegungen säumten die Bahnsteige am<br />

Anhalter Bahnhof und viele an<strong>de</strong>re Kin<strong>de</strong>r dazu. Und sie sangen hebräische Lie<strong>de</strong>r. Der Bahnsteig schien<br />

unter meinen Füßen zu zittern. Nun hatte die Arbeit begonnen: Niemand wür<strong>de</strong> sie mehr unterbrechen<br />

können, es wür<strong>de</strong> weitergehen und sich entwickeln, und alle diese Kin<strong>de</strong>r, die voller Hoffnung, aufgeregt<br />

und begeistert um mich herumstan<strong>de</strong>n, wür<strong>de</strong>n ihr Ziel erreichen.“<br />

Am 30. Januar 1933 grün<strong>de</strong>te Recha Freier bei einem Rechtsanwalt das „Hilfskomitee für jüdische<br />

Jugendliche“. Henrietta Szold, amerikanische Jüdin und Zionistin, wur<strong>de</strong> im November 1933 Direktorin<br />

<strong>de</strong>s Büros <strong>de</strong>r Jugendaliyah in Jerusalem. Doch dann verlor Recha Freier Anfang 1940 ihre Arbeit.<br />

Die Reichsvereinigung <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n suspendierte sie wegen <strong>de</strong>r Unterstützung illegaler Rettungsund<br />

Hilfsaktionen und so genannten eigenmächtigem Han<strong>de</strong>ln. Es folgten Denunziation, Isolation<br />

und die Flucht mit ihrer 11-jährigen Tochter. Von Jugoslawien aus gelang es ihr, rund 90 Kin<strong>de</strong>r auf<br />

illegalem Wege aus Deutschland und Wien zu retten. Diese Gruppe wird Ihnen in <strong>de</strong>r Ausstellung als<br />

„Kin<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Villa Emma“ begegnen. Recha Freier erreichte im März 1941 Jerusalem. Dort wur<strong>de</strong> ihr<br />

je<strong>de</strong> weitere Mitarbeit in <strong>de</strong>r Jugendaliyah verweigert. 1981, drei Jahre vor ihrem Tod, erhielt sie in<br />

Anerkennung ihrer Verdienste jedoch <strong>de</strong>n Israel-Preis.<br />

Nach <strong>de</strong>m „Anschluss“ Österreichs an das „Dritte Reich“ im März 1938 wur<strong>de</strong> die Jugendaliyah<br />

auch dort etabliert. Zum Leiter <strong>de</strong>r Jugendaliyah im, wie Ruth Klüger schrieb, „ju<strong>de</strong>nkin<strong>de</strong>rfeindlichen“<br />

Österreich wur<strong>de</strong> Aron Menczer benannt. Menczer, damals selbst erst 22-jährig, begleitete im<br />

Februar 1939 eine Gruppe <strong>de</strong>r Jugendaliyah nach Palästina, besuchte seine ehemaligen Schützlinge<br />

in <strong>de</strong>n Kibbuzim – und kehrte gegen <strong>de</strong>n Willen seiner Eltern und Brü<strong>de</strong>r, die alle in Palästina lebten,<br />

zurück nach Wien. Er schrieb 1940 an seine Familie: „Ich will nicht je<strong>de</strong>s jüdische Kind zur Eisenbahn<br />

begleiten, aber ich will sicher sein, dass je<strong>de</strong>s jüdische Kind Wien verlassen kann.“<br />

Aron Menczer wur<strong>de</strong> am 24. September 1942 nach Theresienstadt <strong>de</strong>portiert und wur<strong>de</strong> umgehend<br />

Jugendbetreuer in <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rblocks. Im August 1943 kam ein Transport mit 1.260 jüdischen Kin<strong>de</strong>rn<br />

zwischen drei und 14 Jahren aus Bialystok an. Sie wur<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Ju<strong>de</strong>n im Getto isoliert.<br />

Es gab die I<strong>de</strong>e, diese Kin<strong>de</strong>r gegen Devisen aus <strong>de</strong>n USA o<strong>de</strong>r Warenlieferungen auszutauschen.<br />

Aron Menczer mel<strong>de</strong>te sich, und kümmerte sich gemeinsam mit einigen Ärzten und Krankenschwestern<br />

um die Kin<strong>de</strong>r. Der geplante Deal platzte, und am 5. Oktober 1943 wur<strong>de</strong>n die Kin<strong>de</strong>r <strong>de</strong>por-<br />

14


tiert, laut <strong>de</strong>n Akten „mit unbekanntem Ziel“. Der Zug erreichte am 7. Oktober Auschwitz. Die Kin<strong>de</strong>r<br />

und ihre Begleiter wur<strong>de</strong>n unmittelbar nach Ankunft in <strong>de</strong>r Gaskammer getötet. Das ganze geschah<br />

am Vorabend <strong>de</strong>s höchsten jüdischen Feiertages Yom Kippur.<br />

Martin Vogel über seinen Freund Aron: „Getreu seiner sich selbst gestellten Lebensaufgabe, Kin<strong>de</strong>r<br />

zu retten, Kin<strong>de</strong>rn zu helfen und Kin<strong>de</strong>rn zu dienen, teilte er auch das letzte ungeheuerliche, unfassbar<br />

fürchterliche Schicksal mit ihnen. Ein Entschluss, <strong>de</strong>r seine wahre menschliche Größe und seine tiefe<br />

Gläubigkeit erahnen lässt.“<br />

Die Jugendaliyah expandierte nach 1938 mit Büros und Hachschara-Zentren auch in die annektierten<br />

Su<strong>de</strong>tengebiete, die Slowakei und Polen. 1939 kamen Zentren und Büros in Prag, <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n,<br />

Dänemark, Luxemburg, Frankreich, Schwe<strong>de</strong>n, Jugoslawien, Litauen, Rumänien, Nordirland<br />

und England hinzu. Die Jugendlichen wur<strong>de</strong>n in Transitcamps o<strong>de</strong>r, wie in Dänemark, bei Familien<br />

untergebracht. Die Jugendaliyah war, im Vergleich mit <strong>de</strong>n nach <strong>de</strong>m Novemberpogrom 1938 organisierten<br />

Kin<strong>de</strong>rtransporten nach England und in die USA, keine reine Rettungsbewegung, die ein beliebiges<br />

Land zur Aufnahme <strong>de</strong>r Jugendlichen suchte. Trotz<strong>de</strong>m verstand sich die Jugendaliyah jedoch<br />

spätestens ab November 1938 auch als Rettungsorganisation und setzte alles daran, die Kin<strong>de</strong>r<br />

zunächst aus <strong>de</strong>r akuten Gefährdung herauszuholen und dann einen Weg Richtung Palästina zu fin<strong>de</strong>n.<br />

Wie aber sah das Leben <strong>de</strong>r Jugendlichen in Palästina aus? Die Ankunft im Land war überwältigend,<br />

alles war neu und unbekannt: die Landschaft, die Menschen, Speisen, Gerüche, Farben. In <strong>de</strong>r<br />

Konfrontation mit <strong>de</strong>m Alltag waren die Hauptprobleme die ungewohnt harte Arbeit und die Umstellung<br />

auf das Hebräische als Alltagssprache. „Lamdu Ivrith! – Sprecht Ivrith!“ – so schallte es <strong>de</strong>n<br />

Kin<strong>de</strong>rn entgegen. Aber Deutsch war die Sprache, in und mit <strong>de</strong>r sie aufgewachsen waren, die Sprache<br />

<strong>de</strong>r Eltern, die noch immer „dort“ waren. Deutsch waren die Kin<strong>de</strong>rlie<strong>de</strong>r, die ihre Eltern ihnen<br />

vorgesungen, die Kin<strong>de</strong>rreime und die Bücher, die die Eltern im Regal stehen hatten. Ein Mädchen<br />

schrieb 1937 in das Tagebuch ihrer Gruppe im Kibbuz Beit Sera: „Wir kommen aus <strong>de</strong>r Galuth (Exil).<br />

Unser Leben dort, das Schwere <strong>de</strong>s Ju<strong>de</strong>seins, und nicht zuletzt die Faktoren, die unsere Aliyah verursachten,<br />

hatten uns gelehrt, alle Dinge, die um uns herum vorgingen, viel problematischer und schwerer<br />

zu sehen.“<br />

Die meisten Probleme, die während <strong>de</strong>r Anpassung an das neue Leben auftraten, wur<strong>de</strong>n mit Hilfe<br />

von teils psychologisch geschulten Mitarbeitern <strong>de</strong>r Jugendaliyah gelöst. So waren die Jahre in <strong>de</strong>r<br />

Jugendaliyah für die Jugendlichen eine Zeit <strong>de</strong>r Neupositionierung und <strong>de</strong>s selbst erstritteten Neuanfangs.<br />

Viele <strong>de</strong>r Jugendlichen waren in großer Sorge um die Eltern, Geschwister und Freun<strong>de</strong>. Die Nachrichten<br />

aus Europa wur<strong>de</strong>n zusehends schlimmer – und dann blieben plötzlich die Briefe <strong>de</strong>r Eltern<br />

aus. Von En<strong>de</strong> 1943 an erschienen in <strong>de</strong>n Zeitungen in Palästina erste Artikel über das, was <strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>n<br />

in Europa wi<strong>de</strong>rfuhr. Nach En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Krieges hatten rund 90 Prozent <strong>de</strong>r Absolventen <strong>de</strong>r Jugendaliyah<br />

ihre Familien im Holocaust verloren.<br />

Nira Cohn, die als 17-Jährige nach Palästina kam, erinnerte sich: „Dann hat mein Vater geschrieben,<br />

ich sollte ihm ein Zertifikat besorgen. Er hat sich vorgestellt, man kann das so einfach. Den Brief hab<br />

ich noch da. Ich war alleine, ich war jung. … Es hat mir immer sehr wehgetan. Ich hatte das Gefühl,<br />

dass mein Vater gedacht hat, ich kümmere mich nicht genug o<strong>de</strong>r wolle es nicht. Das hat mich wirklich<br />

immer verfolgt.“<br />

Die Jugendaliyah rettete zwischen 1932 und 1945 mehr als 10.000 jüdische Kin<strong>de</strong>r aus Europa.<br />

Dies scheint nur ein kleiner Trost zu sein, weil dagegen die Zahl von 1,5 Millionen in <strong>de</strong>r Shoah getöteten<br />

jüdischen Kin<strong>de</strong>rn bis 17 Jahren steht. Trotz<strong>de</strong>m: die Geschichte <strong>de</strong>r Jugendaliyah beweist, dass<br />

es möglich ist, wenn die Gesellschaft versagt, humanistische Prinzipien aufrecht zu erhalten. Mit <strong>de</strong>r<br />

Rettung dieser Kin<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong> auch die I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s Menschen als existenzwürdigem Wesen gerettet.<br />

Nach 1945 sorgte die Jugendaliyah für mehr als 15.000 Holocaust-Waisen: jüdische Kin<strong>de</strong>r, die in<br />

KZs, in Verstecken o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Wäl<strong>de</strong>rn bei Partisanen überlebt hatten. An <strong>de</strong>r Fürsorge für diese<br />

Holocaust-Waisen waren mehr als 400 männliche Jugendaliyah-Absolventen beteiligt, die sich 1944<br />

<strong>de</strong>r britischen Armee o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Jewish Briga<strong>de</strong> angeschlossen hatten.<br />

Geboren aus <strong>de</strong>r Situation <strong>de</strong>s Jahres 1932, erweitert zu einem europäischen Netzwerk, basierend<br />

auf zionistischen und humanistischen Prinzipien, getragen von Persönlichkeiten, <strong>de</strong>nen stets das<br />

Wohl <strong>de</strong>r Zöglinge am Herzen lag, rettete die Jugendaliyah junge Menschen aus <strong>de</strong>r Isolation und<br />

<strong>de</strong>r totalen Hoffnungslosigkeit in eine neue, in die Zukunft weisen<strong>de</strong> Welt hinüber. So wur<strong>de</strong>n sie<br />

nicht nur physisch vor <strong>de</strong>m Holocaust bewahrt, son<strong>de</strong>rn auch seelisch geborgen.<br />

15


Albert Einstein schrieb dazu, als er die Jugendaliyah für <strong>de</strong>n Frie<strong>de</strong>nsnobelpreis vorschlug: „Die<br />

Jugendaliyah ist nicht nur ein Mittel, um <strong>de</strong>n von ihr betreuten Kin<strong>de</strong>rn die physische und seelische Gesundheit<br />

wie<strong>de</strong>rzugeben, son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>n Glauben an menschliche Liebe und Wür<strong>de</strong>.“<br />

Die Aktivitäten <strong>de</strong>r Jugendaliyah wur<strong>de</strong>n nach <strong>de</strong>m Zweiten Weltkrieg auf die Län<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Nahen<br />

Ostens und Afrikas ausge<strong>de</strong>hnt. Dort hatten Pogrome und Repressalien vor allem nach <strong>de</strong>r Staatsgründung<br />

1948 zugenommen. Hun<strong>de</strong>rttausen<strong>de</strong> Ju<strong>de</strong>n flohen u.a. aus <strong>de</strong>m Irak, Syrien und <strong>de</strong>m Jemen.<br />

Zehntausen<strong>de</strong> Kin<strong>de</strong>r kamen dadurch in die Obhut <strong>de</strong>r Jugendaliyah.<br />

Sie wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Ausstellung Rabbiner Israel Meir Lau, <strong>de</strong>r Schauspielerin und Autorin Gila<br />

Almagor, <strong>de</strong>n Schriftstellern Eli Amir und Aharon Appelfeld sowie <strong>de</strong>m Künstler Yehuda Bacon begegnen.<br />

Sie alle waren und sind Kin<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Jugendaliyah.<br />

Sie wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n äthiopischen Ju<strong>de</strong>n begegnen, die in <strong>de</strong>n 1980ern, um Hunger, Krieg und Diskriminierung<br />

zu entkommen, zu Fuß nach Israel flohen. Viele Kin<strong>de</strong>r verloren auf dieser Odyssee ihre Eltern<br />

und zogen alleine weiter, gemäß <strong>de</strong>m Wunsch ihrer Eltern: Geht und lebt! Auch diese Kin<strong>de</strong>r<br />

wur<strong>de</strong>n nach ihrer Ankunft in Israel von <strong>de</strong>r Jugendaliyah aufgenommen.<br />

In <strong>de</strong>n 1980ern sind überdies Programme für so genannte „problematische“ Jugendliche – Kin<strong>de</strong>r<br />

aus Familien mit Drogen- und Gewaltproblemen, Straßenkin<strong>de</strong>r, jugendliche Straftäter – entwickelt<br />

wor<strong>de</strong>n. Die Rückfallquote ist äußerst gering.<br />

Seit 1932 hat die Jugendaliyah mehr als 400.000 Kin<strong>de</strong>r und Jugendliche aus rund 80 Län<strong>de</strong>rn aufgenommen.<br />

Diese Lebenslinien jüdischer Kin<strong>de</strong>r sind aber nicht nur eine jüdische Angelegenheit. Zu<strong>de</strong>m können<br />

diese Geschichten je<strong>de</strong>m von uns – Deutscher o<strong>de</strong>r Zuwan<strong>de</strong>rer, Flüchtling o<strong>de</strong>r Aussiedler,<br />

Ju<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r Nichtju<strong>de</strong> – etwas ganz Gegenwärtiges vermitteln. Es wird von Isolation, Verlust und Neuanfang<br />

berichtet. Das Streben <strong>de</strong>r Jugendaliyah, Kin<strong>de</strong>rn und Jugendlichen ein angstfreies Leben in<br />

Wür<strong>de</strong> und Respekt zu bieten, ist Ausdruck universaler humanistischer Werte. In einer Welt, in <strong>de</strong>r<br />

trotz <strong>de</strong>r Maxime „Lernen aus <strong>de</strong>r Geschichte“ Menschenrechtsverletzungen, Genozi<strong>de</strong> und „ethnische<br />

Säuberungen“ stattfin<strong>de</strong>n können, ist die Geschichte <strong>de</strong>r Jugendaliyah wichtig. Es ist unsere<br />

Pflicht, hinzusehen. Nur dann kann je<strong>de</strong>r von uns etwas beitragen zu <strong>de</strong>m, was uns <strong>de</strong>m „Tikkun<br />

Olam“, <strong>de</strong>r Verbesserung <strong>de</strong>r Welt, ein Stück näher bringen kann.<br />

16


Holocaust-Seminar am Carolinum<br />

Ich habe mir angewöhnt, in meinem Arbeitszimmer mir wichtige Bücher nicht zwischen an<strong>de</strong>re zu<br />

stellen, son<strong>de</strong>rn sie mit <strong>de</strong>r Titelseite aus <strong>de</strong>m Regal schauen zu lassen. Das erleichtert sie aufzufin<strong>de</strong>n,<br />

um wie<strong>de</strong>r darin zu blättern und zu lesen. Vor allem aber sind mit so manchem Buch auch Erinnerungen<br />

verknüpft, und es genügt auf diese Art einen Blick auf Vergangenes zurückkehren zu lassen.<br />

Seit Herbst sind zwei Neuankömmlinge mit <strong>de</strong>m Gesicht zu mir aufgebaut: Das Bil<strong>de</strong>rbuch „Für<br />

Tommy“, das sein Vater Bedrich Fritta <strong>de</strong>m Kind zum dritten Geburtstag 1944 im Ghetto Theresienstadt<br />

illustriert hat, und „Gern wäre ich geflogen – wie ein Schmetterling“, die Erinnerungen an eine<br />

Kindheit während <strong>de</strong>s Holocaust von Hannah Gofrith. Bei<strong>de</strong> Bücher warten auf ein Enkelkind und<br />

vielleicht eine Zeit, in <strong>de</strong>r das Lesen unserem Nachwuchs wie<strong>de</strong>r wichtiger wird. Die kostbaren<br />

Druckerzeugnisse wur<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Teilnehmern eines Seminars im November 2006 am Neustrelitzer<br />

Gymnasium Carolinum zum jüdischen Leben während <strong>de</strong>s Holocaust übergeben. Neben Lehrern <strong>de</strong>r<br />

gastgeben<strong>de</strong>n Schule waren auch weitere sogenannte Multiplikatoren dabei – Mitarbeiter jüdischer<br />

Einrichtungen, <strong>de</strong>r Mahn- und Ge<strong>de</strong>nkstätte Ravensbrück und eben ich als Journalist. Eingela<strong>de</strong>n<br />

hatte die Internationale Schule für Holocaust-Studien in Yad Vashem/Jerusalem.<br />

Ich will nicht leugnen, dass mir die Entscheidung für die Veranstaltung nicht gänzlich leicht gefallen ist. Je<strong>de</strong><br />

Menge Wissensdurst war vorhan<strong>de</strong>n. Sich mit <strong>de</strong>m Holocaust zu beschäftigen, heißt aber sich mit <strong>de</strong>m Grauen zu<br />

beschäftigen, und mit Verantwortung, sich einzulassen. Natürlich, „gelernte DDR-Bürger“ sind antifaschistisch erzogen<br />

und gebil<strong>de</strong>t, ergo nicht unvorbereitet. Klar gab es auch Berührungen mit jüdischem Leben damals, zu <strong>de</strong>n<br />

Festivals <strong>de</strong>r jiddischen Kultur mit <strong>de</strong>r unvergessenen Lin Jaldati und ihren Töchtern Jalda und Kathinka im Berliner<br />

Stadtteil Prenzlauer Berg beispielsweise. Aber alles wirkte ein bisschen wie Feigenblätter in einem Staat, <strong>de</strong>m<br />

das Palästinensertuch eben doch näher war als <strong>de</strong>r Davidstern. Letzteren trug eine Freundin um <strong>de</strong>n Hals. Nicht<br />

weil sie Jüdin war, son<strong>de</strong>rn aus Opposition, wie sie sagte. Danach folgten für mich mehr als 15 Jahre ohne ein Wort<br />

von <strong>de</strong>r Shoah (hebr. Zerstörung, große Katastrophe), wie die Ju<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Holocaust nennen, sieht man einmal von<br />

<strong>de</strong>n alljährlichen Ge<strong>de</strong>nkveranstaltungen in Altstrelitz ab. Dort hat es ein kirchlicher Redner vor ein paar Jahren<br />

übrigens fertiggebracht, die Verfolgungen <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>nen von Oppositionellen im sozialistischen <strong>de</strong>utschen<br />

Staat gleichzusetzen. Ein erschrecken<strong>de</strong>s Geschichts<strong>de</strong>fizit! Möglicherweise gab eine Abiturientin im Oktober 2006<br />

<strong>de</strong>n letzten Anstoß zur Seminarteilnahme. Sie war sehr erstaunt von mir zu erfahren, dass es überhaupt noch Ju<strong>de</strong>n<br />

gibt, glaubte <strong>de</strong>m Geschichtsunterricht entnommen zu haben, dass die alle von <strong>de</strong>n Nazis in <strong>de</strong>n Konzentrationslagern<br />

ermor<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n seien. Tage später saßen wir, die wir Wissen und Informationen weitergeben und damit zu<br />

Die Seminarleiter Dr. Susanne Urban und Daniel Rozenga<br />

17


Die Teilnehmer am Seminar stellen sich zum Abschlussfoto auf<br />

<strong>de</strong>ren Verbreitung beitragen (Fremdwörterbuch über Multiplikatoren), im Carolinum. Wir behan<strong>de</strong>lten vollkommen<br />

richtig, weil ganz offensichtlich zeitgemäß, auch Fragen <strong>de</strong>r pädagogischen und altersgerechten Vermittlung<br />

<strong>de</strong>s Themas. Ein flaues Gefühl im Magen wich schnell, <strong>de</strong>nn die Seminarleiter Dr. Susanne Urban und Daniel Rozenga,<br />

bei<strong>de</strong> für die Internationale Schule für Holocaust-Studien Yad Vashem in Europa tätig, arbeiteten nicht mit<br />

<strong>de</strong>m erhobenen Zeigefinger. Viel mehr entstand schnell ein Gefühl <strong>de</strong>r Zusammengehörigkeit, <strong>de</strong>s Vertrautseins<br />

miteinan<strong>de</strong>r, über alle entsetzlichen Geschichtslektionen hinweg, vom Novemberpogrom 1938 bis zu <strong>de</strong>n Deportationsberichten<br />

<strong>de</strong>s Polizisten Paul Salitter und <strong>de</strong>r jüdischen Zeugin Hil<strong>de</strong> Sherman. Das ließ einen in Workshops<br />

und Vorträgen nicht los, wird einen auch nicht mehr los lassen. Den an<strong>de</strong>ren Gruppenmitglie<strong>de</strong>rn ging es genauso,<br />

das haben viele Gespräche am Rand <strong>de</strong>r Veranstaltung erwiesen.<br />

In wenigen Tagen wer<strong>de</strong>n etliche von uns nach Israel reisen, um ein weiteres Seminar zu bestreiten.<br />

Das Ziel wird Jerusalem und Yad Vashem sein. Auch wenn Schüler <strong>de</strong>s Carolinums bereits vor<br />

uns im Februar diesen Jahres dort und von <strong>de</strong>r Gastfreundschaft im jüdischen Staat begeistert waren<br />

– das flaue Gefühl ist wie<strong>de</strong>r da. Neonazis schmieren auch im Strelitzer Land an Brücken, dass ihre<br />

Opas keine Mör<strong>de</strong>r waren. So einfach ist das nicht, auch nicht in <strong>de</strong>r zweiten Generation seit Hitler<strong>de</strong>utschland,<br />

<strong>de</strong>r ich angehöre.<br />

André Gross (Redakteur <strong>de</strong>r „Strelitzer Zeitung“)<br />

18


Dr. Stietzel, Stefanie Tesch, Debbie Lin<strong>de</strong>, Hei<strong>de</strong>marie Awe und Dr. Claudia Lenz (v. l.) bei <strong>de</strong>r Präsentation<br />

am 27. Januar 2007 in Berlin.<br />

Nach <strong>de</strong>m Willy-Brandt-Preis<br />

Wie bereits in <strong>de</strong>r letzten Zeitschrift berichtet wur<strong>de</strong>, erhielt das Gymnasium Carolinum am 10. November<br />

2007 <strong>de</strong>n Willy-Brandt-Preis. Diese hohe Auszeichnung ist für die Schule eine sehr große<br />

Ehre und zugleich auch Verpflichtung, <strong>de</strong>n eingeschlagenen Weg <strong>de</strong>r Intensivierung <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utsch-norwegischen<br />

Beziehungen fortzusetzen.<br />

Um die Schule und auch die Projekte <strong>de</strong>r Schule einem breiten Publikum vorzustellen, nahm eine<br />

Delegation <strong>de</strong>s Gymnasiums, bestehend aus zwei Schülern und zwei Lehrern, vom 26. bis 28. Januar<br />

2007 am <strong>de</strong>utsch-norwegischen Seminar „Besatzungsgeschichte als Gegenstand binationaler Verständigung“<br />

teil. Die Teilnehmer zeigten während <strong>de</strong>s multimedialen Vortrages <strong>de</strong>r Caroliner, dass sie mit<br />

<strong>de</strong>n gezeigten Aktionen <strong>de</strong>r Schüler, Lehrer und Gäste förmlich mitgingen, und waren sehr begeistert.<br />

Vielen wur<strong>de</strong> ein Schmunzeln entlockt, wenn sie sich auf <strong>de</strong>n Bil<strong>de</strong>rn wie<strong>de</strong>r fan<strong>de</strong>n. Die<br />

Beiträge zur Entwicklung, Durchführung und Evaluation von Projekten wie „Schüler la<strong>de</strong>n ein“ und<br />

„Treffpunkt 2005“ zeigten allen, wie wichtig dabei durchdachte und zielorientierte Konzepte und<br />

eine breite Vernetzung in <strong>de</strong>r Partnerschaftsarbeit sind. In abschließen<strong>de</strong>n Visionen wur<strong>de</strong> schon<br />

über Ziele eines neues Projektes, bei <strong>de</strong>m mehrere ausländische Partnerschulen und auch Mahn- und<br />

Ge<strong>de</strong>nkstätten zusammenarbeiten könnten, nachgedacht.<br />

Als Willy-Brandt-Preisträger <strong>de</strong>s Jahres 2006 erhielt das Gymnasium gemeinsam mit <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren<br />

Preisträgern, <strong>de</strong>m Gymnasium aus Simmern und <strong>de</strong>r weiterführen<strong>de</strong>n Schule aus Koppang, die Einladung,<br />

ihre <strong>de</strong>utsch-norwegischen Projekte auf <strong>de</strong>r alljährlichen Jahreshauptversammlung <strong>de</strong>r<br />

Deutsch-Norwegischen Gesellschaft in Oslo vorzustellen. Vom 23. bis 25. April 2007 reiste unsere<br />

Delegation, die aus <strong>de</strong>n Schülerinnen Stefanie Tesch und Debbie Lin<strong>de</strong> sowie <strong>de</strong>m Vorsitzen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r<br />

Schulkonferenz Herrn Dr. Stietzel und <strong>de</strong>r Koordinatorin Frau Hei<strong>de</strong>marie Awe bestand, nach Olso.<br />

Bereits am ersten Abend trafen sich die Preisträger mit <strong>de</strong>m Vorsitzen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Deutsch – Norwegischen<br />

Gesellschaft, Herrn Bernd Erich Hannoschöck, weiteren Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r DNG und Vertretern<br />

<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Botschaft in Oslo zu anregen<strong>de</strong>n Gesprächen. Beson<strong>de</strong>rs interessiert waren die Vertre-<br />

19


ter <strong>de</strong>r DNG an <strong>de</strong>n Schwerpunkten <strong>de</strong>r jeweiligen Projektarbeiten und an <strong>de</strong>n Erfahrungen im Miteinan<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>r jungen Leute.<br />

Auf <strong>de</strong>r Jahreshautversammlung gab es nach <strong>de</strong>r Präsentation <strong>de</strong>r einzelnen Projekte viele Nachfragen.<br />

Die Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r DNG betonten, dass es ihnen beson<strong>de</strong>rs wichtig ist, die Verbreitung und<br />

Festigung <strong>de</strong>r jeweiligen Lan<strong>de</strong>ssprache im Partnerland sowie die Kontakte <strong>de</strong>r Schüler zu intensivieren.<br />

So wur<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>r Versammlung z. B. Deutsch gesprochen.<br />

Auf <strong>de</strong>m weiteren Programm stand ein Besuch im Stortinget, <strong>de</strong>m norwegischen Parlament, wo einer<br />

Debatte über <strong>de</strong>n Klimaschutz mit <strong>de</strong>m Ministerpräsi<strong>de</strong>nten Herrn Jens Stoltenberg gelauscht<br />

wer<strong>de</strong>n konnte.<br />

Der <strong>de</strong>utsche Botschafter in Norwegen, Herr Roland Mauch, lud alle Besucher zu einer Gesprächsrun<strong>de</strong><br />

in die Botschaft ein. Die Schüler konnten ihre Fragen zur beruflichen Entwicklung im<br />

diplomatischen Dienst, zu <strong>de</strong>n Aufgaben eines Botschafters und zu Möglichkeiten von Praktika in<br />

Norwegen stellen und diskutierten rege.<br />

Ein weiterer Höhepunkt war <strong>de</strong>r Besuch <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Schule in Oslo. In einer gemeinsamen Themenarbeit<br />

mit einer 9. Klasse entspann sich eine Diskussion über die Unterschie<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n Schulsystemen<br />

und <strong>de</strong>n gemeinsamen Anknüpfungspunkten im Deutsch- und Geschichtsunterricht. Am En<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>s Besuches wur<strong>de</strong> vereinbart, weiterhin <strong>de</strong>n gegenseitigen Kontakt zu suchen.<br />

Auf diesem Wege möchten wir <strong>de</strong>r Deutsch – Norwegischen Gesellschaft, beson<strong>de</strong>rs Herrn Hannoschöck,<br />

<strong>de</strong>r Willy – Brandt – Stiftung, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Botschaft in Norwegen sowie allen Gastgebern<br />

für die interessanten Tage in Oslo danken.<br />

Gesprächsrun<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Schule „Max Tau“ in Olso.<br />

20<br />

Hei<strong>de</strong>marie Awe<br />

Koordinatorin Gymnasium Carolinum


Ehemalige Lehrer erinnern sich: Herbert Schwarz<br />

Das Redaktionskollegium wollte die Rubrik „Schulvereinsmitglie<strong>de</strong>r stellen sich vor“ erweitern, um<br />

ehemaligen Schülern und Lehrern die Möglichkeit zu bieten, aus ihrer Sicht eine persönliche Reflexion<br />

über ihre ehemalige Wirkungsstätte zu geben.<br />

Sofort dachten wir an Herbert Schwarz, ehemaliger stellvertreten<strong>de</strong>r Schulleiter, <strong>de</strong>r auch die Kulturszene<br />

am Gymnasium Carolinum und in <strong>de</strong>r Stadt Neustrelitz entschei<strong>de</strong>nd prägte und noch immer<br />

prägt.<br />

Also haben wir Herbert Schwarz gebeten, sich zu erinnern…<br />

Wir heißen Euch hoffen<br />

Goethe<br />

Es ist Montag, <strong>de</strong>r 12. März 2007. Gegen Mittag ein Anruf von Hannelore Gentzen mit <strong>de</strong>r Bitte, ein<br />

paar Gedanken über „mein Verhältnis“ zur Schule im Allgemeinen und im Beson<strong>de</strong>ren für die Zeitschrift<br />

„Carolinum“ zu Papier zu bringen.<br />

Ich habe zugesagt. Und das Dilemma beginnt<br />

für mich. Wo anfangen und wo aufhören?<br />

Schließlich war ich fast vier Jahrzehnte<br />

im Schuldienst und in <strong>de</strong>n letzten<br />

Jahren vor meinem Schlaganfall stellvertreten<strong>de</strong>r<br />

Schulleiter <strong>de</strong>s Gymnasiums Carolinum<br />

zu Neustrelitz.<br />

Eine Möglichkeit wäre, mit Hannelore<br />

Gentzen zu beginnen. Warum nicht? Sie ist<br />

heute eine <strong>de</strong>r profiliertesten und geachtetsten<br />

Lehrerinnen <strong>de</strong>s Carolinums. Ich kenne<br />

sie seit 1975. Sie war bis 1<strong>99</strong>1 Diplomlehrerin<br />

für Deutsche Sprache und Literatur<br />

und für Russisch an <strong>de</strong>r Oberschule in<br />

Wesenberg. Als Fachberater für Deutsche<br />

Sprache und Literatur besuchte ich ihren<br />

Unterricht. Ich lernte eine sehr freundliche,<br />

strebsame, fleißige junge Frau kennen,<br />

die ein hohes fachliches und methodisches<br />

Wissen und Können beständig erweiterte.<br />

Aber das war es nicht allein. Für Hannelore<br />

Gentzen ist Lehrerin kein Beruf, son<strong>de</strong>rn<br />

Berufung. Ihr herzliches, aufmerksames,<br />

konsequentes und for<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>s Verhältnis<br />

zu <strong>de</strong>n Schülern machte sie bei ihren „Zöglingen“ und Kollegen beson<strong>de</strong>rs beliebt. Als Hannelore<br />

Gentzen nach <strong>de</strong>r Schulreform 1<strong>99</strong>1 an das neugegrün<strong>de</strong>te Heinrich-Schliemann-Gymnasium kam,<br />

wur<strong>de</strong> sie neben Eveline Leck, Renate Fleischhack und Rosemarie Koritsch eine <strong>de</strong>r angesehensten<br />

Lehrerpersönlichkeiten in Neustrelitz.<br />

Und heute im Jahr 2007? Hannelore Gentzen ist Fachschaftsleiterin <strong>de</strong>s Faches Deutsche Sprache<br />

und Literatur am Carolinum und Redaktionsvorsitzen<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Zeitschrift „Carolinum“. Und nicht zu<br />

vergessen: sie ist nach wie vor eine hervorragen<strong>de</strong> Lehrerin, das weiß ich aus Schüler- und Elternbemerkungen<br />

über sie und durch Gespräche mit ihr.<br />

Wenn ich auf die letzten zehn Jahre <strong>de</strong>s Carolinums zurückblicke, so braucht uns – ausgehend von<br />

<strong>de</strong>r Entwicklung dieser einen Kollegin – um <strong>de</strong>n Fortbestand dieser Schule nicht bange zu sein.<br />

Aber ich möchte mich in <strong>de</strong>m genannten Sinne gern weiter erinnern.<br />

Ich habe 1<strong>99</strong>1 auf Wunsche <strong>de</strong>s damaligen Schulleiters Georg Drauschke die Obliegenheiten eines<br />

Stellvertreters übernommen und bekam sehr bald engen persönlichen Kontakt zum Vorstand <strong>de</strong>r<br />

Altschülerschaft <strong>de</strong>s Gymnasiums Carolinum. Ich <strong>de</strong>nke gern zurück an die inzwischen lei<strong>de</strong>r Ver-<br />

21


storbenen, Dr. Adolf-Friedrich Wagner und Hartwig Klempien, und vor allem an Günther Jonas, mit<br />

<strong>de</strong>m mich heute noch eine herzliche Freundschaft verbin<strong>de</strong>t.<br />

Diesem Vorstand haben wir es zu verdanken, dass in Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>r damaligen Schulleitung<br />

und <strong>de</strong>m Schulrat, Herrn Helmut Köller, das alte-neue Carolinum wie<strong>de</strong>r entstehen konnte.<br />

Heute sorgen u.a. Armgard Bentzin, Dirk Kollhoff, Olaf Müller, Jost Reinhold, Henry Tesch, Dr.<br />

Klaus Zerbel und Hannelore Gentzen dafür, dass das Carolinum zu <strong>de</strong>n führen<strong>de</strong>n Gymnasien in<br />

Mecklenburg-Vorpommern gehört. Um <strong>de</strong>n Fortbestand dieser Schule muss uns nicht bange sein.<br />

Sich erinnern und mitunter auch etwas Neues erleben, gehört wohl zu <strong>de</strong>r Einheit, die Menschen<br />

meines Alters gerne verwirklichen wollen. 33 Jahre war ich Deutschlehrer an <strong>de</strong>r Oberschule I, <strong>de</strong>m<br />

späteren Schliemann-Gymnasium und 30 Jahre Fachberater für das Fach Deutsche Sprache und Literatur.<br />

Ich kannte also viele Lehrer aus <strong>de</strong>m Kreisgebiet. Da ich nach <strong>de</strong>r Wen<strong>de</strong> Mitglied <strong>de</strong>s Personalrats<br />

war, hatte ich auch gewissen Einfluss auf die Auswahl <strong>de</strong>r Lehrer für das Gymnasium. Wir wur<strong>de</strong>n<br />

nach 1<strong>99</strong>1 eine verschworene Gemeinschaft, was die Weiterbildung (heute sagt man Fortbildung)<br />

betraf. Von Vorteil war für mich, dass ich auch an <strong>de</strong>n Lehrplänen für das Fach Deutsch an <strong>de</strong>n Gymnasien<br />

<strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s Mecklenburg-Vorpommern mitgearbeitet hatte. Nicht nur die Lehrer <strong>de</strong>s Carolinum,<br />

son<strong>de</strong>rn auch die „Schliemänner“ erfassten wir in <strong>de</strong>r Fachschaft Deutsch. Ich erinnere mich<br />

vor allem an die Zusammenkünfte zum „Wallenstein“, zum „Prinzen von Homburg“ und zum „Faust<br />

– <strong>de</strong>r Tragödie zweiter Teil“. Wichtig war mir damals auch das Übergreifen<strong>de</strong> zwischen <strong>de</strong>n einzelnen<br />

Fächern. Darum trafen wir uns an zwei Tagen 1<strong>99</strong>3 zu Problemen <strong>de</strong>s Geschichts-, Deutsch-, Musik<br />

und Kunsterziehungsunterrichtes in <strong>de</strong>r Zeit um die Jahrhun<strong>de</strong>rtwen<strong>de</strong> vom 19. zum 20. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />

bis nach zum ersten Weltkrieg 1918.<br />

Was die Kollegen damals geleistet haben, war phänomenal. Andreas Steglich gab eine phantastische<br />

historische Grundlage, Reinhard Gust sprach hervorragend zur musikalischen Entwicklung,<br />

Hannelore Dieckmann machte grundsätzliche und zum Nach<strong>de</strong>nken anregen<strong>de</strong> Ausführungen zur<br />

bildnerisch-künstlerischen Darstellung und Maja Deisinger (Ehre ihrem An<strong>de</strong>nken!) stellte das<br />

Ganze von <strong>de</strong>r literarischen Seite gekonnt dar. Nach meiner persönlichen Auffassung müsste <strong>de</strong>r Zusammenarbeit<br />

zwischen <strong>de</strong>n einzelnen Unterrichtsfächern wie<strong>de</strong>r viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

1<strong>99</strong>2 machten wir uns als Deutsch-, Musik- und Kunstlehrer für einen Theatertag am Carolinum<br />

mit Einführung, Besuch einer Vorstellung und Auswertung mit <strong>de</strong>n Künstlern <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>stheaters<br />

Neustrelitz stark. Und mit Erfolg. Der Theatertag am Carolinum besteht noch heute. In diesem Jahr<br />

organisierte Kollegin Gentzen zu <strong>de</strong>r ausgezeichneten Inszenierung „Das Käthchen von Heilbronn“<br />

von Heinrich von Kleist <strong>de</strong>n diesjährigen Theatertag.<br />

Was die Fortbildung <strong>de</strong>r Lehrer und die Wissens- und Könnensentwicklung <strong>de</strong>r Schüler betrifft:<br />

uns muss um das Gymnasium Carolinum nicht bange sein.<br />

Sehr gern <strong>de</strong>nke ich auch an die Zusammenarbeit mit Georg Drauschke und <strong>de</strong>r gesamten Schulleitung<br />

zurück. Ich hatte nur Angst davor, dass ich als Stellvertreter <strong>de</strong>n Stun<strong>de</strong>nplan aufstellen müsste.<br />

Aber Georg Drauschke sicherte mir zu, das wür<strong>de</strong> ein an<strong>de</strong>rer Kollege erledigen. Der „an<strong>de</strong>re“<br />

war Olaf Müller. Ihm bin ich noch heute zu Dank verpflichtet. Eine neue Generation hat am Carolinum<br />

die Führung übernommen. Vor 16 Jahren waren es neben Georg Drauschke, Olaf Müller, Roswitha<br />

Schulze und Rüdiger Lichterfeld. Heute ist Olaf Müller amtieren<strong>de</strong>r Schulleiter und wird in<br />

<strong>de</strong>r Schulleitung tatkräftig von Roswitha Schulze, Hei<strong>de</strong>marie Awe und Hannelore Gentzen unterstützt.<br />

Um die Leitung <strong>de</strong>s Gymnasiums Carolinum, die sich nach wie vor erfolgreich um internationale<br />

Kontakte bemüht, muss uns nicht bange sein.<br />

Wir Älteren glauben, dass die nach uns kommen<strong>de</strong>n immer eine wenig schlechter und schwächer<br />

sind als wir selbst. Das gilt auch für Schüler, die wir nicht selbst unterrichtet haben.<br />

Ich war schon Rentner, als ich zum 100. To<strong>de</strong>stag von Daniel San<strong>de</strong>rs 1<strong>99</strong>7 mit Schülern bei<strong>de</strong>r<br />

Gymnasien in Neustrelitz ein Programm einstudierte, bei <strong>de</strong>m mir Reinhard Gust und Elke Bartsch<br />

mit <strong>de</strong>m Chor zur Seite stan<strong>de</strong>n. Es wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Aula <strong>de</strong>s Carolinums ein großer Erfolg.<br />

2005 hatte ich – es war zum 200. To<strong>de</strong>stag von Friedrich Schiller – Begegnungen mit drei Schülern:<br />

Hanna Schulze, Heiko Benzin und Steffen Schödwell. Heiko und Steffen bereiteten sich auf die aka<strong>de</strong>mische<br />

Antrittsre<strong>de</strong> Schillers an <strong>de</strong>r Jenaer Universität „Was heißt und zu welchem En<strong>de</strong> studiert<br />

man Universalgeschichte?“ vor. Hanna spielte auf <strong>de</strong>m Flügel die Sonate C-Moll Pathètique 1. Satz<br />

von Ludwig van Beethoven. Drei junge Persönlichkeiten, die alle durch Lehrer <strong>de</strong>s Carolinums geprägt<br />

wur<strong>de</strong>n.<br />

22


2006 hatte ich wie<strong>de</strong>r Begegnungen mit Schülern <strong>de</strong>s Carolinums bei Proben zum literarisch-musikalischen<br />

Programm zum Tag <strong>de</strong>r Bücherverbrennungen durch die Nazis. Die Zusammenarbeit mit<br />

Laura Dae<strong>de</strong>low, Berna<strong>de</strong>tte Schnei<strong>de</strong>r, Wieland Franke, Christian Schwarz, Jonas Steglich und<br />

Franz Zimmermann wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Orangerie für die Schüler zu einem vollen Erfolg.<br />

Ich freue mich schon auf die Proben mit Schülern <strong>de</strong>s Carolinums zur Festveranstaltung <strong>de</strong>s 100jährigen<br />

Bestehens <strong>de</strong>r Neustrelitzer Stadtbibliothek am 3. November 2007.<br />

Um Lehrer und Schüler <strong>de</strong>s Carolinums muss uns für die Zukunft nicht bange sein.<br />

Ich glaube, ich muss langsam zu En<strong>de</strong> kommen. Nein, ich habe sie nicht vergessen, son<strong>de</strong>rn sie nur<br />

bewusst für <strong>de</strong>n Schluss gelassen: Eike Benzin und Henry Tesch.<br />

Eike Benzin begann als Absolventin an <strong>de</strong>r damaligen Oberschule I in Neustrelitz. Ich war für das<br />

Fach Deutsch ihr Mentor. Später trafen wir uns am Carolinum wie<strong>de</strong>r. Ich habe sie damals sehr hart<br />

„angepackt“, mich später auch dafür entschuldigt und bin froh, das jetzt in aller Öffentlichkeit wie<strong>de</strong>rholen<br />

zu können. Ich bin stolz auf Eike Benzin, <strong>de</strong>nn heute ist sie Persönliche Referentin <strong>de</strong>s Ministers<br />

für Bildung, Wissenschaft und Kultur <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s Mecklenburg-Vorpommern Henry Tesch.<br />

Diesen Henry Tesch lernte ich als Fachberater für Deutsch an <strong>de</strong>r damaligen Oberschule VIII kennen.<br />

Und die Chemie zwischen uns stimmte gleich. Das war 1989, als er als Stu<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r Leipziger<br />

Universität sein letztes Praktikum absolvierte und die Lehrbefähigung erwarb.<br />

Später trafen auch wir uns am Carolinum wie<strong>de</strong>r. Es war eine schöne Zeit <strong>de</strong>s gemeinsamen Schaffens.<br />

Ich erinnere mich noch sehr gut an unsere gemeinsamen Reisen nach Quakenbrück und Osnabrück,<br />

die er auch nutzte, um Erfahrungen beim Aufbau <strong>de</strong>s Medienkabinetts in Neustrelitz zu sammeln.<br />

Nach meiner Krankheit wur<strong>de</strong> er mein Nachfolger als Stellvertreter und nach einigen Jahren<br />

Schulleiter <strong>de</strong>s Gymnasiums Carolinum. Und jetzt ist er Minister. Das erfüllt mich mit Stolz und<br />

Freu<strong>de</strong>. Ich wünsche ihm Kraft zum Mut und Entscheidungsfreudigkeit zum Wohle aller, <strong>de</strong>r Lehrer<br />

und Schüler, <strong>de</strong>r Dozenten und Stu<strong>de</strong>nten sowie aller Kulturschaffen<strong>de</strong>n. Wenn ich an Henry Tesch<br />

<strong>de</strong>nke, ist mir um die Bildung in unserem Land und um das Carolinum nicht bange.<br />

Herbert Schwarz<br />

23


Carolin Scholz, 12. Klasse<br />

24


Das Gelobte Land und wir mittendrin<br />

Vom 18. bis 25. Februar 2007 begaben wir, eine Delegation von 14 Schülern <strong>de</strong>s Gymnasium Carolinum,<br />

begleitet von Herrn Benzin, Frau Wiele, Frau Awe und Herrn Nespital, uns auf eine Reise nach<br />

Israel. Nach<strong>de</strong>m im Frühjahr 2006 bereits elf israelische Schüler und ihre Lehrer eine wun<strong>de</strong>rvolle<br />

Woche in Neustrelitz verbrachten, war es nun an <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>n lang ersehnten und ungeduldig erwarteten<br />

Gegenbesuch in Israel abzustatten.<br />

Im Rahmen <strong>de</strong>s Projektes „Frie<strong>de</strong>n für Europa“ fand dieser erstmalige Schüleraustausch zwischen<br />

<strong>de</strong>m „Herzlia Hebrew Gymnasia“ in Tel Aviv und <strong>de</strong>m Gymnasium Carolinum in Neustrelitz statt.<br />

Dieses Projekt beinhaltet zum einen natürlich die Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>m Holocaust. Ziel war<br />

es etwas über die Vergangenheit aus einer an<strong>de</strong>ren Perspektive zu erfahren, zu erkennen, was wir in<br />

<strong>de</strong>r Gegenwart gegen Rassismus tun können und zu verhin<strong>de</strong>rn, dass sich solche Dinge wie<strong>de</strong>rholen.<br />

Zeitzeugenvorträge und -gespräche, Diskussionen und <strong>de</strong>r Besuch <strong>de</strong>r Holocaust Ge<strong>de</strong>nkstätte Yad<br />

Vashem in Jerusalem waren die Höhepunkte im Rahmen <strong>de</strong>r Projektarbeit. Je<strong>de</strong>r von uns fertigt eine<br />

Arbeit zu diesem Thema an, in <strong>de</strong>r er in völlig freier Form über seine Erfahrungen reflektieren kann.<br />

Die Präsentation dieser Arbeiten erfolgt dann im September, wenn wir erneut Besuch aus Tel Aviv<br />

erhalten.<br />

Natürlich war dieses ernste Thema nicht <strong>de</strong>r einzige Aspekt unserer Reise. Wir hatten die einmalige<br />

Möglichkeit, solch ein vielseitiges und geschichtsträchtiges Land wie Israel kennen zu lernen, etwas<br />

über das Ju<strong>de</strong>ntum aus erster Hand zu erfahren und natürlich wun<strong>de</strong>rvolle und außeror<strong>de</strong>ntlich<br />

gastfreundliche Menschen kennen zu lernen, die am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Woche für uns mehr als nur Freun<strong>de</strong><br />

waren.<br />

Gäste und Gastgeber vor <strong>de</strong>m „Herzlia Hebrew Gymnasia“ in Tel Aviv.<br />

25


Als wir erfuhren, dass wir die einmalige Chance erhalten wür<strong>de</strong>n, nach Israel zu fahren, hatten wir<br />

sowohl euphorische als auch etwas gemischte Gefühle. Im Prinzip wussten wir nur sehr wenig über<br />

das Land unseres Ziels. Die Schüler, die bereits im März 2006 die Israelis in Neustrelitz aufgenommen<br />

hatten, hatten eine kleine Vorstellung davon, wie schön es dort sein muss, da die israelischen<br />

Austauschschüler schon viel von ihrem Land geschwärmt hatten und uns dringend baten sie dort zu<br />

besuchen. Doch natürlich waren viele auftreten<strong>de</strong>n Fragen für uns ungeklärt. Wie wür<strong>de</strong>n die Israelis<br />

uns aufnehmen? Könnte es ein Problem für sie sein, dass wir aus Deutschland kommen? Wür<strong>de</strong>n unsere<br />

Gastfamilien sich koscher ernähren und ein streng orthodoxes Leben führen? Wie gefährlich ist<br />

es in Israel? All diese möglichen Besorgnisse erwiesen sich im Nachhinein als völlig unbegrün<strong>de</strong>t.<br />

Die meisten <strong>de</strong>r Gastfamilien führen genau das gleiche Leben wie wir in Deutschland. Viele von<br />

ihnen praktizieren die Religion kaum o<strong>de</strong>r unregelmäßig. Trotz<strong>de</strong>m haben sie eine enge Verbun<strong>de</strong>nheit<br />

zum Ju<strong>de</strong>ntum. Da wir in Tel Aviv untergebracht waren, spürten wir auch nur wenig von <strong>de</strong>r Religion,<br />

da Tel Aviv eine sehr junge, mo<strong>de</strong>rne und liberale Stadt ist, ganz im Gegensatz zu Jerusalem,<br />

wo viele Orthodoxe leben. In <strong>de</strong>n meisten Familien wur<strong>de</strong> nicht koscher gegessen, einige aßen kein<br />

Schweinefleisch o<strong>de</strong>r Fleisch, doch Küchen, in <strong>de</strong>nen Fleischiges streng von Milchigem getrennt wur<strong>de</strong>,<br />

wie es in koschren Küchen üblich ist, fan<strong>de</strong>n wir nicht vor. Das israelische Nationalgericht Falafel<br />

blieb uns allerdings nicht vorenthalten. Man kann es sich als frittierte Kichererbsenmusbällchen in<br />

Pietabrot mit Salat vorstellen. Es war für uns etwas gewöhnungsbedürftig, doch interessant auf alle<br />

Fälle.<br />

Was für uns eine sehr positive Erfahrung war, waren die Reaktionen <strong>de</strong>r israelischen Bevölkerung<br />

auf uns. Unsere Gastfamilien waren überaus fürsorglich und zeigten reges Interesse an unserem Leben<br />

in Deutschland und an unseren Motiven ihr Land zu besuchen. Da meine Gasteltern selbst einige<br />

Jahre in Deutschland gelebt haben, war das Gespräch mit ihnen sehr aufschlussreich und interessant.<br />

Ein großer Vorteil <strong>de</strong>ssen war, dass sie fließend Deutsch sprachen, und wir somit keine Verständigungsprobleme<br />

hatten. Doch nicht nur unsere Gastfamilien, son<strong>de</strong>rn fast alle Israelis, mit <strong>de</strong>nen wir<br />

in Kontakt kamen, waren hoch interessiert, überaus freundlich und herzlich. Es passierte nicht ein<br />

einziges Mal, dass uns Misstrauen entgegengebracht wur<strong>de</strong>. Sobald wir erwähnten, dass wir aus<br />

Deutschland kommen, war das Interesse auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite fast noch größer als vorher, da diese<br />

Menschen ebenso wenig über das heutige Deutschland wissen, wie wir über Israel. Doch gera<strong>de</strong> dieser<br />

Dialog, vor allem zwischen Jugendlichen <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Län<strong>de</strong>r, ist enorm wichtig, um die Geschichte<br />

besser zu verstehen und um zu verhin<strong>de</strong>rn, dass solche Dinge wie <strong>de</strong>r Holocaust in Zukunft<br />

wie<strong>de</strong>r geschehen. Was ich persönlich während <strong>de</strong>r Reise und <strong>de</strong>n Gesprächen mit <strong>de</strong>n Leuten festgestellt<br />

habe, ist, dass ein Gespräch mit einem vom Holocaust betroffenen Menschen, die eigene Sicht<br />

<strong>de</strong>r Dinge verän<strong>de</strong>rt und sensibilisiert. Diese Erfahrung ist mit keinem anschaulichen Unterrichtsmaterial<br />

zu vergleichen. Man erfährt, was die Ju<strong>de</strong>nverfolgung im Zweiten Weltkrieg für diese Menschen<br />

be<strong>de</strong>utet hat und man ist direkt emotional betroffen. Ver<strong>de</strong>utlicht wur<strong>de</strong> uns diese Be<strong>de</strong>utung<br />

umso mehr in <strong>de</strong>r Holocaustge<strong>de</strong>nkstätte Yad Vashem in Jerusalem. Der Besuch <strong>de</strong>s Museums war<br />

für uns alle eine sehr intensive Erfahrung und es war gar nicht möglich seine emotionale Betroffenheit<br />

zu verstecken. Viele von uns konnten und wollten dies auch gar nicht. Es war sehr schockierend<br />

<strong>de</strong>n Großteil <strong>de</strong>r Materialien in <strong>de</strong>r Ge<strong>de</strong>nkstätte im Original auf Deutsch geschrieben zu sehen,<br />

wenn alles an<strong>de</strong>re auf Hebräisch o<strong>de</strong>r Englisch geschrieben steht.<br />

Doch natürlich haben wir uns nicht nur über die Geschichte unserer Län<strong>de</strong>r unterhalten. Im Laufe<br />

<strong>de</strong>r Woche stellten wir fest, dass es so viele Gemeinsamkeiten zwischen <strong>de</strong>n Jugendlichen bei<strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r<br />

gibt. Wir hören die gleiche Musik, haben einen ähnlichen Mo<strong>de</strong>geschmack und zum größte Teil<br />

auch <strong>de</strong>n gleichen Humor, wobei man dazu sagen muss, dass die Israelis einen sehr schwarzen Humor<br />

haben können. Auch unsre Art zu feiern, unterschied sich nur geringfügig voneinan<strong>de</strong>r.<br />

Mit hauptsächlich Englisch, etwas Deutsch und Hebräisch hatten wir auch keine Verständigungsprobleme.<br />

Ich persönlich muss auch sagen, dass ich nicht einen Moment lang Angst gehabt o<strong>de</strong>r mich unsicher<br />

gefühlt habe. Natürlich war es im ersten Moment für je<strong>de</strong>n von uns etwas gewöhnungsbedürftig<br />

am Eingang eines Kaufhauses von einem Sicherheitsbeamten, <strong>de</strong>r eine Waffe trug, durchgecheckt zu<br />

wer<strong>de</strong>n, doch dadurch fühlte man sich umso sicherer. Auch die Tatsache, dass wir einen persönlichen<br />

Begleiter mit Gewehr hatten, war im ersten Moment etwas eigenartig, doch es gab einem zusätzlich<br />

das Gefühl gut bewacht zu wer<strong>de</strong>n. Es wäre jedoch unwahr zu sagen, dass es überhaupt nicht gefährlich<br />

in Israel ist. Am Abend eines Tages ging in Tel Aviv das Gerücht herum, ein Selbstmordattentäter<br />

wäre in die Stadt gelangt, und für einige von uns be<strong>de</strong>utete das auch, dass wir sofort in unsere<br />

Gastfamilien zurück sollten. Am nächsten Tag schrieb die Zeitung, sie hätten ihn gefasst. Trotz<strong>de</strong>m<br />

zeigt dies, wie viel näher man <strong>de</strong>r Bedrohung dort ist, als man <strong>de</strong>nkt. Alles in allem ist Israel jedoch<br />

26


eines <strong>de</strong>r wun<strong>de</strong>rbarsten Län<strong>de</strong>r, die ich kenne, und ich wür<strong>de</strong> je<strong>de</strong>rzeit wie<strong>de</strong>r dorthin fahren. Zwischen<br />

unseren Gastfamilien und uns ist eine enge Verbindung entstan<strong>de</strong>n, und für einige von uns sind<br />

dir Menschen dort mehr als nur Freun<strong>de</strong> gewor<strong>de</strong>n. Es ist wirklich schwer all die Eindrücke dieser<br />

Woche in Worte zu fassen. Wir haben so viel erlebt, gesehen und kennen gelernt, was uns beeindruckt<br />

und sehr gefallen hat. Nicht nur die Sehenswürdigkeiten und die Geschichte, son<strong>de</strong>rn auch<br />

o<strong>de</strong>r gera<strong>de</strong> die Menschen in Israel sind eine Reise in dieses Land wert. Diese Reise war <strong>de</strong>r Anfang<br />

einer hoffentlich engen Freundschaft zwischen <strong>de</strong>m Gymnasium Carolinum und <strong>de</strong>m Herzlia Gymnasium.<br />

Wie bereits erwähnt, fin<strong>de</strong>t im September in Neustrelitz die Präsentation unserer Arbeiten<br />

statt, auf die wir alle sehr gespannt sein dürfen. Denn dies ist eine Verbindung, die weit über das hinausgeht,<br />

was wir erwarten. Der Besuch <strong>de</strong>r israelischen Schüler im September steht natürlich auch<br />

unter <strong>de</strong>m Motto unserer Freundschaft:<br />

„Come Together!“ (The Beatles)<br />

Kurz vor <strong>de</strong>m Flug nach Hause noch einmal alle vereint.<br />

Laura Dae<strong>de</strong>low<br />

12. Klasse<br />

27


28<br />

„Fragt heute,<br />

<strong>de</strong>nn heute ist das Gestern von morgen.“<br />

Reflexionen zur Projektarbeit zur italienischen Häftlingsgruppe<br />

im Konzentrationslager Ravensbrück<br />

Seit September 2005 recherchierten Schülerinnen und Schüler im Rahmen eines Projektkurses <strong>de</strong>s<br />

Gymnasium Carolinum in Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>m Institut Baruffi Mondovi zur italienischen Häftlingsgruppe<br />

im Konzentrationslager Ravensbrück.<br />

Dabei stan<strong>de</strong>n Themen wie das Erscheinungsbild <strong>de</strong>s Faschismus in Italien und in Deutschland,<br />

die Spezifik <strong>de</strong>r italienischen Häftlingsgruppe und insbeson<strong>de</strong>re das Schicksal einzelner Frauen sowie<br />

die Formen <strong>de</strong>s Ge<strong>de</strong>nkens in bei<strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn im Mittelpunkt <strong>de</strong>r Betrachtungen. Die beson<strong>de</strong>re<br />

Herausfor<strong>de</strong>rung ergab sich aus <strong>de</strong>m Umstand <strong>de</strong>r bisher wenig vorhan<strong>de</strong>nen bzw. aufgearbeiteten<br />

Materialien. Aus diesem Grund entstan<strong>de</strong>n drei Lesemappen, eine DVD und das am 29. Januar 2007<br />

in <strong>de</strong>r italienischen Botschaft in Berlin präsentierte Programm.<br />

Die folgen<strong>de</strong>n Texte spiegeln die Gedanken und Empfindungen von Schülern <strong>de</strong>s Projektkurses<br />

wi<strong>de</strong>r, die ihre ganz eigene Form <strong>de</strong>r Verarbeitung fin<strong>de</strong>n.<br />

„Fragt heute, <strong>de</strong>nn heute ist das Gestern von morgen.“<br />

…schrieb einst die israelische Psychologin Batsheva Dagan in ihrem Gedicht „An die, die zögern zu<br />

fragen“. Wir, Schüler <strong>de</strong>r 12. und 13. Klasse, die nicht zögerten zu fragen, trafen uns in regelmäßigen<br />

Abstän<strong>de</strong>n, um uns mit <strong>de</strong>m Thema „Italienische Häftlinge im ehemaligen Konzentrationslager Ravensbrück“<br />

auseinan<strong>de</strong>r zusetzen. Den Großteil unser Arbeiten erledigten wir jedoch in selbstständigen<br />

Studien, immer mit <strong>de</strong>m Hintergedanken: „Fragt heute, <strong>de</strong>nn morgen ent<strong>de</strong>ckt ihr plötzlich, dass<br />

es schon zu spät ist!“<br />

Ich, Josefin Forberger, habe mich freiwillig für diese zusätzliche Arbeit entschie<strong>de</strong>n. Manchmal<br />

wer<strong>de</strong> ich gefragt, wieso ich mir diesen „Stress“ auflaste. Dann erzähle ich oft das wohl für mich prägendste<br />

und einschnei<strong>de</strong>ndste Erlebnis, das ich zu <strong>de</strong>r Problematik Konzentrationslager gemacht<br />

habe: In <strong>de</strong>r 9. Klasse hatte ich gemeinsam mit an<strong>de</strong>ren Schülern im Rahmen <strong>de</strong>r jährlichen Projektwoche<br />

die Gelegenheit, an einem Zeitzeugengespräch mit zwei Überleben<strong>de</strong>n namens Charlotte<br />

Kroll und Ilse Heinrich, welche während <strong>de</strong>s 2. Weltkrieges in das Konzentrationslager Ravensbrück<br />

<strong>de</strong>portiert wor<strong>de</strong>n sind, teilzunehmen: „Fragt heute, <strong>de</strong>nn heute gibt es noch Zeugen!“<br />

Bis zu diesem Zeitpunkt war das ein Thema, wenn ich ehrlich bin, von <strong>de</strong>m ich wusste, mich aber<br />

nie wirklich damit beschäftigt hatte. Für mich war das etwas, was einfach „nur“ zu unserer Geschichte<br />

gehört. Doch das Gespräch, in <strong>de</strong>m uns die Frauen ihre Situation, ihre Erfahrungen und sogar ihre<br />

Gedanken und Gefühle unter Tränen wie<strong>de</strong>rgaben, brachte mich stark zum Nach<strong>de</strong>nken. Für mich<br />

war dies ein sehr intensives, eindringliches und aufschlussreiches Erlebnis, welches wohl auch Grund<br />

für mein Interesse an diesem Projektkurs war. „Fragt heute, <strong>de</strong>nn morgen wird es nur Literatur sein<br />

o<strong>de</strong>r Auslegung.“<br />

Im Laufe <strong>de</strong>r Projektarbeit habe ich mich intensiv mit <strong>de</strong>n Biografien von Lidia Rolfi und Maria<br />

Arata auseinan<strong>de</strong>rgesetzt, zwei italienische Frauen, die die Hölle von Ravensbrück überlebt haben.<br />

Voller Interesse las ich ihre Lebenserinnerungen, die beeindruckend Auskunft über das Leben vor<br />

und nach <strong>de</strong>m Lager gaben, mir aber auch vermittelten, wie wichtig das solidarische Miteinan<strong>de</strong>r im<br />

Lager war. Obwohl dies alles äußerst anschaulich beschrieben wur<strong>de</strong>, muss ich Batsheva Dagan<br />

Recht geben, <strong>de</strong>nn… „Was fehlen wird wenn das Morgen kommt, ist Blickkontakt und Erwi<strong>de</strong>rung eine<br />

Antwort auf je<strong>de</strong> Frage in Worten o<strong>de</strong>r Miene.“<br />

Am 29. Januar 2007 fand die Präsentation unseres Projektes in <strong>de</strong>r italienischen Botschaft auf Einladung<br />

<strong>de</strong>s Herrn Botschafters Antonio Puri Purini in Berlin statt. Anlass dazu war <strong>de</strong>r Ge<strong>de</strong>nktag<br />

für die Opfer <strong>de</strong>s Nationalsozialismus, <strong>de</strong>r in Deutschland seit 1<strong>99</strong>6 feierlich begangen wird. Gemein-


sam mit <strong>de</strong>m Ensemble <strong>de</strong>s Carolinums sowie Schülern unserer Partnerschule aus Mondovi/Italien<br />

gestalteten wir ein sehr emotionales Programm, das unsere ganz persönlichen Gedanken und Reflexionen<br />

zum genannten Thema sowie zur Frage <strong>de</strong>s Ge<strong>de</strong>nkens in unserer heutigen Zeit zum Ausdruck<br />

brachte.<br />

Im Zuge <strong>de</strong>ssen entstand zusätzlich eine Lese- und Informationsmappe sowie eine DVD, die Auskünfte<br />

über das Leben von Maria Arata gibt. Damit soll beson<strong>de</strong>rs Schülern die Problematik und<br />

Notwendigkeit <strong>de</strong>s Beschäftigens sowie Nachfragens bezüglich <strong>de</strong>s Themas Nationalsozialismus ver<strong>de</strong>utlicht<br />

wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn… „Fragt nochmals! Fragt immer wie<strong>de</strong>r! Jetzt ist es Zeit! Gestern kehrt nicht<br />

wie<strong>de</strong>r.“<br />

Josefin Forberger<br />

Klasse 13<br />

Reflexionen<br />

Gab es jemals eine Zeit, in <strong>de</strong>r die Menschen auf <strong>de</strong>r Welt sich nicht bekriegt haben?<br />

Die Menschen sind dumm. Gewalt macht sie zu stärkeren und mächtigeren Menschen. Doch warum<br />

braucht <strong>de</strong>r Mensch Macht? Wieso muss er sich ständig behaupten und dabei an<strong>de</strong>re unterdrücken –<br />

Menschen, die schwächer sind und sich nicht wehren können? Liegt das etwa in <strong>de</strong>r Natur <strong>de</strong>s Menschen?<br />

Und wenn ja, sollte <strong>de</strong>r Mensch, als das höchstentwickelte Wesen auf <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>, dann nicht in<br />

<strong>de</strong>r Lage sein, seine Natur zu beherrschen und zu unterdrücken und nicht die an<strong>de</strong>ren Menschen?<br />

Wo ist die so genannte Menschlichkeit, Güte und das Wohlwollen beim Menschen, von <strong>de</strong>m dieses<br />

Wort doch eigentlich abgeleitet ist? O<strong>de</strong>r ist <strong>de</strong>r Mensch inhuman, ein Wort, das ihm, <strong>de</strong>m Menschen,<br />

sämtliche menschliche Eigenschaften aberkennt? Sind Menschen dann also keine Menschen mehr,<br />

wenn sie sich nicht mehr wie Menschen verhalten? Betrachtet man die Geschichte <strong>de</strong>r Spezies<br />

Mensch, so wird man schnell feststellen können, dass inhumane Menschen trotz<strong>de</strong>m Menschen sind.<br />

Der II. Weltkrieg veranschaulicht dies beson<strong>de</strong>rs gut. Inhumane Menschen unterdrückten, beherrschten<br />

und vernichteten sogar an<strong>de</strong>re Menschen. Trotz<strong>de</strong>m wur<strong>de</strong> ihnen <strong>de</strong>r Status Mensch nicht aberkannt.<br />

Sie wur<strong>de</strong>n so, wie an<strong>de</strong>re Verbrecher auch, vor ein Gericht gestellt, ihnen wur<strong>de</strong> ein Prozess<br />

gemacht, und schließlich wur<strong>de</strong> über ihr Schicksal von an<strong>de</strong>ren mächtigen Menschen entschie<strong>de</strong>n.<br />

Teilweise wur<strong>de</strong>n sie zum Tod verurteilt, teilweise wur<strong>de</strong> ihnen die Freiheit genommen. In einem von<br />

Menschen gemachten Lied heißt es: “Freiheit, Freiheit ist das einzige, was zählt.“ Freiheit bestimmt,<br />

diesem Lied zufolge, also das menschliche Leben und scheint auch <strong>de</strong>r wichtigste Aspekt zu sein, <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>n Menschen an sich bestimmt. Ist <strong>de</strong>r Mensch also ohne Freiheit noch ein Mensch? Und auch auf<br />

diese Frage lautet die Antwort ja. Der Mensch ist selbst als Unfreier noch ein Mensch. Er wird im<br />

Gefängnis anständig gehalten, nicht etwa wie ein Tier, das auf allen vieren kriecht, aus einem Napf<br />

frisst und angeleint wer<strong>de</strong>n müsste. Nun wer<strong>de</strong>n also Menschen, die inhuman und unfrei sind, noch<br />

wie Menschen behan<strong>de</strong>lt, obwohl ihnen dieser Status nach <strong>de</strong>n Be<strong>de</strong>utungen <strong>de</strong>r Wörter für die Definition<br />

<strong>de</strong>s Begriffes Mensch gar nicht zustehen wür<strong>de</strong>. Jedoch an<strong>de</strong>re Menschen, die wirklich die Bezeichnung<br />

Mensch verdienen, wer<strong>de</strong>n unterdrückt und gepeinigt. Sollten diese Menschen nicht langsam<br />

gelernt haben, dass sie die eigentlich wirkliche Macht besitzen? Denn sie besitzen die Intelligenz<br />

und Menschlichkeit, die sie weit über die an<strong>de</strong>ren menschlichen Tiere hinaus hebt.<br />

Unterdrücken o<strong>de</strong>r unterdrücken lassen? Herrschen o<strong>de</strong>r beherrscht wer<strong>de</strong>n? Die Menschen sind<br />

dumm. Sie brauchen Macht und Gewalt um sich besser und stärker zu fühlen. So ist dies also ein Aufruf<br />

an alle wirklichen Menschen, hinter die wahre Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Wörter Macht und Gewalt zu<br />

blicken und zu erkennen, dass sie lächerlich sind, da die wahre Macht in <strong>de</strong>r Güte, Menschlichkeit<br />

und Intelligenz verborgen ist und Gewalt nur ein Mittel dazu ist, um diese Tatsache zu vertuschen.<br />

29


30<br />

Erinnerung<br />

Mein Kopf ist leer.<br />

Denken tut weh.<br />

Erinnerung schmerzt.<br />

Hoffnung.<br />

Ein Sonnenstrahl fällt durch das Fenster.<br />

Wird es Frühling?<br />

Meine Füße sind Eis.<br />

Mein Kopf ist leer.<br />

Denken tut weh.<br />

Erinnerung schmerzt.<br />

Grau ist <strong>de</strong>r Tag.<br />

Grau ist mein Leben.<br />

Schwarz ist Tod<br />

mich ständig umgebend.<br />

Wo ist die Farbe,<br />

das Licht meiner Heimat?<br />

Tanz und Gesang und<br />

Fröhlichkeit?<br />

Trägt nur noch die Erinnerung<br />

die schöne Zeit?<br />

Was habe ich getan,<br />

dass ich mein Leben nun ge<strong>de</strong>mütigt, und untertan<br />

fristen soll?<br />

Mein Leben war so voll, voll,<br />

erfüllt und reich,<br />

reich an Düften, an Liebe und Herzlichkeit.<br />

Wo ist nur diese Zeit?<br />

Eingeschlossen in meinem Herzen.<br />

Hier lei<strong>de</strong> ich nur Schmerzen<br />

und langsam schmelzen die Hoffnungskerzen,<br />

die <strong>de</strong>r Erinnerung manchmal noch Flügel geben.<br />

Doch grau ist <strong>de</strong>r Tag<br />

und grau ist mein Leben.<br />

Iris Koch<br />

Schülerin <strong>de</strong>s Gymnasium Carolinum Neustrelitz<br />

Oktober 2006


Die Roboter kommen (II)<br />

Caroliner als Ingenieure von Morgen bei <strong>de</strong>r FIRST Lego-League<br />

„Wir haben in Deutschland einen ausgeprägten Ingenieurmangel, einen Informatikermangel. Alle Betriebe<br />

suchen Fachkräfte. Wir müssen in <strong>de</strong>r Schule anfangen, die Kin<strong>de</strong>r für die Technik zu begeistern,<br />

und wir hoffen, dass <strong>de</strong>r eine o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re ‚dranbleibt’“.<br />

Dr. Ulrich Schmucker, Faunhofer-Institut Mag<strong>de</strong>burg, über die FIRST Lego-League<br />

Der Herausfor<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Nachwuchsgewinnung für Ingenieursberufe widmet sich die FIRST<br />

LEGO League, ein aus Amerika stammen<strong>de</strong>r Wettbewerb, seit <strong>de</strong>m Jahre 2000, und das Gymnasium<br />

Carolinum ist seit drei Jahren mit dabei.<br />

Im ersten Teil dieses Beitrages wur<strong>de</strong> ausführlich über die Einzelheiten <strong>de</strong>s Wettbewerbs und über<br />

die Entwicklung <strong>de</strong>s Spezialkurses Mikrocomputertechnik am Carolinum – von <strong>de</strong>n ersten zaghaften<br />

Schritten im Jahre 2003 bis zum Team-Sieg im Bun<strong>de</strong>sfinale 2005 – berichtet. 1<br />

Inzwischen ist mehr als ein Jahr vergangen; das ist in <strong>de</strong>r Informatik eine lange Zeitspanne, und<br />

auch im Leben einer Schule kann sich viel ereignen.<br />

Das Jahr 2006<br />

Das Jahr 2006 begann für uns Caroliner mit einem Paukenschlag. Nach acht erfolgreichen Jahren ersetzte<br />

Lego <strong>de</strong>n weit verbreiteten, technisch inzwischen aber überholten Mikrocomputer RCX und<br />

brachte ein völlig neues System auf <strong>de</strong>n Markt. 2 Der neue Mikrorechner NXT ist nicht nur <strong>de</strong>utlich<br />

schneller, son<strong>de</strong>rn er verfügt auch über neue Sensoren (Ultraschall, Mikrofon) und Motoren mit integriertem<br />

Rotationssensor. Der langsame Datenaustausch mit <strong>de</strong>m PC per Infrarot gehört nun <strong>de</strong>r<br />

Vergangenheit an, dank mo<strong>de</strong>rner USB-Anschlüsse und Bluetooth-Schnittstelle. Für die Lego-League<br />

wur<strong>de</strong>n diese neuen Mikrocomputer zwar erst ab 2007 zugelassen, wer aber zukünftig im Wettbewerb<br />

nicht chancenlos sein wollte, war gezwungen schnell auf dieses neue System umzusteigen. Eine<br />

doppelte Herausfor<strong>de</strong>rung für uns, <strong>de</strong>nn die Schülertrainer und Lehrer mussten sich 2006 parallel<br />

zum aktuellen Wettbewerb mit <strong>de</strong>m neuen Rechner vertraut machen, konnten jedoch kaum auf Erfahrungen<br />

aus <strong>de</strong>m Internet zurückgreifen, einfach, weil es sie damals noch nicht gab.<br />

Eine weitere Schwierigkeit brachte die 9. Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Schulgesetztes in Mecklenburg-Vorpommern:<br />

mit <strong>de</strong>m Schuljahr 2006/07 kehrte das Land zum Abitur nach 12 Schuljahren zurück. Für die<br />

neuen 11. Klassen sind Projektkurse nun nicht mehr vorgesehen – unser erfolgreiches Konzept<br />

„Schüler unterrichten Schüler“, das die Juroren <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>swettbewerbes 2005 so bewun<strong>de</strong>rten,<br />

schien gefähr<strong>de</strong>t. Auch die 10. Klassen bekamen einen dicht gepackten Stun<strong>de</strong>nplan; um so höher ist<br />

zu würdigen, dass sich weiterhin Schüler dieser Klassenstufe bereit fan<strong>de</strong>n, in ihrer Freizeit als Trainer<br />

mit jüngeren Schülern zu arbeiten.<br />

Zehn Schüler aus Klasse 9, vier Trainer aus Klasse 10 und Chefcoach Florian (Klasse 12) begannen<br />

als Legomannschaft im Frühjahr 2006 mit <strong>de</strong>r Ausbildung.<br />

Natürlich war es von unschätzbarem Vorteil, dass sich die Trainer, damals noch im Team <strong>de</strong>r Carosubmarines,<br />

schon einmal in einem Bun<strong>de</strong>sfinale beweisen konnten. Ihre Erfahrungen flossen von<br />

Anfang an in die Unterweisung <strong>de</strong>r jungen Mannschaft ein. Wie wird <strong>de</strong>r Roboter programmiert?<br />

Wie setzt man Sensoren sinnvoll ein? Welche Antriebe sind geeignet? Welche Schwächen hat das System?<br />

Diese Fragen stan<strong>de</strong>n im Frühjahr 2006 beim Lösen <strong>de</strong>r Grundaufgaben im Mittelpunkt <strong>de</strong>r<br />

Ausbildung.<br />

Weil die First Legoleague ein Mannschaftsmehrkampf ist, haben die Trainer von Anfang an daran<br />

gearbeitet, wie<strong>de</strong>r ein Team zu formen, in <strong>de</strong>m sich die Schüler mit <strong>de</strong>r Gemeinschaft und ihrer eige-<br />

1 Zeitschrift Carolinum Nr. 136, S. 51ff<br />

2 Der alte RCX wur<strong>de</strong> sofort zum Kultobjekt. Eine weltweite Fangemein<strong>de</strong> sorgt dafür, dass <strong>de</strong>m kleinen<br />

Mikrocomputer noch ein langes Leben beschie<strong>de</strong>n sein wird – zu Recht, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Beweis, dass das neue<br />

Legosystem Probleme lösen kann, an <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r RCX scheitern muss, steht noch aus. Am Carolinum wer<strong>de</strong>n<br />

die Baukästen weiter für die Frühför<strong>de</strong>rung in <strong>de</strong>n Naturwissenschaften in <strong>de</strong>n Carolinum Classes eingesetzt.<br />

31


Wir lösen einfache Aufgaben <strong>de</strong>r Roboterprogrammierung.<br />

„An diesem Hin<strong>de</strong>rnis scheitert mein Roboter<br />

nicht! Niemals!“ Engagiert verteidigt Kai-Uwe<br />

seinen Lösungsansatz.<br />

nen Arbeit voll i<strong>de</strong>ntifizieren, durch das Rechenschaft Ablegen vor <strong>de</strong>m Team beispielsweise, und<br />

auch durch das Schreiben für das Projekttagebuch im Internet.<br />

Im zweiten Teil <strong>de</strong>r Ausbildung durften die Schüler bei einer komplexen Wettbewerbsaufgabe<br />

früherer Jahre ihr neu erworbenes Wissen anwen<strong>de</strong>n.<br />

Die Nanotecs, wie sich das Team 2006 nannte, begannen bereits im Frühsommer mit <strong>de</strong>r Vorbereitung<br />

ihrer Forschungspräsentation, und das, obwohl die Aufgaben für <strong>de</strong>n eigentlichen Wettbewerb<br />

noch gar nicht veröffentlicht waren. Das Team <strong>de</strong>s Vorjahres verfehlte seinerzeit im Bun<strong>de</strong>sfinale mit<br />

nur einem Punkt und erst nach einem Stechen <strong>de</strong>n Sieg in dieser Kategorie. Grund genug, mit einer<br />

neuen, anspruchsvollen Forschungspräsentation wie<strong>de</strong>r anzugreifen.<br />

Nun ist die Nanotechnologie nicht gera<strong>de</strong> ein Forschungsgebiet, zu <strong>de</strong>m sich sofort I<strong>de</strong>en aufdrängen.<br />

Welche Geschichte sollten wir hier als Robotershow inszenieren?<br />

Und wie erfüllt man einen Auftrag, <strong>de</strong>n man gar nicht kennt? Der einzige Anhaltspunkt war<br />

zunächst nur die etwas kryptische Botschaft <strong>de</strong>r FIRST-Foundation (USA) an alle Mannschaften:<br />

„Hallo, Freun<strong>de</strong>! Kommt Ihr mit? Wir wollen mit Euch eine phantastische Welt erkun<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>r Unglaubliches<br />

geschieht. In dieser Welt wer<strong>de</strong>t Ihr Kleidung tragen, die niemals schmutzig wer<strong>de</strong>n kann.<br />

Dort gibt es eine Fabrik, in <strong>de</strong>r Fä<strong>de</strong>n hergestellt wer<strong>de</strong>n, kaum sichtbar, dünner als ein Haar, aber so<br />

fest, dass man ein Auto damit anheben könnte. Euer Arzt kann in dieser Welt einer Armee von Molekülen<br />

befehlen, in einem kranken Körper Krebszellen zu bekämpfen, gesun<strong>de</strong> Zellen aber nicht anzutasten…<br />

Unmöglich, sagt Ihr? Auf <strong>de</strong>r Suche nach Antworten zoomen wir mit Euch durch ein Superelektronenmikroskop<br />

aus <strong>de</strong>r Welt, die Euch umgibt, in <strong>de</strong>n aufregen<strong>de</strong>n Kosmos <strong>de</strong>r einzelnen Moleküle – in ein<br />

Universum, in <strong>de</strong>r Entfernungen in kleinsten Dimensionen gemessen wer<strong>de</strong>n – 100.000mal kleiner als<br />

die Dicke eines Haares.<br />

Nano Quest – so heißt das Thema <strong>de</strong>s Legowettbewerbs 2006, und er führt Euch ein in die Welt <strong>de</strong>r<br />

Kohlenstoff-Nanoröhrchen, <strong>de</strong>r Buckyballs, <strong>de</strong>r molekularen Motoren und Quantenpunkte – kurz: in<br />

die Nanotechnologie.“<br />

Wir lasen noch einmal Satz für Satz: „zoomen wir … durch ein Superelektronenmikroskop…“ Das<br />

war für uns ein erster Hinweis.<br />

Das Scanning Tunneling Microscope (STM)<br />

Rastertunnelmikroskopie zu betreiben lässt sich mit <strong>de</strong>r Aufgabe vergleichen, das Höhenprofil eines<br />

Gewässergrun<strong>de</strong>s auszuloten. So, wie man mit einem Boot auf <strong>de</strong>m See von Messpunkt zu Messpunkt<br />

ru<strong>de</strong>rn und mit einer langen Stange jeweils die Wassertiefe messen könnte, wird im Mikroskop<br />

eine ultrafeine Platinspitze mithilfe eines Piezokristalls zum gewählten Messpunkt bzw. hinab zur<br />

Probe bewegt. Wür<strong>de</strong> man die gewonnen Messwerte in ein Koordinatensystem eintragen und Punkte<br />

gleicher Tiefe zu Höhenlinien verbin<strong>de</strong>n, hätte man eine Profilkarte erstellt, ohne jemals <strong>de</strong>n Gewässerbo<strong>de</strong>n<br />

bzw. im Mikroskop die Oberfläche <strong>de</strong>r Probe gesehen zu haben. Im Mikroskop darf aller-<br />

32<br />

„Bringe die Schüssel mit <strong>de</strong>m Essen, und stelle sie auf<br />

<strong>de</strong>m Tisch ab“ lautete <strong>de</strong>r Auftrag aus <strong>de</strong>r Übungsmission<br />

„No Limits“.


dings die Platinspitze die Probe nicht berühren,<br />

son<strong>de</strong>rn muss „kurz vorher“ abstoppen. Dazu<br />

legt man eine elektrische Spannung zwischen<br />

Probe und Messspitze an. Erreicht die Spitze einen<br />

Abstand von nur noch 0,5 Nanometern von<br />

<strong>de</strong>r Probe, „springen“ Elektronen von <strong>de</strong>r Spitze<br />

zur Probe (Tunneleffekt), und dieser Strom<br />

ist das Signal: „Oberfläche erreicht“.<br />

Mit <strong>de</strong>m Rastertunnelmikroskop ließen sich<br />

bis dato nie gekannte Vergrößerungen erzielen,<br />

ja sogar einzelne Atome „sichtbar“ machen. Die<br />

I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s Mikroskops war so bahnbrechend, dass<br />

dafür 1985 <strong>de</strong>r Nobelpreis für Physik vergeben<br />

wur<strong>de</strong>.<br />

An <strong>de</strong>r Universität Essen wur<strong>de</strong> vor einiger<br />

Zeit im Rahmen einer Staatsexamensarbeit ein<br />

„Lego Probe Microscope“ gebaut. 3 Das ist ein Mo<strong>de</strong>ll, mit <strong>de</strong>m sich anschaulich die Funktionsweise<br />

<strong>de</strong>s Rastertunnelmikroskops <strong>de</strong>monstrieren lässt. Wenn es uns gelänge, ein solches Mo<strong>de</strong>ll selber zu<br />

bauen, zu programmieren und vorzuführen – das wäre, unabhängig wie die eigentliche Aufgabe<br />

heißen wür<strong>de</strong>, ein Knaller in unserer Forschungspräsentation.<br />

Trainer Florian sah sich im Internet das Legomo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>r Essener an: „Das können wir auch, das<br />

können wir sogar besser!“ Im Leistungskurs Informatik hatte Florian gera<strong>de</strong> gelernt, Legoroboter in<br />

<strong>de</strong>r Sprache Java zu programmieren. Nun wür<strong>de</strong> er das Geheimnis <strong>de</strong>r Infrarotkommunikation zwischen<br />

Roboter und PC erforschen, Programme zur Steuerung <strong>de</strong>s Mikroskops schreiben, und solche,<br />

die die Messwerte <strong>de</strong>s Mikroskops in ein Bild umwan<strong>de</strong>ln.<br />

Um es vorweg zu nehmen: Es entstand ein Mikroskop, das alle Erwartungen übertraf.<br />

Als Messspitze diente ein Lichtsensor, <strong>de</strong>r Tunnelstrom <strong>de</strong>r Elektronen wur<strong>de</strong> durch rotes Licht<br />

nachgebil<strong>de</strong>t, das von <strong>de</strong>r Messspitze zur Oberfläche <strong>de</strong>r Probe gestrahlt und reflektiert wur<strong>de</strong>. Mit<br />

<strong>de</strong>m Mo<strong>de</strong>ll war es nicht nur möglich, einzelne Lego-Bausteine und ihre Anordnung in verschie<strong>de</strong>nen<br />

Höhen präzise zu unterschei<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn auch aus allen Messwerten eine Profilkarte zu errechnen<br />

und am Bildschirm darzustellen.<br />

Die Roboterarmee<br />

Der zweite Hinweis für die Autoren <strong>de</strong>r zukünftigen Präsentation lautete: „Euer Arzt kann einer Molekülarmee<br />

befehlen Krebszellen zu bekämpfen, gesun<strong>de</strong> aber nicht anzutasten.“<br />

Krebsbekämpfung mittels Nanotechnologie<br />

gehört nicht mehr ins Reich <strong>de</strong>r Phantasie.<br />

Wenige Millionstel Millimeter große Teilchen<br />

mit bestimmten Materialeigenschaften lassen<br />

sich heute industriell herstellen. Nanopartikel<br />

sind nicht nur 10.000 Mal kleiner als <strong>de</strong>r Durchmesser<br />

eines Menschenhaares, sie sind auch<br />

rund tausend Mal kleiner als rote Blutkörperchen<br />

und können <strong>de</strong>shalb selbst durch feinste<br />

menschliche Blutgefäße strömen.<br />

Die Oberfläche dieser aus Eisenoxid bestehen<strong>de</strong>n<br />

Partikel kann biochemisch so raffiniert<br />

gestaltet wer<strong>de</strong>n, dass die gefräßigen Krebszellen<br />

sie als vermeintlichen Nährstoff millionen-<br />

fach in sich aufnehmen. Hat sich die gesamte<br />

Krebsgeschwulst schließlich mit Nanopartikeln<br />

„vollgefressen“, schalten die Mediziner ein neu<br />

entwickeltes Magnetfeldtherapie-System ein.<br />

Das für <strong>de</strong>n Menschen ungefährliche Magnet-<br />

Wir gestalteten für alle Zuschauer ein Poster über<br />

unser Rastertunnelmikroskop (Ausschnitt).<br />

Das funktionsfähige Legomo<strong>de</strong>ll eines Rastertunnelmikroskops.<br />

Der RCX (rechts unten im Bild) sen<strong>de</strong>t<br />

über seine Infrarotschnittstelle Messwerte an das<br />

Javaprogramm auf <strong>de</strong>m Notebook.<br />

3 http://www.exp.physik.uni-duisburg-essen.<strong>de</strong>/moeller/Projekte/LPM/einleitung_main.htm<br />

33


wechselfeld erwärmt wie in einer Mikrowelle<br />

nur die Nanopartikel – die Krebszellen bekommen<br />

gleichsam hohes Fieber und sterben ab. Für<br />

ihre Beseitigung sorgt dann <strong>de</strong>r menschliche<br />

Körper selbst. Die Nanopartikel wer<strong>de</strong>n ausgeschie<strong>de</strong>n<br />

und über <strong>de</strong>n normalen Stoffwechsel<br />

abgebaut. 4<br />

Winzige Nano-Roboter aber, die U-Booten<br />

gleich durch unsere A<strong>de</strong>rn patrouillieren und<br />

Krankheitserreger vernichten, sind heute noch<br />

Utopie. Und genau <strong>de</strong>shalb wollten wir diese Vision<br />

im Legomo<strong>de</strong>ll Wirklichkeit wer<strong>de</strong>n lassen.<br />

Chris Stefani und Denny Hiersche schrieben<br />

das Drehbuch für eine Spielszene, bei <strong>de</strong>r in einem<br />

Tagesschau-Spezial mehrere Professoren<br />

verschie<strong>de</strong>ne Möglichkeiten <strong>de</strong>r Krebstherapie<br />

diskutieren. Zum dramaturgischen Höhepunkt<br />

wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Auftritt von Andreas Pakusa als Medizin-Ingenieur:<br />

„Hier, meine Damen und Herren,<br />

sehen Sie ein Körpergewebe, das neben gesun<strong>de</strong>n<br />

Zellen (rote Kugeln) auch Krebszellen<br />

(blaue Kugeln) enthält.“<br />

Auf <strong>de</strong>r eigens angefertigten „Gewebe“-<br />

Oberfläche waren 12 Türmchen mit roten und<br />

blauen Kugeln durch die Jury zufällig angeordnet.<br />

Andreas startete drei Roboter und jetzt<br />

kam <strong>de</strong>r Clou: die „Nano-Roboter“ erhielten<br />

alle Kommandos über eine eigens aus Legoteilen<br />

gebaute und selbst programmierte Infrarotfernbedienung,<br />

d. h. sie kommunizierten aus<br />

<strong>de</strong>m Innern <strong>de</strong>s „Patienten“ heraus ständig mit<br />

<strong>de</strong>m „Arzt“. Eine programmiertechnisch sehr<br />

anspruchsvolle Aufgabe, die Florian mit Bravour<br />

bewältigte. Die Fernsteuerung leuchtete<br />

rot auf – alle Nanoroboter hatten Krebszellen<br />

ent<strong>de</strong>ckt, stoppten und mel<strong>de</strong>ten die Diagnose<br />

nach außen. „Arzt“ Andreas erteilte das Kommando:<br />

„Krebszellen vernichten!“ Gehorsam<br />

drehten sich die Stellmotoren und je<strong>de</strong>r Roboter<br />

stieß einen blauen Turm um. „Krebszellen vernichtet!“<br />

– die Fernbedienung leuchtete grün!<br />

Was für eine Schau! Wir waren uns ziemlich sicher,<br />

dass wir damit beim Wettbewerb weit vorn<br />

lan<strong>de</strong>n müssten.<br />

Die Wettbewerbsleitung veröffentlichte acht Wochen vor <strong>de</strong>m ersten Wettkampf die Aufgaben.<br />

Der Schwerpunkt <strong>de</strong>r Arbeit lag für unser Team jetzt in <strong>de</strong>r Konstruktion eines Roboters, <strong>de</strong>r in 150<br />

Sekun<strong>de</strong>n möglichst viele Aufgaben auf <strong>de</strong>m Parcours lösen konnte.<br />

Wie schon in <strong>de</strong>n Vorjahren ließ das Legoteam die Herbstferien ausfallen, ein „Opfer“, das die Nanotecs<br />

aber gern brachten. Zunächst konstruierten die Schüler für die Challenge zwei Roboter, die<br />

im Laufe <strong>de</strong>r Woche ständig weiterentwickelt wur<strong>de</strong>n. Am En<strong>de</strong> je<strong>de</strong>s Ferientages traten die Roboter<br />

gegeneinan<strong>de</strong>r an, und je<strong>de</strong>s Mal erreichten bei<strong>de</strong> Roboter höhere Punktzahlen. Die letzte Steigerung<br />

<strong>de</strong>r Leistung nannten wir „die Hochzeit“. Aus bei<strong>de</strong>n Konstruktionsansätzen entstand ein<br />

einziger Roboter, <strong>de</strong>r seinen Schöpfern so ans Herz wuchs, dass die Jungs ihm sogar <strong>de</strong>n Namen<br />

„Kätzchen“ gaben.<br />

Am 18. November 2006 hatte das Team <strong>de</strong>s Carolinums dann seine große Bewährungsprobe beim<br />

Regionalfinale.<br />

34<br />

Aus allen Daten errechnet <strong>de</strong>r Computer ein zweidimensionales<br />

Bild <strong>de</strong>r gescannten Oberfläche. Je<strong>de</strong><br />

Farbe repräsentiert eine bestimmte Höhe.<br />

„Suche Krebszellen!“ Eine Armee von kleinsten Robotern<br />

fährt durch die Blutbahnen auf <strong>de</strong>r Suche<br />

nach entarteten Zellen.<br />

4 http://www.innovations-report.<strong>de</strong>/html/berichte/materialwissenschaften/bericht-1201.html


Der Roboter fährt seinen Ausleger aus und stößt <strong>de</strong>n<br />

Turm mit <strong>de</strong>r blauen Kugel um. „Krebszelle vernichtet! –<br />

Mission erfüllt!“ Auch diese Nachricht mel<strong>de</strong>t <strong>de</strong>r Roboter<br />

über seine Infrarotschnittstelle an die Fernbedienung<br />

in <strong>de</strong>r Hand <strong>de</strong>s „Arztes“.<br />

Das Regionalfinale in Trittau<br />

Die Nanotecs als einzige Mannschaft aus Mecklenburg-Vorpommern hatten sich vorgenommen, die<br />

Ergebnisse <strong>de</strong>r letzten Jahre zu wie<strong>de</strong>rholen und wie<strong>de</strong>r min<strong>de</strong>stens einen Pokal für eine <strong>de</strong>r Wettkampfkategorien<br />

zu gewinnen.<br />

Pünktlich um 10 Uhr starteten die Juroren vom Gymnasium Trittau und <strong>de</strong>r HAW Hamburg die<br />

Vorrun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Roboterwettkampfes. Neben <strong>de</strong>n Carolinern traten acht weitere Mannschaften aus<br />

Hamburg und Schleswig-Holstein jeweils paarweise gegeneinan<strong>de</strong>r an und versuchten, sich durch<br />

eine möglichst hohe Punktzahl einen Platz im Viertelfinale zu sichern. Nur jeweils zwei Mitglie<strong>de</strong>r<br />

pro Team durften die Arena betreten und ihren Roboter an <strong>de</strong>n Start bringen; alle an<strong>de</strong>ren feuerten<br />

von <strong>de</strong>n Zuschauerrängen ihre Kämpfer an.<br />

Auf Markus und Dominic lastete die Verantwortung, unseren Roboter auf <strong>de</strong>m Parcours präzise zu<br />

platzieren und immer wie<strong>de</strong>r schnell Module auszuwechseln. Und sie machten ihre Sache gut – mit<br />

283 Punkten, <strong>de</strong>m besten Ergebnis, das in <strong>de</strong>r<br />

Vorrun<strong>de</strong> überhaupt erreicht wur<strong>de</strong>, zogen die<br />

Caroliner ins Viertelfinale ein.<br />

Ab jetzt kämpften die Teams im K.O.-System<br />

gegeneinan<strong>de</strong>r. Die an<strong>de</strong>ren Mannschaften holten<br />

auf und zogen mit ihren Ergebnissen gleich.<br />

Wir schafften es auch noch bis ins Halbfinale,<br />

hatten hier aber das Pech, auf die stärkste<br />

Mannschaft <strong>de</strong>s Tages zu treffen und damit – obwohl<br />

wir Neustrelitzer die zweitbeste Punktzahl<br />

<strong>de</strong>s Halbfinals erzielten – nicht ins Finale einzuziehen.<br />

Die Jungs ließen <strong>de</strong>n Kopf nicht hängen,<br />

<strong>de</strong>nn, obwohl <strong>de</strong>r Roboterwettkampf sicher <strong>de</strong>r<br />

spektakulärste und spannendste Teil <strong>de</strong>s Wettkampfes<br />

ist, <strong>de</strong>r Wettbewerb ist ja ein Mehr-<br />

Roboter „Kätzchen“ in Höchstform: Die Medizin<br />

(gelbe Kugel) und das Molekül (gelber Winkel) wer<strong>de</strong>n<br />

transportiert und nacheinan<strong>de</strong>r platziert. Der<br />

Arm wird abgesenkt und die Kugel fällt heraus. Danach<br />

schwenkt <strong>de</strong>r Arm soweit nach oben, dass das<br />

Molekül eine Etage tiefer fällt und beim nächsten<br />

Absenken heraus fällt. Zwei Transportaufgaben wer<strong>de</strong>n<br />

so gleichzeitig erfüllt.<br />

Mit seinen Lichtsensoren orientiert sich <strong>de</strong>r Roboter<br />

an schwarzen Linien auf <strong>de</strong>r Arbeitsfläche.<br />

kampf.<br />

Unsere ganze Aufmerksamkeit galt jetzt unserem<br />

größten Trumpf, <strong>de</strong>r Forschungspräsentation.<br />

Wir hatten die Spielszene in aller Eile umbesetzen<br />

müssen, weil ausgerechnet unser Mo<strong>de</strong>rator<br />

Kai-Uwe ausgefallen war. Die Jungs hatten<br />

daher großes Lampenfieber, und Dominic<br />

begann plötzlich auch ganz an<strong>de</strong>rs, als in <strong>de</strong>n<br />

35


Proben: „Hallo, wir sind die Nanotecs aus Neustrelitz. Ein Teammitglied, jemand, <strong>de</strong>r zu uns gehört,<br />

kann heute nicht bei uns sein. Er liegt nach einem Unfall im Krankenhaus. Wir widmen diese Forschungspräsentation<br />

<strong>de</strong>shalb unserem Freund Kai. Kai, gute Besserung, wir sind bald wie<strong>de</strong>r zusammen!“<br />

– Und in diesem Moment spürte ich als Betreuer: die Arbeit hat sich gelohnt. Die Jungs sind<br />

ein Team gewor<strong>de</strong>n, die gehen zusammen durch dick und dünn – und ab jetzt ist ihnen alles zuzutrauen.<br />

Die Forschungspräsentation wur<strong>de</strong> ein Riesenerfolg. Mit unserer Fernsehnachrichtensendung mit<br />

<strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>llhaften Bekämpfung von Krebszellen, vorgeführt durch infrarotgesteuerte Legoroboter,<br />

rissen wir die Jury buchstäblich von <strong>de</strong>n Sitzen. Die I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r Präsentation und <strong>de</strong>ren Umsetzung hat<br />

die Jury so beeindruckt, dass sie uns nach <strong>de</strong>r Vorstellung das Prüfungskolloquium zum Forschungsauftrag<br />

erließ.<br />

Während <strong>de</strong>s gesamten Wettkampftages beobachteten mehrere Juroren die Schüler beim Wettstreit<br />

gegeneinan<strong>de</strong>r, ihr Auftreten, ihren Zusammenhalt als Mannschaft, ihren Willen zum Sieg, aber<br />

auch ihre Hilfsbereitschaft an<strong>de</strong>ren Mannschaften gegenüber. Mit unbändigem Spaß am Wettkampf,<br />

mit Schlachtrufen und Laolawellen sorgten die Neustrelitzer für Stimmung im Forum <strong>de</strong>s Trittauer<br />

Gymnasiums. Dass sie damit auch wertvolle Punkte in <strong>de</strong>n Kategorien „Teamwork“ und „Beste<br />

Wettkampfausdauer“ sammelten, nahmen sie<br />

dabei nur am Ran<strong>de</strong> wahr. Schon in <strong>de</strong>n Pausen<br />

zwischen <strong>de</strong>n einzelnen Rennen schmie<strong>de</strong>ten sie<br />

erste Pläne für das nächste Jahr und nahmen<br />

sich vor, als Trainer <strong>de</strong>n Fachbereich Informatik<br />

zu unterstützen und ihre Erfahrungen an die<br />

nächste Generation <strong>de</strong>r Caroliner weiter zu geben.<br />

Damit bewiesen die Nanotecs dann endgültig,<br />

dass sie würdige Nachfolger <strong>de</strong>r Carosubmarines<br />

gewor<strong>de</strong>n sind.<br />

Die Siegerehrung brachte für die Caroliner<br />

<strong>de</strong>n verdienten Lohn für die Arbeit <strong>de</strong>r letzten<br />

Monate. Die Neustrelitzer gewannen <strong>de</strong>n Regionalwettbewerb<br />

nicht nur in <strong>de</strong>r Sparte „Beste<br />

Forschungspräsentation“, son<strong>de</strong>rn auch noch in<br />

<strong>de</strong>n Kategorien „Beste Wettkampfausdauer“<br />

und „Bestes Teamwork“.<br />

Für das Bun<strong>de</strong>sfinale in Mag<strong>de</strong>burg gab die<br />

Jury <strong>de</strong>r Mannschaft „Mindbreakers“ aus Bad<br />

Ol<strong>de</strong>sloe <strong>de</strong>n Zuschlag. Die Schleswig-Holsteiner<br />

siegten in <strong>de</strong>r Kategorie „Roboterwettkampf“<br />

und wür<strong>de</strong>n nun im Dezember die Län-<br />

Regionalfinale Trittau: David und Dominic verteidi<strong>de</strong>r<br />

Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklengen<br />

vor <strong>de</strong>r Jury <strong>de</strong>n Konstruktionsansatz <strong>de</strong>s Roboburg-Vorpommern beim Bun<strong>de</strong>sfinale vertreten.<br />

ters, <strong>de</strong>n Aufbau, die technischen Möglichkeiten und So je<strong>de</strong>nfalls sah es aus, als wir, glücklich über<br />

das Programm, das <strong>de</strong>n Roboter steuert.<br />

<strong>de</strong>n Erfolg, und etwas enttäuscht, dass das<br />

Abenteuer Legoroboter nun zu En<strong>de</strong> sein sollte,<br />

nach Hause fuhren.<br />

Unsere Ahnung, dass <strong>de</strong>r Jury in Trittau bei <strong>de</strong>r Nominierung ein Fehler unterlaufen war, sollte<br />

sich bestätigen. Die zentrale Wettbewerbsjury Deutschland korrigierte das Ergebnis und nominierte<br />

die Nanotecs ebenfalls für das Bun<strong>de</strong>sfinale im Dezember 2006; im Regionalfinale Nord wur<strong>de</strong>n also<br />

diesmal zwei Sieger gekürt.<br />

Das Bun<strong>de</strong>sfinale in Mag<strong>de</strong>burg/Barleben<br />

234 Teams aus Deutschland, 29 Teams aus Österreich, 44 Teams aus <strong>de</strong>r Schweiz, 11 Teams aus<br />

Tschechien, 21 Teams aus Ungarn, ein polnisch-<strong>de</strong>utsches Team und ein Team amerikanischer<br />

Schüler von <strong>de</strong>r Botschaftsschule Budapest waren in <strong>de</strong>n Regionalwettbewerben angetreten. Nur 30<br />

Mannschaften schafften <strong>de</strong>n Sprung ins Bun<strong>de</strong>sfinale 2006 – und das Gymnasium Carolinum aus<br />

Neustrelitz war, wie schon im Vorjahr, wie<strong>de</strong>r mit dabei.<br />

Konnten die Nanotecs ihre Begeisterung, ihren Spaß am Wettkampf, <strong>de</strong>n sie im Regionalfinale so<br />

eindrucksvoll <strong>de</strong>monstrierten, noch steigern? Sie konnten. Allein die Atmosphäre in <strong>de</strong>r großen<br />

Mittellandhalle Barleben mit <strong>de</strong>n riesigen Projektionswän<strong>de</strong>n, auf die die Rennen <strong>de</strong>r Roboter<br />

36


Bun<strong>de</strong>sfinale Barleben: Mit Schlachtruf, Laola und – wie hier – mit Polonäse ziehen die Caroliner in <strong>de</strong>n<br />

Wettkampf. Sie haben schon längst die Aufmerksamkeit <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Mannschaften und aller Juroren auf<br />

sich gezogen.<br />

übertragen wur<strong>de</strong>n, die mehr als 300 aufgeregten Wettkämpfer in zwei Fahrerlagern, Mo<strong>de</strong>rator<br />

Ken Jebsen von Radio Fritz und nicht zuletzt die Nanotecs selbst sorgten für eine phantastische<br />

Stimmung. „Nano – Tecs! What?? Nano – TECS!!!“ So erscholl <strong>de</strong>r Schlachtruf <strong>de</strong>r Caroliner durch<br />

die Halle, und nicht wenige Mannschaften zogen nach und übten in aller Eile einen eigenen Kampfschrei<br />

ein.<br />

Mit Polonäse zogen die Nanotecs zum Wettkampf, mit Schunkeln verfolgten sie die Fahrt ihres<br />

Roboters, und singend verließen sie die Arena, wenn die Wettkampfrun<strong>de</strong> been<strong>de</strong>t war.<br />

Als man die Mannschaft zur Forschungspräsentation rief, kannten uns schon alle Juroren. Deren<br />

österreichischer Vertreter begrüßte uns Betreuer: „Ah, da kommen die Jungs, wo die Lehrer bloß<br />

noch als Kraftfahrer mitfahren brauchen – ich beglückwünsche Sie zu so einer Mannschaft, ein tolles<br />

Team haben Sie da an <strong>de</strong>n Start gebracht.“<br />

Die Ergebnisse spiegelten wi<strong>de</strong>r, was die Nanotecs an diesem Tag geleistet hatten: Der Sieg in <strong>de</strong>r<br />

Kategorie Teamwork ging diesmal an eine „virtuelle“ <strong>de</strong>utsch-polnische Mannschaft, <strong>de</strong>ren Schüler<br />

sich nur über das Internet kannten, und die sich hier zu einem Team zusammen fan<strong>de</strong>n. Das konnten<br />

wir natürlich nicht toppen, aber dann kamen schon wir. Mit 49/50 Punkten belegten die Nanotecs<br />

Platz 2 im Bun<strong>de</strong>sfinale in <strong>de</strong>r Kategorie Teamwork.<br />

Die Vorführung <strong>de</strong>r Forschungspräsentation erfolgte in vier Staffeln. An<strong>de</strong>rs als 2005 gab es diesmal<br />

aber kein Stechen, so dass die vier Jurys <strong>de</strong>n Sieg ohne direkten Vergleich <strong>de</strong>r Staffelsieger vergaben.<br />

„Es gab große Diskussionen“ versicherte<br />

uns unser österreichischer Jury-Freund, „aber<br />

wir konnten nur einen Sieger küren.“ Das war in<br />

diesem Falle eine Mannschaft aus <strong>de</strong>r Schweiz.<br />

Und dann kamen schon wie<strong>de</strong>r wir. Mit 49/50<br />

Punkten belegten die Nanotecs Platz 2 auch in<br />

<strong>de</strong>r Kategorie Forschungspräsentation.<br />

Zwei zweite Plätze im Bun<strong>de</strong>sfinale – ein tolles<br />

Ergebnis. Und es kam noch besser: die Nanotecs<br />

wur<strong>de</strong>n für ihre Forschungspräsentation<br />

und das Rastertunnelmikroskop mit <strong>de</strong>m Creativity-Award<br />

<strong>de</strong>r Firma Lego belohnt.<br />

„Mit <strong>de</strong>m Creativity-Award wird das Team ausgezeichnet,<br />

welches außergewöhnliche Kreativität<br />

und Fantasie in <strong>de</strong>r Umsetzung <strong>de</strong>s Roboters be-<br />

wiesen hat. Die Gestaltung <strong>de</strong>s Roboters ist einzigartig<br />

und kann die Wettbewerbsaufgaben mit<br />

einer herausragend kreativen Lösung erfolgreich<br />

bewältigen. Der Roboter zieht die Aufmerksamkeit<br />

<strong>de</strong>r Schiedsrichter, Juroren und <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren<br />

Bun<strong>de</strong>sfinale Barleben: Markus, David und Dominic<br />

im Disput mit Jurymitglied Professor Ossendörp.<br />

Dieser Teil <strong>de</strong>s Wettbewerbs gehört zur Kategorie<br />

Roboter<strong>de</strong>sign.<br />

37


Die 30 Mannschaften wer<strong>de</strong>n für die Forschungspräsentation<br />

in vier Staffeln eingeteilt. Wir gewinnen<br />

unsere Staffel, obwohl wir als letztes Team an <strong>de</strong>n<br />

Start gehen. Lei<strong>de</strong>r gibt es kein Stechen <strong>de</strong>r Staffelsieger,<br />

wie im letzten Jahr. So wissen wir nicht, warum<br />

wir es wie<strong>de</strong>r „nur“ auf Platz 2 (49/50 Punkte)<br />

geschafft haben.<br />

Teams auf sich. Er weckt das Interesse für Robotik<br />

und <strong>de</strong>ren unbegrenzte Möglichkeiten.“ (Aus<br />

<strong>de</strong>n Preisrichtlinien)<br />

Die Jungs jubelten über ihren hervorragen<strong>de</strong>n<br />

7. Platz in <strong>de</strong>r Gesamtwertung, und ihr Begeisterungssturm<br />

wur<strong>de</strong> zum Orkan, als ihr Teamname<br />

ein weiteres Mal an <strong>de</strong>r Anzeigetafel aufflammte:<br />

Die Nanotecs waren mit ihrem ausgezeichneten<br />

Ergebnis für die Open European<br />

Championship 2007 in Bodø in Norwegen qualifiziert.<br />

Nanotecs international<br />

Wir wollten es wissen und hatten beim Bun<strong>de</strong>sfinale die Antwort bekommen: die Nanotecs sind internationale<br />

Klasse. Ab jetzt betraten wir Neuland. Wie bereitet man die Mannschaft auf einen Start<br />

bei einer Europameisterschaft vor? Diese Frage beschäftigte uns am meisten. Die Trainer Valentin,<br />

André, Alex und Tobias teilten die Schüler in Gruppen, um die vielen Aufgaben zu bewältigen, die<br />

wir, kaum wie<strong>de</strong>r in Neustrelitz angelangt, herausgearbeitet hatten:<br />

• Weiterentwicklung unseres bewährten Roboters, um die letzte Teilaufgabe <strong>de</strong>s Robotgame auch<br />

noch zu bearbeiten,<br />

• Verbesserung <strong>de</strong>r Präsentation <strong>de</strong>r Ingenieursleitung, um in <strong>de</strong>r Kategorie Roboter<strong>de</strong>sign mehr zu<br />

punkten,<br />

• Entwicklung eines zweiten Roboters mit Rä<strong>de</strong>rantrieb zum Test <strong>de</strong>r Strategie <strong>de</strong>s Mag<strong>de</strong>burger<br />

Siegerteams,<br />

• Übertragung <strong>de</strong>r Forschungspräsentation und <strong>de</strong>s Posters ins Englische,<br />

• Test <strong>de</strong>r nächsten Robo-Generation, einschließlich Prüfen von Erfahrungen an<strong>de</strong>rer NXT-Freaks<br />

(Internet) zur Vorbereitung <strong>de</strong>s nächsten Legokurses.<br />

Nach <strong>de</strong>n Winterferien hatten die Jungs es tatsächlich geschafft: An <strong>de</strong>r Roboterchallenge war<br />

nichts mehr zu verbessern. Markus wür<strong>de</strong> in Bodø nur noch einmal die Fahrzeiten <strong>de</strong>s Roboters an<br />

<strong>de</strong>n aktuellen Akkula<strong>de</strong>stand anpassen. Wir erfüllten jetzt alle Teilaufgaben, konnten mit unserer<br />

Strategie 384 von 400 Punkten erreichen, das sollte uns auch international weit nach vorn bringen.<br />

Die Organisatoren <strong>de</strong>r Europameisterschaft veröffentlichten eine Internetseite, auf <strong>de</strong>r wir <strong>de</strong>n aktuellen<br />

Stand <strong>de</strong>r Vorbereitung <strong>de</strong>r EM verfolgen konnten. Wir machten einen virtuellen Rundgang<br />

38<br />

Bun<strong>de</strong>sfinale Barleben: Im Interview mit Mo<strong>de</strong>rator<br />

Ken Jebsen (Radio Fritz) sind Andreas und Tobias<br />

keineswegs auf <strong>de</strong>n Mund gefallen.<br />

Die Gewinner <strong>de</strong>s Lego Creativity-Awards 2006 –<br />

die Nanotecs vom Gymnasium Carolinum Neustrelitz.


Die schwerste Teilaufgabe hatten wir im Bun<strong>de</strong>sfinale<br />

noch ausgelassen. Der Roboter muss ein o<strong>de</strong>r mehrere<br />

Atome (weiße Steine) von <strong>de</strong>r blauen Oberfläche räumen,<br />

ohne dass ein roter Stein herunterfällt.<br />

durch die Wettkampfhalle, freuten uns über<br />

die täglich länger wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Liste <strong>de</strong>r Mannschaften,<br />

die für die EM qualifiziert waren.<br />

Ganz Europa wür<strong>de</strong> vertreten sein, aber<br />

auch aus China, Japan, Jordanien, Kanada,<br />

Korea, Mexico, Peru, Saudiarabien, Singapur,<br />

Südafrika, Taiwan und <strong>de</strong>n USA wur<strong>de</strong>n<br />

Schülerteams erwartet.<br />

Aus Bodø erreichten uns konkrete Arbeitsaufträge:<br />

„Präsentiert Euch mit einer eigenen<br />

Website bei uns, gestaltet Euer ‚Fahrerlager’<br />

mit Postern.“ 14 Einzelpreise wur<strong>de</strong>n<br />

ausgelobt, vom Sieg in <strong>de</strong>n Einzelkategorien<br />

über mehrere Son<strong>de</strong>rpreise bis hin zum<br />

„Team-Spirit-Award“ für die Mannschaft,<br />

die zum Publikumsliebling wird, die meiste<br />

Stimmung macht, am meisten auffällt. Ein<br />

Preis, wie für uns geschaffen! T-Shirts und<br />

einen tollen Schlachtruf hatten wir ja schon,<br />

und das mit <strong>de</strong>r Stimmung, das wür<strong>de</strong>n wir<br />

schon hinkriegen. Was brauchten wir noch? Valentin nahm die Angebote <strong>de</strong>r Fanartikelindustrie unter<br />

die Lupe. Deutschlandfahnen? Schwarz-rot-gol<strong>de</strong>ne Pu<strong>de</strong>lmützen? Schals? Cowboy-Hüte? Luftballons?<br />

Boas? Tattoos? Na, die Jurys sollten sich noch wun<strong>de</strong>rn!<br />

Die größten Probleme bei <strong>de</strong>r Vorbereitung lagen jedoch ganz woan<strong>de</strong>rs. Wir mussten uns darauf<br />

einstellen, nicht nur die Forschungspräsentation in englischer Sprache zu spielen; auch alle Prüfungsgespräche,<br />

die Verteidigung <strong>de</strong>s Konstruktionsansatzes vor <strong>de</strong>n Professoren und selbst das „Stimmung<br />

machen“ sollten englisch erfolgen. Schwerpunkte <strong>de</strong>r Arbeit <strong>de</strong>r kommen<strong>de</strong>n Wochen waren<br />

neben <strong>de</strong>m Training <strong>de</strong>r Präsentation Sprachübungen <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>ren Art: wir nahmen uns vor, im<br />

Legoraum nur noch englisch zu re<strong>de</strong>n.<br />

Uns blieben noch knapp 80 Tage bis zum Meisterschaftsstart, aber so erfolgreich, wie wir bisher<br />

alle Probleme gelöst hatten, wür<strong>de</strong>n wir auch die letzten Aufgaben meistern – dachten wir.<br />

Das Aus<br />

Im Januar hatte es sich ange<strong>de</strong>utet, im Februar verstärkte sich <strong>de</strong>r Verdacht, und am Tag <strong>de</strong>s Anmel<strong>de</strong>schlusses<br />

war es Gewissheit: wir wür<strong>de</strong>n nach Bodø fliegen können, aber nur dann, wenn von <strong>de</strong>n<br />

dreizehn Nanotecs sechs auf ihre Teilnahme verzichten. Durch die finanziellen Umstän<strong>de</strong> sah sich<br />

unser Team vor die Wahl gestellt, dieses Angebot anzunehmen o<strong>de</strong>r die Mission Nanoquest an dieser<br />

Stelle abzubrechen.<br />

Die Schüler hatten in <strong>de</strong>n letzten drei Monaten ausschließlich für <strong>de</strong>n Start in Bodø gearbeitet. Die<br />

Europameisterschaft wäre die Gelegenheit, die Leistungsfähigkeit <strong>de</strong>s Carolinums auf <strong>de</strong>m Gebiet<br />

<strong>de</strong>r Naturwissenschaften international zu präsentieren, verdienter Lohn für hervorragen<strong>de</strong> Leistungen<br />

im Regionalwettbewerb und im Bun<strong>de</strong>sfinale, Möglichkeit Erfahrungen für zukünftige Wettkämpfe<br />

zu sammeln. Und nicht zuletzt wür<strong>de</strong> es ein unvergessliches Erlebnis wer<strong>de</strong>n, auf Mannschaften<br />

aus <strong>de</strong>r halben Welt zu treffen. Ein unvergessliches Erlebnis – aber eben nicht für alle.<br />

Valentin, einer <strong>de</strong>r Trainer, fasste die Entscheidung <strong>de</strong>r Schüler zusammen: „Wir stehen als Nanotecs<br />

heute da, wo wir sind, weil wir eine Gemeinschaft wur<strong>de</strong>n. Wir haben hier im Legokurs gelernt, dass<br />

in <strong>de</strong>r Forschung gute Teams gesucht sind, nicht viele Einzelkämpfer. Aus genau diesem Grund ist<br />

Teamwork eine eigene Wettbewerbskategorie in <strong>de</strong>r FIRST Lego-League; und das Carolinum hatte, mit<br />

<strong>de</strong>n Carosubmarines im letzten Jahr und mit <strong>de</strong>n Nanotecs heute, gera<strong>de</strong> in dieser Kategorie seine größten<br />

Erfolge – weil wir das verstan<strong>de</strong>n haben. Wir lassen keinen von uns zurück, und wenn das nicht<br />

geht, verzichten wir.“<br />

Was bleibt<br />

Für unsere Ehemaligen, die einst als Gymnasiasten ihre jüngeren Mitschüler ausbil<strong>de</strong>ten, hat sich die<br />

Arbeit inzwischen mehrfach ausgezahlt. Sowohl Stefan Rathmann (Coach 2004), als auch Michael<br />

Pust (Coach 2005), konnten in ihren Bewerbungsgesprächen auf eine erfolgreiche Trainertätigkeit<br />

verweisen. Die Personalchefs ließen sich <strong>de</strong>tailliert über das Konzept „Schüler unterrichten Schüler“<br />

39


und das Abenteuer Legoroboter unterrichten. Bei bei<strong>de</strong>n Mannschaftsleitern waren die Erfahrungen<br />

in <strong>de</strong>r Leitung eines Schülerteams entschei<strong>de</strong>nd beim Zuschlag für <strong>de</strong>n Ausbildungs- und Studiengang:<br />

für Stefan bei Bosch, für Michael bei Motorola.<br />

Florian Bin<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r als fähiger Programmierer großen Anteil an <strong>de</strong>n Erfolgen <strong>de</strong>r Nanotecs hatte,<br />

wird nach <strong>de</strong>m Abitur 2007 ein Informatikstudium beginnen.<br />

Und die eigentlichen Hel<strong>de</strong>n unserer Geschichte, die ehemaligen Nanotecs, wie sehen sie rückblickend<br />

das Abenteuer Legoroboter?<br />

„Aus einer bunt zusammengewürfelten Truppe wur<strong>de</strong> ein eingeschworenes Team, das erfolgreichste Legoteam<br />

<strong>de</strong>s Carolinums aller Zeiten.“ (Markus)<br />

„Diesmal als Trainer – das war vollkommen neu für mich! Ich wür<strong>de</strong> allen empfehlen, einmal die Erfahrung<br />

zu machen, jeman<strong>de</strong>n zu unterrichten!“ (Alexan<strong>de</strong>r)<br />

„Ich bin sehr stolz, mein zweites Legojahr bei diesem Projekt als Trainer verbracht zu haben. Und ein<br />

Team, ja ein TEAM ist entstan<strong>de</strong>n – noch erfolgreicher, als die Carosubmarines!“ (Tobias)<br />

„Wir sind eine wirkliche Gemeinschaft gewor<strong>de</strong>n, die viel gelernt hat – nicht nur über Roboterprogrammierung.“<br />

(Dominic)<br />

„Die Nanotecs – wie<strong>de</strong>r eine tolle Truppe, in <strong>de</strong>r keines unserer Mitglie<strong>de</strong>r fehlen durfte.“ (Valentin)<br />

„Mir persönlich hat das Konstruieren und Programmieren, das Suchen nach <strong>de</strong>r effizientesten Lösung,<br />

am meisten Spaß gemacht. Die Euphorie <strong>de</strong>s Sieges, die Enttäuschung nach einem Misserfolg – unsere<br />

Wettbewerbe waren Highlights.“ (Richard)<br />

„Es ist erstaunlich, wie wildfrem<strong>de</strong> Menschen durch gemeinsame Arbeit zu so einem gutem Team zusammenwachsen<br />

können. In diesem Sinne möchte ich allen Mitstreitern meinen Respekt zollen.“<br />

(Andreas)<br />

„Nanoquest, das war nicht nur Arbeit, son<strong>de</strong>rn auch Freu<strong>de</strong> und Streben nach <strong>de</strong>m Sieg. Nun, da es vorbei<br />

ist, stimmt es mich traurig, bald nicht mehr mit <strong>de</strong>n Jungs zusammen an kniffligen Aufgaben zu arbeiten<br />

und mich mit ihnen über Erfolge zu freuen.“ (Kai-Uwe)<br />

Die Nanotecs sind das bisher erfolgreichste Legoteam <strong>de</strong>s Carolinums. (Stehend v. l.): Markus Turowski,<br />

Alexan<strong>de</strong>r Klein, Denny Hiersche, Kai-Uwe Hey<strong>de</strong>n, Andreas Pakusa, Tobias Feldten, Florian Bin<strong>de</strong>r.<br />

(Sitzend): Valentin Lunkenheimer, David Nowitzke, Richard Paweljak, Dominic Sann, André Behrndt,<br />

Chris Stefani.<br />

40


„Eine gute Zeit geht vorbei – lei<strong>de</strong>r! Wir haben als größte Erfahrung selbst erlebt, was es be<strong>de</strong>uten kann,<br />

in einem guten Team zusammen zu arbeiten. Es hat einfach viel Spaß gemacht, und ich wür<strong>de</strong> je<strong>de</strong>rzeit<br />

wie<strong>de</strong>r dabei sein wollen.“ (David)<br />

„Die Stimmung bei uns, ob beim Training o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Wettkämpfen, war einfach super! Wir hatten viel<br />

Spaß in diesem Jahr und ich wünschte, es wür<strong>de</strong> sich noch einmal wie<strong>de</strong>rholen.“ (Chris)<br />

Mehr kann man sich als Lehrer wohl nicht wünschen.<br />

Andreas Löskow<br />

Projektleiter<br />

41


Dem Minister über die Schulter geschaut<br />

Die Redaktion versprach in <strong>de</strong>r letzten Ausgabe, mehr vom neuen Minister Henry Tesch zu berichten.<br />

Da wir im Pressespiegel das Interview aus <strong>de</strong>m Nordkurier veröffentlichen, haben wir uns an das<br />

Ministerbüro gewandt und um Fotos gebeten, die verschie<strong>de</strong>ne Eindrücke <strong>de</strong>r bisherigen Zeit aufzeigen.<br />

Viele stellen sich sicher immer wie<strong>de</strong>r die Frage, wie ein Arbeitstag eines Ministers aussieht. Wir<br />

wollen Ihnen einen kleinen Eindruck vermitteln, wie Henry Tesch Mecklenburg-Vorpommern neben<br />

<strong>de</strong>r Erledigung <strong>de</strong>r Tagesgeschäfte repräsentiert.<br />

Wir möchten uns recht herzlich bei <strong>de</strong>n Mitarbeitern <strong>de</strong>s Ministerbüros für die Unterstützung, die<br />

es uns auf unsere Anfrage, Ausschnitte aus <strong>de</strong>m Arbeitstag unseres Schulleiters in unserem Heft zu<br />

zeigen, gegeben hat.<br />

Symbolische Schlüsselübergabe zum ersten Arbeitstag am 7. November<br />

2006 durch die Mitarbeiter <strong>de</strong>s Hauses<br />

Das neue Team: Büroleiter Ulf Tielking, Staatssekretär Udo Michallik,<br />

Henry Tesch, persönliche Referentin Eike Benzin im November<br />

2006<br />

42<br />

Eine <strong>de</strong>r ersten wichtigen Amtshandlungen<br />

– Der Staatsvertrag <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s<br />

Mecklenburg-Vorpommern mit<br />

<strong>de</strong>m Lan<strong>de</strong>sverband <strong>de</strong>r Jüdischen<br />

Gemein<strong>de</strong> in Mecklenburg-Vorpommern,<br />

<strong>de</strong>r seit 1<strong>99</strong>6 besteht, ist um einen<br />

Stufenplan über die jährlichen<br />

Zuwendungen <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s ergänzt<br />

wor<strong>de</strong>n.<br />

Eine entsprechen<strong>de</strong> Erklärung haben<br />

Henry Tesch, Lan<strong>de</strong>srabbiner Dr. h.c.<br />

William Wolff und <strong>de</strong>r Vorstand <strong>de</strong>r<br />

Jüdischen Gemein<strong>de</strong>n in Mecklenburg-Vorpommern<br />

unterzeichnet. Danach<br />

erhält <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>sverband vom<br />

Land zur Unterstützung seiner religiösen<br />

und seiner Verwaltungsaufgaben<br />

jährliche Staatsleistungen, die<br />

alle fünf Jahre durch bei<strong>de</strong> Partner<br />

gemeinsam überprüft wer<strong>de</strong>n.<br />

(v. l.) Erste Reihe: Igor Jesernitzki,<br />

Lan<strong>de</strong>svorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Jüdischen<br />

Gemein<strong>de</strong>; Dr. h.c. William Wolff,<br />

Lan<strong>de</strong>srabbiner; Henry Tesch, Minister<br />

für Bildung, Wissenschaft und<br />

Kultur. Zweite Reihe: Valeriy Bunimov,<br />

Stellvertreten<strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>svorsitzen<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>r Jüdischen Gemein<strong>de</strong>; Ulrich<br />

Hojczyk, Kirchenreferent im Bildungsministerium


Der Generalkonsul <strong>de</strong>r Vereinigten Staaten von<br />

Amerika in Hamburg, Duane Butcher, bei seinem<br />

Antrittsbesuch im Ministerium. Hier wird eine bereits<br />

bestehen<strong>de</strong> Tradition <strong>de</strong>r Zusammenarbeit<br />

fortgesetzt.<br />

Zu Gast in Brüssel – Bei einem Treffen von Kultusminster<br />

Henry Tesch mit EU-Parlamentspräsi<strong>de</strong>nt<br />

Hans-Gert Pöttering am 28. März 2007 in Brüssel<br />

informierte Minister Tesch <strong>de</strong>n EU-Politiker über<br />

europapolitische Akzente, die Mecklenburg-Vorpommern<br />

in Bildung und Wissenschaft setzt und<br />

setzen will.<br />

International geht es weiter: Mit <strong>de</strong>r französischen<br />

Partnerregion Poitou Charentes wur<strong>de</strong> eine Vereinbarung<br />

über Schüleraustausch, Lehreraustausch sowie<br />

weitere Möglichkeiten <strong>de</strong>r Kooperation unterzeichnet.<br />

Hier Henry Tesch mit <strong>de</strong>m recteur <strong>de</strong><br />

l’ aca<strong>de</strong>mie <strong>de</strong> Potiers, Herrn Fre<strong>de</strong>ric Ca<strong>de</strong>t.<br />

Der Antrittsbesuch <strong>de</strong>s Rektors <strong>de</strong>r Universität Rostock,<br />

Prof. Dr. Thomas Strothotte, in <strong>de</strong>r Bildmitte<br />

Staatssekretär Udo Michallik. Nach nur drei Verhandlungsrun<strong>de</strong>n<br />

in zwei Monaten ist das Mediationsverfahren<br />

über die Zielvorgabe vom 3. Mai 2006<br />

für die Universität Rostock abgeschlossen. Bildungsminister<br />

Henry Tesch und <strong>de</strong>r Rektor <strong>de</strong>r Universität<br />

Rostock, Prof. Dr. Thomas Strothotte, gehen<br />

davon aus, dass damit die Universität und das<br />

Land nunmehr gemeinsam die großen Herausfor<strong>de</strong>rungen<br />

<strong>de</strong>r künftigen Hochschulentwicklung angehen<br />

können.Dieser Vergleich stellt für bei<strong>de</strong> Seiten<br />

einen tragfähigen Kompromiss dar, <strong>de</strong>r sowohl <strong>de</strong>n<br />

Interessen <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s als auch <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Universität<br />

Rechnung trägt.<br />

Nach 100 Tagen Amtszeit konnte das Mediationsverfahren<br />

mit <strong>de</strong>r Universität abgeschlossen wer<strong>de</strong>n,<br />

damit waren bei<strong>de</strong> Seiten wie<strong>de</strong>r voll arbeitsfähig.<br />

Ein hohes Ziel, das sich Minister Tesch gesteckt und<br />

erreicht hat.<br />

43


Kranznie<strong>de</strong>rlegung zum Ge<strong>de</strong>nken an die Opfer <strong>de</strong>s Holocaust in <strong>de</strong>r internationalen Ge<strong>de</strong>nkstätte Yad<br />

Vashem in Israel – Ziel dieser Reise war die Unterzeichnung eines Patenschaftsvertrages zwischen <strong>de</strong>r International<br />

School für Holocaust Studien in Yad Vashem und <strong>de</strong>m Land Mecklenburg – Vorpommern. Bei<strong>de</strong><br />

Seiten beabsichtigen, die gemeinsame Fortbildung für Pädagoginnen und Pädagogen sowie für Multiplikatorinnen<br />

und Multiplikatoren <strong>de</strong>r außerschulischen Bildung zu intensivieren und auf eine soli<strong>de</strong> Grundlage<br />

zu stellen. Vorgesehen sind Fortbildungsmaßnahmen sowohl in <strong>de</strong>r Internationalen Schule für Holocaust-Studien<br />

Yad Vashem/Israel als auch in Mecklenburg-Vorpommern in jährlichem Turnus.<br />

44<br />

Und ganz nebenbei zum Abschluss: Erwischt...<br />

bei <strong>de</strong>r Arbeit im Zug vom Büroleiter<br />

Ulf Tielking. Man beachte das Symbol<br />

an <strong>de</strong>r Fensteroberseite...


Von <strong>de</strong>r Schulbank an die Geschütze<br />

(Ein Kapitel Schulgeschichte)<br />

Einige Tage nach Ostern 1938 betrat ich als Sextaner das Carolinum – Oberschule für Jungen und<br />

Gymnasium in Neustrelitz. Mit mir eingeschult wur<strong>de</strong>n meine noch heutigen Freun<strong>de</strong> Theo Kophal<br />

und Wolfgang Strohkirch sowie an<strong>de</strong>re Knaben.<br />

Klasse 1g 1938/39.<br />

Eigentlich nichts Beson<strong>de</strong>res für Knaben dieses Alters, <strong>de</strong>nn damals ahnte keiner von uns, welchen<br />

schicksalhaften Weg wir noch gemeinsam gehen sollten. Dank <strong>de</strong>s guten Verhältnisses untereinan<strong>de</strong>r,<br />

wozu beson<strong>de</strong>rs die obligatorischen Wan<strong>de</strong>rtage um <strong>de</strong>n Zierker See, nach Serrahn und Hohenzieritz<br />

beitrugen, wuchsen wir schnell zu einer Klassengemeinschaft zusammen.<br />

So verlebten wir anfangs eine recht unbeschwerte Schulzeit. Selbst <strong>de</strong>r „Hel<strong>de</strong>ntod“ unseres verehrten<br />

Klassenleiters, Studienassessor Koß, im Polenfeldzug 1939 überschattete nicht die Siegesmeldungen<br />

<strong>de</strong>r Wehrmachtsberichte. Auf Landkarten dokumentierten wir die erfolgreichen Feldzüge<br />

unserer Heere, in<strong>de</strong>m wir mit Steckna<strong>de</strong>ln die Blitzsiege in <strong>de</strong>n „Fein<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn“ markierten. Mit<br />

Begeisterung spielten wir Luftkämpfe aus Zeitungen nach und versenken Schiffe in <strong>de</strong>n Karos <strong>de</strong>r<br />

Rechenhefte.<br />

Selbst als unser Direktor „Mucki“ Piehler in Offiziersuniform zur wöchentlichen Morgenandacht<br />

erschien, passte das genau in unser Weltbild. Eine Fabel, die „Daladier“ Heyse sich für seine Wochenansprache<br />

ausgewählt hatte, ist mir in Erinnerung geblieben: „Wie viel Er<strong>de</strong> braucht <strong>de</strong>r<br />

Mensch?“. Die Geschichte, dass ein Besitzer einem Menschen soviel Land schenken will, wie er von<br />

Sonnenaufgang bis -untergang umwan<strong>de</strong>rn kann, <strong>de</strong>r aber das Ziel nicht erreicht, weil er vorher erschöpft<br />

zusammenbricht und stirbt. Als Soldat ist mir erst die Erkenntnis gekommen, wie wenig Er<strong>de</strong><br />

ein Landser braucht, <strong>de</strong>r sich irreführen ließ, von <strong>de</strong>nen, die nicht genug „Lebensraum“ bekommen<br />

konnten.<br />

Als Pimpfe und Jungvolkführer hatten wir aber schon Angst, <strong>de</strong>r Krieg könnte ohne uns zu En<strong>de</strong><br />

gehen. Wur<strong>de</strong>n wir doch in <strong>de</strong>r Schule, wenn auch in unterschiedlicher Intensität, von <strong>de</strong>n Lehrern<br />

im Sinne <strong>de</strong>r „Edda“ erzogen:<br />

45


„... eins weiß ich, das ewig lebt:<br />

<strong>de</strong>s Toten Taten Ruhm.“<br />

O<strong>de</strong>r wie Oberstudiendirektor Piehler im Herbst 1943 bei einer Gedächtnisfeier in <strong>de</strong>r Aula für zwei<br />

„tapfere Hel<strong>de</strong>n“ zitierte:<br />

„Kein schöner Tod ist in <strong>de</strong>r Welt,<br />

als wer vom Feind erschlagen ...“<br />

und an das Gelüb<strong>de</strong> eines Burschenschafters von 1820 erinnerte:<br />

„Lass Kraft mich erwerben, an Herz und an Hand,<br />

zu leben und zu sterben für’s heil’ge Vaterland!“<br />

Weiter führte er aus, dass sie<br />

„diesen Tod gestorben sind ... und wenn das Schicksal<br />

auch an uns herantritt, so wie sie es getan haben,<br />

mannhaft zu stehen“.<br />

All das waren Sprüche, die jetzt zum Schulalltag gehörten.<br />

Als dann das Carolinum in ein Kriegslazarett umfunktioniert wur<strong>de</strong>, betrachteten wir das als eine<br />

Abwechslung. Wir hatten jetzt im Lyzeum und in <strong>de</strong>r Hilfsschule in <strong>de</strong>r Tiergartenstraße Unterricht,<br />

bis wir schließlich in das Gebäu<strong>de</strong> hinter <strong>de</strong>r Stadtkirche zogen. Da einige von uns auf <strong>de</strong>r „Strecke“<br />

geblieben waren, hatten wir jetzt mit <strong>de</strong>n Oberschülern – bis auf die Fächer Latein und Griechisch –<br />

zusammen Unterricht. Hier schnupperten wir zum ersten Mal „Granatenduft“. Ein Mitschüler brachte<br />

eines Tages eine 2cm Flakgranate mit zum Unterricht, aus <strong>de</strong>r er das Pulver entfernt hatte. Abwechselnd<br />

untersuchten Fritz Holldorf und ich sie im Religionsunterricht. Es gelang uns aber nicht,<br />

ein grünes Plättchen von einem ca. 2 cm nach oben verengten Messingkörper zu entfernen. Da Fritz<br />

ein Taschenmesser von Theo hatte und unser Lehrer Heise schon auf uns aufmerksam gewor<strong>de</strong>n war,<br />

überließ ich ihm, das corpus <strong>de</strong>licti. Gleich darauf gab es einen Knall und Fritz stand neben mir mit<br />

erhobener Hand, aus <strong>de</strong>r Blut heraustropfte. Die Folgen unserer Spielerei waren <strong>de</strong>r Verlust seines<br />

Auges und <strong>de</strong>r Fingerkuppen an seiner rechten Hand. Trotz<strong>de</strong>m wur<strong>de</strong> Fritz später mit <strong>de</strong>m letzten<br />

Aufgebot eingezogen und blieb als vermisst im Krieg.<br />

Für uns waren Kriegserscheinungen damals mehr ein Grund zur Freu<strong>de</strong>, wenn z. B. nach einem<br />

nächtlichen Fliegeralarm <strong>de</strong>r Unterricht erst zwei Stun<strong>de</strong>n später begann o<strong>de</strong>r sogar ganz ausfiel. Als<br />

willkommene Unterbrechung <strong>de</strong>s Schulalltags betrachteten wir weiter das Sammeln von feindlichen<br />

Flugblättern und Altmaterialien sowie die Einsätze in <strong>de</strong>r Kartoffelernte.<br />

Dass die gesamte außerschulische Tätigkeit, insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r Dienst in <strong>de</strong>r Hitlerjugend, auf das<br />

Dienen für Führer, Volk und Vaterland ausgerichtet war, erübrigt sich fast zu erwähnen. Erzogen zum<br />

Ausführen von Befehlen, befehligten nicht wenige von uns schon selbst als kleine Führer. Aber das<br />

war noch nicht alles, <strong>de</strong>nn jetzt begannen die direkten Kriegsvorbereitungen. Dazu dienten Vorträge<br />

von Offizieren aller Waffengattungen, teilweise ehemalige Schüler, <strong>de</strong>r Besuch von Kasernen und die<br />

damit verbun<strong>de</strong>ne unmittelbare Berührung <strong>de</strong>r Waffen und Kriegstechnik. Der Besuch von Wochenschauen<br />

ließ uns <strong>de</strong>n Kampf unserer Soldaten miterleben. Hinzu kamen Filme wie „Sieg im Westen“,<br />

„Kampfgeschwa<strong>de</strong>r Lützow“ und an<strong>de</strong>re. Jagdfliegerheld Möl<strong>de</strong>rs und U-Boot Kapitän Prien begeisterten<br />

uns bis zur Nachahmung. Beson<strong>de</strong>rs bei <strong>de</strong>n Gedächtnisfeiern für gefallene ehemalige<br />

Schüler wur<strong>de</strong>n uns vor allem Ritterkreuzträger als Vorbil<strong>de</strong>r hingestellt. Gewissermaßen als Leitgedanken<br />

für uns hieß es in <strong>de</strong>r Carolinerzeitung von September 1943 in einem Artikel: „ Der <strong>de</strong>utsche<br />

Stu<strong>de</strong>nt erfüllt auch in diesem Kriege, wie immer wenn es das Reich gegen <strong>de</strong>n Feind zu verteidigen<br />

gilt, seine Pflicht an allen Fronten und opfert wenn es sein muss Blut und Leben für <strong>de</strong>n Bestand <strong>de</strong>s<br />

Reiches.“ Das traf jetzt ebenfalls für <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen Schüler zu.<br />

Weil <strong>de</strong>r Chef <strong>de</strong>r Luftwaffe, Hermann Göring, für die Sommeroffensive 1942 über 100.000 Luftwaffensoldaten<br />

überstellen musste, legte er im November einen Verordnungsentwurf vor, nach<strong>de</strong>m<br />

Schüler <strong>de</strong>r Jahrgänge 1926/27 bei <strong>de</strong>r Luftabwehr eingesetzt wer<strong>de</strong>n sollten. Nach <strong>de</strong>r entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />

Nie<strong>de</strong>rlage bei Stalingrad ordnete Hitler am 7. Januar 1943 die klassenweise Einbeziehung von<br />

Schülern <strong>de</strong>r höheren und mittleren Schulen für <strong>de</strong>n örtlichen Einsatz bei Gewährleistung <strong>de</strong>s Unterrichts<br />

in <strong>de</strong>n wichtigsten Fächern an.<br />

Schon im Februar 1943 erfolgten die ersten Einberufungen zum Luftwaffenhelfer-Dienst, nach<strong>de</strong>m<br />

<strong>de</strong>r Reichsjugendführer Axmann in einem Tagesbefehl auf <strong>de</strong>n kriegswichtigen Einsatz von Luftwaffenhelfern<br />

an <strong>de</strong>r Heimatfront hingewiesen hatte und <strong>de</strong>n Schülern das verpflichten<strong>de</strong> „Bekenntnis<br />

zum Geist <strong>de</strong>r unsterblichen Hel<strong>de</strong>n von Stalingrad“ anmahnte.<br />

46


Obwohl mein Vater versuchte, mir die verheeren<strong>de</strong> Auswirkung <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlage <strong>de</strong>r 6. Heeresgruppe<br />

klarzumachen und mein Vetter in Stalingrad schwerverwun<strong>de</strong>t starb, bekannte ich mich mit <strong>de</strong>n<br />

meisten meiner Mitschüler „zum Geist <strong>de</strong>r unsterblichen Hel<strong>de</strong>n“. Verschärft wur<strong>de</strong> die Kriegslage<br />

durch die zunehmen<strong>de</strong>n Angriffe britischer und amerikanischer Bomberverbän<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>utsche Städte,<br />

während gleichzeitig immer mehr Soldaten aus <strong>de</strong>n Flakstellungen an die Fronten abkommandiert<br />

wur<strong>de</strong>n. Offizielle Grundlage für unsere Einberufung bil<strong>de</strong>te <strong>de</strong>r Erlass <strong>de</strong>s Reichsministers für Erziehung<br />

zum „Kriegshilfseinsatz <strong>de</strong>r Jugend bei <strong>de</strong>r Luftwaffe“ vom Januar 1943. Erzogen nach Hitlers<br />

For<strong>de</strong>rung: „Hart wie Kruppstahl, Zäh wie Le<strong>de</strong>r, Flink wie Windhun<strong>de</strong>“ traten wir i<strong>de</strong>ologisch<br />

beeinflusst und schon militärisch gedrillt weg von <strong>de</strong>r vertrauten Schulbank an die Geschütze.<br />

Am 25. Oktober 1943 begann für uns ein neuer einschnei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Lebensabschnitt. Neu war erst<br />

nur, dass wir mit Gymnasiasten aus Schwerin und Hinterpommern in Baracken auf <strong>de</strong>r Insel Usedom<br />

untergebracht wur<strong>de</strong>n. Als entschei<strong>de</strong>nd sahen wir die Einkleidung mit Uniformen, das Kartoffelschälen<br />

und das Schrubben von Fußbö<strong>de</strong>n aber nicht an.<br />

Dagegen war <strong>de</strong>r Komissjargon <strong>de</strong>r Vorgesetzten schon neuer. Ein Maat<br />

Böhm belegte uns mit seinen speziellen Bezeichnungen wie: „Stinkstiefel,<br />

Matschauge, Krokodilskadaver, blö<strong>de</strong>r Bäckerbursche, Sie Nase, Sie ich<br />

mach Sie Wind“ und an<strong>de</strong>ren Bezeichnungen. Sein Umgangston veranlasste<br />

uns zu einer Beschwer<strong>de</strong> beim Leutnant, einem jungen verständigen Offizier,<br />

<strong>de</strong>r uns zwar auch schliff, aber zur unserer Freu<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Maat bei passen<strong>de</strong>r<br />

Gelegenheit zurechtwies.<br />

Am ersten Sonntag führte uns <strong>de</strong>r Obermaat Hansen in Doppelreihe in<br />

Zinnowitz aus. Zum ersten Mal erblickte ich die Ostsee. Mit Wein und Bier<br />

wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r erste Landgang begossen. Die nächste Woche verging mit Infanteriedienst<br />

und <strong>de</strong>m ersten Stuben- und Backschaftsdienst, d. h. man musste<br />

das Essen herbeischaffen, wobei die Verpflegung gut war. Am zweiten<br />

Sonntag gab es als ersten Wehrsold. 8,50 Reichsmark, <strong>de</strong>n wir mit <strong>de</strong>m Maat<br />

Assmann, das Gegenteil von Böhm, in Zinnowitz in einem Cafe in Kuchen<br />

umsetzten. Dies gehört zu <strong>de</strong>n positiven Erinnerungen <strong>de</strong>r ersten vierzehn<br />

Tage.<br />

An meinem 16. Geburtstag, am 8. November, wur<strong>de</strong>n wir mit allen in einem<br />

Seemannssack verpackten Sachen von <strong>de</strong>r 1. Flakscheinwerferlehr-<br />

Unsere Ausgehuniform<br />

kompagnie Neuendorf in die Marineflakabteilung 233 (Swinemün<strong>de</strong>), Bat-<br />

47


terie Pritter-Wollin A/33 verlegt. Unsere Oberschüler aus Neustrelitz wur<strong>de</strong>n zur Marineflakbteilung<br />

221 (Kiel/Friedrichsruh) Batterie Pries 3.221 bzw. 1. Marinefeuerschutzabteilung Kiel, 1. Kompanie<br />

Kroopaweg eingezogen. Wir leisteten also unseren Dienst nicht am Heimatort.<br />

Unsere Batterie bestand aus vier 10,5 cm SKC/32 nLin 8,8 MPLC/30 o. D. d. h. aus 10,5 kalibrigen<br />

Schnellla<strong>de</strong>kanonen. Die an<strong>de</strong>ren Bezeichnungen sind mir zum Glück entfallen, obwohl wir sie laufend<br />

beim Batteriedienst herunterschnurren mussten. Die vier Geschütze waren in einem Quadrat in<br />

Betonstellungen installiert. In <strong>de</strong>r Mitte ragte etwas erhöht in einem speziellen Bunker das Kommandoleitgerät<br />

hervor. Unter <strong>de</strong>n Geschützen befan<strong>de</strong>n sich die Mannschaftsbunker, alle durch lange<br />

Gänge miteinan<strong>de</strong>r verbun<strong>de</strong>n, von <strong>de</strong>nen man in weitere kleinere Räume gelangte. Zum Komplex<br />

gehörten auch zwei leichte Flakbunker mit entsprechen<strong>de</strong>n Unterkünften und Sanitärräumen.<br />

Außer<strong>de</strong>m existierte noch ein Funk-Mess-Ortungsgerät (FUMO).Weiter gab es einen Reserveleitstand,<br />

inklusive Krankenrevier und Karzer sowie Munitionsbunker. Der Versorgungstrakt lag in einem<br />

anschließen<strong>de</strong>n Wald und bestand aus Baracken. Ebenfalls – das Wichtigste, die Schreibstube –<br />

in <strong>de</strong>r wir unsere Urlaubsscheine bekamen.<br />

In unserem Mannschaftsbunker stan<strong>de</strong>n an <strong>de</strong>r einen Seite die Spin<strong>de</strong> und gegenüber an <strong>de</strong>r Betonwand<br />

hingen immer drei Schlafkojen übereinan<strong>de</strong>r. Je<strong>de</strong>n Abend gab es einen Stubenappell. Als<br />

Stubenältester musste ich <strong>de</strong>m Maat vom Dienst die Abnahmebereitschaft mel<strong>de</strong>n. Einige von uns<br />

versuchten, die Diensthaben<strong>de</strong>n mit entsprechen<strong>de</strong>n Bil<strong>de</strong>rn von Schauspielerinnen u. a. von einer<br />

Spindkontrolle abzulenken. Aufregung gab es, als wir die ersten Wanzen ent<strong>de</strong>ckten, <strong>de</strong>ren Bisse unterschiedlich<br />

auf je<strong>de</strong>n Einzelnen wirkte. Hatte einer Läuferdienst, d. h. während <strong>de</strong>r Wachstun<strong>de</strong>n<br />

immer zwei Stun<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>m wachhaben<strong>de</strong>n Maat, dann vertrieb er sich teilweise die Zeit mit <strong>de</strong>m<br />

Knacken <strong>de</strong>r Wanzen. Wenn die Wän<strong>de</strong> zu blutverschmiert aussahen, und die Wanzen sich trotz<br />

Handbekämpfung vermehrten, wur<strong>de</strong>n die Räume ausgeräuchert.<br />

Ansonsten verlief <strong>de</strong>r Tagesablauf nach starrem Dienstplan: Wecken (auf, auf ihr mü<strong>de</strong>n Leiber,<br />

im Waschraum warten tausend nackte Weiber o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Bäcker von Laboe ist da, je nach<strong>de</strong>m, welche<br />

Sprüche <strong>de</strong>r Wachhaben<strong>de</strong> draufhatte), Waschen, Kaffeetrinken, Bettbau, Stube i. O. bringen, Appell<br />

<strong>de</strong>r ganzen Batterie, Meldung an <strong>de</strong>n Batteriechef, Ausgabe <strong>de</strong>r Parole und Bekanntgabe beson<strong>de</strong>rer<br />

Vorkommisse, anschließend verschie<strong>de</strong>ner Dienst. Die Exerzierübungen wur<strong>de</strong>n bis zum Para<strong>de</strong>schritt<br />

überspitzt. Eine Abwechselung bot <strong>de</strong>r Geschützdienst. Anfangs zur leichten Flak abgestellt,<br />

gelang es meinem Freund Wolfgang und mir, einer Geschützbedienung zugeteilt zu wer<strong>de</strong>n. Ich bediente<br />

zunächst die Seite, d. h. das Geschütz mittels eines Ra<strong>de</strong>s nach <strong>de</strong>n Angaben <strong>de</strong>s Kommandoleitgerätes<br />

zu drehen.<br />

Dabei kam es<br />

manchmal zum<br />

„Durchdrehen“.<br />

Damit die im<br />

wahrsten Sinne<br />

„Alt-“Gedienten<br />

nicht umsonstherumstan<strong>de</strong>n,<br />

sollten<br />

sie beim notwendigenSeitenwechsel<br />

auf<br />

Grund <strong>de</strong>s<br />

Überfliegens<br />

<strong>de</strong>r Stellung<br />

durch feindliche<br />

Flugzeuge das<br />

Kurbeln unterstützen.<br />

Dabei<br />

passierte es,<br />

dass sie in <strong>de</strong>r<br />

Aufregung, um<br />

nicht Angst zu<br />

sagen, genau<br />

entgegengesetzt<br />

drehten.<br />

Die Seitennummer. Demonstration <strong>de</strong>s „Durchdrehens“ 2003.<br />

48


Zum Dienst gehörten noch die typischen Beschäftigungen wie Putz- und Flickstun<strong>de</strong> und angeordnete<br />

kulturelle Veranstaltungen. In <strong>de</strong>r Regel en<strong>de</strong>te <strong>de</strong>r vorgeschriebene Tagesablauf um 17.00 Uhr.<br />

Dann begann für uns die eigentliche kulturelle Betätigung, z. B. Musik machen. Da einige ein Instrument<br />

beherrschten, wur<strong>de</strong> vor allem „gejazzt“, wobei selbst die Nationalhymne und „Die Fahne<br />

hoch“ sowie „Oh du fröhliche…“ nicht verschont blieben. Wir spielten ausdauernd Karten und Tischtennis.<br />

Viel wur<strong>de</strong> gelesen, auch unerlaubte Literatur.<br />

Je mehr wir eingefuchst waren, <strong>de</strong>sto mehr wur<strong>de</strong>n die Älteren abgezogen. Für das Nachreichen<br />

<strong>de</strong>r Munition, die sich rings herum in <strong>de</strong>n Nischen befand, kamen sogenannte russische „Hiwis“ zum<br />

Einsatz. So bezeichnete man die Hilfsfreiwilligen, die abgeson<strong>de</strong>rt untergebracht von einem russisch<br />

sprechen<strong>de</strong>n Maat betreut wur<strong>de</strong>n. Die Granaten wogen immerhin 36 kg und mussten zügig in die<br />

Zün<strong>de</strong>reinstellungsvorrichtung eingelegt wer<strong>de</strong>n, wo sie vom La<strong>de</strong>kanonier herausgenommen wur<strong>de</strong>n.<br />

Wegen meiner körperlichen Kondition übernahm ich später die La<strong>de</strong>nummer. Solange man stehend<br />

la<strong>de</strong>n konnte, gab es keine Probleme, <strong>de</strong>n Salventakt einzuhalten. Musste man aber in die Knie,<br />

kam man ins Schwitzen, wenn auch <strong>de</strong>r Geschützführer am Ellbogen mitschob. Später bekamen wir<br />

La<strong>de</strong>motoren, die die Arbeit erleichterten. Trotz<strong>de</strong>m holten sich zwei von uns Marinehelfern einen<br />

Leistenbruch.<br />

Wichtig war auch <strong>de</strong>r Unterricht im Flugzeugerkennen. Wir mussten die feindlichen Maschinen<br />

besser unterschei<strong>de</strong>n können als unsere eigenen. Dieses erlernte Wissen konnten wir dann im November<br />

1943 das erste Mal anwen<strong>de</strong>n, als versprengte Flugzeuge über die Ostsee zurückflogen.<br />

Nächster „Höhepunkt“ war für uns die Vereidigung unter <strong>de</strong>m Motto: „Ich hab’ mich ergeben, mit<br />

Herz und mit Hand, dir Vaterland zu dienen…“. Aus „Kriegshilfseinsatz“ war jetzt Kriegsdienst gewor<strong>de</strong>n,<br />

wobei sich unser Alltag nicht nur kriegerisch gestaltete son<strong>de</strong>rn auch mit Sport, Kino und<br />

Strandbesuchen und Übungen sowie Unterricht ausgefüllt war. Zur „Gewährleistung <strong>de</strong>s Unterrichts“<br />

erhielten wir am 1. Dezember 1943 <strong>de</strong>n ersten Stun<strong>de</strong>nplan. Erinnern kann ich mich an <strong>de</strong>n<br />

Unterricht in Latein, in <strong>de</strong>m wir vor allem Fabeln übersetzten und entsprechend fabulierten.<br />

In mein Tagebuch schrieb ich am 8. Juli 1944: „Nach <strong>de</strong>m Mittag lustige Schule, wir hatten je<strong>de</strong>r<br />

ein Glas Bier vor uns, eine Übersetzung lag auch auf <strong>de</strong>m Tisch, obwohl Lehrer Pagen davor stand.<br />

Ganz lässige Schule. Je<strong>de</strong>r sagt, was er im Moment <strong>de</strong>nkt, na wenigstens nicht so stur!“ Zu dieser<br />

Zeit gehörten wir aber zu <strong>de</strong>n „Altgedienten“, während wir anfangs bei einem indirekten Schulstreik,<br />

keiner antwortete auf die Fragen <strong>de</strong>s Lehrers, zum Strafexerzieren kommandiert wur<strong>de</strong>n. Neben Latein<br />

hatten wir noch Deutsch, Mathematik und Geschichte in <strong>de</strong>r Batterie. Zum Chemie- und Physik-<br />

Unsere Klasse mit Lehrer Pagen.<br />

49


unterricht fuhren wir einmal in <strong>de</strong>r Woche, wenn nicht unmittelbar Alarm o<strong>de</strong>r Besichtigungen anstan<strong>de</strong>n,<br />

nach Swienemün<strong>de</strong> in das dortige Gymnasium. Statt <strong>de</strong>s Unterrichts lockte uns in <strong>de</strong>r kälteren<br />

Jahreszeit mehr ein Kinobesuch und Stadtbummel und im Sommer ein Bad in <strong>de</strong>r herrlichen Ostsee.<br />

Wir legten unsere Sachen or<strong>de</strong>ntlich zu einem Päckchen auf <strong>de</strong>r Düne zusammen und stürzten<br />

uns zum Entsetzen <strong>de</strong>r übrigen Strandbesucher mit Indianergeheul in die Fluten. Solches Schwänzen<br />

konnten wir uns erlauben, weil wir wussten, wie unser Batteriechef auf eine entsprechen<strong>de</strong> Beschwer<strong>de</strong><br />

reagieren wür<strong>de</strong>. Hatte er uns doch nach einem Alarm auf <strong>de</strong>m Morgenappell klar gemacht:<br />

„Was schert Euch noch Schiller und Goethe, Mathematik und Geschichte, wieso haben sie<br />

noch Unterricht in Swienemün<strong>de</strong>? An <strong>de</strong>r Kanone müssen Sie lernen… Das Leben ist nicht mehr romantisch<br />

im fünften Kriegsjahr, es ist hart und schön. Träumen Sie nicht, kämpfen Sie. Damit trotzen<br />

wir <strong>de</strong>m Ansturm <strong>de</strong>r Fein<strong>de</strong>.“ Nach wie vor waren wir dazu bereit, was sich <strong>de</strong>mentsprechend auf<br />

unsere Einstellung zum Unterricht auswirkte. Wir freuten uns, wenn er durch Alarm unterbrochen<br />

wur<strong>de</strong>. Selbst wenn wir nach Dienstschluss <strong>de</strong>n Ostseestrand aufsuchten und sogar in weiblicher Begleitung,<br />

eilten wir pflichtbewusst beim Alarmzeichen an die Geschütze, um wie <strong>de</strong>r Chef es formuliert<br />

hatte, zu „streiten für ein herrliches neues Reich, zu verteidigen unsere <strong>de</strong>utsche Heimat … Marinehelfer<br />

tut Eure Pflicht!“ Wir taten es trotz besorgter Diskussionen mit unseren Eltern und älteren<br />

Freun<strong>de</strong>n. Seitens <strong>de</strong>s für uns verantwortlichen Studienrates Aßmann kann ich mich keiner kritischen<br />

Worte erinnern, auch an keine Betreuung – wie amtlich vorgesehen durch einen Lehrer unserer<br />

Schule.<br />

Die große Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Bewährung kam Anfang Januar 1944 bei einem schweren Angriff auf Stettin.<br />

Spätestens damit en<strong>de</strong>te die Romantik <strong>de</strong>r sternklaren Nächte. Leuchtbomben, sogenannte<br />

Weihnachtsbäume, und Phosphorkanister sowie das Aufblitzen <strong>de</strong>r Geschützsalven erhellten <strong>de</strong>n<br />

Himmel, während sich <strong>de</strong>r Horizont in Richtung Stettin langsam gelblich und orangerot verfärbte,<br />

durchbrochen von <strong>de</strong>n Strahlen <strong>de</strong>r Scheinwerfer. In das Dröhnen <strong>de</strong>r Geschütze mischte sich das<br />

Tack, Tack, Tack <strong>de</strong>r leichten Flak, weil Tiefflieger die Batterie angriffen, dazwischen die Stichflamme<br />

eines abgeschossenen Flugzeuges.<br />

Ein an<strong>de</strong>rer Bomber schlug hinter <strong>de</strong>m nahegelegenen Wald auf. Ein Feuerzauber ringsherum, <strong>de</strong>r<br />

die Helle <strong>de</strong>r Sterne verdrängte. „Strandfest in Swienemün<strong>de</strong> – <strong>de</strong>r Höhepunkt <strong>de</strong>r Saison!“ resümierte<br />

ein Geschützführer. Über dreihun<strong>de</strong>rt Geschosshülsen zählten wir in <strong>de</strong>r Nacht. Für uns be<strong>de</strong>utete<br />

es die Reifeprobe, was uns beim Morgenappell das höchste Lob <strong>de</strong>s Batteriechefs einbrachte.<br />

Ruhiger gestalteten sich dagegen die Kriegswachen im Frühling und Sommer, wenn ein feindlicher<br />

Aufklärer in über 10.000 Meter Höhe für uns unerreichbar am blauen Himmel seine Kon<strong>de</strong>nsstreifen<br />

Unsere leichte FLAK.<br />

50


Der Befehlsübermittler mit <strong>de</strong>m Gerät auf<br />

<strong>de</strong>r Brust.<br />

zog. Beim Angriff auf die Heeresversuchsanstalt Peenemün<strong>de</strong>,<br />

wo Wernher von Braun, wie er selbst schrieb,<br />

„verantwortlich für das V2-Programm“ war, <strong>de</strong>r verheerendsten<br />

Waffe <strong>de</strong>s Zweiten Weltkrieges, schossen wir<br />

nur vereinzelten, verstreuten Flugzeugen hinterher. Dagegen<br />

machten Tiefflieger die am Strand überraschten<br />

Marinehelferinnen zu ihren Zielscheiben, so dass sich<br />

Strand und Wasser rot färbten. Als bei einem Angriff<br />

auf unsere Batterie wir mit Bordwaffen „beharkt“ wur<strong>de</strong>n<br />

und einige Bomben fielen, zogen wir zwar die Köpfe<br />

tief ein, erkannten aber noch nicht <strong>de</strong>n Wahnsinn <strong>de</strong>s<br />

Krieges.<br />

Um <strong>de</strong>n verlorenen Krieg fortsetzen zu können und<br />

die sinnlosen Opfer zu ersetzen suchten die Machthaber<br />

immer neue Reserven. So kamen im Februar 1944 unser<br />

Nachschub, <strong>de</strong>r Jahrgang 1928 und auch Marinehelferinnen.<br />

Letztere wur<strong>de</strong>n am Funkmessgerät und im<br />

Kommandoleitstand eingesetzt. Unser Oberfähnrich<br />

stolzierte jetzt bei <strong>de</strong>r Ausbildung am letztgenannten<br />

Gerät wie ein Gockel auf <strong>de</strong>r Anhöhe über <strong>de</strong>m Leitstand.<br />

Uns untersagte man <strong>de</strong>n Kontakt zu ihnen. Der<br />

wur<strong>de</strong> aber bei Übungen und Alarmbereitschaft per Telefon<br />

durch <strong>de</strong>n Befehlsübermittler am Geschütz hergestellt.<br />

Als Vermittler betätigten sich auch unsere bei<strong>de</strong>n Sanis<br />

(Sanitäter), die zusammen über hun<strong>de</strong>rt Jahre alt<br />

waren. Einer klärte mich nach <strong>de</strong>m ersten Landgang mit<br />

einer Marinehelferin auf, dass ich zur Unterhaltung<br />

nicht meinen Freund Wolfgang mitzunehmen hätte. So<br />

wur<strong>de</strong> man in je<strong>de</strong>r Beziehung belehrt. Völlig aufge-<br />

klärt kehrte ich nach <strong>de</strong>r Einlieferung wegen Scharlachs in das Marinelazarett Ostswiene zurück.<br />

Nach <strong>de</strong>n ersten Wochen glaubte ich in einem Sanatorium zu sein. Meine Kumpel genossen ebenfalls<br />

die Quarantäne im Bunker, ohne Dienst aber bei voller Verpflegung.<br />

Zu einem Extraappell mussten wir am 20. April 1944 zum „Führergeburtstag“ antreten. Statt von<br />

Gewehren und Granaten, wie bei <strong>de</strong>r Vereidigung, wur<strong>de</strong>n wir von Arbeitern in blauen Arbeitsanzügen<br />

und „Goldfasanen“, d. h. von Vertretern <strong>de</strong>r SA und <strong>de</strong>r Partei, umrahmt. Anlass dafür bil<strong>de</strong>te<br />

unsere Aufnahme in die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei. Es muss uns aber nicht sehr<br />

beeindruckt haben, <strong>de</strong>nn Freund Theo und ich erinnern und daran nur dunkel. Im Zuge <strong>de</strong>r Entnazifizierung<br />

fielen wir unter die Amnestie, so dass uns aus <strong>de</strong>r Zwangsübernahme als Parteigenossen<br />

(PG) keine Nachteile entstan<strong>de</strong>n. Wir brauchten auch die ehemalige Mitgliedschaft auf keinem Fragebogen<br />

anzugeben.<br />

In <strong>de</strong>n nächsten Wochen und Monaten passierte für uns nichts Beson<strong>de</strong>res. In <strong>de</strong>r innerpolitisch<br />

zugespitzten Situation nach <strong>de</strong>m Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944, diskutierten wir zwar darüber,<br />

das je<strong>de</strong>r Soldat seinen Vorgesetzten erschießen konnte, wenn er zu <strong>de</strong>n Attentätern gehörte, aber<br />

über die Hintergrün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Geschehens besaßen wir keine Informationen. Nur spärliche Nachrichten<br />

wur<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>m Urlaub mitgebracht. In <strong>de</strong>r Batterie bestand keine Möglichkeit, ausländische Sen<strong>de</strong>r<br />

abzuhören. Es existierte nur die offizielle Berieselung und Wehrmachtsbetreuung. Wir <strong>de</strong>battierten<br />

mehr um die Einführung <strong>de</strong>s Hitlergrusses nach <strong>de</strong>m missglückten Attentat, als um das für und wi<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>s 20. Juli. Mit <strong>de</strong>m Leben davongekommen hatte Hitler <strong>de</strong>n Oberbefehl über alle Wehrmachtsteile<br />

übernommen. Für uns än<strong>de</strong>rte sich nichts.<br />

Mit <strong>de</strong>r weiteren Ausbildung <strong>de</strong>r Neuen und ihrer gleichberechtigten Anerkennung nahte für uns<br />

die Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Entlassung; en<strong>de</strong>te eine gefährliche Spielerei, die wir damals noch nicht als eine gestohlene<br />

Zeit <strong>de</strong>r schönsten Jugendjahre erkannten, son<strong>de</strong>rn als pflichtbewussten Dienst für „Führer,<br />

Volk und Vaterland“ empfan<strong>de</strong>n. Dabei entsprang unsere Pflichterfüllung weniger <strong>de</strong>m „Mythos <strong>de</strong>s<br />

20. Jahrhun<strong>de</strong>rts“ von Alfred Rosenberg, <strong>de</strong>m Chefi<strong>de</strong>ologen <strong>de</strong>s Nationalsozialismus – obwohl auch<br />

gelesen – als <strong>de</strong>m „Glaubensbekenntnis <strong>de</strong>s Carl von Clausewitz“: „… ich glaube und bekenne: dass<br />

ein Volk nichts höher zu achten hat als die Wür<strong>de</strong> und Freiheit seines Daseins; dass es diese mit <strong>de</strong>m<br />

letzten Blutstropfen verteidigen soll…“. Zum Glück überstan<strong>de</strong>n wir diese Schulzeit an <strong>de</strong>n Geschützen<br />

ohne Blutvergießen.<br />

51


Wir unterschie<strong>de</strong>n uns vom Stammpersonal nur durch unsere jugendlichen Gesichter – kurz vor unserer<br />

Entlassung.<br />

Auf unserem letzten Versetzungszeugnis erhielten wir <strong>de</strong>n Vermerk, nach Kriegsen<strong>de</strong> an einem<br />

Son<strong>de</strong>rlehrgang zur Erreichung <strong>de</strong>r Reifeprüfung teilnehmen zu dürfen. Am 9. September 1944 erfolgte<br />

unsere Entlassung als Marineoberhelfer, nach<strong>de</strong>m wir am Vortag unsere Sachen in Swienemün<strong>de</strong><br />

abgegeben hatten. Ein letztes Mal bummelten wir durch die uns vertraut gewor<strong>de</strong>ne Stadt.<br />

Nach kurzem Aufenthalt zu Hause und <strong>de</strong>r Ableistung <strong>de</strong>s Reichsarbeitsdienstes erfolgte im Dezember<br />

1944 die Einberufung zur Wehrmacht. Mit Beginn <strong>de</strong>r Januaroffensive <strong>de</strong>r Roten Armee<br />

1945 wur<strong>de</strong>n wir 17-jährige östlich <strong>de</strong>r Weichsel bei Grau<strong>de</strong>nz in die Abwehrschlacht geworfen. Der<br />

Rückzug führte uns dann über Danzig bis zur Halbinsel Hela. Von dort lan<strong>de</strong>ten wir, obwohl die<br />

Rote Armee Mitte April die O<strong>de</strong>r überschritten hatte, En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Monats mit Prahmen statt westlich<br />

auf heimatlichem Bo<strong>de</strong>n in Ostpreußen in <strong>de</strong>r Hölle Pillau, wi<strong>de</strong>r aller militärischer Vernunft. Dem<br />

Inferno entronnen wur<strong>de</strong> ich auf <strong>de</strong>r frischen Nehrung nach kurzer Gefangenschaft, aber wegen <strong>de</strong>s<br />

Traumas – alles bloß nicht in russische Gefangenschaft geraten – wie<strong>de</strong>r entflohen, darauf schwer<br />

verwun<strong>de</strong>t. Über Danzig, weiter verfrachtet nach Dänemark, gelangte ich schließlich in ein richtiges<br />

Lazarett nach Lüneburg. Im Gipsverband liegend hatte ich genügend Zeit, über die gestohlenen Jahre<br />

nachzu<strong>de</strong>nken. Mit zunehmen<strong>de</strong>m Erkennen <strong>de</strong>s Irrwegs einer ganzen Nation und <strong>de</strong>s Zusammenbrechens<br />

<strong>de</strong>r eigenen I<strong>de</strong>ale, begann das Suchen nach Neuem, <strong>de</strong>m Entgegengesetzten <strong>de</strong>s bisher<br />

Geglaubtem. En<strong>de</strong> März 1946 kehrte ich aus <strong>de</strong>m Lazarett über die „Grüne Grenze“ in mein Heimatdorf<br />

zurück.<br />

Mit <strong>de</strong>m Frühling, <strong>de</strong>r kritischen Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>m Neuen in <strong>de</strong>r damaligen sowjetischen<br />

Besatzungszone, <strong>de</strong>r ersten Bekanntschaft mit marxistischer Literatur erfolgte meine weitere<br />

körperliche und geistige Gesundung. Weil uns <strong>de</strong>r Vermerk auf unserem letzten Zeugnis nichts nutzte,<br />

überre<strong>de</strong>te ich meinen Freund Theo, <strong>de</strong>n unterbrochenen Schulbesuch wie<strong>de</strong>r aufzunehmen. Ermunternd<br />

wirkte auf uns bei <strong>de</strong>r Anmeldung in <strong>de</strong>r Schule, „Knacker“ Gerlach als stellvertreten<strong>de</strong>n<br />

Direktor anzutreffen. „Patri“ Ohle empfing uns mit seiner Auffassung: „Ik meene, wie gesagt, ihr<br />

Gymnasiasten verstan<strong>de</strong>t zwar nichts von Mathe, aber sonst war’t ihr gute Jungs“. Mit Hilfe beson<strong>de</strong>rs<br />

<strong>de</strong>r Mitschülerinnen, jetzt hatten wir gemeinsam Unterricht, bestan<strong>de</strong>n wir im Sommer 1948<br />

endlich das Abitur.<br />

Nach einem Geschichtslehrerstudium in Puttbus wur<strong>de</strong> ich Schulleiter in meinem Dorf. Ich baute<br />

die Einklassige Schule zu einer Zentralschule im Aufbau aus, um auch <strong>de</strong>n Schülern <strong>de</strong>r umliegen<strong>de</strong>n<br />

52


Als Kollege mit <strong>de</strong>n ehemaligen Paukern.<br />

Dörfer ab <strong>de</strong>r 5. Klasse <strong>de</strong>n Fachunterricht zu ermöglichen. Nach erfolgreichem Schulbetrieb wur<strong>de</strong><br />

ich mit Beginn <strong>de</strong>s Schuljahres 1952 kurzfristig noch im September an die Erweiterte Oberschule<br />

(EOS) in Neustrelitz versetzt. Damit schloss sich gewissermaßen ein Kreis und ich wur<strong>de</strong> Kollege<br />

meiner ehemaligen „Pauker“. An die Schule kehrte auch mein erster Direktor Piehler, jetzt als Kollege<br />

zurück, <strong>de</strong>r aus russischer Gefangenschaft kam und sogar Russisch unterrichtete. Über russische<br />

Geschichte und das „Gelüb<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Burschenschafters“ haben wir zwar nicht diskutiert, aber bei<strong>de</strong><br />

hatten wir an Lebenserfahrung gewonnen und verstan<strong>de</strong>n uns gut.<br />

Nach über 55 Jahren machten Theo und ich uns auf nach <strong>de</strong>r Suche unserer ehemaligen Batterie.<br />

Auf die Frage im Dorf Pritter, ob noch Überreste <strong>de</strong>r ehemaligen Flakstellung vorhan<strong>de</strong>n seien, antwortete<br />

uns einer auf Deutsch:<br />

„Hier räumt keiner etwas weg!“.<br />

Wir hätten wie<strong>de</strong>r in unsere Bunker<br />

einziehen können. So wie jemand<br />

zeitweise im ehemaligen<br />

Reserveleitstand wohnt, während<br />

ein Munibunker von einem<br />

Gemüsehändler als Lager für Paletten<br />

benutzt wird. Nur die unmittelbaren<br />

Geschützanlagen<br />

sind etwas verschoben. Wahrscheinlich<br />

wur<strong>de</strong> eine gesprengt.<br />

Dagegen ist <strong>de</strong>r leichte Flak-<br />

Bunker, das „Quartier“ von<br />

Freund Theo, unversehrt. Durch<br />

diesen Besuch wur<strong>de</strong>n unsere<br />

Erinnerungen aufgefrischt und<br />

ich angeregt, diese Jahre für die<br />

Schulgeschichte festzuhalten.<br />

Vor einem Bunkereingang – Auf Spurensuche.<br />

Dr. Gustav-Adolf Strasen<br />

53


54<br />

Emil Kraepelin und seine Erinnerungen<br />

an Neustrelitz*<br />

R. Gold<br />

Sehr geehrte Damen und Herren,<br />

in <strong>de</strong>r Geschichte <strong>de</strong>r Psychiatrie und Psychotherapie ist <strong>de</strong>r Geburtsjahrgang 1856 von<br />

beson<strong>de</strong>rer Be<strong>de</strong>utung. Einmal steht dort <strong>de</strong>r Name von Emil Kraepelin (1856–1926), <strong>de</strong>s<br />

Mitbegrün<strong>de</strong>rs und Wegbereiters <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen wissenschaftlichen Psychiatrie /1/. Ganz<br />

sicher fin<strong>de</strong>n wir aber auch <strong>de</strong>n Namen <strong>de</strong>s „Vaters“ <strong>de</strong>r Psychoanalyse, Sigmund Freud<br />

(1856–1939), <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r breiten Öffentlichkeit ungleich bekannter gewor<strong>de</strong>n ist, wenngleich<br />

<strong>de</strong>r Einfluss Kraepelins auf die Entwicklung <strong>de</strong>r Psychiatrie <strong>de</strong>s 20. Jahrhun<strong>de</strong>rts historisch<br />

höher bewertet wird /2/. Tatsächlich waren Emil Kraepelin und Sigmund Freud<br />

wissenschaftliche Antipo<strong>de</strong>n, ohne selbst persönlich wissenschaftlichen Streit auszutragen.<br />

Das überließen sie ihrer „zweiten Reihe“, wie Isserlin und Jung /3/. Aber allgemein wer<strong>de</strong>n<br />

bei<strong>de</strong> Persönlichkeiten, Kraepelin und Freud, was ihren Einfluss auf die Wissenschaftsentwicklung<br />

betrifft, zu <strong>de</strong>n 100 be<strong>de</strong>utendsten Forschern gezählt, die je gelebt haben<br />

/4/.<br />

Trotz seines international anerkannten Wirkens schon von Hei<strong>de</strong>lberg und dann von<br />

München aus, hat Emil Kraepelin seine Herkunft aus Neustrelitz in Mecklenburg nie verheimlicht<br />

und sogar die platt<strong>de</strong>utsche Sprache als Tradition in <strong>de</strong>r Familie gepflegt /vgl. 5/.<br />

Das Herzogtum Mecklenburg-Strelitz, seit 1815 Großherzogtum, war quasi per Urteil<br />

im sogenannten Hamburger Erbfolgestreit erst 1701 gegrün<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>m Jahr, in<br />

<strong>de</strong>m auch das Königreich Preußen entstand. Herzog Carl, <strong>de</strong>r Vater <strong>de</strong>s Großherzogs Georg<br />

und <strong>de</strong>r späteren preußischen Königin Luise, ist <strong>de</strong>r Namensgeber <strong>de</strong>s Neustrelitzer<br />

Gymnasiums Carolinum, welches Emil Kraepelin besuchte. Dabei han<strong>de</strong>lt es sich um das<br />

„alte“ Carolinum in <strong>de</strong>r heutigen Glambecker Straße.<br />

Die landschaftliche Schönheit von Mecklenburg-Strelitz hat auf Emil Kraepelin und<br />

seinen Bru<strong>de</strong>r Karl stets einen starken Reiz ausgeübt. Mit seinem Bru<strong>de</strong>r hat er in seiner<br />

Heimat und später als Erwachsener bis nach Übersee Exkursionen und Ausflüge unternommen,<br />

die hier letztlich am Glambecker und Zierker See ihren Ursprung hatten. Seine<br />

frühe Ausprägung für Naturliebe und seine Reiselust waren zwei ganz starke Lei<strong>de</strong>nschaften<br />

Emil Kraepelins /6/.<br />

Emil Wilhelm Magnus Georg Kraepelin wur<strong>de</strong> am 15. Februar 1856 in Neustrelitz geboren.<br />

Seine Mutter Emilie war eine geborene Lehmann, Tochter eines Neustrelitzer Hofmusikers.<br />

Sie lebte von 1819 bis 1896 und ihr Sohn Emil nahm sie in ihren letzten Lebensmonaten<br />

noch in seinen späteren Professorenhaushalt in Hei<strong>de</strong>lberg auf. Emilies Vater,<br />

Johann Friedrich Gottlob Lehmann, lebte von 1790 bis 1870 und betrieb neben seiner Musikerstelle<br />

im Hoforchester eine Kegelbahn in seinem Privathaus. Dies war ein beliebter<br />

Treffpunkt für Neustrelitzer Künstler. Hier lernte Emilie Lehmann ihren späteren Ehemann<br />

Karl Wilhelm Kraepelin kennen, <strong>de</strong>r sie 1842 heiratete /7/. Emil Kraepelin beschreibt<br />

in seinen „Lebenerinnerungen“, die erst 1983 herausgegeben wur<strong>de</strong>n, seine von<br />

ihm verehrte Mutter als fürsorglich, hilfsbereit und mit Sinn für Behaglichkeit, welche<br />

auch große Anziehungskraft auf junge Leute ausgeübt habe /6/.<br />

* Gekürzte und leicht geän<strong>de</strong>rte Fassung <strong>de</strong>s Vortrags zum „Kraepelin-Tag 2006“, Interdisziplinäres<br />

Wissenschaftliches Kolloquium für Psychiatrie am 2. September 2006 in <strong>de</strong>r „Orangerie“ Neustrelitz.


Der Vater Emil Kraepelins, Karl Wilhelm Kraepelin (1817–1882), hat eine sehr interessante<br />

Lebensgeschichte. Man könnte meinen – drehbuchreif. Die väterliche Linie lässt sich<br />

bis zum Urgroßvater zurückverfolgen, <strong>de</strong>r Pastor war. Der Großvater Emils war Rektor<br />

<strong>de</strong>r Stadtschule von Wittenburg. Emils Vater Karl sollte wie <strong>de</strong>r Urgroßvater Christian<br />

Theologe wer<strong>de</strong>n, also wur<strong>de</strong> Karl Kraepelin zum Studium <strong>de</strong>r Theologie nach Berlin geschickt.<br />

Dort kam er, im bürgerlichen Sinne, auf Abwege, in <strong>de</strong>m er sich vom Theologiestudium<br />

ab und <strong>de</strong>r Kunst zuwandte. Er nahm Gesangsunterricht beim Direktor <strong>de</strong>r Berliner<br />

Singaka<strong>de</strong>mie, Rungenhagen, und ließ sich 1839 an das Großherzogliche Hoftheater<br />

nach Neustrelitz engagieren. Großherzog Georg war ein kunstlieben<strong>de</strong>r Mann und schätzte<br />

Karl Kraepelin wegen seines Multitalentes, obwohl Karl Kraepelin im Hofstaat nur bei<br />

<strong>de</strong>n Schauspielern, Sängern kleiner Partien und Choristen rangierte. Das Revolutionsjahr<br />

1848 brachte in Neustrelitz insofern Verän<strong>de</strong>rungen, als <strong>de</strong>r Großherzog als Reaktion auf<br />

pseudorevolutionäre Proteste Neustrelitzer Bürger das Hoftheater schloss und das Personal<br />

entließ. Allerdings hielt <strong>de</strong>r Großherzog <strong>de</strong>n vielbegabten Musiker Karl Kraepelin in<br />

<strong>de</strong>r Stadt, zahlte ihm eine Rente und beschäftigte ihn als Musiklehrer /8/.<br />

Als Emil Kraepelin 1856 zur Welt kam, war er das Jüngste von sieben Geschwistern,<br />

von <strong>de</strong>nen aber nur noch seine älteren Brü<strong>de</strong>r Otto (1845–1893) und Carl (1848–1915) und<br />

seine Schwester Emma lebten (zur besseren Unterscheidung vom Vornamen <strong>de</strong>s Vaters<br />

Karl wird <strong>de</strong>r Sohn Carl geschrieben). In <strong>de</strong>n persönlichen Erinnerungen Emils hat die<br />

Schwester Emma vor allem einen Platz als Ehefrau seines Schwagers, <strong>de</strong>s Juristen Anton<br />

Willert und als fürsorgliche Tochter <strong>de</strong>r später in Neustrelitz allein leben<strong>de</strong>n Mutter Emilie<br />

/6/. Der elf Jahre ältere Bru<strong>de</strong>r Otto war schon zu groß, um als Spielgefährte für Emil<br />

in Frage zu kommen. Er wur<strong>de</strong> Kaufmann im Harz und starb vermutlich in Wernigero<strong>de</strong>.<br />

Auf Emils Bru<strong>de</strong>r Carl wer<strong>de</strong> ich noch eingehen.<br />

Das Geburtshaus Emil Kraepelins in Neustrelitz ist nicht bekannt. Heute orientieren<br />

wir uns am Haus Glambecker Straße 14. Ein Foto aus <strong>de</strong>n „Lebenserinnerungen“ zeigt ein<br />

Gebäu<strong>de</strong> in einem maro<strong>de</strong> wirken<strong>de</strong>n Bauzustand. Die Familie Kraepelin lebte sehr beengt<br />

zur Miete. Dieses Gebäu<strong>de</strong> bewohnten, mit Nebengelassen, bis zu vierzehn Familien.<br />

Emil Kraepelin betonte jedoch, dass trotz größter Einfachheit <strong>de</strong>r Verhältnisse in seiner<br />

Familie ein reges geistiges Leben geherrscht habe. Sein Vater war Mitbegrün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s sog.<br />

Sonnabend-Vereins und fand hier nicht nur Gelegenheit, seiner Neigung, die Volksbildung<br />

zu heben, nachzukommen. Der Sonnabend-Verein war nach 1848 auch eine Art Probebühne<br />

für <strong>de</strong>n Vater, <strong>de</strong>r sich mit Deklamationen aus Werken von Shakespeare (natürlich unbewusst)<br />

auf „höhere Aufgaben“ als späterer Rezitator <strong>de</strong>r platt<strong>de</strong>utschen Werke <strong>de</strong>s<br />

Mecklenburgischen Dichters Fritz Reuter vorbereitete. Nach <strong>de</strong>m To<strong>de</strong> Karl Kraepelins<br />

im Jahre 1882 erschien in <strong>de</strong>r Neustrelitzer Zeitung ein Nachruf, in <strong>de</strong>m er als <strong>de</strong>r erste<br />

und beliebteste Reuter-Vorleser lobend hervorgehoben wur<strong>de</strong>. An<strong>de</strong>re sprachen anerkennend<br />

von ihm als <strong>de</strong>m „Reuter-Apostel“. Der mecklenburgische Heimat-Dichter Fritz<br />

Reuter, <strong>de</strong>r seit 1860 mit Karl Kraepelin befreun<strong>de</strong>t war, glaubte manchmal selbst nicht,<br />

dass er das geschrieben haben sollte, was sein „Korl“, wie er ihn nannte, auf platt<strong>de</strong>utsch<br />

sprachlich und schauspielerisch vollen<strong>de</strong>t aus seinen Werken darbot. Seit 1863 war Karl<br />

Kraepelin in seiner zweiten und weit erfolgreicheren Karriere ständig auf Reisen. Er füllte<br />

nicht nur in Nord<strong>de</strong>utschland große Säle mit seiner Vortragskunst. 1873 gelangte er bis<br />

nach Amerika, wo er <strong>de</strong>n wegen Armut ausgewan<strong>de</strong>rten Mecklenburgern mit seinen platt<strong>de</strong>utschen<br />

Lesungen ein wenig Heimat vermitteln konnte / 9,10 /.<br />

Der junge Emil und sein acht Jahre älterer Bru<strong>de</strong>r Karl vermissten <strong>de</strong>n bildungsbeflissenen<br />

und umtriebigen Vater einerseits, profitierten aber an<strong>de</strong>rerseits von <strong>de</strong>m sich entwickeln<strong>de</strong>n<br />

materiellen Wohlstand <strong>de</strong>r Familie. Wie sein Bru<strong>de</strong>r Carl konnte Emil das<br />

Gymnasium Carolinum besuchen und später auch studieren. Das Gymnasium Carolinum<br />

befand sich damals in <strong>de</strong>r Glambecker Str. 10, also nur einige Häuser entfernt von <strong>de</strong>r<br />

Wohnung <strong>de</strong>r Familie. Die Schule blieb Emil Kraepelin nicht in beson<strong>de</strong>rs angenehmer<br />

Erinnerung. Er sei, so notierte er, im ganzen ein guter Schüler gewesen mit ziemlich<br />

55


gleichmäßiger, aber nirgends hervorragen<strong>de</strong>r Begabung und habe seine Aufgaben pflichtbewusst,<br />

aber ohne Begeisterung, erfüllt. Das altsprachliche Übergewicht <strong>de</strong>s Unterrichts<br />

ärgerte ihn offenbar noch zum Zeitpunkt <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rschrift seiner „Lebenserinnerungen“.<br />

Er drückte dies zwar professoral gedämpft, jedoch mit erkennbarer Verbitterung aus: Meine<br />

Erinnerung an die Schulzeit ist lebhaft gefärbt durch das Bedauern mit philologischen<br />

Nichtigkeiten viele kostbare Jugendzeit verloren zu haben /6/. Sein Reifezeugnis erhielt er<br />

nach <strong>de</strong>r Abiturprüfung am 26. und 27. März 1874, womit er zum Universitätsstudium befähigt<br />

war. Sein späterer Schwager Benno Schwabe, Sohn eines Gutsbesitzers in Mecklenburg-Strelitz,<br />

<strong>de</strong>ssen Schwester Ina Emils Ehefrau wer<strong>de</strong>n sollte, war sein Mitschüler.<br />

Wegen <strong>de</strong>r rastlosen Reisetätigkeit <strong>de</strong>s Vaters wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r ältere Bru<strong>de</strong>r Carl prägend<br />

für die Persönlichkeit <strong>de</strong>s jungen Emil. Bei<strong>de</strong> verband eine enge, lebenslange, brü<strong>de</strong>rlichfreundschaftliche<br />

Beziehung, die auch durch örtliche Trennungen, wie zwischen München<br />

und Hamburg, nicht wesentlich beeinträchtigt wer<strong>de</strong>n konnte. Mit <strong>de</strong>m kritischen Naturforscher<br />

und Aufklärer Carl konnte sich Emil i<strong>de</strong>ntifizieren. Carl wur<strong>de</strong> sein „Mo<strong>de</strong>ll“,<br />

mehr als ein Ersatz für <strong>de</strong>n häufig abwesen<strong>de</strong>n Vater.<br />

Carl Kraepelin war ein eigenständiger Charakter, durchsetzungsfähig, ehrgeizig, eine<br />

nicht nur <strong>de</strong>r Wissenschaft, son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>m Gemeinwesen dienen<strong>de</strong> Persönlichkeit.<br />

Hamburg hält sein An<strong>de</strong>nken noch heute museal in Ehren. Carl Kraepelins Sendung war<br />

die eines Lehrers im besten Sinne. Zahlreiche populärwissenschaftliche Bücher und Schulwerke<br />

zeugen davon /11/. In seinen „Lebenserinnerungen“ (1983) beurteilt Emil Kraepelin<br />

das Verhältnis zu seinem Bru<strong>de</strong>r Carl folgen<strong>de</strong>rmaßen:<br />

„Den allerstärksten Einfluss übte während meiner ganzen Jugendzeit mein acht Jahre<br />

älterer Bru<strong>de</strong>r Carl mit seinen ausgeprägten naturwissenschaftlichen Neigungen auf mich<br />

aus, <strong>de</strong>r mich schon früh <strong>de</strong>r Beschäftigung mit <strong>de</strong>r Botanik zuführte und mich späterhin<br />

für Zoologie, Entwicklungslehre und Chemie begeisterte, so dass ich in <strong>de</strong>n letzten Jahren<br />

meiner Schulzeit seine stu<strong>de</strong>ntischen Lehrbücher, freilich ohne Verständnis, durchzuarbeiten<br />

suchte und mich viel mit einfachen chemischen Versuchen beschäftigte. Die Schule<br />

durfte davon selbstverständlich durchaus nichts erfahren“ /6, S. 2f./.<br />

Übrigens gehörten zu <strong>de</strong>n Jugen<strong>de</strong>rlebnissen von Emil Kraepelin auch Ferienaufenthalte<br />

in Kloster Dobbertin, wo er einmal Theodor Fontane getroffen habe /6/. Möglicherweise<br />

war dieser auch ein Vorbild für seine eigenen dichterischen Versuche, die erst<br />

posthum einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wur<strong>de</strong>n /5/. Romantische Naturerlebnisse<br />

waren für Emil Kraepelin jedoch nicht die Hauptsache seines Naturinteresses, er war<br />

schon sehr frühzeitig naturwissenschaftlich geprägt, als er über die Biologie zur Psychologie<br />

fand. Nach eigenen Angaben war es vor allem ein Werk <strong>de</strong>s noch jungen Professors<br />

Wilhelm Wundt, <strong>de</strong>ssen „Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele“ ihn begeisterte.<br />

Die erste Auflage dieses Werkes erschien bereits 1863 und stand möglicherweise auch im<br />

Bücherregal von Bru<strong>de</strong>r Carl. In diesem Zusammenhang macht Kraepelin auf eine an<strong>de</strong>re<br />

wegweisen<strong>de</strong> Person in seiner Jugend aufmerksam, auf <strong>de</strong>n Arzt Dr. Louis Krüger. Unsere<br />

neueren Recherchen in <strong>de</strong>r Schweriner Lan<strong>de</strong>sbibliothek erbrachten folgen<strong>de</strong> Ergebnisse:<br />

Louis Krüger wur<strong>de</strong> am 04. Jul 1837 in Neustrelitz geboren. Er absolvierte das dortige<br />

Gymnasium, studierte danach Medizin in Rostock, wo er am 28. Oktober 1861 promoviert<br />

wur<strong>de</strong>. Danach war er als praktischer Arzt in Penzlin tätig, wur<strong>de</strong> 1869 Kreischirurg für<br />

<strong>de</strong>n Malchiner „Physikatsdistrikt“ und Leiter <strong>de</strong>s Städtischen Krankenhauses Malchin. Er<br />

nahm am Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 als Feldlazarettarzt teil. 1875 wur<strong>de</strong> er Sanitätsrat,<br />

1888 Medizinalrat, 1889 übernahm er das „Physikat“ (Amtsarzt) in Waren und<br />

sie<strong>de</strong>lte dorthin über. 1892 starb er am 19. Februar in Waren. In seinen „Lebenserinnerungen“<br />

(1983) schrieb Emil Kraepelin:<br />

„Den Plan, Medizin zu studieren, faßte ich unter <strong>de</strong>r nachhaltigen Einwirkung eines<br />

meinem Vater befreun<strong>de</strong>ten Arztes, <strong>de</strong>s Dr. Louis Krüger in Penzlin, bei <strong>de</strong>m ich als älterer<br />

Schüler wie auch späterhin vielfach meine Ferien zubrachte. Ich durfte ihn auf seinen<br />

56


Landfahrten und bei seiner Tätigkeit im Krankenhaus begleiten und außer<strong>de</strong>m nach Belieben<br />

in seiner recht umfangreichen Bibliothek herumstöbern, in <strong>de</strong>r ich unter an<strong>de</strong>rem<br />

zuerst Wundts Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele fand, die zwar meinem Verständnis<br />

noch nicht recht zugänglich waren, mich aber doch mächtig anregten, zumal sie<br />

von meinem Bru<strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>rs geschätzt wur<strong>de</strong>n. Während ich anfangs aus mehr allgemein<br />

menschlichen Erwägungen daran gedacht hatte, Augenarzt zu wer<strong>de</strong>n, trat im letzten<br />

Jahre meiner Schulzeit immer entschie<strong>de</strong>ner die Neigung zur Beschäftigung mit psychologischen<br />

Fragen hervor, die mich dazu veranlaßte, Träume aufzuschreiben und <strong>de</strong>ren Entstehungsgeschichte<br />

zu untersuchen. Auf <strong>de</strong>n Rat Dr. Krügers, <strong>de</strong>m ich meine Wünsche<br />

vortrug, beschloß ich daher, Irrenarzt zu wer<strong>de</strong>n, weil so die einzige Möglichkeit gegeben<br />

schien, psychologische Arbeiten mit einem nähren<strong>de</strong>n Beruf zu verbin<strong>de</strong>n“ /6, S. 3/.<br />

Mag sein, dass Kraepelins älterer Psychiaterkollege und För<strong>de</strong>rer Emminghaus, <strong>de</strong>n er<br />

als Stu<strong>de</strong>nt in Würzburg kennen lernte, <strong>de</strong>rjenige war, <strong>de</strong>r Kraepelin endgültig von <strong>de</strong>r<br />

Psychiatrie als Beruf und Berufung überzeugte. Aber hier in seiner Heimat ist es sicher<br />

Krüger gewesen, von <strong>de</strong>m sich <strong>de</strong>r junge Emil als „Assistent“ bei <strong>de</strong>ssen Hausbesuchen<br />

abschauen konnte, was <strong>de</strong>r Arztberuf praktisch be<strong>de</strong>utet.<br />

Während seines Medizinstudiums und seiner beruflichen Tätigkeit hielt Emil Kraepelin<br />

heimatverbun<strong>de</strong>n engen Kontakt zu Verwandten und Freun<strong>de</strong>n in Neustrelitz, beson<strong>de</strong>rs<br />

aber zu seiner Verlobten Ina.<br />

Von <strong>de</strong>n Jugendfreun<strong>de</strong>n ist neben seinem Schwager Benno beson<strong>de</strong>rs Karl Rieck zu<br />

erwähnen. Dieser war fünf Jahre älter als Emil, wur<strong>de</strong> Jurist und 1877 an <strong>de</strong>r Universität<br />

Halle-Wittenberg promoviert. Emil Kraepelin verdankt ihm wichtige Anregungen, sich<br />

mit <strong>de</strong>n philosophischen Grundlagen <strong>de</strong>r ihn interessieren<strong>de</strong>n damaligen Kriminalpsychologie<br />

zu befassen. Schon 1876 hatte Rieck ihm empfohlen, Werke von Thomas Hobbes,<br />

Immanuel Kant, LaMettrie und Artur Schopenhauer zu studieren /vgl. 7, S. 64; 12, S. 367/.<br />

Nach seinem Abitur hielt Emil Kraepelin Kontakt mit Emil Cohn, <strong>de</strong>m Sohn <strong>de</strong>s Neustrelitzer<br />

Rechtsanwalt und Notars August Cohn. Emil Cohn wur<strong>de</strong> 1884 außeror<strong>de</strong>ntlicher<br />

Professor für theoretische Physik in Strasburg /vgl.7, S. 132/.<br />

Auch <strong>de</strong>r spätere Rechtsanwalt Karl Präfke aus Neustrelitz blieb mit Emil Kraepelin<br />

verbun<strong>de</strong>n. 1882 hatte dieser <strong>de</strong>n späteren Psychiater nach langen Diskussionen aufgefor<strong>de</strong>rt,<br />

ein Buch über Moral zu schreiben /vgl. 12, S. 301/.<br />

Emil Kraepelin selbst hat in seinen „Lebenserinnerungen“ hervorgehoben, dass er als<br />

junger, ambitionierter und manchmal betrübter junger Arzt schöpferische Ruhe in seiner<br />

Heimat fand, um wissenschaftlich-theoretisch zu arbeiten. 1880 verfasste und veröffentlichte<br />

er relativ spontan eine Streitschrift zur Strafrechtsreform mit <strong>de</strong>m Titel: „Die Abschaffung<br />

<strong>de</strong>s Strafmaßes. Ein Vorschlag zur Reform <strong>de</strong>r heutigen Strafrechtspflege. Pro<br />

humanitate“ /vgl. 12/. Dabei unterstützte ihn sein Schwager, <strong>de</strong>r Jurist Anton Willert.<br />

Es gibt Hinweise dafür, dass Emil Kraepelin 1883 auch sein erstes Kurzlehrbuch, das<br />

„Compendium <strong>de</strong>r Psychiatrie“ in Neustrelitz verfasste, zumin<strong>de</strong>st Teile davon /6/. Aus<br />

diesem „Compendium“ sollte einmal ein 3000-Seiten-Opus wer<strong>de</strong>n.<br />

Auch von Hei<strong>de</strong>lberg aus unternahm Emil Kraepelin Reisen nach Leipzig, Berlin und<br />

Neustrelitz (1893). 1895 war er bei <strong>de</strong>r Übersiedlung seiner Mutter von Neustrelitz nach<br />

Hei<strong>de</strong>lberg behilflich, sie starb dort am 24. Januar 1896. 1901 war Emil Kraepelin bei einer<br />

Rückreise von Kopenhagen über Neustrelitz nach (Berlin-)Herzberge gefahren.<br />

Am 29. 12. 1914 machte er in Neustrelitz Station, als er seinen Bru<strong>de</strong>r das letzte Mal<br />

vor <strong>de</strong>ssen Tod in Hamburg traf. Vom 3. bis 28. August 1915 unternahm Emil Kraepelin<br />

mit seiner Tochter Hanna (geb. 1896) von München aus eine Radtour nach Neustrelitz<br />

und begann mit <strong>de</strong>r Familienforschung in seiner alten Heimat /5, 6/.<br />

57


Die heutige Fassa<strong>de</strong> <strong>de</strong>s ehemaligen Wohnhauses <strong>de</strong>r Familie Kraepelin in <strong>de</strong>r Glambecker<br />

Straße 14 erstrahlt in neuem Glanz. Hier fin<strong>de</strong>n wir auch die am 15. Februar 2006<br />

enthüllte Ge<strong>de</strong>nktafel, nicht nur zu Ehren Emil Kraepelins als <strong>de</strong>m Gründungsdirektor<br />

<strong>de</strong>r Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie in München, son<strong>de</strong>rn auch zum Ge<strong>de</strong>nken<br />

an die Leistungen seines Bru<strong>de</strong>r Carl und seines Vaters, <strong>de</strong>s Reuter-Rezitators.<br />

Das Gymnasium Carolinum in <strong>de</strong>r Glambecker Strasse ist inzwischen zwar renoviert,<br />

fungiert aber nur noch als Außenstelle <strong>de</strong>s repräsentativen Gebäu<strong>de</strong>komplexes in <strong>de</strong>r Luisenstraße<br />

30. Dieses „neue“ Carolinum hat einen ausgezeichneten Ruf und „quält“ seine<br />

heutigen Gymnasiasten nicht mehr mit philologischen Nichtigkeiten. Emil Kraepelins<br />

Name hat zwar noch keine Berücksichtigung auf einer Tafel am alten o<strong>de</strong>r neuen Schulgebäu<strong>de</strong><br />

gefun<strong>de</strong>n, aber immerhin befin<strong>de</strong>t er sich schon auf <strong>de</strong>m Briefkopf, u. a. neben <strong>de</strong>m<br />

<strong>de</strong>s Archäologen Heinrich Schliemann. Und nicht zuletzt soll erwähnt wer<strong>de</strong>n, dass die<br />

Amtsbriefe <strong>de</strong>r Stadt Neustrelitz im Jahre 2006 einen Son<strong>de</strong>rstempel haben, <strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>n<br />

150. Geburtstag von Emil Kraepelin aufmerksam macht und ihn als wegweisen<strong>de</strong>n Psychiater,<br />

Forscher und Wissenschaftsorganisator würdigt. Damit setzt die Stadt Neustrelitz<br />

fort, was sie mit <strong>de</strong>r Namensgebung <strong>de</strong>r nach 1945 jahrzehntelang nicht öffentlich zugänglichen<br />

Emil-Kraepelin-Straße im neuen Glambecker Viertel En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 1920er Jahre begonnen<br />

hat /13, 14/. Machen Sie ein Foto!<br />

58


Literatur<br />

/1/ Schott, H., Tölle, R.: Geschichte <strong>de</strong>r Psychiatrie. Krankheitslehren, Irrwege, Behandlungsformen.<br />

(München:) C. H. Beck (2006)<br />

/2/ Shorter, E.: History of Psychiatry. From the era of the asylum to the age of Prozac. (New York,<br />

Chichester, Brisbane, Toronto, Singapore, Weinheim: John Wiley & Sons 1<strong>99</strong>7)<br />

/3/ Peters, U. H.: Die Isserlin-Affäre. Ein Stellvertreter-Disput zwischen Kraepelin und Freud, in:<br />

Fortschr. Neurol. Psychiat. 70 (2002) 27-33<br />

/4/ Simmons, J.: THE SCIENTIFIC 100. Seacaucus: Carol Publ. 1<strong>99</strong>6<br />

/5/ Kraepelin, E.: „Persönliches“. Selbstzeugnisse. Hrsg. v. W. Burgmair, E. J. Engstrom und M. M.<br />

Weber, in: Edition Emil Kraepelin Bd. 1. München: belleville (2000)<br />

/6/ Kraepelin, E.: Lebenserinnerungen. Hrsg. v. H. Hippius, G. Peters, D. Ploog unter Mitarbeit von<br />

P. Hoff und A. Kreuter. Berlin, Hei<strong>de</strong>lberg, New York, Tokyo: Springer-Verlag 1983<br />

/7/ Kraepelin. E.: Briefe I 1868–1886. Hrsg. v. W. Burgmair, E. J. Engstrom und M. M. Weber, in:<br />

Edition Emil Kraepelin Bd. 3. München: belleville (2002)<br />

/8/ Gold, R.: Emil Kraepelin (1856–1926): Kindheit und Jugendjahre in Mecklenburg. Vortrag am<br />

1.10.1<strong>99</strong>9 auf <strong>de</strong>r 9. Tagung <strong>de</strong>r DGGN in Stralsund v. 30.09. bis 2.10.1<strong>99</strong>9 (Manuskript)<br />

/9/ Wagner, A.: Biographische Denkmale. Erinnerungen an fast vergessene Persönlichkeiten aus<br />

Mecklenburg und Vorpommern. Neubran<strong>de</strong>nburg 1<strong>99</strong>3.<br />

/10/ Nenz, C.: Kraepelin, Karl (1817–1882), in: Mecklenburg-Strelitz. Beiträge zur Geschichte einer<br />

Region. Verlag Druckerei Steffen (2001), S. 670-672<br />

/11/ Weber, M. M., Burgmair, W.: Kraepelin, Carl und Emil (1848–1915; 1856–1926), in: Mecklenburg-Strelitz.<br />

Beiträge zur Geschichte einer Region. Verlag Druckerei Steffen (2001), S. 672-675<br />

/12/ Kraepelin, E.: Kriminologische und forensische Schriften. Werke und Briefe. Hrsg. v. W. Burgmair,<br />

E. J. Engstrom, P. Hoff und M. M. Weber, in: Edition Emil Kraepelin Bd. 2. München: belleville<br />

(2001)<br />

/13/ (Witzke, Ch.): Die Kraepelinstraße in Neustrelitz und München, in: Mecklenburg-Strelitzer Kalen<strong>de</strong>r<br />

1<strong>99</strong>8. Hrsg.: Freun<strong>de</strong>skreis <strong>de</strong>s KARBE-WAGNER-ARCHIVs e.V. Neustrelitz, S. 23<br />

/14/ vgl. „Nordkurier. Strelitzer Zeitung“ v. 16.02.2006, S. 16<br />

Anschrift <strong>de</strong>s Referenten:<br />

Dr. med. Rainer Gold, Chefarzt <strong>de</strong>r Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Dietrich-<br />

Bonhoeffer-Klinikum, Wilhelm-Külz-Str.13, 17033 Neubran<strong>de</strong>nburg<br />

59


Zur Alkoholabstinenz: Fragen und Antworten von<br />

Emil Kraepelin bis zur Gegenwart<br />

D. Schläfke<br />

Klinik für Forensische Psychiatrie · Klinikum <strong>de</strong>r Universität Rostock<br />

Zur Be<strong>de</strong>utung von Alkohol im 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />

Alkohol (dabei insbeson<strong>de</strong>re Wein und Bier) galt noch im 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt als therapeutisches<br />

Stärkungs- und Anregungsmittel (nach <strong>de</strong>m Heilsystem von John Brown aus 1800),<br />

z.B. bei asthenischen Krankheiten wie damals auch die Hypochondrie und Melancholie genannt<br />

wur<strong>de</strong>n. Daneben war bei Kneipp-Kuren mäßiges Biertrinken erlaubt, gab es als<br />

ärztliche Diätempfehlungen bei koronaren Herzerkrankungen <strong>de</strong>n Genuss von Rotwein.<br />

So war also Alkohol als Lebenselixier und Heilmittel auch in weiten Kreisen <strong>de</strong>r Ärzteschaft<br />

verbreitet.<br />

Kraepelin nannte im Psychiatrie-Compendium von 1883 (also <strong>de</strong>r 1. Auflage seines späteren<br />

Lehrbuchs) Alkohol als geeignetes Schlafmittel bei Melancholikern und als mögliches<br />

Stimulans bei Delirium tremens sowie verordnungsfähig in <strong>de</strong>r Depressionsbehandlung.<br />

Viele psychiatrische und allgemeine Kliniken wur<strong>de</strong>n also nicht abstinent geführt, son<strong>de</strong>rn<br />

gaben viel Geld für Alkohol als „Medikament“ aus!<br />

Die Abstinenzbewegung<br />

Mit verschie<strong>de</strong>nen wissenschaftlichen Veröffentlichungen rückte das Alkoholproblem im<br />

18. und 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt in das Interessenfeld <strong>de</strong>r Medizin und Öffentlichkeit.<br />

Trotter (ein schottischer Arzt, 1780) schrieb, dass die „Begier<strong>de</strong> nach häufiger Trunkenheit<br />

eine durch die chemische Natur <strong>de</strong>r alkoholischen Getränke hervorgerufene<br />

Krankheit“ sei, er ist damit gleichsam Vater <strong>de</strong>s Krankheitskonzeptes <strong>de</strong>s Alkoholismus.<br />

Magnus Huss (schwedischer Arzt) beschrieb zwischen 1849 und 1851 <strong>de</strong>n Begriff bzw. die<br />

Krankheit <strong>de</strong>s „Alcoholismus chronicus“.<br />

Vorbereiter für die Abstinenzbewegungen waren weitere wissenschaftliche Veröffentlichungen<br />

zum Thema Alkohol sowie <strong>de</strong>r aufgrund <strong>de</strong>r industriellen Branntweinherstellung<br />

entstan<strong>de</strong>ne „Elendsalkoholismus“ bzw. die sog. „Schnapspest“. So erkannte Gustav von<br />

Bunge (Basler Physiologieprofessor 1880): Durch Trinkerei wer<strong>de</strong> das menschliche Erbgut<br />

geschädigt und dadurch die Volksgesundheit gefähr<strong>de</strong>t, er for<strong>de</strong>rt daher ein Alkoholverbot<br />

und die Abstinenz für die Bevölkerung.<br />

Zwei Bewegungen entwickeln sich dabei, die Mäßigkeitsvereine (Enthaltsamkeit von<br />

Branntwein; Bier und Wein oft erlaubt) sowie die Abstinenzbewegung wie Guttempler,<br />

Blaukreuz und Arbeitervereine sowie Organisationen verschie<strong>de</strong>ner Berufsgruppen. Aus<br />

<strong>de</strong>r christliche Richtung seien genannt: evangelisch – Blaues Kreuz, katholisch – Kreuzbund;<br />

die humanistisch/pazifistische Richtung vertraten die Guttempler; aus <strong>de</strong>r politischen<br />

Richtung: Sozialistischer Abstinenten-Bund, Dt. Arbeiter-Abstinenten-Bund, Prohibition<br />

Party. 1896 erfolgte die Gründung <strong>de</strong>s Vereins abstinenter Ärzte <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen<br />

Sprachgebietes in Frankfurt a. M. (Vorsitz Forel; Kraepelin, Delbrück, Möbius im Vorstand).<br />

Auguste Forel (Schweizer Psychiater) ist als Aktivist <strong>de</strong>r sozialhygienischen Bewegung<br />

zu nennen, u.a. mit <strong>de</strong>r Gründung von Abstinenzvereinen, <strong>de</strong>r Bildung wissenschaftlicher<br />

Organisationen und <strong>de</strong>r Durchführung von Tagungen sowie <strong>de</strong>s Baus <strong>de</strong>r Trinkerheilanstalt<br />

Ellikon an <strong>de</strong>r Thur 1888/89.<br />

60


Aber noch aus 1913 datiert <strong>de</strong>r Rundbrief <strong>de</strong>s Vereins abstinenter Ärzte: „Wenn Frauenärzte<br />

immer noch stillen<strong>de</strong>n Frauen <strong>de</strong>n Genuß von recht viel Bier empfehlen, um dadurch<br />

die Milchabson<strong>de</strong>rung zu heben, wenn Kin<strong>de</strong>rärzte blutarmen Kin<strong>de</strong>rn Blutwein<br />

und Kraftbier verordnen usw. usw., so ist es nur zu begreiflich, wenn <strong>de</strong>rartige Gedankenlosigkeiten<br />

die Erbitterung jener besser unterrichteten Laien (die Abstinenzvereine) hervorrufen<br />

…“.<br />

Nach <strong>de</strong>m Ersten Weltkrieg verän<strong>de</strong>rn sich die sozialen Bedingungen erheblich und<br />

die Abstinenzbewegung verliert an Be<strong>de</strong>utung (selbst die „Internationale Monatszeitschrift<br />

zur Erforschung <strong>de</strong>s Alkoholismus und Bekämpfung <strong>de</strong>r Trinksitten“ stellt 1919<br />

zeitweilig ihr Erscheinen ein!).<br />

1935 grün<strong>de</strong>n sich in <strong>de</strong>n USA die „Anonymen Alkoholiker“ (AA) mit <strong>de</strong>m Grundkonzept<br />

<strong>de</strong>r Abstinenz und <strong>de</strong>r Gruppenarbeit. Durch die Weltwirtschaftskrise und <strong>de</strong>n 2.<br />

Weltkrieg kommt es in Deutschland erst spät zur Übernahme von Suchtkonzepten wie <strong>de</strong>r<br />

AA-Bewegung.<br />

Kraepelin hatte sich lange Zeit nicht damit auseinan<strong>de</strong>rgesetzt, ohne Alkohol leben zu<br />

wollen, in jungen Jahren auch alle Freu<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Lebens genossen. „…Natürlich besoff ich<br />

mich lästerlich …“ [Brief 1876 an seine Familie].<br />

Noch 1892 schrieb er an FOREL, dass er sich ein Leben in Abstinenz nicht vorstellen<br />

könne … „Ich habe schon häufig gefun<strong>de</strong>n, daß nach großen Anstrengungen, namentlich<br />

aber bei schwerer gemütlicher Depression, <strong>de</strong>r Alkohol für mich eine überaus wohltuen<strong>de</strong><br />

Wirkung hat, auf die ich um eines Prinzips willen mich nur dann zu verzichten entschließen<br />

könnte, wenn ich <strong>de</strong>n Beruf in mir fühlte, in so prononcirter Weise agitatorisch aufzutreten<br />

wie Sie.“<br />

Er än<strong>de</strong>rte bald seine Meinung wie das Zitat aus <strong>de</strong>n Lebenserinnerungen von Kraepelin<br />

belegt: „Als ich 1892 daran ging, an <strong>de</strong>r Hand meiner Versuche klarzulegen, unter welchen<br />

Bedingungen die Anwendung <strong>de</strong>s Alkohols aus seelischen Grün<strong>de</strong>n zweckmäßig sei,<br />

fand ich zu meiner Überraschung, daß, abgesehen von <strong>de</strong>m Wunsche, die Stimmung zu heben,<br />

eigentlich kein vernünftiger Anlaß zum Trinken auffindbar sei. Diese Erfahrung<br />

machte <strong>de</strong>swegen auf mich Eindruck, weil ich bis dahin die Nützlichkeit, ja Unentbehrlichkeit<br />

<strong>de</strong>s Alkoholgenusses für unbestritten gehalten hatte und meinte, man müsse eben<br />

<strong>de</strong>swegen seine großen Gefahren, die mir mein Beruf zeigte, mit in Kauf nehmen … Zuletzt<br />

versuchte ich noch im Frühling 1895 in Griechenland <strong>de</strong>n dortigen rizinierten Wein,<br />

freilich ohne Genuß. Als ich dann heimkehrte, faßte ich <strong>de</strong>n Entschluß, nunmehr endgültig<br />

<strong>de</strong>n Alkohol aufzugeben, um ihn möglichst wirksam bekämpfen zu können … Eine<br />

mich selbst angenehm überraschen<strong>de</strong> Begleiterscheinung meiner Alkoholenthaltsamkeit<br />

war das rasche und vollständige Verschwin<strong>de</strong>n meiner Migräne …“. Seit 1895 lebte er<br />

dann doch in Totalabstinenz und wirkte auf vielen Ebenen im Suchtbereich auch aufklärerisch,<br />

beson<strong>de</strong>rs aber wissenschaftlich.<br />

Kraepelins wissenschaftliche und organisatorische Aktivitäten in <strong>de</strong>r Abstinenzbewegung<br />

Kraepelin hatte sich bereits 1882 in Leipzig bei Wundt mit <strong>de</strong>n psychotropen Wirkungen<br />

von Stoffen (auch Alkohol) beschäftigt, zum Teil im Sinne einer experimentellen Pharmako-psychologie<br />

[„Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige<br />

Arzneimittel“]. Letztlich untersuchte er die Verän<strong>de</strong>rungen elementarer motorischer und<br />

psychischer Leistungen, die durch psychotrope Substanzen verursacht wur<strong>de</strong>n.<br />

Dabei bestimmten Kraepelin und seine Schüler Wirkungen in vier Abschnitten:<br />

• Prüfung seelischer Einzelfunktionen<br />

• Prüfung von Gesamtarbeitsleistungen<br />

• Untersuchung <strong>de</strong>r individuellen Toleranz<br />

• Untersuchung <strong>de</strong>r Nachwirkung<br />

61


Sein Gesamtergebnis lautete: Alkohol hemmt die Afferenzen, die sensiblen Vorgänge<br />

<strong>de</strong>s Nervensystems, während die Efferenzen geför<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n, d. h., motorische Impulse<br />

wer<strong>de</strong>n leichter ausgelöst! [„Alkohol führt initial zur Erleichterung und Beschleunigung<br />

vor allem motorischer Vorgänge, bald zur Lähmung <strong>de</strong>r sensorischen und intellectuellen<br />

Functionen. Neben <strong>de</strong>r Auffassungs- und Urtheilsstörung auch eine Steigerung <strong>de</strong>r centralen<br />

motorischen Erregbarkeit als Alkoholwirkung …“].<br />

Kraepelin benutzte seine experimental-psychologischen Ergebnisse aber wohl wenig,<br />

um die Abstinenzbewegung wissenschaftlich zu legitimieren – dies geschah eher durch Rezeption<br />

seiner Studien durch diese:<br />

• Insbeson<strong>de</strong>re das Ergebnis, dass die Versuchspersonen keine Gefühle für ihre Leistungsmängel<br />

hatten<br />

• Auch die Ergebnisse zur Toleranzentwicklung und <strong>de</strong>n Langzeitfolgen <strong>de</strong>r Alkoholeinnahme.<br />

Seine eigenen klinisch-therapeutischen Schlussfolgerungen aus diesen Arbeiten blieben<br />

gering.<br />

Kraepelin führte außer<strong>de</strong>m sowohl epi<strong>de</strong>miologische Untersuchungen an <strong>de</strong>r Klientel<br />

seiner Klinik durch als auch Studien zur Vererbungstheorie (unter <strong>de</strong>m Einfluss <strong>de</strong>r damaligen<br />

Entartungstheorie). Er nahm eine Rezeption <strong>de</strong>r Evolutionslehre von Charles Darwin<br />

und <strong>de</strong>s Entartungskonzeptes Morels vor und übernahm z. B. 1883 in seinem Psychiatrie-Compendium<br />

Morels Lehre: „…Wo die hereditären Einflüsse sich häufen, wie das namentlich<br />

bei Verwandtschaftsheirathen in neuropathisch disponirten Familien <strong>de</strong>r Fall zu<br />

sein scheint, da entsteht eine ‚organische Belastung’, da treten bei <strong>de</strong>r Descen<strong>de</strong>ns die<br />

schweren Formen <strong>de</strong>r psychischen Entartung hervor. Morel gibt für diese progressive erbliche<br />

Degeneration das folgen<strong>de</strong> allgemeine Schema:<br />

1. Generation: nervöses Temperament, sittliche Depravation, Excesse<br />

2. Generation: Neigung zu Apoplexien und schweren Neurosen, Alkoholismus<br />

3. Generation: psychische Störungen, Selbstmord, intellektuelle Unfähigkeit …“<br />

Alkohol sollte nach Kraepelin <strong>de</strong>r zentrale <strong>de</strong>generative Faktor sein – hier zeigen sich<br />

insbeson<strong>de</strong>re auch Verbindungen und Einflüsse zur „Rassenhygiene“ (z. B. nach Ploetz<br />

1895). Ab <strong>de</strong>r 4. Auflage seines Lehrbuchs 1893 erkannte Kraepelin im Alkoholkonsum<br />

(wie in <strong>de</strong>r Syphilis) einen kausalen Faktor <strong>de</strong>r Degeneration, <strong>de</strong>r eng mit <strong>de</strong>n schädlichen<br />

Folgen <strong>de</strong>r Zivilisation und Urbanisierung verknüpft war. Nach Kraepelin sollte Alkohol<br />

unmittelbar für 1 /4 bis 1 /3 aller psychischen Erkrankungsfälle verantwortlich sein – infolge<br />

von „Keimschädigung“ – sowie <strong>de</strong>r vermuteten sozialen Konsequenzen (z. B. <strong>de</strong>r Kriminalität).<br />

Schon in Hei<strong>de</strong>lberg sammelte er alle Nachrichten zur Kriminalität – viele begangene<br />

Delikte geschahen im Rausch und er folgerte, „…dass <strong>de</strong>r Rausch die bei weitem gemeingefährlichste<br />

Art <strong>de</strong>r Geistesstörung ist.“ Weiter beschrieb er, dass fast die Hälfte <strong>de</strong>r<br />

männlichen Trinker Vorstrafen hatten, die Delikte von gewalttätiger Natur waren wie<br />

Körperverletzungen, Hausfrie<strong>de</strong>nsbruch etc. und er darin eine Bestätigung für seine Auffassung<br />

sah, dass Alkohol die motorische Impulsauslösung erleichtere und die Kritikfähigkeit<br />

senke!<br />

Daraus wur<strong>de</strong> von ihm die notwendige Abstinenz abgeleitet sowie die erfolgreiche Gesundheitsaufklärung,<br />

Beschränkung <strong>de</strong>s Alkoholverkaufs, aber auch das persönliche Vorbild<br />

<strong>de</strong>s gebil<strong>de</strong>ten Bürgers (i. S. einer „volkshygienischen“ Prophylaxe).<br />

Für die Aktivitäten in <strong>de</strong>r Abstinenzbewegung seien aus diesem Forschungsbereich die<br />

Herausgabe von Wandtafeln zu „Alkohol und Entartung“ von Kraepelin und Gruber 1907<br />

beispielhaft aufgezeigt.<br />

62


Kraepelin war gleichwohl kein Propagandist, eher unphilosophisch, stets klinisch und<br />

pragmatisch ausgerichtet, so aufgrund seiner wissenschaftlichen Arbeiten <strong>de</strong>r Motor <strong>de</strong>r<br />

Bewegung. Er hatte gera<strong>de</strong> in München große Probleme und scheiterte bereits 1906 trotz<br />

einiger Mäzene am Wi<strong>de</strong>rstand staatlicher Stellen mit <strong>de</strong>m Versuch, eine Trinkerheilanstalt<br />

zu grün<strong>de</strong>n.<br />

Wegen seiner Arbeiten hatte er viele Gegner in <strong>de</strong>r Industrie, sogar seine Berufung als<br />

Leiter <strong>de</strong>r Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie wur<strong>de</strong> damals aus Angst von diesen<br />

hintertrieben!<br />

Immer wie<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong>n auch seine wissenschaftlichen Arbeiten in Frage gestellt bzw.<br />

verleum<strong>de</strong>t o<strong>de</strong>r Ergebnisse verfälscht wie<strong>de</strong>rgegeben – die Tagespresse ignorierte die Bewegung<br />

o<strong>de</strong>r zog sie ins Lächerliche. Die Abstinenzvereine hatten meist nur eigene Publikationsorgane.<br />

Beson<strong>de</strong>rs betroffen machte Kraepelin, dass gera<strong>de</strong> auch Ärzte ihn<br />

bekämpften und seine Forschungen verunglimpften. Sein Argument blieb: Die abstinente<br />

Haltung sei kein Selbstschutz willensschwacher Individuen, son<strong>de</strong>rn es wer<strong>de</strong> ein Beispiel<br />

gegeben, um die Trinksitten zu durchbrechen und Gefähr<strong>de</strong>te vor <strong>de</strong>r Verführung zu bewahren.<br />

Beispielhaft ein Gedicht Kraepelins aus 1910:<br />

Geselligen Pflichten<br />

Gilt heute mein Dichten,<br />

Dem scheusslichen Moloch,<br />

Verknüpft mit Alk’hol ooch,<br />

Dem gräulichen Götzen,<br />

Vor <strong>de</strong>m voll Entsetzen<br />

Sich flüchten gescheidte,<br />

Vernünftige Leute<br />

Gleichwohl scheiterte die Abstinentenbewegung und die I<strong>de</strong>e Kraepelins letztlich auch<br />

<strong>de</strong>shalb, weil die Alkoholismusentstehung rein auf die alkoholtoxische Basis gestellt wur<strong>de</strong>,<br />

von <strong>de</strong>r Eigenständigkeit psychologischer Faktoren o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s seelischen Lebens hielt<br />

auch <strong>de</strong>r Psychologe Kraepelin nicht viel!<br />

Ein großes Verdienst <strong>de</strong>r Abstinenzler kommt ihnen aber auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r Entwicklung<br />

<strong>de</strong>r Rehabilitation zu, insbeson<strong>de</strong>re auch in <strong>de</strong>r Errichtung von Trinkerheilanstalten.<br />

Aktuelle Situation und Diskussion<br />

Es gibt keine wirkliche Abstinenzbewegung in <strong>de</strong>r Bevölkerung, son<strong>de</strong>rn lediglich in <strong>de</strong>n<br />

Entwöhnungsbehandlungen und Betreuungsorganisationen steht Abstinenz im Vor<strong>de</strong>rgrund.<br />

Der Abstinenzbewegung nahe stehend ist die Prävention zu bezeichnen. Die <strong>de</strong>rzeitige<br />

Situation dazu ist in Mitteleuropa folgen<strong>de</strong>rmaßen zu beschreiben (Feuerlein et al. 1<strong>99</strong>8):<br />

• Die „Griffnähe“ <strong>de</strong>s Alkohols ist praktisch unbegrenzt (Wohlstand)<br />

• Deutliche Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Trinkgewohnheiten<br />

(Trinken eher zu Hause und weitgehend ohne soziale Kontrolle)<br />

• Zunahme von trinkverstärken<strong>de</strong>n Bedingungen<br />

(Spannung, Angst, Langeweile, unbewältigte Freizeit, Arbeitslosigkeit)<br />

• Einstellungsän<strong>de</strong>rungen in <strong>de</strong>r Bevölkerung<br />

(Recht auf Rausch, Recht auf Selbstverwirklichung, Wissenschaftsfeindlichkeit)<br />

Einstellungsän<strong>de</strong>rungen können immer noch über edukativ-kommunikative Maßnahmen<br />

erzielt wer<strong>de</strong>n. Ziel ist die Einstellungsän<strong>de</strong>rung gegenüber <strong>de</strong>r Allerweltsdroge Al-<br />

63


kohol und <strong>de</strong>s Abbaus <strong>de</strong>s positiven Images alkoholischer Getränke und <strong>de</strong>r Konsumenten<br />

in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit, das meist durch indirekte Werbung gepflegt wird.<br />

Zielgruppen sind:<br />

• Meinungsführer und Multiplikatoren <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />

(Journalisten, Schauspieler u. a. Künstler, Politiker, Lehrer, Richter, Sportler)<br />

• Personen, die beruflich direkt mit <strong>de</strong>m Problem Alkohol zu tun haben<br />

(Ärzte, Sozialpädagogen, Psychologen, Polizeibeamte)<br />

• Beson<strong>de</strong>rs unfallträchtige Betriebe<br />

• Temporär alle Personen, die ein Fahrzeug führen<br />

Weitere Zielgruppen im Sinne von Risikopersonen:<br />

• Kin<strong>de</strong>r, bei <strong>de</strong>nen min<strong>de</strong>stens ein Elternteil große Alkoholprobleme hat<br />

• Kin<strong>de</strong>r mit Anpassungsstörungen in <strong>de</strong>r Schule wegen geringer Impulskontrolle<br />

• Schwangere Frauen, <strong>de</strong>ren Alkoholmissbrauch für ihre Kin<strong>de</strong>r ein großes Risiko darstellen<br />

wür<strong>de</strong> (z. B. kognitive Beeinträchtigungen)<br />

Gera<strong>de</strong> in englischsprachigen Län<strong>de</strong>rn und Skandinavien gibt es dazu etliche Aktivitäten.<br />

Genannt seien Preiserhöhungen, die Erschwerung von Kauf und Konsum, die Beschränkung<br />

von Öffnungs- und Verkaufszeiten – verbun<strong>de</strong>n mit einem Kauf-Min<strong>de</strong>stalter,<br />

die Verschärfung von „drinking driving laws“ und/o<strong>de</strong>r ihrer Kontrollen sowie die Werbungseinschränkungen.<br />

Als Ziele edukativer Maßnahmen wur<strong>de</strong>n formuliert (Feuerlein et al. 1<strong>99</strong>8):<br />

• Vermin<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Alkoholverbrauchs<br />

• Schutz Min<strong>de</strong>rjähriger und junger Erwachsener<br />

• Schutz unbeteiligter Dritter (z. B. Unfallopfer)<br />

• Stärkung <strong>de</strong>s eigenen Verantwortungsgefühls und Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Einstellung gegenüber<br />

Alkohol<br />

Dazu dienen die folgen<strong>de</strong>n Konzepte:<br />

1. Informationsvermittlung<br />

2. Affektive Erziehung und Lebenskompetenztraining<br />

3. Standfestigkeitstraining („Neinsagen“)<br />

4. Massenmedienkampagnen<br />

Solche Programme existieren z. B. an unseren Schulen nicht.<br />

Dagegen gibt es seit einigen Jahren das Konzept <strong>de</strong>s kontrollierten Trinkens nach<br />

Körkel und Mitarbeitern (z. B. 2005), das sehr an die Temperenzbewegung erinnert.<br />

Ziel ist die Trinkmengenreduktion und die Trinksituationskontrolle <strong>de</strong>r Proban<strong>de</strong>n:<br />

• Sinnvoll, wenn Abhängigkeitsentwicklung noch nicht weit fortgeschritten und kein<br />

körperlicher, psychischer o<strong>de</strong>r sozialer Scha<strong>de</strong>n<br />

• Bei Menschen mit riskantem und schädlichem Konsum<br />

• „Zweitbeste“ Lösung bei Alkoholabhängigen, die nicht zur Abstinenz zu motivieren<br />

sind (?)<br />

Das Erlernen kontrollierten Trinkens erfor<strong>de</strong>rt ein so hohes Ausmaß an Kontrollfähigkeit<br />

und -bereitschaft, an Planungsfähigkeit/-bereitschaft, dass es sich eher um ein hochschwelliges<br />

Angebot für Alkoholabhängigkeitskranke han<strong>de</strong>lt – bzw. eigentlich die Kompetenzen<br />

eines recht gesun<strong>de</strong>n Menschen erfor<strong>de</strong>rlich sind!<br />

Deshalb ist es kein Konzept für:<br />

• Schwerstabhängige o<strong>de</strong>r chronisch mehrfach geschädigte Alkoholiker (wie es einige<br />

Heimkonzepte vorhalten).<br />

64


• Gera<strong>de</strong> bei Schwerstabhängigen müssen die schon vorhan<strong>de</strong>nen Schä<strong>de</strong>n beachtet wer<strong>de</strong>n,<br />

die unter <strong>de</strong>r im chronischen Stadium bereits eingetretenen Alkoholintoleranz auch<br />

in kleinen Mengen weiter verstärkt wer<strong>de</strong>n! Hier müssen ein<strong>de</strong>utig psycho- und sozialtherapeutische<br />

Maßnahmen im Vor<strong>de</strong>rgrund stehen.<br />

• Aber auch bei körperlichen Vorschädigungen und durchgemachten schweren Entzugssyndromen<br />

• Schwangerschaftsplanung, Stillen eines Kin<strong>de</strong>s, notwendige Medikamenteneinnahme<br />

• Wenn durch Alkoholkonsum bereits Gesetzesverstöße, Gewalttätigkeiten und Fehlhandlungen<br />

aufgetreten sind<br />

Diese Konzepte wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>shalb in <strong>de</strong>r Fachgesellschaft zum Teil sehr kontrovers diskutiert.<br />

Deshalb muss wohl als <strong>de</strong>rzeitige Konsequenz aufgeführt wer<strong>de</strong>n, die Etablierung einer<br />

alkoholfreien Gesellschaft erscheint chancenlos!<br />

Literatur (Auswahl)<br />

Feuerlein, W., Küfner, H., Soyka, M.: Alkoholismus – Missbrauch und Abhängigkeit. Stuttgart, New York:<br />

Thieme 1<strong>99</strong>8.<br />

Körkel, J., Kruse, G.: Mit <strong>de</strong>m Rückfall leben. Abstinenz als Allheilmittel? 4. überarbeitete Auflage, Bonn:<br />

Psychiatrie-Verlag 2005.<br />

Schmidt, T.: Emil Kraepelin und die Abstinenzbewegung. Dissertation, Universität München 1982.<br />

Weber, M. M.: „Natürlich besoff ich mich lästerlich…“ – Kraepelin und die Abstinenzbewegung um 1900.<br />

Sucht 2003; 49: 34-41.<br />

Verfasser:<br />

Prof. Dr. Detlef Schläfke, Klinikum <strong>de</strong>r Universität Rostock, Leiten<strong>de</strong>r Arzt<br />

<strong>de</strong>r Klinik für Forensische Psychiatrie, PF 10 08 88, 18055 Rostock, Tel. (0381) 494 4800,<br />

Fax (0381) 494 4802<br />

65


Katrin Eckert, 12. Klasse<br />

66


Rhetorikwettstreit 2007<br />

Der Rotary-Club Neubran<strong>de</strong>nburg rief alle Gymnasien unserer Region zum 6. Rhetorikwettstreit<br />

2007 auf. Am 5. März 2007 wetteiferten Vertreter aus <strong>de</strong>n acht Gymnasien, die sich vorher bei<br />

Schulausschei<strong>de</strong>n qualifiziert hatten, um die begehrten ersten Plätze. Die Redner konnten sich im<br />

Vorfeld auf eines <strong>de</strong>r folgen<strong>de</strong>n Themen vorbereiten:<br />

1. Lebenslanges Lernen, ja – aber was?<br />

2. „Frage nicht, was <strong>de</strong>in Land für dich tun kann, son<strong>de</strong>rn frage, was du für <strong>de</strong>in Land tun kannst.“<br />

(John F. Kennedy)<br />

3. Wie viel Islam verträgt unsere (un)christliche Welt?<br />

Neben einem durchdachten und systematisch geglie<strong>de</strong>rten Vortrag mussten die Redner auch durch<br />

ihr Auftreten überzeugen.<br />

Dem Schulausscheid am Gymnasium Carolinum am 17. Januar 2007 stellten sich vier Schülerinnen<br />

und Schüler <strong>de</strong>r Jahrgangsstufe 12 und äußerten sich zu allen drei Themen. Als Siegerin ging Kathrin<br />

Rupprecht aus <strong>de</strong>m Wettstreit hervor. Sie vertrat ihre Schule beim zentralen Ausscheid, <strong>de</strong>r am<br />

Sportgymnasium in Neubran<strong>de</strong>nburg durchgeführt wur<strong>de</strong>. Hier erkämpfte sie sich mit ihren Gedanken<br />

zum Thema 3 einen beachtlichen 2. Platz gegen eine harte Konkurrenz. Sie überzeugte die Jury<br />

mit persönlichen Eindrücken zum Leben nach <strong>de</strong>m Koran, die sie durch ihr Austauschjahr in Malysia<br />

in einer muslimischen Familie sammeln konnte. Mit ihren Ausführungen, die auf <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Seiten<br />

nach zu lesen sind, regte sie so manchen Zuhörer an, sich Gedanken über Werte im Zusammenleben<br />

<strong>de</strong>r Menschen zu machen.<br />

Cornelia Holm<br />

Lehrerin am Carolinum<br />

Der amtieren<strong>de</strong> Schulleiter Olaf Müller beglückwünscht Kathrin Rupprecht.<br />

67


Meine sehr verehrten Damen und Herren,<br />

liebe anwesen<strong>de</strong>n Lehrer und Schüler,<br />

Wieviel Islam verträgt unsere<br />

(un)christliche Gesellschaft?<br />

einmal ganz ehrlich: Was wissen Sie über <strong>de</strong>n Islam?<br />

Der Islam… ist das nicht die Religion, in <strong>de</strong>r sich die Frauen verschleiern müssen und die Männer<br />

mit Maschinengewehren in <strong>de</strong>n „Heiligen Krieg“ ziehen? Ach ja, die Moslems, die kein Schweinefleisch<br />

essen und fünf mal am Tag zu ihrem Allah zu beten…<br />

Lei<strong>de</strong>r stößt hier das Wissen <strong>de</strong>s durchschnittlichen Mitteleuropäers über <strong>de</strong>n Islam bereits an seine<br />

Grenzen. Und dabei re<strong>de</strong>n wir nicht über eine unbe<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> Glaubensrichtung, son<strong>de</strong>rn über die<br />

zweitgrößte Religion <strong>de</strong>r Welt nach <strong>de</strong>m Christentum!<br />

Ein Fünftel <strong>de</strong>r Menschheit sind bekennen<strong>de</strong> Anhänger <strong>de</strong>s Islam. Und auch in <strong>de</strong>r BRD leben<br />

etwa 3 Millionen Muslime. Das sind etwa so viele Menschen, wie Berlin Einwohner hat.<br />

Erstaunlich also, dass wir hier, im sonst so weltoffenen Deutschland so wenig über <strong>de</strong>n Islam wissen,<br />

nicht wahr?<br />

Zugegeben, das Bild, das uns durch die Medien vom Islam vermittelt wird, ist ziemlich furchteinflößend<br />

und abschreckend.<br />

Ob es nun Terroristen sind, die mit Anschlägen in Europa drohen, Hassprediger, die zum Jihad<br />

aufrufen o<strong>de</strong>r Islamisten, die, wie erst kürzlich wie<strong>de</strong>r, im Ausland Deutsche entführen um Lösegeld<br />

zu erpressen. – Die Gewaltbereitschaft <strong>de</strong>r Moslems wird uns immer wie<strong>de</strong>r vor Augen geführt. Geschürt<br />

durch die Medien aber auch durch gezielte Propaganda ist in <strong>de</strong>n USA aber auch in Europa<br />

eine regelrechte „Islam-phobie“ entstan<strong>de</strong>n.<br />

Wenn man nun vor so einem Hintergrund die Allgemeinheit fragt: „Wieviel Islam verträgt unsere<br />

(un)christliche Gesellschaft?“ so wird man auf <strong>de</strong>n Islam bezogen nur auf Ablehnung stoßen. Und<br />

warum? Weil wir hier in Deutschland doch viel zu wenig über das islamische Leben wissen um diese<br />

Frage objektiv beantworten zu können!<br />

Unser Bild vom Islam ist durchtränkt von Vorurteilen, manipuliert durch die Medien. Aber das,<br />

was uns da vermittelt wird, ist nur ein Bruchteil <strong>de</strong>r Realität!<br />

Gewaltbereite, religiöse Gruppen <strong>de</strong>s Islams wer<strong>de</strong>n zu Repräsentanten ihrer ganzen Religion gemacht.<br />

Diese Verallgemeinerung führt zwangsläufig zu Vorurteilen gegenüber allen Moslems. Was unsere<br />

Gesellschaft betrifft, so besitzen wir diesbezüglich viel zu wenig Weitsicht um ein authentisches Bild<br />

vom Islam zu entwickeln.<br />

O<strong>de</strong>r haben Sie sich schon einmal gefragt, was die Grundlagen <strong>de</strong>s Islams eigentlich sind und wie<br />

ein Moslem diese in seinem Alltag umsetzt?<br />

Was mich betrifft, so hatte ich die einmalige Möglichkeit, selbst Erfahrungen mit <strong>de</strong>m Leben im Islam<br />

zu machen. Im Rahmen eines Schüleraustausches habe ich ein Jahr in Malaysia verbracht. Die<br />

Staatsreligion Malaysias ist <strong>de</strong>r Islam und ich habe auch in einer muslimischen Gastfamilie gewohnt.<br />

Natürlich habe ich versucht möglichst unvoreingenommen an mein Austauschjahr heranzugehen,<br />

doch wenn ich jetzt behaupten wür<strong>de</strong>, ich hätte gar keine Vorurteile gehabt, so wäre das gelogen. Ich<br />

hatte ganz automatisch vorgefasste Ansichten zum Islam, vor allem was die Frauenrolle, die Weltoffenheit<br />

und die Gewaltbereitschaft <strong>de</strong>r Moslems betraf.<br />

Ich kann Ihnen aber versichern, meine Damen und Herren, dass ich während meines gesamtes Jahres<br />

nicht einen Muslim getroffen habe, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Vorurteilen <strong>de</strong>r westlichen Welt entsprach!<br />

Viel mehr haben mich die festen Wertevorstellungen und Lebensansichten <strong>de</strong>r Menschen dort fasziniert<br />

und ich habe viel über <strong>de</strong>n Islam gelernt..<br />

Es gibt viele Regeln im Leben eines Moslems, vor allem bezüglich <strong>de</strong>r täglichen Gebetszeiten, <strong>de</strong>r<br />

Klei<strong>de</strong>rordnung, <strong>de</strong>r Nahrungsmittel aber auch zum <strong>de</strong>m Umgang <strong>de</strong>r Menschen untereinan<strong>de</strong>r. Eine<br />

69


wichtige Grundlage im Leben eines Moslems ist die Hilfsbereitschaft. Sie gehört zu <strong>de</strong>n 5 Grundpfeilern<br />

<strong>de</strong>s Islams.<br />

Für einen muslimischen Menschen ist es eine Selbstverständlichkeit regelmäßig einen gewissen<br />

Prozentsatz seines Einkommens Bedürftigen zu spen<strong>de</strong>n.<br />

Gäste sind immer gern gesehen und wer<strong>de</strong>n herzlich aufgenommen.<br />

So gibt es in Malaysia z.B. die schöne Tradition <strong>de</strong>s „Open-House“. Ein ,,Open-House“ wird vorallem<br />

zu Familienfesten wie Hochzeiten veranstaltet. Dabei wird ganz viel gekocht, es kann <strong>de</strong>n ganzen<br />

Tag lang kommen, wer will, um zu essen, zu trinken und <strong>de</strong>m Brautpaar zu gratulieren.<br />

Könnten sie sich so etwas in Deutschland auch nur vorstellen? Sie geben eine private Feier und es<br />

kommen wildfrem<strong>de</strong> Leute in ihr Haus um sich satt zu essen und ein paar nette Worte auszutauschen…<br />

In Deutschland wäre so etwas doch un<strong>de</strong>nkbar! Hier, im heutigen Deutschland, geht unsere Hilfsbereitschaft<br />

nicht einmal mehr soweit, dass man im Bus einer älteren Dame seinen Platz anbieten<br />

wür<strong>de</strong>! Und das, obwohl auch das Christentum von Nächstenliebe spricht!<br />

Vom Werteverfall können wir in unseren heutigen Gesellschaft doch durchaus sprechen, <strong>de</strong>nn was<br />

für immaterielle, durch die Religionen vermittelte, Werte sind <strong>de</strong>n Menschen heutzutage noch wichtig?<br />

Am Weihnachtsfest sehen wir das beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>utlich. Obwohl das Fest an sich einen religiösen<br />

Hintergrund hat, wird es doch je<strong>de</strong>s Jahr durch <strong>de</strong>n Kommerz materieller gemacht und verliert seinen<br />

eigentlichen Sinn. Religion und damit verbun<strong>de</strong>ne Werte wer<strong>de</strong>n aus unserem Alltag immer<br />

mehr verdrängt!<br />

Bei so einer Ten<strong>de</strong>nz braucht sich niemand wun<strong>de</strong>rn, warum unsere Gesellschaft, so kühl und egoistisch,<br />

ja unchristlich wirkt.<br />

Interessant ist, dass man dies erst merkt, wenn man einen Kontrast erlebt. Mir ist die Distanziertheit<br />

und die emotionale Kälte <strong>de</strong>r Deutschen beson<strong>de</strong>rs aufgefallen als ich aus Malaysia zurück gekommen<br />

bin.<br />

Und ja, ich vermisse das islamische Leben, das einerseits zwar so viele Regeln und Vorschriften beinhaltet,<br />

aber an<strong>de</strong>rerseits auch so viel mehr Ordnung und Sicherheit bietet. Leben in Deutschland<br />

ist an<strong>de</strong>rs. Es mag liberaler sein, aber <strong>de</strong>swegen ist es nicht unbedingt besser.<br />

Der Unterschied zwischen bei<strong>de</strong>n Arten zu leben, in Malaysia und in Deutschland, hat viel mit <strong>de</strong>r<br />

Rolle zu tun, die die Religion im jeweiligen Kulturkreis spielt.<br />

Die <strong>de</strong>utsche Kultur ist im Christentum verwurzelt. Unsere Geschichte ist eng mit <strong>de</strong>m christlichen<br />

Glauben verbun<strong>de</strong>n. Aber diese Verbun<strong>de</strong>nheit ist im Laufe <strong>de</strong>s letzten Jahrhun<strong>de</strong>rts immer mehr<br />

verloren gegangen und heute ist sie <strong>de</strong>m Einzelnen kaum noch bewusst.<br />

Vielleicht ist auch gera<strong>de</strong> das ein Grund, warum die religiöse Strenge <strong>de</strong>s Islam in Deutschland so<br />

kritisch gesehen wird.<br />

Obwohl zum Beispiel in Deutschland Religionsfreiheit herrscht, ist es muslimischen Lehrerinnen<br />

in 6 <strong>de</strong>utschen Bun<strong>de</strong>sstaaten verboten, ein Kopftuch bei <strong>de</strong>r Arbeit zu tragen. Dies wur<strong>de</strong> erst vor<br />

kurzem wie<strong>de</strong>r vom bayerischen Verfassungsgericht bestätigt. In <strong>de</strong>r Urteilsbegründung hieß es unter<br />

an<strong>de</strong>rem, das Kopftuch sei ein Ausdruck für eine Haltung, die mit unseren „ christlich-abendländischen<br />

Werten (…)“ nicht vereinbar sei.<br />

Die Wahrheit ist jedoch, dass Islam und Christentum nicht so komplementär sind ,wie sie so oft<br />

dargestellt wer<strong>de</strong>n. Bei<strong>de</strong> monotheistischen Religionen haben im Grun<strong>de</strong> viel gemeinsam. Wer zum<br />

Beispiel <strong>de</strong>n Koran, das heilige Buch <strong>de</strong>r Moslems, aufschlägt, wird auch dort Adam und Eva, Moses,<br />

Maria, Jesus und viele an<strong>de</strong>re erwähnt fin<strong>de</strong>n und da heißt es unter an<strong>de</strong>rem in Koran-Sure 29, Vers<br />

46 an die Christen gerichtet:<br />

„Wir glauben an das, was zu uns herabgesandt wur<strong>de</strong> und was zu euch herabgesandt wur<strong>de</strong>. Unser<br />

Gott und euer Gott ist ein <strong>de</strong>rselbe. Und Ihm sind wir ergeben.“<br />

Sie sehen also, meine Damen und Herren, <strong>de</strong>r Konflikt liegt nicht zwischen Islam und Christentum,<br />

son<strong>de</strong>rn zwischen einem Leben mit und ohne festgeschriebenen Wertevorstellungen.<br />

Die Frage muss folglich nicht lauten: „Wieviel Islam verträgt unsere Gesellschaft?“ son<strong>de</strong>rn „Wieviel<br />

Werte braucht sie?“<br />

Der Islam ist keine Alternative für eine unchristliche Gesellschaft. Im Gegenteil, er sollte als Vorbild<br />

fungieren für ein Leben mit Religion.<br />

70


Ich fin<strong>de</strong>, es ist wichtig, dass wir uns auf die Werte und moralischen Vorstellungen <strong>de</strong>s Christentums<br />

zurück besinnen und wie<strong>de</strong>r anfangen bewusster nach ihnen zu leben, so wie die Moslems es mit<br />

ihrem Glauben tun.<br />

Was <strong>de</strong>n Dialog zwischen Islam und Christentum betrifft, so betonte gera<strong>de</strong> Papst Benedikt XVI.<br />

in letzter Zeit immer wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>ssen enorme Be<strong>de</strong>utung.<br />

Während seines Besuches in <strong>de</strong>r Türkei äußerte er sich zu <strong>de</strong>m Thema folgen<strong>de</strong>rmaßen:<br />

„Bei<strong>de</strong> Religionen teilen <strong>de</strong>n Glauben »an <strong>de</strong>n einen Gott« sowie an die beson<strong>de</strong>re Wür<strong>de</strong> je<strong>de</strong>s<br />

einzelnen Menschen.“<br />

Gera<strong>de</strong> diese Gemeinsamkeiten sind es, auf die wir uns stützen sollten anstatt auf die vielen, kleinen<br />

Unterschie<strong>de</strong> zu achten. Gera<strong>de</strong> hier ist Toleranz gefragt!<br />

Denn im Grun<strong>de</strong> verfolgen Islam, Christentum, und auch alle an<strong>de</strong>ren Religionen vor allem eines:<br />

sie geben <strong>de</strong>n Menschen Richtlinien um in Frie<strong>de</strong>n zu leben.<br />

Und es liegt an je<strong>de</strong>m einzelnen von uns, meine Damen und Herren, sein Leben nach diesen<br />

Grundsätze auszurichten und so <strong>de</strong>n Gedanken <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns zu verwirklichen.<br />

Kathrin Rupprecht<br />

Klasse 12<br />

71


Daniel-San<strong>de</strong>rs-Sprachpreis 2007<br />

Der amtieren<strong>de</strong> Schulleiter Olaf Müller gratuliert <strong>de</strong>r<br />

Preisträgerin Josephin Bienert<br />

15 Jahre jung und Schülerin. Was also anfangen<br />

mit <strong>de</strong>r „vielen” freien Zeit neben<br />

<strong>de</strong>m harten aber herzlichen Schulalltag?<br />

Eine gar nicht so einfache Frage, wie ich<br />

fin<strong>de</strong>. Sportlich aktiv war ich schon sieben<br />

Jahre lang und aus Zeitmangel war das<br />

Training plus Wettkämpfe nicht mehr drin.<br />

Also musste ich mich umorientieren und<br />

das ZiSch-Projekt gab mir <strong>de</strong>n richtigen<br />

Anstoß. Ich begeisterte mich für das<br />

Schreiben und wur<strong>de</strong> mit offenen Armen<br />

in <strong>de</strong>r Redaktion <strong>de</strong>r Strelitzer Zeitung<br />

empfangen. Ich bin nun schon seit drei<br />

Jahren dabei und stolz darauf einen Teil<br />

<strong>de</strong>r ehrenvollen Aufgabe zu übernehmen<br />

und die wöchentliche Jugendseite mitzugestalten.<br />

Kaum zu glauben, aber wahr: Ich wur<strong>de</strong><br />

erst im letzten Jahr auf <strong>de</strong>n Daniel-San<strong>de</strong>rs-Sprachpreis<br />

aufmerksam. Und durch<br />

wen? Natürlich durch die vorbildlichen<br />

Kollegen. Ich setzte mich also an <strong>de</strong>n<br />

nächsten freien PC und informierte mich<br />

über Thema und Anfertigung <strong>de</strong>r Arbeit.<br />

Zu <strong>de</strong>m diesjährigen Thema „Konzertbesuche<br />

2006” fiel mir allerhand ein und ich<br />

entschied mich kurzerhand teilzunehmen.<br />

Kein leichtes Vorhaben, wie sich herausstellte,<br />

<strong>de</strong>nn neben Schule, Nordkurier und<br />

Sprachpreis lief auch noch die Fahrschule, aber ich habe es doch noch rechtzeitig geschafft meine<br />

Texte übers Immergut, Silbermondkonzert und das Carocktikum in sechsfacher Ausfertigung einzureichen.<br />

Nun hieß es bangen und hoffen, <strong>de</strong>nn schließlich hat je<strong>de</strong>r Bewerber seinen eigenen Stil und <strong>de</strong>n<br />

hieß es zu repräsentieren. Am 14. April war es endlich soweit: Preisverleihung in <strong>de</strong>r Stadtbibliothek<br />

Neustrelitz mit Bürgermeister, Stadtvertretung und Jury. Insgesamt wur<strong>de</strong>n zehn Texte eingereicht.<br />

Die harte Arbeit wur<strong>de</strong> belohnt und mein „Brief an eine Freundin anlässlich <strong>de</strong>s Immergut Festivals<br />

2006” wur<strong>de</strong> prämiert und damit habe ich mich in meiner Kategorie „11. bis 13. Klasse/Berufsschule”<br />

durchgesetzt. Natürlich war die Freu<strong>de</strong> groß und hiermit ein großes Dankeschön an alle, die mich beglückwünscht<br />

haben und an die, die immer an mich geglaubt haben.<br />

Also macht was aus euren Talenten und zeigt, was ihr könnt! Fleiß wird über kurz o<strong>de</strong>r lang immer<br />

belohnt!<br />

Brief an eine Freundin anlässlich <strong>de</strong>s Immergut Festivals 2006<br />

Ein rockiges Hallo von <strong>de</strong>iner Freundin aus Neustrelitz,<br />

eine ziemlich ungewöhnliche Begrüßung von mir, aber du weißt ja, was je<strong>de</strong>s Jahr im Mai bei mir ansteht:<br />

Das Immergut-Festival mit mehr als 5000 Besuchern. So viel Andrang ist unsere schöne kleine<br />

Kreisstadt gar nicht gewöhnt. Auf diesem Wege möchte ich dir ausführlich vom letzten Maiwochenen<strong>de</strong><br />

erzählen:<br />

Der Name war mal wie<strong>de</strong>r Programm. Das diesjährige Immergut-Festival unter <strong>de</strong>m Motto „Convallaria<br />

Majalis” fiel wettertechnisch ziemlich ins Wasser und wir hatten Zustän<strong>de</strong> wie auf einem<br />

Woodstock-Festival. Trotz Gummistiefel- und Regenschirmalarm ließen wir, erprobte Campermä-<br />

73


<strong>de</strong>ls, uns nicht klein kriegen. Sechs Mädchen, die zusammen zelten und auch <strong>de</strong>n mehrstündigen Aufbau<br />

<strong>de</strong>r Nachtlager in Kauf nehmen, können doch nur Spaß miteinan<strong>de</strong>r haben, o<strong>de</strong>r?! Nach<strong>de</strong>m wir<br />

uns also mit all unseren Klamotten, Zelten, Schlafsäcken und <strong>de</strong>m eher spärlich ausgefallenem Essen<br />

unseren Platz vom Vorjahr gesichert hatten und nach einigen Minuten.. .okay Stun<strong>de</strong>n Zeltaufbau<br />

beschäftigt waren, schauten wir uns erstmal um, was uns dieses Wochenen<strong>de</strong> erwarten wird. Die Karten<br />

hatten wir im Zeitalter <strong>de</strong>r Technik natürlich vorher per Internet reserviert und uns auch schon<br />

über die musikalischen Highlights informiert. Wie immer bot uns <strong>de</strong>r Veranstalter eine riesige Bandbreite<br />

an großartigen Künstlern; ich erwähne nur die „Yeah Yeah Yeahs”, „Mia.” o<strong>de</strong>r „Tomte”, die<br />

selbst du als Nicht-Neustrelitzerin bzw. Hollän<strong>de</strong>rin kennen müsstest. Wenn nicht, dann kann ich guten<br />

Gewissens sagen, dass es dir gefallen wür<strong>de</strong>.<br />

Es war Freitag, 17 Uhr, und das Immergut-Festival 2006 öffnete seine Tore und <strong>de</strong>n Anfang machten<br />

„Midlake”, die <strong>de</strong>n US-Folkrock ins Jahr 2006 beamten. Das gelang ihnen erstklassig und nicht<br />

nur ich, son<strong>de</strong>rn auch die an<strong>de</strong>ren Festivalbesucher waren hin und weg. Auf uns wartete ein Abend<br />

voller klasser Performances von „Art Brut”, „Blumfeld” und vielen mehr. Die beste Bühnenshow <strong>de</strong>s<br />

Abends lieferten ein<strong>de</strong>utig die „Yeah Yeah Yeahs”, da Frontfrau Karen O. mal wie<strong>de</strong>r vollen Körpereinsatz<br />

zeigte. Der erste Tag neigte sich gegen 2 Uhr morgens <strong>de</strong>m En<strong>de</strong>, musikalisch gesehen je<strong>de</strong>nfalls.<br />

Nach<strong>de</strong>m die letzte Nacht selbst für geübte Festivalgänger wie uns ziemlich kurz geraten war, war<br />

tagsüber mit uns auch nicht viel los. Neben <strong>de</strong>m fehlen<strong>de</strong>n Schlaf und <strong>de</strong>m gar nicht zum Immergut<br />

passen<strong>de</strong>n andauern<strong>de</strong>m Regen waren wir auch überhaupt nicht in <strong>de</strong>r Stimmung beim anstehen<strong>de</strong>n<br />

Fußballturnier mitzuwirken. Also bestand unser Tagesablauf nach einem ausgiebigen Katerfrühstück<br />

aus Besuchen bei <strong>de</strong>n „Nachbarn” und Dauerbeschallung vom Radio mit „Clueso” und „Mia.”. Und<br />

schon war es halb vier und das Immergut startete in die zweite Run<strong>de</strong>. Der Regen machte uns lei<strong>de</strong>r<br />

einen Strich durch die Rechnung, doch <strong>de</strong>n Auftritt von „Mia.” und „Tomte” wollte ich mir <strong>de</strong>finitiv<br />

nicht entgehen lassen. Also machten meine Mä<strong>de</strong>ls und ich uns gegen 20 Uhr auf <strong>de</strong>n Weg zur<br />

Hauptbühne und siehe da, <strong>de</strong>r Wettergott hatte Erbarmen mit uns. Die nächste Stun<strong>de</strong> war mein persönlicher<br />

Höhepunkt <strong>de</strong>s ganzen Wochenen<strong>de</strong>s. Die vier Jungs um Frontfrau Mieze rockten <strong>de</strong>rmaßen<br />

ab, dass sich die Massen kaum halten konnten. Pogen und Crowd-diving waren angesagt. Es<br />

war ein unbeschreibliches Gefühl von <strong>de</strong>r Menge getragen zu wer<strong>de</strong>n und dabei lauthals mitzusingen.<br />

Es ist <strong>de</strong>finitiv weiterzuempfehlen. Nach<strong>de</strong>m die fünf Berliner Klassiker wie „hungriges Herz” o<strong>de</strong>r<br />

„Tanz <strong>de</strong>r Moleküle” gespielt hatten, brauchte ich erstmal eine Pause. Doch in einer Stun<strong>de</strong> wollten<br />

„Tomte” das Immergut rocken. Nun hieß es sich zu stärken; in flüssiger und fester Form und ab<br />

ging’s. Auch die fünf Musiker aus <strong>de</strong>r Hauptstadt heizten uns or<strong>de</strong>ntlich ein. Im Großen und Ganzen<br />

waren alle Auftritte erste Sahne und echt für je<strong>de</strong>n Geschmack was dabei. Du hättest sicher viel Spaß<br />

gehabt. Den letzten Abend ließen wir mit all unseren neuen und alten Bekanntschaften ausklingen,<br />

<strong>de</strong>nn am morgigen Sonntag hieß es wie<strong>de</strong>r für ein langes Jahr Abschied nehmen. So ein Konzert,<br />

o<strong>de</strong>r besser gesagt Festival, ist eine klasse Gelegenheit unheimlich viele verschie<strong>de</strong>ne Menschen mit<br />

unterschiedlichen Charakteren und Einstellungen kennen zu lernen, dass ich immer wie<strong>de</strong>r gerne auf<br />

<strong>de</strong>m Immergut rocke. Sonntag gleich Abreisetag: Mehr schlecht als recht quälten wir uns aus unseren<br />

Betten, ich meine provisorischen Nachtlagern, <strong>de</strong>nn die Eltern ließen nicht lange auf sich warten ihre<br />

übermü<strong>de</strong>ten aber glücklichen Schützlinge einzula<strong>de</strong>n. Trotz <strong>de</strong>s schlechten Wetters und <strong>de</strong>r daraus<br />

resultieren<strong>de</strong>n Erkältung war es mal wie<strong>de</strong>r das beste Wochenen<strong>de</strong> im Jahr. Wenn du das nächste<br />

Mal nach „Good Old Germany” kommst, können wir ja mal zusammen rocken, Das letzte Immergut<br />

liegt zwar erst eine Woche hinter mir, aber ich freue mich jetzt schon auf das nächste Jahr. Bei euch in<br />

Amsterdam gibt es sicherlich auch Konzerte, bei <strong>de</strong>nen für je<strong>de</strong>n Geschmack etwas dabei ist, o<strong>de</strong>r?!<br />

Also lautet unser nächstes Ziel: Entwe<strong>de</strong>r rocken wir bei dir o<strong>de</strong>r beim nächsten Immergut bei mir.<br />

Meld dich, dann können wir unseren zukünftigen musikalischen Hochgenuss planen.<br />

Deine immergut rocken<strong>de</strong> Josi<br />

Josephin Bienert<br />

Schülerin am Gymnasium Carolinum<br />

74


Entmachtet und verfolgt<br />

Armer Adonis<br />

Das waren noch Zeiten! Als das Patriarch die Welt beherrschte und<br />

Mann Herr im eigenen Hause war. Das waren noch Zeiten! Seines<br />

Reichs, seiner Kraft, seiner Herrlichkeit. Und in seinem Heim gebot er<br />

das Wort und das Weib und das Lachen.<br />

Doch das Lachen ist <strong>de</strong>m Manne vergangen, <strong>de</strong>nn Frau hat blutgeleckt<br />

und die Emanze ist auf <strong>de</strong>m Vormarsch. Der Eumeni<strong>de</strong>n gleich<br />

durchstreift sie die Geschichte, um sich letztendlich in <strong>de</strong>r Postmo<strong>de</strong>rnen<br />

wie<strong>de</strong>r zu fin<strong>de</strong>n. Und sie kennt keine Gna<strong>de</strong>.<br />

„Wehe, wehe, wer verstohlen<br />

Männlichkeit schwere Tat vollbracht,<br />

Wir heften uns an seine Sohlen,<br />

Das furchtbare Geschlecht <strong>de</strong>r Nacht!“<br />

Wo sie Ungleichheit wittert, ist sie zur Stelle und entlarvt ihm seine<br />

Fehlbarkeit. Wo sie erscheint, kann er nur buckeln. Ihr höhnisch-grober<br />

Blick vertreibt <strong>de</strong>s Mannes Selbstsicherheit und schickt sie in die Fegefeuer<br />

seiner Seele.<br />

Wer das überlegen<strong>de</strong> Geschlecht ist, das wussten wir ja schon lange;<br />

wer die eigentlichen Fä<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Gesellschaft zieht, liegt klar auf <strong>de</strong>r<br />

Hand. Nicht umsonst waren die Schicksalsgöttinnen Frauen… Doch nun<br />

hat <strong>de</strong>r weibliche Ruf nach Recht und Gleichberechtigung eine neue erbarmungslose<br />

Dimension erreicht. Und <strong>de</strong>r Mann hat keine Chance mehr.<br />

Denn in einer <strong>de</strong>n Gleichberechtigungsanspruch prinzipiell akzeptieren<strong>de</strong>n<br />

Gesellschaft muss unser Adonis <strong>de</strong>r Neuzeit aufs Fatalste<br />

darauf bedacht sein, diese Gleichberechtigung auch in all seinen<br />

Äußerungen zu wahren. Fehltritt unverzeihlich. Da man ihn ein<br />

Vergehen nicht vergessen lassen wird. Seines Lebens wird er nie<br />

mehr froh. Denn ein wüten<strong>de</strong>r Mob blutrünstiger Frauenrechtler<br />

(sprich eine Gruppe von min<strong>de</strong>stens zwei Mädchen) steht sogleich<br />

bereit, ihn staubfein zu zerfetzten und als frauenfeindlich abzustrafen.<br />

Und die Zeitung schrieb: „Tod durch verbale Steinigung“…<br />

So<strong>de</strong>nn, das Glückschwein von einst mutiert zur armen Sau, und<br />

letztendlich ganz zum Würstchen. Verdient es da nicht unser Mitleid?<br />

Ist es nicht an <strong>de</strong>r Zeit, sich für das schwache Geschlecht einzusetzen?<br />

Nun dann: Habt Erbarmen! Begnadigt <strong>de</strong>n Mann!<br />

O<strong>de</strong>r etwa nicht?<br />

Fürwahr wer<strong>de</strong>n die Stimmen immer lauter die, neben <strong>de</strong>r<br />

Gleichstellung <strong>de</strong>r Frau, nun vor allem eine Emanzipation <strong>de</strong>s Mannes<br />

for<strong>de</strong>rn.<br />

Denn die weibliche Emanze verlangt zu viel. Sie for<strong>de</strong>re nicht<br />

nur, dass alle Menschen gleich, son<strong>de</strong>rn vielmehr, die Frau gleicher<br />

sei. Beansprucht sie doch einerseits <strong>de</strong>m Anstand entsprechen<strong>de</strong><br />

bevorzugen<strong>de</strong> Son<strong>de</strong>rregelungen und lehnt sich aber im gleichen<br />

Atemzug gegen ein konservatives Rollenverständnis. Alle Rechte<br />

ohne Pflichten? Da kann <strong>de</strong>r zynische Mann leicht einer gefährlichen<br />

Hybris verfallen und behaupten: „Was will sie eigentlich?<br />

Gleichgestellt ist sie doch schon!“ und kommt zu <strong>de</strong>m lakonischen Schluss „Nun übertreibt sie aber“.<br />

Die Emanze also als übereifrige Hysterikerin? Warum ihr noch Gehör schenken!<br />

Und da mann weiß, dass alle mo<strong>de</strong>rnen Frauen auch gleichzeitig Emanzen sind, diffamiert er ihre<br />

Ansprüche gleich fix einmal als Paranoia Feminina. Kategorisch, natürlich.<br />

75


Ein fataler Fehler. Denn einerseits entsteht so das Gerücht in <strong>de</strong>r Gesellschaft, die weiblichen<br />

Gleichberechtigungsfor<strong>de</strong>rungen wären mittlerweile unrechtmäßig, ja schon längst überholt und zum<br />

an<strong>de</strong>ren, kann Frau anschließend nun wirklich <strong>de</strong>m Verfolgungswahn erliegen.<br />

Aus <strong>de</strong>r Angst heraus ignoriert zu wer<strong>de</strong>n, gibt sich die pedantische Emanze in<strong>de</strong>s<br />

erst recht <strong>de</strong>r Lächerlichkeit preis. Satirische Komödiantenansprachen wie<br />

„Meine Damen und Herren, sehr geehrte Zuhörer und Zuhörerinnen, liebe Anwesendinnen<br />

und Anwesen<strong>de</strong>n….“ illustrieren Auswüchse solch (leicht fehlgeleiteter)<br />

Ereiferungen. „Political Correctness“ als Tarnung <strong>de</strong>r Entartung.<br />

Pikiert man sich jedoch an Nichtigkeiten wie <strong>de</strong>r gleichberechtigten Namensgebung,<br />

so hat man <strong>de</strong>n Kern <strong>de</strong>r Geschlechterproblematik wie<strong>de</strong>r einmal infam<br />

verfehlt.<br />

Warum also diese Überempfindlichkeit? Schan<strong>de</strong><br />

über sie! Denn sie ist sowohl Ausdruck als auch teilweise<br />

Ursache <strong>de</strong>r viel diskutierten Geschlechteremanzipation. Auf bei<strong>de</strong>n<br />

Seiten.<br />

„Typisch Mann“, „typisch Frau“; dies sind nicht selten Kategorisierungen,<br />

in <strong>de</strong>nen wir <strong>de</strong>nken. Doch gera<strong>de</strong> dieser Denkansatz und die<br />

„Schubla<strong>de</strong>n“, die er in sich birgt, machen eine faktische, also real existieren<strong>de</strong><br />

Gleichberechtigung scheinbar schier unmöglich. Solange wir noch über Frau-Mann Probleme<br />

anstatt von Konflikten zwischen Menschen sprechen, kann von wirklicher Akzeptanz und Toleranz<br />

keine Re<strong>de</strong> sein.<br />

Vielmehr wird die Problematik je nach Situation von <strong>de</strong>r jeweiligen Partei konvenabel zurecht gelegt<br />

und für seiner einer vorteilhaft ausgenutzt.<br />

Die Frau lamentiert sodann bald über persönliche Ungleichheit und bezieht sich auf Beispiele <strong>de</strong>r<br />

islamischen Welt, bzw. auf europäische Lohnstatistiken (bei<strong>de</strong>s etwas, das sie meist nur peripher tangiert)<br />

während <strong>de</strong>r Mann sein Hörgerät sogleich auf Durchzug stellt. Aus Bequemlichkeit beschließt<br />

er nämlich, das „Emanzengekeife“ jetzt einfach einmal nicht zu hören. Suum cuique.<br />

Und dabei soll noch Kommunikation entstehen?<br />

Das ist Geschlechterkampf! Das nenn ich Égalité! Wenn klare Argumente zum Spielball vorgeschobener<br />

Gleichstellungsdiskussionen wer<strong>de</strong>n und objektive Problembesprechungen nicht mehr<br />

möglich sind, wenn ein Konflikt nicht Konflikt heißt, solange die Floskeln „Gleichstellung“ „Berechtigung“<br />

und zu guter Letzt „Recht“ und „Rechthaben“ noch nicht gefallen sind, dann hat die Gleichberechtigungsfrage<br />

ihr Ziel wahrhaft meisterlich erreicht; <strong>de</strong>nn dann sind wir letzten En<strong>de</strong>s wirklich<br />

alle gleich (wohlgemerkt, gleich ignorant…).<br />

Und während <strong>de</strong>r Mann wehmütig patriarchischen Zeiten nachsinnt, zieht die Rachefeministin<br />

weiter unversöhnlich ihre Bahn.<br />

Schließlich hören wir doch eh nur, was wir hören wollen.<br />

Und wenn schon nicht woan<strong>de</strong>rs, immerhin darin sind wir letzten<br />

En<strong>de</strong>s alle gleich.<br />

Halleluja.<br />

Elisa Wehser<br />

Schülerin <strong>de</strong>r Klasse 12<br />

76


Leserbriefe<br />

Vom Gaswerk bleibt Nichts!<br />

Ein Zeitzeuge erinnert sich, inspiriert durch einen Artikel im „Nordkurier“ über <strong>de</strong>n Bau <strong>de</strong>s Sportplatzes<br />

für das Carolinum<br />

Im Gaswerk fand <strong>de</strong>r letzte Unterricht für die Caroliner vor <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Zweiten Weltkrieges<br />

statt! Kaum einer <strong>de</strong>r heutigen Caroliner wird wissen, dass <strong>de</strong>r Unterricht für einige Klassen unserer<br />

Schule in <strong>de</strong>n letzten acht bis zehn Wochen vor En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Krieges im Gaswerk stattfand. Soweit ich<br />

mich erinnern kann, unterrichteten dort noch die Studienräte Klempin und Fandre. Wenn in <strong>de</strong>r<br />

Nacht Fliegeralarm war, begann <strong>de</strong>r Unterricht meistens erst um 10.00 Uhr. Da wir 14–15 jährige<br />

Schüler zwei bis dreimal in <strong>de</strong>r Woche nachts Bahnhofsdienst hatten, kamen wir völlig übermü<strong>de</strong>t<br />

zum Unterricht und waren gewiss keine aufmerksamen Schüler mehr.<br />

Bahnhofsdienst – Flüchtlingsbetreuung in <strong>de</strong>n letzten Kriegsmonaten 1945 in Neustrelitz<br />

Um zu verstehen, wieso wir Schüler wegen vieler schlafloser Nächte total übermü<strong>de</strong>t zum Unterricht<br />

erschienen, will ich, soweit ich mich erinnern kann, <strong>de</strong>n „Bahnhofsdienst“ erklären.<br />

Ab Februar 1945 nahm <strong>de</strong>r Flüchtlingsstrom aus <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen Ostgebieten so zu, dass sich Stadtverwaltung<br />

und Parteileitung entschließen mussten, einen Bahnhofsdienst für diese Flüchtlinge einzurichten.<br />

Im Rahmen dieser Maßnahme wur<strong>de</strong> auch die Hitlerjugend (HJ) einbezogen. Soweit ich<br />

mich erinnern kann entstand folgen<strong>de</strong>r Einsatzplan:<br />

Am Tag (8.00 bis 18.00 Uhr) Deutsches Jungvolk (DJ)<br />

Jung- Mä<strong>de</strong>l (JM)<br />

10 bis 14 Jahre<br />

erste Nacht (18.00 bis 3.00 Uhr) Hitler Jugend (HJ)<br />

Bund <strong>de</strong>utscher Mä<strong>de</strong>l (BDM)<br />

14 bis 18 Jahre<br />

zweite Nacht Führer <strong>de</strong>s DJ<br />

Führerinnen <strong>de</strong>s JM<br />

14 bis 18 Jahre<br />

dritte Nacht Lehrerinnen <strong>de</strong>s Hochschulinstituts<br />

für Leibesübungen Berlin<br />

(wohnten im Schloss und Parkhaus)<br />

usw.<br />

Wir empfingen auf <strong>de</strong>m Bahnsteig alle Flüchtlinge (Frauen und Kin<strong>de</strong>r), die in Neustrelitz ausstiegen.<br />

Wir begleiteten sie und trugen das Gepäck, zu <strong>de</strong>n errichteten Auffangstellen.<br />

Hier wur<strong>de</strong>n sie von <strong>de</strong>n Frauen <strong>de</strong>s DRK, <strong>de</strong>r NSV und <strong>de</strong>r Frauenschaft verpflegt und registriert.<br />

Danach brachten wir die Flüchtlinge zu <strong>de</strong>n für sie vorgesehenen Neustrelitzer Familien als<br />

Einquartierung o<strong>de</strong>r vorübergehend in ein Hotel.<br />

Für uns Jungvolkführer en<strong>de</strong>te <strong>de</strong>r Nachtdienst nach Abfertigung <strong>de</strong>s letzten Zuges. Vor 4.00 Uhr<br />

bin ich nie ins Bett gekommen und war <strong>de</strong>shalb in <strong>de</strong>r Schule völlig übermü<strong>de</strong>t. Für uns, ich war damals<br />

15 Jahre alt, war es nicht einfach, das erlebte und gesehene Elend, zu verkraften.<br />

Diesen Bericht habe ich aus meiner Erinnerung nie<strong>de</strong>rgeschrieben. Wenn die jetzigen Schüler <strong>de</strong>s<br />

Carolinums nach <strong>de</strong>r Lektüre dieser Zeilen erkennen, wie gut es ihnen heute geht, wür<strong>de</strong> mich dies<br />

sehr freuen!<br />

Rolf Hartwig<br />

Dreieich<br />

77


Zum Artikel: Ein vergessener Ort<br />

Noch nicht lange weiß man vom Stasi-Knast Neustrelitz<br />

in <strong>de</strong>r Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 8. Oktober 2006.<br />

Projektkurs „digitale Fotografie“ <strong>de</strong>s Gymnasiums Carolinum<br />

Der Artikel über Nutzung und Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Gebäu<strong>de</strong>s zu Zeiten <strong>de</strong>r DDR, speziell in <strong>de</strong>n 80er<br />

Jahren, entnahm ich, dass viele Neustrelitzer keine Kenntnis davon hatten, was innerhalb <strong>de</strong>s Gebäu<strong>de</strong>s<br />

geschah. Erst durch Anregung <strong>de</strong>s Neustrelitzer SPD-Abgeordneten Dr. Michael Körner wur<strong>de</strong><br />

durch die Nachforschungen <strong>de</strong>s Projektkurses <strong>de</strong>s Gymnasiums Carolinum etwas Licht in die Nutzung<br />

dieses Gebäu<strong>de</strong>s während <strong>de</strong>r 80er Jahre gebracht. Auch ich kann durch eigenes Erleben hierzu<br />

etwas beitragen, <strong>de</strong>nn ich war vom 29. Juni bis zum 15. August 1945 mit einigen Unterbrechungen Insasse<br />

dieses Gefängnisses. Neben einigen an<strong>de</strong>ren Neustrelitzern wur<strong>de</strong> ich am Sonntag, wie es hieß<br />

zu einer kurzen Vernehmung, von <strong>de</strong>r damaligen <strong>de</strong>utschen Polizei abgeholt. Ohne Begründung wur<strong>de</strong>n<br />

wir ins Amtsgericht gebracht und zu an<strong>de</strong>ren Insassen auf die Zellen verteilt. Wir hatten mitbekommen,<br />

dass Freun<strong>de</strong> von uns, die auf <strong>de</strong>r Töpferstraße stan<strong>de</strong>n, unsere Verhaftung beobachteten.<br />

Um unsere Angehörigen zu benachrichtigen, galt es mit ihnen Verbindung aufzunehmen. Kurz entschlossen<br />

zogen wir aus <strong>de</strong>n Papierstrohsäcken Fä<strong>de</strong>n, stellten daraus eine lange Schnur her und befestigten<br />

daran unsere Briefchen. Die Fenster waren damals schon mit Sichtblen<strong>de</strong>n aus Drahtglas<br />

versehen. Zwischen ihnen und <strong>de</strong>r Außenwand war ein Abstand von ca. 10 cm. So konnten wir unsere<br />

Briefe am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r herabgelassenen Schur in Schwingung versetzen und durch Nachlassen im entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />

Moment auf die Straße beför<strong>de</strong>rn. So bekamen unsere Angehörigen Nachricht von uns<br />

und konnten am nächsten Tag dringend benötigte Sachen abgeben. Es war Sommer und die meisten<br />

von uns waren nur mit Hemd und Hose beklei<strong>de</strong>t. Ich erhielt einen Mantel und eine Decke von meiner<br />

Mutter. Bei<strong>de</strong>s war lebensnotwendig und ich konnte es bis Januar 1947 behalten. (Abtransport<br />

nach Sibirien aus <strong>de</strong>m Lager„Fünf-Eichen“.) Wenn ich oben von einigen Unterbrechungen berichtete,<br />

so bezogen sich diese auf die Tage, besser gesagt auf die Nächte, <strong>de</strong>r Vernehmungen. Diese erfolgten<br />

im Haus <strong>de</strong>r Familie Knacke im „Schwarzen Weg“. Dort befand sich damals die Zentrale <strong>de</strong>r<br />

GPU / NKWD. Dorthin wur<strong>de</strong> man einzeln, man musste in <strong>de</strong>r Gosse gehen, durch die Tiergartenstraße,<br />

<strong>de</strong>n Rietpietschgang, die Elisabethstraße und die Twachtmannstraße von einem Rotgardisten<br />

getrieben. Man wur<strong>de</strong> zu zweit in die Garagen auf <strong>de</strong>m Hof gesperrt. Die Russen hatten in die Garagentore<br />

ca. 25 x 25 cm große Gucklöcher gesägt, so dass man von <strong>de</strong>n Posten dauernd beobachtet<br />

wer<strong>de</strong>n konnte. (Diese Gucklöcher konnte man übrigens, wenn auch vernagelt, bis weit in die 90er<br />

Jahre betrachten.) Die so genannten Vernehmungen dauerten meistens von kurz vor Mitternacht bis<br />

in die frühen Morgenstun<strong>de</strong>n. Am 15. August wur<strong>de</strong>n die meisten Häftlinge in das Zuchthaus nach<br />

Alt- Strelitz verlegt. Am 24. Oktober 1945 wur<strong>de</strong> das Zuchthaus Alt-Strelitz geräumt und alle Häftlinge<br />

(ca. 800) durch Neustrelitz nach Neubran<strong>de</strong>nburg in das Lager „Fünf- Eichen“ getrieben.<br />

Ubrigens: ich bin nie verurteilt wor<strong>de</strong>n!<br />

Was nach <strong>de</strong>m 15. August 1945 mit <strong>de</strong>m Amtsgericht in <strong>de</strong>r Töpferstraße geschah, ist mir nicht bekannt.<br />

78<br />

Dreieich, 25. November 2006<br />

Rolf Hartwig


Strelitzer Zeitung, 16. November 2006<br />

Pressespiegel<br />

79


Strelitzer Zeitung, 21. November 2006<br />

80


Strelitzer Zeitung, 29. November 2006<br />

81


Strelitzer Zeitung, 29. November 2006<br />

82


Strelitzer Zeitung, 29. November 2006<br />

83


Strelitzer Zeitung, 30. November 2006<br />

84


Strelitzer Zeitung, 4. Dezember 2006<br />

85


Strelitzer Zeitung, 9. Dezember 2006<br />

86


Strelitzer Zeitung, 9./10. Dezember 2006<br />

87


Strelitzer Zeitung, 12. Dezember 2006<br />

88


Strelitzer Zeitung, 12. Dezember 2006<br />

89


Strelitzer Zeitung, 13. Dezember 2006<br />

90


Strelitzer Zeitung, 17. Dezember 2006<br />

91


Strelitzer Zeitung, 19. Dezember 2006<br />

92


Strelitzer Zeitung, 6./7. Januar 2007<br />

93


Strelitzer Zeitung, 3. Januar 2007<br />

Strelitzer Zeitung, 5. Januar 2007<br />

94


Nordkurier, 10. Januar 2007<br />

95


Strelitzer Zeitung, 10. Januar 2007<br />

96


Strelitzer Zeitung, 23. Januar 2007<br />

97


Nordkurier, 31. Januar 2007<br />

98


Strelitzer Zeitung, 3./4. Februar 2007<br />

<strong>99</strong>


Strelitzer Zeitung, 20. Februar 2007<br />

100


Strelitzer Zeitung, 2. März 2007<br />

101


Strelitzer Zeitung, 2. März 2007<br />

102


Strelitzer Zeitung, 12. März 2007<br />

103


Strelitzer Zeitung, 13. März 2007<br />

104


Strelitzer Zeitung, 16. März 2007<br />

105


Mecklenburg-Strelitzer Blitz, 18. März 2007<br />

106


Strelitzer Zeitung, 30. März 2007<br />

107


Strelitzer Zeitung, 11. April 2007<br />

108


Nordkurier, 14./15. April 2007<br />

109


Strelitzer Zeitung, 16. April 2007<br />

110


Strelitzer Zeitung, 17. April 2007<br />

111


Strelitzer Zeitung, 17. April 2007<br />

112


Strelitzer Zeitung, 18. April 2007<br />

113


Strelitzer Zeitung, 24. April 2007<br />

114


Strelitzer Zeitung, 4. Mai 2007<br />

115


Strelitzer Zeitung, 21. Mai 2007<br />

116


Strelitzer Zeitung, 22. Mai 2007<br />

117

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