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Humboldt Kosmos 90/2007: Wissen schafft Entwicklung

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<strong>Wissen</strong> <strong>schafft</strong> <strong>Entwicklung</strong> | || From Knowledge to Development <strong>Wissen</strong> <strong>schafft</strong> <strong>Entwicklung</strong> | || From Knowledge to Development<br />

Von Patricia Ziffer de Sancinetti<br />

Der hohe Preis Der sicherheit<br />

Wegsperren, und zwar für immer, schallt es nicht nur von<br />

deutschen stammtischen, wenn es um rückfallgefährdete<br />

straftäter geht. Wie gehen die deutsche und die argentinische<br />

Justiz mit diesem heiklen thema um? Während<br />

Deutschland auf die sicherungsverwahrung setzt, will<br />

Argentinien ohne das umstrittene instrument auskommen –<br />

und steht am ende doch vor den gleichen Problemen.<br />

By Patricia Ziffer de Sancinetti<br />

the high Price of security<br />

shut them away for good is a phrase often heard when people<br />

in pubs talk about prisoners in danger of recidivism, and<br />

not just in german pubs either. how does the judiciary in<br />

germany and Argentina deal with this touchy issue? While<br />

germany relies on preventive detention, Argentina wants<br />

to manage without this controversial instrument – and, in<br />

the last resort, is faced with exactly the same problems.<br />

„Wie weit sind wir bereit zu gehen, um uns eine sichere Welt<br />

zu schaffen?“ – Das deutsche Bundesverfassungsgericht<br />

verhandelte im Jahr 2003 über die Sicherheitsverwahrung. | ||<br />

“How far are we prepared to go to create a secure<br />

environment for ourselves?“ – The Federal Constitutional<br />

Court negotiated on preventive detention in 2003.<br />

Die Gegenüberstellung von Sicherheit und Freiheit ist in letzter<br />

Zeit zu einem Gemeinplatz der politischen Debatte geworden.<br />

Das Straf- und Strafprozessrecht sollen eine sichere Gesellschaft<br />

schaffen, ohne zugleich mühsam errungene Grundfreiheiten zu<br />

opfern. Online-Durchsuchungen, Rasterfahndung, Deals, V-Leute<br />

sind Antworten auf ein und dieselbe Frage: Wie weit sind wir<br />

bereit zu gehen, um uns diese sichere Welt zu schaffen, und wann<br />

werden wir von unserem eigenen Sicherheitsnetz gefangen?<br />

Diese Frage liegt auch der in Deutschland heftig geführten Diskussion<br />

um die Sicherungsverwahrung zugrunde. Diese erlaubt<br />

es, besonders gefährlichen Straftätern auf unbestimmte Zeit die<br />

Freiheit zu entziehen, was durch eine zeitlich begrenzte Schuldstrafe<br />

nicht möglich ist. Das Problem ist nicht so neu, wie man<br />

denken könnte. Rückfallgefährdete Straftäter sind von jeher eine<br />

schwierige Herausforderung für jede Gesellschaft gewesen, und<br />

überall auf der Welt sind drastische Vorschläge in der Art „Wegschließen,<br />

und zwar für immer“ gemacht worden. Wenn wir<br />

Strafjuristen solche „Lösungen“ hören, können wir nur ironisch<br />

lächeln und uns fragen: „Warum sind wir nie selbst auf die Idee<br />

gekommen?“ Abgesehen von den schwerwiegenden rechtsethischen<br />

Einwänden wird das Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft<br />

zum Teil so präsentiert, als ginge es darum, die Allgemeinheit vor<br />

den wirklich gefährlichen Tätern zu schützen. Dabei geht es in<br />

Wahrheit zunächst darum, wer denn überhaupt in diese Kategorie<br />

gehört. Denn ob menschliches Verhalten wirklich vorausgesehen<br />

werden kann, ist höchst zweifelhaft. Weder der Psychiatrie<br />

noch der Psychologie oder der Kriminologie ist es bislang gelungen,<br />

mit einer gewissen Sicherheit vorauszusagen, ob ein Mensch<br />

ein Verbrechen tatsächlich wieder begehen wird. Bestenfalls können<br />

sie uns eine „Wahrscheinlichkeit“ bieten. Das bedeutet: Der<br />

Schutz der Allgemeinheit wird letztlich zu einem hohen Preis<br />

erkauft, nämlich der Möglichkeit eines Irrtums.<br />

sicher ist sicher, auch im falle eines irrtums<br />

Bei der Sicherungsverwahrung wird die Perspektive der möglichen<br />

Opfer als entscheidend angesehen, und es wird hingenommen,<br />

dass der Betroffene vielleicht nicht gefährlich ist, vielleicht<br />

überhaupt keine Straftat mehr begehen wird.<br />

Trotz aller Kritik und Skepsis wird die Sicherungsverwahrung<br />

von der deutschen Rechtswissenschaft als ultima ratio akzeptiert.<br />

Der Gesetzgeber darf bestimmte Situationen benennen, die aus<br />

der Sicht der Allgemeinheit einen so einschneidenden Eingriff als<br />

In recent times, the contradiction between security and freedom<br />

has become one of the platitudes of political debate. Criminal law<br />

and criminal procedure are supposed to create a secure society<br />

without sacrificing all our hard-won civil liberties at the same<br />

time. Online searches, computer surveillance, deals, informers are<br />

answers to one and the same question: How far are we prepared to<br />

go to create a secure environment for ourselves, and when will we<br />

ourselves be caught in our own security net?<br />

This is the issue behind the heated discussions taking place in<br />

Germany on preventive detention. It allows particularly susceptible<br />

offenders to be deprived of their freedom for an indefinite<br />

period which would not be possible on the basis of a determinate<br />

penal sentence. The problem is not as new as one might think.<br />

Offenders in danger of recidivism have always posed a difficult<br />

challenge to any society, and drastic suggestions of the “shut them<br />

away for good” variety have been made all over the world. When<br />

criminal lawyers hear this kind of “solution” we can only smile<br />

ironically and ask ourselves, “Why didn’t we come up with that?”<br />

Quite apart from the grave legal-ethical objections, society’s need<br />

for security is to some extent presented as though it really were a<br />

question of protecting the general public from seriously dangerous<br />

wrong-doers; whereby, it is actually about who belongs in this<br />

category in the first place. Whether human behaviour really can<br />

be predicted is, after all, decidedly arguable. So far, neither psychiatry,<br />

psychology nor criminology has managed to say with any<br />

degree of certainty whether a person really will commit a crime<br />

again. At best they can predict “probability”. This means that there<br />

is a high price to be paid for protecting the general public, namely<br />

the possibility of error.<br />

Better safe than sorry, even if you’re wrong<br />

In the case of preventive detention the perspective of the potential<br />

victims is decisive, and it is accepted that the person concerned<br />

may not be dangerous, indeed may never ever commit a crime<br />

again.<br />

Notwithstanding much criticism and scepticism, preventive<br />

detention is accepted by German jurisprudence as ultima ratio.<br />

The law may cite certain situations which, from the general public’s<br />

point of view, make such decisive intervention seem essential.<br />

But they do have to be extreme situations in which the public can<br />

no longer be prepared to accept the risk of a criminal offence being<br />

perpetrated. Furthermore, preventive detention has to be applied<br />

28 <strong>Humboldt</strong> kosmos Sonderausgabe 2008<br />

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