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Von Prof. H. J. Diesfeld Die soziale Dimension der ... - MMH/MMS

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<strong>Von</strong> <strong>Prof</strong>. H. J. <strong><strong>Die</strong>sfeld</strong><br />

<strong>Die</strong> <strong>soziale</strong> <strong>Dimension</strong> <strong>der</strong> Medizin<br />

Der Begriff GESUNDHEIT wurde erstmals 1948, in <strong>der</strong><br />

Gründungsurkunde <strong>der</strong> Weltgesundheitsorganisation (WHO) durch<br />

die Vereinten Nationen als Menschenrecht anerkannt. Gesundheit<br />

wurde darin nicht nur als Abwesenheit von Krankheit und Gebrechen<br />

formuliert, son<strong>der</strong>n positiv als Zustand völligen körperlichen,<br />

geistigen, seelischen und <strong>soziale</strong>n Wohlbefindens beschrieben.<br />

Damit wird Gesundheit nicht nur als medizinischer Zustand, son<strong>der</strong>n<br />

als gesamtgesellschaftliches Ziel definiert.<br />

Als wichtige Voraussetzung für Gesundheit wurde z. B. auch<br />

Armutsbekämpfung und <strong>soziale</strong> Gerechtigkeit erkannt. <strong>Die</strong>s for<strong>der</strong>ten<br />

bereits Sozialreformer und Ärzte des 18. und 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts und in<br />

den 30 Jahren Entwicklungspolitik erkennen wir dies ebenfalls als<br />

wesentliche Voraussetzung.<br />

Gesundheit wurde 1948 in <strong>der</strong> Gründungsurkunde <strong>der</strong> WHO, nach<br />

den Schrecken und menschlichen Katastrophen zweier Weltkriege<br />

auch als Voraussetzung für globale Sicherheit und Frieden, aber<br />

auch als Ziel und Weg zu jeglicher Entwicklung zum Wohle <strong>der</strong><br />

Menschen gesehen.<br />

Vier zentrale Ideen von Gesundheit lagen <strong>der</strong> Vision <strong>der</strong> WHO 1948<br />

in ihrem Gründungsdokument zugrunde t WHO, 1990]:<br />

• <strong>Die</strong> Definition von Gesundheit als dem Zustand des kompletten<br />

physischen, mentalen und <strong>soziale</strong>n Wohlbefindens und nicht nur die<br />

Abwesenheit von Krankheit und Gebrechlichkeit.<br />

• <strong>Die</strong> Erklärung dieser so definierten Gesundheit als Menschenrecht.<br />

• Fortschritt und Chancengleichheit in Gesundheit als übernationales<br />

Anliegen und Voraussetzung für globale Sicherheit und Frieden,<br />

Anerkennung von Armut als eine <strong>der</strong> mittelbaren Ursachen von<br />

Krankheit.<br />

• Mitbeteiligung einer informierten Gesellschaft als weitere<br />

Voraussetzung für verbesserte Gesundheit.<br />

<strong>Die</strong>se Aussagen des Gründungsdokuments <strong>der</strong> WHO haben an<br />

Aktualität und Dringlichkeit nichts verloren, im Gegenteil, sie zeigen<br />

eigentlich nur, wie herzlich wenig wir global in diesen Punkten voran<br />

gekommen sind.<br />

Wir haben uns inzwischen angewöhnt, allgemeingültige Begriffe in<br />

englischer Sprache auszudrücken. Für Gesundheit als öffentliches<br />

Anliegen hat sich <strong>der</strong> Begriff „PUBLIC HEALTH" eingebürgert, auch<br />

wenn dieser für viele, auch Mediziner und Politiker, immer noch ein<br />

Fremdwort ist.<br />

Das alte deutsche Fachwort hierfür, die„Volksgesundheit", wurde<br />

allerdings durch den nationalsozialistischen paranoiden Rassenwahn<br />

unbrauchbar gemacht. <strong>Die</strong>„Volksgesundheit", die bis dahin durchaus<br />

mit den späteren Zielen <strong>der</strong> WHO vergleichbar war, wurde zum<br />

„rassisch reinen Volkskörper" pervertiert.<br />

Wenn wir heute die Bedeutung von „PUBLIC HEALTH" verstehen<br />

wollen, müssen wir uns „Gesundheit" in dem erweiterten Begriff <strong>der</strong><br />

WHO näher ansehen. Wir erkennen dann, dass die Ursachen von<br />

Krankheit des Individuums in sehr vielen Fällen, ja fast in den meisten<br />

Fällen, in den Lebensumständen zu suchen sind und diese betreffen<br />

nicht nur die persönlichen Lebensumstände son<strong>der</strong>n die <strong>der</strong><br />

gesamten Gesellschaft. Bei schärferer Betrachtung stellen wir fest,<br />

dass Gesundheit ein gesamtgesellschaftliches Phänomen und damit<br />

auch ein politisches Ziel ist. <strong>Die</strong>ses lässt sich keineswegs alleine<br />

durch die landläufige Gesundheitspolitik verwirklichen, das heißt<br />

durch medizinische Versorgung und ein Kranken- und<br />

Sozialversicherungssystem, wie wir das z. B. in Deutschland erleben.<br />

Es sind letztlich die <strong>soziale</strong>n, ökonomischen und ökologischen<br />

Rahmenbedingungen des Lebens, die die Voraussetzungen für


Gesundheit liefern. (Abb. Voraussetzungen für Gesundheit). In<br />

jüngster Zeit haben wir das auch bei uns wie<strong>der</strong> deutlich zu spüren<br />

bekommen. Neben Erleichterungen des mo<strong>der</strong>nen Lebens durch<br />

wissenschaftliche und technische<br />

Errungenschaften, auf die niemand mehr verzichten möchte, treten<br />

neue Gefahren und Gesundheitsrisiken. Ein Beispiel ist die mo<strong>der</strong>ne<br />

Agrar- und Nahrungsmittelindustrie mit <strong>der</strong> dazu gehörigen intensiven<br />

Werbung. Gesundheitsrisiken entstehen nicht nur infolge<br />

rücksichtsloser <strong>Prof</strong>itgier und Konkurrenzdruck im Kampf um den<br />

Verbrauchermarkt. Sie entstehen auch durch die angeblich dem<br />

Verbraucherwunsch nachkommende Überversorgung mit Unnötigem,<br />

das heute schon zu Übergewicht bei Kin<strong>der</strong>n und Jugendlich führt mit<br />

seinen späteren gesundheitlichen Folgen, wie Diabetes,<br />

Bluthochdruck etc.<br />

<strong>Die</strong> Schaffung eines Verbraucherschutz-Ministeriums, allerdings mit<br />

„ungefährlich geringer Kompetenz" ausgestattet, ist sicher ein<br />

richtiger Schritt gewesen. <strong>Die</strong> politische Toleranz gegenüber <strong>der</strong><br />

Alkohol- und Tabakwerbung ist ein weiteres gesundheitspolitisches<br />

Armutszeugnis.<br />

Ein weiteres Beispiel ist die jüngste Flutkatastrophe, die den<br />

Nachkriegsgenerationen gezeigt hat, wie schnell man wie<strong>der</strong> bei<br />

Punkt Null angelangt sein kann, allerdings bei uns mit wesentlich<br />

geringeren gesundheitlichen Folgen, als dies etwa bei<br />

Flutkatastrophen in Entwicklungslän<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Fall ist.<br />

An<strong>der</strong>e Beispiele wesentlicher Voraussetzung für Gesundheit, sind<br />

Arbeit und Einkommen ebenso wie Erziehung, Bildung und Rolle <strong>der</strong><br />

Frau in <strong>der</strong> Gesellschaft. <strong>Die</strong> Abhängigkeit von Art und Häufigkeit von<br />

Krankheiten und die Höhe <strong>der</strong> Mütter- und Säuglingssterblichkeit von<br />

Einkommen und <strong>soziale</strong>m Status sind nicht nur in<br />

Entwicklungslän<strong>der</strong>n nachgewiesen worden. <strong>Die</strong>s geschah<br />

wissenschaftlich und empirisch bereits im Europa des ausgehenden<br />

19.Jahrhun<strong>der</strong>ts. Sozial engagierte Ärzte, wie Rudolf Virchow und<br />

Robert Koch o<strong>der</strong> Dichter wie Gerhart Hauptmann o<strong>der</strong> Maler wie<br />

Käthe Kollwitz und Heinrich Zille und viele an<strong>der</strong>e haben dies längst<br />

vor den Politikern erkannt und die Öffentlichkeit mobilisiert. Zwar<br />

haben Public Health-Fachleute diese Zusammenhänge immer wie<strong>der</strong><br />

erkannt u benannt. Ihr politisches Gewicht ist aber zu gering, als dass<br />

sie die gesamtgesellschaftlichen politischen Handlungsspielräume<br />

nutzen könnten. Außerdem haben Politiker jenseits von politisch<br />

brisanten Katastrophen an<strong>der</strong>e Prioritäten.<br />

Erst jüngst stellten im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Entwicklungslän<strong>der</strong>-<br />

Armuts-Debatte hochkarätige Wirtschaftswissenschaftler fest, was<br />

Public Health-Fachleute schon lange festgestellt hatten: Ohne<br />

Entwicklung findet keine Gesundheit statt und Armut und Krankheit<br />

stehen in unheilvoller Wechselwirkung [WHO, 2001]. Auch innerhalb<br />

<strong>der</strong> Medizin besteht eine tiefe Kluft zwischen Public Health und<br />

Gesundheitsvorsorge einerseits sowie klinischer Medizin und<br />

Heilbehandlung an<strong>der</strong>erseits. <strong>Die</strong>se zieht sich durch sämtliche<br />

Ebenen, von <strong>der</strong> medizinischen Ausbildung über<br />

Forschungsschwerpunkte bis hin zur praktischen Umsetzung von<br />

Medizin. Public Health und Heilbehandlung sind keine Gegensätze,<br />

son<strong>der</strong>n müssen sich in einem, den Problemen angemessenen<br />

Gleichgewicht gegenseitig anerkennen und ergänzen. Hier liegt vieles<br />

im Argen. <strong>Die</strong> übliche medizinische Versorgung und Überversorgung<br />

steht den kurzfristigen wirtschaftlichen und politischen Interessen<br />

näher, als eine nachhaltige, langfristige gesundheitsorientierte Politik.<br />

<strong>Die</strong>ses ist allerdings ein globales Problem und we<strong>der</strong> auf<br />

Deutschland noch auf Entwicklungslän<strong>der</strong> beschränkt. Hier sieht sich<br />

auch die Weltgesundheitsorganisation vor ähnlichen politischen<br />

Problemen, obwohl sie sich gerade in den letzten Jahren vermehrt<br />

wie<strong>der</strong> ihrem eigentlichen gesundheitspolitischen Auftrag widmet.<br />

<strong>Die</strong>ses Konzept von Gesundheit als öffentliches Gut und als<br />

gesellschaftliche Verantwortung wird vor allem im internationalen<br />

Dialog und in <strong>der</strong> Gesundheitspolitik <strong>der</strong> Entwicklungslän<strong>der</strong> sehr viel<br />

konkreter behandelt, als bei uns in Deutschland. Neben den Public<br />

Health Programmen im engeren Sinn (wie Impfprogramme,<br />

spezifische Krankheitsbekämpfungsprogramme, Medizinische


Basisversorgung, Antibiotika) ist es vor allem die Sicherung <strong>der</strong><br />

Ernährung, Verbesserung <strong>der</strong> Wasserversorgung,<br />

Schulgesundheitsdienste, Mädchen- und Frauenprogramme,<br />

Verbesserung des Status <strong>der</strong> Frau, Verbesserung des<br />

Familieneinkommens sowie Kommunikation, Transport und<br />

Infrastruktur, welche in den vergangenen drei Jahrzehnten bei allen<br />

Rückschlägen und Rückständigkeiten die Sterblichkeit in<br />

Entwicklungslän<strong>der</strong>n nachhaltig reduziert haben.<br />

Hans Jochen <strong><strong>Die</strong>sfeld</strong><br />

<strong>Prof</strong>.Dr.med., Oberarzt am damaligen Haile Selassie Hospital<br />

in Addis Abeba, Äthiopien. 1965-1966 Postgraduiertenstudium<br />

London Scholl of Hygiene and Tropical Medicine.1969<br />

Habilitation Universität Heidelberg. 1976 Ärztlicher Direktor<br />

des< Instituts für Tropenhygiene und öffentliches<br />

Gesundheitswesens am Südasien Institut <strong>der</strong> Universität<br />

Heidelberg. Bis zur Emeritierung 2002 Ordinarius für<br />

Tropenhygiene und öffentliches Gesundheitswesen Universität<br />

Heidelberg.<br />

Arbeitsschwerpunkte: Gesundheitssystemforschung in<br />

Entwicklungslän<strong>der</strong>n, zahlreiche Arbeits- und<br />

Forschungsaufträge in verschienen asiatischen und<br />

afrikanischen Län<strong>der</strong>n. Gilt als Nestor einer<br />

bevölkerungsbezogenen Medizin. In seinen Büchern stellt<br />

<strong><strong>Die</strong>sfeld</strong> Gesundheit im Kontext sozioökonischer,<br />

demographischer und kultureller Rahmenbedingen dar.

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