MNU_PRIMAR_2_2009_Inhalt-komplett.pdf
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Mathematischer und Naturwissenschaftlicher Unterricht<br />
Organ des Deutschen Vereins zur Förderung des mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterrichts e. V.<br />
Jahrgang 1, 2/<strong>2009</strong>, 15. April <strong>2009</strong>, ISSN 1867-9439<br />
1.<br />
Stufe<br />
Problemgewinnung<br />
Was möchte ich<br />
herausfinden?<br />
5.<br />
Stufe<br />
Wissenssicherung<br />
Ich wiederhole:<br />
Wo kann ich das Gelernte<br />
anwenden?<br />
2.<br />
Stufe<br />
Überlegung<br />
zur Problemlösung<br />
Was weiß ich bereits?<br />
Vermutungen, mögliche<br />
Experimente<br />
Herausgeber<br />
3.<br />
Stufe<br />
Durchführung<br />
eines Lösevorschlags<br />
Ich plane und führe<br />
das Experiment durch<br />
und beobachte.<br />
4.<br />
Stufe<br />
Abstraktion<br />
Kann ich<br />
das Beobachtete<br />
erklären?<br />
Hauptschriftleiter<br />
Prof. Dr. BERND RALLE<br />
Technische Universität Dortmund<br />
Fak. Chemie, Didaktik der Chemie<br />
44221 Dortmund<br />
Bernd.Ralle@mnu.de<br />
STANDPUNKT<br />
43 BERND RALLE<br />
Lehrerbildung in Bewegung<br />
AUS BILDUNG UND WISSENSCHAFT<br />
44 CLAUDIA FISCHER – KAREN RIECK – BRIGITTE DEDEKIND<br />
SINUS-Transfer Grundschule<br />
SCHULPRAXIS<br />
49 THOMAS ROTTMANN<br />
Diagnose von Rechenstörungen<br />
52 CHRISTINE GAUER<br />
Sachaufgaben – ein ergänzendes Angebot aus dem Internet<br />
60 JOACHIM HRZÁN – EMAD SEFIEN<br />
Gleichungen mit x in der Grundschule?! – Teil 2<br />
64 RUPERT SCHEUER – HILDEGARD LUCAS<br />
Von »Anionischen Tensiden« bis »Zeolithe« – Teil 2<br />
69 HEINZ SCHMIDKUNZ<br />
Die Geschichte von Stefan und dem Früchtetee<br />
72 INGRID SCHWEITZER<br />
Ausgangspunkte des Lernens im Sachunterricht<br />
77 INFORMATIONEN/TAGUNGEN<br />
Grundschulforschung und Pädagogik der Primarstufe –<br />
Informationskompetens in der Grundschule – Jahrestagung der GDSU –<br />
Unterrichtsentwicklung voranbringen – Das Projekt PIK-AS<br />
78 AKTUELLES AUS DEM FÖRDERVEREIN<br />
100. Jahreskongress des Fördervereins vom 5. bis 9. April <strong>2009</strong><br />
in Regensburg<br />
BESPRECHUNGEN<br />
79 Zeitschriften Naturwissenschaften<br />
79 Zeitschriften Mathematik<br />
80 Bücher<br />
Fachschriftleiterin<br />
Naturwissenschaften<br />
Prof. Dr. MIRJAM STEFFENSKY<br />
Seminar für Didaktik<br />
des Sachunterrichts<br />
Westfälische<br />
Wilhelms-Universität Münster<br />
Leonardo-Campus 11<br />
48149 Münster<br />
steffensky@uni-muenster.de<br />
Fachschriftleiterin<br />
Mathematik<br />
Prof. Dr. ANNA SUSANNE STEINWEG<br />
Otto-Friedrich-Universität<br />
Didaktik der<br />
Mathematik & Informatik<br />
Markusplatz 3<br />
96045 Bamberg<br />
anna.steinweg@uni-bamberg.de
Förderverein <strong>MNU</strong><br />
Deutscher Verein zur Förderung des<br />
mathematischen und naturwissenschaftlichen<br />
Unterrichts e. V.<br />
http://www.mnu.de<br />
Der Verein ist durch Verfügung des Finanzamtes für Körperschaften<br />
in Hamburg als gemeinnützig anerkannt. Die<br />
Beiträge werden nur für satzungsgemäße Zwecke verwendet.<br />
Kontoverbindung: Förderverein <strong>MNU</strong>, Hamburger Sparkasse,<br />
BLZ 200 505 50, Konto-Nr. 1090 213 404<br />
Vorsitzende der Landesverbände<br />
Baden-Württemberg: FRITHJOF STEPHAN, Limes-Gymnasium,<br />
Helmut-Glock-Straße 2, 73642 Welzheim<br />
Berlin: Dr. THOMAS KIRSKI,<br />
Sesenheimer Straße 17, 10627 Berlin<br />
Brandenburg: Dr. BERND LAGOIS (kommissar.),<br />
Helsunger Straße 21a, 38889 Blankenburg<br />
Bremen: Dr. JÖRN GERDES,<br />
Annette-Kolb-Straße 19, 28215 Bremen<br />
Franken: HARALD WALTER,<br />
In den Berten 10, 90766 Fürth<br />
Hamburg: MICHAEL EDLER,<br />
Grasredder 19, 21029 Hamburg<br />
Hessen: MANFRED ENGEL,<br />
Bahnhofstraße 1, 36199 Rotenburg<br />
Mecklenburg-Vorpommern Dr. WOLFGANG ROSENOW,<br />
Goldberger Straße 51, 18273 Güstrow<br />
Niedersachsen: WERNER WEGNER,<br />
Zum großen Freien 93, 31275 Lehrte<br />
Nordrhein: ALEXANDRA DREISEIDLER,<br />
Prinzgasse 54, 53347 Alfter<br />
Ostbayern: RICHARD SPARRER,<br />
Mitterfeldweg 20, 93173 Wenzenbach<br />
Rheinland-Pfalz: RENATE STÜCK,<br />
Untermarkstraße 26, 56330 Kobern-Gondorf<br />
Saarland: Dr. MICHAEL VOSS,<br />
Birkenweg 25, 66292 Riegelsberg<br />
Sachsen: ROSMARIE SCHMIDT,<br />
Brockhausstraße 5, 04229 Leipzig<br />
Sachsen-Anhalt: PD Dr. GERD RIEDL,<br />
Ahornweg 4, 06179 Bennstedt<br />
Schleswig-Holstein: Dr. JÜRGEN M. KÜSTER,<br />
Seeblick 22, 24211 Preetz<br />
Südbayern: UTE FREDENHAGEN,<br />
Geigenbergerstraße 6, 81477 München<br />
Thüringen: HEIDRUN SCHÖNFELD,<br />
Ortsstraße 47, 07929 Gräfenwarth<br />
Westfalen: PAUL GIETZ,<br />
Droste-Hülshoff-Straße 34 A, 46282 Dorsten<br />
Weitere Ansprechpartner:<br />
Reisestipendien Dt. Museum WOLFGANG ASSELBORN,<br />
Konrad-Adenauer-Allee 26,<br />
66740 Saarlouis<br />
Neue Bundesländer Dr. BERND LAGOIS,<br />
Helsunger Straße 21a,<br />
38889 Blankenburg<br />
Redaktion Zeitschrift KLAUS SEEBERGER,<br />
Vossenacker Straße 9<br />
41464 Neuss<br />
Begabtenförderung Dr. ILONA SCHULZE,<br />
Giessener Straße 1,<br />
50679 Köln<br />
<strong>MNU</strong>-Kongresse ALEXANDRA DREISEIDLER,<br />
Prinzgasse 54,<br />
53347 Alfter<br />
Verlag Klaus Seeberger<br />
Vossenacker Straße 9, 41464 Neuss<br />
Telefon 02131 1248864<br />
Telefax 02131 1248862<br />
Seeberger@mnu.de + info@seeberger-verlag.de<br />
<strong>MNU</strong> <strong>PRIMAR</strong>-Erscheinungsweise:<br />
viermal jährlich (alle zwölf Wochen),<br />
je 40 Seiten Umfang<br />
Heft-Nr. Erscheinungstermin Anzeigenschluss<br />
1 15. Januar 15. Dezember<br />
2 15. April 15. März<br />
3 15. Juli 15. Juni<br />
4 15. Oktober 15. September<br />
<strong>MNU</strong> <strong>PRIMAR</strong>-Bezugsbedingungen<br />
Pro Jahrgang 4 Hefte = 160 Seiten und Archiv-CD-ROM: 50,00 €,<br />
Einzelheft 12,50 €, zuzüglich Versandspesen.<br />
Für Mitglieder des Fördervereins ist der Bezugspreis im Vereinsbeitrag<br />
in Höhe von 30,00 € pro Jahr enthalten.<br />
Eine Kündigung des Jahresabonnements kann nur anerkannt werden,<br />
wenn die schriftliche Kündigung für das folgende Jahr am<br />
1. Oktober des laufenden Jahres beim Verlag vorliegt.<br />
Anschriftenänderungen<br />
bitte rechtzeitig dem Verlag (nicht dem Geschäftsführer des<br />
Fördervereins und nicht der Post) mitteilen. Bei Anschriftenänderungen,<br />
die nicht mindestens 4 Wochen vor Erscheinen des<br />
nächsten Heftes beim Verlag gemeldet sind, kann bei Verlust eines<br />
Heftes Ersatz nur gegen Berechnung gestellt werden, da die<br />
Post Zeitschriften weder nachsendet noch an den Verlag zurückgibt.<br />
Redaktionelle Zuschriften<br />
bitte an die zuständige <strong>MNU</strong> <strong>PRIMAR</strong> Fachschriftleitung senden.<br />
Hinweise für Autoren sind im Heft zu fi nden, außerdem im Internet<br />
unter:<br />
http://www.mnu.de<br />
Verlag, Anzeigen- und Beilagenverwaltung<br />
Verlag Anschrift wie oben. Anzeigen- und Beilagenpreise gemäß<br />
Tarif 1/<strong>2009</strong>. Anzeigenschluss jeweils vier Wochen vor Erscheinen<br />
(s. obige Termine).<br />
Satz, Druck, Bindearbeiten:<br />
Appel & Klinger Druck und Medien GmbH, Kronach<br />
Mittelstraße 9, 96317 Kronach, Tel. 09261 96243-0<br />
www.ak-druck-medien.de; E-Mail: info@ak-druck-medien.de<br />
Copyright/Fotokopien<br />
Sämtliche Rechte liegen beim Verlag. Die Zeitschrift und ihre Teile<br />
sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung in anderen<br />
als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf deshalb der vorherigen<br />
schriftlichen Einwilligung des Verlages.
STANDPUNKT<br />
Lehrerbildung in Bewegung<br />
Die Umstellung der Studienstrukturen auf die Bedingungen<br />
eines gestuften Bachelor/Master-Systems führt seit<br />
einiger Zeit zu erheblicher Unruhe in den Universitäten.<br />
So sind die Studiengänge nicht allein zu modularisieren<br />
und mit Kompetenzbeschreibungen zu versehen, es müssen<br />
für die sechssemestrigen Bachelor-Abschlüsse auch<br />
weitergehende berufl iche Perspektiven eröffnet werden,<br />
was bislang keineswegs als gelungen bezeichnet werden<br />
kann.<br />
Mehr und mehr werden auch die Lehramtsstudiengänge<br />
von diesem Prozess erfasst. In fast allen Bundesländern<br />
wird an der Umstellung gearbeitet. Dabei ist von der Vorgabe<br />
der Kultusministerkonferenz auszugehen, dass mit<br />
der Umstellung auf das Bachelor-/Mastersystem die Gesamtausbildungsdauer<br />
in den beiden Phasen der Lehrerbildung<br />
gegenüber dem aktuellen Stand nicht verlängert<br />
werden darf.<br />
Zudem wird das alte Staatsexamen zwar nicht überfl üssig,<br />
es rückt jedoch ein wenig in den Hintergrund, sind<br />
die Universitäten doch zunächst einmal allein für die Studiengänge<br />
verantwortlich. Sie müssen sich allerdings einem<br />
Akkreditierungsverfahren stellen, in dem u. a. auch<br />
die staatliche Seite eine gewisse Kontrollfunktion ausübt.<br />
Am Ende müssen die Universitäten sicher stellen, dass<br />
ihre Studierenden so ausgebildet werden, dass sie die Zugangsbedingungen<br />
für den Vorbereitungsdienst erfüllen.<br />
Ich denke, damit ist der Druck auf die Universitäten groß<br />
genug, und die Gefahr, dass sich die Lehrerbildung an<br />
den geforderten Qualitätsansprüchen vorbei entwickeln<br />
könnte, ist gering.<br />
Für die Ausbildungsgänge in den verschiedenen Lehrämtern<br />
hat dies dennoch insgesamt weitreichende Konsequenzen.<br />
Die im ersten Umstellungsschritt vorgenommene<br />
Einführung eines sechssemestrigen Bachelorstudiums<br />
und viersemestrigen Masterstudiums für die Gymnasiallehrerausbildung<br />
(6 + 4-System) und eines 6 + 2-Systems<br />
für die Grund-, Haupt- und Realschullehrerstudiengänge<br />
hat aktuell zur Folge, dass die Ausbildung in der 1. Phase<br />
um ein Semester verlängert worden ist. Hier muss also<br />
gegengesteuert werden, wenn die Vorgaben der KMK eingelöst<br />
werden sollen.<br />
Nordrhein-Westfalen hat mit dem nun vorgelegten Lehrerausbildungsgesetz<br />
einen mutigen Schritt getan, der<br />
nicht allein strukturelle Implikationen hat, sondern auch<br />
ausgesprochen ehrgeizige inhaltliche Ziele anstrebt. Andere<br />
Länder werden vermutlich in ähnlicher Weise folgen.<br />
Danach soll es u. a. folgende wesentliche Änderungen<br />
geben:<br />
Alle Lehramtsstudiengänge haben einen Umfang von<br />
zehn Semestern (6 + 4-System);<br />
Ein halbes Jahr des Vorbereitungsdienstes wird in die<br />
Masterausbildung der 1. Phase integriert. Diese Praxisphase<br />
wird von Vertretern der 2. Phase betreut.<br />
Die Änderungen werden von verschiedenen Seiten insgesamt<br />
als wegweisend für die Lehrerbildung eingeschätzt,<br />
lösen sie doch Forderungen ein, die schon seit langem im-<br />
<strong>MNU</strong> <strong>PRIMAR</strong> 1/2 (15.4.<strong>2009</strong>) Seite 43, ISSN 1867-9439, © Verlag Klaus Seeberger, Neuss<br />
mer wieder einmal erhoben wurden. Allerdings sind auch<br />
Skepsis und Unsicherheit zu erkennen. Viele Betroffene<br />
fragen sich, welche Konsequenzen die Umstellung für den<br />
curricularen Aufbau der Studiengänge hat. Insbesondere<br />
für die Ausbildung unserer zukünftigen Grundschullehrerinnen<br />
und -lehrer stellen sich viele Fragen. Welche Anteile<br />
sollen in dem verlängerten Studium aufgenommen werden?<br />
Sollen zum Beispiel sonderpädagogische Elemente<br />
einen starken Stellenwert erhalten? Wie kann Diagnose<br />
und Förderung hochwertig im Studium verankert werden?<br />
Wird sich die interessierte Studierenden-Klientel ändern,<br />
wenn sich die Ansprüche an das Studium deutlich verlagern?<br />
Nicht zuletzt wird man fragen müssen, ob unsere<br />
Universitäten mit dem einher gehenden größeren<br />
und veränderten Lehraufwand zurecht kommen. Werden<br />
entsprechende Ressourcen bereit gestellt, und gibt es<br />
überhaupt genügend qualifi ziertes Personal für die neue<br />
Ausbildung?<br />
Die Integration eines Praxissemesters in die 1. Phase der<br />
Ausbildung geht ebenfalls einher mit zunächst noch ungelösten<br />
Aufgaben. Wie kann die Theorie-Praxis-Ausbildung<br />
unter Einbeziehung des Praxissemesters als ein kumulativer<br />
Kompetenzentwicklungsprozess gestaltet werden, in<br />
dem beide Phasen, die Universität und auch die Studienseminare,<br />
ihre eindeutige Rolle haben? Sind die beiden<br />
Phasen überhaupt in der Lage, auf curricularer Ebene<br />
sinnvoll miteinander zu kooperieren? Es wird spannend<br />
sein zu beobachten, wie sich der Professionalisierungsprozess<br />
der Studierenden gestallten lässt. Auf jeden Fall<br />
sollte darauf geachtet werden, dass sich weder in der<br />
universitären Ausbildung noch in der Praxisausbildung die<br />
Vermittlung von Handlungsroutinen in den Vordergrund<br />
drängt, sondern eine kritisch-konstruktive Auseinandersetzung<br />
mit Theorieansätzen, Praxisphänomenen und der<br />
eigenen Lehrerpersönlichkeit geschieht.<br />
Diese und weitere Fragen stellen sich. Hier müssen die<br />
Beteiligten sich fi nden und Kooperation muss gestaltet<br />
werden. In dem Ringen um Antworten auf die sich stellenden<br />
Fragen sollte nicht übersehen werden, dass die Lehrerbildung<br />
mit diesen Änderungen erstmals als Ganzes in<br />
den Blick genommen wird und Jahrzehnte alte Forderungen<br />
nun endlich die Chance haben umgesetzt zu werden.<br />
Die Aufwertung der bisherigen »kleinen« Studiengänge<br />
und auch die stärkere Verzahnung von Theorie und Praxis<br />
stellen Fortschritte dar, für die sich aller Einsatz lohnt.<br />
BERND RALLE<br />
gc<br />
43
SINUS-Transfer Grundschule<br />
Lehrkräfte verändern ihren Mathematikunterricht<br />
und ihren naturwissenschaftlichen Sachunterricht an<br />
Grundschulen – (wie) geht das?<br />
CLAUDIA FISCHER – KAREN RIECK – BRIGITTE DEDEKIND<br />
SINUS-Transfer Grundschule ist ein Unterrichtsentwicklungsprogramm, in dessen Zentrum die Weiterentwicklung<br />
des Mathematikunterrichts und des naturwissenschaftlichen Sachunterrichts an Grundschulen steht. Der Beitrag<br />
stellt beispielhaft vor, wie Lehrkräfte – unterstützt durch das Programm – innerhalb eines mehrjährigen Prozesses<br />
ihren Unterricht verändern. Gezeigt wird auch, welche Erfahrungen sie dabei machen und welche professionelle<br />
Weiterentwicklung sie vollziehen.<br />
1 Einleitung<br />
Frau Schmidt (46 Jahre) ist Lehrerin und unterrichtet<br />
seit Jahren mit viel Freude an einer Grundschule. Aus<br />
ihrer Sicht kommt ihr Unterricht gut an und die meisten<br />
Kinder lernen erfolgreich. Allerdings stellt sie über<br />
die Jahre eine starke Zunahme der Heterogenität in der<br />
Schülerschaft fest, die auch Einfl uss auf ihren Unterricht<br />
hat. Sie fühlt sich als Lehrerin stärker gefordert, ihren<br />
Unterricht so zu gestalten, dass sie allen Kindern gerecht<br />
wird. Die dazu nötigen Veränderungen gehören nicht zu<br />
ihren Routinen. Sie verspürt die dringende Notwendigkeit,<br />
sich fachlich und methodisch zu informieren und Neues<br />
dazu zu lernen.<br />
Frau Schmidt stellen wir in diesem Beitrag als eine beispielhafte<br />
Lehrkraft aus dem bundesweiten Modellversuch<br />
SINUS-Transfer Grundschule vor. Sie ist keine tatsächlich<br />
existierende Person, sondern ein Prototyp, in dem die<br />
charakteristischen Lehrermerkmale konzentriert sind, die<br />
wir über Datenerhebungen im Programm SINUS-Transfer<br />
Grundschule ermittelt haben. Die Daten werden dabei<br />
über Schulfragebögen, regelmäßige Berichterstattung<br />
der Länder, Untersuchung von schriftlichen Dokumentationen<br />
der Lehrkräfte (Logbücher) und Akzeptanzbefragung<br />
erhoben.<br />
2 Das Programm SINUS-Transfer<br />
Grundschule<br />
Als bundesweites Unterrichtsentwicklungsprogramm startete<br />
SINUS-Transfer Grundschule im August 2004 und<br />
endet im Juli <strong>2009</strong>. Lehrkräfte aus 400 Grundschulen in<br />
14 Bundesländern arbeiten während dieser Zeit kooperativ<br />
an der Veränderung ihres Mathematikunterrichts und<br />
ihres naturwissenschaftlichen Sachunterrichts und professionalisieren<br />
sich damit weiter. Das Programm wird<br />
in der gemeinsamen Verantwortung der Länder durchgeführt,<br />
die Programmträgerschaft liegt – wie bei den auf<br />
die Sekundarstufen ausgerichteten Vorläuferprogrammen<br />
SINUS und SINUS-Transfer – beim Kieler Leibniz-Institut<br />
für die Pädagogik der Naturwissenschaften (IPN), das das<br />
Programm auch wissenschaftlich begleitet.<br />
Empirische Studien zeigen, dass der Entwicklungsbedarf<br />
im Unterricht von Mathematik und den Naturwissenschaften<br />
in Deutschland besonders groß ist (Stigler & Hie-<br />
44<br />
AUS BILDUNG UND WISSENSCHAFT<br />
bert 1997; Baumert et al. 1997; BLK 1997; Baumert,<br />
Bos & Lehmann, 1998). Unterrichtsveränderung muss<br />
deshalb darauf abzielen, die Bedingungen für effektives<br />
Lernen in diesen beiden Bereichen zu verbessern. Damit<br />
alle Schülerinnen und Schüler – unabhängig von ihrer<br />
sozialen und ethnischen Herkunft – ein höheres Niveau<br />
der mathematischen und naturwissenschaftlichen Kompetenz<br />
erreichen, ist es sinnvoll, frühzeitig zu beginnen.<br />
Ziel jeden Unterrichts ist es, Lernende dabei zu unterstützen,<br />
Sachverhalte geistig zu durchdringen und dabei<br />
anschlussfähiges und anwendbares Wissen aufzubauen.<br />
Eine andere Gruppe von Lernenden, nämlich Kinder und<br />
Jugendliche mit besonderen Begabungen, wird derzeit<br />
in deutschen Schulen nicht ausreichend gefördert. Unterricht<br />
hat die Aufgabe, über differenzielle Angebote die<br />
unterschiedlichen Lernausgangslagen zu berücksichtigen<br />
und Über- sowie Unterforderung zu vermeiden. Die Unterrichtsentwicklung<br />
in SINUS-Transfer Grundschule hilft bei<br />
der Bewältigung dieser Anforderungen.<br />
Das Programm SINUS-Transfer Grundschule lädt Lehrkräfte<br />
dazu ein, sich auf das nahe Liegende zu konzentrieren,<br />
nämlich auf ausgewählte – empirisch nachgewiesene<br />
– Problembereiche des Unterrichts (z. B. die Aufgabenkultur<br />
oder den Umgang mit Heterogenität). Diese Problembereiche<br />
sind für die Grundschule in zehn so genannten<br />
Modulen formuliert (vgl. Abb. 1). Zu jedem der Module<br />
werden fachdidaktische Handreichungen (Modulbeschreibungen)<br />
als Ausgangsimpuls für die Lehrkräfte bereitgestellt.<br />
3 Warum engagieren sich Lehrkräfte?<br />
Derzeit sind ca. 1.500 Lehrkräfte freiwillig am Programm<br />
SINUS-Transfer Grundschule beteiligt.<br />
Aus der Sicht von Lehrkräften ist die Mitarbeit in diesem<br />
Programm besonders attraktiv, weil es:<br />
aktuelle und brennende Fragen des Unterrichts aufgreift<br />
und zu Veränderungen anregt,<br />
Lehrkräfte direkt mit ihrer durch den Beruf und das<br />
Leben erworbenen Expertise für Unterricht anspricht,<br />
kooperatives Arbeiten voraussetzt,<br />
innerhalb eines gesetzten Rahmens Lehrkräften große<br />
Freiheiten der Ausgestaltung lässt,<br />
strukturiertes und koordiniertes Arbeiten bietet,<br />
ein effektives Unterstützungssystem ausgebildet hat<br />
und<br />
<strong>MNU</strong> <strong>PRIMAR</strong> 1/2 (15.4.<strong>2009</strong>) Seiten 44–49, ISSN 1867-9439, © Verlag Klaus Seeberger, Neuss
AUS BILDUNG UND WISSENSCHAFT // SINUS-TRANSFER GRUNDSCHULE<br />
über regelmäßige Evaluation die Zielorientierung und<br />
Zielerreichung sichert.<br />
Einige dieser Gründe wollen wir im Folgenden genauer beleuchten.<br />
4 Aktuelle und brennende Fragen<br />
des Unterrichts aufgreifen<br />
Frau Schmidt unterrichtet in einem Stadtteil mit einem<br />
traditionell hohen Akademikeranteil. Seit einigen Jahren<br />
wandelt sich die Wohnbevölkerung im Einzugsbereich der<br />
Schule. In der Klasse sind jetzt auch Kinder aus eingewanderten<br />
Familien, die kaum Deutsch sprechen und Kinder<br />
aus Familien, in denen schon seit mehreren Jahren niemand<br />
mehr einer geregelten Arbeit nachgeht. Daneben<br />
gibt es nach wie vor Kinder aus anderen Elternhäusern,<br />
in denen Mütter nur für die Kinder da sind und an jedem<br />
Nachmittag nach der Schule für eine anregende Freizeitbeschäftigung<br />
sorgen. Frau Schmidt fühlt sich als Lehrerin<br />
stärker gefordert. Ihr Unterricht soll jedem Kind gerecht<br />
werden. Das ist nicht immer leicht. Als die Schule<br />
die Möglichkeit erhält, sich am Programm SINUS-Transfer<br />
Grundschule zu beteiligen, eröffnet sich die Chance,<br />
etwas zu unternehmen.<br />
Die Mitarbeit im SINUS-Programm gibt Frau Schmidt<br />
Gelegenheit, ihr Problem zu thematisieren, es genauer<br />
zu untersuchen und an seiner Lösung zu arbeiten. Sie<br />
nimmt das Angebot des Projekts an und vermutet, dass<br />
eine Veränderung der Aufgabenkultur im Mathematikunterricht<br />
helfen könnte, den Unterricht besser an die unterschiedlichen<br />
Lern- und Leistungsvoraussetzungen der<br />
Abb. 1 Zehn Module für die Grundschule<br />
Kinder anzupassen. Sie macht daher Modul G1 zu einem<br />
Arbeitsschwerpunkt ihrer SINUS-Arbeit. Wie die Abbildung<br />
2 zeigt, werden in beiden fachlichen Schwerpunkten<br />
(Mathematik bzw. naturwissenschaftlicher Sachunterricht)<br />
vor allem die drei Basismodule als Bezugspunkte<br />
gewählt. Diese Modulwahl entspricht der Konzeption, die<br />
vorsieht, dass die Schulen zunächst mit der Arbeit auf der<br />
Grundlage eines Basismoduls beginnen. Ab dem zweiten<br />
bzw. dritten Programmjahr wählen sie ein weiteres Basismodul<br />
oder ein Erweiterungsmodul hinzu und bringen<br />
sich dadurch in die Lage, komplexere Anforderungen des<br />
Unterrichts zu bearbeiten. Ein Beispiel wäre die Entwicklung<br />
von Aufgaben, die besonders dabei helfen, Talente<br />
zu entdecken.<br />
5 Lehrkräfte sind Experten für Unterricht<br />
Frau Schmidt arbeitet seit über 20 Jahren in ihrem Beruf<br />
und ist damit auf vielen Gebieten sehr praxiserfahren.<br />
Damit sie mit Heterogenität besser umgehen kann,<br />
braucht sie jedoch mehr als die bisherige praktische Erfahrung.<br />
Auf Theoriewissen aus der Ausbildung kann sie<br />
nicht zurückgreifen, denn Heterogenität bzw. individuelle<br />
Förderung waren damals keine wichtigen Themen. Fortbildung<br />
könnte helfen, doch allzu häufi g besucht sie solche<br />
Veranstaltungen nicht, denn es darf keine Unterrichtsstunde<br />
ausfallen und Vertretungsregelungen stoßen an<br />
ihre Grenzen. Die Schulleiterin unterstützt Fortbildungswünsche<br />
prinzipiell, hat aber oft Schwierigkeiten, sie zu<br />
realisieren. Frau Schmidt erlebt, dass die angebotenen<br />
Fortbildungsthemen nicht immer ihre Fragen beantworten;<br />
insbesondere zum Umgang mit Heterogenität gibt es<br />
kaum Angebote, die auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten<br />
www.mnu.de 45
AUS BILDUNG UND WISSENSCHAFT // SINUS-TRANSFER GRUNDSCHULE<br />
sind. Die Lehrkräfte wissen oft nicht, worin sie sich fortbilden,<br />
da im Schulalltag wenig Zeit zum Austausch bleibt.<br />
Umgekehrt weiß Frau Schmidt auch nichts von den Fortbildungserfahrungen<br />
anderer Kolleginnen und Kollegen.<br />
Das Programm SINUS-Transfer Grundschule versteht<br />
Lehrkräfte als berufs- und lebenserfahrene Experten<br />
für Unterricht. Sie kennen die Probleme am besten und<br />
sind dazu prädestiniert, sie zu bearbeiten und zu lösen.<br />
Dabei bringen sie ihr vorhandenes Wissen und Können<br />
ein und erhalten gezielte Unterstützung. Eine solche Hilfestellung<br />
erfolgt in Form von Fortbildungsimpulsen, von<br />
thematisch orientierten schriftlichen Handreichungen,<br />
fachlicher Beratung und kollegialem Austausch. SINUS-<br />
Lehrkräfte konzentrieren ihre Arbeit auf die Veränderung<br />
des Unterrichts. Unterrichtsveränderung im Sinne von<br />
SINUS bedeutet nicht, den gesamten Unterrichtsansatz<br />
über Bord zu werfen. Stattdessen wählen die Lehrkräfte<br />
Kernbereiche aus und ergreifen gezielt Maßnahmen, mit<br />
denen sie rasch zu sichtbaren und spürbaren Veränderungen<br />
kommen. Unterrichtsveränderung ist ein Prozess<br />
des Konstruierens. Im Zentrum dieses Prozesses stehen<br />
didaktische Unterlagen: sie werden erprobt, die Ergebnisse<br />
überprüft, der Einsatz refl ektiert, etwas verändert,<br />
erneut erprobt usw. Durch ein solches Vorgehen erleben<br />
Lehrkräfte einen Zugewinn an professioneller Kompetenz<br />
und verfügen schließlich über mehr und neue Möglichkeiten,<br />
ihr Handeln an die unterrichtlichen Erfordernisse<br />
anzupassen.<br />
6 Kollegial zusammenarbeiten<br />
In ihrem Berufsleben hat Frau Schmidt schon oft versucht,<br />
etwas in ihrem Unterricht zu verändern. Meist erlebte sie<br />
sich dabei als Einzelkämpferin, d. h. sie setzte sich als<br />
Einzelne mit Problemen einer Klasse, eines Kindes oder<br />
eines Aspekts von Unterricht auseinander. Von Fall zu Fall<br />
konnte sie sich mit einer anderen Kollegin beraten. Aber<br />
oft erlebte sie andere Lehrkräfte im Kollegium auch als<br />
skeptisch oder offen ablehnend. Im SINUS-Programm ist<br />
die kollegiale Zusammenarbeit ein Grundprinzip der Arbeit,<br />
d. h. in einer Schule arbeiten mehrere Lehrkräfte als<br />
SINUS-Gruppe zusammen und tauschen ihre Erfahrungen<br />
aus. In einem Schulset sind jeweils mehrere Schulen zusammengefasst<br />
und arbeiten schulübergreifend zusammen.<br />
Und auch auf Landesebene gibt es Kooperation und<br />
Austausch (vgl. auch Abbildung 3).<br />
46<br />
Anz. d. Länder<br />
14<br />
12<br />
10<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
0<br />
G1 G2 G3 G4 G5 G6 G7 G8 G9 G10 Module<br />
Mathematik<br />
Sachunterricht<br />
Abb. 2 Modulwahl nach Anzahl der Länder im Vergleich der Fächer Mathematik und naturwissenschaftlicher Sachunterricht<br />
(Stichtag: 31.07.2007)<br />
An Frau Schmidts Schule wurde Kooperation zwar immer<br />
gewünscht aber noch nicht praktiziert. Mit Beginn der SI-<br />
NUS-Arbeit gelingt es Frau Schmidt und der Schulleiterin,<br />
noch zwei weitere Kolleginnen und einen Kollegen für die<br />
Teilnahme zu gewinnen. Zunächst hat niemand Erfahrung,<br />
wie eine solche Zusammenarbeit aussieht. Es dauert eine<br />
ganze Weile, bis sie alles verabredet haben: wann sie<br />
sich treffen, in welchen Zeitabständen, welches Thema<br />
sie bearbeiten wollen, wie sie ihre Tätigkeit (schriftlich)<br />
festhalten, wer in der Gruppe welche Rolle spielt, usw..<br />
Da alle Mathematik unterrichten, einigen sie sich auf Modul<br />
G1 (»Gute Aufgaben«), die Weiterentwicklung der Aufgabenkultur<br />
im Mathematikunterricht als Arbeitsgrundlage.<br />
Zunächst lesen und diskutieren sie gemeinsam die<br />
Abb. 3 Organigramm von SINUS-Transfer Grundschule<br />
<strong>MNU</strong> <strong>PRIMAR</strong> 1/2 (15.4.<strong>2009</strong>)
AUS BILDUNG UND WISSENSCHAFT // SINUS-TRANSFER GRUNDSCHULE<br />
Modulbeschreibung. Vieles ist sofort einleuchtend, bei<br />
einigen Punkten gibt es Fragen, die sie nicht beantworten<br />
können. Die Gruppe fühlt sich angesprochen mit ihrem<br />
Sachverstand und ihrer Berufserfahrung. Die Kolleginnen<br />
und der Kollege machen völlig neue Erfahrungen: noch<br />
nie haben sie sich gegenseitig so sachlich ihre Auffassungen<br />
mitgeteilt, selten einander so aufmerksam zugehört.<br />
Ganz neu ist, dass sie sich selbst ein Ziel setzen und die<br />
Schritte festlegen. Entlastend wirkt schon gleich der Austausch<br />
didaktischer Unterlagen. Selbstverständlich gibt<br />
es auch Schwierigkeiten: Jemand übernimmt eine Aufgabe<br />
und vergisst, sie zu erledigen. Dass der Termin für das<br />
regelmäßige Treffen während der Unterrichtszeit stattfi ndet,<br />
muss erst durchgesetzt werden. Und am Anfang ist<br />
der zusätzliche Arbeitsaufwand enorm: das Lesen vieler<br />
bedruckter Seiten, die Verständigung darüber, die Verabredung<br />
von Tätigkeiten und das Aufschreiben kosten viel<br />
mehr Zeit als zunächst angenommen.<br />
7 Ein festgesetzter Rahmen und Freiheit<br />
bei der Ausgestaltung<br />
Frau Schmidt und die Mitglieder der SINUS-Gruppe schätzen<br />
sehr, dass das Programm SINUS-Transfer Grundschule<br />
einen klar umrissenen Rahmen hat, in dem <strong>Inhalt</strong>e<br />
und Organisation festgelegt sind. Das macht die Aufgabe<br />
überschaubar.<br />
Die Programmstruktur legt für jede Ebene der Koordination<br />
die Aufgaben fest und stimmt sie aufeinander ab (vgl.<br />
Abbildung 3). Frau Schmidt und ihre Kolleginnen und Kollegen<br />
wissen, wen sie ansprechen und bei wem sie Hilfe<br />
bekommen können. Die Programmexpertise enthält die<br />
Grundlage mit Zielen, Arbeitsweisen und zeitlichem Ablauf<br />
– jeder der Aktiven kann sich darüber informieren. Und<br />
die Module stecken den inhaltlichen Rahmen ab.<br />
Die SINUS-Gruppe von Frau Schmidt schätzt sehr, dass ihnen<br />
das Programm große Freiheit einräumt und ganz bewusst<br />
darauf verzichtet, sie anhand eines vorgefertigten<br />
Curriculums durch das Programm zu führen. Immer wieder<br />
betonen sie, wie gut ihnen gefällt, ohne Vorschriften<br />
planen und arbeiten zu können, selbst entscheiden zu dürfen,<br />
welchen thematischen Schwerpunkt sie wählen, wie<br />
viel Zeit sie sich für die Bearbeitung nehmen und wie sie<br />
methodisch dabei vorgehen: »Ich fi nde es sehr gut, dass<br />
uns niemand sagt, was wir wie tun sollen. Das passiert<br />
ja sonst ständig und wir haben es schon oft kritisiert.<br />
Endlich dürfen wir einmal selbst entscheiden, was wichtig<br />
ist und was wir tun wollen!« Allerdings löst die Offenheit<br />
der Aufgabenstellung auch Bedenken aus: »Warum sagt<br />
uns keiner, was wir jetzt machen sollen? Wie können wir<br />
wissen, ob wir es richtig machen, wenn uns keiner sagt,<br />
wie wir es machen sollen«, sagt eine Kollegin. Und eine<br />
andere ergänzt: »Was ist denn nun eine gute Aufgabe?<br />
Auch wenn ich die Modulbeschreibung gründlich gelesen<br />
habe – verstanden habe ich es nicht.«<br />
8 Für die Weiterentwicklung des<br />
Unterrichts Multiplikatoren qualifi zieren<br />
Die SINUS-Gruppe von Frau Schmidt muss mit ihren<br />
Fragen und Bedenken nicht allein bleiben. Sie hilft sich<br />
zunächst selbst. Wenn sie zusätzliche Unterstützung<br />
braucht, kann sie sich an die Set- oder Landeskoordination<br />
wenden.<br />
Die Frage nach der »guten Aufgabe« ist für die Gruppe<br />
so wichtig, dass sie damit den Setkoordinator anspricht.<br />
Er schlägt vor, dass das Thema beim nächsten Set-Treffen<br />
besprochen wird. Der Austausch mit Lehrkräften aus<br />
vier weiteren Schulen führt schon zu einer weiteren Klärung.<br />
Frau Schmidt nimmt dann noch bei einer im Programmrahmen<br />
angebotenen Fortbildungsveranstaltung<br />
am Workshop zu den »guten Aufgaben« teil. Dort erhält<br />
sie wichtige Anregungen, über die sie anschließend in der<br />
Gruppe berichtet. Auf dieser Grundlage formulieren die<br />
Kolleginnen und der Kollege für sich als Ziel, die bisher<br />
in der dritten Klasse eingesetzten Aufgaben dahingehend<br />
zu überprüfen, welche Differenzierungsmöglichkeiten bzw.<br />
Niveauabstufungen die Aufgaben zulassen. Sie planen<br />
dann, einen kommentierten Aufgabenpool zu entwickeln,<br />
in dem erprobte Aufgaben für das ganze Kollegium zusammengestellt<br />
sind.<br />
Koordinierungspersonen spielen in allen SINUS-Programmen<br />
eine wichtige Rolle. Sie haben die Aufgabe, maßgeschneiderte<br />
Angebote auf den verschiedenen Ebenen des<br />
Programms bereit zu stellen. Dafür erhalten sie Impulse<br />
innerhalb des zentralen Aus- und Fortbildungsprogramms<br />
des Programmträgers. Diese Impulse beziehen sich auf<br />
das Programm und die Konzeption, auf die Themen der<br />
Module und Möglichkeiten der Arbeit mit den Modulen,<br />
auf die Nutzung eines so genannten Logbuchs als Instrument<br />
für die Dokumentation und Refl exion sowie auf<br />
Fragen des Projektmanagements, auf Konfl ikte innerhalb<br />
des Programms und deren Lösung. Der Programmträger<br />
bietet jährlich zwei zentrale Fortbildungsveranstaltungen<br />
für die Zielgruppe der Landes- und Setkoordinatoren an.<br />
Außerdem drei jährliche Veranstaltungen, die dem länderübergreifenden<br />
Erfahrungsaustausch dienen und ein<br />
thematisch abgestimmtes Angebot enthalten (z. B. Teamentwicklung).<br />
Unterrichtsentwicklung nach dem SINUS-Ansatz<br />
soll nicht nur bei den beteiligten Schulen wirken. Ziel<br />
ist, diesen Ansatz innerhalb eines Landes auf noch weitere<br />
Schulen zu übertragen. Dafür ist es nötig, die bisherige<br />
Arbeit vielfach zu vernetzen: mit Lehreraus- und -fortbildungsinstituten,<br />
mit Universitäten und Pädagogischen<br />
Hochschulen. Auf diese Weise können wissenschaftliche<br />
und fachdidaktische Ressourcen für die Arbeit im Land<br />
genutzt werden. Umgekehrt können der Programmansatz<br />
und Ergebnisse der Programmarbeit für die Ausbildung<br />
und Fortbildung künftiger und erfahrener Lehrkräfte genutzt<br />
werden.<br />
Frau Schmidt ist mit dem für ihre Schule zuständigen<br />
Setkoordinator sehr zufrieden. Er ist stets ansprechbar,<br />
hört sich alle Probleme aufmerksam an, gibt praktikable<br />
Ratschläge und vermittelt die auf den Fortbildungen erhaltenen<br />
Impulse weiter. Beim letzten Treffen führte er einen<br />
Workshop zum Umgang mit zählend rechnenden Kindern<br />
durch. Das war so anregend, dass sie nicht bedauerte,<br />
dafür einen Samstag geopfert zu haben. Außerdem<br />
nimmt der Setkoordinator die Wünsche der Lehrkräfte<br />
auf, bespricht sie mit der Landeskoordinatorin und trägt<br />
so dazu bei, dass landesweite Fortbildungsveranstaltungen<br />
auch an den Bedürfnissen der Lehrkräfte aus dem<br />
Set orientiert sind.<br />
9 Mit regelmäßiger Evaluation<br />
Zielorientierung und Zielerreichung<br />
prüfen<br />
Die SINUS-Gruppe von Frau Schmidt nimmt sich für die<br />
Überprüfung der Mathematikaufgaben drei Monate Zeit.<br />
www.mnu.de 47
AUS BILDUNG UND WISSENSCHAFT // SINUS-TRANSFER GRUNDSCHULE<br />
Während der nächsten sechs Monate entwickelt sie einen<br />
kommentierten Aufgabenpool, in dem solche – erprobten<br />
– Aufgaben zusammengestellt werden. Nach neun Monaten<br />
überprüft sie, ob sie ihre Ziele erreicht hat. Dazu<br />
nutzt sie ein so genanntes Logbuch, das die Gruppe zur<br />
Begleitung ihres Arbeitsprozesses führt. Dort werden die<br />
Ziele festgehalten, die Tätigkeiten, die die Gruppe unternimmt<br />
und die Ergebnisse, die sie erreicht. Außerdem ist<br />
dokumentiert, welche Personen an den einzelnen Treffen<br />
beteiligt sind und wann die Treffen stattfi nden. Auf der<br />
Grundlage dieser Aufzeichnungen stellt die Gruppe fest,<br />
ob die Ziele realistisch waren, ob die Tätigkeiten im Sinn<br />
der Zielsetzung erfolgten und ob das Ergebnis auf Ziele<br />
und Tätigkeiten bezogen war. Während des gesamten<br />
ersten Jahres hatte die Gruppe mit dem Instrument große<br />
Schwierigkeiten. Das lag auch daran, dass den Lehrkräften<br />
nicht klar war, was genau sie eigentlich schreiben<br />
sollten und welche exemplarischen Unterlagen ihre Arbeit<br />
dokumentieren. Inzwischen haben sie sich das Logbuch<br />
so zu Eigen gemacht, dass es ihnen beim Überblick über<br />
ihre Arbeit hilft. Sie formulieren ihre Vorhaben so, dass<br />
sie vor allem auf ihre Umsetzbarkeit achten und freuen<br />
sich, wenn sie ein Ziel erreicht haben.<br />
Zusätzlich zur Arbeit mit dem Logbuch, die zentral vom<br />
Programmträger evaluiert wird, fi ndet regelmäßige Evaluation<br />
statt, um sicher zu stellen, dass im Programm<br />
an der Weiterentwicklung des Mathematikunterrichts und<br />
des naturwissenschaftlichen Sachunterrichts gearbeitet<br />
wird.<br />
Dafür werden regelmäßige Berichte und Erhebungen aus<br />
den Ländern genutzt, außerdem Akzeptanzbefragungen.<br />
10 Stand der Arbeit<br />
Ganz generell zeigen die bisher erhobenen Daten, dass<br />
das Programm gut akzeptiert ist und die Beteiligten mit<br />
viel Engagement mitarbeiten. Es zeigt sich auch, dass<br />
Koordinierungspersonen und Lehrkräfte ihre Arbeit systematisch<br />
an der Programmkonzeption ausrichten. Das<br />
bedeutet im Einzelnen:<br />
Sie stellen einen Problembezug her und<br />
beziehen ihre Arbeit auf den Unterricht,<br />
sie strukturieren, koordinieren und evaluieren ihre<br />
Tätigkeit und<br />
arbeiten kollegial zusammen,<br />
sie dokumentieren und refl ektieren ihre Arbeit.<br />
Die Datenerhebung zeigt auch, dass die Unterstützung<br />
durch die Schulleitung eine wichtige Rahmenbedingung<br />
ist, um die Arbeit an der Schule voranzubringen. Dort,<br />
wo die Schulleitung das Programm unterstützt, wo SINUS<br />
vielleicht sogar Teil des Schulprogramms ist, gelingt Vieles<br />
leichter als dort, wo Lehrkräfte mit Duldung oder sogar<br />
gegen den Widerstand der Schulleitung agieren.<br />
Im Lauf der Jahre ist eine belastbare und ausbaufähige<br />
Arbeitsstruktur entstanden. Sie kann genutzt werden,<br />
um den Programmansatz weiter in die Fläche zu verbreiten.<br />
Denkbar ist auch, den SINUS-Ansatz innerhalb einer<br />
Schule in den Unterricht in anderen Fächern zu transportieren.<br />
48<br />
11 Welchen Gewinn hat Frau Schmidt,<br />
wie profi tiert ihre Schule?<br />
Frau Schmidt arbeitet seit inzwischen vier Jahren im Programm<br />
zusammen mit einer SINUS-Gruppe, deren Tätigkeit<br />
von der Schulleitung unterstützt und vom Kollegium<br />
mit Interesse verfolgt wird. Auf ihre Fragen nach Möglichkeiten<br />
differenzierenden Unterrichts vor dem Hintergrund<br />
zunehmender Heterogenität hat sie praktikable Antworten<br />
gefunden. Und nicht nur das: Nach ihrer Meinung hat sie<br />
in spürbarem Umfang professionelle Kompetenzen dazu<br />
gewonnen. Diese schlagen sich ganz handfest in ihrer Fähigkeit<br />
nieder, den Unterricht strukturell so zu verändern,<br />
dass es ihr in vielen Phasen gelingt, Lernen effektiv zu<br />
begleiten, Leistung zu beobachten, einzuordnen und zu<br />
beurteilen. Viel besser als früher sieht sie sich in der<br />
Lage, Kinder beim gemeinsamen Lernen zu beraten und<br />
sie dabei zu unterstützen, eigene Lernziele zu verfolgen.<br />
Die Schule hat einen Einstieg in kollegiale Zusammenarbeit<br />
und fachbezogene Unterrichtsentwicklung gefunden.<br />
SINUS ist inzwischen Bestandteil des Schulprogramms<br />
als Arbeitsprogramm.<br />
Literarur und weitere Informationen<br />
zum Programm:<br />
BAUMERT, J., LEHMANN, R., LEHRKE, M., SCHMITZ, B.,<br />
CLAUSEN, M., HOSENFELD, I. et al. (1997): TIMSS – Mathematisch-naturwissenschaftlicher<br />
Unterricht im<br />
internationalen Vergleich. Deskriptive Befunde. Opladen:<br />
Leske + Budrich<br />
BAUMERT, J., BOS, W. & LEHMANN, R. (1998): TIMSS/III<br />
– Schülerleistungen in Mathematik und den Naturwissenschaften<br />
am Ende der Sekundarstufe II im internationalen<br />
Vergleich. Berlin: Max-Planck-Institut für Bildungsforschung.<br />
BLK (Hg.) (1997): Gutachten zur Vorbereitung des programms<br />
»Steigerung der Effi zienz des mathematisch-naturwissenschaftlichen<br />
Unterrichts«. Bonn: BLK, Heft 12<br />
PRENZEL, M. et al. (2004): SINUS-Transfer Grundschule.<br />
Weiterentwicklung des mathematischen und naturwissenschaftlichen<br />
Unterrichts an Grundschulen. Gutachten<br />
des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften<br />
(IPN) Kiel. Heft 112 der Materialien zur<br />
Bildungsplanung und Forschungsförderung. Bonn: BLK.<br />
Auch: www.blk-bonn.de<br />
STIGLER, J. W. & HIEBERT, J. (1997): Understanding and<br />
improving classroom mathematics instruction: An overview<br />
of the TIMSS Video Study. Phi Delta Kappan 79(1),<br />
14–21.<br />
Internetseiten des Programms SINUS-Transfer Grundschule<br />
unter www.sinus-grundschule.de. Dort fi nden sich<br />
auch Ergebnisse aus Datenerhebungen und Evaluation.<br />
Die Autorinnen sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen<br />
des IPN und in der zentralen Koordinierungsstelle im Programm<br />
SINUS-Transfer Grundschule tätig.<br />
<strong>MNU</strong> <strong>PRIMAR</strong> 1/2 (15.4.<strong>2009</strong>)
CLAUDIA FISCHER ist promovierte<br />
Erziehungswissenschaftlerin<br />
und leitet die zentrale<br />
Koordinierungsstelle und ist für die<br />
Bereiche Koordination und Evaluation<br />
zuständig.<br />
KAREN RIECK ist promovierte<br />
Physikdidaktikerin und koordiniert<br />
die naturwissenschafts didaktischen<br />
Komponenten.<br />
Korrespondenzadresse:<br />
BRIGITTE DEDEKIND ist<br />
Grundschullehrerin (Mathematik,<br />
Sport) und koordiniert die<br />
mathematikdidaktischen<br />
Komponenten.<br />
Dr. CLAUDIA FISCHER<br />
Leibniz-Institut für die Pädagogik<br />
der Naturwissenschaften (IPN)<br />
Programm SINUS-Transfer Grundschule<br />
Olshausenstr. 62<br />
24098 Kiel<br />
cfi scher@ipn.uni-kiel.de<br />
Diagnose von Rechenstörungen<br />
Möglichkeiten und Grenzen von Diagnoseverfahren<br />
im Mathematikunterricht<br />
THOMAS ROTTMANN<br />
SCHULPRAXIS<br />
Dieser Beitrag setzt sich kritisch mit unterschiedlichen Verfahren zur Diagnose von Rechenstörungen auseinander<br />
und analysiert deren Verwendbarkeit und Nutzen für die schulische Diagnose. Anhand von Auszügen aus einem<br />
»Praxistest« werden Problemstellen standardisierter Verfahren (am Beispiel des Zareki) aufgezeigt und deren<br />
Ergebnisse mit denen einer prozessorientierten Diagnostik verglichen. Auf dieser Grundlage werden schließlich<br />
Empfehlungen und Folgerungen für die schulische Diagnostik ausgesprochen.<br />
Die Bildungsstandards und in deren Folge die unterschiedlichen<br />
Vergleichsarbeiten orientieren sich mehr oder minder<br />
an »Regelanforderungen«, welche von Schülerinnen<br />
und Schülern zu einem bestimmten Zeitpunkt erfüllt werden<br />
sollten. Die Praxis zeigt jedoch, dass es nicht allen<br />
Schülern gelingt, diesem Anspruch gerecht zu werden;<br />
das Mathematiklernen bereitet einigen Schülern derartige<br />
Schwierigkeiten, dass diese den <strong>Inhalt</strong>en des aktuellen<br />
Mathematikunterrichts nicht erfolgreich folgen können.<br />
Bei solchen Problemen wird häufi g die Frage gestellt,<br />
ob eine Rechenstörung vorliegen kann. Die üblichen Vergleichs-<br />
und Orientierungsarbeiten stellen in diesen Fällen<br />
keine Hilfe dar. Zur Diagnose einer Rechenstörung werden<br />
i. d. R. spezielle Diagnoseinstrumente herangezogen,<br />
welche gezielt auf die besonders problematischen Mathematikleistungen<br />
ausgerichtet sind. Nachfolgend werden<br />
einige Diagnoseansätze kritisch auf ihre Eignung für die<br />
Verwendung in der Schule geprüft.<br />
1 Typen von Diagnoseverfahren<br />
<strong>MNU</strong> <strong>PRIMAR</strong> 1/2 (15.4.<strong>2009</strong>) Seiten 49–52, ISSN 1867-9439, © Verlag Klaus Seeberger, Neuss<br />
Auf dem Markt der Diagnose- und Testverfahren sowie in<br />
Veröffentlichungen zum Themenbereich Rechenstörungen<br />
lassen sich sehr unterschiedliche Instrumente zur Feststellung<br />
einer Rechenstörung auffi nden. SCHIPPER (2005b,<br />
2007) unterscheidet drei Arten von Diagnoseverfahren:<br />
(1) Etikettierungstests, (2) Tests zum Auffi nden von Risikokindern<br />
und (3) Prozessorientierte Diagnostik.<br />
Innerhalb des ersten Typs ist der ZAREKI (VON ASTER<br />
2001) 1 zu nennen, welcher häufi g zur Diagnose einer<br />
»Dyskalkulie« eingesetzt wird. Bei diesem standardisierten<br />
Test wird die Objektivität z. B. durch die genaue Vorgabe<br />
der Aufgaben und Formulierungen sichergestellt;<br />
1 Zu diesem Test gibt es eine überarbeitete Fassung ZAREKI-R (VON ASTER<br />
2005). Für die in diesem Beitrag angeführten Überprüfungen wurde jedoch<br />
die Version aus dem Jahr 2001 verwendet.<br />
gc<br />
49
SCHULPRAXIS // DIAGNOSE VON RECHENSTÖRUNGEN<br />
ergänzende Hilfestellungen o. Ä. sind nicht gestattet. Die<br />
von den Kindern in den einzelnen Testaufgaben erzielten<br />
Punkte werden unter Berücksichtigung ihres Alters (im<br />
Vergleich zur Eichstichprobe) genauen Prozenträngen zugeordnet.<br />
Wenn ein Kind bei der Bearbeitung einer Aufgabe<br />
nicht über einen Prozentrang von 15 hinauskommt<br />
(d. h. wenn es zu den schwächsten 15 % der Kinder dieser<br />
Altersgruppe gehört), wird dies als kritische Leistung<br />
angesehen.<br />
Im Gegensatz zu den Etikettierungstests zielen Verfahren<br />
zum Auffi nden von »Risikokindern« wie z. B. der »Osnabrücker<br />
Test zur Zahlbegriffsentwicklung« (OTZ, VAN LUIT<br />
u. a. 2001) nicht auf eine trennscharfe Diagnose einer<br />
»Dyskalkulie«. Auf diese Instrumente kann an dieser Stelle<br />
jedoch nicht genauer eingegangen werden – eine kurze<br />
Rezension des OTZ nimmt HUTH vor (vgl. ROTTMANN &<br />
HUTH 2005).<br />
Prozessorientierte Diagnostik wie z. B. die »diagnostischen<br />
Aufgabensätze« von LORENZ und RADATZ (1993)<br />
oder die informelle Diagnostik von KAUFMANN und WESSO-<br />
LOWSKI (2006) zielen direkt auf eine Verbindung von Diagnose<br />
und darauf aufbauender Förderung. Das primäre<br />
Diagnoseinteresse besteht darin, das Vorgehen und die<br />
Gedankengänge der Kinder möglichst gut nachzuvollziehen<br />
und die individuellen (Fehler-) Strategien aufzudecken.<br />
Die Diagnose soll dabei helfen, einen gezielten Förderplan<br />
für das einzelne Kind zu entwickeln (s. auch SCHIPPER<br />
2005b).<br />
2 Schulische Ansprüche an eine Diagnose<br />
Ein Diagnoseinstrument, welches für den Einsatz in der<br />
Schule geeignet sein soll, muss spezifi sche Ansprüche<br />
erfüllen. Das bloße »Ergebnis«, dass ein Kind »eine Dyskalkulie<br />
hat«, hilft der Lehrerin nur wenig weiter; ihr zentrales<br />
Interesse besteht in aller Regel darin, genauere<br />
Informationen für eine möglichst angemessene Unterstützung<br />
und Förderung des Kindes zu erhalten.<br />
Eine weitere Anforderung ergibt sich durch die besonderen<br />
Rahmenbedingungen der Schule und des Mathematikunterrichts.<br />
Eine aus verschiedenen einzelnen Testverfahren<br />
bestehende Diagnostik ist in der Schule nicht praktikabel.<br />
Es fehlen Zeit und Kapazitäten, mit einem einzelnen Kind<br />
für einen Zeitraum von mehr als einer Zeitstunde eine<br />
spezielle Diagnose durchzuführen.<br />
3 Etikettierungstests im »Praxistest«<br />
Im Folgenden werden beispielhaft Erfahrungen mit der<br />
Durchführung unterschiedlicher Testinstrumente dargestellt,<br />
welche vorwiegend in der Arbeit in der Beratungsstelle<br />
für Kinder mit Rechenstörungen an der Universität<br />
Bielefeld (Leitung: Prof. Dr. W. SCHIPPER) gesammelt werden<br />
konnten. Daraus werden anschließend Folgerungen<br />
für die schulische Diagnostik abgeleitet.<br />
3.1 Florian (3. Schuljahr)<br />
Bei der Überprüfung von Florian wurde zusätzlich zur üblicherweise<br />
eingesetzten prozessorientierten Diagnostik<br />
der ZAREKI durchgeführt. Bei beiden Diagnoseinstrumenten<br />
sollten u. a. Florians Fähigkeiten im Bereich der Addition<br />
und Subtraktion erhoben werden.<br />
50<br />
Im ZAREKI werden Additions- und Subtraktionsaufgaben<br />
im Zahlenraum bis max. 32 gestellt. Für eine korrekte<br />
Antwort erhält der Proband zwei Punkte; Beobachtungen<br />
z. B. zur verwendeten Rechenstrategie können vom Versuchsleiter<br />
notiert werden, werden für die Auswertung<br />
der Daten aber nicht verwendet. Florian löst vier der<br />
sechs Additions- sowie sämtliche sechs Subtraktionsaufgaben<br />
korrekt; er erhält damit acht von zwölf Punkten<br />
(entspricht einem Prozentrang PR von 22) bei der Addition<br />
und mit zwölf Punkten die vollständige Punktzahl<br />
bei der Subtraktion (PR 100). Die Entstehung der fehlerhaften<br />
Ergebnisse der Aufgaben »15 + 12 = 23« und<br />
»13 + 19 = 14« bleibt unklar.<br />
Eine kleine Aufgabe an die Leserinnen und Leser<br />
zur »prozessbezogenen Diagnostik«: Wie hat Florian<br />
gerechnet? Erkennen Sie ein Muster, welches diese<br />
fehlerhaften Ergebnisse erklären kann?<br />
Mit Berücksichtigung der korrekten Bearbeitung im<br />
»Rückwärtszählen« erhält Florian 22 von 26 Punkten im<br />
»Rechnen« (so die Bezeichnung im ZAREKI; PR 68). Seine<br />
Leistungen sind damit unauffällig und liegen nicht in einem<br />
kritischen Bereich.<br />
Im Gegensatz zur Methode des oben aufgezeigten Tests<br />
wird Florian in der prozessbezogenen Diagnostik aufgefordert,<br />
»laut zu denken« und seinen Lösungsweg zu<br />
erklären. Bereits bei der ersten Aufgabe mit Zehnerüberschreitung<br />
erläutert der Junge ein zählendes Vorgehen,<br />
wobei er nacheinander einzelne Finger ausstreckt.<br />
Nach eigener Auskunft zählt er sonst mit seinen Fingern<br />
»eigentlich unterm Tisch«, »damit die Lehrerin das nicht<br />
sieht«.<br />
Zunächst verwundert Florians Erläuterung zur Aufgabe<br />
»46 + 23 = 63«. Er schildert: »Erst 40 plus 20, das sind<br />
60. Und dann die 6 dazu und 3 wegnehmen.« Warum er<br />
3 abzieht, kann er nicht erklären. Eine Begründung für<br />
Florians Vorgehensweise wird erst erkennbar, als er bei<br />
der Aufgabe 82–36 erläutert: »Erst 80 minus 30, sind<br />
… 50. Dann muss ich 50 plus 2 gleich 52. Und dann<br />
noch minus 6, macht … (Florian fl üstert und bewegt seine<br />
Finger) 46.«<br />
Florians individuelle Strategie ist, wie auch die Erläuterungen<br />
zu anderen Aufgaben zeigen, für Additions- und<br />
Subtraktionsaufgaben identisch. Zunächst berechnet er<br />
die Zehner, addiert dann die Einer der ersten Zahl und<br />
zieht anschließend die Einer der zweiten Zahl ab. Dieses<br />
Vorgehen führt bei sämtlichen Subtraktionsaufgaben zu<br />
korrekten Ergebnissen. Problematisch ist jedoch, dass<br />
Florian keine Rechenstrategie entwickelt hat, sondern<br />
eine unverstandene Regel anwendet, die ihm als Hilfestellung<br />
zur Lösung der anspruchsvollen Subtraktionsaufgaben<br />
»beigebracht« wurde. Diese »erfolgreiche« Regel<br />
überträgt der Junge nun auf sämtliche Aufgaben, ohne<br />
zu erkennen, dass diese nicht generell zu korrekten Lösungen<br />
führt.<br />
An dieser Stelle stellt sich die Frage, ob das Auswertungsraster<br />
des ZAREKI geeignet ist. Zwar macht auch<br />
der erzielte Prozentrang von 22 bei der Addition auf gewisse<br />
Schwierigkeiten aufmerksam, sind diese aber nur<br />
bei dieser Rechenoperation zu suchen? Sind Florians<br />
Fähigkeiten bei der Subtraktion tatsächlich weiter entwickelt?<br />
Sollte nicht gerade die gewählte Lösungsstrategie<br />
bei der Beurteilung berücksichtigt werden, wo doch zahlreiche<br />
Veröffentlichungen auf die besondere Problematik<br />
des verfestigten zählenden Rechnens hinweisen (vgl.<br />
SCHIPPER 2005a/b)?<br />
<strong>MNU</strong> <strong>PRIMAR</strong> 1/2 (15.4.<strong>2009</strong>)
SCHULPRAXIS // DIAGNOSE VON RECHENSTÖRUNGEN<br />
3.2 Daniela und Nadia (3. bzw. 4. Schuljahr)<br />
Daniela und Nadia wurden an der Universität Bielefeld<br />
ebenfalls ergänzend zur prozessorientierten Diagnostik<br />
mit dem ZAREKI überprüft. Der ZAREKI enthält einen<br />
Subtest zur Überprüfung der »perzeptiven Mengenbeurteilung«.<br />
Nacheinander werden zwei Bilder gezeigt, auf<br />
denen Bälle bzw. Becher zu sehen sind (s. Abb. 1 und 2).<br />
Nach kurzer Präsentationszeit sollen die Kinder die ungefähre<br />
Anzahl der Gegenstände nennen. Bei dem Bild mit<br />
den Bällen (korrekte Anzahl: 57) wird eine Antwort von<br />
25 bis 80 als korrekt bewertet, beim zweiten Bild (korrekte<br />
Anzahl: 89) liegt diese Spanne bei 35 und 125.<br />
Auf den ersten Blick erscheint diese Aufgabe tatsächlich<br />
hilfreich, »das Zahlenverständnis im Sinne eines Schätzvorgangs«<br />
(VON ASTER 2001, S. 22) zu prüfen. Die Bearbeitungen<br />
von Nadia und Daniela lassen daran jedoch<br />
Zweifel aufkommen. Nadia schätzt die Anzahl der Bälle<br />
auf »46« und die der Becher auf »40«. Da beide Werte<br />
im Toleranzbereich liegen, erhält sie die volle Punktzahl.<br />
Daniela hingegen schätzt die Anzahl der Bälle auf »100«<br />
und die der Becher auf »150«. Beide Werte sind deutlich<br />
zu hoch; Daniela erhält folglich keine Punkte.<br />
Ist dies eine treffende Einschätzung der gezeigten Kompetenzen?<br />
Nadia hat nicht erkannt, dass auf dem zweiten Bild<br />
mehr Gegenstände abgebildet sind. Spricht dies tatsächlich<br />
für hohe Kompetenzen bei der Mengenbeurteilung?<br />
Danielas Schätzungen liegen zwar deutlich zu hoch; es<br />
gelingt ihr aber, ganz im Gegensatz zu Nadia, das zahlenmäßige<br />
Verhältnis der beiden Mengen sehr genau zu berücksichtigen.<br />
Auf dem zweiten Bild sind 1,56mal so viele<br />
Gegenstände wie auf dem ersten Bild; Daniela schätzt<br />
das Verhältnis auf 1:1,5. Deutet dies nicht möglicherweise<br />
doch auf bestehende Kompetenzen hin, auch wenn sie<br />
im ZAREKI dafür keine Punkte erhält?<br />
Abb. 2<br />
Abb. 1<br />
3.3 Maja (2. Schuljahr)<br />
In ihrer Examensarbeit hat NOSSEK (2005) Zweitklässler<br />
mit dem ZAREKI, dem DEMAT sowie einer prozessorientierten<br />
Diagnostik auf das Vorliegen einer Rechenstörung<br />
überprüft. Bei einigen Kindern, so z. B. bei Maja, einem<br />
Mädchen, welches das 1. Schuljahr wiederholt hat, zeigen<br />
sich gravierende Unterschiede in den Ergebnissen<br />
der unterschiedlichen Tests. Während Majas Leistungen<br />
im DEMAT in keinem Bereich auffällig sind, diagnostiziert<br />
der ZAREKI das Vorliegen einer »Dyskalkulie«.<br />
Ein Blick auf die einzelnen Bereiche des ZAREKI zeigt ein uneinheitliches<br />
Bild. In insgesamt sieben Subtests (einschließlich<br />
der Addition und Subtraktion) liegen Majas Ergebnisse<br />
in einem unauffälligen Bereich; sie erzielt in diesem Teil<br />
des Testverfahrens 48 von 58 möglichen Punkten. In drei<br />
Subtests erhält sie sogar die maximale Punktzahl.<br />
In den anderen fünf Subtests zeigt Maja jedoch deutliche<br />
Schwächen; sie erreicht lediglich 24 von 60 möglichen<br />
Punkten. Probleme bereiten ihr vor allem die Bereiche<br />
»Zahlenlesen«, »Zahlenschreiben« und »Zahlenvergleich<br />
(Worte)«. Eine qualitative Analyse von Majas Antworten<br />
zeigt, dass sie fast ausschließlich an solchen Aufgaben<br />
scheitert, die den Zahlenraum über 100 betreffen. Diese<br />
Schwierigkeiten im größeren Zahlenraum verwundern<br />
nicht, da Maja durch die Wiederholung erst das 2. Schuljahr<br />
besucht und der Mathematikunterricht auf den Zahlenraum<br />
bis 100 beschränkt ist. Das Auswertungsraster des<br />
ZAREKI berücksichtigt dies jedoch nicht; im Vergleich zur<br />
Eichstichprobe der Gleichaltrigen (die jedoch i. d. R. das 3.<br />
Schuljahr besuchen) schneidet Maja äußerst schlecht ab.<br />
Ist in diesem Fall der Vergleich mit anderen Kindern derselben<br />
Altersgruppe tatsächlich aussagekräftig? Sollte<br />
eine realistische Einschätzung der kindlichen Leistungen<br />
nicht vor allem die <strong>Inhalt</strong>e des bisherigen Schulunterrichts<br />
berücksichtigen?<br />
3.4 Ein Selbstversuch<br />
Neben der perzeptiven wird im ZAREKI die »kognitive<br />
Mengenbeurteilung« gefordert; eine Zahlenangabe soll<br />
in Abhängigkeit vom jeweiligen Kontext beurteilt werden.<br />
Wenn ich zurzeit (es ist kurz nach Weihnachten) aus dem<br />
Fenster schaue, erscheinen mir »zehn Blätter an einem<br />
Baum« als unrealistisch viel. »Acht Lampen in einem Zimmer«<br />
sind – zumindest bei den gängigen Halogenspots<br />
– nicht ungewöhnlich, während in meinem Bekanntenkreis<br />
»zwei Kinder in einer Familie« die absolute Ausnahme<br />
(nach oben) darstellen. Im ZAREKI erhielte ich für diese<br />
Antworten zwar keine Punkte, erfahre aber zumindest,<br />
dass meine eigene familiäre Situation (mit mittlerweile<br />
drei Kindern) nicht ganz »normal« ist …<br />
4 Empfehlungen und Folgerungen<br />
für die schulische Diagnostik<br />
Die Ergebnisse eines standardisierten Testverfahrens wie<br />
dem ZAREKI sollten durchaus kritisch refl ektiert werden.<br />
Die »harten Fakten« wie z. B. die genaue Zuordnung zu<br />
Prozenträngen suggerieren eine absolute Gültigkeit, die<br />
nicht gegeben ist. Wenn es um die Planung einer (schulischen)<br />
Fördermaßnahme geht, ist ein solches Etikettierungsverfahren<br />
ungeeignet, um konkrete Hilfestellungen<br />
für die Förderung zu erhalten. Lösungsprozesse fi nden in<br />
der Auswertung keine Beachtung; die Produktorientierung<br />
verbaut den Blick auf die kindlichen Vorgehensweisen.<br />
www.mnu.de 51
Bei der schulischen Diagnostik kommt man aber nicht umhin,<br />
gerade die individuellen Konzepte und Strategien der<br />
Kinder in den Fokus zu nehmen. Konkrete Hilfestellungen<br />
zur prozessbezogenen Diagnostik liefern z. B. KAUFMANN<br />
und WESSOLOWSKI (2006), LORENZ und RADATZ (1993) und<br />
SCHIPPER (2005a/b). Dabei kann die ausführliche Diagnose<br />
sicherlich sehr zeitaufwändig sein. Im o. g. Beispiel<br />
von Florian wird aber deutlich, dass bereits eine kurze<br />
Nachfrage großen Erkenntnisgewinn liefern und dann die<br />
Grundlage für eine gezielte Hilfe darstellen kann. Die drei<br />
bis fünf Minuten für eine solche zielgerichtete »Mini-Diagnose«<br />
sind sicherlich gut investiert und in jedem Unterricht,<br />
z. B. in Phasen der Einzelarbeit, möglich.<br />
Literatur<br />
KAUFMANN, S. & WESSOLOWSKI, S. (2006). Rechenstörungen<br />
– Diagnose und Förderbausteine. Seelze: Kallmeyer.<br />
LORENZ, J. H. & RADATZ, H. (1993). Handbuch des Förderns<br />
im Mathematikunterricht. Hannover: Schroedel.<br />
NOSSEK, A. (2005). Diagnoseverfahren zur Feststellung<br />
einer Rechenstörung. Unveröffentlichte Examensarbeit.<br />
Bielefeld.<br />
ROTTMANN, T. & HUTH, CH. (2005). Zwei Diagnose-Tests<br />
im Test – ZAREKI und OTZ unter der Lupe. Die Grundschulzeitschrift<br />
182, S. 32f.<br />
SCHIPPER, W. (2005a). Schulische Prävention und Intervention<br />
bei Rechenstörungen. Die Grundschulzeitschrift<br />
182, S. 6–10.<br />
SCHIPPER, W. (2005b). Lernschwierigkeiten erkennen<br />
– verständnisvolles Lernen fördern. Modul G4, SIUNS-<br />
Transfer Grundschule, Mathematik. Kiel: IPN, http://<br />
www.sinus-grundschule.de (15.7.08)<br />
SCHIPPER, W. (2007). Prozessorientierte Diagnostik<br />
von Rechenstörungen. In: LORENZ, J. H. & SCHIPPER, W.<br />
52<br />
(Hrsg.). Hendrik Radatz – Impulse für den Mathematikunterricht.<br />
Braunschweig: Bildungshaus Schulbuchverlage.<br />
VAN LUIT, J. E. H.; VAN DE RIJT, B. A. M. & HASEMANN,<br />
K. (2001). Osnabrücker Test zur Zahlbegriffsentwicklung<br />
– OTZ. Göttingen: Hogrefe.<br />
VON ASTER, M. (2001). Neuropsychologische Testbatterie<br />
für Zahlenverarbeitung und Rechnen bei Kindern – ZARE-<br />
KI. Manual, Frankfurt a. M.: Swets Tests Services.<br />
VON ASTER, M. (2005). ZAREKI – R – Testverfahren zur<br />
Dyskalkulie bei Kindern. Frankfurt a. M.: Harcourt Test<br />
Services.<br />
Dr. THOMAS ROTTMANN hat in Bielefeld studiert und das 1.<br />
und 2. Staatsexamen für das Lehramt für die Primarstufe<br />
abgelegt. 2006 promovierte er als wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter am Institut für Didaktik der Mathematik an<br />
der Universität Bielefeld zum Dr. päd.. Seit 2006 ist er<br />
Studienrat bzw. Oberstudienrat im Hochschuldienst an<br />
der Universität Bielefeld. Ein Arbeitsschwerpunkt besteht<br />
in der Mitarbeit in der dortigen Beratungsstelle für Kinder<br />
mit Rechenstörungen.<br />
Universität Bielefeld,<br />
Institut für Didaktik der Mathematik,<br />
Universitätsstraße 25, D-33615 Bielefeld,<br />
thomas.rottman@uni-bielefeld.de<br />
Sachaufgaben – ein ergänzendes<br />
Angebot aus dem Internet<br />
CHRISTINE GAUER<br />
SCHULPRAXIS<br />
Die konstruktivistische Didaktik stellt an den Mathematikunterricht u. a. die Forderung, dass die Kinder mehr und<br />
intensiver Sach-, Denk- und Knobelaufgaben bearbeiten sollen, was sich im Unterrichtsalltag als problematisch<br />
erweist. Ich stelle aus der Praxis zu dem Sachaufgaben-Konzept unserer Schule besonders den ergänzenden Teil<br />
vor: ein Angebot aus dem Internet. Die konstruktivistischen Forderungen werden von dem Internet-Angebot über<br />
weite Teile erfüllt, andererseits werden auch dessen Grenzen deutlich.<br />
1 Zur Bedeutung von Sachaufgaben<br />
Welche Grundschullehrkraft kennt das nicht: ein Aufstöhnen<br />
von Seiten der Kinder und Eltern, wenn es in Mathe<br />
um »Sachaufgaben« geht. Als Sachaufgaben bezeichne<br />
ich hier alle Aufgabenformen, die mit Hilfe eines Textes<br />
oder Bildes präsentiert werden, also eingekleidete Aufgaben,<br />
Textaufgaben, Sachprobleme, aber auch Denk- und<br />
<strong>MNU</strong> <strong>PRIMAR</strong> 1/2 (15.4.<strong>2009</strong>) Seiten 52–59, ISSN 1867-9439, © Verlag Klaus Seeberger, Neuss<br />
gc
SCHULPRAXIS // SACHAUFGABEN – EIN ERGÄNZENDES ANGEBOT AUS DEM INTERNET<br />
Knobelaufgaben. Im Folgenden möchte ich über meine<br />
schulische Arbeit mit Sachaufgaben berichten, besonders<br />
über ein Angebot aus dem Internet.<br />
Sieht man – nach der konstruktivistischen Didaktik – Lernen<br />
als Prozess der Selbstorganisation an, um neue Informationen<br />
in vorhandene Lebens- und Lernerfahrungen<br />
zu integrieren, und Lernen als eine bewusst zielgerichtete<br />
Aktivität, so ergibt sich die These: Der Lernende lernt<br />
durch Refl exion, durch weitgehend selbst bestimmtes<br />
Lernen (Lernerautonomie) und die Entwicklung individueller<br />
Lernstrategien. (vgl. GONSCHOREK/SCHNEIDER 2007)<br />
Daraus leitet sich für den Mathematikunterricht eine andere<br />
Sicht auf Fehler, Lernprozesse und Leistung ab. Das<br />
bedeutet konkret: Die Lehrkraft muss<br />
Aufgaben anbieten, die über das Rechnen hinausgehen,<br />
z. B. Sach-, Denk-, und Knobelaufgaben,<br />
Methodenkompetenz bei den Lernern auf- und Möglichkeiten<br />
selbst gesteuerten Lernens für die Kinder<br />
einbauen,<br />
Lernerfolge sichtbar sammeln, um den Fortschritt zu<br />
dokumentieren und Refl exion zu veranlassen (z. B. im<br />
»Portfolio«).<br />
2 Sachaufgaben aus dem Internet –<br />
Ein methodischer Ansatz<br />
Der methodische Ansatz, den wir für Sachaufgaben an<br />
unserer Schule entwickelt haben, sieht so aus:<br />
eine feste Sachaufgabenstunde pro Woche im Schulstundenplan<br />
für die Klassen 2 bis 4 parallel mit leistungsdifferenzierten<br />
Gruppen (gemischt aus bis zu 3<br />
Klassenstufen),<br />
Abb. 1 Sachaufgaben-Bearbeitungsblatt<br />
einem speziellen Sachaufgaben-Lösungsblatt (s. Abb. 1),<br />
das jeweils für die Bearbeitung einer einzigen, möglichst<br />
komplexen Aufgabe vorgesehen ist mit den Schritten<br />
»Text«, »Frage«, »Bild«, »zusätzlich benötigtes Wissen«,<br />
»Rechnung« bzw. »Lösung«, und »Antwort«<br />
pro Stunde wenige, evtl. differenzierte Sachaufgaben und<br />
ein gestuftes Vorgehen zum Finden der Lösung: erst in<br />
Einzelarbeit, dann als Partner- und Gruppenarbeit und<br />
schließlich Präsentation im Plenum.<br />
Als weiteren Baustein in diesem Ansatz nutze ich das<br />
Internetangebot Mathepirat von Ursula Dreisbach<br />
(www.mathepirat.de), das ich als etwas Besonderes<br />
genauer darstellen möchte.<br />
3 Der Mathepirat – Ein Onlineportal<br />
(auch) zum Sachrechnen<br />
Bei dem Mathepirat handelt es sich um ein Internetportal<br />
für Mathematik für Klasse 1 bis 7 (Abb. 2). Es bietet<br />
– neben Sachaufgaben – Geometrieaufgaben, Knobelaufgaben,<br />
Kopfrechenaufgaben, Zahlendiktat, Zahlenmauern<br />
und Sudokus.<br />
3.1 Technische Voraussetzungen<br />
Im Mathepirat arbeitet jedes Kind am PC, d. h. es muss<br />
ein Zugang zum PC und Internet ermöglicht werden. So<br />
habe ich den Zugang der Kinder zum Internet im Unterricht<br />
organisatorisch geregelt. In unserem kleineren<br />
PC-Labor (7 Rechner) arbeiten sie abwechselnd ca. eine<br />
Viertelstunde am PC und lösen die restliche Zeit Aufgaben<br />
konventionell im Klassenraum.<br />
www.mnu.de 53
SCHULPRAXIS // SACHAUFGABEN – EIN ERGÄNZENDES ANGEBOT AUS DEM INTERNET<br />
Zur (kostenpfl ichtigen) Nutzung des Mathepirat muss<br />
eine Lizenz erworben werden (Schullizenz für 28 € im<br />
Jahr zahlt bei uns die Schule). Dazu muss ich mich als<br />
Lehrkraft mit Bundesland und Schulnummer registrieren.<br />
Anschließend wird jedes Kind mit Vor- und Nachnamen<br />
und Klassenstufe angemeldet und erhält individuelle Benutzernamen<br />
und Passwörter.<br />
Die Kinder melden sich auf der allgemeinen Startseite am<br />
PC mit ihrem Benutzernamen und Passwort an (Abb. 3)<br />
und kommen auf ihre persönliche Startseite. Dort suchen<br />
sie sich Aufgaben aus und bearbeiten diese. Nach Lösung<br />
jeder Aufgabe klicken sie auf den Button »Ergebnis<br />
prüfen« und erhalten eine Rückmeldung (Abb. 4). Jedes<br />
54<br />
Abb. 2 Mathepirat Startseite<br />
Kind arbeitet dabei in seinem eigenen Tempo und seinem<br />
eigenen Aufgabenniveau.<br />
3.2 Methodisch-didaktische Möglichkeiten<br />
und Hinweise<br />
Das Programm merkt sich alle Versuche der Kinder und<br />
speichert diese. Bei richtigen Antworten erhält jedes Kind<br />
Punkte, die aufaddiert werden. Neben der reinen Leistung<br />
in Punkten speichert das Programm verschiedene<br />
Daten der Aufgabe (Art der Aufgabe, benötigte Zeit für<br />
die Antwort, Anzahl der Versuche, Verwendung der Lösungshilfe).<br />
So wird quasi ein »elektronisches Portfolio«<br />
<strong>MNU</strong> <strong>PRIMAR</strong> 1/2 (15.4.<strong>2009</strong>)
SCHULPRAXIS // SACHAUFGABEN – EIN ERGÄNZENDES ANGEBOT AUS DEM INTERNET<br />
für jedes einzelne Kind angelegt. Die Daten in Tabellenform<br />
kann ich als Lehrkraft jederzeit abrufen. Gleichzeitig<br />
werden die Daten in einen automatisch generierten, verbalen<br />
Leistungsbericht umgewandelt, den ich den Eltern<br />
gern zugänglich mache.<br />
Als Lehrkraft verfolge ich möglichst regelmäßig die Leistungen<br />
jedes einzelnen Kindes unter »Schüler zeigen« und<br />
steuere die Aufgabenauswahl unter »Einstellungen«. Das<br />
Sudoku ist mir beispielsweise zu umfangreich für den Unterricht;<br />
das gebe ich nur in den Ferien frei. Zu den vorgegebenen<br />
Aufgaben kann ich selbst erstellte eingeben,<br />
beispielsweise mehrere kombiniert als Übungseinheit, die<br />
von den Kindern dann zuerst abgearbeitet werden muss.<br />
Regelmäßig (in meinem Fall viermal im Jahr) teile ich Urkunden<br />
aus, die aus dem Lehrkraftzugang des Mathepirat<br />
stammen. Bei Erreichen von 250, 500, 1000, … Punkten<br />
können sich die Kinder selbst eine Urkunde ausdrucken<br />
(Abb. 5). Lieber erhalten sie diese jedoch mit einem<br />
Wort der Anerkennung aus meiner Hand.<br />
3.3 <strong>Inhalt</strong>liche Ausrichtung der Aufgaben<br />
Die Sach-, Geometrie- und Knobelaufgaben (Abb. 6, 7)<br />
werden meist in Text- und Bildform präsentiert. Dann<br />
werden mehrere Lösungsmöglichkeiten eingeblendet, von<br />
denen das Kind eine anklickt. Das Programm bietet zum<br />
Rechnen ein elektronisches Arbeitsblatt an, das allerdings<br />
etwas umständlich Hand zu haben ist. Teilweise kann man<br />
Lösungshilfen abrufen.<br />
Abb. 3 Mathepirat Kinder Startseite<br />
Die Sachaufgaben werden unterschieden nach (Rechen-)<br />
Art (u. a. die 4 Grundrechenarten, auch in schriftlicher<br />
Form), Zahlenraum, Schuljahr (1–7), Schulform, Jahrgang<br />
und nach verwendeten Größen (Fläche, Geld, Geschwindigkeit,<br />
Gewicht, Länge, Zeit, Volumen).<br />
Die Suche nach »Uhrzeit« »Klasse 2« »Zahlenraum bis<br />
100« liefert 9 Aufgaben, von denen ich eine hier vorstellen<br />
möchte.<br />
Es ist die Aufgabe (1479):<br />
Ich war um 16.00 Uhr mit Berti verabredet. Um 8 Uhr<br />
abends habe ich ihn wütend angerufen, weil er immer<br />
noch nicht da war.<br />
Antwortmöglichkeiten sind:<br />
a) Ich habe 8 Stunden auf Berti gewartet.<br />
b) Ich habe 4 Stunden auf Berti gewartet.<br />
c) Als ich Berti anrief, hatte ich schon 6 Stunden<br />
gewartet.<br />
d) Berti hat sich doch nur um eine Stunde<br />
verspätet.<br />
e) Ich habe 2 Stunden auf Berti gewartet.<br />
Dazu ist kein Tipp vorgesehen. Aus der bisher bearbeiteten<br />
Zahl in Relation zu den richtigen Ergebnissen wurde<br />
eine Schwierigkeitsstufe errechnet: Schwierigkeit: 1.21<br />
Unter »Aufgabenübersicht« kann ich die Aufgaben gezielt<br />
anschauen und auch ausdrucken. Die Aufgaben selbst<br />
entsprechen denen, die man aus Büchern oder Aufgabensammlungen<br />
gewohnt ist.<br />
www.mnu.de 55
SCHULPRAXIS // SACHAUFGABEN – EIN ERGÄNZENDES ANGEBOT AUS DEM INTERNET<br />
56<br />
Abb. 4 Mathepirat Rückmeldung für Kind<br />
Abb. 5 Mathepirat Schülerurkunde<br />
Selbst ausprobieren! Wer möchte, kann, sich direkt bei<br />
www.mathepirat.de die Aufgaben ansehen. Dazu gibt es<br />
einen Gastzugang (unter »Gast«), der allerdings keine<br />
Punkte speichert. Die statistischen Funktionen sind also<br />
leider nicht einsehbar, was eine zweiwöchige Testphase<br />
jedoch bietet. Insgesamt wird die Benutzerführung durch<br />
viele Erklärungen gut unterstützt.<br />
3.4 Statistiken und Auswertungen<br />
Der Mathepirat bietet spezielle Funktionen für die Lehrkraft.<br />
Hier beschreibe ich nur die Funktionen, die ich<br />
selbst häufi g nutze: Regelmäßig schaue ich unter »Schüler<br />
zeigen« (Abb. 6) nach, wer neue Punkte und evtl. eine<br />
Urkunde geschafft hat. Unter »Einstellungen« (Abb. 7)<br />
steuere ich für die ganze Klasse oder individuell für jedes<br />
Kind die Aufgabenauswahl. Neben den vorgegebenen Aufgaben<br />
kann ich eigene erstellen und frei schalten lassen.<br />
Das gleiche gilt auch für von mir ausgewählte Kinder: Sie<br />
denken sich selbst Aufgaben aus und veröffentlichen diese.<br />
Der Mathepirat bietet viele weitere Funktionen, die<br />
man auf der Website nachlesen kann. Bei der Erstellung<br />
der Aufgaben muss das Copyright beachten werden, was<br />
die Anzahl der Aufgaben einschränkt. Umso mehr ist der<br />
Mathepirat auf die Mitarbeit einzelner angewiesen.<br />
<strong>MNU</strong> <strong>PRIMAR</strong> 1/2 (15.4.<strong>2009</strong>)
SCHULPRAXIS // SACHAUFGABEN – EIN ERGÄNZENDES ANGEBOT AUS DEM INTERNET<br />
3.5 Probleme<br />
Das Problem der Aufgaben mit MultipleChoice-Antworten<br />
ist, dass die Aufgabenstellung nicht besprochen, Lösungswege<br />
nicht selbst erstellt und nicht verglichen und<br />
Antworten nicht begründet werden. Daher ist es notwendig,<br />
regelmäßig Sachaufgabenstunden ohne Internet, wie<br />
z. B. eingangs beschriebene zu halten. In diesen Stunden<br />
werden aber auch in der Klasse Aufgaben aus dem Mathepirat<br />
vorgestellt und diskutiert.<br />
Der Wettbewerbsgedanke wird relativ stark betont – auch<br />
hierin kann ein Problem gesehen werden. Bei jeder Leistungsrückmeldung<br />
(Abb. 4) liefert der Mathepirat dem<br />
Kind ein kleines Ranking. Für leistungsstarke Kinder ist<br />
das durchaus ein Anreiz, Leistungsschwache werden<br />
meist schnell frustriert. Ich versuche daher, den Wettbewerb<br />
in Grenzen zu halten. So lege ich mehr Wert auf<br />
die einzelnen Urkunden als Leistungsnachweise, die ich in<br />
einem Ordner »Portfolio« sammle. Die Urkunden haben in<br />
meiner Klasse bisher alle Kinder geschafft. Von den Rankinglisten<br />
(Abb. 8) veröffentliche ich nur die 10 Besten<br />
der Klasse. Ranking-Listen, die z. B. nur den Zuwachs<br />
im letzten Monat angeben, ermöglichen auf der anderen<br />
Seite den Schwachen, sich auch mal unter den 10 Besten<br />
zu platzieren.<br />
In Bezug auf Hausaufgaben kann sich ein drittes Problemfeld<br />
ergeben. Häusliches Arbeiten im Mathepirat ist<br />
Abb. 6 Mathepirat Kinder zeigen<br />
teilweise umstritten, da manche Eltern ihre Kinder nicht<br />
allein arbeiten lassen. Die Gefahr, dass dabei zu wenig<br />
Mathe gelernt wird, ist meiner Meinung aber kleiner, als<br />
die Gefahr, dass bei Sperrung der häuslichen Arbeit gar<br />
keine Mathe gemacht wird. Prinzipiell spreche ich das<br />
Problem des »richtigen Helfens« auch immer gern am<br />
Elternabend an.<br />
4 Fazit<br />
Nach mehreren Jahren Arbeit mit dem Mathepiraten hat<br />
sich meine Überzeugung gefestigt, dass die Kinder von<br />
dem Internet-Angebot profi tieren. Der Mathepirat ersetzt<br />
allerdings nicht den Matheunterricht durch die Lehrkraft,<br />
er ist nur ein kleiner Baustein. Es fehlt neben der Besprechung<br />
der Aufgaben, der Verbalisierung- und Formulierungshilfen<br />
der Aufgabe besonders der emotionale Bezug.<br />
Dies muss die Lehrkraft leisten.<br />
Das Internetangebot ist demnach kein Selbstläufer, es<br />
funktioniert nur sinnvoll mit einem didaktischen Konzept.<br />
Der Mathepirat ist jedoch im besonderen Maße geeignet,<br />
den Kindern Sach- und Denkaufgaben näher zu bringen,<br />
da die Kinder:<br />
sich selbst ihre Aufgaben aussuchen können,<br />
in ihrem eigenen Tempo arbeiten,<br />
umgehend Rückmeldung über das Ergebnis erhalten,<br />
www.mnu.de 57
SCHULPRAXIS // SACHAUFGABEN – EIN ERGÄNZENDES ANGEBOT AUS DEM INTERNET<br />
58<br />
durch die steigende Punktzahl einen Lernzuwachs<br />
erkennen,<br />
den Lernerfolg mit Urkunden belegen können und<br />
schließlich<br />
mit einer ungeheuren Vielfalt von Aufgabe arbeiten<br />
können, die eine Lehrkraft allein nicht liefern könnte.<br />
Somit erfüllt der Mathepirat einen Teil der anfangs geforderten<br />
Bedingungen konstruktivistischen Lernens:<br />
er bietet vielfältige Aufgaben an, die über das Rechnen<br />
hinausgehen, z. B. Sach-, Denk-, und Knobelaufgaben,<br />
er baut Methodenkompetenz bei den Lernenden auf,<br />
und gibt den Kindern die Möglichkeiten ihr Lernen<br />
selbst zu steuern und<br />
Abb. 7 Mathepirat Einstellungen<br />
sammelt Lernerfolge sichtbar,<br />
um den Fortschritt zu dokumentieren und<br />
Refl exion zu veranlassen<br />
(z. B. im Leistungsbericht).<br />
Literatur<br />
DREISBACH, U. (2007) Mathepirat www.mathepirat.de<br />
(15.12.08)<br />
GONSCHOREK, G. und S. SCHNEIDER (2007). Einführung<br />
in die Schulpädagogik und Unterrichtsplanung. Auer<br />
Donauwörth.<br />
<strong>MNU</strong> <strong>PRIMAR</strong> 1/2 (15.4.<strong>2009</strong>)
Abb. 8 Mathepirat Ranking<br />
SCHULPRAXIS<br />
CHRISTINE GAUER M. A. unterrichtet seit 1991 in der Grundschule<br />
in Rheinland-Pfalz. Nach einer Weiterqualifi zierung<br />
zur Lernsystemlektorin in Saarbrücken arbeitete sie meh-<br />
rere Jahre als Dozentin in der Erwachsenenbildung (vornehmlich<br />
Computerkurse). Daneben ist sie häufi g in der<br />
Lehrerfortbildung tätig und erwarb 2006 an der Fernuni<br />
Hagen den Magistra Artium in Erziehungswissenschaft.<br />
Der sinnvolle Einsatz von Computer in der Grundschule ist<br />
seit vielen Jahren ihr besonderes Interessensgebiet.<br />
Adresse:<br />
Im Kirchtal 40, 67659 Kaiserslautern,<br />
Email: Gauer.Christine@web.de<br />
<strong>MNU</strong> <strong>PRIMAR</strong> 1/2 (15.4.<strong>2009</strong>) Seiten 59–63, ISSN 1867-9439, © Verlag Klaus Seeberger, Neuss<br />
gc<br />
59
Gleichungen mit x in der<br />
Grundschule?!<br />
– Chancen und Möglichkeiten<br />
nicht nur für leistungsstarke Kinder (Teil 2)<br />
JOACHIM HRZÁN – EMAD SEFIEN<br />
1 Einleitung<br />
Wir haben im ersten Teil gesehen, dass nicht wenige Kinder<br />
bereits mit der Nutzung von Variablen und dem Aufstellen<br />
und inhaltlichen Lösen von Gleichungen vertraut<br />
sind. Daher sollten Lehrerinnen und Lehrer im Rahmen<br />
von Förderaktivitäten ein derartiges Vorgehen beim Lösen<br />
von Aufgabenstellungen analysieren, gegebenenfalls<br />
Hilfestellungen geben und die Kinder zu solchen Strategien<br />
ermutigen bzw. diese weiter inhaltlich vertiefen.<br />
Falsch wäre es u. E. nach, den Kindern zwar eine tolle<br />
Leistung zu bescheinigen, ihnen aber zu sagen, dass<br />
eine Beschäftigung mit solchen Lösungswegen erst in<br />
späteren Schuljahren erfolgen wird. Damit würden diese<br />
Kinder keine besondere Bestätigung bzw. Anerkennung<br />
ihrer Leistung von den anderen Kindern erfahren. Wir<br />
legen in den Kreisarbeitsgemeinschaften großen Wert<br />
auf das gegenseitige Vorstellen der unterschiedlichen Lösungen<br />
durch die Kinder. Eine Kommunikation ist aber<br />
sehr schwierig, da die Argumentationsbasis oft qualitativ<br />
sehr unterschiedlich ausgeprägt ist (nur etwa 2 von 15<br />
Kindern können sicher mit Buchstabenvariablen umgehen<br />
und arbeiten mit einem Gleichungsansatz). Es kann nach<br />
unserer Auffassung nur sinnvoll sein, die anderen Kinder<br />
schrittweise an dieses Niveau heranzuführen.<br />
HEINRICH WINTER hat bereits 1982 »Argumentationen von<br />
mehr algebraischer Qualität« gefordert – also den Nachweis<br />
der Gleichheit nicht nur durch Einsetzen und Nachrechnen<br />
zu erbringen. Nach unseren Erfahrungen gehört<br />
zu solchen Argumentationen auch ein entsprechendes Begriffswissen,<br />
das solche Begriffe wie Gleichheitszeichen,<br />
Gleichung, Platzhalter, Variable und Term sowie deren<br />
Verständnis beinhaltet und deren Erarbeitung langfristig<br />
durch vielfältige Aufgabenstellungen und Aktivitäten angelegt<br />
sein sollte. Im Folgenden werden solche Aktivitäten<br />
aufgezeigt.<br />
2 Aktivitäten zu Gleichungen<br />
und Variablen<br />
2.1 Gleichungen als Gleichungen erkennen<br />
Wir beobachten auch bei leistungsstarken Kindern bis<br />
zum Ende der 4. Klasse noch Schreibweisen der Art 23<br />
+ 52 = 75 + 10 = 85. Dies kann ein Hinweis darauf sein,<br />
dass die Bedeutung des Gleichheitszeichens noch nicht<br />
60<br />
SCHULPRAXIS<br />
Nachdem im Teil I des Beitrages insbesondere exemplarisch Möglichkeiten für das Finden und Bearbeiten früher<br />
algebraischer Ansätze durch Grundschulkinder dargestellt wurden, stehen jetzt Aktivitäten zur Entwicklung und<br />
Förderung frühen algebraischen Denkens und Arbeitens im Mittelpunkt. Dabei wird auch auf die Bedeutung eines<br />
erforderlichen langfristig angelegten Begriffswissens eingegangen.<br />
richtig erfasst wurde und später beim Umgehen mit Gleichungen<br />
Schwierigkeiten zu erwarten sind. Deshalb kann<br />
das Bearbeiten von Aufgabenstellungen, die sich auf den<br />
Gleichgewichtszustand einer Waage beziehen, bedeutsam<br />
dafür sein, das einseitige Verständnis der Kinder<br />
für das Gleichheitszeichen als Aufforderungszeichen zum<br />
Rechnen bzw. als Ergebnis-Zeichen zu überwinden (vgl.<br />
STEINWEG 2005).<br />
2.2 Mit Material experimentieren<br />
Der Weg vom konkreten Experimentieren mit geeignetem<br />
Material bzw. mittels bildhafter Darstellungen bis hin zu<br />
symbolischen Ansätzen und damit zu Gleichungen (und<br />
deren Lösung) ist eine weitere wichtige Aktivität.<br />
Beispiel:<br />
4 Bauklötze und 3 Murmeln sind genau so schwer wie 3<br />
Bauklötze und 5 Murmeln.<br />
Wie viele Murmeln sind genau so schwer wie ein Bauklotz?<br />
Experimentieren mit konkreten Klötzen, Murmeln und einer<br />
Balkenwaage kann zu folgenden Notationen führen:<br />
4 · + 3 = 3 · + 5<br />
+ 3 = 5<br />
= 2<br />
Ein Bauklotz ist genau so schwer wie zwei Murmeln.<br />
2.3 Variablen als Unbekannte<br />
Der Variablenaspekt »Unbekannte« kann beispielsweise<br />
durch Aufgabenstellungen zu den so genannten Zahlenmauern<br />
vorbereitet werden (vgl. MÜLLER/WITTMANN 1994).<br />
45<br />
6 9<br />
Abb. 1<br />
<strong>MNU</strong> <strong>PRIMAR</strong> 1/2 (15.4.<strong>2009</strong>) Seiten 60–63, ISSN 1867-9439, © Verlag Klaus Seeberger, Neuss
SCHULPRAXIS // GLEICHUNGEN MIT X IN DER GRUNDSCHULE?!<br />
Diese Aufgabenstellungen zu Zahlenmauern (Abb. 1) bieten<br />
den Kindern Raum für unterschiedliche inhaltliche<br />
Überlegungen und Lösungsstrategien sowie Möglichkeiten<br />
zum Erfassen der inhärenten mathematischen Strukturen.<br />
Beispielsweise ist der Ansatz 6 + + 9 + = 45 möglich,<br />
der durch Probieren oder weitere inhaltliche Überlegungen<br />
zur Lösungsfi ndung genutzt werden kann: 15 +<br />
+ = 45. (Das Doppelte welcher Zahl ergibt zu 15<br />
addiert die Zahl 45?) Mit Bezug zu vorher behandelten<br />
Aufgabenstellungen zur inhaltlichen Vertiefung der Bedeutung<br />
des Gleichheitszeichens können Kinder dann zur Gleichung<br />
+ = 30 gelangen.<br />
2.4 Knobelaufgaben<br />
Es können regelmäßig Aufgaben angeboten werden, die<br />
potenziell (erste) algebraische Ansätze erlauben bzw. zu<br />
diesen anregen. Im Folgenden stellen wir dazu eine Aufgabe<br />
und die Lösung von Hanna (8; 11) vor, in der Anfänge<br />
algebraischen Denkens deutlich werden.<br />
Aufgabe:<br />
Auf drei Bäumen sitzen insgesamt 56 Vögel. Nachdem<br />
vom erstem Baum 7 Vögel auf den zweiten und dann vom<br />
zweiten Baum 5 Vögel auf den dritten Baum gefl ogen waren,<br />
saßen nun auf dem zweiten Baum doppelt so viele<br />
Vögel wie auf dem ersten Baum und auf dem dritten<br />
Baum doppelt so viele Vögel wie auf dem zweiten Baum.<br />
Ermittle, wie viele Vögel ursprünglich auf jedem der Bäume<br />
saßen. (BARDY/HRZÁN 2006, S. 49)<br />
Hanna notiert (Abb. 2) als erstes die Gleichung 56 : 7<br />
= 8. Offensichtlich hat sie über diese Gleichung die Verteilung<br />
der Vögel nach dem Fliegen auf den drei Bäumen<br />
gefunden und kann nun durch Rückwärtsrechnen die Lösung<br />
der Aufgabe ermitteln. Als Hanna gefragt wurde, wie<br />
sie diese Gleichung gefunden hat und was sie bedeutet,<br />
schreibt sie die Gleichung 1 + 2 + 4 = 7 auf, zeichnet von<br />
dieser einen Pfeil zur ersten Gleichung und erklärt: »Ich<br />
habe die Vögel auf dem 1. Baum als Einheit aufgefasst<br />
– das ist so wie mit einem Platzhalter – und dann sind auf<br />
dem 2. Baum zwei und auf dem 3. Baum vier Einheiten,<br />
also zusammen sieben Einheiten.«<br />
2.5 Zahlenrätsel und Rechengeschichten<br />
Neben dem Finden von einfachen Gleichungen aus vorgegebenen<br />
Aufgabentexten (Zahlenrätsel), die dann schrittweise<br />
auf konkrete Sachsituationen ausgedehnt werden<br />
sollten, ist ebenso das Formulieren von Aufgabenstellungen<br />
(etwa in Form kleiner Rechengeschichten) zu vorgegebenen<br />
Gleichungen zur besseren Durchdringung der<br />
Problematik zu empfehlen.<br />
Beispiel 1:<br />
Wenn ich von meinen gesammelten Münzen Marcus 9<br />
Münzen zum Geburtstag schenke, verbleiben mir noch<br />
47 Münzen.<br />
Gesuchte Gleichung: x – 9 = 47<br />
Beispiel 2:<br />
Gegebene Gleichung: 2 · x + 10 = 50<br />
Möglicher Aufgabentext:<br />
Stefanie konnte in diesem Jahr die Anzahl ihrer Briefmarken<br />
verdoppeln. Von ihrem Bruder Paul hat sie zum Ge-<br />
Abb. 2<br />
burtstag noch 10 Marken dazu bekommen. Nun hat sie<br />
schon 50 Briefmarken im Album. Wie viele Briefmarken<br />
hatte sie am Ende des vergangenen Jahres?<br />
2.6 Muster erkennen<br />
Es können Problemstellungen zum Erkennen von (arithmetischen)<br />
Mustern und Strukturen angeboten werden, über<br />
die hinaus mathematische Verallgemeinerungen mit algebraischen<br />
Darstellungen gebildet werden können. Dazu<br />
ein Beispiel (vgl. BARDY/HRZÁN 2006, S.46):<br />
a) Dies sind die ersten vier Aufgaben einer Serie.<br />
Vervollständige die 3. und 4. Aufgabe dieser Serie.<br />
1. Aufgabe: 1 · 5 + 4 = 3 · 3<br />
2. Aufgabe: 2 · 6 + 4 = 4 · 4<br />
3. Aufgabe: 3 · 7 + 4 = ____<br />
4. Aufgabe: 4 · 8 + 4 = ____<br />
b) Schreibe die 5. Aufgabe dieser Serie vollständig auf.<br />
5. Aufgabe: __ · __ + __ = ____<br />
c) Schreibe die 50. Aufgabe dieser Serie vollständig auf.<br />
50. Aufgabe: __ · __ + __ = ____<br />
d) Schreibe die n-te Aufgabe dieser Serie vollständig auf.<br />
n. Aufgabe: ______ · (______) + ____ = (____) · (____)<br />
www.mnu.de 61
SCHULPRAXIS // GLEICHUNGEN MIT X IN DER GRUNDSCHULE?!<br />
Abb. 3 Notizen von Julian (9; 04)<br />
Mit der vollständigen Lösung obiger Aufgabe konnte Julian<br />
(Abb. 3) nachweisen, dass er bereits zu außergewöhnlichen<br />
Abstraktionsleistungen in der Lage ist und auch<br />
sicher mit Variablen umgehen kann. Offensichtlich stellt<br />
der Übergang von der Lösung der Aufgabe c) (als wichtige<br />
»Brücke« zur dann folgenden Abstraktion) zur Lösung<br />
von Aufgabe d) für ihn kein Problem dar. Häufi g lässt sich<br />
beobachten, dass Kinder die Lösung von Aufgabe c) erst<br />
dann fi nden, wenn sie hinreichend viele weitere Aufgaben<br />
(häufi g bis zur 10. Aufgabe) notiert haben. (Gegebenfalls<br />
sollte Kindern auch dieses Herangehen als Lösungshilfe<br />
für die Aufgaben c) und d) mitgeteilt werden.)<br />
2.7 Bemerkungen zu den Aufgaben<br />
Die in diesem Abschnitt vorgestellten Aufgabenstellungen<br />
sind vielfältig zu variieren und mit steigendem Anforderungsniveau<br />
anzubieten. Die auftretenden Gleichungen sollten dabei<br />
zunächst von möglichst einfacher Gestalt sein (die einzige<br />
in linearer Form auftretende Variable befi ndet sich z. B. zunächst<br />
nur auf einer Seite der Gleichung). Problemstellungen<br />
sollen darüber hinaus hinreichend viel Spielraum für innermathematische<br />
Überlegungen, Zusammenhänge zu Rechenoperationen<br />
und mathematischen Gesetzmäßigkeiten bieten.<br />
BARDY (2007) zeigt neben Möglichkeiten der Förderung algebraischen<br />
Denkens auch diesbezügliche Grenzen auf, die<br />
bei der Bearbeitung von Gleichungsansätzen insbesondere<br />
auch darin liegen, »… dass spezielle algebraische Gesetze<br />
(z. B. das Distributivgesetz) den meisten »unserer« Kinder<br />
nicht präsent sind.« (BARDY 2007, S. 219ff) Darüber hinaus<br />
plädiert er dafür, die Thematisierung solcher Gesetze dem<br />
Mathematikunterricht in der Sekundarstufe I zu überlassen.<br />
Weitere Beispiele sind auf den Arbeitsblättern im Internet<br />
zu fi nden (www.mnu.de). Dabei werden auch folgende Aktivitäten<br />
noch ergänzend integriert:<br />
Es können Gleichungen betracht werden, in denen<br />
die Gleichheit beider Gleichungsseiten (etwa durch<br />
Termvergleich) zu beurteilen ist bzw. können vielfältige<br />
Zerlegungen von Zahlen durchgeführt werden, die die<br />
Gleichheit beider Gleichungsseiten nicht verändern.<br />
Das Verständnis für die Regeln des Rechnens und die<br />
Zusammenhänge zwischen ihnen (also für mathematische<br />
Gesetzmäßigkeiten wie Kommutativ-, Assoziativ-<br />
und Distributivgesetz) kann durch geeignete Aufgabenangebote<br />
vertieft bzw. gefördert werden. Neben der<br />
Bearbeitung von Tausch- und Umkehraufgaben (die<br />
auch auf die Festigung und Vertiefung des Rückwärtsrechnens<br />
abzielen) können auch Aufgaben der folgenden<br />
Art betrachtet werden: 7 + __ · 7 = 5 · 7<br />
62<br />
3 Miteinander ins Gespräch kommen –<br />
Bedeutung des Kommunizierens<br />
Im Rahmen der Kommunikation bzw. Argumentation beim<br />
Vorstellen entsprechender Lösungsvarianten können so<br />
Kinder auf der Grundlage des in den Arbeitsblättern dargestellten<br />
Begriffswissens sich gegenseitig besser verstehen<br />
und inhaltlich folgen. Anschließen können sich dann<br />
Übungen zum Aufstellen von einfachen Gleichungen mit<br />
Variablen, insbesondere aus konkreten Problemsituationen.<br />
Unserer Auffassung nach kann der Einsatz der Arbeitsblätter<br />
auch im normalen Unterricht während des 3.<br />
Schuljahres bei Berücksichtigung des behandelten Zahlenraumes<br />
erfolgen.<br />
Kinder müssen immer wieder Gelegenheit erhalten (in den<br />
Kreisarbeitsgemeinschaften legen wir sehr viel Wert darauf),<br />
über ihre Lösungsstrategien ausführlich zu sprechen<br />
und ihr Herangehen zu begründen, diese mit den Lösungsstrategien<br />
anderer Kinder zu vergleichen und im Rahmen<br />
der Argumentation über Aufwand, Eleganz oder auch kreative<br />
Gesichtspunkte einer Lösung zu refl ektieren. Dabei<br />
sollten die Kinder auch erkennen, dass nicht immer der<br />
Weg über einen Gleichungsansatz mit Variablen besonders<br />
effektiv sein muss. Wir stellen dazu die Lösungen von Martin<br />
und Paul (Abb. 4 und 5) zu folgender Aufgabe vor:<br />
Aufgabe: Summe von drei Zahlen<br />
Die Summe von drei natürlichen Zahlen beträgt 63. Die<br />
erste dieser Zahlen ist um 3 kleiner als die zweite, die<br />
dritte um 3 größer als die zweite. Wie lauten diese drei<br />
Zahlen? Notiere deine Lösungsschritte. (vgl. BARDY/<br />
HRZÁN 2006, S. 14)<br />
Bei der Besprechung der Lösungen zu dieser Aufgabe<br />
(Martin und Paul hatten vorher ihre wichtigsten Lösungsschritte<br />
zum Vergleichen für die Kinder an der Tafel notiert<br />
und erklärt) hat Martin dann auch anerkannt, dass<br />
man bei dieser Aufgabe recht gut ohne Gleichungsansatz<br />
mit Variablen auskommt.<br />
4 Worte fi nden – Bedeutung von Begriffen<br />
Nachdem zahlreiche Aufgabenstellungen zum Finden<br />
einfacher algebraischer Ansätze unter Verwendung von<br />
Platzhaltern und Buchstabenvariablen sowie zum Finden<br />
Abb. 4 Lösung von Martin (8; 06)<br />
Abb. 5 Lösung von Paul (8; 03)<br />
<strong>MNU</strong> <strong>PRIMAR</strong> 1/2 (15.4.<strong>2009</strong>)
SCHULPRAXIS // GLEICHUNGEN MIT X IN DER GRUNDSCHULE?!<br />
von Möglichkeiten für ihre erfolgreiche Bearbeitung behandelt<br />
wurden – wenn es also genügend viele Einsichten<br />
in das Rechnen mit Gleichungen gibt – kann und sollte<br />
auch das bereits vorher erwähnte und für einen Austausch<br />
zwischen den Kindern bedeutsame Begriffswissen<br />
(siehe Arbeitsblätter) erarbeitet werden.<br />
In diesen Arbeitsblättern zeigen wir deshalb Möglichkeiten<br />
zur Erarbeitung bzw. Vertiefung des erforderlichen<br />
Begriffswissens auf. So wurden die Begriffsinhalte zu den<br />
Begriffen »Term«, »Gleichung« und »Gleichheitszeichen«,<br />
»Variable« und »Lösung einer Gleichung« zusammengestellt<br />
und mit Beispielaufgaben zum Verständnis bzw. zur<br />
Festigung dieser Begriffe versehen. Natürlich können<br />
auch die Reihenfolge der Bearbeitung geändert und die<br />
betreffenden Aufgaben durch andere ersetzt bzw. weitere<br />
ergänzt werden. Nach unseren Erfahrungen sollte dies<br />
spätestens bis zum Ende des dritten Schuljahres erfolgen.<br />
Das Vorgehen hängt natürlich in hohem Maße von<br />
den Vorkenntnissen der Kinder und ihrem mathematischem<br />
Leistungsniveau ab.<br />
Dass eine langfristige Erarbeitung des betreffenden Begriffswissens<br />
notwendig ist, zeigen die Ergebnisse einer<br />
(sicher nicht repräsentativen) Befragung zu Beginn von<br />
Klasse 3 im September 2007. An der Befragung waren<br />
58 Kinder aus 17 Grundschulen der Stadt Halle/Saale<br />
und des Saalkreises beteiligt, die zwei Wochen vorher in<br />
die vier von uns betreuten Kreisarbeitsgemeinschaften<br />
der Jahrgangsstufe 3 aufgenommen wurden. Obwohl der<br />
Lehrplan in Sachsen-Anhalt bis zum Ende von Klasse 2<br />
ein fl exibles anwendbares Grundwissen zu Gleichungen<br />
und Ungleichungen fordert, wozu auch der Umgang mit<br />
Platzhaltern gehört, haben wir beispielsweise festgestellt,<br />
dass nur etwa 12 % der Kinder die vollständige Bedeutung<br />
des Gleichheitszeichens erfasst haben. In den meisten<br />
anderen Fällen, wo geantwortet wurde (55 %), wird<br />
das Gleichheitszeichen lediglich als ein Zeichen gesehen,<br />
mit dem einer Aufgabe das Ergebnis zugewiesen wird.<br />
Nur etwa ein Viertel der Kinder hat Vorstellungen von<br />
einem Platzhalter und konnte Beispiele dafür (meist im<br />
Zusammenhang mit einer Gleichung/Aufgabe) angeben.<br />
Der Begriff »Term« war keinem Kind bekannt. Andererseits<br />
wussten 85 % der Kinder, wie man an die Lösung<br />
einer konkreten Platzhalteraufgabe herangeht.<br />
5 Einige Schlussbemerkungen<br />
Die von uns gemachten Erfahrungen zeigen, dass zumindest<br />
im Rahmen der Förderung mathematisch begabter<br />
und leistungsstarker Kinder algebraisches Denken und<br />
Arbeiten auf vielfältige Weise sinnvoll angebahnt und entwickelt<br />
werden kann und auch sollte.<br />
Andererseits können u. E. nach auch zahlreiche der oben<br />
angesprochenen Aktivitäten und Aufgabenstellungen bereits<br />
im normalen Mathematikunterricht der Grundschule<br />
realisiert werden. Damit kann auch hier der Weg vom<br />
arithmetischen zum algebraischen Denken sowie die Verbindung<br />
zwischen beiden inhaltlich gestaltet werden.<br />
Wichtig ist, dass Lehrerinnen und Lehrer selbst konsequent<br />
und korrekt mathematische Schriftsprache und Begriffswissen,<br />
insbesondere während der Kommunikation<br />
mit den Kindern, verwenden. Andererseits sollten sie sich<br />
stets die Zeit nehmen, Lösungsstrategien von Kindern, die<br />
auf den ersten Blick auf Grund einer individuellen Repräsentation<br />
unverständlich oder gar falsch erscheinen, zu<br />
analysieren und mit den Kindern darüber zu sprechen.<br />
Dies ist für die Entwicklung des Vertrauens dieser Kinder<br />
in die eigene mathematische Leistungsfähigkeit außerordentlich<br />
wichtig.<br />
Wir sind der Auffassung, dass auf diese Weise ein wichtiger<br />
Beitrag zur algebraischen Grundlegung mit Blick auf<br />
die höheren Schuljahresstufen geleistet werden kann.<br />
Auch die sich abzeichnende Tendenz, bereits in Vorschuleinrichtungen<br />
eine stärkere mathematische Grundlegung<br />
für die dann folgenden Lernprozesse der Kinder zielgerichteter<br />
anzugehen, spricht auf Grund der dann besseren allgemeinen<br />
Voraussetzungen ebenfalls für eine vertiefende<br />
frühere Behandlung der angesprochenen <strong>Inhalt</strong>e.<br />
Literatur<br />
BARDY, P. (2007). Mathematisch begabte Grundschulkinder.<br />
Diagnostik und Förderung. München: Elsevier,<br />
Spektrum Akademischer Verlag.<br />
BARDY, P. & HRZÀN, J. (2006). Aufgaben für kleine Mathematiker.<br />
Mit ausführlichen Lösungen und didaktischen<br />
Hinweisen. Aulis Verlag Deubner, Köln, 2. Aufl age.<br />
MÜLLER, G. & WITTMANN, E. (1994). Handbuch produktiver<br />
Rechenübungen, Stuttgart, Leipzig, Klett.<br />
STEINWEG, A. (2005). Arithmetik ist mehr als Ausrechnen,<br />
Grundschulunterricht, 7/8, S. 15–17.<br />
WINTER, H. (1982). Das Gleichheitszeichen im Mathematikunterricht<br />
der Primarstufe. in: mathematica didactica<br />
5.4, S. 185–211.<br />
Dr. JOACHIM HRZÁN ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im<br />
Arbeitsbereich Mathematik und ihre Didaktik am Institut<br />
für Schulpädagogik und Grundschuldidaktik der Philosophischen<br />
Fakultät III an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg,<br />
Franckeplatz 1, Haus 31, 06110 Halle<br />
(Saale), joachim.hrzan@paedagogik.uni-halle.de<br />
Seit 1996 hat er sich an der Martin-Luther-Universität<br />
Halle-Wittenberg forschungsmäßig insbesondere auf die<br />
Identifi zierung und Förderung mathematisch begabter<br />
Grundschulkinder spezialisiert.<br />
Dr. EMAD SHAWKY MALKY SEFIEN ist Wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter im Arbeitsbereich Didaktik der Mathematik<br />
und Educational Technology der Fakultät Erziehungswissenschaften<br />
an der South Valley Universität in Qena,<br />
Ägypten, esafen@yahoo.com<br />
Seit 2007 gilt sein besonderes Interesse an der South<br />
Valley Universität in Qena der Identifi zierung und Förderung<br />
mathematisch begabter Grundschulkinder. gc<br />
www.mnu.de 63
SCHULPRAXIS<br />
Von »Anionischen Tensiden«<br />
bis »Zeolithe«<br />
Die Waschmittelinhaltsstoffe im naturwissenschaftlichen<br />
Sachunterricht – Teil 2<br />
RUPERT SCHEUER – HILDEGARD LUCAS<br />
Im ersten Teil des Beitrages wurden Hintergrundinformationen zum Thema Waschmittel gegeben. Im vorliegenden<br />
Teil wird ausgeführt, auf welche Weise diese Thematik schülerorientiert für einen Experimentalunterricht gestaltet<br />
werden kann.<br />
2 Waschmittelinhaltsstoffe im<br />
naturwissenschaftlichen Sachunterricht<br />
Waschmittel sind keine Reinstoffe, sondern ein Gemisch<br />
von verschiedenen Stoffen. Ein Blick auf die Liste der <strong>Inhalt</strong>sstoffe<br />
von Waschmitteln zeigt die Vielzahl der eingesetzten<br />
Substanzen. Was sich hinter den komplizierten<br />
Begriffen verbirgt und wie diese Substanzen wirken, lässt<br />
sich gut mit Hilfe einfacher Experimente veranschaulichen<br />
(SCHEUER & LUCAS 2007). Bei diesen Experimenten kann<br />
nach dem Forschend-entwickelnden Unterrichtsverfahren<br />
gearbeitet werden, ein Verfahren, dass dem naturwissenschaftlichen<br />
Unterricht eine praktikable Vorgehensweise<br />
bietet. Die Schüler lernen, Probleme zu erkennen, dazu<br />
Fragen und Hypothesen zu entwickeln und diese dann<br />
auch experimentell zu prüfen. Das Verfahren basiert vor<br />
allem auf wichtige didaktischen Lernprinzipien: Der Lernprozess<br />
wird dann günstig beeinfl usst, wenn es der Lehrende<br />
schafft, Interesse und Neugier zu wecken, wenn er<br />
den Schülerinnen und Schülern ermöglicht, selbstständig<br />
Wissen zu erarbeiten und aktiv zu sein, und wenn er es<br />
schafft, für die Schülerinnen und Schüler eine Problemsi-<br />
Infokasten 6 Struktur der Arbeitsblätter<br />
tuation zu schaffen (Widerspruch zwischen bereits vorhandenem<br />
Wissen und vorhandener Erfahrung und neuen<br />
Gegenständen und Vorgängen).<br />
Mit »forschen« ist gemeint, dass der Schüler sich weitgehend<br />
selbstständig und aktiv mit seinem bereits vorhandenen<br />
Wissen und den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln<br />
neues Wissen erarbeitet. Der Lehrer steht hierbei<br />
unterstützend und helfend zur Seite (»entwickeln«). Die<br />
Stufen des Unterrichtsprozesses mit »Forschungsexperiment«<br />
veranschaulicht die Abbildung 5. Anhand verschiedener<br />
Themenfelder wurde im naturwissenschaftlichen<br />
Sachunterricht das Forschend-entwickelnde Unterrichtsverfahren<br />
bereits erprobt (LUCAS & LINDEMANN, 2004;<br />
LUCAS & SCHEUER, 2006, SCHEUER & LUCAS, 2006).<br />
Ein wichtiger Bestandteil aller Waschmittel sind die Tenside.<br />
Sie verändern die Eigenschaften des Wassers, lösen<br />
Schmutz aus den Textilien und verhindern eine Wiederablagerung<br />
der gelösten Schmutzteilchen auf dem Gewebe.<br />
Die Eigenschaften der Tenside können mit einfachen<br />
Experimenten phänomenologisch betrachtet werden. Eine<br />
Münze wird hierzu mit Wasser beträufelt, sodass ein<br />
Die Arbeitsblätter sollten möglichst immer einen gleichen Aufbau haben. Zur schnelleren Orientierung sollten die<br />
verschiedenen Bereiche mit entsprechenden Symbolen gekennzeichnet werden.<br />
Jedes Experiment hat selbstverständlich einen Namen. Bei der Wahl des Namens ist allerdings darauf zu<br />
achten, dass er das Ergebnis des Experiments nicht vorwegnimmt. In der Praxis hat sich u. a. bewährt, den<br />
Namen des Versuchs nicht mit zu kopieren und erst nach der Durchführung des Experiments gemeinsam mit<br />
den Schülern zu erarbeiten. Der Name kann dann nachträglich von den Schülern eingetragen werden.<br />
Zu Beginn sollten alle benötigten Geräte und Materialien mit der jeweiligen Menge aufgelistet werden. Mittels<br />
dieser Übersicht stellen sich die Schüler alle Materialien zusammen und nehmen sie mit an ihren Arbeitsplatz.<br />
Die Versuchsvorschrift sollte in Form einer Schritt-für-Schritt-Anleitung gegliedert sein. Insbesondere die<br />
Nummerierung der einzelnen Schritte hat sich in der Praxis als sehr wichtig erwiesen. So können u. a.<br />
lernschwächere und experimentierunerfahrene Schüler jeden durchgeführten Schritt mit einem Häkchen am<br />
Ende der Zeile »quittieren«. Zwischen den einzelnen Schritten sollten die »Jungforscher« immer wieder dazu<br />
angehalten werden, Vermutungen zu äußern und diese auch niederzuschreiben. Sie sollen die Versuchsanleitung<br />
nicht »kochbuchartig« abarbeiten, sondern immer wieder überlegen, was im nächsten Schritt passieren könnte.<br />
Die Schüler sollen schon früh an das Protokollieren des Gesehenen herangeführt werden. Neben den einzelnen<br />
Beobachtungen sollten aber auch die vorherigen Vermutungen stets verschriftlicht werden. Auf der Rückseite<br />
des Arbeitsblattes können die Schüler ein Bild zur Versuchsanordnung zeichnen.<br />
Am Ende eines jeden Experiments sollte das Erlernte in wenigen Sätzen zusammengefasst und auf der Rückseite<br />
des Arbeitsblattes vermerkt werden. Hier haben sich Merksätze, die durchgängig mit »Ich weiß jetzt« beginnen,<br />
bewährt.<br />
64 <strong>MNU</strong> <strong>PRIMAR</strong> 1/2 (15.4.<strong>2009</strong>) Seiten 64–68, ISSN 1867-9439, © Verlag Klaus Seeberger, Neuss
SCHULPRAXIS // VON »ANIONISCHEN TENSIDEN« BIS »ZEOLITHE«<br />
kleiner »Wasserberg« entsteht. Eine zweite Münze wird<br />
mit Wasser, dem zuvor einige Tropfen Spülmittel (enthält<br />
Tenside) zugefügt wird, beträufelt. Das Wasser mit dem<br />
Spülmittel bildet keinen »Berg«, sondern fl ießt auseinander.<br />
Tenside verhindern die Bildung von großen Wassertropfen.<br />
Dies kann verdeutlicht werden, indem aus einer<br />
Pipette Wasser getropft wird und die Anzahl der Wassertropfen<br />
gezählt wird. Zum Vergleich wird das gleiche Volumen<br />
des Wasser-Spülmittel-Gemisches aus einer zweiten<br />
Pipette getropft. Hier ist die Tropfenanzahl fast doppelt<br />
so hoch. Da in beiden Experimenten das gleiche Volumen<br />
genommen wurde, muss die Tropfengröße unterschiedlich<br />
sein.<br />
In einem weiteren Experiment wird Wasser auf ein Stoffstück<br />
getropft. Das Wasser verteilt sich nicht gleichmäßig,<br />
sondern bildet einzelne Tropfen, die zu einem großen<br />
Tropfen zusammenfl ießen, wenn das Stoffstück entsprechend<br />
bewegt wird. Wird hingegen das Wasser-Spülmittel-Gemisch<br />
auf das Stoffstück getropft, so dringt dieses<br />
in den Stoff ein. Es benetzt den Stoff und auch den darin<br />
enthaltenen Schmutz. Eine gute Benetzung des Stoffs<br />
– und des Schmutzes – begünstigen den Waschprozess.<br />
Für ein schonendes Waschen der Textilien ist Schaum<br />
wichtig. Er »polstert« die Wäsche, so dass die mechanische<br />
Beanspruchung geringer ist. Mit Schaum, insbesondere<br />
mit Seifenblasen lässt sich auch gut experimentieren.<br />
Die Schüler können den Forscherauftrag erhalten,<br />
auf einem Teller eine Seifenblase zu erzeugen, in der sich<br />
kleine Spielfi gur (z. B. ein Frosch) befi ndet. Oder sie sollen<br />
herauszufi nden, wie ein spitzer Gegenstand durch eine<br />
Seifenblasehaut gestoßen werden kann, ohne dass diese<br />
platzt. Auch die Frage, wo sich eine Seifenblase beim<br />
Platzen zuerst öffnet, kann von den Schülern erforscht<br />
werden.<br />
Eine besondere Herausforderung ist auch die Herstellung<br />
von großen Seifenblasen. Fragen wie etwa »Seit wann gibt<br />
es Seifenblasen?«, »Wie groß ist die größte Seifenblase?«<br />
oder »Wer stellt in Deutschland Seifenblasenlösung?« her,<br />
kann von den Schülern im Rahmen einer Rechercheaufgabe<br />
bearbeitet werden (siehe z. B. www.pustefi x.de).<br />
Neben der Schaumbildung haben Tenside die Eigenschaft,<br />
dass sie sich rasend schnell auf der Wasseroberfl äche<br />
ausbreiten. Dies kann in einem Experiment veranschaulicht<br />
werden. Auf einen mit Wasser gefüllten Suppenteller<br />
wird Pfeffer gestreut. Sobald Spülmittel hinzugefügt<br />
wird, wird der Pfeffer an den Rand gedrängt. Statt Pfeffer<br />
kann auch ein kleines Papierboot mit Spülmittel auf dem<br />
Wasser »angetrieben« werden. Soll das Boot eine längere<br />
Strecke zurücklegen, so eignen sich hierfür Auffangwannen<br />
für Balkonkästen.<br />
Tenside besitzen die Eigenschaft, Schmutz von der Wäsche<br />
zu lösen. Ein mit Öl beträufeltes Stück Baumwolle<br />
wird in klarem Wasser, ein zweites in einem Wasser-Spülmittel-Gemisch<br />
»gewaschen«. Die Tenside umschließen<br />
das Öl und lösen es von der Faser ab. Ein erneutes Absetzen<br />
an anderer Stelle wird erhindert, da die Tenside den<br />
Schmutz umschließen. Das nur in Wasser gewaschen<br />
Stoffstück wird nicht sauber.<br />
Bleichmittel zerstören Farbstoffe. Aus diesem Grund sind<br />
Bleichmittel nicht in Color- und Feinwaschmitteln enthalten.<br />
Um die Wirkungsweise von Bleichmitteln zu demonstrieren,<br />
werden drei Gläser mit jeweils 150 ml Wasser gefüllt<br />
und mit ein bis zwei Tropfen blauer Tinte eingefärbt.<br />
In das erste Glas wird ein Teelöffel Vollwaschmittel, in das<br />
zweite Glas ein Teelöffel Feinwaschmittel gegeben. Die im<br />
Vollwaschmittel enthaltenen Bleichmittel entfärben das<br />
Wasser. Im Glas bleibt eine milchig-weiße Trübung zurück.<br />
Aufbauend auf dieses Experiment werden im Folgeexperiment<br />
drei Stoffstückchen (5 cm x 5 cm) mit einem Tropfen<br />
Tinte betropft. Diese Stoffstückchen werden jeweils in<br />
einem Glas mit klarem Wasser, mit Vollwaschmittellösung<br />
bzw. Feinwaschmittellösung »gewaschen«. Auch hier wird<br />
wieder die bleichende Wirkung des Vollwaschmittels deutlich.<br />
Wissenssicherung<br />
Ich wiederhole:<br />
Wo kann ich das Gelernte<br />
anwenden?<br />
2.<br />
Stufe<br />
Überlegung<br />
zur Problemlösung<br />
Was weiß ich bereits?<br />
Vermutungen, mögliche<br />
Experimente<br />
Abb. 5 Stufen des Unterrichtsprozesses mit »Forschungsexperiment«<br />
www.mnu.de 65<br />
1.<br />
Stufe<br />
Problemgewinnung<br />
Was möchte ich<br />
herausfinden?<br />
5.<br />
Stufe<br />
250 ml destilliertes Wasser<br />
+ 20 ml Spülmittel »Fairy«<br />
+ 10 ml Glycerin (aus der Apotheke)<br />
4.<br />
Stufe<br />
Abstraktion<br />
Kann ich<br />
das Beobachtete<br />
erklären?<br />
3.<br />
Stufe<br />
Durchführung<br />
eines Lösevorschlags<br />
Ich plane und führe<br />
das Experiment durch<br />
und beobachte.<br />
Abb. 6<br />
Frosch in einer<br />
Seifenblase<br />
Abb. 7 Boot<br />
mit Spülmittelantrieb<br />
Infokasten 7 Rezept zur Herstellung von Seifenblasen XXL
SCHULPRAXIS // VON »ANIONISCHEN TENSIDEN« BIS »ZEOLITHE«<br />
Optische Aufheller lassen mit Hilfe des UV-Anteils des<br />
Sonnenlichtes weiße Wäsche strahlender aussehen. Eine<br />
Vergilbung und Verblassung der Textilien wird durch den<br />
Einsatz der optischen Aufheller verhindert. Optische Aufheller<br />
sind insbesondere in Vollwaschmitteln und Gardinenwaschmittel<br />
enthalten. Im Experiment wird in ein Glas<br />
mit klarem Wasser, mit Vollwaschmittellösung bzw. Feinwaschmittellösung<br />
jeweils ein Baumwollstück für einige<br />
Minuten gegeben. Werden die Stoffstücke im Anschluss<br />
mit UV-Licht bestrahlt, leuchtet das in der Vollwaschmittellösung<br />
»gewaschene« Stoffstück. Der optische Aufheller<br />
hat sich um die einzelnen Fasern gelegt und kann kaum<br />
wieder herausgewaschen werden. Aus diesem Grund<br />
muss ungewaschen Baumwolle eingesetzt werden.<br />
3 Fazit<br />
66<br />
Abb. 8<br />
Optische Aufheller<br />
leuchten<br />
im UV-Licht<br />
»Man kann Menschen nicht lehren, sondern nur helfen,<br />
etwas in sich selbst zu entdecken!«<br />
GALILEO GALILEI (1564–1642)<br />
In Verbindung mit zahlreichen, leicht zu realisierenden<br />
Experimenten bieten sich beim Thema Waschmittel für<br />
Lernende und Lehrende viele Möglichkeiten für einen interessanten<br />
und motivierenden naturwissenschaftlichen<br />
Unterricht. Das selbstständige Forschen ist für Schüler<br />
die Lernmethode, die langfristig gute Erfolge verspricht,<br />
denn eigenständig erarbeitetes Wissen wird nicht so<br />
schnell vergessen und kann eher in anderen Problemsituationen<br />
angewendet werden. Die systematisch aufbauenden<br />
Experimente ermöglichen eine breite Verankerung<br />
im Gehirn, was wiederum eine schnellere und sicherere<br />
Informationsspeicherung nach sich zieht (KASPAR 2006).<br />
Vermutlich erschließt sich nicht allen Schülern der theoretische<br />
Hintergrund, auf der phänomenologischen Ebene<br />
wird jedoch ein großer Teil der Schüler Lernerfolge<br />
verzeichnen können. So lernen die Schüler bereits im<br />
Sachunterricht, einen Teil ihrer Lebenswelt jenseits der<br />
Werbeversprechen kritisch zu refl ektieren.<br />
(Weitere Arbeitsblätter für die experimentelle Erschließung<br />
des Themas fi nden sich auf www.mnu.de und dort<br />
unter <strong>MNU</strong> <strong>PRIMAR</strong>)<br />
Literatur<br />
Siehe Teil 1 in Heft 1-09<br />
Bezugsquelle<br />
UV-Lampe<br />
(z. B. UV-Leuchtstoffröhren-Set 29,95 €<br />
bei www.conrad.de)<br />
Internetadressen<br />
www.quarks.de<br />
Quarks-Script »Kampf dem Schmutz«, online abrufbar<br />
www.ikw.org<br />
Industrieverband Körperpfl ege- und Waschmittel e. V.;<br />
Informationen und aktuelle Fakten über Wasch- und<br />
Reinigungsmittel<br />
www.oekotest.de<br />
Zeitschrift Öko-Test; Informationen zu Wasch- und<br />
Reinigungsmittel<br />
www.persil.de<br />
Informationen über Wasch- und Reinigungsmittel und<br />
der Geschichte der Firma Henkel KgaA<br />
www.hedinger.de<br />
Waschmittelkoffer der Firma Hedinger, Stuttgart<br />
www.pustefi x.de<br />
Hersteller von Seifenblasenlösungen<br />
HILDEGARD LUCAS ist Grundschullehrerin an der G.-W.-Leibniz-Gesamtschule<br />
in Duisburg-Hamborn und hat die naturwissenschaftlichen<br />
Workshops bei der CreativWerkstatt<br />
Herten mit aufgebaut.<br />
Dr. RUPERT SCHEUER ist Oberstudienrat im Hochschuldienst<br />
am Lehrstuhl für Didaktik der Chemie II der Universität<br />
Dortmund, Neben der Aus- und Fortbildung von Grundschullehrerinnen<br />
und -lehrern im naturwissenschaftlichen<br />
Sachunterricht führt er seit fünf Jahren Fortbildungen<br />
für Erzieherinnen und Erzieher durch. Zudem ist<br />
er seit Herbst 2002 Dozent für naturwissenschaftliche<br />
Workshops bei der CreativWerkstatt Herten und bietet<br />
dort außerschulische Experimentierworkshops für Kinder<br />
an.<br />
Korrespondenzadresse:<br />
TU Dortmund, Fakultät Chemie,<br />
Didaktik der Chemie,<br />
44221 Dortmund,<br />
rupert.scheuer@tu-dortmund.de<br />
gc<br />
<strong>MNU</strong> <strong>PRIMAR</strong> 1/2 (15.4.<strong>2009</strong>)
SCHULPRAXIS // VON »ANIONISCHEN TENSIDEN« BIS »ZEOLITHE«<br />
»Was können Tenside?«<br />
Arbeitsblatt 1<br />
Für den Versuch benötigst du:<br />
• 2 kleine Plastikbecher<br />
• 2 Pipetten<br />
• 2 gleiche Münzen<br />
• 1 Rührstab aus Holz<br />
(Schaschlikspießer mit abgeschnittener Spitze<br />
• 1 Petrischale<br />
• Spritzfl asche mit Wasser<br />
• Spülmittel<br />
So führst du den Versuch durch:<br />
1. Lege beide Münzen nebeneinander in die Petrischale.<br />
2. Fülle beide Becher zur Hälfte mit Wasser.<br />
3. Sauge aus dem ersten Becher etwas Wasser in die Pipette.<br />
4. Tropfe mit der Pipette auf die erste Münze etwas Wasser.<br />
5. Was passiert? Kannst du weitere Tropfen hinzufügen?<br />
Schreibe deine Beobachtungen auf:<br />
6. Gebe drei Tropfen Spülmittel in den zweiten Becher und rühre mit dem Rührstab<br />
langsam um.<br />
7. Sauge etwas von dem Spülmittel-Wasser in die zweite Pipette.<br />
8. Tropfe nun das Spülmittel-Wasser auf die zweite Münze.<br />
9. Beobachte, was passiert. Kannst du einen Unterschied zum ersten Experiment<br />
feststellen? Schreibe deine Beobachtungen auf:<br />
10. Zeichne auf der Rückseite ein Bild vom Experiment.<br />
PNW 08-05 Abb.1<br />
Zusatzaufgabe:<br />
Wiederhole das Experiment und zähle diesmal die Tropfen.<br />
www.mnu.de 67<br />
1 ml<br />
1 ml<br />
2 ml<br />
2 ml<br />
3 ml<br />
3 ml<br />
3 ml<br />
3 ml<br />
Wasser<br />
Geschirrspülmittel<br />
mit Zitronenkraft
SCHULPRAXIS // VON »ANIONISCHEN TENSIDEN« BIS »ZEOLITHE«<br />
»Was können Bleichmittel?«<br />
68<br />
Arbeitsblatt 2<br />
Für den Versuch benötigt ihr:<br />
• 3 Bechergläser (400 ml)<br />
• 2 Teelöffel<br />
• 2 Rührstäbe<br />
• 1 Pipette<br />
• blaue Tinte<br />
• Spritzfl asche mit Wasser<br />
• Vollwaschmittel<br />
• Symbol »Experimentieren«<br />
• Feinwaschmittel<br />
So führt ihr den Versuch durch:<br />
1. Füllt alle drei Bechergläser zur Hälfte mit Wasser.<br />
2. Gebt in jedes Glas einen Tropfen Tinte.<br />
3. Was passiert, wenn ein halber Teelöffel Vollwaschmittel in das erste Glas und ein<br />
halber Teelöffel Feinwaschmittel in das zweite Glas hinzu gegeben wird? Schreibt eure<br />
Vermutungen auf:<br />
1. Glas:<br />
2. Glas:<br />
PNW 08-05 Abb.3<br />
4. Gebt in das erste Glas einen Teelöffel Vollwaschmittel und rührt um.<br />
5. Gebt in das zweite Glas einen Teelöffel Feinwaschmittel und rührt um.<br />
6. Was könnt ihr beobachten? Schreibt eure Beobachtungen auf!<br />
7. Zeichnet auf der Rückseite ein Bild vom Experiment.<br />
400 ml<br />
Wasser REINI 60°C<br />
Feinwaschmittel 30°C<br />
300<br />
200<br />
400 100 ml<br />
400 ml<br />
300<br />
200<br />
100<br />
300<br />
200<br />
100 Tinte<br />
REINI 95°C<br />
REINI 60°C<br />
Vollwaschmittel Feinwaschmittel 30°C<br />
für alles Feine<br />
REINI<br />
Vollwaschmittel<br />
für jedes Gewebe<br />
60°C<br />
30°C<br />
95°C<br />
60°C<br />
30°C<br />
1 ml<br />
2 ml<br />
3 ml<br />
3 ml<br />
<strong>MNU</strong> <strong>PRIMAR</strong> 1/2 (15.4.<strong>2009</strong>)
SCHULPRAXIS<br />
Die Geschichte von Stefan<br />
und dem Früchtetee<br />
Versuche mit Kohle-Compretten<br />
HEINZ SCHMIDKUNZ<br />
In eine realistische Geschichte eingebunden, wird die Wirkungsweise von Aktivkohle, hier mit käufl ichen Kohle-<br />
Compretten ® , dargestellt. Aktivkohle hat die Eigenschaft, vor allem organische Stoffe, z. B. auch Gifte zu adsorbieren<br />
und festzuhalten. Dieser Sachverhalt wird bei der Adsorption eines roten Farbstoffs und der Geruchstoffe<br />
von Früchtetee demonstriert.<br />
In dem Beitrag werden Gesundheits- und Umweltaspekte mit einer bedeuteten naturwissenschaftlichen Arbeitsweise<br />
verbunden.<br />
Stefan bekam an einem Nachmittag Bauchschmerzen und<br />
verspürte eine leichte Übelkeit. Er ging zu seiner Mutter<br />
und erzählte es ihr, kleinlaut fügte er hinzu, dass er vor<br />
etwa zwei Stunden in seiner Brotbüchse den Rest eines<br />
alten belegten Brotes gefunden hatte, das er dann auch<br />
gleich gegessen hatte. Seine Mutter ahnte, dass Stefan<br />
sich womöglich eine Vergiftung zugezogen hatte, zögerte<br />
nicht lange und ging mit ihm sofort zum Arzt. Der Doktor<br />
hörte sich die Geschichte kurz an, untersuchte Stefan und<br />
fragte auch, ob der Brotrest womöglich mit Wurst oder<br />
Fleisch belegt gewesen war. Das konnte Stefan und auch<br />
seine Mutter verneinen, denn sie hatte in den vergangenen<br />
Tagen die Schulbrote nicht mit Wurst (oder Fleisch)<br />
belegt. »Dann«, sagte der Arzt, »können wir eine Fleischvergiftung<br />
wohl ausschließen, anderenfalls hätte Stefan<br />
in das Krankenhaus gemusst, weil solche Vergiftungen<br />
lebensgefährlich sind«.<br />
Nun ging der Arzt zu einem Schrank und holte eine Arzneimittelpackung<br />
heraus, auf der Stefan das Wort »Kohle-Compretten<br />
® « (Abbildung 1) lesen konnte.<br />
Abb. 1 Kohle-<br />
Compretten –<br />
Aktivkohle<br />
Einem Blister (Kunststofffolie mit eingearbeiteten Tabletten)<br />
entnahm der Arzt zwei schwarze Tabletten, gab sie<br />
gleich Stefan mit der Aufforderung, sie im Mund zu zerbeißen<br />
und anschließend zu schlucken. »Was geschieht<br />
denn mit den Tabletten in meinen Magen«, fragte Stefan.<br />
Die Tabletten binden Gifte, sagte der Arzt, »so dass die<br />
Giftstoffe nicht vom Blut aufgenommen werden können,<br />
dann werden die Kohletabletten mit den Giftstoffen ganz<br />
normal mit dem Stuhl ausgeschieden«. Stefan nahm seinen<br />
ganzen Mut zusammen und steckte die Tabletten in<br />
den Mund. »Die schmecken aber nicht gut«, sagte er, zerkaute<br />
aber die Tabletten und schluckte den »Kohlebrei«<br />
runter. Sein Mund war ganz schwarz geworden, und er<br />
bekam nach dem Hinunterschlucken des schwarzen Breis<br />
großen Durst. »Kann ich Früchtetee trinken, den ich noch<br />
in meiner Schultasche habe?« Fragte er den Arzt, der<br />
<strong>MNU</strong> <strong>PRIMAR</strong> 1/2 (15.4.<strong>2009</strong>) Seiten 69–72, ISSN 1867-9439, © Verlag Klaus Seeberger, Neuss<br />
darauf hin seine Stirn ein wenig in Falten zog, nachdachte<br />
und sagte schließlich »nein, Früchtetee darfst du nicht<br />
trinken, aber Wasser gebe ich dir, das darfst du trinken«.<br />
»Warum darf ich denn keinen Früchtetee trinken«, fragte<br />
Stefan und seine Mutter fügte noch hinzu, »der Tee ist<br />
doch sicher sehr gesund«. »Natürlich ist Früchtetee gesund«,<br />
bestätigte der Arzt, aber in diesem Fall würde der<br />
Tee die Heilwirkung der Tabletten schwächen und dadurch<br />
würde das Gesundwerden von Stefan verzögert.<br />
Als Stefans Mutter etwas ungläubig schaute, fügte der<br />
Arzt an die Mutter gewandt hinzu, »ihr Bruder ist doch<br />
Chemiker, der kann ihnen die Wirkungsweise der Kohletabletten<br />
sicher genau erklären, dann werden Sie sehen,<br />
dass der Entgiftungsvorgang der Kohletabletten durch<br />
den Früchtetee vermindert würde. Nachdem Stefan noch<br />
einmal zwei der Tabletten eingenommen hatte, ging es<br />
schon bald wieder gut, die Magenschmerzen gingen<br />
schnell weg und die Übelkeit verschwand. Sicherheitshalber<br />
sollte er zwei Stunden später erneut zwei Tabletten<br />
einnehmen.<br />
Seinen Onkel erreichte Stefan über das Telefon und vereinbarte<br />
mit ihm einen Termin am nächsten Tag. Mit einem<br />
Experiment wollte er Stefan die Wirkungsweise der<br />
Kohle-Compretten vorführen, dazu müsse er aber einen<br />
Teebeutel Früchtetee mitbringen, was Stefan auch tat.<br />
Die Kohle-Compretten besorgte der Onkel in der Apotheke<br />
selbst.<br />
Bei seinem Onkel angelangt, wurde zuerst der Früchtetee<br />
bereitet, der mit seiner intensiven roten Farbe und<br />
seinem erfrischenden Geruch deutlich zu erkennen war.<br />
Dann nahm der Onkel vier Kohletabletten aus dem Blister<br />
und pulverisierte sie in einer dicken Porzellanschale (Mörser<br />
oder Reibschale, Abbildung 2).<br />
Abb. 2 Pulverisierte<br />
Kohle – Compretten<br />
69
SCHULPRAXIS // DIE GESCHICHTE VON STEFAN UND DEM FRÜCHTETEE<br />
Von dem Tee goss er etwa die Hälfte in ein anderes Glas<br />
und rührte dann portionsweise das Tablettenpulver hinein.<br />
Unter leichtem Zischen vermischte sich das Pulver<br />
mit dem Tee zu einer schwarzen »Brühe«, Abbildung 3.<br />
Der Onkel rührte noch eine Weile mit einem Glasstab um.<br />
Inzwischen nahm er ein weiteres Glas und einen Trichter,<br />
in dem er einen Papierfi lter steckte. Diesen Trichter befestigte<br />
er an einem Stativ, so dass das Auslaufrohr des<br />
Trichters in das Glas ragte (Abbildung 4).<br />
Dann goss er vorsichtig und langsam die schwarze Brühe<br />
auf den Filter im Trichter. Stefan musste nun beobachten,<br />
was aus dem Auslaufrohr des Trichters heraus kam.<br />
Stefan staunte nicht schlecht. Da kam klares Wasser aus<br />
dem Trichter, der rote Farbstoff war völlig verschwunden<br />
und der Geruch des Tees war auch weg.<br />
Beim näheren Hinsehen bemerkte er, dass die Flüssigkeit<br />
etwas grau war, und sein Onkel hatte auch eine Erklärung<br />
dafür: »Das Pulver der Tablette war so fein, dass<br />
kleinste Teilchen davon mit dem Wasser durch den Filter<br />
hindurch gingen und kaum sichtbar im Wasser schwammen«.<br />
Der Farbstoff des Tees aber war vollständig von<br />
den Tablettenteilchen festgehalten, in der Chemie sagt<br />
man adsorbiert. Nun erklärte der Onkel seinem Neffen noch einmal genau<br />
die Wirkungsweise der Kohle-Compretten.<br />
70<br />
Abb. 3 Der Früchtetee<br />
mit den pulverisierten Kohle –<br />
Compretten<br />
Abb. 4 Filtration des mit<br />
Kohle versetzten Früchtetees<br />
Abb. 5 Vergleich des Früchtetees mit dem Tee nach der<br />
Filtration<br />
Die Kohle in der Tablette – es handelt sich um eine besonders<br />
zubereitete Holzkohle speziell für medizinische<br />
Zwecke – hat die Eigenschaft, Stoffe, wie Farbstoffe oder<br />
Geruchstoffe, aber auch Giftstoffe festzuhalten. So werden<br />
krankheitserregende Stoffe im Magen von der Kohle<br />
genauso wie der Farbstoff des Tees festgehalten (adsorbiert),<br />
damit sie im Darm nicht vom Blut aufgenommen<br />
werden und zu Vergiftungen führen. Das Kohlepulver mit<br />
den Giftstoffen wird vom Körper wieder ausgeschieden,<br />
also aus dem Körper entfernt.<br />
Sein Onkel erzählte ihm weiter, dass auch unser Trinkwasser<br />
mit einer solchen Kohle gereinigt wird, damit keine<br />
Giftstoffe und Krankheitserreger in unser Essen gelangen.<br />
Die Kohle wird in große Behälter eingefüllt, durch<br />
die das Wasser geleitet wird. Auch in den Gasmasken,<br />
die z. B. unsere Feuerwehrleute bei der Bekämpfung von<br />
Bränden tragen, ist Kohle in dem Teil enthalten, durch<br />
den die Atemluft gelangt.<br />
Stefan hatte nun verstanden, wie die Kohletabletten bei<br />
ihm gewirkt haben. Eines beschäftigte ihn aber noch, Wo<br />
war denn nun wirklich der rote Farbstoff des Tees geblieben.<br />
Die Kohle im Filter war ja ganz schwarz, die müsste<br />
doch rot sein?<br />
Sein Onkel war auf so eine Frage schon gefasst. » Der<br />
Farbstoff hängt wirklich an der Kohle, auch wenn man<br />
ihn nicht mehr sieht. Wir müssen die abfi ltrierte Kohle<br />
erst trocknen lassen, bevor der Farbstoff wieder abgelöst<br />
werden kann. Das werden wir später einmal machen, bei<br />
dem Teefarbstoff geht das nicht so einfach«. Für Chemiker<br />
ist das Loslösen fest gehaltener Stoffe, wie hier des<br />
Farbstoffes, von den Kohleteilchen sehr wichtig, weil die<br />
Stoffe auf diese Weise gewonnen und genau untersucht<br />
werden können, außerdem wird die Kohle regeneriert,<br />
also in ihren ursprünglichen Zustand versetzt und kann<br />
wieder eingesetzt werden.<br />
Versuch: Die Adsorption der <strong>Inhalt</strong>sstoffe<br />
im Früchtetee mit Kohle-Compretten ®<br />
Geräte und Material:<br />
1 Teeglas mit etwa 250 mL <strong>Inhalt</strong>, 2 Gläser mit etwa<br />
150 mL <strong>Inhalt</strong>, eine Reibschale mit Pistill (oder Mörser<br />
<strong>MNU</strong> <strong>PRIMAR</strong> 1/2 (15.4.<strong>2009</strong>)
SCHULPRAXIS // DIE GESCHICHTE VON STEFAN UND DEM FRÜCHTETEE<br />
bzw. Porzellanschale mit Stößel oder Löffel), ein Trichter,<br />
wenn vorhanden eine Haltevorrichtung für den Trichter,<br />
Filterpapier (Rundfi lter zum Falten), Teelöffel, Glasstab<br />
oder langer Löffel zum Umrühren,<br />
Kohle-Compretten ® aus der Apotheke (preiswert rezeptfrei<br />
zu erhalten). Früchtetee<br />
Durchführung:<br />
Zuerst werden vier Kohle-Compretten in eine Reibschale<br />
(Mörser oder Porzellangefäß) gelegt und vollständig zerdrückt<br />
bis daraus ein schwarzes Pulver entstanden ist.<br />
Ein Teebeutel des Früchtetees wird in das Glas (250 mL)<br />
eingelegt und mit 250 mL kochendem Wasser übergossen.<br />
Der Teebeutel wird nun etwa eine Minute im heißen<br />
Wasser hin und her geschwenkt und dann herausgenommen.<br />
Das Teewasser hat inzwischen eine intensiv rote<br />
Farbe angenommen und besitzt den typischen Geruch des<br />
Früchtetees. Von dem Tee werden etwa 100 mL in ein<br />
Becherglas gegossen. In diesen Tee wird nun mit dem<br />
Teelöffel portionsweise das Kohlepulver in den Tee eingerührt,<br />
das mit Zischen sich mit dem Tee vermischt. Es<br />
wird nun etwa eine Minute ständig umgerührt. Dann lässt<br />
man das Kohlepulver eine Minute absetzen.<br />
In der Zwischenzeit wird die Haltevorrichtung mit dem<br />
Trichter bereitgestellt. In den Trichter wird der gefaltete<br />
Rundfi lter eingelegt. Der Filter haftet am Glas besser an,<br />
wenn er mit Wasser etwas angefeuchtet wird. Nun wird<br />
langsam der obere Bereich der schwarzen Brühe in den<br />
Filter gegossen. Erfahrungsgemäß läuft das Filtrat am<br />
Anfang gut durch den Papierfi lter, allmählich werden die<br />
Poren des Filters durch winzige Kohleteilchen verstopft<br />
und die Flüssigkeit läuft nur sehr langsam durch. In den<br />
ersten 10 Milliliter des Filtrats (durchgelaufene Flüssigkeitsmenge)<br />
sind noch winzige Kohleteilchen enthalten, so<br />
dass die Flüssigkeit leicht grau aussieht. Deshalb sollten<br />
die ersten etwa 10 ml der Flüssigkeit erneut fi ltriert, d. h.<br />
wieder in den Filter gegossen werden. Diejenige Flüssigkeit,<br />
die dann langsam aus dem Filterrohr tropft ist wesentlich<br />
klarer. In der Abbildung 5 ist ein Vergleich des<br />
Früchtetees mit dem Filtrat zu sehen.<br />
Beobachtung:<br />
Die Farbstoffe und die Geruchsstoffe des Tees wurden<br />
vollständig von den Kohle-Compretten gebunden (adsorbiert).<br />
Erklärung:<br />
Kohle-Compretten bestehen aus einer besonderen Art<br />
von Holzkohle, die als »Aktivkohle« bezeichnet wird. Die<br />
fein verteilten Kohlepartikel besitzen eine Oberfl äche<br />
von etwa 800 m 2 pro Gramm Kohle. Die Oberfl äche der<br />
Kohleteilchen hat die Eigenschaft, organische Stoffe, wie<br />
Farbstoffe, Geruchsstoffe und Giftstoffe, zu adsorbieren,<br />
also festzuhalten.<br />
Die mit Giftstoffen beladene Aktivkohle kann auch regeneriert<br />
werden:<br />
Der rote Farbstoff des Früchtetees lässt sich von der Aktivkohle<br />
mit Ethanol (Spiritus) wieder ablösen. Der schwarze<br />
Filterrückstand muss allerdings trocken vorliegen. Das<br />
bedeutet, dass unmittelbar nach der Filtration die Ablösung<br />
des Farbstoffs nicht vorgenommen werden kann.<br />
Der trockene schwarze Filterrückstand wird mit einem<br />
Löffel in eine Tasse (oder Porzellanschale) überführt und<br />
mit wenig Spiritus (Ethanol) übergossen. Nach kurzem<br />
Umrühren muss sofort fi ltriert werden. Der zunächst<br />
rote, deutlich sichtbare Farbstoff verschwindet allerdings<br />
nach kurzer Zeit. Offensichtlich liegt eine chemische Re-<br />
aktion des Ethanols mit dem Farbstoff zu einer fast farblosen<br />
Substanz vor.<br />
Weitere Anwendungsmöglichkeiten von Aktivkohle:<br />
Die Aktivkohle wird auch eingesetzt, um Wasser zu<br />
reinigen, so z. B. um eine Trinkwasseraufbereitung<br />
vorzunehmen.<br />
Aktivkohle dient auch dazu, um Lösemitteldämpfe in<br />
der Luft (z. B. in chemischen Betrieben) zu entfernen.<br />
Aktivkohle ist auch der Hauptbestandteil der Filtermasse<br />
in Gasmasken.<br />
Die Regeneration der Aktivkohle kann durch Erhitzen,<br />
durch Behandeln mit Wasserdampf oder auch durch<br />
Behandeln mit bestimmten organischen Lösemitteln<br />
(Alkohol, Aceton oder Benzin usw.) erfolgen. Das<br />
Verfahren ist abhängig vom adsorbierten Stoff, schont<br />
im jeden Fall die Umwelt und Ressourcen. In diesen<br />
Zusammenhang wird im Bezug auf die Aktivkohle von<br />
Kreisprozessen gesprochen, die besonders ökonomisch<br />
und ökologisch verlaufen. Die Abbildung 6 zeigt<br />
schematisch den Kreisprozess mit Aktivkohle.<br />
Weitere Versuche mit Kohle-Compretten:<br />
Mit den Kohle-Compretten lassen sich auch andere Getränke<br />
behandeln. So wird z. B. eine Orangenlimonade<br />
(z. B. Fanta ® ) ebenfalls entfärbt. In der Abbildung 7 ist<br />
Abb. 6 Kreisprozess der Aktivkohle<br />
Abb. 7 Behandlung von Fanta ® mit Aktivkohle (Vergleich)<br />
www.mnu.de 71
Ausgangspunkte des Lernens<br />
im Sachunterricht<br />
INGRID SCHWEITZER<br />
Wenn Lernvoraussetzungen und Vorstellungen von Kindern in die Planung des Unterrichts einbezogen werden<br />
sollen, ist die Berücksichtigung themenorientierter Kinderfragen als eine Grundlage unerlässlich. Sie müssen in<br />
Einklang gebracht werden mit den Bildungsanforderungen des Sachunterrichts. Wie in Zusammenhang mit mehrperspektivischen<br />
Aspekten eines Themas erste Einsichten in naturwissenschaftliche Basiskonzepte im Sachunterricht<br />
der Grundschule vermittelt werden können, wird am Beispiel »Salz« dargestellt.<br />
72<br />
SCHULPRAXIS<br />
zum Vergleich eine Orangenlimonade vor der Behandlung<br />
und nach dem Filtrieren der »Kohlebrühe« zu sehen. Mit<br />
den hier verwendeten Kohle-Compretten gelingt es jedoch<br />
nicht, ein Cola-Getränk zu entfärben. Für diesen Zweck<br />
muss man auf eine Spezialkohle zurückgreifen (Aktivkohle<br />
von Riedel de Haen, 31616).<br />
Schlussgedanke<br />
Die Bedeutung der Aktivkohle für die Reinigung von Luft<br />
und Wasser sowie zur Analyse von Stoffgemischen ist<br />
nicht hoch genug einzuschätzen. Gerade für den Umweltschutz<br />
erhält die Substanz eine zunehmende Rolle.<br />
Im Sachunterricht ist Aktivkohle in Form der Kohle-Compretten<br />
gut einzusetzen. Der Früchtetee wurde gewählt,<br />
weil die intensiv rote Farbe des Tees zur Überraschung<br />
der Schülerinnen und Schüler völlig verschwindet. Natürlich<br />
lassen sich auch andere Teearten oder Limonaden<br />
mit der Kohle entfärben. Hier sind der Phantasie keine<br />
Grenze gesetzt.<br />
1 Voraussetzungen für die Planung<br />
von Unterricht<br />
»Selbstverständlich berücksichtige ich Fragen und Interessen<br />
der Kinder im Sachunterricht!«<br />
»Ich fi nde den Lebensweltbezug der Themen enorm wichtig!«<br />
Äußerungen wie diese zeigen, dass Grundschullehrkräfte<br />
die Vorstellungen, Fragen und Interessen der Kinder im<br />
Unterrichtsalltag sehr ernst nehmen, so wie es die Fachdidaktik<br />
empfi ehlt. In diesem Beitrag sollen Möglichkeiten<br />
der thematischen Orientierung einer Unterrichtsequenz<br />
an Vorwissen und Fragen der Kinder aufgezeigt werden.<br />
Die oftmals durchgeführten Gesprächsrunden »Meine<br />
Fragen zum Thema …« oder »Das weiß ich über …« zu<br />
Beginn einer neuen Unterrichtseinheit sind begrüßenswert.<br />
Es ist nicht immer einfach, von da aus einen direkten<br />
Zusammenhang zu den Unterrichtsvorhaben herzustellen.<br />
Oft werden die Erhebungen kaum genutzt, um<br />
Lernvoraussetzungen tatsächlich zum Ausgangspunkt der<br />
Erweiterung von Wissen und Können und zur Anbahnung<br />
ausbaufähiger Basiskonzepte zu machen, und den Kindern<br />
wird der Zusammenhang zwischen ihren Fragen und<br />
Ideen und dem weiteren Unterrichtsverlauf oft nicht klar.<br />
Prof. Dr. HEINZ SCHMIDKUNZ war bis 1996 Professor für<br />
Chemie-Didaktik an der Universität Dortmund. Insbesondere<br />
in der Lehre war er intensiv an der Ausbildung von<br />
Primarstufenlehrkräften beteiligt.<br />
Adresse:<br />
Obermarkstraße 125,<br />
44267 Dortmund,<br />
h.schmidkunz@online.de<br />
Bieten Fragen, Vorwissen, Vorstellungen, Interessen von<br />
Grundschulkindern einen ausreichenden Fundus für die<br />
Grundlegung naturwissenschaftlicher Bildung im Sachunterricht?<br />
Durch den Einsatz der Fülle vorgefertigter Beispiele<br />
und Materialien für Unterrichtssequenzen werden<br />
zum Teil Antworten auf Fragen gegeben, die gar nicht<br />
gestellt wurden oder die Kinder sollen etwas lernen, was<br />
sie längst wissen. So schreibt GARLICHS (1996) »Unzählige<br />
Male habe ich selber beobachtet, dass Kinder mit<br />
ihren Antworten oder Fragen nicht landen konnten, weil<br />
sie nicht in der Zielspur des Unterrichts oder zu weit weg<br />
von den angestrebten wissenschaftlichen Erklärungskonzepten<br />
lagen.«<br />
So muss auch das Fragen stellen gelernt werden und<br />
häufi g können Fragen erst dann gestellt werden, wenn<br />
man mehr Wissen über eine Sache hat. So fordert ERNST<br />
(1996), dass man »Fragen wachsen lassen« muss. Die<br />
»ersten« Fragen müssen noch nicht besonders tragfähig<br />
sein. »Zweite« Fragen entstehen im Umgang mit<br />
der Sache und können zu Entdeckungsprozessen führen.<br />
Die sich daraus ergebenden »dritten« Fragen können zu<br />
grundlegenden Einsichten führen (vgl. ERNST, 1996). Folgerung<br />
für den Unterricht ist das Erstellen von Lernarrangements,<br />
die die Entwicklung von Fragen fördern und pro-<br />
<strong>MNU</strong> <strong>PRIMAR</strong> 1/2 (15.4.<strong>2009</strong>) Seiten 72–76, ISSN 1867-9439, © Verlag Klaus Seeberger, Neuss<br />
gc
SCHULPRAXIS // AUSGANGSPUNKTE DES LERNENS IM SACHUNTERRICHT<br />
zessbegleitende Fragephasen berücksichtigen. Auch in<br />
der Refl exion des Unterrichts ist es wichtig zu beachten,<br />
dass Kinder die erarbeiteten Antworten auf Fragen als<br />
bedeutsamen Wissenszuwachs wertschätzen können.<br />
Fragen sind aber nur ein Teil dessen, was Voraussetzung<br />
für die Planung des Unterrichts sein kann: Vorwissen und<br />
Vorstellungen prägen außerdem die Erwartungen, mit denen<br />
Kinder neuen Lerninhalten begegnen. Eine weitere<br />
Komponente sind die Vorgaben und Lehrabsichten der<br />
Lehrkraft. Das ist zu berücksichtigen, denn nicht alles,<br />
was unterrichtlich vermittelt werden soll, befi ndet sich<br />
bereits im Fragehorizont der Kinder. »Kindorientierung<br />
und Zielorientierung müssen im Unterricht beide zu ihrem<br />
Recht kommen. Die Kunst des Unterrichtenden besteht<br />
darin, geeignete Wege zu fi nden, Kinder und Sache so zueinander<br />
ins Verhältnis zu setzen, dass die Kinder in ihrem<br />
Selbstwerden über die Beschäftigung mit Sachverhalten<br />
gestärkt werden, dass sie die Befangenheit in Eigenwelten<br />
überwinden und Anteil an allgemeinen Deutungsmustern<br />
unserer Kultur gewinnen« (GARLICHS, 1996) und damit<br />
auch an den Naturwissenschaften.<br />
Durch Zusammenstellungen von Aufgabenbeispielen und<br />
Experimentierangeboten kann ein Verständnis für naturwissenschaftliche<br />
Konzepte angebahnt werden, die in<br />
Zusammenhang mit Vorwissen und Fragen von Kindern<br />
bzw. mit Situationen aus der Alltagswelt stehen. So wird<br />
die Aufmerksamkeit der Kinder auf Phänomene gelenkt,<br />
die ihnen häufi g begegnen, auch ohne dass sie bisher in<br />
Frage gestellt wurden.<br />
Es ist meine Aufgabe als Lehrerin die »Weltaufmerksamkeit«<br />
anzubahnen, manchmal auch durch lenkendes Eingreifen,<br />
z. B. durch ein Angebot von Lernsituationen, die<br />
einen Transfer ermöglichen. Der Sachunterricht bietet<br />
zudem die Möglichkeit der Darstellung der Bandbreite eines<br />
Themas, dessen lebensweltbezogene Aspekte über<br />
ausschließlich naturwissenschaftliche Fragestellungen hinausgehen.<br />
Damit lassen sich die in sehr heterogener<br />
Weise gemachten Grunderfahrungen, die die Kinder mit<br />
in die Schule bringen, berücksichtigen. Schließlich haben<br />
sie auch bereits Vorstellungen und Konzepte zu naturwissenschaftlichen<br />
Sachverhalten entwickelt, Wissen<br />
aus unterschiedlichen Quellen gesammelt und eigene Erfahrungen<br />
gemacht. Aufzugreifen sind ebenfalls fachlich<br />
nicht tragfähige Konzepte und diese gegebenenfalls zu erweitern<br />
oder zu verändern. Das sollte bei der Gestaltung<br />
realer Lernsituationen im Sachunterrichts berücksichtigt<br />
werden, die eben nicht an dem bereits vorhandenen Wissen<br />
und an den Erfahrungen der Kinder vorbeigehen sollten.<br />
Diese Vorüberlegungen bildeten die Grundlage bei der Zusammenstellung<br />
von Anregungssituationen zur Entwicklung<br />
eines Unterrichtsbeispiels zum Thema »Salz – nicht<br />
nur für die Suppe«. Im Folgenden werden zunächst die<br />
hier relevanten naturwissenschaftlichen Konzepte dargestellt,<br />
dann Fragen von Kindern zu dem Thema skizziert<br />
und abschließend Beispiele und Aufgaben vorgeschlagen,<br />
mit denen auf die Fragen eingegangen werden kann. Sie<br />
sind nicht im Sinne einer festgelegten Unterrichtseinheit<br />
zu verstehen.<br />
2 »Salz – nicht nur für die Suppe«<br />
Im Hinblick auf die naturwissenschaftlichen Aspekte des<br />
Unterrichtsbeispiels bietet das Thema die Möglichkeit einer<br />
Anbahnung eines Verständnisses des grundlegenden<br />
Chemie-bezogenen Fachkonzeptes von Stoffen und Stoffveränderungen.<br />
Die übergeordnete Leitfrage für die Unterrichtsplanung<br />
könnte lauten:<br />
Wie lassen sich Stoffe und ihre Veränderungen in Natur<br />
und Umwelt erkennen und verstehen?<br />
Anzustrebendes Ziel ist ein Verständnis dafür, dass Stoffe<br />
durch ihre Stoffeigenschaften (Materialeigenschaften)<br />
beschrieben werden,<br />
sich teilweise vollständig verändern, aber<br />
in der Welt nicht verloren gehen (vgl. BÜNDER & WIM-<br />
BER, 2008).<br />
Damit wären erste Einsichten in naturwissenschaftliche<br />
Basiskonzepte ermöglicht (Stoffe/Stoffveränderung und<br />
Erhaltungssätze). Konzepte sollen hier als gedankliche<br />
Werkzeuge, mit deren Hilfe wir in der Welt sinnfällig handeln<br />
können, verstanden werden (ATKINSON, 1990, zit.<br />
nach MÖLLER 1999). Sie bilden die Grundlagen für das<br />
kumulative Weiterlernen in den naturwissenschaftlichen<br />
Fächern.<br />
Fragen und Vorwissen der Kinder einer dritten Klasse<br />
wurden in einer realen Unterrichtssituation im Heimat-<br />
und Sachunterricht unter der Überschrift »Ich und das<br />
Salz« erhoben. Als Hinführung zum Thema »Salz – nicht<br />
nur für die Suppe« eignete sich die Märchenerzählung<br />
(»Wie das Salz ins Meer kam – Ein Märchen aus Asien«),<br />
an die sich ein »Nachdenkgespräch« anschloss.<br />
Dieses Gespräch wurde durch drei zentrale Impulse strukturiert.<br />
Den ersten Impuls, mit dem vor allem das Vorwissen<br />
erhoben wurde, bildete der Satzstreifen »Das weiß<br />
ich über das Salz«. Im Gespräch ergaben sich weitere<br />
Fragen, z. B. was mit dem Salz in der Suppe passiert und<br />
warum Eis bei der Zugabe von Salz schmilzt. Dann folgte<br />
der Impuls »Das möchte ich über das Salz wissen«. Die<br />
Frage »Was meinst du – wie ist das Salz ins Meer gekommen«<br />
wiederum führte zurück zu der Märchenerzählung<br />
und gab Aufschluss über weitere Schülervorstellungen.<br />
Alle Äußerungen der Kinder wurden von der Lehrkraft<br />
mitprotokolliert, gemeinsam geordnet und fi nden sich zusammengefasst<br />
in Abbildung 1.<br />
Natürlich kann vor allem aus zeitlichen, organisatorischen,<br />
technischen Gründen nicht immer allen Interessen, Ideen<br />
und Fragen der Kinder nachgegangen werden. Gleichwohl<br />
ist es entscheidend, den Bezug zwischen den gesammelten<br />
Ideen der Lerner und dem anschließenden Unterricht<br />
explizit zu machen, dazu können Ideen und Fragen gemeinsam<br />
mit den Lernern strukturiert werden, es können<br />
Prioritäten gesetzt oder z. B. arbeitsteilig vorgegangen<br />
werden. Einige Ideen können in Experimenten untersucht<br />
werden, Antworten auf andere Fragen werden in Texten<br />
gefunden.<br />
Die folgenden Aufgabenangebote sind Beispiele für Gesprächs-<br />
und Handlungssituationen im Unterricht, die<br />
sich direkt auf die Fragen und das Vorwissen der Kinder<br />
einer dritten Klasse zum Thema Salz beziehen. Viele der<br />
Versuche fi nden sich in Experimentiermaterialien aus dem<br />
Internet (z. B. BLUME, 2002).<br />
Einige Äußerungen der Schülerinnen und Schüler beziehen<br />
sich auf die Eigenschaften von Salz, z. B. Form und<br />
Farbe, bzw. Salzwasser, z. B. Brennbarkeit und Auftrieb.<br />
Zum Kennen lernen des Stoffes Salz bzw. des Stoffge-<br />
www.mnu.de 73
SCHULPRAXIS // AUSGANGSPUNKTE DES LERNENS IM SACHUNTERRICHT<br />
A. »Das weiß ich über Salz«<br />
Salzwasser brennt.<br />
Salz sind Kristalle. Es gibt ganz große Salzkristalle.<br />
Salz kommt durch Regen.<br />
Es gibt Salzpfl anzen.<br />
Wenn man im Salzwasser schwimmt, schwimmt man<br />
oben. Es gibt dem Körper Auftrieb. Salzwasser ist<br />
schwerer als anderes Wasser.<br />
Salz braucht man, also der Mensch.<br />
»Wo begegnet uns Salz?«<br />
Lecksteine für Tiere, Salzwasser, Salzstangen/<br />
Laugenstangen, im Gestein, im Küchenschrank,<br />
Streusalz<br />
»Was kann das Salz?«<br />
Wasser einsaugen, Haltbarmachen, würzen, Eis<br />
auftauen<br />
»Was passiert mit dem Salz in der Suppe?«<br />
Im warmen Wasser schmilzt das Salz.<br />
»Warum taut es, wenn man Salz streut?«<br />
Salz schmilzt, wenn die Sonne es erwärmt, und das<br />
kann das Eis nicht ab.<br />
B. »Das würde ich gern wissen über Salz«<br />
Wie ist das Salz ins Meer gekommen?<br />
Wo kommt das ganze Salz her?<br />
Welche Experimente können wir mit Salz machen?<br />
C. »Was meinst du – wie ist das Salz ins Meer<br />
gekommen?«<br />
Das Salz kommt aus dem Meeresboden.<br />
Das Salz stammt aus der Eiszeit.<br />
Salz ist durch Lava entstanden. Das Salz wurde von<br />
den Steinen abgerieben, als Lava vorbei fl oss. Dann<br />
kam es durch die Regenzeit ins Meer<br />
Abb. 1 Äußerungen von Schülerinnen und Schülern einer<br />
3. Klasse in einem Gespräch zum Thema Salz.<br />
misches Salzwasser können zunächst die verschiedenen<br />
Eigenschaften erarbeitet werden. Dabei gehen die Kinder<br />
zum einen mit ihnen vermutlich bereits bekannten Stoffeigenschaften,<br />
wie Farbe, um, und zum anderen lernen<br />
sie neue Stoffeigenschaften, z. B. die Löslichkeit, kennen,<br />
mit denen Stoffe noch genauer charakterisiert werden<br />
können.<br />
Salzkristalle<br />
Die kristalline Struktur des Salzes kann man mit dem bloßen<br />
Auge bereits sehen, die charakteristische Form kann<br />
besonders gut mit der Lupe oder ggf. unter dem Mikroskop<br />
beobachtet werden. Vergleiche von grobem und feinem<br />
Salz sind auch möglich. Auch die Wiedergewinnung<br />
von Salz aus Wasser durch Verdampfen des Wassers<br />
eignet sich, um die »entstehenden« Salzkristalle zu beobachten.<br />
Die Beobachtungen der Kinder können durch<br />
Zeichnungen dokumentiert und dann verglichen werden.<br />
Salz verändert das Wasser<br />
In der hier beschriebenen Unterrichtssituation sagt ein<br />
Schüler, dass Salzwasser schwerer als anderes Wasser<br />
ist (möglicherweise ist hier die höhere Dichte von Salzwasser<br />
gemeint). Die Aussage kann ohne großen Aufwand<br />
überprüft werden, in dem Wasser mit und ohne<br />
Salz abgewogen werden. Viele Kinder sind über die Beobachtung,<br />
dass das Wasser nach der Zugabe von Salz,<br />
das sich ja löst und damit nicht mehr sichtbar ist, trotzdem<br />
mehr wiegt, überrascht. Komplexer ist es, den im<br />
Salzwasser und Süßwasser unterschiedlichen Auftrieb,<br />
74<br />
der mit der unterschiedlichen Dichte von Salz- und Süßwasser<br />
zusammenhängt, zu erarbeiten. Eine Möglichkeit,<br />
das Phänomen zu beobachten, stellt der Versuch dar, bei<br />
dem ein Ei in Leitungswasser gelegt wird und dann beobachtet<br />
wird, was passiert, wenn man Salz hinzugibt. Erklärungen<br />
und weiterführende Versuche zum Schwimmen<br />
und Sinken fi nden sich z. B. in KAHLERT, 2007.<br />
Natürlich lassen sich in diesem Zusammenhang weitere<br />
Stoffeigenschaften benennen, in denen Salz- und Süßwasser<br />
sich unterscheiden, z. B. Geschmack oder die Leitfähigkeit.<br />
Die von den Schülern geäußerte Vermutung, dass<br />
Salzwasser brennt, kann leicht mit einem Streichholz oder<br />
einem entsprechenden Löschversuch überprüft werden<br />
Auch die geäußerte Idee, dass Regenwasser salzig ist,<br />
kann durch Geschmacksproben oder Verdampfungsversuche<br />
überprüft werden.<br />
Eine weitere Eigenschaft von Salz wird in der Aussage »Im<br />
warmen Wasser schmilzt das Salz« angesprochen. Tatsächlich<br />
handelt es sich nicht um einen Schmelzvorgang,<br />
sondern einen Lösungsvorgang. Diese beiden Vorgänge<br />
werden häufi g verwechselt, sodass es sich anbietet, die<br />
Unterschiede herauszuarbeiten. Hierfür eignen sich zwei<br />
Versuche, in denen beobachtet und verglichen wird, was<br />
passiert, wenn man Salz in Wasser gibt und wenn man<br />
einen Eiswürfel in Wasser gibt, was mit Salz auf einem<br />
Teller und einem Eiswürfel auf einem Teller passiert. Mithilfe<br />
der Versuche können die Kinder erkennen, dass es<br />
für den Lösungsvorgang einen sich lösenden Stoff und<br />
ein Lösungsmittel (in diesem Fall Wasser) braucht, für<br />
den Schmelzvorgang aber nicht. Schmelzen und häufi g<br />
auch Lösen wird durch die Zufuhr von Wärme beschleunigt,<br />
was die Unterscheidbarkeit der beiden Prozesse für<br />
Lernanfänger manchmal erschwert. Die Eigenschaft Löslichkeit<br />
in Wasser kann in vielen Experimenten genauer<br />
untersucht werden, z. B. der Vergleich der Löslichkeit<br />
von Salz in warmem und kaltem Wasser oder die Untersuchung<br />
der Menge von Salz, die sich in einer festgelegten<br />
Menge Wasser, z. B. in 100 ml, lösen lässt.<br />
Ein weiteres Merkmal von Salz, das von einem Kind benannt<br />
wird, ist die Eigenschaft Wasser anzuziehen (einzusammeln),<br />
also hygroskopisch zu sein. Aus dem Alltag<br />
kennt man z. B. das Zusammenklumpen von Salz im Salzstreuer,<br />
weil es Feuchtigkeit anzieht. Legt man rohe Kartoffelstücke<br />
oder Salatblätter in Leitungswasser bzw. in<br />
Salzwasser und vergleicht diese nach einigen Stunden,<br />
zeigt sich, dass das Gemüse im Salzwasser verschrumpelt,<br />
während es im Leitungswasser »knackig« bleibt. Das<br />
Salz entzieht dem Gemüse Wasser, weswegen es verschrumpelt.<br />
Hintergrund hierfür sind osmotische Effekte.<br />
Die Äußerungen über Salzpfl anzen, z. B. am Wattenmeer,<br />
sowie die Notwendigkeit von Salz für Menschen lassen<br />
sich in der Regel leichter durch Rechercheaufgaben und<br />
Informationstexte aufgreifen. Sie können die Grundlage<br />
für »Experteneferate« bilden.<br />
Verwendung von Salz<br />
Neben den Eigenschaften thematisieren die Schülerinnen<br />
und Schüler auch Verwendungsmöglichkeiten von Salz.<br />
Auch diese Idee können aufgegriffen und überprüft werden,<br />
z. B. durch die Herstellung von Salzgurken. Dafür<br />
werden kleine Gemüsegurken gesäubert, in einem Glas<br />
geschichtet und mit Pfefferkörnern und/oder Dill gewürzt.<br />
Ein Liter Wasser wird mit zwei Esslöffeln Salz gekocht und<br />
über die Gurken gegossen. Das verschlossene Gefäß wird<br />
<strong>MNU</strong> <strong>PRIMAR</strong> 1/2 (15.4.<strong>2009</strong>)
SCHULPRAXIS // AUSGANGSPUNKTE DES LERNENS IM SACHUNTERRICHT<br />
nach dem Abkühlen in den Kühlschrank gestellt. Nach 24<br />
Stunden können die Gurken gegessen werden. Kühl aufbewahrt<br />
halten sie sich zehn Tage.<br />
Auch die Wirkung von Salz auf Eis kann einfach experimentell<br />
überprüft werden, in dem beobachtet wird, was<br />
passiert, wenn man einen Eiswürfel mit Salz bestreut, im<br />
Vergleich zu einem Eiswürfel ohne Salz. Da die wissenschaftliche<br />
Erklärung sehr komplex ist, sollte man sich<br />
Materialien<br />
1 Plastikfl asche (PET, 1l)<br />
1 Messer<br />
feste Unterlage<br />
dünner Nagel<br />
Watte<br />
weißer Seesand<br />
Salz<br />
Becherglas oder Marmeladenglas,<br />
(etwas kleiner als die PET-Flasche)<br />
Folienschreiber<br />
Durchführung<br />
Schneide den Boden der Plastikfl asche ab.<br />
Schraub den Deckel ab und bohre<br />
mit dem Nagel mehrere Löcher in den Deckel<br />
Stecke etwas Watte in den Flaschenhals<br />
und schraub den Deckel wieder zu.<br />
Drehe die Flasche um und fülle Sand hinein<br />
(etwa 10 cm hoch)<br />
Gib darauf eine Salzschicht (etwa 2 cm dick)<br />
Bedecke die Salzschicht wieder mit Sand<br />
(etwa 5 cm)<br />
Stelle die Flasche kopfüber, also mit dem Deckel<br />
nach unten, in das Glas.<br />
Achte darauf, dass die Flasche sicher steht,<br />
dass der Flaschenhals aber nicht den Boden<br />
berührt!<br />
Kennzeichne die Grenzen der Schichten<br />
mit dem Folienschreiber<br />
Nun lässt du Wasser durch die Flasche laufen<br />
und fängst es in dem Glas auf.<br />
Fragen:<br />
zunächst auf die Beobachtung und Beschreibung des Phänomens<br />
durch die Kinder beschränken.<br />
Wie kommt das Salz ins Meer?<br />
Nach dem die Kinder Eigenschaften des Salzes und des<br />
Salzwassers erarbeitet haben, kann die oben genannte<br />
Frage wiederum durch Informationstexte bearbeitet werden.<br />
Wie kommt das Salz ins Meer?<br />
So kann man es untersuchen.<br />
PET-Flasche<br />
Glasgefäß, in dem<br />
die Flasche kopfüber<br />
stehen kann, aber nicht<br />
den Boden berührt.<br />
Was hat das Experiment mit der Frage »Wie kommt das Salz ins Meer« zu tun?<br />
Weißt du, wie du zeigen kannst, ob in dem aufgefangenen Wasser Salz enthalten ist?<br />
aufgeschnittener Flaschenboden<br />
Sandschicht<br />
Salzschicht<br />
Sandschicht<br />
Watteschicht<br />
durchlöcherter<br />
Flaschendeckel<br />
www.mnu.de 75
SCHULPRAXIS // AUSGANGSPUNKTE DES LERNENS IM SACHUNTERRICHT<br />
76<br />
Wie kommt das Salz ins Meer?<br />
Überall im Boden und im Gestein befi ndet sich Salz.<br />
Wenn es regnet, versickert ein Teil des Wassers und<br />
löst geringe Mengen von dem Salz im Boden auf.<br />
Das Wasser sammelt sich in den Bächen und Flüssen.<br />
Diese fl ießen über Erdreich und Gestein. Wieder löst sich<br />
etwas Salz aus dem Boden im Wasser. Der Salzgehalt im<br />
Flusswasser ist aber so gering, dass wir immer noch von<br />
Süßwasser sprechen.<br />
Die Flüsse bringen ihr Wasser ins Meer. Meerwasser<br />
verdunstet, es bilden sich Wolken, die Wolken bringen<br />
Regen, das Regenwasser löst Salz aus dem Boden.<br />
Und das passiert schon seit vielen Millionen von Jahren.<br />
(s. hierzu z. B. auch<br />
www.nationalpark-wattenmeer.niedersachsen.de/<br />
oder www.wasistwas.de/)<br />
Der im Arbeitsblatt beschriebene Versuch verdeutlicht den<br />
Vorgang des Lösens von Salz aus dem Boden und stellt<br />
gleichzeitig den Rückbezug zur Eigenschaft Löslichkeit her.<br />
Experiment: Was passiert mit dem Salz im Boden<br />
In den Flaschenhals einer am Boden abgeschnittenen PET-<br />
Flasche wird etwas Watte gesteckt und die Flasche mit<br />
dem durchbohrten Deckel (oder Ventildeckel) verschlossen.<br />
Nun wird die Flasche mit 10–15 cm Sand befüllt.<br />
Auf diese Schicht gibt man vorsichtig eine ca. 1–2 cm<br />
dicke Salzschicht, die anschließend wieder mit einer ca.<br />
5 cm dicken Sandschicht bedeckt wird. Daraufhin wird die<br />
Flasche kopfüber in ein Glas gestellt. Man muss bei der<br />
Wahl des Glases darauf achten, dass die Flasche sicher<br />
steht und gleichzeitig der Flaschenhals nicht den Boden<br />
berührt. Lässt man nun Wasser durch die Flasche laufen,<br />
kann man es in dem Glas auffangen. Die Salzschicht wird<br />
kleiner oder – je nach zugegebener Wassermenge – verschwindet<br />
vollständig.<br />
Hinweise zum Experiment für die Lehrkraft:<br />
Zum Durchstechen des Flaschendeckels evtl. einen<br />
Piekser nehmen.<br />
Für ungeduldige Kinder ggf. die Zeit stoppen lassen,<br />
bis das Wasser im Glas ankommt!<br />
Die Untersuchung des aufgefangenen Wassers zeigt<br />
das Vorhandensein von Salz. Dazu wenig der durchgelaufenen<br />
Lösung auf einem dunklen Untergrund<br />
(schwarzer Pappstreifen o. ä.) oder einer Untertasse<br />
verdampfen lassen.<br />
In einem Salzlexikon mit individuell und gemeinsam erstellten<br />
Begriffserklärungen, Texten, Bildern und Ergebnissen,<br />
können die Erkenntnisse fortlaufend festgehalten werden.<br />
Einen Bogen zur Anfangssituation schlägt das Grimmsche<br />
Märchen »Prinzessin Mäusehaut«, in dem eine Prinzessin<br />
ihrem Vater sagt, sie habe ihn lieber als Salz – ein weiterer<br />
Impuls für ein »Nachdenkgespräch« zum Schluss der<br />
Unterrichtseinheit.<br />
Natürlich können an dem Thema Salz noch zahlreiche<br />
andere Aspekte bearbeitet werden: aus der technischen<br />
Perspektive, z. B. die Herstellung von Süßwasser oder<br />
aus der regionalen oder historischen Perspektive, z. B.<br />
die Bedeutung von Salinen und Salzstraßen, das kennen<br />
lernen von Orten, die etwas mit »Salz« zu tun haben. Ein<br />
schöner Abschluss des Themas kann auch die gemeinsame<br />
Herstellung von »Schokoladeneis ohne Kühlschrank«<br />
sein, für die man ein Salz-Eis-Gemisch zum Kühlen einsetzt<br />
(SCHWEITZER 1999, S. 19).<br />
Die skizzierten Beispiele sollen einerseits zeigen, welche<br />
Ideen, Interessen und Fragen Kinder zum Thema Salz haben<br />
und andererseits skizzieren, wie auf diese Fragen im<br />
Unterricht eingegangen werden kann. Damit wären Fragen,<br />
Interessen, Vorwissen und erste Basiskonzepte von Kindern<br />
in einen sinnvollen Zusammenhang mit grundlegenden Anforderungen<br />
des Bildungsanspruchs in Einklang zu bringen.<br />
Literatur<br />
BLUME, R. (2002). Unterrichtseinheiten für Grundschule<br />
und Chemie-Eingangsunterricht.<br />
http://www.chemieunterricht.de/dc2/grundsch/<br />
versuche/inhalt2.htm (27.08.08).<br />
BÜNDER, W. & WIMBER, F. (2008). Kleines Lexikon der<br />
Fachkonzepte. Handout für die SINUS-Fachteamqualifi<br />
zierung in Schleswig-Holstein, Kiel: unveröffentlichtes<br />
Arbeitspapier.<br />
ERNST, K. (1996). Den Fragen der Kinder nachgehen.<br />
Die Grundschulzeitschrift 98, 6–11.<br />
GARLICHS, A. (1996). Sachunterricht zwischen Kinderfragen<br />
und Zielorientierung. Die Grundschulzeitschrift 98, 49.<br />
KAHLERT, J. (2007). Themenfeld Schwimmen und Sinken.<br />
In: J. KAHLERT & DEMUTH, R. (Hg.): Wir experimentieren<br />
in der Grundschule. Einfache Versuche zum Verständnis<br />
physikalischer und chemischer Zusammenhänge, Köln:<br />
Aulis-Verlag.<br />
MÖLLER, K. (1999). Konstruktivistisch orientierte Lehr-<br />
Lernprozessforschung im naturwissenschaftlich-technischen<br />
Bereich des Sachunterrichts. In: KÖHNLEIN, W.<br />
(Hg.): Vielperspektivisches Denken im Sachunterricht,<br />
Bad Heilbrunn: Klinkhardt, 139.<br />
SCHWEITZER, I. (1999). Den Winter erleben, wenn er<br />
kommt, Sache-Wort-Zahl 25, 16–19.<br />
www.nationalpark-wattenmeer.niedersachsen.de/<br />
(30.8.2008)<br />
www.wasistwas.de/ (30.8.2008)<br />
INGRID SCHWEITZER ist Grundschullehrerin und Studienleiterin<br />
für Heimat- und Sachunterricht. Sie arbeitet in der 2. Phase<br />
der Lehrerausbildung in Schleswig-Holstein und ist als<br />
Landeskoordinatorin für SINUS-Transfer Grundschule tätig.<br />
Korrespondenzadresse:<br />
Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen<br />
Schleswig-Holstein (IQSH),<br />
Schreberweg 5, 24119 Kronshagen,<br />
Ingrid.schweitzer@iqsh.de<br />
gc<br />
<strong>MNU</strong> <strong>PRIMAR</strong> 1/2 (15.4.<strong>2009</strong>)
INFORMATIONEN/TAGUNGEN<br />
Grundschulforschung und<br />
Pädagogik der Primarstufe<br />
Vom 21. bis zum 23. September <strong>2009</strong><br />
fi ndet an der Universität Hildesheim<br />
die 18. Jahrestagung der Kommission<br />
»Grundschulforschung und Pädagogik<br />
der Primarstufe« der Deutschen Gesellschaft<br />
für Erziehungswissenschaft<br />
(DGfE, Sektion Schulpädagogik) statt.<br />
Das Thema der Tagung ist<br />
Zwischen Fachdidaktik und<br />
Stufendidaktik: Perspektiven für die<br />
Grundschulpädagogik<br />
Auf der Tagung sollen Wege zur Positionierung<br />
der Grundschulpädagogik<br />
im öffentlichen, bildungspolitischen<br />
und wissenschaftlichen Umfeld diskutiert<br />
und die Entwicklungsperspektiven<br />
der Grundschulpädagogik vor<br />
diesem Hintergrund aufgezeigt werden.<br />
Dabei wird ein breites Spektrum<br />
von Problemstellungen aufgespannt,<br />
die sowohl die Grundschule als Institution<br />
wie auch die Grundschulpädagogik<br />
als Disziplin betreffen.<br />
Auf der Tagung werden Einzelvorträge,<br />
Symposien als auch Poster präsentiert.<br />
Anmeldeschluss für Beiträge<br />
ist der 30.06.09.<br />
Nähere Informationen<br />
fi nden sich unter http://www.kgdgeschichtsdidaktik.rub.de/media/<br />
Aktuelles/Grundschulforschung<br />
<strong>2009</strong>_Einladung.<strong>pdf</strong><br />
gc<br />
Informationskompetenz<br />
in der Grundschule<br />
Deutscher Bildungsserver<br />
und Schulen ans Netz<br />
präsentieren gemeinsam<br />
entwickeltes Lernmodul<br />
Der Deutsche Bildungsserver und<br />
»Schulen ans Netz e. V.« haben gemeinsam<br />
ein neues Lernmodul entwickelt,<br />
das Grundschülern einen<br />
besseren Umgang mit den Angeboten<br />
im Internet vermitteln soll. Mit<br />
der Unterstützung zweier Figuren,<br />
des Außerirdischen Tech Pi und seines<br />
Freundes Mali Bu, einem kleinen<br />
Schmetterling, können Kinder u. a.<br />
lernen, die Qualität von Webseiten<br />
im Internet zu bewerten und in der<br />
Bibliothek altersgerechte Bücher und<br />
Filme auszusuchen. Die für die Grundschule<br />
konzipierte Unterrichtseinheit<br />
ist direkt zu fi nden unter:<br />
http://www.bildungsserver.de/<br />
link/techpi_infokompetenz<br />
(DBS Newsletter 5/<strong>2009</strong>)<br />
Jahrestagung der GDSU<br />
Vom 12. bis 14. März <strong>2009</strong> fand an<br />
der Humboldt-Universität zu Berlin<br />
die Jahrestagung der Gesellschaft für<br />
Didaktik des Sachunterrichts (GDSU)<br />
statt. Die Tagung stand unter dem<br />
Thema »Anschlussfähige Bildung aus<br />
der Perspektive des Sachunterrichts«.<br />
Prof. Dr. OLAF KÖLLER, Direktor des<br />
Instituts für Qualitätsentwicklung im<br />
Bildungswesen (IQB Berlin), diskutierte<br />
in seinem Plenarvortrag die Bedeutung<br />
von Bildungsstandards für das<br />
Fach Sachunterricht. Angesichts der<br />
Vielfalt der im Fach Sachunterricht<br />
vorgesehenen <strong>Inhalt</strong>sbereiche warnte<br />
KÖLLER davor, Schwierigkeiten bei der<br />
Implementierung und Messung von<br />
Standards für den Sachunterricht zu<br />
unterschätzen.<br />
Ein von den GDSU-Kommissionen<br />
»Nachwuchsförderung« und »Didaktische<br />
Forschung« ausgerichtetes<br />
Forum gab Nachwuchswissenschaftlerinnen<br />
und -wissenschaftlern Hilfestellungen<br />
beim Vorbereiten von<br />
Drittmittelanträgen. Insgesamt umfasste<br />
das Tagungsprogramm ca.<br />
40 Einzelvorträge, Workshops und<br />
Foren. Organisiert wurde die Tagung<br />
von der Arbeitsgruppe um Prof. Dr.<br />
DETLEF PECH. Nähere Informationen<br />
fi nden sich unter http://www.gdsu.<br />
de/wb/pages/posts/jahrestagung-<br />
<strong>2009</strong>34.php<br />
gc<br />
Unterrichtsentwicklung<br />
voranbringen – Das Projekt<br />
PIK-AS<br />
Der Leiter des Instituts für Schulentwicklungsforschung<br />
der TU Dortmund,<br />
Prof. Dr. WILFRIED BOS, und<br />
der Dortmunder Mathematikdidaktiker<br />
Prof. Dr. CHRISTOPH SELTER haben<br />
mit Unterstützung des Ministeriums<br />
für Schule und Weiterbildung NRW<br />
und der Deutschen Telekom Stiftung<br />
ein interessantes Projekt gestartet.<br />
Die primäre Zielsetzung des Projekts<br />
ist die Bereitstellung von Unterstützungsleistungen<br />
und -materialien,<br />
die von den beteiligten Akteuren der<br />
fachbezogenen Unterrichtsreform<br />
– Lehrerinnen, Mathe-Expertinnen,<br />
Schulleitungen, Mitgliedern der Kom-<br />
<strong>MNU</strong> <strong>PRIMAR</strong> 1/2 (15.4.<strong>2009</strong>) Seite 77, ISSN 1867-9439, © Verlag Klaus Seeberger, Neuss<br />
gc<br />
petenzteams, Fachleiterinnen – als<br />
hilfreich für ihre Arbeit wahrgenommen<br />
werden.<br />
Die in der Mathematikdidaktik der<br />
Primarstufe sowie in den Studienseminaren<br />
und den Kompetenzteams<br />
bereits vorhandene Kompetenz, Anregungen<br />
zur Weiterentwicklung des<br />
Unterrichts zu geben und diese in<br />
einer Weise zu kommunizieren, dass<br />
sie als Grundlage für die Weiterentwicklung<br />
des eigenen Unterrichts genutzt<br />
werden, soll in Kooperation mit<br />
Lehrerinnen und Lehrern und dem<br />
MSW ausgebaut werden. Hierzu wird<br />
das Projekt PIK ins Leben gerufen.<br />
PIK ist die Abkürzung für ›Prozess-<br />
und <strong>Inhalt</strong>sbezogene Kompetenzen‹.<br />
Wie die bundesweiten Bildungsstandards<br />
der Kultusministerkonferenz<br />
(KMK 2004) geht auch der neue Mathematiklehrplan<br />
für die Grundschule<br />
in NRW davon aus, dass Mathematiklernen<br />
mehr umfasst als die Aneignung<br />
von Kenntnissen, wie beispielsweise<br />
die reine Verfügbarkeit der<br />
Resultate der Einmaleinsaufgaben,<br />
und von Fertigkeiten, wie etwa die geläufi<br />
ge Beherrschung des Normalverfahrens<br />
der schriftlichen Addition. Im<br />
Mathematikunterricht sind neben solchen<br />
inhaltsbezogenen immer auch<br />
prozessbezogene Kompetenzen wie<br />
Argumentieren oder Darstellen zu<br />
entwickeln. Deren stärkere Berücksichtigung<br />
darf aber nun andererseits<br />
nicht zu einer Vernachlässigung<br />
der inhaltsbezogenen Kompetenzen<br />
führen. Wo möglich und sinnvoll, sollen<br />
beide Kompetenzfelder integriert<br />
angesprochen werden.<br />
Im Rahmen des Teilprojekts AS (Anregung<br />
von fachbezogener Schulentwicklung)<br />
entsteht ein ›Schulleiterhandbuch<br />
für FACHbezogene<br />
Unterrichtsentwicklung‹. Ein solches<br />
Handbuch kann und soll nicht für jedes<br />
Fach geschrieben werden, aber<br />
an ausgewählten Beispielen für die<br />
Mathematik fachbezogen so konkretisiert<br />
werden, dass eine Übertragung<br />
auch auf andere Fächer denkbar ist.<br />
Das Material wird in Fortbildungsveranstaltungen<br />
adressatenbezogen<br />
für die verschiedenen Zielgruppen<br />
(Kollegium, Mathe-Expertinnen, Fachberater)<br />
distribuiert und auf der einzurichtenden<br />
PIK-AS-Homepage zur<br />
Verfügung gestellt. Diese muss dann<br />
in der Unterrichtspraxis fl ächendeckend<br />
bekannt gemacht werden.<br />
Weitere Informationen: http://www.<br />
pikas.uni-dortmund.de<br />
gc<br />
77
100. Jahreskongress<br />
des Fördervereins<br />
vom 5. bis 9. April <strong>2009</strong><br />
in Regensburg<br />
War der eine oder andere zunächst<br />
noch etwas skeptisch, ob sich die<br />
vielen neuen Ideen, die sich der Landesverband<br />
Ostbayern für die Durchführung<br />
des 100. Jahreskongresses<br />
des Fördervereins in Regensburg<br />
einfallen ließ, »auszahlen« würden, so<br />
kann man heute ohne Einschränkungen<br />
feststellen, dass sich der Mut der<br />
Organisatoren um OStD RICHARD SPAR-<br />
RER und den Tagungsgeschäftsführer<br />
Dr. MICHAEL SINZINGER gelohnt hat.<br />
Am Kongress, dem zweiten nach 34<br />
Jahren in Regensburg, nahmen etwa<br />
2000 Gäste aus dem In- und Ausland<br />
teil. Für die Veranstaltung stellte die<br />
Universität Regensburg großzügig ihre<br />
Räumlichkeiten zur Verfügung.<br />
Die Universität Regensburg lud zum<br />
100. <strong>MNU</strong>-Kongress ein<br />
Viele der Gäste trafen bereits am<br />
Sonntag in Regensburg ein und nahmen<br />
an dem Eröffnungsabend teil, der<br />
anregend und abwechslungsreich gestaltet<br />
wurde. Schirmherren für diesen<br />
Kongress waren Bundespräsident<br />
Dr. HORST KÖHLER und der Bayerische<br />
Staatsminister für Unterricht und Kultus,<br />
Dr. LUDWIG SPAENLE, der auch die<br />
Grußworte auf der Eröffnungsveranstaltung<br />
sprach.<br />
Prof. THEODOR W. HÄNSCH vor den<br />
Regensburger Domspatzen<br />
Das Mammut-Programm der Kongresseröffnung<br />
mit Begrüßungsansprachen,<br />
Rede des <strong>MNU</strong>-Vorsitzenden<br />
78<br />
AKTUELLES AUS DEM FÖRDERVEREIN<br />
ARNOLD A CAMPO, Preisverleihungen<br />
und – als Krönung – dem Festvortrag<br />
des bayrischen Nobelpreisträgers<br />
Prof. THEODOR W. HÄNSCH zum Thema<br />
»Der Pulsschlag des Lichts« wurde<br />
professionell organisiert. Ein besonderer<br />
Genuss war die musikalische Einrahmung<br />
der Eröffungsveranstaltung<br />
durch die Gruppe Canto di Cosmo und<br />
den berühmten Chor der Regensburger<br />
Domspatzen.<br />
Von Montagmittag bis Mittwochnachmittag<br />
wurden parallel eine Fülle mathematischer,<br />
naturwissenschaftlicher<br />
und pädagogischer Vorträge, Symposien<br />
zu den Themen »Medizintechnik«,<br />
»Geophysik« und »Klimawandel«, Posterausstellungen<br />
und Workshops angeboten.<br />
Dem Anliegen des Fördervereins,<br />
sich in Fortbildungen zunehmend<br />
auch den Lehrkräften der Grundschulen<br />
zuzuwenden, kam der Ortsverband<br />
auf ganz hervorragende Weise nach.<br />
So wurde eine Extra-Vortragsschiene<br />
mit durchweg anspruchsvollen Referaten<br />
für Grund- und Hauptschullehrkräfte<br />
angeboten, die sehr gut nachgefragt<br />
wurde. Einige der Referate<br />
werden in <strong>MNU</strong> <strong>PRIMAR</strong> abgedruckt.<br />
Fortbildung fand auch im Labor statt.<br />
Ein neues Tagungskonzept speziell für<br />
die Kinder der Teilnehmerinnen und<br />
Teilnehmer bot auch den jüngsten Besuchern<br />
ein buntes Programm und<br />
verschaffte den Eltern die Freiräume<br />
für die Wahrnehmung der Veranstaltungen.<br />
Der Ortsausschuss hatte sich zudem<br />
auf die Fahne geschrieben, die Öffentlichkeit<br />
in Regensburg für die Tagung<br />
zu interessieren, ja, sie in die Tagung<br />
einzubeziehen. So verriet Dr. WERNER<br />
GRUBER von der Universität Wien in<br />
seinem unterhaltsamen Vortrag (»Die<br />
kulinarische Physik: Physik und Chemie<br />
des Kochens«) dem Regensburger Auditorium<br />
einige Geheimnisse aus der<br />
Küche aus wissenschaftlicher Sicht.<br />
Am Mittwochabend zelebrierte der bekannte<br />
Astrophysiker Prof. Dr. HARALD<br />
LESCH aus München auf ungewöhnliche,<br />
aber sehr gut vom Publikum angenommene<br />
Weise seine Antwort auf<br />
die Frage: »Das Rätsel des Anfangs<br />
– wie ist die Welt entstanden?« Das<br />
Auditorium Maximum war bis auf den<br />
letzten Platz gefüllt. Die Zuhörer wurden<br />
nicht enttäuscht. Die Öffentlichkeit<br />
wurde jedoch noch darüber hinaus auf<br />
Mathematik und Naturwissenschaften<br />
in verschiedenen weiteren Veranstaltungen<br />
aufmerksam gemacht.<br />
Als besonders herausragendes Ereignis,<br />
nicht zuletzt auch für die Regensburger<br />
Bevölkerung, erwies sich das<br />
musikalische Höhenfeuerwerk »An der<br />
schönen blauen Donau«, das den festlichen<br />
Abschluss des <strong>MNU</strong>-Abends am<br />
Dienstag bildete. Dieses Feuerwerk<br />
wurde als ein Geschenk der Aussteller<br />
für den Förderverein anlässlich des<br />
100. Kongresses veranstaltet.<br />
Während des gesamten Kongresses<br />
und insbesondere zum Kongressabschluss<br />
am Donnerstag wurden interessante<br />
Exkursionen angeboten.<br />
Die Organisation des Exkursionsprogramms<br />
lag in den Händen von ELISA-<br />
BETH SPARRER, der es mit ihrem Team<br />
gelang, eine Vielfalt von attraktiven<br />
Besuchsorten in das Programm einzubeziehen.<br />
Ziele waren Forschungseinrichtungen,<br />
internationale und regionale<br />
Unternehmen sowie kulturell und<br />
künstlerisch interessante Orte und<br />
Einrichtungen, mit denen diese Region<br />
Deutschlands reich bestückt ist.<br />
Schon ohne den <strong>MNU</strong>-Kongress ist<br />
die Stadt Regensburg immer eine<br />
Reise wert. Mit den Eindrücken der<br />
hervorragenden Tagung und dem Kennenlernen<br />
des UNESCO-Welterbes der<br />
Regensburger Altstadt jedoch stellten<br />
sich Erlebnisse besonderer Art bei<br />
den Besuchern ein. Warmes Frühsommerwetter<br />
lud dazu ein, die Stadt<br />
kennen zu lernen und die Gastronomie<br />
und die vielen Sehenswürdigkeiten zu<br />
genießen.<br />
Der Förderverein <strong>MNU</strong> bedankt sich<br />
bei dem Ortsausschuss, der Universität,<br />
der Stadt Regensburg sowie den<br />
vielen Sponsoren für den herausragenden<br />
Kongress und die Gastfreundschaft.<br />
Der Vorsitzende des Ortsausschusses<br />
bedankt sich wiederum auf das Herzlichste<br />
bei allen seinen Mitgliedern für<br />
deren hoch engagierte Arbeit in den<br />
einzelnen Ämtern. Auch den vielen<br />
Förderern und Sponsoren gebührt ein<br />
großes Dankeschön. Ohne diese Gruppen<br />
wären die oben genannten vielen<br />
Ideen bei der Verwirklichung dieses<br />
Jubiläumskongresses nicht möglich<br />
gewesen.<br />
ARNOLD A CAMPO<br />
(Bundesvorsitzender)<br />
RICHARD SPARRER<br />
(Landesverbandsvorsitzender<br />
Leiter des Ortsausschusses)<br />
<strong>MNU</strong> <strong>PRIMAR</strong> 1/2 (15.4.<strong>2009</strong>) Seite 78, ISSN 1867-9439, © Verlag Klaus Seeberger, Neuss<br />
gc
Zeitschriften<br />
Naturwissenschaften<br />
BESPRECHUNGEN<br />
Grundschule, Heft 3, März 2008<br />
Schwerpunktthema dieser Ausgabe<br />
von »Grundschule« ist das Thema<br />
»Phänomenal! Naturerscheinungen<br />
im Sachunterricht«. Frei nach dem<br />
Motto »Wer nicht fragt, …« werden<br />
Fragen von Kindern aufgegriffen und<br />
methodische Anregungen gegeben,<br />
wie Fragen von Kindern aufgegriffen<br />
und auch provoziert werden können.<br />
In dieser Ausgabe von Grundschule<br />
begegnen den Leserinnen und Lesern<br />
viele weitere Fragen aus dem<br />
Alltag der Kinder, wie zum Beispiel<br />
phänomenale Stoffe aus dem Küchenschrank<br />
(PETER HEINZERLING), die<br />
Frage was das Haar des Eisbären<br />
mit moderner Lichtleitertechnologie<br />
gemein hat (WERNER und GABI STENT-<br />
ZENBACH) und wie die Sonne durch ein<br />
Loch passt (HANS JOACHIM SCHLICH-<br />
TING).<br />
Grundschulunterricht<br />
Sachunterricht, Heft 4, 2008<br />
Diese Ausgabe widmet sich dem Thema<br />
»Praktisches Lernen und ökonomische<br />
Bildung«. Praktisches Lernen<br />
in Verbindung mit praktischer Arbeit<br />
ist insbesondere gedacht für Schülerinnen<br />
und Schüler, die Probleme mit<br />
dem »theoretischen« Lernen haben.<br />
Die Autoren geben viele Anregungen,<br />
wie Kinder beim praktischen Arbeiten<br />
intensiv lernen können, etwa im<br />
Schulgarten (RAINER MÖLLER). Im Beitrag<br />
wird die besondere Bedeutung<br />
der praktischen Arbeit im Schulgarten<br />
und deren Verknüpfung mit ökologischem<br />
und ökonomischem Lernen<br />
anhand eines Beispiels verdeutlicht.<br />
In einem weiteren Beitrag beschreibt<br />
EGON KÖHLER Entwicklungs-und Fertigungsprozesse<br />
als Thema im Bereich<br />
Technik im Sachunterricht. Schülerinnen<br />
und Schüler sollen vielfältige<br />
Varianten entwickeln und jede dieser<br />
Varianten nach ökonomischen Gesichtspunkten<br />
beurteilen. Ein mögliches<br />
Vorgehen wird an den Beispielen<br />
»Herstellen von Rädern« und »Bauen<br />
einer Seilwinde« gezeigt.<br />
Grundschule Sachunterricht,<br />
Heft 41, <strong>2009</strong><br />
Schwerpunktthema dieser Ausgabe<br />
ist »Klima im Wandel«. HENNING UN-<br />
GLAUBE beschreibt in seinen Beiträgen<br />
diese äußerst komplexe Thematik und<br />
zeigt auf wie man diese im Sachunterricht<br />
kindgerecht erarbeiten kann.<br />
Grundlegende Begriffe wie Wetter<br />
oder Klima können von den Kindern<br />
handlungsorientiert erarbeitet wer-<br />
den. Methoden wie Experimente,<br />
Erkundungen und eigene Recherche<br />
haben eine zentrale Funktion. Für<br />
den Unterricht ergeben sich fünf<br />
Arbeitsschwerpunkte von der Erfassung<br />
und Strukturierung des Vorwissens<br />
bis hin zum umweltbewussten<br />
Handeln, denen jeweils unterschiedliche<br />
Arbeitsweisen zugeordnet sind.<br />
Auch die Ursachen und Folgen des<br />
Klimawandels werden hinterfragt und<br />
diskutiert. EVA GLÄSER liefert mit ihrem<br />
Beitrag einen Leitfaden zur Diskussion<br />
mit Schülern in der 3. und<br />
4. Klasse.<br />
Praxis Sachunterricht, Heft 12<br />
In diesem Heft dreht sich alles um<br />
das Thema »Bauen und Bauten«.<br />
Schon Kleinkinder beginnen mit dem<br />
Aufeinanderstapeln von Bauklötzen<br />
zu Bauen. Später folgt das Spielen<br />
mit Modellbaukästen und das Entwerfen<br />
ganzer Stadtteile. Die Beiträge in<br />
dieser Ausgabe sind drei übergreifenden<br />
Lernbereichen zugeordnet:<br />
Bauen, Hausbau und Städtebau. Dabei<br />
wird eine Vielfalt an Themen angesprochen,<br />
so geht es um den Bau<br />
von Türmen, die Konstruktion von<br />
Brücken, Kanälen und Windrädern,<br />
darum wie die Menschen früher lebten<br />
und um das Wohnen in anderen<br />
Ländern.<br />
Praxis Sachunterricht, Heft 10<br />
Schwerpunktthema ist das Wetter.<br />
Das Wetter hat Einfl uss auf das Leben<br />
der Kinder. Deshalb ist es wichtig,<br />
dass sie ihre Wahrnehmung<br />
ausdifferenzieren und die Wettererscheinungen<br />
hinsichtlich Temperatur,<br />
Wind, Bewölkung und Niederschlägen<br />
unterscheiden können. Diese Ausgabe<br />
bietet ein umfangreiches Themenangebot<br />
und viele Unterrichtsvorschläge.<br />
Beginnend mit der Frage<br />
»Wer macht das Wetter?« wird von<br />
der Klärung grundlegender Begriffe<br />
bis hin zu tiefgreifenden Themen wie<br />
beispielsweise »Sonne als Wettermotor«,<br />
Luftgewicht und Luftdruck bis<br />
hin zu den Bauernregeln und Experimenten<br />
zum Messen der Niederschlagsmengen<br />
das große Thema<br />
Wetter kindgerecht dargestellt und<br />
viele Anregungen für die Umsetzung<br />
im Unterricht gegeben.<br />
Zeitschriften Mathematik<br />
Grundschule Mathematik. Heft 19,<br />
4. Quartal 2008 Themenheft:<br />
Größen & Sachrechnen: Gewichte<br />
Damit Kinder Vorstellungen von Gewichten<br />
entwickeln und ausbauen, ist<br />
es wichtig, vom ersten Schultag an<br />
<strong>MNU</strong> <strong>PRIMAR</strong> 1/2 (15.4.<strong>2009</strong>) Seiten 79–80, ISSN 1867-9439, © Verlag Klaus Seeberger, Neuss<br />
immer wieder auch diesen Größenbereich<br />
zu thematisieren – nicht nur<br />
im Mathematikunterricht, dies entwickelt<br />
BRIGITTE HÖLZEL in »Gewichte<br />
– wichtig von Anfang an«.<br />
ASTRID EMMRICH beschreibt in »Schätzen,<br />
wiegen und vergleichen« Ideen,<br />
wie Kinder immer wieder dazu angeregt<br />
werden sollten, Gewichte von<br />
Gegenständen zu schätzen, auszuwiegen<br />
und mit einander zu vergleichen.<br />
Nur so können sie sich einen Fundus<br />
an Repräsentanten an eignen, die sie<br />
wiederum zum Schätzen anderer Gewichte<br />
heranziehen können.<br />
Die Bedeutung des Messinstruments<br />
Waage und ihren Einsatz im Rahmen<br />
eines Stationenlernens in für die Kinder<br />
sinnvollen Sachzusammenhängen<br />
zeigt HENNY KÜPPERS.<br />
Dass sich erste Größenvorstellungen<br />
durch das Vergleichen und Ordnen<br />
von Gewichten durch Anheben entwickeln,<br />
darauf verweist GABRIELE HINZE<br />
in »Leichter oder schwerer?« Außerdem<br />
erfahren die Kinder so, dass<br />
das Gewichtsempfi nden subjektiv ist<br />
und von der Form und Größe des Gegenstandes<br />
abhängt.<br />
Beim Schreiben von Sachaufgaben<br />
zum Thema »Gewichte«, so BÄRBEL<br />
CZORNACK-MENZZER, müssen die Kinder<br />
sinnvolle Gewichtsangaben fi nden<br />
und auf die Lebenswirklichkeit beziehen.<br />
Das vertieft ihre Größenvorstellungen<br />
und ist eine gute Übung für<br />
das Interpretieren der rechnerischen<br />
Lösungen beim Sachrechnen.<br />
Das Video eines spektakulären<br />
Schwertransports ist in der Unterrichtsidee<br />
von KARIN ANDERS Anlass,<br />
im Internet auf die Suche nach großen<br />
Gewichten zu gehen. Können Sie<br />
auf Anhieb das ungefähre Gewicht eines<br />
Airbus, eines Hauses oder eines<br />
Güterzugs angeben? Bei sehr schweren<br />
Gewichten versagt unsere Vorstellung.<br />
Gerade deshalb üben sie auf<br />
Kinder eine große Faszination aus.<br />
Gewichtsangaben bleiben oft sinnleer<br />
– nicht nur für Kinder, so meint LILO<br />
VERBOOM in »Wie schwer sind 600<br />
Gramm?« Wenn dem weiterhin so<br />
ist, dann entgeht uns ein wesentlicher<br />
Aspekt unserer Umwelt.<br />
Schon vor der unterrichtlichen Thematisierung<br />
sind Vortests oder auch<br />
Standortbestimmungen möglich, die<br />
helfen, auf die Kenntnisse der Schülerinnen<br />
und Schüler einzugehen und<br />
diese unterrichtlich aufzugreifen. Ei-<br />
79
BESPRECHUNGEN<br />
nen solchen zu Gewichtsvorstellungen<br />
stellt ASTRID EMMRICH dar.<br />
Eine ganz andere Stoßrichtung von<br />
Tests sind Leistungserhebungen.<br />
Häufi g werden hierin nur einfache<br />
Fertigkeiten überprüft. BRIGITTE<br />
STEINAU deutet an, wie zum Thema<br />
»Gewichte« auch anspruchsvollere<br />
Fähigkeiten und das Vorhandensein<br />
von Größenvorstellungen getestet<br />
werden können, Die konkreten Aufgabenbeispiele<br />
in diesem Beitrag geben<br />
dazu Hinweise.<br />
Größen als physikalische Eigenschaften<br />
von Objekten sind der Hintergrund<br />
des Beitrags von DINAH REUTER. Hier<br />
werden physikalische Fragen virulent:<br />
Was sind die Besonderheiten?<br />
Wie unterscheiden sich Gewicht und<br />
Masse? Wie funktionieren Waagen?<br />
Zudem müssen didaktische Gewohnheiten<br />
hinterfragt werden.<br />
Grundschulunterricht Mathematik.<br />
Heft 4 November 2008<br />
Im Themenheft Geometrie werden diverse<br />
Praxisbeispiele gegeben: ANNA<br />
KLEINSCHMIDT Geometrieunterricht.<br />
Eine gut durchdachte Planung und<br />
ein früher Beginn legen die Basis,<br />
MAIKE RODEMER Kompetenzen von<br />
Kindern des 2. Schuljahres beim Erstellen<br />
und Interpretieren von Bauplänen,<br />
KATHRIN DING Vergrößerungen<br />
am Overheadprojektor untersuchen,<br />
MELANIE SCHMIDT Flächeninhalt im<br />
jahrgangsübergreifenden Unterricht,<br />
ELVIRA SEMATON Von der Fläche zum<br />
Flächeninhalt, HANS-GÜNTHER SENFT-<br />
LEBEN Zerlegen und Bauen mit dem<br />
Achterwürfel, CHRISTINE MAUS Von<br />
der regulären Parkettierung zu den<br />
Kunstwerken Eschers und BIRGIT GLA-<br />
SER/AYSHA WEGENER Praxis: Zweitklässler<br />
erweitern ihre geometrischen<br />
Grunderfahrungen im Umgang<br />
mit dem Geobrett.<br />
Grundschulmagazin<br />
Heft 6 November 2008<br />
In diesem Heft fi nden sich zwei Beiträge<br />
zur inhaltlichen Kompetenz Daten<br />
und Zufall sowie ein Beitrag zur allgemeinen<br />
Kompetenz des Argumentierens.<br />
Kombinatorische Aufgabenbeispiele<br />
für das 3. und 4. Schuljahr<br />
stellen ANNIKA DRAGON & WOLFGANG<br />
ZILLMER vor.<br />
80<br />
Zufall hat im Bereich der Grundschule<br />
einen Bezug zu einem konkreten<br />
Spiel. Ein solches Spiel zeigt uns SIL-<br />
VIA BRINKHAUS. Fragen nach der Fairness<br />
sollen hier den Weg zu Erkenntnissen<br />
über Zufall ebnen.<br />
Die allgemeinen Kompetenzen wie<br />
Problemlösen, Kreativ sein etc. sind<br />
ein wesentliches Moment des heutigen<br />
Mathematikunterrichts.<br />
ANGELA BEZOLD widmet sich insbesondere<br />
dem Argumentieren in dem<br />
Beitrag »Beweisen – argumentieren<br />
– begründen: Entwicklung von Argumentationskompetenzen<br />
im Mathematikunterricht<br />
(3/4)«.<br />
Grundschulmagazin<br />
Heft 1 Januar <strong>2009</strong><br />
In einer einseitigen Beschreibung<br />
und sieben Kopiervorlagen führt NI-<br />
COLE FRANZEN-STEPHAN im Materialbeitrag<br />
dieses Heftes in die Welt der<br />
Parkettierungen nach M. C. ESCHER<br />
ein. Dieser Beitrag steht unter dem<br />
Motto: Kunst in der Mathematik oder<br />
Mathematik in der Kunst.<br />
MIRJAM STEFFENSKY &<br />
ANNA SUSANNE STEINWEG<br />
Bücher<br />
FRANK HELLMICH & HILDE KÖSTER<br />
(Hrsg.): Vorschulische<br />
Bildungsprozesse in Mathematik<br />
und in den Naturwissenschaften.<br />
Klinkhardt 2008,<br />
ISBN 978-3781516229.<br />
gc<br />
Vorschulische Bildung ist – endlich<br />
wieder – im Blickpunkt, auch die Bedeutungmathematisch-naturwissenschaftlicher<br />
Bildung wird zunehmend<br />
wahrgenommen. Mit dem Interesse<br />
ist zugleich der Informationsbedarf<br />
über Forschungsstand und Fördermöglichkeiten<br />
gestiegen. In dem vorliegenden<br />
Band von FRANK HELLMICH<br />
und HILDE KÖSTER wird nun über ein<br />
breites Spektrum von Aspekten mathematisch-naturwissenschaftlicher<br />
Frühförderung informiert. Der Leser<br />
erfährt den aktuellen Stand der<br />
Forschung und erhält anknüpfend an<br />
Forschungsergebnisse Hinweise zur<br />
Umsetzung in die Praxis von Kindertagesstätten.<br />
Nach einem Überblick über die Situation<br />
der Frühpädagogik (Roux)<br />
steht im umfangreicheren, mathematisch<br />
geprägten Teil zunächst die<br />
Diagnose mathematischer Fähigkeiten<br />
(HASEMANN, HELLMICH/JANSEN,<br />
LORENZ) im Vordergrund, woran sich<br />
Forschungsperspektiven (HELLMICH)<br />
und praktische Anregungen zur Förderung<br />
(Quaiser-Pohl) anschließen.<br />
Erkundungen zu Vorstellungen und<br />
zu mathematischen Kompetenzen<br />
im Übergang zur Grundschule (ROTT-<br />
MANN, STEINWEG) runden diesen Teil<br />
ab.<br />
Im naturwissenschaftlichen Schwerpunkt<br />
des Buches fi nden sich Aspekte<br />
von Aus- und Fortbildung der Erzieherinnen<br />
(RISCH), Fragen naturwissenschaftlicher<br />
Grundbildung und ihre<br />
exemplarische Umsetzung (STEFFENS-<br />
KY) sowie Studien zu Möglichkeiten<br />
und Grenzen der Förderung mit physikalischen<br />
Experimenten (KÖSTER).<br />
Wem ist das Buch zu empfehlen? Es<br />
enthält wissenschaftlichen Hintergrund,<br />
zeigt konkrete Ansätze für die<br />
Praxis auf mit einer Unterscheidung<br />
nach Förderbereichen, es erörtert<br />
zugleich Diagnoseinstrumente. Wer<br />
daher ein Handbuch für Aktivitäten<br />
erwartet, liegt falsch. Wer aber nach<br />
Orientierung sucht, Einbettung in<br />
theoretischen Hintergrund wünscht,<br />
und dies an konkreten Bezügen festmachen<br />
möchte, hat eine interessante<br />
und anregende Sammlung vor<br />
sich, die sich als Grundlage in Studium<br />
und Weiterbildung eignet.<br />
MARTIN WINTER<br />
gc<br />
<strong>MNU</strong> <strong>PRIMAR</strong> 1/2 (15.4.<strong>2009</strong>)