Humboldt Kosmos 90/2007: Wissen schafft Entwicklung

Humboldt Kosmos 90/2007: Wissen schafft Entwicklung Humboldt Kosmos 90/2007: Wissen schafft Entwicklung

07.03.2013 Aufrufe

Wissen schafft Entwicklung | || From Knowledge to Development Wissen schafft Entwicklung | || From Knowledge to Development Von Hamid Isfahany und Georg Pegels ErDbEbEnSIchErE häuSEr Für EnTWIcklunGSlänDEr EArThquAkE-rESISTAnT houSInG For DEVEloPInG counTrIES Starke Erdbeben sind trotz aller bisherigen Forschung verheerend, vor allem in Entwicklungsländern. Erdbebensichere Wohnhäuser wären nötig, doch sie werden nicht gebaut. Fachwerkhäuser könnten das Problem lösen. Iranische und deutsche Forscher stießen auf das ungeahnte Potenzial der altertümlichen Architektur. Alle Häuser dieser Welt sind gebaut, um der Schwerkraft zu trotzen. An horizontale Belastungen wird weniger gedacht, denn Windkräfte sind vergleichsweise gering und gefährliche Erdbebenstöße selten. Menschen neigen dazu, seltene Ereignisse zu verdrängen. Und dann plötzlich kostet wieder ein starkes Erdbeben viele tausend Menschenleben. Das muss nicht so bleiben. Bei der Besichtigung von bis zu 400 Jahre alten Fachwerkhäusern während einer DAAD-Sommerschule in Wuppertal wurde die Idee geboren: Junge Wissenschaftler aus dem Iran entdeckten das Fachwerk als erdbebensichere Bauweise. Analysen von Fotos im Internet bestätigen: Fachwerkhäuser stehen auch dann noch, wenn viele andere Häuser nach einem Erdbeben eingestürzt sind. Moderner Erdbebenschutz nach mittelalterlichem Vorbild Die typischen, weithin sichtbaren Fachwerkdiagonalen gewährleisten, dass die senkrechten Stützen bei Erschütterungen nicht wie Dominosteine umfallen. Autokarosserien beweisen, dass Stahl für die Fachwerkstäbe besser geeignet ist als Holz. Sie umschließen die Fachwerk-Ausmauerungen, die sogenannten Gefache, rundum, sodass diese bei Erdbebenstößen nicht herausfallen und Menschen gefährden. Die Gefache können mit weichem Lehm ausgemauert werden. Dieser ist in vielen Ländern billig verfügbar und hat zudem den Vorteil, dass er Erdbebenstöße abfedert wie ein Stoßdämpfer. Damit die Gefache sicher gehalten werden, haben die Fachwerkstäbe einen U- oder L-förmigen Querschnitt. So kann man wählen, ob der Stahl als architektonisches Stilelement mit deutlich sichtbarem U-Querschnitt betont oder nur als L-Querschnitt angedeutet wird. Kompromisse zur Erzielung der kulturellen Akzeptanz dürfen aber nicht das Sicherheitskonzept unterlaufen, das in der Sichtbarkeit des Fachwerks liegt. Es ist somit eine reizvolle und lohnende wissenschaftliche Herausforderung, mit einer bautechnischen Idee auch nicht-technische Probleme zu meistern und Hindernisse abzubauen. By Hamid Isfahany and Georg Pegels Despite all the research that has gone on, large earthquakes are disastrous, especially in developing countries. Earthquake-resistant housing is what is required, but it is not being built. Traditional timber-framed construction methods like used for the traditional German Fachwerkhaus could solve the problem. Iranian and German researchers have hit on the unplumbed potential of ancient architecture. Every house in the world is built to resist gravity. Not so much thought is given to horizontal forces because by comparison, the force of the wind is minimal and dangerous shockwaves from earthquakes are rare. People tend to suppress rare events. And then, suddenly, a large-magnitude earthquake costs thousands of lives. This does not have to be the case. The idea was born during a DAAD summer school in Wuppertal while viewing up to 400 year-old timber-framed houses of the Fachwerkhaus type: young Iranian scientists discovered that the way traditional timber-framed buildings were constructed made them earthquake-resistant. Analyses of photos on the Internet confirm the point: in an earthquake, traditional timber-framed buildings remain standing when many others have collapsed. Modern earthquake safety on the mediaeval model The typical, largely visible diagonal braces guarantee that the vertical columns do not collapse like dominoes when the ground moves. Car bodywork proves that steel is more suitable for beams and columns of this type than wood. They encase the areas between the beams so that they do not fall out and injure people when an earthquake strikes. The spaces can be filled with soft adobe materials. This is cheaply available in many countries and also has the advantage that it absorbs shockwaves like shock absorbers. To ensure that the areas between the beams are held firmly, U- and Lshaped beams are used. This gives the choice of showing the steel as an architectural element either by a clearly-visible U-shape or an indicative L-shape. However, any compromise for the sake of cultural acceptability should not undermine the security concept which is inherent in the visibility of the structure. Thus, it is an intriguing and worthwhile academic challenge to use structural engineering to cope with non-technical problems and remove obstacles. Mass construction of safe housing is a decisive element in solving the core problems of countries with fast-growing populations Helfer räumen nach dem Erdbeben im Nordwesten des Iran im Juni 2002 die Trümmer eines zerstörten Hauses beiseite. In vielen Regionen sind die einfach gebauten Lehmhäuser nicht erdbebensicher. | || Helpers clearing the rubble of a house destroyed by the earthquake in north western Iran in June 2002. In many regions, the simply-built adobe houses are not earthquake-resistant. Sicherer Wohnungsbau in großem Maßstab hilft entscheidend, die Kernprobleme von Erdbebenländern mit starkem Bevölkerungswachstum zu lösen, nämlich Arbeits- und Wohnungsnot. Der Bau der vielen fehlenden Wohnungen würde zahlreiche Arbeitsplätze im Bauwesen schaffen. So hatte das Deutsche Wirtschaftswunder begonnen! Theorie mag gut sein, sie in die Praxis umzusetzen, ist besser. So bauten 70 iranische Studentinnen und Studenten im Sommer 2007 ein Stahlfachwerkhaus auf dem Parkplatz der Universität Wuppertal. threatened by earthquakes, i.e., unemployment and shortage of housing. Building the many houses that are lacking would create a great deal of employment in the construction industry. This was how the German “economic miracle” began! Theories are fine; putting them into practice is better. So, in summer 2007, 70 Iranian students built a steel-framed house on the pattern of timber-framed buildings in the car park at Wuppertal University. After just two weeks, the topping-out ceremony took place. Having been dismantled, the model house will be recon- 32 Humboldt kosmos Sonderausgabe 2008 33

<strong>Wissen</strong> <strong>schafft</strong> <strong>Entwicklung</strong> | || From Knowledge to Development <strong>Wissen</strong> <strong>schafft</strong> <strong>Entwicklung</strong> | || From Knowledge to Development<br />

Von Hamid Isfahany und Georg Pegels<br />

ErDbEbEnSIchErE häuSEr Für EnTWIcklunGSlänDEr<br />

EArThquAkE-rESISTAnT houSInG For DEVEloPInG counTrIES<br />

Starke Erdbeben sind trotz aller bisherigen Forschung verheerend,<br />

vor allem in <strong>Entwicklung</strong>sländern. Erdbebensichere<br />

Wohnhäuser wären nötig, doch sie werden nicht gebaut.<br />

Fachwerkhäuser könnten das Problem lösen. Iranische und<br />

deutsche Forscher stießen auf das ungeahnte Potenzial der<br />

altertümlichen Architektur.<br />

Alle Häuser dieser Welt sind gebaut, um der Schwerkraft zu trotzen.<br />

An horizontale Belastungen wird weniger gedacht, denn<br />

Windkräfte sind vergleichsweise gering und gefährliche Erdbebenstöße<br />

selten. Menschen neigen dazu, seltene Ereignisse zu verdrängen.<br />

Und dann plötzlich kostet wieder ein starkes Erdbeben<br />

viele tausend Menschenleben. Das muss nicht so bleiben.<br />

Bei der Besichtigung von bis zu 400 Jahre alten Fachwerkhäusern<br />

während einer DAAD-Sommerschule in Wuppertal wurde<br />

die Idee geboren: Junge <strong>Wissen</strong>schaftler aus dem Iran entdeckten<br />

das Fachwerk als erdbebensichere Bauweise. Analysen von Fotos<br />

im Internet bestätigen: Fachwerkhäuser stehen auch dann noch,<br />

wenn viele andere Häuser nach einem Erdbeben eingestürzt sind.<br />

Moderner Erdbebenschutz<br />

nach mittelalterlichem Vorbild<br />

Die typischen, weithin sichtbaren Fachwerkdiagonalen gewährleisten,<br />

dass die senkrechten Stützen bei Erschütterungen nicht wie<br />

Dominosteine umfallen. Autokarosserien beweisen, dass Stahl<br />

für die Fachwerkstäbe besser geeignet ist als Holz. Sie umschließen<br />

die Fachwerk-Ausmauerungen, die sogenannten Gefache,<br />

rundum, sodass diese bei Erdbebenstößen nicht herausfallen und<br />

Menschen gefährden. Die Gefache können mit weichem Lehm<br />

ausgemauert werden. Dieser ist in vielen Ländern billig verfügbar<br />

und hat zudem den Vorteil, dass er Erdbebenstöße abfedert<br />

wie ein Stoßdämpfer. Damit die Gefache sicher gehalten werden,<br />

haben die Fachwerkstäbe einen U- oder L-förmigen Querschnitt.<br />

So kann man wählen, ob der Stahl als architektonisches Stilelement<br />

mit deutlich sichtbarem U-Querschnitt betont oder nur<br />

als L-Querschnitt angedeutet wird. Kompromisse zur Erzielung<br />

der kulturellen Akzeptanz dürfen aber nicht das Sicherheitskonzept<br />

unterlaufen, das in der Sichtbarkeit des Fachwerks liegt. Es<br />

ist somit eine reizvolle und lohnende wissenschaftliche Herausforderung,<br />

mit einer bautechnischen Idee auch nicht-technische<br />

Probleme zu meistern und Hindernisse abzubauen.<br />

By Hamid Isfahany and Georg Pegels<br />

Despite all the research that has gone on, large earthquakes<br />

are disastrous, especially in developing countries. Earthquake-resistant<br />

housing is what is required, but it is not<br />

being built. Traditional timber-framed construction methods<br />

like used for the traditional German Fachwerkhaus could<br />

solve the problem. Iranian and German researchers have hit<br />

on the unplumbed potential of ancient architecture.<br />

Every house in the world is built to resist gravity. Not so much<br />

thought is given to horizontal forces because by comparison, the<br />

force of the wind is minimal and dangerous shockwaves from<br />

earthquakes are rare. People tend to suppress rare events. And<br />

then, suddenly, a large-magnitude earthquake costs thousands of<br />

lives. This does not have to be the case.<br />

The idea was born during a DAAD summer school in Wuppertal<br />

while viewing up to 400 year-old timber-framed houses of the<br />

Fachwerkhaus type: young Iranian scientists discovered that the<br />

way traditional timber-framed buildings were constructed made<br />

them earthquake-resistant. Analyses of photos on the Internet<br />

confirm the point: in an earthquake, traditional timber-framed<br />

buildings remain standing when many others have collapsed.<br />

Modern earthquake safety on the mediaeval model<br />

The typical, largely visible diagonal braces guarantee that the vertical<br />

columns do not collapse like dominoes when the ground<br />

moves. Car bodywork proves that steel is more suitable for beams<br />

and columns of this type than wood. They encase the areas between<br />

the beams so that they do not fall out and injure people when<br />

an earthquake strikes. The spaces can be filled with soft adobe<br />

materials. This is cheaply available in many countries and also has<br />

the advantage that it absorbs shockwaves like shock absorbers. To<br />

ensure that the areas between the beams are held firmly, U- and Lshaped<br />

beams are used. This gives the choice of showing the steel<br />

as an architectural element either by a clearly-visible U-shape or<br />

an indicative L-shape. However, any compromise for the sake of<br />

cultural acceptability should not undermine the security concept<br />

which is inherent in the visibility of the structure. Thus, it is an<br />

intriguing and worthwhile academic challenge to use structural<br />

engineering to cope with non-technical problems and remove<br />

obstacles.<br />

Mass construction of safe housing is a decisive element in solving<br />

the core problems of countries with fast-growing populations<br />

Helfer räumen nach dem Erdbeben im Nordwesten des Iran im Juni 2002 die Trümmer eines zerstörten Hauses beiseite. In vielen Regionen sind die einfach<br />

gebauten Lehmhäuser nicht erdbebensicher. | || Helpers clearing the rubble of a house destroyed by the earthquake in north western Iran in June 2002.<br />

In many regions, the simply-built adobe houses are not earthquake-resistant.<br />

Sicherer Wohnungsbau in großem Maßstab hilft entscheidend,<br />

die Kernprobleme von Erdbebenländern mit starkem Bevölkerungswachstum<br />

zu lösen, nämlich Arbeits- und Wohnungsnot.<br />

Der Bau der vielen fehlenden Wohnungen würde zahlreiche<br />

Arbeitsplätze im Bauwesen schaffen. So hatte das Deutsche Wirtschaftswunder<br />

begonnen!<br />

Theorie mag gut sein, sie in die Praxis umzusetzen, ist besser. So<br />

bauten 70 iranische Studentinnen und Studenten im Sommer <strong>2007</strong><br />

ein Stahlfachwerkhaus auf dem Parkplatz der Universität Wuppertal.<br />

threatened by earthquakes, i.e., unemployment and shortage of<br />

housing. Building the many houses that are lacking would create<br />

a great deal of employment in the construction industry. This was<br />

how the German “economic miracle” began!<br />

Theories are fine; putting them into practice is better. So, in summer<br />

<strong>2007</strong>, 70 Iranian students built a steel-framed house on the<br />

pattern of timber-framed buildings in the car park at Wuppertal<br />

University. After just two weeks, the topping-out ceremony took<br />

place. Having been dismantled, the model house will be recon-<br />

32 <strong>Humboldt</strong> kosmos Sonderausgabe 2008<br />

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