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Christus Medicus - MMH/MMS

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<strong>MMH</strong>-report<br />

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Berichte • Erfahrungen • Nachrichten • Termine Nr. 11<br />

Beate Jakob<br />

„Ein Arzt ist uns gegeben…“<br />

„Hilf <strong>Christus</strong>, du allein bist unser arzt!“, so<br />

lautete ein Gebetsruf der frühen Christen. 1<br />

<strong>Christus</strong> der arzt, <strong>Christus</strong> <strong>Medicus</strong> – wie<br />

kam es dazu, dass die ersten Christen Jesus<br />

diesen Titel zugeschrieben haben?<br />

Die Wurzeln reichen bis ins Alte Testament.<br />

Dort begegnet uns Jahwe in zahlreichen<br />

Zusammenhängen als der Heilende, der die<br />

Wunden seines Volkes verbindet und das<br />

Volk heilt, der sich aber auch um das Wohl<br />

Einzelner annimmt. Martin Luther übersetzte<br />

deshalb die Zusage und den Anspruch<br />

Gottes „Ich bin Jahwe, der dich Heilende“<br />

(2. Mose 15,26) mit „Ich bin der Herr, dein<br />

Arzt“.<br />

Dass Jesus sich Kranken und Leidenden<br />

bevorzugt und intensiv zuwandte und heilend,<br />

d.h. „ärztlich“ wirkte, ist unbestritten.<br />

Ob er sich selbst aber als Arzt bezeichnete,<br />

können wir nicht mit Sicherheit sagen. Aus<br />

seiner Aussage „Nicht die Gesunden brauchen<br />

den Arzt, sondern die Kranken“ (Mk<br />

2,17 parr) können wir eine Selbstbezeichnung<br />

Jesu als Arzt nicht ableiten. Auch sein<br />

Bezug auf das Sprichwort „Arzt, heile dich<br />

selbst“ (Lk 4,23) kann nicht in diesem Sinne<br />

interpretiert werden.<br />

Sehr bald aber wurden die Titulierung und<br />

der Anruf Christi als Arzt im Christentum<br />

üblich. Das früheste Zeugnis dafür findet<br />

sich bei Ignatius von Antiochien (gestorben<br />

um 110 n. Chr.), der schreibt: „Einen Arzt<br />

gibt es, Jesum Christum, unseren Herrn.“ 2<br />

Für die Zeit danach, vor allem bis zum<br />

5. Jahrhundert, gibt es sehr viele Belege,<br />

dass Jesu Wirken durch den Vergleich mit<br />

ärztlichem Tun beschrieben und interpretiert<br />

wurde. 3 Nicht nur aus historischem Interesse,<br />

sondern gerade im Hinblick auf die Theologie<br />

der Neuzeit und die moderne Medizin<br />

lohnt es sich, der Bedeutung dieses Titels<br />

nachzugehen.<br />

<strong>Christus</strong> <strong>Medicus</strong> –<br />

Verbindung von Heilung und Heil<br />

Keinesfalls dürfen wir annehmen, dass<br />

die Rede von Jesus als Arzt nur metaphorisch<br />

zu verstehen ist und die Christen<br />

von ihm ausschließlich das Seelenheil<br />

erwarteten. Aus dem Zeugnis des Neuen<br />

Testaments wissen wir, dass körperliche<br />

Heilungen in den urchristlichen Gemeinden<br />

üblich waren. Dies zeigen das Schlusskapitel<br />

des Markusevangeliums, das die Praxis<br />

der ersten Gemeinden beschreibt, sowie<br />

die Apostelgeschichte und die Schriften<br />

der urchristlichen Schriftsteller.<br />

Origines (185-254) betonte, dass Heilungen<br />

zum Leben der ersten Gemeinden<br />

gehörten, und Clemens von Alexandrien<br />

(um 150-215) warnte davor, unter Missachtung<br />

des Schöpfers den Körper zu<br />

missachten. 4 Die Hilfe, die die Christen von<br />

edizinische<br />

<strong>Christus</strong> <strong>Medicus</strong> – für die frühen Christen und für heute<br />

Ausschnitt aus dem Hundertguldenblatt mit Darstellung „<strong>Christus</strong> heilt die Kanken“ um 1648, Rembrandt. Foto; Jörg P. Anders.<br />

▼<br />

▼<br />

▼<br />

▼<br />

▼ ▼ ▼ ▼ ▼ ▼<br />

i n H a L T<br />

„Ein Arzt ist uns gegeben…<br />

Beate Jakob<br />

Editorial<br />

Heilen – eine Herausforderung<br />

Christoffer H. Grundmann<br />

Heil und Heilung<br />

Hermann-Josef Beckers<br />

Ohne Wurzeln geht es nicht<br />

Hermann Bollman<br />

Heilkunde bei Gerhard Tersteegen<br />

Christa Habrich<br />

Die Ganzheit des Leibes<br />

Otto Betz<br />

Jesus als Arzt<br />

Klaus Berger<br />

Ein Globus – drei Welten<br />

Günter Scherer<br />

Der Tanganyika-See<br />

Gerd Propach<br />

Impressum<br />

1<br />

2<br />

6<br />

16<br />

18<br />

19<br />

25<br />

28<br />

30<br />

32<br />

36<br />

<strong>MMH</strong>-report 1


EEditorial<br />

Liebe Freundinnen und Freunde,<br />

„Jesus als Arzt“ – so könnte man unseren<br />

neuen <strong>MMH</strong>-Report überschreiben. Da stellt<br />

die Theologin und Ärztin Beate Jacob in den<br />

Mittelpunkt ihrer Überlegungen den Gebetsruf<br />

der ersten Christen „Ein Arzt ist uns gegeben“.<br />

Auf diese Weise versucht sie, die darin ausgedrückte<br />

Verbindung von Medizin und Theologie<br />

neu zu begründen, nachdem sich die beiden<br />

Disziplinen in der Neuzeit voneinander weg<br />

entwickelt haben. Dazu passen die Gedanken<br />

von Professor Otto Betz, der ein Loblied auf den<br />

Leib singt. In der Erlösung wird nicht die Leiblichkeit<br />

des Menschen überwunden, sondern<br />

erreicht das dem Menschen gegebene Schöpfungsziel.<br />

Christa Habrich erschließt eine weithin<br />

unbekannte Seite von Gerhard Tersteegen,<br />

dem Mystiker des Pietismus, der sich bei seiner<br />

seelsorgerlichen Tätigkeit auch intensiv um die<br />

Gesundung von Kranken mühte. In neuerer Zeit<br />

hat sich besonders Christoffer Grundmann mit<br />

dem Thema „Heil und Heilung“ beschäftigt. Wir<br />

verdanken ihm wichtige und richtungweisende<br />

Impulse. Verdichtet kommt dies in seinem<br />

Beitrag „Heilen- eine Herausforderung an<br />

Kirche, Mission und Theologie“ zum Ausdruck.<br />

Hermann-Josef Beckers fasst die wichtigsten<br />

Gesichtspunkte zu unserem Thema übersichtlich<br />

in seinem Beitrag „Heil und Heilung“<br />

zusammen. Die Gedanken von Klaus Berger<br />

weisen auf die Person Jesu hin. Die tiefere<br />

Bedeutung des heilenden Handelns Jesu wird<br />

deutlich. Gesundheit ist mehr als nur organisch-biologische<br />

Gesundung. Die Schuld und<br />

die Sünde der Gottestrennung ist die tödliche<br />

Krankheit des Menschen, die nur Gott selbst<br />

in Jesus <strong>Christus</strong> als dem wahren Arzt wirklich<br />

heilen kann. Darauf zielt das Ganze hin.<br />

Im letzten Teil des Heftes finden Sie aktuelle<br />

Informationen aus der Kigoma-Region. Hier<br />

geschieht unsere konkrete und praktische<br />

Umsetzung in das „Heute“ des bis dahin Dargestellten.<br />

Unser Vorstandsmitglied Günter<br />

Scherer berichtet über seine persönlichen<br />

Eindrücke einer Reise des <strong>MMH</strong>-Vorstandes im<br />

vergangenen Jahr. Gerd Propach beschreibt die<br />

Rahmenbedingungen, in denen unsere Arbeit<br />

am Tanganyika-See geschieht. Es wird deutlich,<br />

Gesundheit ist nicht nur persönliches Geschick<br />

des einzelnen, sondern hängt mit einer Vielzahl<br />

von Kontextfaktoren zusammen, nämlich mit<br />

den sozialen Gegebenheiten, mit Armut und<br />

Reichtum, mit den Umweltbedingungen, mit<br />

kulturellen Einflüssen.<br />

Wir muten Ihnen keine „leichte Kost“ zu. Aber<br />

vielleicht greifen Sie immer wieder einmal zu<br />

unserem <strong>MMH</strong>-Report Nr. 11 und studieren<br />

die angesprochenen Themen und Gedanken.<br />

Wir würden uns freuen, wenn Ihnen unser<br />

Heft neue Einsichten und Ansichten vermitteln<br />

könnte. Dann wäre unser Ziel erreicht.<br />

Als <strong>MMH</strong> versuchen wir weiter mit den Möglichkeiten,<br />

die wir haben, unseren Beitrag zu<br />

leisten, um Gottes umfassendes heilendes<br />

Handeln an uns und unserer<br />

Welt konkret werden zu<br />

lassen. Bleiben Sie uns in<br />

diesem Anliegen verbunden.<br />

Gottes Segen sei mit Ihnen<br />

Ihr Gerhard Schöps<br />

1. Vorsitzender<br />

2<br />

<strong>MMH</strong>-report<br />

Jesus als dem Arzt erflehten und erhofften,<br />

bezog sich also durchaus auch auf die<br />

Heilung körperlicher Leiden.<br />

Andererseits aber wurde Jesu heilendes<br />

Handeln immer in einem weiten Sinne verstanden<br />

und niemals wurde Jesus auf die<br />

Funktion eines „Heilers“ für körperliche<br />

Krankheiten reduziert. Jesu „ärztliche“<br />

Tätigkeit muss im Zusammenhang mit<br />

seiner Sendung und seiner<br />

Botschaft vom Reich<br />

Gottes verstanden werden.<br />

Jesus als Arzt ist der,<br />

der das Heil verkörpert<br />

und bringt, jedem und<br />

jeder Einzelnen und der<br />

Welt. Dafür spricht, dass<br />

die Bezeichnung Christi<br />

als Arzt (lat. medicus,<br />

griech. iatros) parallel<br />

gesehen wurden mit<br />

der Bezeichnung Christi<br />

als Retter (lat. salvator,<br />

griech. soter). 5 <strong>Christus</strong><br />

hat das Wohl der Einzelnen<br />

im Blick, er ist Arzt<br />

des Leibes und der Seele.<br />

Darüber hinaus geht es<br />

bei Jesu Heilungen um<br />

die Gestaltwerdung des<br />

Reiches Gottes. Jesus<br />

wirkt auf das Heil der Welt<br />

hin, auf einen Zustand,<br />

der am treffendsten mit<br />

dem hebräischen Ausdruck „Schalom“<br />

bezeichnet wird, und das Wohl des Einzelnen<br />

wie auch der Gesellschaft als ganzer<br />

bezeichnet. Insofern hat Jesu heilendes<br />

Handeln auch eine soziale und politische<br />

Dimension<br />

<strong>Christus</strong> ist der Heilende auch als der,<br />

der das Leiden erfahren und durchlitten<br />

hat. Dass <strong>Christus</strong> durch das Leiden hindurch<br />

Heilung und Heil erfahren hat und<br />

erwirkte, ist für unser Verständnis des<br />

<strong>Christus</strong>-<strong>Medicus</strong>-Titels wichtig. Jesus<br />

selbst steht dafür, dass Heilung in einem<br />

wesentlichen Sinne geschehen kann,<br />

wenn körperliches oder seelisches Leiden<br />

nicht überwunden wird. Somit lässt sich<br />

der Titel nicht für eine Ideologisierung körperlicher<br />

Gesundheit vereinnahmen.<br />

<strong>Christus</strong> – anders und mehr als asklepios<br />

In der frühen Christenheit hatte der<br />

Titel <strong>Christus</strong> <strong>Medicus</strong> noch eine weitere<br />

Dimension: Es geht auch und wesentlich<br />

darum, <strong>Christus</strong> als den wahren und einzigen<br />

Arzt zu bekennen – in Abgrenzung<br />

gegen Missbräuche ärztlichen Handelns<br />

und speziell in der Auseinandersetzung<br />

mit und der Absage an den Asklepioskult<br />

der damaligen Zeit.<br />

Seit dem 6. Jahrhundert vor <strong>Christus</strong><br />

wurde Aklepios, der Sohn des Apollon,<br />

als Gott der Heilkunst verehrt. Zu seinen<br />

Ehren wurden – zunächst im östlichen<br />

Mittelmeerraum – zahlreiche Heiligtümer<br />

errichtet, an denen Menschen Heilung von<br />

Krankheiten suchten. Zurzeit Jesu war dieser<br />

Heilkult in den Bereich des römischen<br />

Reiches vorgedrungen und „Äskulap“,<br />

der Deus Clinicus, galt als der Retter und<br />

Heiler (soter) schlechthin. 6 Heilungswunder,<br />

die Jesus wirkte, wurden auch von<br />

„Asklepios und Hygieia“, Klassizistisches Relief,<br />

Replikat © 2005 by Hermann Scharpf.<br />

Asklepios/Äskulap berichtet, sodass sich<br />

unausweichlich die Frage stellte: Wer ist<br />

der wahre Retter und Erlöser – Asklepios<br />

soter oder <strong>Christus</strong> medicus? Mit allem<br />

Nachdruck betonten die urchristlichen<br />

Schriftsteller, zum Beispiel Origines,<br />

Jesus heile mit göttlicher Kraft, während<br />

die Heilmethode in den Heiligtümern des<br />

Asklepios eine natürliche, rein menschliche<br />

sei. In diesem Zusammenhang wurde<br />

betont, dass Jesu heilendes Handeln sich<br />

auf den Menschen als ganzen richte, also<br />

auch die Beziehung des Menschen zu<br />

Gott, während es bei Asklepios ganz und<br />

ausschließlich um die leiblich-psychische<br />

Gesundheit gehe. 7<br />

Ein ganz entscheidender Aspekt aber,<br />

durch den Jesu heilendes Handeln sich<br />

von der des Asklepios unterschied, war<br />

Jesu bevorzugte Zuwendung zu den Leidenden<br />

und Armen. Von Asklepios wurde<br />

gesagt, er nähere sich unheilbar Kranken<br />

nicht, und er erwarte, dass eine erfolgte<br />

Heilung durch Geld oder eine Opfergabe<br />

„entlohnt“ werde. 8 Ganz im Gegensatz<br />

dazu verkörperte Jesus als Arzt die Barmherzigkeit<br />

und Menschenfreundlichkeit<br />

Gottes (Titus 3,4), gerade für diejenigen<br />

Frauen und Männer, die am Rande der<br />

Gesellschaft lebten, und er legte den<br />

Grund für den „Caritas-Gedanken“, der<br />

die christliche heilende Tätigkeit von ihren<br />

Anfängen an prägte.


Praracelsus (1493-1541), Stich von einem Meister, A.H. 1538.<br />

men wurde, trat – insgesamt gesehen<br />

– die Heilungsthematik in der westlichen<br />

Theologie weitgehend zurück. Die Theologie<br />

der Neuzeit ist an einer Trennung von<br />

Körper (Materie) und Seele (Geist) ausgerichtet<br />

und sieht ihre Aufgabe vor allem<br />

in einer sittlich-religiösen Reifung des<br />

Menschen im Hinblick auf das Erreichen<br />

des ewigen Heils. Damit einher ging eine<br />

„Delegierung“ des Bereichs Heilung und<br />

des körperlichen Wohls des Menschen an<br />

die Medizin. Die kirchlichen Einrichtungen<br />

verstanden sich mehr und mehr als Einrichtungen<br />

zur Pflege Kranker und diese<br />

christliche Liebestätigkeit (caritas) wurde<br />

nicht mehr als eine heilende Tätigkeit im<br />

eigentlichen Sinne verstanden.<br />

Ganz wesentlich aber wurde mit dem<br />

Beginn der Neuzeit die Klammer zwischen<br />

Medizin und Theologie von Seiten der<br />

Medizin selbst gelöst. In der mittelalterlichen<br />

Medizin war die Heilkunde noch<br />

in ein religiöses Weltbild eingebunden<br />

gewesen und der Bezug auf <strong>Christus</strong><br />

<strong>Medicus</strong>, als der eigentlichen „Ursache“<br />

aller Heilung, war selbstverständlich.<br />

Paracelsus (1493-1541) war einer der<br />

letzten Vertreter der Medizin, die sich am<br />

Ausgang des Mittelalters ausdrücklich<br />

auf das <strong>Christus</strong>-<strong>Medicus</strong>-Motiv bezogen.<br />

Er unterschied zwar deutlich zwischen<br />

der göttlichen Heilung durch das Wort<br />

und der medizinischen Heilung durch das<br />

„Kraut“. Aber Paracelsus sah die Medizin<br />

eindeutig im religiösen Kontext – alle<br />

Heilkunst führte er zurück auf die Barmherzigkeit<br />

Gottes. 20<br />

Mit dem Aufkommen der modernen<br />

Naturwissenschaften in der Neuzeit emanzipierte<br />

sich die Medizin von der Bindung<br />

an Gott und verstand sich mehr und mehr<br />

als eine wissenschaftliche Disziplin, als<br />

4<br />

<strong>MMH</strong>-report<br />

eine unabhängige „Technik“,<br />

die religiöse Bezüge vom Ansatz<br />

her nicht mit einbezieht.<br />

Aber auch in der Neuzeit gab<br />

und gibt es Beispiele dafür,<br />

dass die Trennung zwischen<br />

Medizin und Theologie in Frage<br />

gestellt und auch überwunden<br />

wird: Die Ärztliche Mission<br />

nahm seit ihrem Aufkommen im<br />

18. Jahrhundert ausdrücklich<br />

Bezug auf <strong>Christus</strong> als den Heilenden<br />

und den daraus abgeleiteten<br />

Heilungsauftrag der<br />

Christen. Und sie war es, von<br />

der im 20. Jahrhundert wesentliche<br />

Impulse zum Überdenken<br />

unserer naturwissenschaftlich<br />

geprägten „westlichen“ Vorstellung<br />

von Gesundheit und<br />

Heilung ausgingen. Im Bereich<br />

der Theologie ist es die Pastoraltheologie,<br />

die für eine erneute<br />

Verbindung von Medizin und Theologie<br />

plädiert und neue Ansätze aufzeigt für<br />

eine christliche Heilkunde und eine heilende<br />

Theologie.<br />

<strong>Christus</strong> <strong>Medicus</strong> – für heute<br />

Sowohl für die Medizin, für die Theologie<br />

bzw. die Kirchen und für die christlichen<br />

Gemeinden am Beginn des dritten<br />

Jahrtausends bedeutet der Bezug auf<br />

<strong>Christus</strong> als den Arzt und das damit verbundene<br />

Verständnis von Heilung eine<br />

Herausforderung.<br />

In der Medizin geht es darum, den eigenen,<br />

auf naturwissenschaftliche Erkenntnissen<br />

basierenden Standpunkt zu relativieren<br />

und soziale und geistliche Faktoren<br />

in therapeutische Konzepte einzubeziehen.<br />

Es wird zunehmend wichtig, den<br />

Menschen in seiner Ganzheit wahrzunehmen<br />

und zu behandeln. Dies soll in keiner<br />

Weise dazu führen, auf die Anwendung<br />

moderner medizinischer Möglichkeiten zu<br />

verzichten. Es geht um Kooperation, nicht<br />

um Konkurrenz zwischen den heilenden<br />

Disziplinen.<br />

Wesentliche impulse können vom <strong>Christus</strong>-<strong>Medicus</strong>-Motiv<br />

jedoch auch für die<br />

heutige Kirchen in Europa ausgehen<br />

– und dies in dreifacher Hinsicht:<br />

Erstens sind die Kirchen herausgefordert,<br />

die „therapeutische Dimension“<br />

(Eugen Biser) des Christentums auch in<br />

Europa wieder zu entdecken 21 und die<br />

„Leibhaftigkeit des Heils“ (Christoffer<br />

Grundmann) 22 zu bezeugen. Es ist – gerade<br />

in unserer Zeit – wichtig, dass wir uns<br />

wieder neu dessen bewusst werden, dass<br />

das Christentum sich in seinen Anfängen<br />

wesentlich als eine Religion der Heilung<br />

(in einem umfassenden Sinne) verstand<br />

und die körperliche Dimension durchaus<br />

ernst genommen hat. In dieser Hinsicht<br />

sind uns Christen anderer Kulturen ein<br />

großes Stück voraus: Ein Blick in die weltweite<br />

Christenheit zeigt, dass heute diejenigen<br />

Kirchen und christlichen Gruppen<br />

am stärksten wachsen, die die heilende<br />

Dimension des Glaubens betonen und ihr<br />

in den Gemeinden Raum geben.<br />

zweitens aber haben die Kirchen – gerade<br />

unter Bezug auf das <strong>Christus</strong>-<strong>Medicus</strong>-<br />

Motiv – eine weitere wichtige Funktion<br />

in der Diskussion um Gesundheit und<br />

Heilung. Durch Jesu heilendes Handeln ist<br />

uns ein Verständnis von Gesundheit und<br />

Heilung als Maßstab vorgegeben, an dem<br />

sich die heutige Gesellschaft messen sollte.<br />

Denn nach christlichem Verständnis ist<br />

eine manchmal zu beobachtende „Vergötzung“<br />

körperlicher Gesundheit des Individuums,<br />

ja die Entwicklung einer „Gesundheitsreligion“<br />

23 kritisch zu beurteilen.<br />

Das heilende Handeln Christi hatte den<br />

ganzen Menschen im Blick und die körperliche<br />

Heilung war Teil eines umfassenden<br />

Heilungsprozesses, der die Beziehung der<br />

Menschen untereinander, zur Schöpfung<br />

und – wesentlich – zu Gott im Blick hatte.<br />

Jesus ist der Arzt, der Heilende, beson-<br />

Krankensaal im Hospital des Großen Heiligen Kreuzes in Goslar, 1294. Ältestes bürgerliches Spital Deutschlands mit<br />

gotischem Triumpfkreuz (1568). Foto: Raymond Faure.


ders für Menschen, die mit chronischen<br />

Krankheiten und Behinderungen leben,<br />

und auch für Menschen an der Schwelle<br />

zum Tod. Mit dem biblischen Verständnis<br />

ist es nicht vereinbar, wenn Religion und<br />

Glaube instrumentalisiert werden und für<br />

körperliche Heilung „gebraucht“ werden<br />

– Jesus der Arzt darf nicht als „Heiler“ vereinnahmt<br />

werden.<br />

Drittens: Wenn sie sich auf <strong>Christus</strong> als<br />

den Arzt beziehen, dann ist die Zuwendung<br />

zu den wirtschaftlich Armen und<br />

den Randgruppen der Gesellschaft eine<br />

wichtige – heilende – Aufgabe der Kirchen.<br />

Christliches heilendes Handeln hat<br />

das Wohl der Einzelnen im Blick und dient<br />

jeder und jedem in gleicher Weise, aber<br />

es hat immer auch eine soziale und eine<br />

politische Dimension.<br />

So verstanden haben Medizin und Theologie<br />

je unterschiedliche, von Gott gegebene<br />

Heilweisen. Gemeinsam ist ihnen<br />

jedoch, dass sie heilen im Horizont des<br />

Heils, des <strong>Christus</strong> <strong>Medicus</strong>.<br />

Das weite Heilungsverständnis, das mit<br />

dem <strong>Christus</strong>-<strong>Medicus</strong>-Motiv verbunden<br />

ist, öffnet auch neue Chancen für das<br />

Verständnis des heilenden Dienstes in<br />

den Gemeinden. Denn heilend im Sinne<br />

Jesu zu sein, geht weit über das professionelle<br />

Tun von Menschen in den heilenden<br />

Berufen hinaus. Wenn Gemeinden offen<br />

sind für die „Mühseligen und Beladenen“<br />

unserer Zeit, wenn die Kranken in den<br />

Gemeinden mitgetragen werden und<br />

wenn Christen ihre Weltverantwortung für<br />

eine heilere Welt wahrnehmen, dann sind<br />

sie heilend im Sinne Jesu.<br />

Dr. Daniel e. Fountain<br />

neu<br />

Die heilende Kraft Gottes<br />

Aus dem Amerikanischen<br />

von Karl Lagershausen<br />

249 Seiten, Paperback, Format 13,5 x 21 cm<br />

EUR [D] 14,90 • sFr 27,90 • EUR [A] 15,40<br />

Bei allem heilenden Tun dürfen wir als<br />

Christinnen und Christen in den Gemeinden,<br />

in den heilenden Berufen und in den<br />

kirchlichen Diensten darauf vertrauen,<br />

dass da Einer ist, von dem heilende Kraft<br />

ausgeht. Ein Kirchenlied aus dem 16.<br />

Jahrhundert drückt dies auch für heute<br />

mit schönen Worten aus: „Ein Arzt ist uns<br />

gegeben, der selber ist das Leben; <strong>Christus</strong><br />

für uns gestorben, der hat das Heil<br />

erworben.“ 24<br />

Anmerkungen<br />

1) Eugen Biser, Die Heilkraft des Glaubens. Entwurf<br />

einer therapeutischen Theologie, in: Concilium 34<br />

(1998) 534-544, Seite 535<br />

2) Im Brief an die Epheser, Eph 7, zitiert nach: Patres<br />

Apostolici, hrsg. von F. Funk, Tübingen 1941, Band I,<br />

218, Z. 14-20<br />

3) Vgl. dazu die umfassende Darstellung bei Woty Gollwitzer-Voll,<br />

<strong>Christus</strong> <strong>Medicus</strong> – Heilung als Mysterium,<br />

Interpretationen eines alten <strong>Christus</strong>namens und dessen<br />

Bedeutung in der Praktischen Theologie, Paderborn<br />

2007<br />

4) Vgl. dazu die Belege und Ausführungen in:<br />

W. Gollwitzer-Voll, a.a.O. 43<br />

5) W. Gollwitzer-Voll, a.a.O. 34.43<br />

6) Vgl.: Heinrich Schipperges, Zur Tradition des<br />

„<strong>Christus</strong> <strong>Medicus</strong>“ im frühen Christentum und in der<br />

älteren Heilkunst, in: Arzt und Christ XI (1965) 12 f<br />

7) Vgl. hierzu: Christian Schulze, Medizin und Christentum<br />

in Spätantike und frühem Mittelalter. Christliche<br />

Ärzte und ihr Wirken (Studien und Texte zu Antike und<br />

Christentum 27), Tübingen 2005, 164 f<br />

8) Adolf von Harnack, Medicinisches aus der Ältesten<br />

Kir chengeschichte (= Texte und Untersuchungen<br />

zur Geschichte der altchristlichen Literatur 8,4)<br />

Leipzig 1892, 129f 132<br />

9) Chr. Schulze, a.a.O. 165; W. Gollwitzer-Voll, a.a.O. 27<br />

Adolf von Harnack, a.a.O. 132<br />

10) Vgl. hierzu: Chr. Schulze, a.a.O. 163-165<br />

11) Chr. Schulze, a.a.O. 169<br />

12) Vgl. hierzu: David Knipp, ‚<strong>Christus</strong> medicus’ in der<br />

frühchristlichen Sarkophagskulptur. Ikonographische<br />

Studien der Sepulkralkunst des späten vierten Jahrhunderts<br />

(= Supplements to Vigiliae Christianae; Leiden-<br />

Boston-Köln 1998; W. Gollwitzer-Voll, a.a.O. 192-197;<br />

Chr. Schulze, a.a. O. 169<br />

13) Hierzu: Gottfried Roth, <strong>Christus</strong> <strong>Medicus</strong>, Leitthema<br />

der Pastoralmedizin, Geistesgeschichte und Ikonographie,<br />

in: Arzt und Christ 31 (1965), Heft 1, 7-12<br />

14) W. Gollwitzer-Voll, a.a.O. 196-199<br />

15) W. Gollwitzer-Voll, a.a.O. 77-79; 84<br />

16) Christian Schulze, a.a.O. 160<br />

17) Wegen der Gefahr des Homizids verbot das 4. Laterankonzil<br />

im Jahr 1215 den Priestern die Ausübung, später<br />

sogar das Studium von Medizin und Chirurgie. Belege<br />

bei: Christoffer H. Grundmann, Die Leibhaftigkeit des<br />

Heils bezeugen. Über Heilungen, die Verkündigung des<br />

Wortes und den ureigenen Auftrag der Kirche, in: An Leib<br />

und Seele gesund - Dimensionen der Heilung, hrsg. von<br />

Christof Gestrich & Thomas Wabel, Beiheft 2007 zur Berliner<br />

Theologischen Zeitschrift, Berlin 2007, S. 154-177;<br />

vgl. hierzu auch: Heinrich Schipperges, Zur Tradition des<br />

„<strong>Christus</strong> <strong>Medicus</strong>“ im frühen Christentum und in der<br />

älteren Heilkunst, in: Arzt und Christ XI (1965) 12-19<br />

18) Quellenangaben bei: W. Gollwitzer-Voll, a.a.O. 128-<br />

131;162f<br />

19) Vgl. dazu: Ulrich Eibach, Artikel Pastoralmedizin,<br />

in: H. Burkhardt und U. Swarat (Hrsg.), Evangelisches<br />

Lexikon für Theologie und Gemeinde, Band 3, Wuppertal<br />

und Zürich, s. 1523f.<br />

20) Zitiert nach W. Gollwitzer-Voll, a.a.O. 165f; vgl. auch:<br />

H. Schipperges, a.a.O. 16f<br />

21) Diesen Begriff hat Eugen Biser in die theologische<br />

Diskussion eingebracht, vgl. z.B. E.Biser, a.a.O.<br />

22) Vgl. dazu ausführlich: Christoffer H. Grundmann,<br />

Leibhaftigkeit des Heils – Ein missionstheologischer<br />

Diskurs über das Heilen in den zionistischen Kirchen im<br />

südlichen Afrika Hamburger Theologische Studien 11,<br />

Münster/Hamburg, LIT-Verlag, 1997<br />

23) Zu dieser Entwicklung in unserer Gesellschaft:<br />

Manfred Lütz, Lebenslust. Wider die Diätsadisten, den<br />

Gesundheitswahn und den Fitness-Kult“, München 2002<br />

24) EG 324,4<br />

Beate Jakob, Dr. med.<br />

Studium der Humanmedizin und<br />

der katholischen Theologie in<br />

Tübingen,<br />

1980 – 1983 Tätigkeit in der<br />

Inneren Abteilung der Universitätsklinik<br />

in Tübingen,<br />

1990 – 1992 Aufenthalt in Kenia<br />

(Missionskrankenhaus). Seit 1993<br />

Mitarbeit im Deutschen Institut für<br />

Ärztliche Mission (DIFÄM) in Tübingen.<br />

Sehnsucht nach Heilung<br />

Haben Sie jemals das Sprechzimmer<br />

Ihres Arztes verlassen und hatten<br />

den Eindruck, er habe sich viel zu sehr<br />

auf Ihre Krankheit konzentriert, anstatt<br />

Sie als Person wahrzunehmen?<br />

Heilung ist nicht nur eine Frage unseres<br />

Körpers. Dr. Fountain zeigt, wie sich Gefühle<br />

und Haltungen – unser Innerstes<br />

also – auf die Gesundheit auswirken.<br />

Anhand vieler Beispiele aus der Praxis<br />

entfaltet er die Sicht von einem ausgewogenen<br />

Verhältnis von Glaube und<br />

Medizin und schildert, wie Gottes wunderbare<br />

Kraft Seele, Geist und Körper<br />

wiederherstellen kann.<br />

Bestell-Nummer 588.659<br />

ISBN 978-3-937896-59-5<br />

Neufeld Verlag, Schwarzenfeld 2008<br />

www.neufeld-verlag.de<br />

Erkenntnisse und Erfahrungen, die alle<br />

angehen – Patienten ebenso wie die,<br />

die ihnen ganzheitlich helfen wollen.<br />

„Dieses Buch zeigt ein glaubwürdiges und<br />

lebendiges Modell für eine ,ganzheitliche‘ Sicht<br />

des Menschen.“<br />

Dr. Martin Grabe, Chefarzt an der Klinik Hohe Mark<br />

und Vorsitzender der Akademie für Psychotherapie<br />

und Seelsorge<br />

„Die Arbeit von Daniel E. Fountain beweist, dass<br />

mehr Dinge durch Gebet bearbeitet werden, als sich<br />

diese Welt überhaupt vorstellen kann.“<br />

Tony Campolo, emeritierter Professor und Buchautor<br />

<strong>MMH</strong>-report 5


Christoffer H. Grundmann<br />

Heilen – eine Herausforderung<br />

an Kirche, Mission und Theologie *<br />

Krankheit und Heilung gehören von je her zusammen.<br />

Der Wunsch, heil bzw. gesund zu werden, war<br />

genau so menschliches Bestreben wie die Suche<br />

nach entsprechenden Heilmethoden. in allen Kulturen<br />

lassen sich Bemühungen nachweisen denen<br />

es darum geht, gesund zu bleiben und Krankheit<br />

zu überwinden, um so einen unzeitgemäßen Tod<br />

zu verhindern. in einigen Kulturen haben solche<br />

Bemühungen regelrechte Systeme der Heilkunst,<br />

wie z.B. das ayurveda-System in indien, die chinesische<br />

Medizin oder die Hippokratische Medizin<br />

des Klassischen Griechenland hervorgebracht. in<br />

anderen Kulturen gelangten ähnliche Bestrebungen<br />

nicht über eher bescheidene anfänge hinaus.<br />

Zugleich aber ist Heilung ein in allen<br />

Religionen auftauchendes Phänomen,<br />

-etwas also, das in allen bekannten<br />

Religionen anzutreffen ist, seien es<br />

die sogenannten „primitiven“ oder die<br />

hochdifferenzierten Religionen. Daher<br />

kann Heilung nicht als Monopol von<br />

irgend einer christlicher Gruppe oder<br />

Kirche in Anspruch genommen werden,<br />

obwohl das heute rund um den Erdball<br />

eine typische Erscheinung mancher<br />

Organisation oder Bewegung zu sein<br />

scheint, - im Katholizismus wie im Protestantismus<br />

und auch außerhalb davon.<br />

Doch das Thema Heilung ist für die<br />

christlichen Kirchen weder neu noch<br />

unbedeutend. Die biblischen Befunde<br />

weisen das genau so aus wie die<br />

Dokumente der frühen Kirche. Die<br />

Kirchenväter haben bei ihren apologetischen<br />

Bemühungen das Motiv des<br />

Heilens häufig hervorgehoben, um<br />

damit die Intention des Evangeliums zu<br />

illustrieren. Zudem war in der Zeit, als<br />

sich die frühe Kirche herausbildete, der<br />

hellenistische Heilkult des Asclepios<br />

sehr populär. Dieser Kontext hat sich<br />

auf die Schriften des Neuen Testaments<br />

z.B. das Lukasevangelium und der<br />

johanneischen Schriften ausgewirkt,<br />

ganz besonders aber auf die Apostelgeschichte,<br />

das Johannes-Evangelium<br />

und die Offenbarung. Asclepios wurde<br />

als „der Retter“(des Lebens) (griech.<br />

6<br />

<strong>MMH</strong>-report<br />

Segnung und Salbung im Gottesdienst, Foto: Friedemann Stöffler.<br />

Soteer - auch: Heiler) angesehen, während<br />

man sich zu Jesus als dem „Retter<br />

der Welt“ (soteer tu kosmu -siehe<br />

Joh.4,42, 1.Joh.4,14) bekannte, der im<br />

Unterschied zu Asclepios nicht nur Tote<br />

auferweckte (Lk.7,11ff; Joh.11), sondern<br />

selbst den Tod ein für alle mal überwand<br />

und deswegen nicht nur aus Krankheit<br />

sondern auch vom Tod jeglicher Gestalt<br />

erretten konnte. Der nordafrikanische<br />

Theologe Origines von Alexandrien<br />

(185-254), der im Jahr 248 in Cäsarea<br />

(südlich vom heutigen Haifa gelegen)<br />

seine Apologie `Contra Celsum` (Gegen<br />

Celsus) verfasste, schrieb darin: „Wenn<br />

ich zugeben müsste, dass ein Dämon,<br />

namens Asclepios die Kraft hätte, physische<br />

Krankheit zu heilen, könnte ich<br />

denen, die deswegen erstaunt wären,<br />

antworten, dass diese Kraft zu heilen<br />

weder gut noch böse ist, dass es vielmehr<br />

eine Sache ist, die nicht nur den<br />

Gerechten sondern auch den Gottlosen<br />

zuteil wird...Nichts Göttliches wird allein<br />

dadurch offenbart, dass jemand die Vollmacht<br />

hat, Kranke zu heilen.“ (Contra<br />

Celsum,III,25).<br />

Soweit Origines vor mehr als 1700 Jahren.<br />

Er leugnet nicht, dass wundersame<br />

Heilungen passieren und dass sie die<br />

Vollmacht zu heilen offenbaren. Was er<br />

aber bestreitet, ist die Tatsache, dass<br />

Heilungserfahrungen als solche göttliche<br />

Offenbarungen sind.<br />

Heilungen an sich belegen noch nicht<br />

das Handeln in christlicher Vollmacht.<br />

Wenn wir Jesus <strong>Christus</strong> und sein Wirken<br />

betrachten, stellen wir überrascht fest,<br />

dass selbst die von ihm getätigten Heilungen<br />

in Zweifel gezogen wurden wie<br />

z.B. beim Blinden und Stummen in Matthäus<br />

12,22ff. Die Pharisäer leugneten<br />

nicht die positiven Auswirkungen seines<br />

Dienstes, sie stellten aber den Wert des<br />

darin ersichtlichen offenbarenden Handelns<br />

in Frage: „Er treibt die Teufel nicht<br />

anders aus denn durch Beelzebub, der<br />

Teufel Obersten.“ (V.24) Worauf Jesus<br />

antwortete: „Wenn ich die Teufel durch<br />

Beelzebub austreibe, durch wen treiben<br />

sie eure Kinder aus?“ (V.27) Heilungen<br />

sind in der Tat zweideutig. Dadurch werden<br />

sie für das Christentum, die Kirche<br />

und Mission sowie auch für die Theologie<br />

zu einer echten Herausforderung.<br />

Nachdem wir das festgestellt haben,<br />

ist man angesichts des praktischen<br />

Nichtvorhandenseins einer entsprechenden<br />

Antwort in der Theologie, der<br />

Liturgie und des alltäglichen Gemeindelebens<br />

überrascht, - wenigstens was<br />

die traditionellen christlichen Kirchen<br />

angeht. Wenn wir uns dieser gar nicht<br />

mal so neuen Herausforderung stellen<br />

wollen, dann ist das nur möglich mittels<br />

einer entsprechenden theologischen<br />

Reflexion. Unter dieser Perspektive soll<br />

das Folgende verstanden werden.<br />

* Der Originalartikel wurde in englischer Sprache verfasst („Healing - A Challenge to Church and Theology“).<br />

Wir haben den Artikel übersetzt und als Download auf unserer Website veröffentlicht. Wegen seiner Bedeutung<br />

möchten wir den Beitrag hiermit auch in gedruckter Form zugänglich machen.


Im ersten Teil möchte ich versuchen,<br />

der Frage nach den Hauptgründen des<br />

gegenwärtigen Interesses am Phänomen<br />

(religiöser) Heilung nachzugehen<br />

(I). Im zweiten Teil werden darin eingeschlossene<br />

theologische und missiologische<br />

Gesichtspunkte bedacht<br />

(II), während der dritte Teil Vorschläge<br />

zum weiteren Studium dieser Thematik<br />

innerhalb der ökumenischen Gemeinschaft<br />

der Kirchen enthält (III).<br />

i. Gründe für die Behandlung dieses für<br />

die Kirchen wichtigen Themas Heilung<br />

Wir werden praktisch überall in der<br />

Welt innerhalb und außerhalb des Christentums<br />

mit dem Phänomen Heilung<br />

konfrontiert. In Westafrika gibt es die<br />

Aladura-Kirchen, in Ost- Afrika die Lumpa<br />

Kirche und im Südlichen Afrika die<br />

Zionistischen Kirchen . Auch wissen wir<br />

von Geistheilern auf den Philippinen<br />

und Wunder wirkenden Gurus in Indien,<br />

zu denen selbst zahlreiche verzweifelte<br />

Europäer und Amerikaner in ihrer Krankheitsnot<br />

Zuflucht nehmen. Oder auch<br />

z.B. Japan mit seinen über 400 „Neuen<br />

Religionen“ oder „Modernen Religionen“<br />

(so die offizielle Bezeichnung<br />

seitens der Regierung), bei denen das<br />

Thema Heilung eine wichtige und prägende<br />

Rolle spielt. 1 Und in Lateinamerika<br />

sind es die synkretistischen Kulte<br />

wie Umbanda in Brasilien und Voodoo<br />

in Haiti. Auch begegnen wir heutzutage<br />

einer verwirrenden Anzahl von Heilungskulten<br />

in allen Bevölkerungsschichten:<br />

bei Intellektuellen und Analphabeten,<br />

arbeitslosen Visionären und hochdotierten<br />

Experten, unter verzweifelten<br />

Christen, Muslimen, Hindus, Buddhi-<br />

Afrikanischer Heiler, Tuschezeichnung Philippe de Youmsi.<br />

Foto: Regina und Gerd Riepe.<br />

sten und den<br />

Anhängern der<br />

Naturreligionen<br />

sowie auch auf<br />

der anderen<br />

Seite bei ausgesprochenen<br />

Atheisten und<br />

nichtreligiösen<br />

Menschen.<br />

Während in der<br />

westlichen Welt<br />

die modernen<br />

esoterischen<br />

Bewegungen<br />

ein buntes<br />

Sammelsurium<br />

sogenannter<br />

`alternativer`<br />

oder `ganzheitlicher Heilmethoden`<br />

anbieten, entdecken die Menschen<br />

anderer Kulturen ihre alten, volkseigenen<br />

Heilmethoden. Dabei spielt zweifellos<br />

die Suche nach Kompensation für<br />

den Verlust der eigenen Wurzeln oder<br />

die Erfahrung der Entfremdung eine<br />

Rolle. Auch wirkt sich der Urbanisierungsprozess<br />

aus, der den Menschen<br />

ihre angestammte Heimat raubt und sie<br />

in die Städte und Industriezentren lockt,<br />

wodurch die hergebrachte Lebensweise<br />

völlig durcheinander gerät und die<br />

natürlich gewachsene Strukturen<br />

zerstört werden. Die Menschen sind<br />

urplötzlich deplatziert, sehen sich<br />

gezwungen, in Häusern und Siedlungen<br />

mit anderen, die nicht zu ihrem Volk<br />

oder Stamm gehören, zusammen zu<br />

leben. Zuweilen finden sie sich gar auf<br />

offener Straße wieder, umgeben von<br />

lebensbedrohenden Mächten wie<br />

dem Autoverkehr, der Ausbeutung und<br />

Kriminalität. Diese Art von Entfremdung<br />

hat persönliche Frustrationen<br />

zur Folge, die ihrerseits<br />

Krankheiten hervorrufen,<br />

von denen die meisten auf<br />

Grund fehlender medizinischer<br />

Betreuung nicht<br />

entsprechend behandelt werden<br />

können. Das bringt die<br />

Menschen dazu, sich nach<br />

Alternativen umzuschauen,<br />

falls sie nicht den Drogen,<br />

dem Alkohol, dem Sex oder<br />

der Kriminalität verfallen.<br />

Sie sind aber auch bereit,<br />

sich denen anzuschließen,<br />

die sich dem Kampf gegen<br />

diese üblen Mächte bereits<br />

verschrieben haben und<br />

die ihnen Zugang zu einem<br />

sicheren, friedvollerem<br />

Aufenthaltsort verschaffen<br />

können, -wenigstens für eine<br />

gewisse Zeit. Indem sie auf<br />

diese Weise Fürsorge und<br />

Solidarität erfahren, werden<br />

nicht nur zerbrochene<br />

Traditionelle Heilkunde, Verkaufsstand in Bamako, Mali, Westafrika.<br />

Gemeinschaftstrukturen wieder geheilt.<br />

Es sind solche und ähnliche Situationen,<br />

in denen Afrikanische Unabhängige<br />

Kirchen (AIC = African Instituted/Independent/Indigenous<br />

Churches) auf den<br />

Plan treten, wie Bengt Sundkler und<br />

nach ihm viele andere überzeugend<br />

dokumentiert<br />

haben. 2<br />

Kurz: Ich betrachte das gegenwärtige<br />

Interesse an und die Erscheinungsformen<br />

von Heilung als untrennbar mit der<br />

globalen sozio-kulturellen Situation zur<br />

Zeit der Jahrtausendwende verknüpft.<br />

Zweifellos muss in jedem konkreten Fall<br />

untersucht werden, in welchem Ausmaß<br />

die unterschiedlichen Heilungsbewegungen<br />

Reaktionen sind auf die Auswirkungen<br />

einer rational bestimmten,<br />

hochtechnisierten Zivilisation (Mobilität,<br />

Information) und die leichte Verfügbarkeit<br />

besonders auch der wissenschaftlichen<br />

Medizin oder in welchen Ausmaß<br />

sie für das Bemühen um nationale, ethnische,<br />

kulturelle und religiöse Identität<br />

stehen; und das alles vor dem Hintergrund<br />

von Globalisierung und Säkularisierung.<br />

Grundsätzlich kann nicht<br />

geleugnet werden, dass die Heilungsbewegungen<br />

diese Verhältnisse widerspiegeln.<br />

Eine hochtechnisierte Zivilisation mit<br />

immer schneller sich vollziehenden<br />

Veränderungen und Irritationen hat eine<br />

Bedrohung globalen Ausmaßes hervorgebracht,<br />

wie es das bislang noch nicht<br />

gegeben hat. Wir alle sind angesichts<br />

der uns befremdlich anmutenden Möglichkeiten<br />

einer modernen Gesellschaft<br />

selbst wie entwurzelt und sind im Blick<br />

auf die Tradition des eigenen Glaubens<br />

und dessen Plausibilität unsicher<br />

geworden, und das nicht zuletzt auch<br />

deswegen, weil wir um andere Optionen<br />

wissen (Pluralismus, Postmodernismus).<br />

Dies so zu sagen bedeutet aber nicht,<br />

die Ernsthaftigkeit der Einwände auf<br />

der einen noch die verschiedenen<br />

<strong>MMH</strong>-report 7


Versuche der Wiederherstellung von<br />

körperlicher und persönlicher Identität<br />

auf der anderen Seite gering zu achten.<br />

Dieses sind und bleiben darüber hinaus<br />

grundlegende Fakten mit einer ihnen<br />

eigenen Dynamik. Und es ist genau<br />

diese Dynamik, die die Aufmerksamkeit<br />

sowohl der Kirchenmitglieder als auch<br />

der Außenstehenden auf sich zieht. Wie<br />

bekannt, sind Heilungsversammlungen<br />

für die Menschenmassen attraktiv. Auch<br />

sind es die Heilungskirchen mit ihren<br />

`Propheten` und Charismatikern und<br />

mit ihren begeisternden Gottesdiensten<br />

sowie den ansprechenden Liturgien,<br />

die am schnellsten wachsen. Das ist<br />

einer der Gründe dafür, warum sich<br />

andere Kirchen für dieses Thema interessieren.<br />

Doch ein solches Interesse ist<br />

nicht ohne Probleme. Denn um sich des<br />

Heilens zu bedienen, nur um Gemeindewachstum<br />

zu erreichen, - das nimmt<br />

weder den einzelnen Kranken ernst<br />

noch den heilenden Dienst der Kirche,<br />

um den es eigentlich geht. Die Kirche ist<br />

nicht auf Heilungen gegründet, sondern<br />

auf der Gegenwart des lebendigen Gottes<br />

in seinem Volk.<br />

Diese Analyse des weit verbreiteten<br />

Interesses an Heilung fördert noch ein<br />

anderes in diesem Kontext zu bedenkendes<br />

Problem zutage. Es könnte nämlich<br />

gut sein, dass das gegenwärtige<br />

gesellschaftliche Interesse an Heilungen<br />

dazu dient, eine Tendenz zu verbergen,<br />

die darauf zielt, sich der Verantwortung<br />

für die umfassenderen Nöte einer<br />

Gesellschaft wie zum Beispiel den<br />

Fragen nach Gerechtigkeit, Frieden und<br />

Integrität der Schöpfung zu entziehen,<br />

besonders dann, wenn Gebets- und<br />

Wunderheilungen das ausschließliche<br />

Anliegen sein sollten. Es könnte nämlich<br />

gut sein, dass Mitglieder traditioneller<br />

Kirchen es nicht mehr länger aushalten,<br />

sich mit dem ständig wachsenden globalen<br />

Elend zu befassen und sich dann<br />

mit dem Argument zu behelfen suchen,<br />

dass genau diese katastrophalen und<br />

ungesunden Verhältnisse der Welt und<br />

ihrer Menschen das Bemühen um Heilung<br />

für sie zu einem Hauptanliegen<br />

werden ließen. Alle anerkennenswerten<br />

Bemühungen um Heilung könnten sich<br />

schließlich doch nicht als wirklich leib-<br />

Entwurzelung und Entfremdung der Menschen durch die Megacities unserer Tage. Foto: fotolia.com<br />

8<br />

<strong>MMH</strong>-report<br />

und seelsorgerliches Wirken inmitten<br />

schreiender Nöte erweisen, sondern<br />

ebenso als Flucht vor der eigentlichen<br />

Verantwortung.<br />

Die Kirche ist nicht<br />

auf Heilungen<br />

gegründet, sondern<br />

auf der Gegenwart<br />

des lebendigen<br />

Gottes in seinem<br />

Volk.<br />

Dass hier so festzuhalten liegt in der<br />

Tatsache begründet, daß heute wie<br />

nie zuvor praktisch überall verfügbare<br />

Heilungsangebote vorhanden sind.<br />

Heilungen werden erst dann nicht mehr<br />

zu einem herausgehobenen Thema stilisiert<br />

werden können, wenn die medizinischen<br />

und pharmazeutischen Erkenntnisse<br />

und die öffentliche Gesundheitsversorgung-<br />

mitsamt den sanitären<br />

Einrichtungen unter Einbeziehung aller<br />

in diesem Bereich tätigen Organisationen<br />

im Zusammenhang gesehen wird.<br />

Dadurch, dass Heilung – Gott sei Dank<br />

– auf diese Weise in einer zuvor so nie<br />

gearteten Weise verfügbar geworden<br />

ist, vergisst man all zu leicht, dass wirkliches<br />

Heilwerden tatsächlich auch in<br />

Krankenhäusern und ärztlichen Praxen<br />

geschieht. Das sollte nicht nur zaghaft<br />

eingestanden werden, das sollte klar<br />

und deutlich betont werden, wenn man<br />

dieser Thematik gerecht werden will.<br />

Wer über Heilung als Herausforderung<br />

für die Kirche und Mission spricht, muss<br />

auch die Existenz christlicher Krankenhäuser<br />

und Fürsorgeeinrichtungen mit<br />

hingebungsvollen Ärzten, Krankenschwestern<br />

und Therapeuten anerkennen,<br />

denn hier wird aufopferungsvoll<br />

auf Heilung und Heilwerden zerstörter<br />

Körper und zerbrochener Herzen hingearbeitet.<br />

Indem sie dafür finanzielle<br />

und andere Mittel zur Verfügung stellen,<br />

versuchen einige Kirchen dieser Herausforderung<br />

gerecht zu werden, - und dies<br />

auf ihre je eigene Art und Weise.<br />

Bis jetzt haben wir bei der Analyse<br />

des Interesses der Kirchen an Heilung<br />

lediglich einige mehr allgemeine<br />

Gesichtspunkte angesprochen, die sich<br />

aus der Konfrontation mit den Verhältnissen<br />

unserer Zeit ergeben. Wir sollten<br />

das Augenmerk jetzt auf jene Anliegen<br />

richten, die sich dabei aus dem Selbstverständnis<br />

der Kirchen ergeben und die<br />

für sie noch wichtiger sind. Die Notwendigkeit,<br />

das so zu bedenken, ergibt sich<br />

aus dem biblischen Heilungsauftrag<br />

(Mt.10,8; Lk.10,9) sowie aus dem Vorhandensein<br />

charismatischer Heiler und<br />

von Gruppen in den eigenen Reihen, die<br />

Gebets- und Glaubensheilung praktizieren.


Die Gelehrten streiten sich zuweilen<br />

darüber, ob die biblischen Texte, die<br />

von Heilung sprechen, im Blick auf die<br />

Fragen der Christen heute verbindlich<br />

sein können. Einige sagen, und diese<br />

Überzeugung wurde bis vor kurzem von<br />

den meisten Theologen geteilt, Jesus<br />

<strong>Christus</strong> habe das Mandat zu heilen nur<br />

seinen zwölf Jüngern gegeben und nicht<br />

auch all denen, die später nachfolgten.<br />

Dieser Auftrag sei auf den Dienst der<br />

Apostel beschränkt gewesen. Die Kirche<br />

heute solle das nicht für sich nehmen.<br />

Sie solle das Evangelium verkündigen<br />

und sonst nichts. (Auch das Desinteresse<br />

an Mission wurde – und wird<br />

z.T. immer noch – so begründet.) Für<br />

andere ist es selbstverständlich, dass<br />

die Macht, Dämonen auszutreiben und<br />

Kranke zu heilen, die den Jüngern einmal<br />

von ihrem Herrn gegeben worden<br />

sei, grundsätzlich auch der Kirche gegeben<br />

wurde, denn die Apostel bzw. die<br />

Jünger seien das Fundament der Kirche.<br />

Die exegetischen Fragen und die damit<br />

verbundene hermeneutische Fragestellung<br />

ist in diesem Rahmen nicht zu<br />

diskutieren. Ich habe das nur deswegen<br />

erwähnt, weil ich verborgene Schwierigkeiten<br />

aufzeigen möchte, die bei irgendwelchen<br />

Diskussionen in christlichen<br />

Kreisen und unter Theologen über dieses<br />

Thema Probleme bereiten könnten,<br />

und um damit zu zeigen, dass alle diejenigen,<br />

die Heilung als genuinen Dienst<br />

der Kirche befürworten und diejenigen,<br />

die das nicht selbstverständlich hinnehmen,<br />

an dem Phänomen als solchem<br />

grundsätzlich nicht vorbeikommen,<br />

daß Heilung ein authentisches Thema<br />

der Schrift ist und daß Heilungen in der<br />

Kirche einen breiten Raum einnehmen,<br />

auch heute.<br />

Indem man sich das vor Augen führt,<br />

wird zweifelsohne deutlich, dass die<br />

etablierten Kirchen und ihre Hirarchien<br />

im Umgang mit charismatischen Personen,<br />

die in der Öffentlichkeit als Heiler<br />

anerkannt sind, große Schwierigkeiten<br />

haben. Das möchte ich mit einigen Beispielen<br />

belegen. Im Juni 1986 brachte<br />

der Ecumenical Press Service (EPS),<br />

Genf, folgende Information aus Kigali:<br />

„Ruandas römisch-katholische Bischöfe<br />

haben eine Verlautbarung herausgegeben,<br />

derzufolge sie die Heilungsaktivitäten<br />

der 22 jährigen Eugenia<br />

Mukakalisa verurteilen. Die Bischöfe<br />

sagen, ihre Gaben seien zweifelhaft;<br />

sie wenden sich gegen die Bezeichnung<br />

,mukiza‘(Retter), die ihr ihre Anhänger<br />

gegeben haben und warnen angesichts<br />

der dürftigen sanitären Verhältnisse in<br />

Coko, wo sie ihre Basis hat. ‘<strong>Christus</strong><br />

kann solche Unordnung nicht gut heißen‘,<br />

sagen die Bischöfe und warnen<br />

die Christen, ‘im Blick auf Leute, die<br />

behaupten, übernatürliche Visionen zu<br />

haben und mit einer göttlichen Mission<br />

ausgestattet zu sein,<br />

sehr vorsichtig zu sein.‘<br />

Die Frau begann ihre<br />

Aktivitäten im April<br />

1985, nachdem, wie sie<br />

sagte, Jesus und seine<br />

Mutter zu ihr gesprochen<br />

hätten...Weiterhin<br />

kommen Massen zu<br />

ihr nach Coko, obwohl<br />

diese nach dem negativen<br />

Votum der Bischöfe<br />

weniger geworden<br />

sind.‘ 3<br />

Dieses Dokument<br />

spricht für sich. Und<br />

das ist innerhalb der<br />

römisch-katholischen<br />

Kirche kein Einzelfall.<br />

Der Fall, der das öffentliche<br />

Interesse am meisten<br />

erregt hat, ist der<br />

des früheren Erzbischofs<br />

von Lusaka, Sambia,<br />

Emanuel Milingo. „In<br />

Antwort auf die akuten<br />

geistlichen Nöte von<br />

Sambias `Christen des<br />

ersten Jahrhunderts`<br />

– noch tief verwurzelt<br />

in traditioneller Spiritualiät<br />

– entdeckte der<br />

Bischof 1973 bei sich<br />

selbst die besondere<br />

Gabe der Heilung und<br />

der Austreibung böser<br />

Geister. Diese Gaben, so<br />

hat er stets behauptet,<br />

wurzelten in der völligen<br />

Hingabe seines Lebens<br />

an Jesus <strong>Christus</strong>. Seine<br />

Heilungsversammlungen<br />

zogen große Menschen-<br />

massen an und brachten erstaunliche<br />

Ergebnisse. Doch schon bald wurde er<br />

wegen mangelnder Rechtgläubigkeit<br />

angeklagt, er vernachlässige seine<br />

`normalen` erzbischöflichen Pflichten,<br />

hieß es, und man warf ihm unmoralischen<br />

Verhalten und Unehrlichkeit vor.<br />

Nachdem er nach Rom beordert und<br />

intensiven Befragungen unterworfen<br />

worden war, gab er sein Amt auf. Der<br />

Kirche gegenüber blieb er treu und ist<br />

heute ein besonderer Delegierter der<br />

Päpstlichen Kommission für Migration,<br />

Flüchtlinge und Tourismus.“ 4<br />

Nachdem er jetzt eine enge Verbindung<br />

mit der Charismatischen Bewegung<br />

eingegangen ist, hält er in Rom<br />

außerordentliche Heilungsversammlungen<br />

außerhalb kirchlicher Mauern ab,<br />

die von Tausenden, überwiegend Europäern,<br />

besucht werden.<br />

Die Verhältnisse in den protestantischen<br />

Kirchen sind ähnlich. Weil es die<br />

Missionare der etablierten europäischen<br />

Kirchen und der nordamerikanischen<br />

Unser tägliches Leben wird bestimmt von einer hochtechnisierten Welt. Fotos: fotolia.com<br />

<strong>MMH</strong>-report 9


Denominationen versäumt haben, sich<br />

des Problems des Zusammenpralls<br />

einheimischer Kulturen und der modernen<br />

Zivilisation – wovon sie selbst ein<br />

Teil waren – in sachgemäßer Weise<br />

anzunehmen, füllten die Afrikanischen<br />

Unabhängigen Kirchen (AICs) diese<br />

Lücke aus. Sie verbanden die Verkündigung<br />

des Evangeliums mit Fragen ihrer<br />

nationalen, kulturellen und religiösen<br />

Identität und kümmerten sich um die<br />

körperlichen und geistlichen Nöte ihrer<br />

Volksgenossen. Dadurch wurde die Liebe<br />

Gottes zu diesen Menschen in einer<br />

Weise ganz selbstverständlich deutlich<br />

und für alle rings umher einsichtig.Verwurzelt<br />

in den Traditionen christlicher<br />

Mission entwickelten sie ihre eigenen<br />

Gemeindemodelle, die dem afrikanischen<br />

Umfeld viel besser entsprachen.<br />

Das schloß auch das bewusste Bemühen<br />

darum ein, Probleme vor Ort auf<br />

angemessene einheimische Weise zu<br />

lösen, was aber die Missionare in der<br />

Regel als heidnisch verurteilten. Aber<br />

es wäre zu einfach, dieses Phänomen<br />

nur dem „Zusammenprall der Kulturen“<br />

(Samuel P. Huntington) zuzuschreiben.<br />

Denn es waren nicht nur die Missionare,<br />

sondern auch die Christen der ersten<br />

Generation, die keine andere Möglichkeit<br />

sahen, die durch <strong>Christus</strong> bewirkte<br />

totale Erneuerung ihres Lebens anders<br />

auszudrücken, als dadurch, daß sie sich<br />

radikal von allen traditionellen Elementen<br />

trennten. Die Evangeliumsverkündigung<br />

als Inkulturation zu begreifen, ist<br />

ein typisches Merkmal für die Christen<br />

der zweiten und dritten Generation.<br />

Soll also Heilung als<br />

ein echtes Zeugnis<br />

des Wirkens des<br />

lebendigen Gottes<br />

verstanden werden,<br />

muss sie im Lichte der<br />

christlichen Theologie<br />

interpretiert werden.<br />

Es werden unterschiedliche Wege an<br />

verschiedenen Orten erprobt, um eine<br />

stärkere Indigenisierung der Kirche zu<br />

erreichen, wie im Fall der Lutherischen<br />

Kirche von Madagaskar. In dieser Kirche<br />

werden charismatische Heilungen durch<br />

die offizielle Berufung von `Hirten` und<br />

`Hirtinnen` voll mit in den Gottesdienst<br />

einbezogen. Hirten und Hirtinnen nehmen<br />

an allen Gottesdiensten teil, um<br />

10<br />

<strong>MMH</strong>-report<br />

sich um den Exorzismus zu kümmern<br />

und die Hände aufzulegen, wann immer<br />

das gewünscht wird oder angebracht<br />

erscheint. Die Kirchenoberen gestehen<br />

ein, dass sie das wegen der pastoralen<br />

Fürsorge zwar tolerieren, sich aber<br />

nicht so ganz wohl dabei fühlen. Ein<br />

Funke eines ethnischen oder politischen<br />

Konflikts würde genügen, um einen<br />

Trennungsprozess in Gang zu setzen<br />

und sich von der Mutterkirche zu lösen,<br />

wie in anderen Teilen Afrikas wie z.B.<br />

in Zaire, Nigeria oder den meisten Ländern<br />

im Süden des Kontinents bereits<br />

geschehen. Diese Befürchtungen könnten<br />

angesichts der jüngsten Entwicklungen<br />

in der afrikanischen Kirchengeschichte<br />

als gerechtfertigt erscheinen.<br />

Aber worin besteht diese Furcht? Warum<br />

sich überhaupt fürchten? Fürchtet man<br />

den Verlust von Macht und Einfluss?<br />

Fürchtet man diesen anderen Weg? Ist<br />

das Entstehen der sogenannten African<br />

Instituted Churches (AIC), von denen es<br />

bereits einige tausend gibt 5 , nicht ein<br />

deutliches Zeichen für erwachendes afrikanisches<br />

Selbstbewusstsein und das<br />

Vertrauen in Gott, ihnen einen eigenen<br />

Platz in der universalen Kirche zuzuweisen?<br />

Einmal vorausgesetzt, es handelt sich<br />

hier um echte charismatische Aufbrüche<br />

und nicht um Beweise von übersteigertem<br />

Individualismus und Machtbestrebungen<br />

Einzelner, so ist das Problem<br />

nicht darauf zu reduzieren, als handele<br />

es sich hier allein um die Auseinandersetzung<br />

zwischen Hierarchie und<br />

Charisma. Hinter den Schwierigkeiten<br />

der Kirchen und der ökumenischen<br />

Bewegung mit den charismatischen Heilern<br />

und ihren Anhängern und mit der<br />

Anerkennung von Heilungs- Gemeinden<br />

bzw. Kirchen liegen tiefgreifende theologische<br />

Probleme, von denen einige<br />

im folgenden Abschnitt hervorgehoben<br />

werden sollen.<br />

ii. Heilung theologisch interpretiert<br />

Wie bereits aufgezeigt, ist Heilung ein<br />

universales Phänomen. In allen Völkern,<br />

zu allen Zeiten und überall auf der Erde<br />

ist es anzutreffen. Im 20. Jahrhundert<br />

tritt es aber in besonderer Weise hervor.<br />

Es kann nicht auf einige Regionen<br />

eingegrenzt werden oder auf besondere<br />

Religionen oder spezielle Gesellschaftsformen<br />

bzw Kulturen. Heilung wird als<br />

die wunderbare Wiedererlangung von<br />

Kräften nach einer Zeit der Krankheit<br />

und körperlichen Schwäche des Einzelnen<br />

erfahren. Es ist eine lebensförderliche<br />

- ja mehr noch: eine lebenschaffende<br />

Kraft, die beim Heilungsprozess zum<br />

Ausdruck kommt. Auf sie ist der einheimische<br />

Heiler genau so angewiesen wie<br />

der Herzchirurg; denn sie ist das alles<br />

Heiliger Ort für Heilungs- und Versöhnungszeremonien in<br />

Tanzania<br />

entscheidende Element, wenn es um<br />

Erfolg oder Misserfolg einer Behandlung<br />

geht. Diese Abhängigkeit begründet die<br />

eigentliche religiöse Dimension allen<br />

Heilens, unabhängig davon, wie sie später<br />

erklärt und einsichtig gemacht wird.<br />

Soll also Heilung als ein echtes Zeugnis<br />

des Wirkens des lebendigen Gottes<br />

verstanden werden, muss sie im Lichte<br />

der christlichen Theologie interpretiert<br />

werden. Es ist die Universalität des Heilungsphänomens,<br />

bei dem die entsprechende<br />

theologische Reflexion ihren<br />

Ausgang zu nehmen hat. Folglich gilt<br />

es, auf die Schöpfung und den Sündenfall<br />

Bezug zu nehmen. In der jüdischchristlichen<br />

Tradition wird ja das Leben<br />

als Gottes gute Schöpfung betrachtet,<br />

wobei das Paradies auf Grund des hochmütigen<br />

Bestrebens des Menschen,<br />

sein zu wollen wie Gott, verloren ging.<br />

Das bewirkte Verfall und brachte all<br />

den Schmerz und den Tod. Die Christen<br />

bekennen jedoch, dass die Welt, in der<br />

wir leben, dennoch von Gott gewollt ist.<br />

Wenn sie also von der Schöpfung reden,<br />

tun sie es nicht wie in sentimentaler<br />

Erinnerung an etwas Vergangenes, sondern<br />

um hier und heute ein Zeugnis für<br />

die Gegenwart des lebendigen Gottes<br />

abzulegen. Auf diese Weise wird das<br />

Reden von der Schöpfung zu einem<br />

echten Glaubensbekenntnis, denn die<br />

Gegenwart Gottes in dieser Welt muss<br />

angesichts der massiven Bedrohungen<br />

des Lebens tatsächlich geglaubt werden.<br />

Streng theologisch gesprochen:<br />

Während Krankheit als Folge des das<br />

Leben bedrohenden (Sünden-)Falls<br />

interpretiert werden kann, wird Heilung<br />

als das Gegengewicht zu dieser Bedrohung,<br />

als lebensbejahender Vorgang<br />

erfahren. Dieses Gegengewicht kommt<br />

ganz offensichtlich in der Leben erhaltenden<br />

Kraft zum Ausdruck, die ebensogut<br />

auch als ein neuer Schöpfungsakt<br />

Gottes verstanden werden kann, gar als<br />

Ausdruck einer fortwährenden Schöpfung.


Aber dieses ist nur der allgemeine<br />

Ausgangspunkt der theologischen Reflexion.<br />

Als nächstes müssen das Erkenntnisvermögen<br />

und die Mehrdeutigkeit<br />

aller Erscheinungen, die zugleich die<br />

fatale allen Menschen eigene Möglichkeit<br />

der Fehldeutung der Phänomene<br />

(Röm.1,18f) beinhaltet, bedacht werden.<br />

Dabei soll den erkenntnistheoretischen<br />

Fragen gerade im Blick auf<br />

Diagnose und Heilung von Krankheiten<br />

besondere Aufmerksamkeit geschenkt<br />

werden.<br />

Während Krankheit als<br />

Folge des das Leben<br />

bedrohenden (Sünden)<br />

Falls interpretiert werden<br />

kann, wird Heilung<br />

als das Gegengewicht<br />

zu dieser Bedrohung,<br />

als lebensbejahender<br />

Vorgang erfahren.<br />

Verschiedene medizinische Systeme<br />

sind Ausdruck verschiedener Ansätze,<br />

mit denen versucht wird, Leiden<br />

und Krankheit beizukommen. Ihre je<br />

unterschiedlichen Interpretationen von<br />

Krankheit sind nicht nur Sache unterschiedlicher<br />

Bezeichnungen, es ist eine<br />

Sache völlig verschiedener Lebensanschauungen.<br />

Es macht z.B.einen<br />

gewaltigen Unterschied, ob Dämonen<br />

für den Ausbruch einer Epidemie verantwortlich<br />

gemacht werden oder die<br />

miserablen hygienischen Verhältnisse<br />

an einem bestimmten Ort, wo die sanitären<br />

Anlagen mangelhaft sind und die<br />

Abfallbeseitigung verantwortungslos<br />

gehandhabt wird. Während man bei<br />

letzterem die Ärmel hochkrempeln und<br />

das Übel bei der Wurzel angreifen kann,<br />

erfordert die andere Sichtweise den Einsatz<br />

eines Medizinmannes bzw. Zauberdoktors,<br />

der denjenigen, der das Elend<br />

bewirkt hat, ausfindig macht und damit<br />

u.U.eine erbarmungslose Hexenjagd in<br />

Gang setzen kann.<br />

In einer westafrikanischen Ethnie gilt<br />

beispielsweise der Kropf (Vergrößerung<br />

der Schild -drüse) als eine Krankheit,<br />

die durch Zauber verursacht wird,<br />

während sie nach wissenschaftlicher<br />

Erkenntnis als Jodmangel diagnostiziert<br />

wird. Während Menschen, die an Jodmangel<br />

leiden, diesen mit pharmazeutischenMitteln<br />

beheben können, werden<br />

die verzauberten Kranken zu Sünden-<br />

böcken ihrer Gemeinwesen, die an allem<br />

schuld sind und schließlich zum Wohle<br />

anderer vertrieben werden können. Was<br />

für die Diagnose gilt, gilt natürlich auch<br />

für die Therapie. Um den Erfolg irgendeiner<br />

Behandlung zu gewährleisten, ist<br />

es nötig, dass der Patient auch gemäß<br />

der vorgeschlagenen Behandlung verfährt.<br />

Deswegen ist es äußerst wichtig<br />

zu wissen, wer oder was für die Heilung<br />

verantwortlich ist. Das wird nämlich<br />

zum Orientierungspunkt werden, worauf<br />

sich der neue Lebensabschnitt ausrichten<br />

lässt, um so vor weiterem Schaden<br />

bewahrt zu werden. Wem oder was also<br />

wird die Heilung zugeschrieben? Hat<br />

das die wunderbare moderne Medizin<br />

bewirkt? Waren es die Selbstheilungskräfte<br />

des Körpers? Oder geschah es auf<br />

Grund irgend einer eigenen `mentalen<br />

Energie`? Oder durch einen überlegenen<br />

`Geist`? Oder wurde die Heilung von<br />

einem persönlichen Gott geschenkt, der<br />

ein Interesse daran hat, das gefährdete<br />

Leben eines Individuums hier und jetzt<br />

zu erhalten? Je nach dem, was als heilungswirkendes<br />

Agens anerkannt wird,<br />

werden die Menschen der `Natur` hernach<br />

mehr Ehre geben als zuvor. Oder<br />

sie unterstützen die Aktivitäten eines<br />

besonderen Heilers oder unterstellen<br />

sich der größeren Kraft eines neuen<br />

Geistes, dessen größeres Potential<br />

sie erstmals erlebt haben. Aber wenn<br />

Menschen die erfahrene Heilung als<br />

eine gnädige Verlängerung ihres Lebens<br />

durch den lebendigen Gott begreifen,<br />

wird bei ihnen diese Erfahrung zu einer<br />

persönlichen Anfrage, auf die sie in<br />

ihrem weiteren Leben eine überzeugende<br />

Antwort geben wollen.<br />

Zweifellos kommt aller Heilung eine<br />

gewisse offenbarende Qualität zu, - aber<br />

welcher Art ist sie? Es ist genau diese<br />

Frage, die den etablierten Kirchen und<br />

Theologien bei der Handhabung von<br />

Heilungen große Schwierigkeiten bereitet.<br />

Tritt die Heilung nicht als zusätzliche<br />

Offenbarungsquelle neben das Wort<br />

Gottes, das ja doch vor Entstellung und<br />

Verderbnis durch Kirche und ihre Theologie<br />

zu schützen ist? Zudem hat diese<br />

neue Quelle der Offenbarung, die sich<br />

da ungehindert ergießt, eine die Massen<br />

ungemein überzeugende Kraft, und<br />

zwar auf Grund der persönlichen Unmittelbarkeit<br />

und angeblich so zweifelsfreien<br />

Eindeutigkeit, die keine weiteren<br />

Erklärungen zu erfordern scheint. Es ist<br />

sicherlich kein Zufall, dass Heilungskirchen<br />

so viel Betonung auf die physische<br />

Erfahrbarkeit der spürbaren Gegenwart<br />

Gottes legen, aber der reinen Lehre oder<br />

gar der formalen Theologie kaum einen<br />

Wert beimessen. Ihre Unabhängigkeit<br />

und die Eigenständigkeit charismatischer<br />

Heiler stellt die den Hierarchien<br />

eigene Autorität grundsätzlich in Fra-<br />

ge. Das beschwört Konflikte herauf<br />

und erklärt viel von der scheinbaren<br />

Hilflosigkeit offizieller Kirchen in ihrer<br />

Reaktion auf die Heilungsereignisse (die<br />

zudem hauptsächlich von Laien bezeugt<br />

werden).<br />

Wenn Origines recht hat, dass „allein<br />

durch die Kraft, Kranke zu heilen nichts<br />

Göttliches offenbart wird“, ist eine<br />

eindeutigere und präziserer Erklärung<br />

des Heilungsgeschehens nötig. Heilung<br />

wird zu einer eindeutig christlichen<br />

Angelegenheit erst, wenn sie potentiell<br />

die Begegnung mit dem Heil und der<br />

Erlösung zu beinhalten vermag. Indem<br />

wir das sagen, reden wir zugleich von<br />

Gottes Offenbarung in <strong>Christus</strong>, denn<br />

nur durch sie wissen wir von Gottes<br />

unzweideutiger Liebe zum Menschengeschlecht.<br />

So ist das Heil gegenwärtig,<br />

wo immer Heilung geschieht, - wie<br />

bruchstückhaft auch immer. Aber dass<br />

diese potentielle Begegnung mit der<br />

Erlösung auch konkret und persönlich<br />

wird, das geschieht nicht von selbst. Es<br />

muss von denen, die darum wissen, artikuliert<br />

werden, es muss bezeugt werden.<br />

Das erfordert die Verkündigung des<br />

Evangeliums, das Erzählen der Heilsgeschichte,<br />

die in Kreuz und Auferstehung<br />

Jesu Christi ihren Höhepunkt hat als<br />

Heilung wird zu einer<br />

eindeutig christlichen<br />

Angelegenheit erst,<br />

wenn sie potentiell<br />

die Begegnung mit<br />

dem Heil und der<br />

Erlösung zu beinhalten<br />

vermag.<br />

Ausdruck von Gottes erbarmender Liebe<br />

für die Menschen, einer Liebe, die auch<br />

noch jenseits des Todes Bestand hat.<br />

Es ist durchaus kein Zufall, dass die<br />

Kirchenväter der frühen Kirche von<br />

<strong>Christus</strong> unter anderem `als dem Arzt`<br />

(<strong>Christus</strong> medicus) sprachen und folglich<br />

die Errettung als Gesundwerdung<br />

für das ewige Leben begriffen. In <strong>Christus</strong><br />

sahen sie die zeitliche Heilung und<br />

die ewige Errettung vereint, - in ihm<br />

allein. Sein Dienst brachte die Versöhnung<br />

mit Gott, der Quelle des Lebens,<br />

wofür das Heilwerden als Zeichen galt.<br />

Neben Schöpfung, Sündenfall und<br />

Erlösung ist noch ein anderer Aspekt in<br />

Betracht zu ziehen, wenn theologisch<br />

<strong>MMH</strong>-report 11


verantwortungsbewusst über Heilung<br />

nachgedacht werden soll. Etwas sehr<br />

Sonderbares erscheint auf der Bildfläche,<br />

etwas, was sonst allgemein nicht<br />

mit Heilung in Verbindung gebracht<br />

wird, nämlich: Gemeindebau. Wie die<br />

Beobachtung zeigt, führt Heilung zu so<br />

etwas wie Gemeindebildung. Das trifft<br />

nicht nur auf religiöse Heilungsaktivitäten<br />

zu sondern genau so auch auf säkulare<br />

Heilungsbewegungen. Zu denken<br />

ist z.B. an die Homöpathie, die Pflanzenheilkunde,<br />

die anthroposophische<br />

Medizin, die Chiropraxis, die holistische<br />

Medizin oder die akademische Medizin.<br />

Zwischen den einzelnen Lagern tobt ein<br />

Glaubenskrieg, der in seinen Anathemata<br />

(oder Verdammungen) genau so<br />

verbissen geführt wird, wie die Glaubenskriege<br />

zur Zeit der Reformation, nur<br />

mit etwas verfeinerten Methoden. Doch<br />

warum all diese Verbissenheit?<br />

Heilung – und das gilt für alle Arten<br />

von Heilung trifft aber in den klassischen<br />

Grenzfällen der sogenannten<br />

Glaubensheilungen besonders deutlich<br />

zutage - Heilung ist ein zu beobachtender,<br />

körperlich erfahrbarer Vorgang, der<br />

allerdings nur bis zu einem gewissen<br />

Grad `objektiviert` werden kann. Heilung<br />

wird attestiert, wird bezeugt. Um<br />

zwei extreme Beispiele zu nennen: Eine<br />

bis dahin kranke Person fühlt sich auf<br />

Grund wiedergewonnener Kraft gesund,<br />

obwohl sie auf Grund der Laborwerte<br />

in den Augen der Ärzte und Schwestern<br />

Hinweisschild auf eine Heilungskirche in afrika, Foto: Peter Wilson /WCC.<br />

weiterhin als krank gilt; oder: Experten<br />

erklären eine Person für gesund,<br />

während sich diese noch sehr krank<br />

fühlt. Der Grund, warum Selbsteinschätzung<br />

und medizinischer Befund so<br />

weit auseinander klaffen können, liegt<br />

darin, dass plausible Erklärungen und<br />

begreifbare Interpretationen eines Heilungsgeschehens<br />

keineswegs zwingend<br />

sein müssen. Und es hat mit solcher<br />

Art Zeugnis zu tun, dass Heilungsbewe-<br />

12<br />

<strong>MMH</strong>-report<br />

gungen zur `Glaubens-angelegenheit`<br />

werden. Das führt dann schließlich zur<br />

Gemeindebildung.Theologisch ist daher<br />

eine nüchterne Pneumatologie erforderlich,<br />

die dazu befähigt, die Geister zu<br />

unterscheiden.<br />

Die Notwendigkeit zur Unterscheidung<br />

der Geister muss hier besonders betont<br />

werden, denn viele der hochgepriesenen<br />

Heilungsbemühungen halten nicht<br />

das, was sie versprochen haben. Sie<br />

verkehren sich oft ins Gegenteil. Sie<br />

zerstören Leben, und das wirkt sich<br />

außer auf die einzelne Person auch auf<br />

das Leben der Gemeinschaft aus. Wie<br />

bereits erwähnt, führt das in manchen<br />

Kulturen dazu, dass bei auftretender<br />

Krankheit in bestimmten Kreisen Ängste<br />

heraufbeschworen werden, weil jeder<br />

als schuldig bezeichnet werden kann,<br />

die Krankheit eventuell verursacht zu<br />

haben. Und was passiert, wenn die<br />

moderne wissenschaftliche Medizin sich<br />

selbst und ihren Apparaten überlassen<br />

bleibt und Geburt und Tod von Menschen<br />

einfach nur technische Probleme<br />

sind? Hier bedeutet die „Unterscheidung<br />

der Geister“ vor allem, das nötige<br />

kritische Bewusstsein zu bewahren, ob<br />

Heilung wirklich eintritt.<br />

Alle diese Aktivitäten müssen entsprechend<br />

ihrem Anspruch hinterfragt werden,<br />

– sie müssen auf Grund von Fakten<br />

verifizierbar sein. Doch dieses ist nur<br />

ein Aspekt, wenn es um Prüfung der<br />

Geister geht.<br />

Ein anderer wäre die Kirche selbst.<br />

In diesem Fall könnte die Unterscheidung<br />

der Geister eine äußerst sensitive<br />

Angelegenheit werden. Doch wenn<br />

sie vernünftig erfolgt, könnte das die<br />

Kirchenoberen davor bewahren, die<br />

Heilungsphänomene ausschließlich zu<br />

einer Machtfrage werden zu lassen. Ferner<br />

kann es sie zugleich davor bewahren,<br />

zu schnell ein Verdammungsurteil<br />

auszusprechen oder anderen Häresie zu<br />

Kann nicht der<br />

Heilungsauftrag<br />

(Mt.10,1; Lk.9,1;10,9)<br />

als die Entfaltung<br />

des Missionsbefehls<br />

in die Leiblichkeit<br />

verstanden werden?<br />

unterstellen. Alle kirchlichen Autoritäten<br />

sollten sich die Frage stellen, ob<br />

die Charismatiker und ihre Heilungen<br />

Leben fördern oder behindern. Eine solche<br />

weise Unterscheidung der Geister<br />

würde sie frei machen für eine wirklich<br />

sachgemäße Entscheidung. Wenn von<br />

Pneumatologie gesprochen wird, kommt<br />

man an der Frage der Charismen bzw.<br />

der Gaben des Heiligen Geistes nicht<br />

vorbei, zumal Heiler oft beanspruchen,<br />

solche Gaben empfangen zu haben.<br />

Wie bereits angedeutet: Charismatiker<br />

kümmern sich kaum oder gar nicht um<br />

Institutionen und kirchliche Regelungen.<br />

Da sie nicht reglementiert werden können,<br />

sollten sie integriert werden, wie<br />

das schon in Korinth (siehe 1. Kor.12)<br />

der Fall war. Zu denken ist auch an Markus<br />

Kap.9,38ff wo Johannes der Apostel<br />

bemerkt: „Rabbi, wir sahen einen<br />

Mann, der in deinem Namen Geister<br />

austrieb, und wir sagten ihm, er solle<br />

damit aufhören, denn er gehört nicht zu<br />

uns.“ Worauf Jesus antwortete: „Haltet<br />

ihn nicht davon ab. Niemand, der in<br />

meinem Namen ein Wunder tut, kann im<br />

nächsten Augenblick etwas Böses über<br />

mich sagen.“ Diese Art, das Heilungs-<br />

Charisma zu integrieren, wird zur wahren<br />

Herausforderung, denn das führt zu<br />

einer u.U. harschen Kritik<br />

nicht nur an den bestehenden<br />

kirchlichen Strukturen<br />

und Grundsätzen,<br />

sondern auch daran, wie<br />

die Kirche ihren Auftrag<br />

und Dienst bisher wahrgenommen<br />

hat. Heilung<br />

kann durchaus also zu<br />

einem Glaubwürdigkeitstest<br />

für das Evangelium<br />

werden. Es bewahrt die Verkündigung<br />

des Evangeliums vor einer falschen Spiritualisierung<br />

der Botschaft, in dem es<br />

die `leibhaftige` Seite des Lebens mit<br />

einbezieht. Kann nicht der Heilungsauftrag<br />

(Mt.10,1; Lk.9,1;10,9) als die<br />

Entfaltung des Missionsbefehls in die<br />

Leiblichkeit verstanden werden? Um<br />

eine denkwürdige Aussage Tertullians<br />

(ca.160-220) aus seiner Abhandlung<br />

über „Die Auferstehung des Fleisches“


zu zitieren: „Der Leib ist der<br />

Dreh-und Angelpunkt des Heils<br />

(caro cardo salutis; c.viii,6).<br />

Das Evangelium ist der Ruf zu<br />

einer authentischen Inkarnation,<br />

denn die Kirche muss<br />

ihrem Herrn folgen, dem ewigen<br />

Logos, dem Wort Gottes,<br />

das wirklich Fleisch wurde und<br />

Gestalt annahm. Eine solche<br />

authentische Inkarnation wird<br />

die Wiederentdeckung und die<br />

Umgestaltung überlieferter<br />

Formen der Liturgie und der<br />

Sakramente sowie der Gottesdienste<br />

zur Folge haben,<br />

– dessen bin ich mir sicher.<br />

Trotz allem Enthusiasmus<br />

angesichts dieser Vision darf<br />

man aber nicht vergessen,<br />

dass man über Heilung nicht<br />

nach Gutdünken verfügen kann. Heilung<br />

kann nicht garantiert werden, weder<br />

durch die moderne medizinische Wissenschaft,<br />

noch durch Ngangas, Shamanen<br />

oder Medizinmänner, noch durch<br />

Handauflegung oder durch Gebet. Heilung<br />

wird erhofft und erwartet, immer<br />

darauf vertrauend, dass die Experten<br />

ihr Bestes geben. Aber am Ende wird<br />

alles darauf ankommen, wie sich die<br />

Lebenskräfte im von Krankheit gezeichneten<br />

Körper reaktivieren lassen. Aber<br />

genau über dieses entscheidende Element<br />

können Menschen nicht verfügen.<br />

Heilung ist ein<br />

Vorgeschmack dessen,<br />

was Gott letzlich an<br />

allen geschehen lassen<br />

möchte, – auch an<br />

denen, die jetzt keine<br />

Heilung erfahren.<br />

Heilung kann den vorzeitigen Tod verhindern,<br />

nicht aber den Tod als solchen.<br />

Heilung gewährt eine Verlängerung des<br />

Lebens um eine bestimmte Spanne Zeit<br />

und bietet so weitere Möglichkeiten, das<br />

Leben zu leben. Nach christlicher Interpretation<br />

ist Heilung ein Zeichen des<br />

Reiches Gottes (siehe Lk.10,9) in der<br />

Erwartung des Zukünftigen, was heißt:<br />

es ist ein Vorgeschmack dessen, was<br />

Gott letzlich an allen geschehen lassen<br />

möchte, – auch an denen, die jetzt keine<br />

Heilung erfahren. Es ist aber eben<br />

nur ein Vorgeschmack. Christen sollen<br />

Zeugnis geben für den lebendigen Gott,<br />

aber sie haben über die Heilung als eine<br />

machtvolle Demonstration der Erlösung<br />

Evangelisations- und Heilungsversammlung in nigeria. Foto: Cfan<br />

keine Verfügungsgewalt. Sobald sie das<br />

meinen, wird ihr Glauben zu einer religiösen<br />

Machtdemonstration und Heilung<br />

ein Mittel zum Zweck, und damit kommt<br />

dem lebendigen Gott die ihm gebührende<br />

Ehre nicht mehr zu.<br />

Christen sollten nicht versuchen, Gottes<br />

Offenbarung zu manipulieren. Sie<br />

sollen von dieser Offenbarung Zeugnis<br />

ablegen, nichts weiter. Indem Christen<br />

das bewusst anerkennen, lassen sie<br />

Gott wirklich Gott sein, - Heilung nicht<br />

nur dankbar anerkennend, wenn sie<br />

geschenkt wird, sondern auch den Menschen<br />

zur Seite stehend, wenn das, was<br />

diese sich wünschen, nicht eintrifft.<br />

Es besteht eine unleugbare Kluft zwischen<br />

den Aussagen des Evangeliums<br />

- Jesus heilte alle möglichen Krankheiten<br />

und sandte seine Jünger aus, es ihm<br />

gleich zu tun und wie in der Offenbarung<br />

verheißen wird, dass es schließlich kein<br />

Leid und keine Krankheit mehr geben<br />

wird (siehe Offbg.21,3ff) – und den Heilungen,<br />

die Menschen heute erleben,<br />

aber doch nur gelegentlich erfahren.<br />

Es gibt bereits im Matthäus-Evangelium<br />

einen Hinweis darauf, dass selbst<br />

die Jünger mit so etwas fertig werden<br />

mussten. Der enttäuschte Vater des<br />

epileptischen Kindes beschwerte sich<br />

bei Jesus: „Ich habe ihn deinen Jüngern<br />

gebracht, aber sie konnten ihn nicht<br />

heilen.“ (Mt.17,16) Es ist also allein die<br />

eschatologische Perspektive, die es den<br />

Menschen ermöglicht, mit einer solchen<br />

Situation fertig zu werden, ohne völlig<br />

hilflos zu resignieren. Sie verdeutlicht<br />

ihnen, was hier und heute realistischerweise<br />

erreicht werden kann und was<br />

nicht. Und das befreit von lähmender<br />

Resignation wie von allem falschen<br />

Enthusiasmus. Das Wissen um die<br />

eschatologische Dimension motiviert<br />

die Christen, sich der Nöte hier und heute<br />

anzunehmen und gefährdetes Leben<br />

zu stärken, ohne den Versuch, Gott spielen<br />

zu wollen.<br />

Um das Gesagte zusammenzufassen:<br />

Eine verantwortliche theologische<br />

Interpretation des Heilungsgeschehens<br />

erfordert eine Revision der gesamten<br />

etablierten christlichen Theologie, denn<br />

diese Themenstellung berührt die<br />

Schöpfung und die Erlösung, das Verständnis<br />

des Sündenfalls und der Situation<br />

des Menschen (vor allem im Blick<br />

auf seine Leiblichkeit, die anthropologischen<br />

Aspekte betreffend), berührt Person<br />

und Wirken Jesu Christi (Christologie),<br />

die Ekklesiologie, die Pneumatologie<br />

und die Eschatologie. Wenn Heilung<br />

theologisch wirklich ernst genommen<br />

werden soll, dann zwingt es einen dazu,<br />

die ganze Theologie neu zu überdenken.<br />

Billiger geht es nicht. Das ist tatsächlich<br />

eine riesige Aufgabe,die nicht zuletzt<br />

auch erklärt, warum Theologen sich<br />

davor drücken sich ihr zu stellen.<br />

iii. Die ökumenische Gemeinschaft und<br />

das Thema der Heilung<br />

Die Tatsache, dass das Thema Heilung<br />

innerhalb der ökumenischen Gemeinschaft<br />

lebendig und allgegenwärtig ist,<br />

macht es bei allen ekklesiologischen,<br />

pastoralen und theologischen Erwägungen<br />

zu einer wirklichen Priorität.<br />

Gleichzeitig ist es diese ökumenische<br />

Gemeinschaft, die das Potential besitzt,<br />

diese riesige Aufgabe erfolgreich zu<br />

gestalten. Die große Bandbreite von<br />

Kulturen, Sprachen, Gebräuchen, Liturgien<br />

und Glaubensbekenntnissen, die in<br />

ihr vertreten sind, kann als einzigartige<br />

Chance angesehen werden, wenngleich<br />

auch das nicht ohne besondere<br />

Probleme ist. Doch sobald man sich<br />

über die Natur dieser Probleme Klarheit<br />

verschafft hat, gibt es gute Gründe für<br />

sinnvollen Austausch und fruchtbare<br />

Zusammenarbeit.<br />

Zunächst wäre es nötig, sich angesichts<br />

aller derzeitigen Heilungsaktivitäten<br />

innerhalb der verschiedenen Kirchen<br />

<strong>MMH</strong>-report 13


einen genauen Überblick zu verschaffen,<br />

der zu einer auf Fakten basierenden<br />

Bestandsaufnahme führt und dokumentiert,<br />

was wirklich läuft. Eine solche<br />

Bestandsaufnahme sollte eine Gruppe<br />

von Leuten aus den jeweiligen Kirchen<br />

durchführen (falls möglich durch Fachleute<br />

ergänzt), wobei sie im Blick auf<br />

Form und Inhalt einer solchen Umfrage<br />

gewisse Vorgaben bekämen. Diese<br />

Aufgabe sollte idealerweise von jemandem<br />

aus der Abteilung „Mission und<br />

Evangelisation“ des Ökumenischen Rats<br />

der Kirchen in Genf koordiniert werden,<br />

oder von einer anderen ökumenischen<br />

Abteilung mit Verbindungen in alle Welt.<br />

Sobald genügend Material vorhanden<br />

„ Contact“, eine zeitschrift des Weltrates der Kirchen,<br />

Deutsche ausgabe, 3/2002.<br />

ist, könnte dieses regelmäßig zu<br />

aktualisierender Zusammenstellung<br />

veröffentlicht werden. Das würde nicht<br />

nur Klarheit bringen im Blick auf die vielen<br />

und vielfältigen Heilungsaktivitäten<br />

innerhalb der Kirchen; es könnte auch<br />

vieles zusammen führen und würde eine<br />

bessere Kommunikation untereinander<br />

ermöglichen. Um das zu verwirklichen,<br />

könnte man sich z.B. mit David B. Barrett<br />

von der Regent Universität (Virginia<br />

Beach, Virginia US) in Verbindung setzen,<br />

und sich des Materials von Institutionen<br />

bedienen, die eine ähnliche<br />

Zielrichtung verfolgen; oder man könnte<br />

sich des Internets bedienen (und da<br />

z.B. die vom ÖRK zusammengestellte<br />

Web-Seite der `Kirchen-Such-Maschine`<br />

unter: http://wcc- coe.org/wcc/links/<br />

search.html ). Das würde Geld sparen<br />

und den Prozess beschleunigen.<br />

14<br />

<strong>MMH</strong>-report<br />

Parallel zu diesem die Kirchen einbeziehenden<br />

Prozess zur Sammlung<br />

von Daten sollten wissenschaftlich<br />

geschulte Leute (u.a. Bibliothekare),<br />

eine repräsentative, mehrsprachige<br />

und fachbereichsübergreifende Bibliographie<br />

zu diesem Thema erarbeiten<br />

(gedruckt oder digitalisiert). Das<br />

System, nach dem dabei verfahren wird,<br />

müsste während des Arbeitsprozesses<br />

weiterentwickelt werden, wobei alles<br />

mit einbezogen wird, was zu diesem<br />

Thema andernorts bereits erarbeitet<br />

worden ist. Die einzelnen Kapitel bzw.<br />

Teile dieser Bibliographie könnten folgendermaßen<br />

gegliedert werden: nach<br />

Ländern, Kulturen, Kirchen, Aktivitäten,<br />

therapeutischen Milieus, angewandten<br />

Methoden, nach den betreffenden<br />

handelnde Personen, den Krankheiten,<br />

die geheilt wurden usw. Eine<br />

solche Bibliographie zusammen mit<br />

der anderen Studie über die Heilungsaktivitäten<br />

als solche könnte als wertvolle<br />

Datenbank dienen, die, richtig<br />

gebraucht, Einsichten ermöglicht, die<br />

sonst nirgendwo zu haben sind. Dieses<br />

Material versetzt die Kirchen in die<br />

Lage – und alle sonst noch an diesem<br />

Thema Interessierte –, auf zuverlässiges<br />

Material zurück greifen zu können.Zuverlässige<br />

Informationen sind<br />

tatsächlich seit langem der Wunsch<br />

all derer, die sich mit dem Thema Heilung<br />

beschäftigen, besonders wenn<br />

es sich um das Sammeln relevanter<br />

Daten handelt. Medizinanthropologen<br />

haben dazu bemerkt: „Anekdoten<br />

dienen oft als Ersatz für harte Fakten...<br />

Viele `Beweise` für die Wirksamkeit<br />

populärer Behandlungsmethoden<br />

sind von fragwürdigem Wert. Bevor<br />

überzeugende Antworten (zur Heilung)<br />

gegeben werden können, brauchen<br />

wir weit mehr vollständige Daten und<br />

besonders gute Fallbeispiele, bei<br />

denen der Grad einer gründlichen und<br />

kritischen Analyse und die daraus sich<br />

ergebenden Schluss-folgerungen über<br />

das hinausgehen, was gewöhnlich verfügbar<br />

ist.“ 6<br />

Diese Einwände gelten auch für vieles<br />

von dem, was an Material durch Missionen<br />

und Kirchen zu uns kommt. Um<br />

hier glaubwürdig zu werden, muss eine<br />

bestimmte Form der Berichterstattung<br />

geschaffen werden, die ganz gezielt die<br />

bisherigen zutage getretenen Mängel<br />

bei der Sammlung von Daten berücksichtigt.<br />

Um das zu erreichen, muss<br />

man aber glücklicherweise nicht bei<br />

Null anfangen. Man könnte sich beispielsweise<br />

der Kriterien des `Bureau<br />

Medicales` in Lourdes, Frankreich,<br />

bedienen, wenn es darum geht, eine<br />

Wunderheilung zu beurteilen. Das Erfordernis<br />

eines medizinischen Befundes<br />

zur Krankheit, an der der Patient leidet,<br />

ist dabei z.B. eines der Kriterien. Ein<br />

weiteres Kriterium ist, dass ein Patient,<br />

sobald er bezeugt, geheilt worden zu<br />

sein, eine weitere ärztliche Bescheinigung<br />

vorlegen muss, die dies bestätigt.<br />

Während diese Kriterien einigermaßen<br />

vernünftig erscheinen, stößt man aber<br />

bei der Frage der interkulturellen Hermeneutik<br />

sofort auf schwerwiegende<br />

Probleme. Einige der problematischsten<br />

Fragestellungen zu diesem Punkt werden<br />

von Foster und Anderson in ihrer<br />

`Medical Anthropology` angesprochen:<br />

„Die Wirksamkeit eines medizinischen<br />

Systems ist nicht leicht zu evaluieren;<br />

es gibt keine weltweit anerkannten<br />

Maßstäbe dafür, und die persönliche<br />

Voreingenommenheit oder die jeweilige<br />

Erwartungshaltung derer, die das<br />

begutachten sollen, unterscheiden sich<br />

beträchtlich. Es gibt noch nicht einmal<br />

Übereinstimmung darüber, was eigentlich<br />

beurteilt werden soll... Was also die<br />

Wirksamkeit bestimmter Heilmethoden<br />

anbetrifft, müssen wir zugestehen, dass<br />

unsere Daten dürftig sind.“ 7 Von daher<br />

stellt sich die Frage, wie zuverlässige<br />

Daten zu bekommen sind und wie<br />

Heilungen nach übereinstimmenden<br />

Kriterien begutachtet werden können.<br />

Die Zusammenstellung entsprechender<br />

Verzeichnisse zu den gebräuchlichen<br />

Begriffen ist sicher ein Weg, um dieses<br />

Ziel zu erreichen. Diese Bemühungen<br />

sollten sich zuerst auf semantische Fragestellungen<br />

richten wie z.B. : Was sind<br />

eigentlich die Begriffe, die gebraucht<br />

werden, wenn es darum geht, `Heilung`,<br />

`Krankheit`, `Unwohlsein`, `Behandlung`<br />

in den verschiedenen Kulturen<br />

auszudrücken? Was genau heißt es,<br />

wenn von `Zauber Krankheit`, von `Exorzismus`,<br />

von `Wunderheilung` gespro-<br />

Wenn Heilung<br />

theologisch wirklich<br />

ernst genommen<br />

werden soll, dann<br />

zwingt es einen dazu,<br />

die ganze Theologie<br />

neu zu überdenken.<br />

chen wird? Wenn man diese Fragen<br />

thematisiert, heißt das nicht, eine ein<br />

für alle mal gültige Antwort zu erwarten.<br />

Eine solche Antwort wird gar nicht möglich<br />

sein, höchstens vielleicht auf der<br />

meta-theoretischen Ebene. Was damit<br />

aber erreicht werden soll, ist, die Fragestellung<br />

als solche ins Bewusstsein zu<br />

rufen, um damit zu einem gegenseitigen<br />

Verständnis zu kommen und sich die<br />

beträchtlichen Unterschiede und die


„Komm, Heiliger Geist, heile und versöhne!“<br />

Einladungsposter Weltmissionskonferenz athen 2005.<br />

große Vielfalt im Umgang mit Heilung<br />

bewusst zu machen.<br />

Ein anderer Weg, um zu vergleichbaren<br />

Daten zu gelangen, wäre der von Feldstudien<br />

und gründlichen interdisziplinären<br />

Studien. Diese könnten im ökumenischen<br />

Kontext durchgeführt werden und<br />

sich auf bestimmte Regionen, Kirchen<br />

und die unterschiedlichen Aspekte<br />

der vielfältigen Heilungsaktivitäten<br />

konzentrieren. Dabei sollte die Zusammenarbeit<br />

mit Sozial-Anthropologen<br />

und besonders auch der Dialog mit dem<br />

medizinischen Establishment gesucht<br />

werden. Andernfalls könnten die entsprechenden<br />

Bemühungen Gefahr<br />

laufen, als etwas Exotisches und Mysteriöses<br />

gebrandmarkt zu werden, oder,<br />

um es noch deutlicher zu sagen, von der<br />

gebildeten Öffentlichkeit weitgehend<br />

als irrelevant betrachtet zu werden. Wird<br />

dieser Dialog vermieden, setzt man sich<br />

der Gefahr aus, an den Rand gedrängt<br />

zu werden und die entsprechenden<br />

Vorwürfe als berechtigt erscheinen zu<br />

lassen, anstatt die Kritiker herauszufordern.<br />

Weiter muss man sich darüber im<br />

klaren sein, dass kaum ein Mediziner<br />

dazu neigt, sich auf einen Dialog über<br />

Heilung einzulassen, wie denn Artur<br />

Kleinmann, medizinischer Anthropologe<br />

in Harvard, gesagt hat: „Für klinische<br />

Mediziner ist Heilung ein Begriff, dessen<br />

man sich schämt. Er legt die archaischen<br />

Wurzeln von Medizin und Psychiatrie<br />

frei, die meistens unter der biomedizinischen<br />

Wissenschaftsfassade moderner<br />

Gesundheitsversorgung verborgen wird.<br />

Es zeigt, wie wenig wir eigentlich über<br />

die zentralste Funktion klinischer Tätigkeit<br />

wissen. Das passt gut zur Kritik<br />

seitens der Patienten und all derer, die<br />

sich der modernenMedizin bedienen. Es<br />

stellt die Frage nach menschlichen Werten<br />

und nach dem Sinn all dessen, was<br />

nicht einfach auf technische Probleme<br />

reduziert und einfach mit biologischen<br />

Argumenten beantwortet werden kann.<br />

Das aber nimmt uns die Illusion, dass<br />

die biomedizinische Forschung die einzige<br />

wissenschaftliche Methode in der<br />

Gesundheitsfürsorge ist. Stattdessen<br />

macht die Frage nach Heilung deutlich,<br />

dass vieles im Bereich der klinischen<br />

Wissenschaft aus der Perspektive der<br />

Sozialwissenschaften angegangen<br />

werden kann.“ 8 Indem wir uns das<br />

vergegenwärtigen, müssen wir ganz<br />

bewusst versuchen, das medizinische<br />

Establishment bei dieser Fragestellung<br />

von Beginn an voll mit einzubeziehen,<br />

was ein hohes Maß an interdisziplinärer<br />

Kompetenz erfordert. Freilich wäre es zu<br />

optimistisch zu erwarten, dass das überall<br />

möglich ist. Ich erwähne das aber<br />

deswegen, damit vielleicht einige sich<br />

dieses besonderen Aufgabenbereichs<br />

annehmen können.<br />

Schließlich: Was ist das zu erwartende<br />

Ergebnis all dieser Bemühungen? Könnte<br />

es in der Begründung eine `Theologie<br />

der Heilung`gipfeln? Das bezweifle ich<br />

sehr und ich würde auch vor einem<br />

solchen Versuch ausdrücklich warnen.<br />

Während das Heilungsgeschehen durchaus<br />

theologisch interpretiert werden<br />

kann, ist es nicht Heilung, die die Theologie<br />

begründet. Theologie ihrem Wortsinn<br />

nach, ist die kritische Reflexion der<br />

Kirche, ihres Dienstes und die verständliche<br />

Erforschung des Wortes Gottes; die<br />

Theologie soll der Welt die Offenbarung<br />

des Heils verständlich machen, von<br />

der Heilung nur ein Element ist. Wenn<br />

sich die Theologie lediglich mit Heilung<br />

befasst, engt sie den Reichtum von Gottes<br />

Offenbarung ein. Stattdessen sollten<br />

sich Christen um eine unvoreingenommene<br />

theologische Haltung zum Thema<br />

Heilung bemühen und – wo immer möglich<br />

– um die Integration der jeweiligen<br />

Aktivitäten in den gesamten Dienstauftrag<br />

der Kirche. Wenn das gelingt, ist<br />

viel erreicht.<br />

Die Gedankenfülle sei abschließend<br />

in 7 Thesen zusammengefaßt:<br />

1. Heilung als solche ist kein ausschließlich<br />

christliches Thema und Anliegen.<br />

2. Heilung ist heute in einem bis dahin<br />

in der Menschheitsgeschichte nicht<br />

gekannten Ausmaß verfügbar, – und<br />

zwar dank wissenschaftlich begründeter<br />

Medizin, Pharmakologie und Therapie.<br />

3. Die Notwendigkeit Heilung christlich<br />

zu deuten, ist im heilenden Dienst Jesu<br />

und dem biblischen Auftrag begründet<br />

(Mt.10,8; Lk.9,2;10,9). Darüber hinaus<br />

nötigt das derzeitge, überaus reichliche<br />

Vorhandensein von Heilung und Heilungsbewegungen<br />

innerhalb der ökumenischen<br />

Gemeinschaft der Kirchen dazu.<br />

4. In gewisser Weise kann Heilung zum<br />

Maßstab für die Glaubwürdigkeit der<br />

Evangeliumsverkündigung werden,<br />

weil sie den leiblichen Aspekt und die<br />

Erfahrungswirklichkeit der Evangeliums-<br />

Botschaft betont.<br />

5. Heilung kann sehr wohl christlich<br />

verstanden und interpretiert werden,<br />

wenn dabei die Lehre von der Trinität<br />

voll berücksichtigt wird.<br />

6. Wer Heilung ernst nimmt, muss sich<br />

auf einen intensiven Dialog mit dem<br />

medizinischen, theologischen und<br />

ekklesiologischen Establishment einlassen.<br />

7. Die Aufgabe besteht nicht darin, eine<br />

Theologie der Heilung zu entwickeln,<br />

sondern einen Beitrag zur unvoreingenommenen<br />

Akzeptanz derselben seitens<br />

der Kirchen sowie zur nüchternen<br />

theologischen Reflexion durch die Theologie<br />

zu leisten.<br />

Anmerkungen<br />

1) Offner, Charles B./ van Straelen, H., Modem Japanese<br />

Religions - with special emphasis upon their doctrines of<br />

healing, Leiden 1963<br />

2) Vgl. Bantu Prophets in South Africa, London ²1961<br />

The Challenge of the Independent Churches, in:<br />

Missionalia, Journal of the South African<br />

Missiological Society, Pretoria, Vol.11, No.3, 1983<br />

Zulu Zion and some Swazi Zinonists, London 1976<br />

Weitere Literaturhinweise in Chr. H. Grundmann, Leibhaftigkcit<br />

des Heils, Hamburg/London 1997, p 255-258<br />

3) EPS 86.06.33<br />

4) E.Milingo, The World in Between - Christian Healing<br />

and the Struggle for Spiritual Survival, London 1984,<br />

front flap and pp. 1-13<br />

5) D.B.Barrett, World Christian Encyclopaedia,<br />

Nairobi 1982, S. 815, zählt 5980 schon 1980, 20 Jahre<br />

später ist die Zahl gestiegen, aber es gibt noch zu wenig<br />

Untersuchungen.<br />

6) G.M.Foster/B.G.Anderson, Medical Anthropology,<br />

New York 1978, p 126<br />

7) I bid. S. 124 f<br />

8) Patients and Healer in the Context of Culture, Berlely /<br />

Los Angeles / London 1980, S. 312<br />

Übersetzung aus dem Englischen: Karl Lagershausen<br />

Christoffer H. Grundmann,<br />

Prof. Dr. theol., 1979-1983<br />

Dozent am Tamilnadu Theological<br />

Seminary, Madurai/lndien;<br />

1983-1992 Theologischer<br />

Referent am Deutschen Institut<br />

für ärztliche Mission (DIFÄM)<br />

und Krankenhausseelsorger in<br />

der Paul-Lechler-Tropenklinik,<br />

Tübingen.<br />

1992- 1999 Hochschulassistent<br />

am Seminarfür Missions- und Religionswissenschaften<br />

der Universität Hamburg mit den Forschungsschwerpunkten<br />

Heilung als Dimension des christlichen Glaubens<br />

und ärztliche Mission.<br />

1999-2001 stellvertretender Direktor des „Zentrums<br />

für Gesundheitsethik“an der Evang. Akademie Loccum,<br />

Hannover.<br />

Seit 2001 Professor an der Universität Valpareiso/USA,<br />

Inhaber des John R. Eckrich Lehrstuhls in Religion and<br />

Healing Arts.<br />

Zahlreiche Fachveröffentlichungen, Buch- und Lexikabeiträge,<br />

unter anderem: Gesandt zu heilen! Aufkommen<br />

und Entwicklung der ärztlichen Mission im neunzehnten<br />

Jahrhundert. Gütersloh: 1992. Leibhaftigkeit<br />

des Heils. Hamburger Theologische Studien Bd.11,<br />

Hamburg 1997.<br />

<strong>MMH</strong>-report 15


Hermann-Josef Beckers<br />

Heil und Heilung<br />

Öffentliche Geistheilung als TV-Spektakel; Geistheiler als<br />

Reiseattraktion; feinstoffliche Heilweisen als Lehrinhalte;<br />

„Therapiebedürftigkeit der Medizin“. Die Stichworte ließen<br />

sich vermehren, die darauf aufmerksam machen, dass viele<br />

Menschen der auffassung sind, mit unserem Gesundheitssystem<br />

sei etwas nicht in Ordnung. Die geistig-spirituelle<br />

Dimension müsse in Betracht gezogen werden. nur so sei<br />

den vielfältigen Erfahrungen von Unheil und Krankheit beizukommen.<br />

Der Mensch versucht sich von den Plagen und<br />

ausweglosigkeiten, die seit jeher sein Dasein bestimmen,<br />

zu befreien.<br />

auf vielen Gebieten wurden beachtliche<br />

Erfolge erzielt. Doch die Bemühungen<br />

um Selbsterlösung haben<br />

viele böse, nie gedachte Folgen nach sich<br />

gezogen (vgl. Pompey 1985 1):<br />

• die Zerstörung des Lebensraumes<br />

(z.B. das Wald- und Flusssterben),<br />

• die Zellwucherung des Krebses,<br />

• die Zunahme psychosomatischer Erkran-<br />

kungen (z.B. Herzerkrankungen und<br />

Kreislaufzu-sammenbrüche),<br />

• das Zerreißen von emotionalen Lebens-<br />

räumen (Ehe- und Familienzerwürfnisse),<br />

• die Ausbreitung von seelischen Erkran-<br />

kungen (Depression, Ängste, Hoffnungs-<br />

und Sinnlosigkeit usw.).<br />

Die Frage nach den Ursachen und nach<br />

dem Sinn, der möglicherweise hinter den<br />

Unheilserfahrungen steckt, hat die Menschen<br />

zu allen Zeiten bewegt. Einer der<br />

ältesten Erklärungsversuche ist der jüdischchristliche,<br />

der Unheil als eine „Störung<br />

fundamentaler, natürlicher und zwischenmenschlicher<br />

Beziehungen“ (Ökologie)<br />

beschreibt.<br />

Nach der biblischen Offenbarungstradition<br />

zweifelte der Mensch an dem Gutsein<br />

des inneren Logos (Oiko-Logos) und des<br />

äußeren Logos (Theo-Logos). Der Mensch<br />

wollte seine „Wirk“lichkeit, d.h. seine<br />

Lebenswahrheit (in der Philosophie auch<br />

ontologische Wahrheit genannt) und die<br />

16<br />

<strong>MMH</strong>-report<br />

Die auferweckung des Lazerus,<br />

Skulpturensammlung und Museum<br />

für Byzantinische Kunst,<br />

Foto: Jürgen Liepe.<br />

Schöpfung mit ihren Möglichkeiten und<br />

Grenzen nicht bejahen. Die Folge dieses<br />

Grundmisstrauens war:<br />

• eine radikale Beziehungsstörung des<br />

Menschen zu sich: er erkannte, dass er<br />

nackt war (Genesis),<br />

• eine radikale Beziehungsstörung zum<br />

Nächsten: Adam und Eva beschuldigten<br />

sich gegenseitig (Genesis 3,12), und<br />

• eine radikale Beziehungsstörung zur<br />

Schöpfung: die Mühsal der täglichen<br />

Arbeit und des Lebens in der Familie<br />

(Genesis 3,16-19); (vgl. Pompey).<br />

Die Unstimmigkeit, die sich aus diesem<br />

Urmisstrauen des Menschen ergibt, wird<br />

verstärkt – so Pompey – durch die Grundstruktur<br />

der Bedürftigkeit des Menschen.<br />

Im Hinblick auf die von Abraham Maslow<br />

2 vorgelegte Hierarchie der Bedürfnisse<br />

merkt Pompey an: „dass die Selbstverwirklichung<br />

als das hochstehendste Bedürfnis<br />

herausgestellt wird, d.h. die Suche<br />

nach der eigenen Wahrheit, als Lebens-<br />

‘Wirk‘lichkeit. Die Bemühungen des<br />

Menschen, diese Wahrheit, d.h. die Entfaltung<br />

all seiner Möglichkeiten zu finden,<br />

sind vielfältig und von ebenso vielen<br />

Illusionen und Fehlversuchen geprägt:<br />

• die Befriedigung des körperlichen<br />

Grundbedürfnisses (1. Bedürfnisbereich)<br />

bis zu Süchtigkeit und Rausch (z.B. die<br />

Trink-, Eß- und Tablettenabhängigkeit,<br />

die Sex- und Horrorfilmsucht);<br />

• die psychosoziale Angst vor Liebes- und<br />

Achtungsverlust (3. Bedürfnisbereich)<br />

• in Verbindung mit der oft sozial blockie-<br />

renden Angst, Unabhängigkeit und<br />

Freiheit dadurch zu verlieren<br />

(4. Bedürfnisbereich), sowie<br />

• der fast unersättliche Selbstverwirklichungskult<br />

(5. Bedürfnisbereich) in<br />

Selbsterfahrungsgruppen durch Meditationstechniken<br />

und Anschluss an die<br />

verschiedensten fernöstlichen Psycho-<br />

kulte, den sogenannten Jugendreligionen.“<br />

(Pompey)<br />

Wenn Heil, wie Dorothee Sölle es einmal<br />

ausgedrückt hat, die Sehnsucht des Menschen<br />

nach Ganzsein, nach „unzerstücktem<br />

Leben“ ausdrückt, geht es bei Heilung um<br />

Leib, Seele, Umwelt und Mitwelt, um den<br />

Glauben an Gott und um die Verantwortung<br />

vor der Schöpfung. In diesem Zusammenhang<br />

stellt sich die Frage nach Spontanheilungen,<br />

die sich der Erklärbarkeit<br />

durch eine materialistische Beweisführung<br />

zumindest vorläufig entziehen. Während<br />

die Möglichkeit solcher Heilungen bei<br />

uns wohl eher bestritten wird, wird man<br />

in anderen Teilen der Welt wohl eher auf<br />

Unverständnis stoßen, wenn man derartige<br />

Selbstverständlichkeiten überhaupt in Frage<br />

stellt. Werner Hoerschelmann 3 hat im Rahmen<br />

einer Vortragsreihe in der Hamburger<br />

Hauptkirche St. Petri viele Beispiele für<br />

Glaubensheilungen in den Kirchen der<br />

Welt mitgeteilt.


Die wichtigsten Ergebnisse seiner Überlegungen<br />

hat Hoerschelmann in den<br />

folgenden – leicht modifizierten – Thesen<br />

zusammengefasst:<br />

1) Es gibt spontane Heilungen und es gibt<br />

Menschen, die sie besser hervorrufen können<br />

als andere Menschen.<br />

2) Diese Fähigkeit ist kein Ausweis von<br />

Göttlichkeit. Da derartige Heilungen sich<br />

im Bereich der geschaffenen Wirklichkeit<br />

bewegen, ist ihre Erklärbarkeit grundsätzlich<br />

auch dann anzunehmen, wenn sie<br />

heute noch nicht gegeben ist.<br />

3) Heilungswunder der Bibel sind hinweisende<br />

Zeichen des kommenden Gottesreiches,<br />

in dem alles heil sein wird.<br />

4) Die Heilungswunder der Bibel machen<br />

den Glauben nicht überflüssig, sondern<br />

sollen den Glauben an und die Hoffnung<br />

auf die Verfügungsmacht Gottes fördern<br />

und stärken.<br />

5) Mit dem Hinweis auf die alleinige Verfügungsmacht<br />

Gottes währt der Zeichencharakter<br />

der Heilungswunder bestimmte<br />

Missverständnisse ab:<br />

– das „medizinische“ Missverständnis,<br />

– das „magische“ Missverständnis,<br />

– die „Wundergläubigkeit“.<br />

6) Wunder im Sinne des Neuen Testamentes<br />

sind im Glauben an Jesus Chri-<br />

stus erkannte Zeichen der anbrechenden<br />

Auferstehungswirklichkeit inmitten einer<br />

noch vorherrschenden Kreuzesgestalt der<br />

menschlichen Existenz.<br />

7) In der Aussendungsrede (Math. 10/<br />

Luk. 10) überträgt Jesus diesen „Arbeitsstil“<br />

ausdrücklich auch auf seine Jünger:<br />

Math. 10, 8: heilt Kranke, weckt Tote auf,<br />

macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus.<br />

Luk. 10,9: heilt die Kranken, die dort sind<br />

und sagt den Leuten, das Reich Gottes ist<br />

euch nahe.<br />

8) In diesem christlichen Sinn verstandene<br />

Heilung geschieht nicht durch den Heiler,<br />

sondern durch Gott selbst.<br />

Das hat zur Folge<br />

• man traut es dem heiligen Geist zu, für<br />

den ganzen Menschen „zuständig“ zu sein<br />

• man rechnet betend auf Gottes machtvolles<br />

Eingreifen, bleibt sich aber der<br />

Unverfügbarkeit Gottes bewusst,<br />

• körperliche Heilung ist nicht Selbstzweck,<br />

sondern Hinweis auf das Reich Gottes<br />

Die große Krankenheilung, Hundertguldenblatt mit Darstellung „ <strong>Christus</strong> heilt die Kranken“, um 1648, Rembrandt<br />

Kupferstichkabinett, Staatl. Museen zu Berlin, Foto: Jörg P. anders.<br />

und zielt auf Umkehr,<br />

• Leiden gewinnt seinen Sinn aus seiner<br />

Stellung im Heilsplan Gottes.<br />

9) Jede Suggestion einer Heilungsgarantie<br />

unter christlichem Vorzeichen, sei es durch<br />

den „Heiler“, sei es durch seine Mitarbeiter/<br />

Anhänger, ist Gotteslästerung.<br />

10) Es ist ebenso gotteslästerlich, Gott keine<br />

Einwirkungsmöglichkeit auf die Heilung<br />

des Leibes zuzutrauen.<br />

11) Gründe für eine derartige Leugnung<br />

könnten sein:<br />

• die (neu)-platonische Vorstellung, der<br />

Leib sei „Kerker der Seele“<br />

• die Schwierigkeiten, ein Heilshandeln<br />

Gottes in ein naturwissenschaftliches<br />

Weltbild zu integrieren<br />

• die Angst und/oder Unfähigkeit, gezielt<br />

zu beten.<br />

Wenn Kirche den Heilungsauftrag ernst<br />

nimmt, sind Heilungen, die vorkommen,<br />

nicht Mirakel, sondern Zeichen dafür, dass<br />

die Heilszusage Gottes dem ganzen Menschen<br />

gilt. Gott im Gebet / Gottesdienst um<br />

Heilung bitten, darf und sollte nur der, der<br />

im Glauben mit der Wirklichkeit der Auferweckung<br />

für seine eigene und unser aller<br />

Existenz rechnet.<br />

Anmerkungen:<br />

1) Heinrich Pompey, Der Jugend Zukunft<br />

geben. Sozialethische Richtlinien für einen<br />

lebensentfaltenden Umgang mit jungen<br />

Menschen, Hamm 1985<br />

2) Abraham Maslow, (1908 - 1970), USamerikanischer<br />

Psychologe. Er gilt als der<br />

wichtigste Vertreter der Humanistische<br />

Psychologie, die als sogenannte „Dritte<br />

Kraft“ zwischen krankheitsorientierter<br />

Psychoanalyse und behavioristischer Verhaltenstheorie<br />

eine Psychologie seelischer<br />

Gesundheit anstrebte und die menschliche<br />

Selbstverwirklichung untersuchte.<br />

3) Werner Hoerschelmann, Evgl.Pastor, u.a.<br />

Dozent am United Theological College in<br />

Bangalore. Hauptpastor an der Hauptkirche<br />

St. Petri in Hamburg 1982-1998. Vorsitzender<br />

der Kindernothilfe e.V. Duisburg bis<br />

2003.<br />

Hermann-Josef Beckers, Dr.theol.<br />

Studium: Mathematik,<br />

Theologie, Erziehungswissenschaft,<br />

Soziologie, Psychologie.<br />

Von 1969 bis 2005 Tätigkeit in<br />

verschiedenen Arbeitsfeldern im<br />

Bistum Aachen.<br />

Derzeit Lehrbeauftragter an der<br />

Katholischen Fachhochschule/Nordrhein, Abt. Aachen,<br />

FB Soziologie<br />

<strong>MMH</strong>-report 17


Zwischenruf von Hermann Bollmann<br />

Ohne Wurzeln<br />

geht es nicht<br />

Martin-Luther King war Vorkämpfer<br />

der amerikanischen<br />

Bürgerrechtsbewegung zur<br />

gewaltlosen Befreiung der Schwarzen.<br />

Er wurde 1968 ermordet. King war Baptistenpastor,<br />

er gehörte also zu einer<br />

der Gruppierungen, die sich dem Erbe<br />

der Täuferbewegung verpflichtet wissen.<br />

Die Täuferbewegung ist der weitgehend<br />

totgeschwiegene sog. „dritte<br />

Flügel“ der Reformation. Die Eltern von<br />

M.L. King waren ebenfalls Baptisten.<br />

Dass sie ihrem Sohn als Vornamen den<br />

Namen des Reformators gaben, zeigt,<br />

wie sehr sie sich der reformatorischen<br />

Bewegung zurechneten.<br />

Der Namensgeber Martin Luther war<br />

Katholik. Seine Priesterweihe ist nach<br />

römisch-katholischem Amtsverständnis<br />

unwiderrufbar.<br />

Die wichtigste Person für Luther war<br />

Jesus. Der aber war Jude. Nach bibli-<br />

18<br />

<strong>MMH</strong>-report<br />

Foto: fotolia.com<br />

scher Überlieferung starb er am Kreuz<br />

mit einem Gebetsschrei aus dem Psalter,<br />

dem wichtigsten jüdischen Gebetbuch.<br />

Alle drei waren Leute, deren Leben sie<br />

über ihren Ursprung hinausführte. Aber<br />

sie alle sind ohne ihre Wurzeln nicht zu<br />

verstehen.<br />

In der Pflanzenwelt saugen die Wurzeln<br />

das Wasser an und leiten es bis<br />

in die letzten Zweige und Blätter. Der<br />

Weinstock bohrt seine Wurzeln tief<br />

in die Erde. Sie durchdringen Bodenschichten<br />

und Gesteinsformationen.<br />

Das schafft mithilfe der Sonne ein<br />

jeweils ganz eigenes Aroma.<br />

Wer seinem Leben Aroma geben will,<br />

darf sich von seinen Wurzeln nicht<br />

abschneiden. Was keine Wurzeln hat,<br />

hat auch keine Zukunft. Modern aber ist<br />

nur, was Zukunft hat. Was keine Zukunft<br />

hat, ist höchstens modisch. Leider wird<br />

das Modische oft mit dem Modernen<br />

verwechselt.<br />

Ein geschmückter Weihnachtsbaum<br />

kann viel prachtvoller sein als ein<br />

krumm-knorriger Apfelbaum. Aber wenn<br />

der Apfelbaum Früchte trägt, dann hat<br />

der Weihnachtsbaum schon die Müllverbrennungsanlage<br />

hinter sich.<br />

Menschen haben eine tiefe Sehnsucht<br />

nach echtem, stimmigem, wahrem<br />

Leben. Doch nur aus den Trends heraus<br />

kann das nicht wachsen.<br />

„Was du ererbt von deinen Vätern<br />

hast, erwirb es, um es zu besitzen,“<br />

sagt Goethe.<br />

Wir brauchen also mehr als Nutzwissen.<br />

Wir müssen unseren Wurzeln auf<br />

die Spur kommen. Die Wurzeln des<br />

Glaubens schieben sich durch den harten<br />

Boden der Geschichte. Sie sind<br />

geprägt von Entwicklung und Wandel,<br />

aber auch von Leid, Enttäuschungen<br />

und Irrtümern. Doch sie reichen bis<br />

zu den tiefsten Quellen christlicher<br />

Hoffnung, bis zu Abraham, Moses und<br />

Jesus. Da wird Wasser hochgepumpt,<br />

welches nicht aus den Tümpeln der<br />

Trends kommt. Wasser des Lebens. So<br />

entsteht ein einzigartiges Aroma. Nur<br />

Gott schmeckt wie Gott.<br />

Und noch etwas: Wer diesen Wurzeln<br />

folgt, der erkennt, dass Antisemitismus<br />

dumm ist.<br />

Hermann Bollmann<br />

war 23 Jahre CVJM-Sekretär<br />

in Hamburg und Essen,<br />

anschließend bis zum Ruhe-<br />

stand 12,5 Jahre Leiter der<br />

Öffentlichkeitsarbeit der<br />

Vereinten Evangelischen Mission<br />

(VEM) in Wuppertal.


Christa Habrich<br />

Heilkunde im Dienst der Seelsorge<br />

bei Gerhard Tersteegen<br />

Gerhard Tersteegen ( 1697- 1769), Bild: Ulf von ikier.<br />

Bei den Nachforschungen über die Medizin<br />

bei Tersteegen 2 erschloss sich medizinhistorisches<br />

Neuland, das man als „pietistische<br />

Medizin“ definieren kann. 3 Es stellte<br />

sich heraus, dass im 17. und frühen 18.<br />

Jahrhundert, Hand in Hand mit dem Pietismus,<br />

in Deutschland eine charakteristische<br />

Reformbewegung in der Medizin entstanden<br />

war, die, von der medizinischen Historiographie<br />

zuvor kaum beachtet und lediglich<br />

als frömmelnde Schwärmerei, spekulative<br />

und rückschrittliche Verirrung abgetan<br />

wurde. Diese Ausgangslage ließ es als<br />

lohnend erscheinen, das Gebiet näher zu<br />

erforschen. Im Folgenden sollen einige<br />

Grundzüge dieser ‚pietistischen Medizin‘<br />

an Tersteegens heilkundlicher Praxis und<br />

deren Motiven, Grundsätzen und Zielen<br />

herausgearbeitet werden.<br />

Wichtigster Beweggrund für die Krankenbehandlung<br />

war Tersteegens Überzeugung,<br />

dass nicht allein die unsterbliche Seele,<br />

sondern auch die leibliche Existenz von<br />

Gott geschaffen und durch die Fleischwerdung<br />

seines Sohnes geadelt worden war.<br />

Die Pflege des Leibes, speziell die Krankenfürsorge,<br />

war in der Nachfolge Christi ein<br />

Dienst am Herren selbst, ein Leitmotiv, das<br />

Gerhard Tersteegens medizinisch-pharmazeutische<br />

Tätigkeit wurde lange zeit sowohl von seinen Biographen<br />

als auch von der Pietismusforschung eher beiläufig<br />

erwähnt. Es schien, als sei dieser Teil in Tersteegens<br />

Wirken lediglich ein frommes Werk unter anderen, eine<br />

nützliche nebensache gewesen; zu dem Bild vom angeblich<br />

quietistischen* Einsiedler und „frommen Bandweber“<br />

wollte die Vorstellung eines aktiven, sich mit Rat<br />

und Tat um Kranke sorgenden, durchaus kundigen Laienarztes<br />

und hingebungsvollen Krankenpflegers nicht<br />

recht passen. Den anstoß zur eingehenderen Beschäftigung<br />

mit eben dieser Seite in Tersteegens Wirken gab<br />

ein aufsatz von Walter nigg , der den bemerkenswerten<br />

Satz enthält: „Tersteegens ärztliche Tätigkeit darf als<br />

die letzte Verkörperung des Priester-arzt-ideals angesprochen<br />

werden, da er diese beiden Tätigkeiten als<br />

innerlich zusammengehörend empfand.“ 1<br />

seit dem Mittelalter speziell in der benediktinischen<br />

Tradition die Klostermedizin<br />

bestimmte. Die bewusste Bejahung der<br />

menschlichen Leiblichkeit unterscheidet<br />

Tersteegen somit von radikal asketischen<br />

Mystikern seiner Zeit. Einige Beispiele aus<br />

seinen Reden sollen dies verdeutlichen.<br />

Tersteegens ärztliche<br />

Tätigkeit darf als die<br />

letzte Verkörperung des<br />

Priester-Arzt-Ideals<br />

angesprochen werden,<br />

da er diese beiden<br />

Tätigkeiten als innerlich<br />

zusammengehörend<br />

empfand.<br />

Am zweiten Christtag 1754 spricht er über<br />

die menschliche Natur des Sohnes Gottes<br />

und betont:<br />

,,Dieses Kind ist nicht so vom Himmel<br />

* Quietismus [ lateinisch quietus »ruhend«] der, im weiteren Sinn eine der Mystik verwandte religiöse Haltung,<br />

die in vollkommener Passivität die innere Ruhe (»Seelenruhe«) anstrebt.<br />

gekommen, und hat sich da zu Bethlehem<br />

in die Krippe gelegt; nein, das Kind ist wirklich<br />

geboren, und Gott hat wirklich unsere<br />

Menschheit in diesem Kinde angenommen,<br />

das Wort ist Fleisch geworden in diesem<br />

Kinde [...] durch diese seine Geburt ist er<br />

in unsere menschliche Familie gekommen<br />

[...], er ist durch seine Geburt unser naher<br />

Anverwandter worden, er ist unser Brüderlein<br />

geworden“. 4<br />

Jesus als Blutsbruder der Menschen also,<br />

kennt deren leibliche Bedürfnisse und ist<br />

ihnen in allen physiologischen Körperfunktionen<br />

gleich. Am Karfreitag 1756 predigt<br />

er über die Leiden, die <strong>Christus</strong> an seinem<br />

menschlichen Leib zu erdulden hatte.<br />

Das Wort Jesu am Kreuz ,,mich dürstet“<br />

wird eingehend interpretiert und meditativ<br />

betrachtet. Tersteegen bringt eine sehr<br />

genaue Schilderung der Ursachen des leiblichen<br />

Durstes: Wer viel arbeitet, schlaflos<br />

ist und unter Schmerzen leidet, bekommt<br />

Durst.<br />

„Wer große Angst, große Seelennot, große<br />

Traurigkeit und Betrübnis ausstehet, der<br />

wird auch leiblich durstig [...]. Einer, der<br />

stark verwundet, dem viel Blut abgezapfet<br />

wird, der kommt dadurch in eine Erhitzung<br />

<strong>MMH</strong>-report 19


und wird durstig, weil alle Kräfte dadurch<br />

erschöpfet werden [...]. Wenn Menschen<br />

in Todesnöten und in den letzten Zügen<br />

liegen, dann sind sie oft unleidlich durstig<br />

[...]. Es war denn der Durst Christi vorerst<br />

ein natürlicher oder leiblicher Durst [...].<br />

Diesen Durst aber empfand <strong>Christus</strong> mit<br />

völliger Bewußheit seiner selbst“.<br />

Aber auch ein „Angstdurst seiner Seele“<br />

überkam ihn wegen der Schuld und Sünde<br />

der Menschen, die er fühlte und ein Liebesdurst<br />

,,nach unserem Heil und ewiger<br />

Seligkeit“. Nach diesen Betrachtungen<br />

betet Tersteegen: „O Jesu, erbarme Dich<br />

über alle Leidende, Kranke, Betrübte und<br />

Bekümmerte, auch über die, welche leiblich<br />

dürsten und in Mangel sein mögen<br />

[...]“.<br />

Tersteegen, der wie alle Mystiker gegen<br />

die „Fleischeslust“ kämpfte und predigte,<br />

betonte immer wieder die Verantwortung<br />

für den Leib, der zwar „dem Geiste untertänig<br />

gemacht“, mit allem Notwendigen versorgt<br />

werden müsse. Theologisch leitet er<br />

diese Verpflichtung aus der Schöpfungsgeschichte<br />

ab: „Adam war geschaffen in einer<br />

Gleichförmigkeit mit Gott; er trug das Bild<br />

Gottes an sich nicht nur in Ansehung der<br />

Seelen, sondern es hatte auch sein Leib<br />

Anteil daran“. Durch den Sündenfall „verblich<br />

das göttliche Ebenbild in ihm“ und<br />

er „verlor alle Herrlichkeit Leibes und der<br />

Seelen“, die erst die Auferstehung Christi,<br />

des neuen Adams, wieder herstellte.<br />

Das andere Motiv, Tersteegens christozentrische<br />

Mystik, die sich der Imitatio<br />

Christi verschrieben hat, fordert ihn zum<br />

unmittelbaren Dienst am Nächsten auf, in<br />

Gott ist gegenwärtig.<br />

Lasset uns anbeten und<br />

in Ehrfurcht vor ihn treten.<br />

Gott ist in der Mitten.<br />

Alles in uns schweige und<br />

sich innigst vor ihm beuge.<br />

Wer ihn kennt,<br />

wer ihn nennt,<br />

schlag die Augen nieder;<br />

kommt, ergebt euch wieder!<br />

Gerhard Tersteegen, EVG : 165<br />

dem ihm der Heiland selbst begegnet. In<br />

zahlreichen Briefen finden sich in diesem<br />

Zusammenhang Argumente und Appelle.<br />

Seinem monastischen Ideal folgend, das<br />

sich besonders in späteren Jahren an der<br />

benediktinischen Ordnungsregel orientier-<br />

20<br />

<strong>MMH</strong>-report<br />

Im Bild links: Wohnhaus von Gerhard Tersteegen in Mülheim*<br />

te, gehörten Krankenbesuche, Krankenbehandlung<br />

und das Verfassen von schriftlichen<br />

Ratschlägen für Kranke zum festen<br />

Bestandteil seiner Tagesordnung. Die <strong>Christus</strong>freundschaft,<br />

getragen vom Vorbild<br />

der „versorgenden Liebe“ Jesu, fordert,<br />

dem Mitmenschen ebenfalls als Freund zu<br />

dienen. Es ist diese Kategorie, die Tersteegen<br />

von den Philanthropen der Aufklärung<br />

fundamental unterscheidet, die sich um<br />

die Verbesserung der sozialen Situation<br />

der unteren Schichten aus rein rationalen<br />

Gründen bemühten. Am Palmsonntag 1755<br />

predigte Tersteegen nach Joh. 19, 25-27<br />

über diese „versorgende Liebe“: <strong>Christus</strong><br />

„siehet es mit Mitleiden an, in welchem<br />

Jammer, in welcher Not, in welcher Bedrükkung<br />

sich einer nur immer befinden mag,<br />

es sei nach dem Leiblichen oder Geistlichen“<br />

und Jesus sorgte nach Markus 8 für<br />

das hungrige Volk, das ihn jammerte. Deshalb<br />

müssen auch die geringsten äußeren<br />

Umstände mit Sorgfalt gesehen werden,<br />

denn „die Liebe weiß von keinen Kleinigkeiten<br />

[...] es sind ihr alles große Dinge, worin<br />

sie dem Freund nur gefallen kann: wir sollen<br />

in allem und jedem unserm teuersten<br />

und allerliebsten Heilande, unserm Freunde<br />

Jesu Christo suchen gefällig zu sein“.<br />

Die Arbeit Tersteegens für Hilfsbedürftige<br />

und Kranke, seine Anstrengungen und die<br />

Aktivität, die sich scheinbar mit dem Bild<br />

vom ,,quietistischen Mystiker“ nicht recht<br />

vereinbaren lässt, haben hier ihre Wurzeln,<br />

denn „die Liebe Christi war auch eine wachsame,<br />

sorgfältige und versorgende Liebe.<br />

So muss auch die Liebe der Kinder Gottes<br />

untereinander sein [...] siehest du wohl,<br />

der leidet Mangel, der ist in Not, der hat<br />

Hilfe nötig, da liegt dein Bruder, da liegt<br />

deine Schwester krank [...]. Greif zu, sorge,<br />

hilf auf alle mögliche Weise“. Aus diesem<br />

Grund und mit beachtlichem Realitätssinn,<br />

ließ Tersteegen Sibylle Emschermann, die<br />

im Untergeschoß des Hauses in der Teinerstraße<br />

in Mülheim lebte und für ihn und<br />

seinen Gefährten Heinrich Sommer sorgte,<br />

für Arme und Kranke kochen und gab das<br />

Essen kostenlos ab. Er selbst suchte sogar<br />

während der Ruhr-Epidemien, verheerende<br />

Folgen des Siebenjährigen Krieges, Kranke<br />

und Sterbende auf. Hervorzuheben ist<br />

auch die aufopferungsvolle Pflege, die Tersteegen<br />

seinem Freund, Wilhelm Hofmann,<br />

angedeihen ließ.<br />

Wie schwer körperlich und seelisch, die<br />

letzte Phase dieser Pflege (1746) gewesen<br />

sein muß, können wir nur erahnen. In<br />

einem Brief schreibt Tersteegen über den<br />

Patienten:<br />

„ [...] es bricht immer ein Loch neben dem<br />

andern offen, und wenn dann etliche kleine<br />

zu einem großen Loch geworden, dann<br />

brechen wieder etliche neue Löcher auf;<br />

frißt also immer weiter um sich, und scheinet<br />

das Äussere der Brust bis unter den<br />

Arm alles wegzufaulen. Die beißende Materie<br />

verursacht grosse Schmerzen [...] und<br />

macht die Haut wund, wo sie hinkommt.<br />

Das zehrende Fieber hält die mehreste<br />

Zeit an, und der appetit wird stets weniger<br />

[...] da diese Schale zu verfaulen scheint,<br />

fühlt der Geist noch viel die Enge dieses<br />

Gefangnüsses, biß Er als ein edler Kern<br />

herausbrechen kan“. 5<br />

Das finale Stadium einer Tuberkulose<br />

oder eines Karzinoms? Wir wissen es<br />

nicht. Eines aber ist sicher: Tersteegen hat<br />

hier Krankheit dramatisch und mitleidend<br />

erlebt, ihre Symptome und zerstörerische<br />

Kraft schonungslos beschrieben und bei<br />

dem Kranken geduldig ausgeharrt.<br />

* Nach Kriegszerstörung wurde das Haus neu aufgebaut, seit 1950 als Museum eingerichtet.


Tersteegens Biographen erklären sich<br />

dessen Hinwendung zur laienärztlichen<br />

Tätigkeit auch durch die Erfahrungen, die<br />

er mit seinem eigenen schwachen Gesundheitszustand<br />

gemacht habe. In der Tat<br />

finden sich zahlreiche Hinweise auf Tersteegens<br />

Krankheitszustände in seinen<br />

Briefen, ja sogar in seinen Ansprachen. Am<br />

Karfreitag 1754 bekennt er:<br />

„Meiner gegenwärtigen Schwäche und<br />

Kränklichkeit wegen hätte ich wohl nicht<br />

gedacht, diese Versammlung zu halten;<br />

dennoch, weil es heute der Karfreitag ist,<br />

da wir die allergrößeste Wunderliebe unseres<br />

Herrn und Heilandes Jesu Christi zu<br />

betrachten haben […] so wollte ich mich<br />

nicht entziehen, damit keine Beschuldigung<br />

auf meinem Gemüt liegenbliebe, als<br />

ob ich meiner nur geschonet hätte. Der<br />

liebste Heiland Jesus ist doch noch immer<br />

in Schwachen mächtig gewesen“. 6<br />

Tersteegens Wohn- und Sterbehaus in Mühlheim an der Ruhr, zeitgenöss. Kupferstich.<br />

Tersteegens Originalbriefe, deren<br />

gedruckte Ausgaben den „leiblichen“ Teil<br />

häufig nicht enthalten, da er den Herausgebern<br />

für die Erbauung nicht so wichtig<br />

erschien, geben uns Einblick in seine eigenen<br />

Leiden..<br />

…<br />

Van Andels Bemerkung: ,,Dieses Interesse<br />

für eine ausführliche Beschreibung<br />

seiner Leiden muss gewiss in Verbindung<br />

gebracht werden mit der Tatsache, dass er<br />

das Leiden positiv würdigte als ein Mittel in<br />

Gottes Hand, um das Leben der Gläubigen<br />

zu reinigen und zu läutern“ 7 möchte ich<br />

mit einem zusätzlichen Aspekt verknüpfen:<br />

Die Auffassung des Leibes als „irdische<br />

Hütte“, die nur ein zerbrechliches Notquartier<br />

für die Seele bietet und einer jenseitigen<br />

festgefügten Behausung, die von Gott<br />

erbaut wird, weichen muss (2. Kor. 5, 1-4),<br />

greift Tersteegen auf und weist der mensch-<br />

lichen Körperlichkeit, der „Kreatur“, dem<br />

„thierischen Körper“ die Funktion eines<br />

Trägers, eines Gerüstes für die geist-seelische<br />

Existenz in der Übergangszeit des irdischen<br />

Daseins zu. Der Leib, das ,,Außen“,<br />

hat Gott um des „Inneren“ willen geschaffen,<br />

und er muss so lange jene dienende<br />

Rolle übernehmen, bis die Vollendung der<br />

Seele im Tod erfolgen kann: „Diesen Winter<br />

über habe, nach der äußeren Hütte, so<br />

was kümmerlich und kränklend hinbringen<br />

müssen [...]. Wenn nur das Gerüste so lange<br />

stehen bleibet, bis das Gebäude fertig<br />

ist [...]“. Der Mensch hat demnach Sorge<br />

für dieses ,,Gerüst“ zu tragen und darf ihm<br />

bei aller Distanz nicht zerstörerisch gegenübertreten,<br />

soll vielmehr darauf bedacht<br />

sein, den Körper so gesund wie möglich zu<br />

erhalten. So schreibt er einer Kranken:<br />

„Deine allmähliche Besserung ist mir zu<br />

vernehmen angenehm. Gott sey gelobet,<br />

Ihm sey unsers<br />

Lebens Kraft und<br />

Zeit allein geheiliget!<br />

Du bist im<br />

Gewissen verpflichtet,<br />

daß du deinem<br />

Körper jetzt das<br />

Nöthige zukommen<br />

läßest in Essen<br />

und Trinken, damit<br />

er sich soviel eher<br />

erholen könne, weil<br />

doch der liebe Gott<br />

zeiget, daß du noch<br />

ein wenig bei uns<br />

bleiben sollst in der<br />

Zubereitungszeit“.<br />

Tersteegen versteht<br />

seine ärztli-<br />

che Hilfe als Dienst<br />

an der leiblichen<br />

Voraussetzung für<br />

die Zeit der Erbauung<br />

des Seelengebäudes.Deshalb<br />

unterläßt er<br />

bezeichnenderweise<br />

medizinische<br />

Aktivitäten dann,<br />

wenn ein Todgeweihter,<br />

der ihm<br />

innerlich ,,zubereitet“<br />

erscheint,<br />

sich im Stadium<br />

des Übergangs<br />

befindet. „Ich halte<br />

nicht viel davon,<br />

daß man Sterbenden<br />

so viel Herzstärkungen<br />

gibt, und dadurch ihre Noth<br />

und Sterben verlängert. Nur frisch hinein!<br />

es wird so tief nicht sei“.<br />

Abgesehen von den vielen Patienten,<br />

die mit ihren körperlichen Beschwerden<br />

bei Tersteegen Hilfe suchten, zeugen viele<br />

Briefe in seiner umfangreichen Korrespondenz<br />

davon, daß er sich bemühte,<br />

auch seelische Leiden zu bessern. Man<br />

darf seine Betrachtung von Krankheiten<br />

als im modernen Sinn „psychosomatisch“<br />

bezeichnen. Tersteegens ganzheitliche<br />

Auffassung vom kranken Individuum manifestiert<br />

sich in einer kombinierten Behandlung<br />

der körperlichen Symptome und der<br />

geist-seelischen Verfassung des Kranken.<br />

Er hilft in jedem einzelnen Fall, die Erkrankung<br />

„sinnvoll“ zu therapieren, d.h. eine<br />

Sinnfindung zu erreichen. Damit kommen<br />

wir zu einem weiteren Punkt, der Einordnung<br />

von Krankheiten, die bei Tersteegen<br />

sehr differenziert und vorsichtig ausfällt.<br />

Die dem Christentum oft verallgemeinernd<br />

unterstellte Behauptung, Krankheit stets<br />

als Strafe für Sünden zu erklären, trifft nur<br />

bedingt auf Tersteegen zu. In der Auslegung<br />

der Geschichte von der Heilung des<br />

Gichtbrüchigen finden wir die Beschreibung<br />

der Krankheit auch als Abbild eines<br />

erbarmungswürdigen Seelenzustandes:<br />

„Ein Gichtbrüchiger ist ein Mensch, der an<br />

seinem Leibe äußerst elend ist, dessen Nerven<br />

und Gliedmaßen dergestalt gelähmt<br />

sind, daß er seine Glieder, seine Hände<br />

und Füße, ja manchmal nicht einmal seine<br />

Zunge gebrauchen kann. So jämmerlich<br />

stand es mit diesem Gichtbrüchigen im<br />

Evangelio. Er wird ohne Zweifel allerhand<br />

Mittel gebrauchet haben, ob er nicht von<br />

seiner Krankheit könne kuriert werden;<br />

allein es wurde kein Rat gefunden“.<br />

Die durch Jesus bewirkte Heilung zielte<br />

jedoch nicht auf den Körper, sondern auf<br />

die Rettung der Seele: ,,Der Heiland sagte<br />

nicht alsobald: Ich gebe dir deine Gesundheit<br />

wieder, nein er führte ihn erst auf die<br />

Gedenkstein auf dem Grab Gerhard Tersteegens, errichtet 1838.<br />

Sünde! Die Sünde war eigentlich die Ursache<br />

seiner Krankheit und seiner Leiden<br />

[...] so ist es auch mit uns bestellet von der<br />

Natur“. Die Herzensträgheit und die Trägheit<br />

der Seele macht krank, und Krankheit<br />

<strong>MMH</strong>-report 21


und Elend kam durch den Sündenfall des<br />

Menschen in die Welt: ,,Ist wohl ein Tier<br />

auf dem Erdboden zu finden, das so vielem<br />

Elend, so vielen Schmerzen, so vielen<br />

Krankheiten, so vielem Jammer, so vielen<br />

Dürftigkeiten unterworfen ist, als ein Kind<br />

Adams?“ Heilung und Leben kommt durch<br />

die Wiedergeburt, die durch Umkehr und<br />

Abkehr von der Sünde geschieht. Die Suche<br />

nach somatischen Gründen – etwa durch<br />

die „schwarze Galle“ im Blut, die melancholisch<br />

macht – ist müßig: ,,Ach es kommt<br />

nicht aus dem Geblüte, es kommt nicht<br />

aus der Melancholie; es kommt von Jesu<br />

Christo, der dich zur Buße und durch die<br />

Buße zur Himmelfahrt einladen läßt“. Der<br />

liebende Gott verhängt nach Tersteegen<br />

nicht immer Krankheit als Strafe für Sünde,<br />

sondern läßt sie als Teilhabe am Kreuz zu,<br />

als Aufforderung, sich von <strong>Christus</strong> heilen<br />

zu lassen, sich ihm ganz, mit Leib und Seele,<br />

hinzugeben. Denn nur die vollständige<br />

Übergabe und willenlose Überlassung an<br />

<strong>Christus</strong> bringt die Heilung leiblicher und<br />

seelischer Leiden. Wie sich ein Kranker<br />

vollständig dem Arzt anvertraut, soll sich<br />

die Seele Gott überlassen.<br />

Georg Stahl (1659-1734),<br />

studierte Medizin und Chemie.<br />

Nach der Promotion<br />

und Habilitation, 1694<br />

Professor der Medizin an<br />

der Universität Halle. 1716<br />

zum Leibarzt des Königs<br />

von Preußen Friedrich Wilhelm<br />

I. berufen, Präsident<br />

des Collegium-Medicum<br />

(Berlin).Durch seine Lehre<br />

von der menschlichen Anima<br />

legte Stahl die Grundlagenfür<br />

den sog. Vitalismus,<br />

der die Mediziner des<br />

18.Jahrhunderts prägte.<br />

Stahl gilt mit als einer der<br />

Wegbereiter der Psychosomatik<br />

und Psychiatrie.<br />

„Es ist keine gute<br />

Eigenschaft bei<br />

manchem, daß man<br />

in seinem Gebet so<br />

viele Forderungen<br />

macht [...] als wenn<br />

man Gott was vorschreiben<br />

wollte [...]<br />

nein, rechte Patienten schreiben dem Arzte<br />

nichts vor, sondern die sagen: Tue nur, wie<br />

du es gut findest, um mir armen Menschen<br />

noch zu helfen; ordiniere nur, es mag süß<br />

oder bitter schmecken, ich will es herzlich<br />

gern nehmen, wenn ich nur mag gesund<br />

werde“.<br />

…<br />

22<br />

<strong>MMH</strong>-report<br />

Wenden wir uns nun<br />

der professionellen<br />

Seite der Medizin zu,<br />

die Tersteegen aus<br />

seinem Umkreis autodidaktisch<br />

erlernt<br />

hatte. Auch für ihn<br />

galt das Wort aus<br />

Sirach38, 1-4:<br />

Johann Gottlob Leidenfrost (1715 – 1794)<br />

studierte zuerst Theologie, dann Medizin in<br />

Gießen, Leipzig und Halle. 1741 promovierte<br />

er mit einer Arbeit über die Bewegung<br />

des menschlichen Körpers. 1743 folgte Leidenfrost<br />

einem Ruf auf einen medizinischen<br />

Lehrstuhl an der Universität Duisburg.<br />

Leidenfrost, der neben Medizin auch Physik<br />

und Chemie zu lesen hatte, war ab 1751<br />

mehrfach Rektor der Universität. Mit dem<br />

Leidenfrost-Effekt; auch Leidenfrost-Phänomen<br />

genannt, ist der Effekt der auf heißem<br />

Untergrund springenden („tanzenden“)<br />

Tropfen gemeint, den Johann Gottlob Leidenfrost<br />

beschrieben hat.<br />

Samuel Collenbusch (1724 - 1803),<br />

wichtiger Vertreter des Pietismus<br />

im bergisch-rheinischen Raum.<br />

Im Hauptberuf war er Arzt. Walter<br />

Benjamin (1892-1940, Philosoph<br />

und Literaturkritiker) hat ihm mit<br />

der Aufnahme eines Briefes Collenbuschs<br />

an Kant in seine Sammlung<br />

„Deutsche Menschen. Eine Folge<br />

von Briefen" ein Denkmal gesetzt.<br />

Laut Adorno soll dies sogar der Lieblingsbrief<br />

Benjamins gewesen sein.<br />

„Ehre den Arzt<br />

mit gebührender<br />

Verehrung,<br />

daß du ihn habest zur<br />

Not.<br />

Denn der Herr hat ihn<br />

geschaffen,<br />

und die Arznei kommt von<br />

dem Höchsten, und die Könige ehren ihn.<br />

Die Kunst des Arztes erhöht ihn und macht<br />

ihn groß bei Fürsten und Herren.<br />

Der Herr lässt die Arznei aus der Erde<br />

wachsen, und ein Vernünftiger verachtet<br />

sie nicht“<br />

allerdings mit der Einschränkung, daß<br />

er sich nicht in die Werke der Ärzte des<br />

18. Jahrhunderts<br />

vertiefte, die eine<br />

m e c h a n i s t i s c h e<br />

Grundhaltung in der<br />

Medizin vertraten,<br />

sondern ,,erweckten“<br />

Praktikern aus<br />

der Schule Georg<br />

Ernst Stahls (1659-<br />

1734) zuwandte.<br />

Durch Auswertung<br />

von Originalbriefen<br />

konnte ein wenig<br />

Licht in die Verbindungen<br />

zu einigen<br />

nunmehr namentlich<br />

bekannten Ärzten gebracht<br />

und geklärt werden, aus<br />

welchen Büchern u.a. Tersteegen<br />

seine medizinischen<br />

Kenntnisse gewonnen<br />

hat. Daß er sich durchaus<br />

eng an ‚schulmedizinische‘<br />

Regeln hielt, ist evident.<br />

Deshalb erscheint es nicht<br />

sinnvoll, ihn als ‚Heilpraktiker‘<br />

zu bezeichnen, 8 der<br />

ein modernes Berufsbild<br />

beschreibt, dem Tersteegen<br />

nicht entsprach, da er keine zu der Medizin<br />

seiner Zeit alternative, sondern ihrem<br />

Wissensstand entsprechende Theorie und<br />

Praxis vertrat.<br />

Zunächst zu den Ärzten, die ihm in der<br />

heimatlichen Region als Ratgeber und<br />

Freunde zur Verfügung standen: Neben<br />

Jacob Lauterbach (1713-1773) seien<br />

besonders Samuel Collenbusch (1724-<br />

1803) und der in Duisburg als Medizinpro-<br />

DasTersteegenzimmer in der Pilgerhütte Otterbeck bei Heiligenhaus *<br />

fessor lehrende Johann Gottlieb Leidenfrost<br />

(1715-1794) erwähnt. Die wichtigste<br />

Persönlichkeit für Tersteegens heilkundliche<br />

Aktivitäten aber war ein damals im<br />

ganzen deutschsprachigen Raum bekannter<br />

pietistischer Arzt, der den Inspirierten<br />

angehörende Johann Samuel Carl (1677-<br />

1757). Er wirkte als Hof- und Leibarzt des<br />

Grafen Casimir zu Sayn-Wittgenstein in<br />

Berleburg, 9 später als königlicher Leibarzt<br />

in Dänemark. Carl war nicht allein ein sehr<br />

fruchtbarer medizinischer Autor, er verfaßte<br />

auch Erbauungsschriften, setzte die ‚Historie<br />

der Wiedergebohrnen‘ von Johann Henrich<br />

Reitz fort und gab die weit verbreitete<br />

‚Geistliche Fama‘ heraus. Die Verbindung<br />

zwischen Tersteegen und Carl wurde durch<br />

gemeinsame Freunde in Krefeld vermittelt<br />

und führte ab 1731 zu einer Korrespondenz,<br />

die sich einerseits um Absprachen<br />

bezüglich der Bearbeitung der ‚Historie der<br />

Wiedergebohrnen‘ und Tersteegens ‚Auserlesene<br />

Lebensbeschreibungen Heiliger Seelen‘<br />

drehten, andererseits auch kritische<br />

Anmerkungen Tersteegens über Beiträge<br />

Carls in der ‚Geistlichen Fama‘ enthält, die<br />

ihm zu aggressiv erschienen. Ob sich beide<br />

persönlich begegnet sind, war bisher nicht<br />

zu klären. Wenngleich Carls etwas exaltierte<br />

Frömmigkeit mit der Spiritualität Tersteegens<br />

nicht unbedingt harmonierte, so übte<br />

er medizinisch den größten Einfluß auf ihn<br />

aus, und obwohl Tersteegen die Schriften<br />

des berühmt-berüchtigen Arztes Johann<br />

Conrad Dippel (1673-1734), der ebenfalls<br />

in Berleburg Zuflucht gefunden hatte,<br />

kannte und schätzte, so schöpfte er nicht<br />

aus dessen theosophisch-alchimistischer<br />

Anthropologie ,,Vitae animalis morbus et<br />

medicina“, die 1736 in deutscher Übersetzung<br />

erschien, sondern aus den populärmedizinischen<br />

Büchern Johann Samuel<br />

Carls. Nachweislich hat er die ‚Armenapotheke‘<br />

10 mit ihrer Zusammenstellung einer<br />

Reiseapotheke benutzt und die ‚Hofapotheke‘,<br />

das dreiteilige Gegenstück zur Armenapotheke,<br />

gelesen. Unzweifelhaft kannte<br />

Tersteegen auch das in zahlreichen Auflagen<br />

erschienene Werk des pietistischen<br />

Arztes am Waisenhaus in Halle, Christian<br />

Friedrich Richter (1676-1711). 11<br />

* Anmerkung: Die ehem. Pilgerhütte Otterbeck in Heiligenhaus, in der Gerhard Tersteegen wirkte,<br />

hatte ihren Namen nach den dort ansässigen Bauern.


Die theoretische Grundlage von Tersteegens<br />

medizinischem Handeln war<br />

die durch Carl, Richter und Leidenfrost<br />

vermittelte Lehre des in Halle als Professor<br />

wirkenden Georg Ernst Stahl, wie sie<br />

in dessen Hauptwerk niedergelegt ist. 12<br />

Die Charakteristika dieser Medizintheorie<br />

seien kurz skizziert: Im Rückgriff auf die<br />

hippokratisch-galenische Vier-Säfte-Lehre<br />

der Antike, postulierte er eine alles bewegende<br />

Seele, deren Tätigkeit sich in den<br />

Lebensfunktionen des Körpers äußere. Der<br />

Leib, aus toter Materie zusammengesetzt,<br />

ist allein durch die Seele lebendig und in<br />

allen physiologischen Vorgängen von ihrer<br />

Tätigkeit abhängig. Irrt die Seele, so erfolgt<br />

Krankheit. Verläßt sie den Leib, zerfällt dieser<br />

wieder in leblose Materie. Im bewußten<br />

Gegensatz zur kausalmechanistischen<br />

Lehre der Kartesianer, die ein<br />

hydraulisch-pneumatisches<br />

Körpermodell propagierten, in<br />

dem die „spiritus animales“<br />

als Nervenfluidum die tierische<br />

Maschine bewegen, verteidigte<br />

der aus dem fränkischen Pietismus<br />

kommende Stahl seine<br />

psychodynamisch-organische<br />

Lebensauffassung und propagierte<br />

eine dem Wissen der<br />

Zeit angepaßte Temperamentenlehre.<br />

Die Medizin im Zeitalter<br />

der Aufklärung war somit<br />

in zwei Lager gespalten, das<br />

Stahlsche, dem die erweckten,<br />

pietistischen Ärzte anhingen<br />

und das kartesianische, das,<br />

da es keineswegs eine unsterbliche<br />

Seele leugnete, von Teilen<br />

der katholischen Mediziner und<br />

besonders von den Rationalisten<br />

und Deisten übernommen<br />

worden war.<br />

Stahls Überzeugung, daß seine Lehre der<br />

von Gott eingesetzten Naturordnung konform<br />

sei, teilten alle pietistischen Ärzte. In<br />

der positiven Naturauffassung begegneten<br />

sich lutherische Pietisten und reformierte<br />

Physikotheologen, die auch auf Tersteegen<br />

Einfluß ausübten. Wenn Carl enthusiastisch<br />

die Überzeugung äußert, daß der „natürlich“<br />

lebende Mensch ein Stück des Paradieses<br />

zurückgewinnen könne, finden wir<br />

bei Tersteegen entsprechende Äußerungen<br />

zur Zwei-Bücherlehre, die seit der Renaissance<br />

bei den naturforschenden Ärzten der<br />

protestantischen Bekenntnisse ausgeprägt<br />

war. Tersteegen spricht am Buß- und Bettag<br />

1754 darüber:<br />

„Aber auch zu uns redet Gott noch auf<br />

mancherlei Weise. Er redet zu uns durch<br />

die ganze Natur und Schöpfung die wir täglich<br />

vor Augen sehen: Die ganze Natur ist<br />

ein Wort Gottes an uns, wodurch er zu uns<br />

redet und sich uns zu erkennen gibt. O in<br />

dem Buch der Natur sollten wir lesen die<br />

unermeßliche Allmacht, Weisheit und Güte<br />

unsers lieben himmlischen Vaters“.<br />

Der Einfluß des niederländischen Arztes<br />

und Physikotheologen Bernard Nieuwentijt<br />

(1654-1718) ist hier unverkennbar. Diese<br />

Naturbetrachtung geht auch in Tersteegens<br />

Herz-, Licht- und Schöpfungsmetaphorik,<br />

die sich in seinen Dichtungen niederschlägt,<br />

ein.<br />

Die Wirkung der Stahlschen Temperamentenlehre<br />

finden<br />

wir in den Äußerungen<br />

Tersteegens über<br />

„das Geblüt“. Mit der<br />

Vorstellung, daß in<br />

unseren Adern die vier<br />

Säfte Blut, Schleim,<br />

gelbe Galle und<br />

schwarze Galle durch<br />

Störungen der harmonischen<br />

Mischung den<br />

Typus des Sanguinikers,<br />

Phlegmatikers, Cholerikers<br />

und Melancholikers ausprägen können,<br />

gewinnt die genaue Bestimmung des<br />

jeweiligen Temperaments sowohl für den<br />

Arzt als auch für den Seelsorger Bedeutung.<br />

Unter diesem Aspekt lesen sich die<br />

folgenden Äußerungen des wahrscheinlich<br />

selbst manchmal „melancholischen“ Mystikers<br />

durchaus beziehungsvoll:<br />

„Ach der Teufel ist auch (aber mit Unrecht)<br />

ein Rat bei dem Herzen; er sucht einem<br />

den Rat Jesu aus dem Kopf zu schwatzen.<br />

Ach das ist Melancholie, sagt er, das ist<br />

Schwermütigkeit; divertiere dich hie oder<br />

da ein wenig, daß dir die traurigen Gedanken<br />

wieder aus dem Kopf gehen. Seelen,<br />

bleibt doch nahe bei eurem Herzen: Denn<br />

das Wort Rat muß uns dazu bewegen, daß<br />

wir dem lieben Heiland uns aufmerksam<br />

und folgsam erweisen“.<br />

* Der Begriff "Pietistische Medizin" wurde 1977<br />

von Christa Habrich eingeführt.<br />

Interessanterweise faßt Tersteegen die<br />

Melancholie bereits ‚modern‘ auf, d.h. sie<br />

ist nicht mehr in erster Linie die mit einem<br />

Übermaß an „schwarzer Galle“ ausgelöste<br />

„Milzsucht“, sondern eine seelische Störung.<br />

Ein Mensch, der Lust an der Sünde<br />

hat, ist von Gottes Tröstungen und Freuden<br />

verlassen.<br />

,,Daher kommts, daß ein solcher Mensch<br />

ein bedrücktes, trauriges Herz bei sich<br />

trägt. Die Frommen werden<br />

zwar vielmals melancholisch<br />

gescholten, aber ein unbußfertiger,<br />

ein mit Gott nicht<br />

versöhnter Sünder, der hat im<br />

Grunde ein recht melancholisches<br />

Herz, und ein innerlich<br />

bedrücktes und trauriges<br />

Gemüt bei sich“.<br />

Maßgebliche Vertreter der<br />

sog. „Pietistischen Medizin“ *<br />

Links: Prof. Georg Ernst Stahl<br />

(1659- 1734)<br />

Oben: Johann Gottlieb Leidenfrost<br />

(1715-1803)<br />

Unten: Samuel Collenbusch<br />

(1724-1803)<br />

Zerstreuung und Ablenkung<br />

hilft hier nicht, und<br />

den Grund der Melancholie<br />

in einer somatischen Disharmonie<br />

zu sehen, wäre verfehlt.<br />

Die Wirkung der<br />

Seele auf den Leib, wie<br />

sie Tersteegen in einer<br />

Predigt 1755 schildert,<br />

geht ebenfalls auf<br />

Stahls Vorstellungen<br />

zurück:<br />

„Aus unserer natürlichen<br />

Geburt von Adam<br />

haben wir ein natürlich<br />

Leben und eine<br />

natürliche Seele, eine<br />

lebendige Seele, daß<br />

wir unsern Körper so<br />

regieren, reden, gehen,<br />

stehen und was zum<br />

äußeren Leben gehöret,<br />

verrichten können;<br />

aber der andere Adam<br />

ist gemacht zu einem<br />

lebendig machenden<br />

Geist, durch den<br />

bekommen wir das geistliche Leben [...],<br />

wenn aber die Seele in dem Körper ist,<br />

dann bewege sie den Körper, dann ist alles<br />

leicht und geschiehet ohne Anstrengung“.<br />

Doch zurück zu Tersteegens praktischer<br />

heilkundlicher Tatigkeit, die er ab 1723<br />

neben der Seelsorge aufnahm und bis zu<br />

seinem Tode, ab 1725 von Heinrich Sommer<br />

unterstützt, fortsetzte. Sommer vermachte<br />

er nach seinem Tode eine ,,kleine<br />

Apotheke sammt allen dazugehörigen<br />

Kolben, Glasern, Bouteillen, Schachteln<br />

und Materialien“. Gestützt auf eine durch<br />

Erfahrung geübte Fähigkeit, Krankheitsursachen<br />

und -prozesse zu erkennen, 13<br />

wählt Tersteegen aus einem eng begrenzten<br />

Arzneischatz die im individuellen Fall<br />

notwendigen Mittel aus. Auf die Vorschrif-<br />

<strong>MMH</strong>-report 23


<strong>Christus</strong> ruft in die Himmelsapotheke.*<br />

ten, nach denen Tersteegen Arzneimittel<br />

herstellte, gibt es nur wenige Hinweise,<br />

zumal seine Rezeptbücher, von denen<br />

Gerhard Kerlen einige gesehen hat, leider<br />

verschollen sind. Immerhin ist es gelungen,<br />

durch Auswertung der Originalbriefe<br />

eine Anzahl deutschsprachiger Rezepturen,<br />

die er seinen Freunden jeweils mit ausführlicher<br />

Gebrauchsanweisung mitteilte,<br />

medizinische und diätetische Ratschläge,<br />

sowie ein einem Brief beiliegendes lateinisches<br />

Rezept, das in einer Apotheke vorgelegt<br />

werden sollte, aufzufinden und damit<br />

Einblick in die Zusammensetzung einiger<br />

seiner Mittel zu bekommen. Daraus ergibt<br />

sich, daß er sowohl volksmedizinisch altbewährte<br />

Kräuter, als auch zusammengesetzte<br />

Arzneimittel anwandte. Dabei<br />

gab er meist einheimischen Stoffen den<br />

Vorzug. Das lateinische Rezept mit Mengenangaben<br />

in dem gültigen Medizinalgewicht<br />

und genauen, ebenfalls lateinisch<br />

verfaßten Arbeitsanweisungen, liegt einem<br />

Brief vom 17. Februar 1761 an den Freund<br />

Arnold Goyen in Krefeld bei. Es enthält als<br />

Einzelbestandteile Schwalbenwurz, Alant-<br />

und Enzianwurzel, Kardobenediktenkraut,<br />

Melissen- Betonien- und Wermutkraut,<br />

Tausendgüldenkraut, Sennesblätter, Rhabarberwurzel,<br />

Lärchenschwamm, schwarze<br />

Nieswurz, Anis, Zitronenschale und Weinstein.<br />

Die Bestandteile wurden zerkleinert,<br />

mit Wasser und Wein angesetzt und der<br />

Auszug warm getrunken. Der magenstärkende,<br />

leicht abführende, bittere Trank<br />

wurde dem unter Verdauungsbeschwerden<br />

leidenden Goyen zur Linderung seiner<br />

Beschwerden verordnet. Die Form des<br />

Rezeptes entspricht in allen Teilen einer<br />

Verordnung, wie sie ein akademisch gebildeter<br />

Arzt in dieser Zeit ausgestellt hätte.<br />

Der wahrhaftige und einzige Arzt bleibt<br />

jedoch für Gerhard Tersteegen immer Chris-<br />

24<br />

<strong>MMH</strong>-report<br />

tus. 14 So kommt es nicht von ungefähr,<br />

daß er seinem ‚Geistlichen Blumengärtlein<br />

inniger Seelen‘ ab der 5. Auflage<br />

einen Kupferstich beigibt, der <strong>Christus</strong><br />

als <strong>Medicus</strong> coelestis** in einem allegorischen<br />

Kräutergarten zeigt. Über dem durch<br />

eine Quelle bewässerten, schön geordneten<br />

Garten, der von der göttlichen Sonne<br />

beschienen wird, bekränzen sich <strong>Christus</strong><br />

und eine fromme Seele gegenseitig in<br />

einer durch Sinnsprüche eingerahmten<br />

Wolke. Ein Engel pflegt den Garten, in dessen<br />

Achsenkreuz <strong>Christus</strong> zwei Kinder an<br />

der Hand führt; im Vordergrund stärkt der<br />

himmlische Arzt eine schwache Seele, die<br />

von einem hilfreichen Bruder gestützt wird,<br />

mit heilkräftigen Pflanzen. Tersteegen hat<br />

persönlich auf die Gestaltung dieser Darstellung<br />

Einfluß genommen und sich um<br />

Verbesserung der Qualität dieses recht<br />

unbeholfenen Kupferstichs bemüht. 15<br />

Das Blatt steht in der Tradition der Motive<br />

‚<strong>Christus</strong> als Arzt‘ und ‚<strong>Christus</strong> als<br />

Apotheker‘, die auf Gemälden im evangelischen<br />

Raum unter dem Einfluß des Pietismus<br />

im 18. Jahrhundert sehr häufig zu<br />

finden sind. 16<br />

Krankheit wird von Tersteegen immer wieder<br />

als Sensibilisierungsprozeß verstanden,<br />

in dem die Seele ihre innere Erbauung<br />

erreicht: ,,Dein Bißchen Krankseyn ist<br />

mir so recht lieb gewesen, und ich hoffe,<br />

es werde dir ja gut gethan haben; denn so<br />

ists einmal von der ewigen Güte gemeynet<br />

[,..]“. In Gottes Liebe geborgen Krankheit<br />

zu erdulden ist besser, als gesund von Gott<br />

fern zu sein: ,,Krankheit ist kein Unglück,<br />

Sterben auch nicht: Aber ohne Jesum leben<br />

oder sterben, das ist Unglück“. 17<br />

________________________________________________<br />

Der Artikel geht zurück auf den Beitrag „Heilkunde<br />

im Dienst der Seelsorge bei Gerhard Tersteegen“ von<br />

Christa Habrich, abgedruckt in Gerhard Tersteegen-<br />

Evangelische Mystik inmitten der Aufklärung, hersg. von<br />

Manfred Kock im Auftrag der Kirchenleitung und Jürgen<br />

Thiesbonenkamp im Auftrag des Kirchenkreises Moers,<br />

Rheinland – Verlag, Köln 1997.<br />

Der hier abgedruckte Beitrag wurde im Einvernehmen<br />

mit Frau Prof. Dr. Dr. Habrich gekürzt.<br />

Die vollständige Literaturliste und alle Anmerkungen<br />

finden sich im Originalbeitrag.<br />

Literatur und Anmerkungen in Auswahl<br />

1. Walter Nigg, Grosse Heilige. Zürich, Stuttgart 1958,<br />

S. 356-409, hier: S. 389-391, S. 390.<br />

2. Christa Habrich, Zur Bedeutung medizinischer Bemühungen<br />

im Wirken Gerhard Tersteegens. In: Medizinhistorisches<br />

Journal 12 (1977), S. 263-279.<br />

3 Christa (Meyer-)Habrich, Untersuchungen zur pietistischen<br />

Medizin und ihrer Ausprägung bei Johann<br />

Samuel Carl (1677-1757) und seinem Kreis. Med.habil.<br />

Schr (Typoskript). Miinchen 1982.<br />

4. Gerhard Tersteegen, Geistliche Brosamen. Nach der<br />

Ausgabe von 1844. Bd. 1, Bad Liebenzell/Stuttgart<br />

1985, S..21.<br />

5. Brief vom 15.7.1746, Briefsammlung Tersteegen,<br />

Archiv der Mennoniten-Gemeinde Krefed<br />

6. Tersteegen (wie Anm. 4), S. 119.Vgl. auch Gerhard<br />

Tersteegen, Geistliche Brosamen nach Ausgabe von<br />

1844, Bd. 2. Bad Liebenzell/Stuttgart 1985, S. 225,<br />

131.<br />

7. Cornelis Pieter van Andel, Gerhard Tersteegen. Leben<br />

und Werk. Sein Platz in der Kirchengeschichte. Neukirchen-Vluyn/Düsseldorf<br />

1973 (SVRKG 46), S. 69.<br />

8. Alfred Maletke. Gerhard Tersteegen. Sein Leben und<br />

sein Zeugnis in Mülheim an der Ruhr, Mülheim/Ruhr<br />

1997, S. 81-91.<br />

9. Christa Habrich: Mediziner und Medizinisches am<br />

Hofe des Grafen Casimir zu Sayn-Wittgenstein (1687-<br />

1741). In: Beiträge zur Geschichte der Pharmazie 35<br />

(1983) Nr. 18/19, S. 138-144<br />

10. Johann Samuel Carl: Haus-Arzney vor die Armen.<br />

Nebst einem Unterrichte zur Reise-Apotheke. Büdingen<br />

1717. Mit einem Anhang aus Gottfried Arnolds geistlichem<br />

Rath und Unterricht for Kranke und Sterbende. 2.<br />

Aufl. unter dem Titel: Medicina pauperum oder Armen-<br />

Apothecke; ebd. 1719, 3. vermehrte Aufl., ebd. 1721.<br />

4.-6. vermehrte Aufl. unter dem Titel Armen-Apothecke;<br />

ebd. 1726-1748. 7. Aufl. Frankfurt/Main 1764.<br />

11. Christian Friedrich Richter, Kurtzer und deutlicher<br />

Unterricht von dem Leibe und natürlichen Leben des<br />

Menschen…nebst einem Selectu Medicamentorum oder<br />

XIII der sichersten und besten Artzneyen zu einer kleinen,<br />

auff alle gewöhnlichen Krankheiten eingerichteten<br />

Haus- Reise- und Feld-Apothecken. Halle 1705, ab 1710<br />

ebd. unter dem Titel: Die höchst-nöthige Erkenntnis des<br />

Menschen, sonderlich nach dem Leibe und natürlichen<br />

Leben.<br />

12. Georg Ernst Stahl, Theoria medica vera. Halle 1708.<br />

13. Christa Habrich: Pathographische und ätiologische<br />

Versuche medizinischer Laien im 18.Jahrhundert. In:<br />

Heilberufe und Kranke im 17. und 18. Jahrhundert.<br />

Hg. von WolfgangEckart und Johanna Geyer-Kordesch..<br />

Münster 1982 (Münstersche Beitrage zur Geschichte<br />

und Theorie der Medizin, hg. von Karl Eduard Rothschuh<br />

und Richard Toellner, Bd. 18), S. 99-123, hier:<br />

S.107- 109.<br />

14. Vgl. Christa Habrich: Therapeutische Grundsätze<br />

pietistischer Ärzte des 18. Jahrhunderts. In: Beitrage zur<br />

Geschichte der Pharmazie31 (1982),S. 121-123.<br />

15. Horst Neeb, Gerhard Tersteegen und die Familien<br />

Schmitz in Solingen. Düsseldorf 1997 (Schriften des<br />

Archivs der Evangelischen Kirche im Rheinland Nr. 11),<br />

S 168 f.<br />

16. Wolfgang-Hagen Hein, <strong>Christus</strong> als Apotheker.<br />

Stuttgart 1974 (Monographien zur pharmazeutischen<br />

Kulturgeschichte Bd. 3).<br />

17. Tersteegen (wie Anm.4) T.III, S.86<br />

Christa Habrich, Prof. Dr. Dr.<br />

Pharmaziestudium in München,<br />

Studium der Medizingeschichte<br />

und der Paläontologie,<br />

Professorin für Geschichte der<br />

Medizin und der Pharmazie an<br />

der Ludwig-Maximilians-Universität<br />

München und Direktorin des<br />

Deutschen Medizinhistorischen<br />

Museums Ingolstadt. Zahlreiche<br />

wissenschaftliche Veröffentlichungen und Mitgliedschaften<br />

in wissenschaftlichen Gremien.<br />

Wissenschaftliche Kongreßleitungen, ehrenamtliche<br />

Tätigkeiten und Ehrungen, z.B. Mitglied im Verwaltungsrat<br />

des Deutschen Apotheken-Museums Heidelberg,<br />

Organisation des XXXVI. Symposiums der Gesellschaft<br />

für Wissenschaftsgeschichte (Society for History<br />

of Sciences) in Ingolstadt, Verleihung der Avicenna-<br />

Medaille der Medizinischen Fakultät der Universität<br />

Istanbul, Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.<br />

Mitglied in der Historischen Kommission zur<br />

Erforschung des Pietismus.<br />

* Fritz Krafft: <strong>Christus</strong> ruft in die Himmelsapotheke. Die Verbildlichung des Heilandrufs durch <strong>Christus</strong> als Apotheker.<br />

Mit Beiträgen von Christa Habrich und Woty Gollwitzer-Voll, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart 2002.<br />

** <strong>Medicus</strong> coelestis oder himmlischer Arzt.


Otto Betz<br />

Die Ganzheit des Leibes<br />

als ich — kurz nach dem abitur und vor Beginn des Stu-<br />

diums — den »Seidenen Schuh« von Paul Claudel las,<br />

stieß ich auf eine Stelle, die mir ganz großen Eindruck<br />

machte — und heute noch macht: »Die Steine selber<br />

werden schreien, heißt es. Wollt ihr dem Menschenleib<br />

allein seine Sprache weigern? « 1<br />

Hier wurde ich hingewiesen auf eine<br />

lange unselige Tradition, die den<br />

Leib nicht wirklich ernst nahm, die<br />

ihm weder seine Würde zugestand noch<br />

ihm sein Mitspracherecht beim Gotteslob<br />

gewährte. Die Körperlichkeit war eher eine<br />

peinliche Angelegenheit, die zwar nicht<br />

zu leugnen war, aber möglichst nicht groß<br />

herausgestellt werden sollte. Die leiblichen<br />

Begierden und Triebkräfte machten<br />

den Körper zu einem recht zwielichtigen<br />

Gebilde, erst der Geist und die seelischen<br />

Fähigkeiten waren es wert, den Menschen<br />

als ein großes Geschöpf anzusehen und<br />

seine Berufung zum Partner Gottes zu<br />

rechtfertigen. Deshalb war es ratsam, den<br />

Körper möglichst zu vernachlässigen, ihn<br />

durch radikale Askese dienstbar zu machen,<br />

damit sich der »befreite Geist« umso besser<br />

entfalten könne. Nun las ich also bei<br />

Claudel: »Wollt ihr allein dem Menschenleib<br />

seine Sprache weigern? « Hat er nicht selbst<br />

seine Größe und seine Herrlichkeit? Spricht<br />

nicht alles an ihm? Müssen wir Menschen<br />

nicht »als Leibwesen« und in unserer »Verleiblichung«<br />

unsere Person verwirklichen?<br />

– Das Wort Claudels war wie eine Erlösung,<br />

es machte Mut, einen Weg zu finden, der<br />

mit dem eigenen Leib auch die Welt ernst<br />

nahm und nicht in einer Weltflucht das Heil<br />

suchte.<br />

Zur gleichen Zeit las ich auch zum ersten<br />

Mal ein Buch von Martin Buber und fand bei<br />

ihm einen Satz, der in meinem Leben Epoche<br />

machte: »In der Askese schrumpft das<br />

geistige Wesen, die Neschama, zusammen,<br />

sie erschlafft, wird leer und trübe; nur in der<br />

Freude kann sie wachsen und sich erfüllen,<br />

bis sie, alles Mangels ledig, zum Göttlichen<br />

heranreift.« 2 Blitzhaft wurde mir klar, dass<br />

es eine fragwürdige Form der Askese gibt,<br />

die nicht befreit, sondern verkümmern<br />

lässt, die gerade die Schöpfungswirklichkeit<br />

nicht annimmt, sondern verleugnet, die<br />

traurig macht und nicht fröhlich. Wer kann<br />

leugnen, dass die Askese auch ein notwendiger<br />

Vorgang ist? Wir bedürfen der Übung,<br />

müssen uns in tausend Verzichthaltungen<br />

einlassen, aber die Freude und die Lebenslust<br />

dürfen solche Übungen nicht antasten.<br />

Unsere Menschlichkeit entfaltet<br />

sich im Gleichklang<br />

mit unserem leiblichen<br />

Wachstum und der Entfaltung<br />

unserer Sinne. Das Sehendwerden<br />

ist ebenso ein sinnenhafter<br />

Prozess, wie es ein<br />

Vorgang unserer Gehirnkräfte<br />

ist. Die Hilfsbereitschaft und<br />

die emotionale Zuwendung<br />

sind auf unsere Hände angewiesen,<br />

damit wir zupacken<br />

können und dem anderen<br />

Menschen beistehen. Das<br />

Zusammenwirken aller unserer<br />

Organe mit dem Gehirn<br />

ist so staunenswert, dass wir<br />

aus der Verwunderung nicht<br />

mehr herauskommen, wenn<br />

wir erst einmal darauf aufmerksam<br />

geworden sind.<br />

Im Laufe seines Lebens<br />

wird ein Mensch immer<br />

identischer mit seinem Leib.<br />

Er hat eine unverwechselbare<br />

Art zu gehen und sich zu<br />

bewegen, seinen Kopf zu halten, Hand- und<br />

Armbewegungen zu machen. Das Gesicht<br />

bekommt seine Furchen und Fallen, alle<br />

Freuden und Note hinterlassen ihre Spuren,<br />

die Beglückungen sind ebenso erhalten<br />

geblieben wie die Enttäuschungen. Und wie<br />

einer seine Haare frisiert oder sich mit Kleidern<br />

umgibt, bleibt — aufs Ganze gesehen<br />

— auch meist erhalten. Unsere Bekannten<br />

erkennen wir schon aus der Ferne, ihre<br />

Gestik oder ihr Gang signalisieren uns ihre<br />

Nahe. Oft ist es ein charakteristischer Zug<br />

um die Augen oder den Mund, der in uns ein<br />

Gefühl der Sympathie auslost und der uns<br />

die Verbundenheit mit ihm wichtig erscheinen<br />

lässt.<br />

Aber wir geraten auch immer wieder in<br />

eine Routine leiblicher Vollzüge. Mit einer<br />

gewissen Automatik führen wir unsere<br />

körperlichen Handlungen aus und sind<br />

nicht mehr mit unserer ganzen Person darin<br />

anwesend. Oder der Körper erschlafft,<br />

weil seine innere Spannkraft nachgelassen<br />

Johannes an der Brust von <strong>Christus</strong>, Skulptur Eichenholz (um 1320).<br />

Foto: SMB.<br />

hat, Müdigkeit und allgemeine Mattigkeit<br />

führen zu einer geringen Aufmerksamkeit<br />

für die Prozesse in unserem Leib. Deshalb<br />

ist es ungemein wichtig, dass wir uns<br />

immer wieder auf den Leib besinnen und<br />

den Energieströmen, die uns durchfließen,<br />

freie Bahn schaffen. Damit ist nicht nur an<br />

sportliche Übungen gedacht (so wichtig sie<br />

sein mögen), sondern auch an »geistige<br />

Exerzitien«.<br />

Wer sich darum bemüht, meditative Übungen<br />

zu machen, wird schnell merken, dass<br />

sie zunächst einmal leibliche Übungen sind:<br />

Man muss sich um das rechte Sitzen bemühen,<br />

damit die Wirbelsäule aufsteigen kann,<br />

man muss darauf achten, dass der Körper<br />

nicht verkrampft ist, sondern eine gewisse<br />

Beweglichkeit behalt, damit auch der Geist<br />

»in der Schwebe« sein kann. Der Atem<br />

muss ruhig gehen, ohne dass er künstlich<br />

dirigiert wird. Wer so in seinem Körper<br />

»dasein« kann, wird auch zu seiner eigenen<br />

Mitte durchstoßen können und eine wohl<br />

gespannte Ruhe erfahren.<br />

<strong>MMH</strong>-report 25


Aber auch im Stehen und in der Bewegung<br />

lässt sich eine meditative Körpererfahrung<br />

machen. Wer am Morgen nach dem Aufstehen<br />

ein paar Minuten ruhig am Fenster<br />

steht, seinen aufgerichteten Leib intensiv<br />

wahrnimmt, die Arme nach den Seiten ausbreitet<br />

und sich so öffnet, Arme<br />

und Kopf nach oben hebt, um sie dann ganz<br />

langsam wieder sinken zu lassen, wird eine<br />

beglückende Freiheitserfahrung machen,<br />

die den ganzen Tag vorhält.<br />

In einem Gedicht hat Werner Bergengruen<br />

den Leib zum Symbol einer Glaubenshaltung<br />

erhoben:<br />

»Du Mensch nach Gott gebildet bist.<br />

Dein Leib ist Gleichnis: Kreuz und Christ.<br />

Gerammt in Grund der Hauptstamm steht,<br />

Seitab der Schultern Querholz geht.<br />

Erkenn das Kreuz. Du hangst daran,<br />

Schmerzenskind und Schmerzensmann.<br />

Halswirbel führen den Sprossenlauf<br />

Der Jakobsleiter himmelauf.<br />

Verhüllt von dunklen Rippen brennt<br />

Herz: ewiges Licht und Sakrament.<br />

Verborgener Felsborn pocht und schwillt.<br />

Neig dich vor allem Menschenbild.“ 3<br />

In ein paar Zeilen ist die ganze Menschengestalt<br />

in ihrer wesentlichen<br />

Besonderheit eingefangen. Nicht nur das<br />

Baugesetz und die Struktur des Leibes,<br />

sondern auch die Dynamik und das<br />

Lebensgesetz werden angedeutet.<br />

Und der Schlussgedanke macht<br />

deutlich: Wenn schon in der körperlichen<br />

Gestalt so viel Geheimnisvolles<br />

sich andeutet, welche Ehrfurcht<br />

müssen wir vor allen Wesen haben,<br />

die einen Leib durchwohnen, die<br />

uns in ihrer Leiblichkeit begegnen.<br />

Wenn wir bedenken, dass unser<br />

»Selbstgefühl«, das Empfinden für<br />

den eigenen Wert und die personale<br />

Würde, ganz wesentlich mit unserer<br />

Leiberfahrung zusammenhangt,<br />

können wir einer Leibverachtung<br />

nicht mehr das Wort sprechen.<br />

26<br />

<strong>MMH</strong>-report<br />

Unsere ganze Lebensreise ist auch eine<br />

Entdeckungsfahrt, um diese leib-seelischgeistige<br />

Wirklichkeit unseres Selbst besser<br />

kennen zu lernen. Ernst Bloch spricht von<br />

dem »homo ignotus in uns« 4 , dem immer<br />

noch unbekannten Menschen, der sich um<br />

den aufrechten Gang bemüht und versucht,<br />

sich endlich erheben zu können. Es sind<br />

noch manche Reisen in unentdecktes Land<br />

zu unternehmen.<br />

Aber nicht nur der aufrechte Gang muss<br />

gelernt werden und die stolze Erhebung,<br />

sondern auch das Sich-beugen und Sichklein-Machen.<br />

Wer sich nur erheben will,<br />

gerät allzu leicht in eine größenwahnsinnige<br />

Selbstüberschätzung. Das Gefühl der<br />

Kraft verführt zu Überheblichkeit und zur<br />

Herrschaft über andere. Deshalb leitet uns<br />

die Gegenbewegung des Abstiegs dazu<br />

an, auch die Grenze unserer Möglichkeiten<br />

anzuerkennen. Wer stark ist, hat die Verantwortung,<br />

sich denen zuzuwenden, die<br />

noch schwach sind. Wer steht, muss damit<br />

rechnen, dass andere sich an ihm aufrichten<br />

wollen, um auch in den Stand zu kommen.<br />

»Kein Mensch lebt für sich allein«, sagt die<br />

Bibel (Röm 14,7), das bedeutet auch, dass<br />

die Menschen füreinander verantwortlich<br />

sind und sich keiner dieser solidarischen<br />

Verbundenheit entziehen kann. Zur inneren<br />

Beweglichkeit gehört es, dass wir uns hergeben<br />

können, also nicht auf einer selbstherrlichen<br />

Position beharren, sondern uns<br />

beugen, wenn es die Situation erfordert.<br />

Wer sich erhebt, kann die eigenen Kräfte<br />

entdecken, die in ihm aufsteigen, die ungelebten<br />

Möglichkeiten wahrnehmen, die darauf<br />

warten, die eigene Existenz zu befruchten.<br />

Wer sich niederbeugt, macht deutlich,<br />

dass er nicht nur für sich da ist, sondern<br />

auch anderen zugewandt ist. Er bezeugt<br />

aber durch seine Haltung auch, dass er die<br />

Relativität seiner »Größe« zugibt und sich<br />

einer größeren Wirklichkeit unterstellt, er<br />

weiß sich einer Wirklichkeit untergeordnet,<br />

vor der er sich verneigen kann…<br />

Leibliche ausdrucksformen der Frömmigkeit:<br />

Abendmahlsfeier in der Loschwitzer Kirche, Dresden-<br />

Foto: Johannes Dose.<br />

Moslems bei der Waschung vor dem Gebet.<br />

Foto: Peter Williams/WCC.<br />

Juden beim Gebet an der Klagemauer.<br />

…<br />

Der Glaube wird ja nicht nur »mit dem<br />

Kopf gedacht«, er wird auch nicht einzig<br />

mit dem Mund bekannt, er muss »getan«<br />

werden, gestisch ausgedrückt, gerufen und<br />

getanzt, mimisch unterstrichen, mit den<br />

Händen ertastet, mit den Beinen erlaufen,<br />

mit den Lippen gefühlt, mit der Zunge<br />

geschmeckt. Mit welcher Eindringlichkeit<br />

schildert der erste Johannesbrief, warum<br />

die eigenen Glaubenserfahrungen weiter-


Friedrich Christoph Oetinger (1702-1782)<br />

Bild: Wuerttembergische Landesbibliothek.<br />

gegeben werden müssen: »Was wir gehört<br />

haben, was wir mit unseren Augen gesehen<br />

haben, was wir zu schauen und unsere<br />

Hände zu tasten bekamen: vom Wort des<br />

Lebens reden wir. Und zwar: Das Leben ist<br />

zum Vorschein gekommen, und wir haben<br />

gesehen und bezeugen und berichten euch<br />

vom unendlichen Leben, das beim Vater war<br />

und uns erschienen ist. Was wir gesehen<br />

und gehört haben, berichten wir auch euch<br />

— damit auch ihr Gemeinschaft mit uns<br />

habt« (1. Joh 1,1 — 3). Der Briefschreiber<br />

kann sich gar nicht genug tun im Nachweis<br />

der sinnenhaften Eindrücke, die er gesammelt<br />

hat und die er nicht für sich behalten<br />

kann.<br />

Vergleicht man die leiblichen Ausdrucksformen<br />

der Frömmigkeit verschiedener<br />

Religionen, dann wird ersichtlich, dass sie<br />

nirgendwo fehlen und da8 sie sich weithin<br />

gleichen. Da müssen Prozessionswege<br />

zurückgelegt werden, werden Waschungen<br />

vorgenommen, bestimmte Gewänder werden<br />

angelegt, Verbeugungen und Handgesten<br />

haben einen wichtigen Stellenwert.<br />

Segnungen und Kraftübertragungen durch<br />

Handauflegung finden sich überall. Die religiöse<br />

Gemeinschaft bekundet ihre Zusammengehörigkeit<br />

durch das Umstehen eines<br />

Altars oder die Tischgemeinschaft und das<br />

verbindende Mahl. Die wiegende Bewegung<br />

der Muslime beim Koranlesen unterscheidet<br />

sich nicht sehr von der Gebetsform der<br />

Juden an der Klagemauer; der Leib verlangt<br />

nach einem rhythmischen Tun, deshalb<br />

haben die Gesange und Hymnen eine so<br />

hohe Bedeutung. Der Leib ist der Tempel<br />

des Heiligen Geistes, sagt Paulus, deshalb<br />

sollen wir Gott mit unserem Leib verherrlichen<br />

(1 Kor 6,19f.). Ist diese Aufforderung<br />

von den Christen überhaupt schon wirklich<br />

gehört worden? Hat man sich schon gefragt,<br />

was das zu bedeuten hat? Wohl gibt es bei<br />

der Sakramentenspendung die Waschungen<br />

und Salbungen, wer aber versteht solche<br />

rituelle Vorgänge als Heiligung des Leibes,<br />

als Auszeichnung unserer Körperlichkeit?<br />

Hier soll doch ein Tempel eingeweiht werden!<br />

….<br />

Trotz der Sünde Adams ist der menschliche<br />

Körper so heilig, dass seine verschiedenen<br />

Teile mit den göttlichen Kräften<br />

und dem Heilswirken in Zusammenhang<br />

gebracht werden können. Und die Sehnsucht<br />

geht dahin, dass die leibliche Gestalt<br />

wieder so lichthaft sein soll, wie Gott sie<br />

haben wollte, ohne den inneren Riss, ohne<br />

die Widerstände und die Blockaden. Am<br />

Ende wird aber wieder ein Leib erhofft, eine<br />

Entsprechung der Urgestalt des Anfangs.<br />

Wenn in der christlichen Theologie so stark<br />

die Schädigung des Menschen durch die<br />

»Erbsünde« betont wird, dann soll damit<br />

nicht ausgesagt werden, dass der Mensch<br />

dadurch die »Ebenbildlichkeit« mit seinem<br />

Schöpfer eingebüßt hatte. Es geht vielmehr<br />

darum, dass er innerlich gespalten ist,<br />

die Leiberfahrung und die Geisterfahrung<br />

können auseinanderklaffen, er hat Schwierigkeiten<br />

damit, seine innere Einheit zu<br />

erfahren, die eigene Geistigkeit in seiner<br />

Leiblichkeit darzustellen. Seine inneren<br />

Sinne sind nicht so offen, dass er wirklich<br />

zum Sehenden und Hörenden wurde. Er<br />

bleibt hinter seinen Möglichkeiten zurück,<br />

vielleicht verdirbt er auch seine kostbaren<br />

Gaben, indem er sie missbraucht, verkümmern<br />

lässt, sie rücksichtslos ausbeutet oder<br />

zerstört.<br />

Mit der Botschaft von der »Menschwerdung<br />

Gottes«, die ja »Inkarnation« genannt<br />

wird, »Fleischwerdung«, ist der menschliche<br />

Körper in einer unglaublichen Weise aufgewertet<br />

worden. Gott schätzt die Leiblichkeit<br />

so hoch, dass er in einer leiblichen Gestalt<br />

uns ansprechen und erlösen will. Der Erlösungsweg<br />

ist kein Vorgang der Entleiblichung,<br />

wir wollen nicht von unserem Körper<br />

erlöst werden, vielmehr soll der Leib seine<br />

wahre Würde bekommen. Wenn Friedrich<br />

Christoph Oetinger (1702 - 1782) gesagt<br />

hat: »Leiblichkeit ist das Ende der Werke<br />

Gottes«, dann wollte er diese Würde der<br />

leibhaften Existenz auch als die Zielrichtung<br />

der Schöpfung hinstellen. Alles, was ist,<br />

will zur gültigen Gestalt werden, will sich<br />

ausdrücken und seine ihr innewohnende<br />

Initialidee verleiblichen.<br />

Wir dürfen also die Freude erleben, dass<br />

unser Leib erstarkt, durch seine Kräfte,<br />

seine Ausdrucksfähigkeit und Gestaltungsmöglichkeit<br />

sich auch unser Selbstbewusstsein<br />

festigt und wir »stehen« können,<br />

uns aufrichten und wirksam werden in der<br />

Schöpfung. Gott ist nicht eifersüchtig auf<br />

diese Eigenkraft des Menschen, im Gegenteil,<br />

er will ja, dass dadurch die Welt voran-<br />

getrieben wird. In einem kühnen Gebetstext<br />

hat der große spätmittelalterliche Theologe<br />

und Philosoph Nikolaus Cusanus (1400<br />

-1464) diesem Gedanken Ausdruck gegeben:<br />

»Wie wirst DU dich mir geben,<br />

wenn du nicht erst MICH selbst mir gibst?<br />

Wie ich so im Schweigen der Betrachtung ruhe,<br />

hast du, Herr, mir in der Tiefe<br />

meines Herzens geantwortet.<br />

Du sagst zu mir:<br />

Sei du dein, so werde ich dein sein!<br />

O Herr, du Beglückung in aller Wonne,<br />

du hast es zur Sache meiner Freiheit gemacht,<br />

daß ich mein sein kann,<br />

wenn ich so gewollt habe.<br />

Wenn ich nicht mir gehöre,<br />

dann gehörst auch du nicht mir.<br />

Insofern drangst du mich zu meiner Freiheit,<br />

da du nicht mein sein kannst,<br />

wenn ich mich nicht selbst besitze.<br />

Dies hast du aber in meine Freiheit gestellt,<br />

du nötigst mich nicht, sondern wartest,<br />

dass ich selbst wähle, mir zu gehören. «<br />

Cusanus hört: »Sei du dein, so werde ich<br />

dein sein! « Und wir dürfen vielleicht ergänzen:<br />

Sei du in deinem Leib, und ich werde in<br />

deinem Leib sein. Nimm dich in deiner Leiblichkeit<br />

ernst, denn Gott will dich in deiner<br />

Leiblichkeit haben und will sich in deiner<br />

Leiblichkeit ausdrücken.<br />

Anmerkungen:<br />

1) Paul Claudel, Der Seidene Schuh oder Das Schlimmste<br />

trifft nicht immer, Salzburg, 1949(4),134.<br />

2) Martin Buber, Die jüdische Mystik, in: Die Geschichten<br />

des Rabbi Nachmann, Frankfurt/M.1955,17.<br />

3) Werner Bergengruen, Membra Vestra Templum sunt<br />

Die Vivi, in: Figur und Schatten. Gedichte, München<br />

1958,90.<br />

4) Ernst Bloch, Antwort an Marcuse, in Neues Forum<br />

XVI (1969).<br />

Entnommen in Auszügen mit freundlicher Genehmigung<br />

des Autors: „Der Leib als sichtbare Seele“, Kreuz<br />

Verlag Stuttgart 1991, 226-239. Neuerscheinung als<br />

gekürzte Ausgabe: „Der Leib und seine Sprache – Die<br />

Symbolik der menschlichen Gestalt“, Topos plus Verlagsgemeinschaft,<br />

Kevelaer 2003.<br />

Otto Betz, Prof. Dr.<br />

Studium der Philosophie und<br />

Theologie, Germanistik und<br />

Pädagogik.<br />

1964 - 1985 Professor für allgemeine<br />

Erziehungswissenschaft<br />

und Pädagogik an der Universität<br />

Hamburg. Autor und Herausgeber<br />

zahlreicher Bücher und<br />

Anthologien zu Themen der<br />

Spiritualität, Literatur,<br />

Anthropologie, Mythologie und Symbolkunde.<br />

Er zählt zu den bedeutensten Kennern des Werks der<br />

Hildegard von Bingen. Auch nach seiner Emeritierung<br />

gefragter Referent und Seminarleiter in Deutschland,<br />

Österreich und der Schweiz. Er lebt mit seiner Frau in<br />

Passau.<br />

<strong>MMH</strong>-report 27


Klaus Berger<br />

Jesus als arzt<br />

Gerade auf dem schwierigen Weg zum Sterben benötigen viele Menschen ärztliche Begleitung. Jesus fasst sich selbst<br />

als arzt auf, der die Menschen so heilt, dass sie den Weg bis zum ziel aufrecht gehen können. Dieses therapeutische<br />

Wirken ist freilich nur möglich, wenn schonungslos zwischen Tod und Leben, also zwischen Sünde und Gerechtigkeit<br />

unterschieden wird. Die ärztliche Hilfe wird gerade nicht zuteil, indem das Böse kaschiert wird, das ein Mensch getan<br />

hat. Wie eine böse Krankheit muss es<br />

aufgedeckt und dann herausgeschnitten<br />

werden. Die Therapie ist daher nicht<br />

begütigend, sondern kritisch, auf jeden<br />

Fall am anfang. Dem entspricht noch die<br />

mittelalterliche Praxis, die Behandlung in<br />

einem Hospital je und je mit Beichte und<br />

Kommunion zu beginnen.<br />

im Neuen Testament lässt sich das gut an<br />

Jesu Zuwendung zu den Zöllnern erkennen.<br />

Denn in diesem Zusammenhang<br />

fällt auch das Wort vom Arzt, der nicht zu<br />

den Gesunden, sondern zu den Kranken<br />

gesandt ist (Mk 2,17). Das heißt: Johannes<br />

und Jesus wenden sich der Gruppe der<br />

Zöllner nicht deshalb zu, weil sie besonders<br />

übel angesehen, besonders gequält würde<br />

oder als arm galt. Nein, Mitleid ist nicht<br />

das tragende Motiv. Es geht vielmehr um die<br />

notorische Ungerechtigkeit, Rücksichtslosigkeit<br />

und praktische Gottlosigkeit dieser<br />

Gruppe. Als gut vergleichbaren Beleg für<br />

diese Auffassung kann man den Barnabasbrief<br />

(nach Berger/Nord, vielleicht um 60<br />

n. Chr.) 5,9 zitieren: Jesus offenbarte sich<br />

als Sohn Gottes, als er seine Apostel zu<br />

künftigen Verkündigern des Evangeliums<br />

erwählte und sich dafür ausgerechnet Menschen<br />

aussuchte, die über die Maßen sündig<br />

waren. So wollte er ihnen sagen: Ich bin<br />

nicht gekommen, Gerechte zu berufen, sondern<br />

Sünder. Der Schlusssatz Mk 2,17 wird<br />

zitiert, und zugleich wird die Berufungsgeschichte<br />

(wohl in einer mit Mt 9,9—13 verwandten<br />

Fassung — Matthäus gilt als Apostel)<br />

so interpretiert: Jesus beruft gerade<br />

28<br />

<strong>MMH</strong>-report<br />

Jesus heilt einen Aussätzigen, Federzeichnung um 1655/60, Rembrandt.<br />

und mit Absicht die größten Sünder. So war<br />

es auch mit Paulus, dem Christenverfolger,<br />

später mit Augustinus und vielen anderen.<br />

Im Nachhinein kann man dann sagen: Gerade<br />

im Umgang mit der Sünde offenbart sich<br />

die berufende Gnade als siegreich. Denn<br />

den Gottlosesten zum Gerechten machen,<br />

das kann nur Gott.<br />

Die Berufung des Steuereintreibers Matthäus<br />

geschieht daher nicht aus Liebe zu<br />

Randgruppen, sondern zeigt die Macht des<br />

Rufers Jesus. Er beruft ja Matthäus ähnlich<br />

autoritär und mit vergleichbar unvermitteltem<br />

Erfolg wie nach<br />

Mk 1,12—16 Petrus<br />

und Andreas, Johannes<br />

und Jakobus<br />

berufen wurden.<br />

Nach Mk 1 geben<br />

die Jünger auf ein<br />

einziges Wort Jesu<br />

hin ihren Beruf und<br />

ihre Familie auf.<br />

Jesu Ruf ist stärker<br />

als diese Bindungen.<br />

Aber hier in<br />

Mt 9 ist Jesu Ruf<br />

zudem stärker als<br />

der Hang zu notori-<br />

scher Ungerechtigkeit. Von dieser Art Ungerechtigkeit<br />

hatte es bei der Begegnung Jesu<br />

mit dem reichen Jüngling geheißen: Nur Gott<br />

kann sie verwandeln. Nur er hat diese Macht<br />

über das menschliche Herz. Nur bei ihm<br />

ist kein Ding unmöglich. Daher geht es bei<br />

dieser Berufung in Mt 9 um die Macht Gottes<br />

angesichts des Gefängnisses der Sünde,<br />

um die Befreiung aus tiefster Verstrickung<br />

in Geldgier, Quälerei, Menschenschinderei<br />

und ungerechter Bereicherung. Am Beruf<br />

des Steuerpächters wurde diese Verstrikkung<br />

für alle sichtbar. Johannes und Jesus<br />

haben sich an »Zöllner« gewandt, um deutlich<br />

zu machen, was Sünde ist. (Übrigens<br />

wendet sich der Täufer unmittelbar danach<br />

auch an die Söldner). Ähnlich sieht es auch<br />

ein mittelalterliches Segensgebet: »Du hast<br />

Matthäus berufen aus der schändlichen<br />

Pflicht der Zöllner zur Ehre des Lehrers des<br />

Evangeliums.« Denn der Weg von der Sünde<br />

zur Gnade ist auch ein Schritt aus der Ehrlosigkeit.<br />

Die Auslegung des Textes in den Gebeten<br />

der Kirche des Mittelalters hat immer<br />

wieder — exegetisch völlig zu Recht — die<br />

Brücke geschlagen zu Lk 15,6—9 (»Im Himmel<br />

ist die Freude über einen umkehrenden<br />

Sünder größer als über 99 Gerechte«).<br />

Jesus heilt einen Kranken, Federzeichnung von Rembrandt.<br />

Foto: Jörg P. Anders.


Historisch gesehen könnten die Verse Mt<br />

9,13 in der Tat voraussetzen, dass Jesus<br />

jedenfalls für seine Umkehrpredigt bei den<br />

Pharisäern keinen direkten Abnehmerkreis<br />

sah. Und auch wenn es heißt »... mehr als<br />

über 99 Gerechte, die der Umkehr nicht<br />

bedürfen«, dann muss das nicht rhetorisch<br />

oder ironisch gemeint sein, sondern kann<br />

durchaus zum Ausdruck bringen, dass Jesus<br />

diese Gruppe jedenfalls nicht für notorische<br />

Exempel von Sünde und Menschenquälerei<br />

hielt. Der Defekt der Gruppe der Pharisäer<br />

lag — wohl auch historisch gesehen —dann<br />

freilich darin, dass sie Jesu Zuwendung zu<br />

den »Gottlosen« nicht begriffen und das<br />

Gerechtsein exklusiv und in Differenz zu<br />

anderen für sich beanspruchten. Bei ihnen<br />

prangert zum Beispiel dann Lk 18,9—14<br />

den religiösen Dünkel an; aber mit Kriminalität<br />

waren sie nicht behaftet. Am Ende ist<br />

freilich Jesus ein schließlich doch noch zur<br />

Umkehr bereiter Sünder lieber als diese Art<br />

von Blindheit (Mt21,31).<br />

Jesus spricht über seinen Beruf im Bild<br />

des Arztes (Mt 9,12). Damit greift er auf<br />

die reiche biblische Tradition von »Gott als<br />

Arzt« zurück. Und noch im Mittelalter nennt<br />

man Gott den »Arzt der Verletzten«. Im<br />

Unterschied zu unserer Gesellschaft sieht<br />

die Bibel im Arzt gerade nicht den Halbgott,<br />

nicht in der Klinik die Kathedrale und in der<br />

Gesundheit des höchste Gut. Vielmehr so:<br />

Gottes ärztliches Wirken betrifft den Bereich<br />

der eigentlichen Krankheiten und Leiden,<br />

die tödlich sind. Auf seinem eigenen Feld,<br />

das nicht das des Arztes für organischbiologische<br />

Gesundheit ist, wirkt Gott die<br />

Basis für umfassende Gesundheit. Doch am<br />

Schluss treffen sich gleichwohl beide Linien.<br />

Das Kräutlein gegen den Tod, das die Medi-<br />

Studium für die Gruppe der Kranken auf dem Hundertguldenblatt,<br />

Rembrandt. Foto: Jörg P. Anders.<br />

zin noch immer nicht gefunden hat, das hat<br />

allein der göttliche Arzt parat, denn sein<br />

Wirken überwindet mit der Auferstehung<br />

auch den leiblichen Tod. So wird in der biblischen<br />

Betrachtung der medizinische Arzt<br />

auf einen kleinen Bereich eingegrenzt. »Von<br />

vorne« und »von hinten« ist dieser Bereich<br />

Die Auferweckung der Tochter des Jairus, Federzeichnung von Rembrandt. Foto: Jörg P. Anders.<br />

umgeben vom Wirken des göttlichen Arztes.<br />

Dabei betrifft dieses Wirken keineswegs nur<br />

das Jenseits oder das Leben nach dem Tod.<br />

Längst wissen wir, dass im Bereich der Seele<br />

und der Seelsorge oft die Grundlagen oder<br />

eben auch Fehlerquellen für eine umfassende<br />

Gesundheit des Menschen liegen.<br />

Dass freilich auf diesem Feld im Augenblick<br />

die Esoterik und mancherlei Art von<br />

asiatischer Ganzheitsmystik dem Christentum<br />

anscheinend den Rang abgelaufen hat,<br />

wundert den nicht, der weiß, dass auch die<br />

biologische Medizin gegen eine Flut von<br />

Quacksalbern ankämpft. Diese ist so alt wie<br />

die Medizin, und die Pseudo-Religion ist<br />

so alt wie die Religion. Esoterik wird immer<br />

dann frech und munter, wenn im Kernbereich<br />

der Religion Gott nur noch für das Jenseits<br />

infrage kommt. Als<br />

man noch etwas von Wallfahrten<br />

und dem Segen<br />

über Menschen, Vieh und<br />

Felder hielt, waren Ärzte<br />

nicht überflüssig, aber es<br />

Jesus heilt einen Blindgeborenen; Feder- und Pinselzeichnung um 1655/60;<br />

Rembrandt.<br />

gab einen humanen göttlichen Rahmen für<br />

ihr Tun und dessen unübersehbare Grenzen.<br />

Und man sollte nicht vergessen, wie weit die<br />

Krankenpflege des Antoniterordens schon<br />

einmal gelangt war: Die tägliche Betrachtung<br />

des Gekreuzigten — zum Beispiel des<br />

Isenheimer Altars — war ein Teil ihrer Therapie.<br />

Klaus Berger, Prof. Dr.<br />

Studium der Philosophie, Theologie<br />

und Orientalistik in München,<br />

Berlin und Hamburg. Von 1974<br />

bis 2006 Professor für Neutestamentliche<br />

Theologie an der Evangelisch-Theologischen<br />

Fakultät in<br />

Heidelberg, Forschungsschwerpunkte:<br />

Religionsgeschichte und<br />

außerkanonische Literatur, neuere exegetische Methoden<br />

und Formgeschichte, Hermeneutik.<br />

Der Text wurde mit freundlicher Genehmigung<br />

des Autors entnommen aus:<br />

Klaus Berger: Jesus, Pattloch Verlag, München 2004,<br />

S. 611-614.<br />

<strong>MMH</strong>-report 29


Die <strong>MMH</strong> Vorstandsmitglieder Richard Mang, Dr. Gerd Propach,<br />

Dr. Günter Scherer sowie drei weitere junge Mitglieder besuchten<br />

im Juli 2007 das Dorfentwicklungsprojekt in Tansania.<br />

Günter Scherer, Aachen, berichtet:<br />

Ein Globus – drei Welten<br />

Schlaglichter statt Reisebericht<br />

… Treffpunkt Frankfurt, Flughafen. Obwohl<br />

bis auf einen Teilnehmer alle Mitreisende<br />

schon zum Teil langjährige Afrikaerfahrung<br />

mitbringen, ist unsere Stimmung<br />

nicht nur hoffnungsfroh, sondern auch<br />

leicht gespannt, was uns wohl erwarten<br />

wird. Wieviel Abenteuer wird, bei aller<br />

Planung, mit dabei sein? Flughafen Frankfurt,<br />

unsere erste Welt, der wir auf dieser<br />

Reise begegnen, ist uns bekannt und vertraut,<br />

die Abläufe sind perfekt, Check in,<br />

warten, Abflug, alles nach Plan ….<br />

Flughafen in Dubai.<br />

… ankunft zu einem Zwischenstop in<br />

Dubai (arabisches Emirat), unserer<br />

zweiten Welt, der wir begegnen: Hauch<br />

von „Tausendundeiner Nacht“, Luxus<br />

pur – selbst auf den Toiletten edelste<br />

Ausstattung –, scheinbar unendlicher<br />

Reichtum. Persönlich erfahrenes<br />

Schockerlebnis: für sechs Reisende<br />

je eine Tasse Kaffee an „Kaffeebude“<br />

bestellt: 36 US-Dollar! In solch einem<br />

Umfeld fühlt man sich plötzlich recht<br />

ärmlich, eine ungewohnte Erfahrung für<br />

uns selbstbewusste wohlhabende Europäer<br />

… Nach vier Stunden pünktlicher Weiterflug<br />

…<br />

… ankunft in Dar es Salam, Hauptstadt<br />

Tansanias, unserer dritten Welt, der wir<br />

begegnen: Schwüle Hitze, hektisches<br />

30<br />

<strong>MMH</strong>-report<br />

Treiben, aufdringliche<br />

Taxifahrer, bettelnde<br />

Kinder, aggressive<br />

Straßenhändler,<br />

alles im Vergleich zu<br />

Europa ungewohnt,<br />

irritierend, arm: absoluter<br />

Kontrastpunkt zu<br />

Dubai. Joachim, unser<br />

„Afrika-Neuling“, ist<br />

erst einmal schokkiert.<br />

Unsere langjährigenAfrika-Missionare<br />

Richard (Mang) und<br />

Gerd (Dr. Propach)<br />

dagegen fühlen sich<br />

sofort heimisch und wohl.<br />

… Unterbringung in einfachem Gästehaus.<br />

Unser Taxifahrer ist über den<br />

deutschen Fußball bestens informiert, die<br />

weltumspannenden Medien (TV, Internet,<br />

Handy) machen es möglich. … Uns geht es<br />

– weil wohlhabend – gut: Afrikanisches<br />

Essen, Fisch, Reis, Gemüse und Früchte<br />

Busfahrt nach Arusha.<br />

sind schmackhaft und – für uns – absolut<br />

billig; eine Flasche Coca Cola z.B. für 20<br />

Europäische Cent zu haben.<br />

… Weiterflug ins Landesinnere nach Kigoma:<br />

Verträumte, anscheinend von aller<br />

Welt vergessene Provinzstadt am Tanganjikasee,<br />

fast „am Ende der Welt“.<br />

Behandlung in Bugamba, links Gideon Kibambai.<br />

… Von hier aus Vielzahl von Treffen und<br />

Verhandlungen mit den maßgebenden<br />

Leuten unserer afrikanischen Partnerorganisation<br />

<strong>MMS</strong>, mit Kirchenführern,<br />

mit Verwaltungsstellen, mit Staatlichen<br />

Gesundheitsdiensten, sowie mit Vertretern<br />

des dort ansässigen Naturreservates<br />

TACARE, mit dem wir kooperieren. Ein<br />

Netzwerk der Zusammenarbeit ist so in<br />

den vergangenen Jahren entstanden.<br />

Als Kontrastprogramm zur Landeshauptstadt<br />

Dar es Salam läuft hier alles<br />

etwas geruhsamer, fast beschaulich<br />

ab. Man hat viel Zeit, für uns ungeduldige<br />

Europäer manchmal nur schwer zu<br />

ertragen. Auch hier – eine andere Welt.<br />

… Von Kigoma aus starten wir eine<br />

vierstündige abenteuerliche Bootstour<br />

nach Bugamba, dem Ausgangspunkt<br />

Richard Mang, Gerd Propach, Günter Scherer ...


unserer Projektarbeit vor 15 Jahren – nach<br />

wie vor nur auf dem Seeweg zu erreichen.<br />

… Und nun Bugamba selbst. Nur Fußwege,<br />

keine Straßen, keine Fahrzeuge,<br />

strohbedeckte Hütten aus Lehm erbaut.<br />

Das Leben spielt sich auf dem nackten<br />

Boden ab, zumeist im Freien. Hühner,<br />

Enten, Ziegen und mittendrin die Kinder,<br />

wohin man auch blickt<br />

… Wir freuen uns über die gute arbeit, die<br />

Behandlung in Nkalinzi.<br />

die tansanischen Mitarbeiter beim Neubau<br />

der Ambulanzstation – die alte wurde<br />

von den Termiten zerfressen – geleistet<br />

haben. Sie versorgen nun den ganzen<br />

Tag über die Kranken, die zu Fuß<br />

oder per Boot aus der ganzen Region<br />

herbeikommen: Zähne ziehen, Knochen<br />

richten, Geburten begleiten, Aids-Kranke<br />

betreuen, Beratung in Fragen der Ernährung<br />

und Hygiene sowie der Aidsprophylaxe<br />

– alles mit einfachsten Mitteln. Die<br />

Arbeit bedeutet einen konkret erkennbaren<br />

Segen für die Region<br />

… Ein weiterer echter Fortschritt für das<br />

Gebiet: Die Einheimischen zeigten uns<br />

stolz eine neue Schule für Grund- und<br />

Weiterbildung. Unglaublich für uns aber<br />

doch wahr: Die Schule hat drei einfache<br />

Räume – größenmäßig vergleichbar den<br />

Räumen unserer Schulen – mit jeweils<br />

über 90 Schülern(!!!), die auf engstem<br />

Raum, aber hoch motiviert, zusammengedrängt<br />

saßen…<br />

… Eine zugfahrt in der uralten Eisenbahn,<br />

die Gleise noch aus der Kolonialzeit der<br />

Deutschen stammend, in eine andere<br />

Bezirkshauptstadt im Landesinneren,<br />

nach Tabora, schloss sich an. Dort waren<br />

wir Gäste des Bischofs der Anglikanischen<br />

Kirche Rt. Rev. Sadock Makaya. In dieser<br />

Gegend „explodiert“ gleichsam die Zahl<br />

... Joachim Bär, Christian und Matthias Propach<br />

mit Alex Samweli.<br />

christlicher Gemeinden. Allein in<br />

dieser Diözese werden jährlich 15<br />

neue Gemeinden gegründet.<br />

in Tabora konnten wir auch die<br />

Druckerei der katholischen Kirche<br />

besuchen, die unsere Veröffentlichungen<br />

druckt, so z. B. über die<br />

Anwendung heimischer Heilpflanzen,<br />

einfache Therapien gegen<br />

Malaria oder Informationsblätter<br />

gegen die Unterdrückung und<br />

Gewalt gegenüber Frauen, zuletzt<br />

ein Heft über HIV/AIDS, jeweils in<br />

der Landessprache Kiswaheli.<br />

… Und die abenteuer nahmen<br />

kein Ende: Mit einem Bus fuhren<br />

wir 14 Stunden lang über unbefestigte<br />

Sandpisten nach arusha<br />

im Norden Tansanias. Ca. 120<br />

Personen saßen bzw. drängten<br />

Schulklasse in Bugamba.<br />

sich stehend in einem Uralt-Bus, der in<br />

Deutschland höchstens für 50 Personen<br />

zugelassen gewesen wäre. Weitere „Mitreisende“<br />

waren eine Vielzahl von Hühnern,<br />

die jedoch diese Strapazen vielfach<br />

nicht überlebten. In Arusha, einer Touristenhochburg<br />

am Rande der Serengeti,<br />

konnten wir uns dann ein paar Tage von<br />

den Strapazen erholen, bevor es dann<br />

über Sansibar – der „Gewürzinsel“ im<br />

indischen Ozean – weiterging, zurück<br />

Zugfahrt nach Tabora.<br />

zum Ausgangspunkt der<br />

Reise: Flughafen Frankfurt<br />

am Main. Die uns vertraute<br />

erste Welt hatte uns<br />

wieder; die tiefen Eindrükke<br />

werden bleiben. Die<br />

Reise hat viel gebracht,<br />

neben den für die Arbeit<br />

der <strong>MMH</strong>/<strong>MMS</strong> wichtigen<br />

Gesprächs- und Verhandlungsergebnissen<br />

mir<br />

selbst neuen Mut, mich für<br />

die Belange unserer afrikanischen Freunde<br />

auch in Zukunft engagiert einzusetzen.<br />

Gott sei Dank! …<br />

Günther Scherer, Dr. rer.pol.<br />

Studium der BWL in Karlsruhe,<br />

Mannheim, Köln. Berufsschullaufbahn<br />

Wuppertal,<br />

Düsseldorf, Aachen.<br />

Seit 1994 Schulleiter in Aachen.<br />

Langjähriger Mitarbeiter Schülerarbeit<br />

der SMD. Mitglied des<br />

Kreissynodalausschusses für<br />

Mission und Entwicklungszusammenarbeit<br />

in Aachen, Rheinische Kirche.<br />

<strong>MMH</strong>-report 31


Gerd Propach<br />

Der Tanganyika-See<br />

Rahmenbedingungen von Gesundheit<br />

Es ist kurz vor 7:00 morgens. Der<br />

Tag bricht an, kaum dass er der<br />

Dämmerung Zeit gelassen hat, sich zu<br />

behaupten. Auf den Straßen beginnt<br />

geschäftiges Treiben. Marktfrauen ordnen<br />

ihre Tomaten, Bohnen, Bananen<br />

und alles, was der fruchtbare Boden<br />

der Region hergibt, farbenprächtig und<br />

kunstvoll auf ihren Holzständen an.<br />

Am Straßenrand werden kleine Feuer<br />

aus Holzkohle entfacht. Geschäftstüchtige<br />

Jungen rösten Erdnüsse, Mais,<br />

getrocknete Cassavawurzeln oder ein<br />

paar Fleischstücke, die sie später zum<br />

Verkauf anbieten. Händler schleppen<br />

große Körbe mit gerade erst gefangenem<br />

Fisch heran. Kinder in ihren blau-weißen<br />

Schuluniformen lärmen auf dem<br />

Schulweg. Wir sind auf dem Weg zum<br />

Hafen. Gideon hat ein Boot angeheuert,<br />

das uns in 3-4 Stunden nach Bugamba<br />

bringen soll. Das Schiff, sonst eingesetzt<br />

im täglichen Linienverkehr, bietet 60-80<br />

Passagieren Platz. Unsere 7-köpfige Reisegruppe<br />

kommt sich etwas verloren vor,<br />

aber ein kleineres Boot war nicht aufzutreiben.<br />

Wir besteigen das schwankende<br />

Schiff etwas ungeschickt unter breitem<br />

Grinsen der Besatzung, ohne deren Hilfe<br />

ich wahrscheinlich schon am frühen<br />

Morgen unfreiwillig ein Bad genommen<br />

hätte. Jeder von uns sucht sich einen<br />

32<br />

<strong>MMH</strong>-report<br />

sicheren und einigermaßen bequemen<br />

Platz. Der Bootsführer gibt seine Anweisungen.<br />

Wasser wird noch schnell mit<br />

einem Plastikbehälter aus dem undichten<br />

Boot geschöpft, Kerosin in den Tank<br />

gefüllt, die Taue werden gelöst. Wir legen<br />

ab. Langsam tuckert das Boot aus dem<br />

Hafen in die weite Bucht von Kigoma.<br />

Rasch gewinnen wir an Fahrt.<br />

„Die von steilen Bergen und süßduftenden<br />

Wäldern gebildete herrliche<br />

Landschaft entlockte uns manchen Ausruf<br />

der Bewunderung. Ich hatte in der Tat…<br />

nichts gesehen, was sich dem vergleichen<br />

ließe.“ So beschrieb Henry Morton<br />

Stanley 1879 seine Eindrücke, als er sich<br />

gemeinsam mit Dr. David Livingstone,<br />

den er wenige Tage zuvor in Ujiji aufgespürt<br />

hatte, genau auf dieser Route<br />

nach Norden in Richtung Urundi, dem<br />

heutigen Burundi, befand. Sie waren auf<br />

der Suche nach den Quellen des Nils.<br />

Damals machten sie Rast in Sassi, dem<br />

heutigen Zashe, dem Nachbarort von<br />

Bugamba, unserem Reiseziel an diesem<br />

Tag.<br />

Wie oft hatte ich in den letzten<br />

Jahren diesen Weg schon zurück-<br />

gelegt. Immer aufs Neue überrascht und<br />

beeindruckt von dem klaren Wasser, von<br />

der milden Luft, von den kleinen farbenprächtigen<br />

Vögeln, die sich während<br />

der Fahrt auf dem Bootsrand niedersetzten,<br />

uns ein wenig begleiteten, um<br />

dann ihren Flug fortzusetzen, von den<br />

Mantelpavianen, die sich hier und da an<br />

den Uferrändern im ungestörtem Spiel<br />

nachjagten. Bei klarem Wetter, meistens<br />

in der Regenzeit, konnte man drüben auf<br />

der anderen Seite den Kongo sehen.


Bekannt wurde der Tanganyika-See<br />

durch die letzten Lebensjahre, die<br />

der Missionsarzt und Afrikaforscher Dr.<br />

David Livingstone hier verbrachte. In<br />

Europa und in den USA galt der schon<br />

zu Lebzeiten berühmte Forscher und<br />

Missionar als verschollen. Der Journalist<br />

Henry Morton Stanley, ein US-Amerikaner,<br />

wurde von seinem Arbeitgeber, dem<br />

Verleger der „New York Herald“, nach<br />

Ostafrika geschickt, um Dr. Livingstone<br />

zu suchen und zu finden. Man wollte<br />

eine große Story und man bekam sie<br />

auch. Denn Stanley gelang das kaum<br />

für möglich Gehaltene, er fand Dr.<br />

Livingstone in dem kleinen Ujiji, heute<br />

ein Stadtteil von Kigoma (10.11.1871).<br />

Beide machten sich gemeinsam auf nach<br />

Norden, ehe sich dann ihre Wege wieder<br />

trennten.<br />

Jahre später war es das Geschick des<br />

deutschen Kanonenbootes „Graf Goetzen“,<br />

durch das der Name des Sees<br />

wieder in aller Munde war. Die „Graf<br />

Goetzen“ wurde auf der Meyer-Werft<br />

in Papenburg in Norddeutschland<br />

kurz vor dem Ersten Weltkrieg gebaut.<br />

Kaum, dass das Dampfboot fertig war,<br />

zerlegte man es und verpackte das Schiff<br />

in 5000 Kisten. 1914 wurde die Fracht<br />

mit der Eisenbahn, dann mit einem<br />

Überseedampfer von Hamburg nach<br />

Dar-es-salaam gebracht und zum Teil<br />

zu Fuß von einheimischen Trägern quer<br />

durch das damalige Deutsch-Ostafrika<br />

zum Tanganyika-See transportiert, bis<br />

es dann schließlich vor Ort in Kigoma<br />

unter der Leitung von drei deutschen<br />

Mitarbeitern der Meyer-Werft von neuem<br />

am Ufer des Sees aufgebaut wurde.<br />

Heute heißt die „Graf Goetzen“ „Liemba“<br />

und tut, nun fast schon 100 Jahre alt,<br />

immer noch gute und wichtige Dienste.<br />

Einmal wöchentlich wird die Strecke<br />

Kigoma – Bujumbura – Sambia befahren,<br />

um Güter aller Art und Passagiere<br />

über den See zu transportieren.<br />

Und dann die Zierfische vom Tanganyika-See<br />

(Gattung: Tanganyika Cichlides.).<br />

Für jeden Aquarienfreund ein Muss,<br />

Zierfische aus dem Tanganyika-See im<br />

Wohnzimmer bewundern zu können,<br />

wenn möglich in dem 240 Liter fassenden<br />

Aquarium Marke: Tanganyika BS<br />

200 x 60.<br />

Wir kommen an kleinen Fischerdörfern<br />

vorbei. Dicht drängen sich die<br />

Häuser am Ufer.<br />

Auch Stanley und Livingstone sahen<br />

diese „Fischersiedlungen im Schatten von<br />

Palmen-, Bananen- und Mimosenhainen.<br />

Die stillen Wasser der Bucht spiegelten die<br />

Schönheit der Berge wider, die sie vor den<br />

tosenden, draußen wütenden Stürmen<br />

schützten“.<br />

Hinter den Dörfern steile Hänge, an<br />

denen sich schmale Pfade hochwinden<br />

und den Einwohnern den Weg zu ihren<br />

Feldern zeigen.<br />

Etwas abseits gelegen da und dort ein<br />

kleiner Bau aus Backsteinen, an der<br />

Stirnseite ein weißes Kreuz. Es sind die<br />

Kirchen der verschiedensten Denominationen.<br />

Anglikanische Gemeinden,<br />

römisch-katholische Christen, aber auch<br />

Adventisten und Pfingstgemeinden<br />

treffen sich hier samstags (Adventisten)<br />

oder sonntags zu ihren Gottesdiensten.<br />

Wie helle Farbtupfer in der manchmal<br />

braun-grauen Landschaft wirken<br />

die weißgetünchten und fensterlosen<br />

Moscheen, Versammlungsort der Muslime.<br />

Immerhin bekennen sich 75% der<br />

Bevölkerung hier am See zum Islam.<br />

Für die Anwohner ist der See die<br />

Lebensader, bedeutsam als Wasserquelle<br />

zum Trinken, zum Baden und zum<br />

Waschen. Er ist einziges Transportmittel,<br />

denn die Orte sind nur mit dem Boot zu<br />

erreichen, und er ist auch wichtige Nahrungsquelle.<br />

Der Fischfang liefert Proteine.<br />

Er ergänzt den manchmal eintönigen<br />

Dr. David Livingstone und Henry Morton Stanley bei ihrer Reise nach Norden auf dem Tanganyika-See.<br />

Speiseplan und sichert vielen Familien<br />

eine gewisse Erwerbsmöglichkeit.<br />

Was sich für uns und erst recht für<br />

Henry M. Stanley und für Dr. Livingstone<br />

so idyllisch und friedlich darstellte, ist<br />

gefährdet. Ja, mehr noch, es ist der äußere<br />

Schein, vielleicht auch mehr Wunsch<br />

und Traum vom unberührten und<br />

naturhaften Afrika, weitab der westlichtechnisierten<br />

Lebensart mit den düsteren<br />

Umweltprognosen. Wenigstens hier, so<br />

könnte man meinen, kann man noch ein<br />

Stück unberührte Natur erleben.<br />

Aber vergebens hält man Ausschau<br />

nach den „süßduftenden Wäldern“, wie<br />

Stanley sie noch beschrieb. Statt einer<br />

dunkelgrünen und üppigen Waldlandschaft,<br />

die die Berge wohl früher überzog,<br />

erstreckt sich savannenartige Vegetation<br />

über die Region, bewachsen mit<br />

niedrigem Gebüsch, mit Sträuchern und<br />

<strong>MMH</strong>-report 33


mit vereinzelten kleinen und krummen<br />

Bäumen. Die gewaltigen Tropengüsse in<br />

der letzten Regenzeit haben ganze Hänge<br />

weggespült.<br />

Die Entwaldung durch den Menschen<br />

ist die Hauptursache, warum der<br />

Boden hier zerstört ist. Die Erosion<br />

greift immer tiefer und weiter. Holz wird<br />

täglich für die Feuerstellen genutzt zum<br />

Kochen, zum Räuchern des Fisches,<br />

damit er haltbar bleibt, zum Kochen des<br />

Palmöls, zum Brauen des traditionellen<br />

Bieres aus Hirse oder Bananen.<br />

Brandrodung, obwohl verboten, wird<br />

weiter reichlich praktiziert. Auch jetzt,<br />

als wir unweit des Ufers entlangfahren,<br />

hören wir das Feuer prasseln, sehen die<br />

Flammen meterhoch schlagen.<br />

Bäume und Sträucher müssen auch<br />

neuen Anbauflächen weichen.<br />

Die Bevölkerung wächst. Die durchschnittliche<br />

Kinderzahl einer Familie in<br />

den ländlichen Bereichen beträgt 5-7<br />

Kinder. Die natürliche Wachstumsrate<br />

liegt bei jährlich 3,9 %, eine der höchsten<br />

in Ostafrika. Die Zahlen besagen, dass<br />

sich die Bevölkerung alle 25-30 Jahre<br />

verdoppeln wird, auch hier in den Seegebieten.<br />

Die Menschen müssen ernährt<br />

werden, Transportkosten von und nach<br />

Kigoma sind teuer. Also muss möglichst<br />

viel vor Ort angebaut werden. Das Land<br />

ist knapp und kostbar. Deshalb weicht<br />

man zum Anbau von Cassava immer<br />

mehr auf die Hänge aus. Und gerade<br />

Cassava wächst gut in den Hanglagen,<br />

beschleunigt aber auch die Bodenerosion,<br />

denn die Pflanzen werden jährlich<br />

34<br />

<strong>MMH</strong>-report<br />

geerntet, einschließlich der Wurzeln, aus<br />

denen der Ugali gekocht wird, das traditionelle<br />

Hauptnahrungsmittel. Die abgeernteten<br />

Felder sind dann für einige Zeit<br />

Wind und Regen schutzlos ausgeliefert.<br />

Experten gehen davon aus, dass die<br />

Umweltprobleme weiter zunehmen werden.<br />

Die Verschmutzung des Wassers<br />

durch die Boote, durch Pestizide, die in<br />

der Landwirtschaft, aber auch zur Vernichtung<br />

der Mücken eingesetzt werden,<br />

nimmt zu. Malaria ist Krankheitsursache<br />

Nr. 1, auch hier am See. Die Anopheles<br />

Mücke, die die Malaria überträgt, ist<br />

äußerst anpassungsfähig und deshalb<br />

schlecht zu bekämpfen. Der Kampf mit<br />

Pestiziden ist dabei immer noch eine der<br />

wirkungsvollsten Methoden.<br />

Die Zunahme der Abwässer, die aus<br />

den Städten ungefiltert und ungeklärt<br />

in den See entleert werd,en z.B. in Kigoma<br />

mit seinen 170.000 Einwohnern, ist<br />

ungebremst. Im Norden ist es Bujumbura,<br />

die Hauptstadt von Burundi, mit über<br />

300.000 Einwohnern. Kläranlagen gibt<br />

es nicht. Das Wasser in der Bucht von<br />

Kigoma ist in den letzten Jahren deutlich<br />

trüber geworden und mit dem Wasser<br />

draußen auf dem See nicht mehr zu vergleichen.<br />

Die wichtigste Nahrungs- und Erwerbsquelle<br />

der Menschen am See<br />

ist nach wie vor der Fischfang. Aufgrund<br />

der wachsenden Bevölkerung steigt<br />

der Bedarf an Fisch. Dies und auch die<br />

internationale Nachfrage nach Fisch aus<br />

dem Tanganyika-See einschließlich der<br />

Zierfische für deutsche und europäische<br />

Aquarien führt zur Überfischung. Hinzu<br />

kommen veraltete Fangmethoden<br />

mit falschem Material. Es werden Netze<br />

benutzt mit zu geringer Maschengröße.<br />

Auch wird mit Dynamit gefangen, so<br />

dass der Staat in bestimmten Gebieten<br />

ein generelles Fangverbot ausgesprochen<br />

hat. In anderen Gebieten müssen hohe<br />

Anforderungen erfüllt sein, um der<br />

Fischerei wieder nachgehen zu können.<br />

„Durch den Zauber der Landschaft und<br />

durch die üppige Tropenvegetation wird<br />

das Auge müde“, empfand Stanley bei<br />

seiner Fahrt über den See. Uns geht es<br />

ebenso. Die Eindrücke der Landschaft<br />

auf der über dreistündigen Bootsfahrt<br />

wiederholen sich. Es kehrt eine gewisse<br />

Müdigkeit ein. Wir nutzen die Zeit zum<br />

Gespräch. Ich frage Gideon, unseren<br />

tanzanischen Freund und Mitarbeiter,<br />

ob sich hier in den letzten Jahren denn<br />

nicht irgendetwas verändert habe, zum<br />

Guten, meine ich. Ob er Fortschritte in<br />

der Entwicklung sehe? Immerhin spreche<br />

doch alle Welt von den Vorzügen der<br />

Globalisierung, auch für Afrika.<br />

Gideon zögert mit seiner Antwort,<br />

schüttelt dann aber den Kopf. „Nein. Im<br />

Gegenteil. Es ist schlechter geworden.“<br />

Er macht eine Pause, fährt dann fort:<br />

„Viele Fischer können ihre Familien nicht<br />

mehr ernähren. Die vom Staat geforderten<br />

modernen Fanggeräte sind teuer,<br />

kaum jemand kann sich das leisten. Die<br />

Familien haben ihre Existenzgrundlage<br />

verloren. Die Männer hängen nur noch


in den Dörfern herum. Trinken übermäßig<br />

viel das selbstgebraute Bier und<br />

wissen nichts mehr mit sich anzufangen.<br />

Sie haben nur Fischen gelernt, sie können<br />

nichts anderes. Landwirtschaft wird in<br />

der Kultur hier am See gering geachtet. Es<br />

ist Frauensache. Kein Fischer kommt so<br />

ohne weiteres auf den Gedanken, seiner<br />

Frau zu helfen. Die Ansteckungsgefahr<br />

mit HIV ist groß. Der Status der Frau ist<br />

gering, auch sind wechselnde Partnerinnen<br />

und der Umgang mit Prostituierten<br />

gängige und gesellschaftlich akzeptierte<br />

Praktiken.<br />

Den Männern eine neue Perspektive<br />

zu geben, wäre lohnenswert. Die Frauen<br />

bearbeiten die Felder. Ohne sie würde<br />

hier nichts mehr gehen. Die Kinder gehen<br />

morgens hungrig zur Schule. Mittags,<br />

wenn sie nach Hause aus der Schule<br />

kommen, meistens hungrig, sind sie sich<br />

selbst überlassen. Wenn sie Glück haben,<br />

bekommen sie abends ihre erste und einzige<br />

Mahlzeit am Tag.<br />

Das Einkommen für eine Familie mit 7<br />

Kindern beträgt im Durchschnitt 300.-<br />

US Dollar (= 200.- EURO) im Jahr, wohlgemerkt,<br />

vorausgesetzt der Mann hat eine<br />

regelmäßige Arbeit. Wie soll man damit<br />

überleben?“<br />

„Im Einzugsbereich unserer Ambulanz in<br />

Bugamba“, fährt Gideon fort, „leben ca.<br />

50.000 Menschen. Eigentlich müsste dies<br />

ausreichen, dass wir uns als Gesundheitseinrichtung<br />

aus eigenen Kräften finanzieren,<br />

ohne Unterstützung von außen. Aber<br />

immer weniger Patienten können ihre<br />

Behandlung und die Medikamente bezahlen,<br />

und wir sind noch weit und breit<br />

Das tägliche Boot nach Kigoma.<br />

ÉDer Tanganyika-See bildet als Teil des ostafrikanischen Grabenbruchs<br />

die Grenze zwischen zentral- und Ostafrika. Mit 673 km in nordsüdlicher<br />

Richtung bei einer durchschnittlichen Breite von 5o km und einer<br />

maximalen Tiefe von 1470 m (durchschnittlich 570 m) ist der Tanganyika-See<br />

zugleich der tiefste und der zweitgrößte des ganzen Kontinents.<br />

ÉEr besitzt mit 18.880 km³ Volumen das größte Süßwasservorkommen<br />

afrikas und das zweitgrößte weltweit nach dem Baikalsee. Die Fläche<br />

beträgt 32.893 km², die Uferlänge 1.828 km. Die Wasseroberfläche liegt<br />

782 m ü. „normalnull“ nn, damit befindet sich der Grund des zweittiefsten<br />

Sees der Erde 688 m unter dem Meeresspiegel. Seine Tiefe bedeutet<br />

auch, dass es sich in den tieferen Schichten des Sees um fossiles Wasser<br />

handelt. Der See zählt zu den Gewässern mit der höchsten biologischen<br />

Vielfalt (= Biodiversität, nicht zu verwechseln mit der arten-vielfalt, die<br />

nur einen Teil der biologischen Vielfalt darstellt).<br />

É10 Millionen Menschen leben an den Ufern rund um den See in den<br />

4 Staaten Kongo, Burundi, Sambia und Tanzania.<br />

diejenigen mit den niedrigsten Behandlungskosten.<br />

Aber wir können niemanden zurückschicken.<br />

Jeder wird von uns behandelt,<br />

gerade für die Armen sind wir ja da. Die<br />

Schulden werden aufgeschrieben, wobei<br />

jeder von uns weiß, dass das nie zurückbezahlt<br />

werden kann. Oder die Menschen<br />

kommen zu spät oder überhaupt nicht<br />

zur Behandlung, weil sie kein Geld haben.<br />

Viele gehen zum traditionellen Heiler oder<br />

behandeln sich selbst. Das kann dann dramatische<br />

Folgen haben, manchmal kostet<br />

es auch das Leben. Uns fehlt natürlich am<br />

Monatsende das Geld, das die Patienten<br />

nicht zahlen können, bei den Einnahmen.<br />

Das macht oft mehr als die Hälfte aus.<br />

Deshalb können wir oft die Gehälter<br />

unserer Mitarbeiter nicht zahlen. Erst<br />

recht nicht, nachdem die Regierung die<br />

Mindestlöhne so drastisch erhöht hat.“<br />

Gideon macht eine Pause. Er wirkt<br />

müde. „Das Leben hier ist hart<br />

geworden, den Menschen zu helfen ebenfalls.<br />

Welcher qualifizierte, gut ausgebildete<br />

Mensch will hier denn noch arbeiten?<br />

Die Jungen zieht es in die Städte, nach<br />

Kigoma, nach Tabora. Aber sie wissen<br />

nicht, auf was sie sich da einlassen. Kaum<br />

jemand hat eine Ausbildung.<br />

Der Staat versucht die Infrastruktur zu<br />

verbessern. Vor allem auf dem Bildungsund<br />

Gesundheitssektor. So haben wir seit<br />

einigen Jahren die erste Secondary-School<br />

in der Seeregion in Bugamba. Darauf sind<br />

wir natürlich stolz. Eine zweite Schule ist<br />

in Kagunga, weiter nördlich an der Grenze<br />

zu Burundi, vorgesehen. In jedem Dorf<br />

soll nach den Vorstellungen der Regierung<br />

auch eine Grundschule (Primary-School)<br />

gebaut werden. Aber es fehlen die Lehrer.<br />

Bis jetzt gibt es nur 3 Klassen an der<br />

Secondary-School in Bugamba, obwohl 6<br />

vorgesehen sind. In jeder Klasse ca.60- 90<br />

Schülerinnen und Schüler. Die Ausbildung<br />

der Lehrer ist mehr als dürftig. Ein<br />

Grundschullehrer erhält eine Ausbildung<br />

von 6 Wochen, ein Lehrer einer Sekundarklasse<br />

immerhin zwei Jahre.<br />

Im Gesundheitsbereich ist es ähnlich.<br />

Nach den Plänen der Regierung soll in<br />

jedem Dorf eine Dispensary gebaut werden,<br />

auch hier am Tanganyika-See. Aber<br />

die staatlichen Einrichtungen stehen doch<br />

jetzt schon alle leer, weil hier niemand<br />

arbeiten will, und weil es zu wenige aus-<br />

<strong>MMH</strong>-report 35


Der Streit um den wahren Arzt wurde in<br />

der jungen Christenheit vehement geführt<br />

und schließlich im 2./3. Jahrhundert<br />

zugunsten Christi als des einen und wahren<br />

göttlichen Arztes entschieden. Das junge<br />

Christentum erschien als eine „Religion<br />

der Heilung“ 9 – äußerlich zeigte sich dies<br />

dadurch, dass an der Stelle zahlreicher<br />

Asklepios- bzw. Äskulapheiligtümer christliche<br />

Kirchen erbaut wurden. 10<br />

<strong>Christus</strong> <strong>Medicus</strong> in der bildenden Kunst<br />

und in der architektur<br />

Das heilende Handeln Jesu wurde zu<br />

einem wichtigen Thema in der frühchristlichen<br />

Kunst. Interessanterweise sind Darstellungen<br />

Jesu als des Heilenden früher<br />

als Darstellung der Kreuzigungsszene. 11<br />

Im 4./5. Jahrhundert wurden in der bildlichen<br />

Darstellung vor allem Heilungen<br />

dargestellt. Zahlreiche bis heute erhaltene<br />

Sarkophage aus dieser Zeit stellen Heilungswunder<br />

dar, bevorzugt die Heilung<br />

Blinder, Aussätziger oder der Frau mit<br />

Blutfluss. 12<br />

Gerade die Tatsache, dass Jesus als der<br />

Heilende auf Grabstätten dargestellt ist,<br />

zeigt, dass Jesu Heilungstätigkeit umfassend,<br />

nämlich im Sinne eines Heilshandelns<br />

über den Tod hinaus, verstanden<br />

Jesus heilt eine Frau vom Blutsturz, Mosaik Ravenna, Appolinare Nuovo, Foto: bpl/Scala.<br />

wurde. Die bildliche Darstellung des heilenden<br />

<strong>Christus</strong> lässt sich bis in die Neuzeit<br />

hinein verfolgen – im 17. Jahrhundert<br />

wurde <strong>Christus</strong> bevorzugt auch als Apotheker<br />

in der „Apotheke Gottes“ dargestellt 13<br />

(s. Seite 24).<br />

Die Verbindung von Heilung und Heil, die<br />

im <strong>Christus</strong>-<strong>Medicus</strong>-Motiv angelegt ist,<br />

wird auch und besonders deutlich in der<br />

Architektur mittelalterlicher christlicher<br />

Hospitäler: Vor allem in den Klöstern, die<br />

sich in besonderer Weise der Kranken<br />

annahmen, waren die Krankensäle und die<br />

Kapelle räumlich eng verbunden. Oft konnten<br />

die Kranken vom Bett an der Feier des<br />

Gottesdienstes teilnehmen – die Erfahrung<br />

von Heilung und Heil war unlösbar miteinander<br />

verbunden. 14 In diesem Zusammenhang<br />

ist es interessant, dass zum Beispiel<br />

in der Klosterregel des Benedikt von Nursia<br />

(um 480-547) die Aufgabe des Abtes eines<br />

Klosters mit der Funktion eines Arztes<br />

verglichen ist – auch hier wird deutlich,<br />

dass sowohl das körperliche wie auch das<br />

seelisch/geistliche Wohl der Menschen im<br />

Blick war. 15<br />

Heilung und Heil werden getrennt<br />

Die im <strong>Christus</strong>-<strong>Medicus</strong>-Motiv angelegte<br />

Verklammerung von Medizin und Theologie,<br />

von Heilung und Heil, wurde über die<br />

Jahrhunderte hinweg gelockert und seit<br />

der Neuzeit gehen Medizin und Theologie<br />

weitgehend getrennte Wege. Zu dieser Entwicklung<br />

haben sowohl die Theologie wie<br />

auch die Medizin beigetragen.<br />

In der Theologie der ersten Jahrhunderte<br />

war das <strong>Christus</strong>-<strong>Medicus</strong>-Motiv wesentlich<br />

für die Beschreibung Christi als des<br />

Arztes des Leibes und der Seele. Schon<br />

Les Miracles du Christ – Wunder Jesu – Teil eines Diptychons<br />

um 5. Jh. n. Chr. Foto: Daniel Arnandet.<br />

bald aber wurden Jesu Heilungen überwiegend<br />

metaphorisch gedeutet. Augustinus<br />

(354-430) zum Beispiel betonte, der<br />

Mensch brauche die Hilfe des göttlichen<br />

Arztes, da er auf Grund seiner Trennung<br />

von Gott elend und verzweifelt sei. 16 Diese<br />

Entwicklung vollzog sich vor allem in der<br />

westlichen Theologie, während in der östlichen<br />

Theologie der Zusammenhang von<br />

Heil und Heilung vor allem in der Liturgie<br />

bis heute nie aus dem Blick geriet.<br />

In der westlichen Theologie des Mittelalters<br />

verblasste das Motiv <strong>Christus</strong><br />

<strong>Medicus</strong> und in der Volksfrömmigkeit<br />

wurde <strong>Christus</strong> als „Seelenfreund“ und<br />

„Seelentröster“ wichtig. Zum Zurücktreten<br />

des Aspekts der körperlichen Heilung im<br />

theologischen Denken trug auch bei, dass<br />

seit dem 13. Jahrhunderts Priestern der<br />

römischen Kirche die Ausübung des medizinischen<br />

Berufs untersagt war. 17<br />

Mit Beginn der Neuzeit wurde das Motiv<br />

in seiner ursprünglichen Bedeutung vereinzelt<br />

wieder aufgenommen. Martin Luther<br />

(1483 - 1546) bezog sich in seinen Schriften<br />

auf <strong>Christus</strong> als den Arzt und verstand<br />

Heilung sowohl im physischen wie im<br />

geistlichen Sinne – er betonte deshalb die<br />

Wichtigkeit der „Leibsorge“ in den Gemeinden<br />

und er bezeichnet das Abendmahl als<br />

„Arznei für Leib und Seele“. 18 Auch die<br />

spanische Mystikerin und Kirchenlehrerin<br />

Teresa von Avila (1515-1582) verwendete<br />

das Motiv in ihren Schriften in seiner<br />

ursprünglichen Bedeutung. Sie verstand<br />

die Sakramente als heilbringend in einem<br />

umfassenden Sinne, also auch für den körperlichen<br />

Bereich.<br />

Obwohl das Bild von <strong>Christus</strong> als dem<br />

Arzt immer wieder vereinzelt aufgenom-<br />

<strong>MMH</strong>-report 3


gebildete Fachkräfte gibt, die eine solche<br />

Einrichtung führen können. Da wird sich<br />

auch auf Jahre nicht viel ändern. Man hat<br />

in den letzten Jahrzehnten kaum in die<br />

Bildung und die Gesundheit investiert.<br />

Das war ein schwerwiegender Fehler.<br />

Die Bereiche Erziehung und Gesundheit<br />

versprechen keinen schnellen Profit,<br />

deshalb waren sie lange uninteressant.“<br />

Ob er es nicht manchmal bereue,<br />

diesen Weg gegangen zu sein,<br />

frage ich ihn. „Du hättest ja auch in<br />

einem Krankenhaus eine gute Anstellung<br />

haben können, in Zentraltanzania,<br />

Deiner Heimatregion?“<br />

„Nein“, er winkt ab. „Nein, nicht wirklich.<br />

Natürlich kommen manchmal Fragen,<br />

man wird unsicher, vor allem, wenn es<br />

36<br />

<strong>MMH</strong>-report<br />

nicht so gut läuft, wie man sich das vorstellt.<br />

Aber ich habe Familie hier. Es ist gut<br />

so. Es gibt noch viel zu tun. Gebe Gott uns<br />

Kraft und Mut dazu.“<br />

Das Boot verliert an Fahrt, wir nähern<br />

uns Bugamba. Ein kleines Empfangskomitee<br />

begrüßt und begleitet uns zum<br />

Gebäude der neuen Dispensary, das,<br />

durch Sträucher und neu gepflanzte<br />

Bäume versteckt, nahe am Ufer liegt.<br />

Viele Patientinnen und Patienten warten<br />

im Innenhof auf ihre Behandlung.<br />

Mit Zuversicht, Mut und Geduld<br />

haben die tanzanischen Mitarbeiter,<br />

allen voran Gideon Kibambai, hier für<br />

eine funktionierende Basisversorgung<br />

gesorgt. Es wird sicher noch einige Zeit<br />

dauern, bis Regierungsprogramme die<br />

Menschen in dieser abgelegenen Ecke<br />

des Landes erreichen werden, wenn<br />

überhaupt. Deshalb ist es wichtig, das zu<br />

tun, was möglich und not-wendig ist.<br />

Es ist gut, dabei mithelfen zu können.<br />

Gerd Propach, Dr. med.<br />

hat als Arzt im Kigoma-Distrikt<br />

eine Gesundheitseinrichtung der<br />

anglikanischen Kirche geleitet.<br />

Seit 1995 im Bereich Sozialmedizin<br />

beratender Arzt und Gutachter<br />

beim Medizinischen Dienst der<br />

Krankenversicherungen in Hessen<br />

(MDK). Langjährige Mitarbeit im<br />

Leitungskreis des AfW (Arbeitskreis<br />

für Weltmission in der SMD).<br />

2. Vorsitzender der <strong>MMH</strong>/<strong>MMS</strong>.<br />

T a n z a n i a<br />

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Heilen – eine Herausforderung an Kirche, Mission und Theologie<br />

Die Glaubensheilung in Geschichte und Praxis des Pietismus<br />

Die therapeutische Kraft des Glaubens und die<br />

Vision von einer heilenden Gemeinde<br />

Gemeinsam können wir es schaffen – Gedanken zum Thema<br />

Community Development<br />

Viel zu kleine Messungen – über afrikanische Literatur<br />

Bildnachweis und -erläuterungen<br />

Wir danken für die engagierte Bereitschaft,<br />

uns das Bildmaterial zur Verfügung zu stellen.<br />

Seite 1: bpk Berlin, Kupferstichkabinett, Staatliche Museen<br />

zu Berlin/302-1898, Foto:Jörg P. Andres<br />

Seite 2: Klassizistisches Relief, Replikat © 2005 by<br />

Hermann Scharpf, www.koerperabformung-hermes.de/<br />

images/asklepi...<br />

Seite 3: Bildbestand Preußischer Kulturbesitz,<br />

Foto: bpk / Scala bpk / RMN / Foto: Daniel Arnaudet<br />

Seite 4: Entnommen Otto Zekert: Paracelsus, W. Kohlhammer<br />

Verlag, 1968,<br />

Foto: Raymond Faure, www.raymond-faure.com<br />

Seite 6: Friedemann Stöffler, Tübingen<br />

Seite 7: Heiler in Afrika, Sammlung Regina und Gerd Riepe,<br />

Seite 12: Peter Williams (WCC)<br />

Seite 13: CfaN (<strong>Christus</strong> for all Nations, Frankfurt)<br />

Seite 15: ÖRK, Genf<br />

Seite 16: bpk /Skulpturensammlung und Museum für<br />

Byzantinische Kunst, SMB / Foto: Jürgen Liepe<br />

Seite 17: bpk Berlin, Foto:Jörg P. Andres, Kupferstichkabinett,<br />

Staatliche Museen zu Berlin/302-1898<br />

Seite 19: Gerhard Tersteegen, Gemälde im Schulleiterzimmer,<br />

Gerhard - Tersteegen - Schule in Ratingen-Tiefenbroich<br />

Seite 20: Wohnhaus von Gerhard Tersteegen in Mülheim,<br />

Quelle: Wikipedia. Leider ist es uns nicht gelungen, den<br />

Fotograf/Urheber dieses Bildes ausfindig zu machen.<br />

Seiten 21,22 und 23 (Samuel Collenbusch):<br />

aus: Julius Roessle, Zeugen und Zeugnisse, Christliche<br />

Verlagsanstalt Konstanz, 1968<br />

Seite 23: Johann Ernst Stahl, Foto nach Kupferstich, Porträtsammlung<br />

Berliner Hochschullehrer © Humboldt-Universität<br />

zu Berlin, Universitätsbibliothek<br />

Seite 24: <strong>Christus</strong> ruft in die Himmelsapotheke (Taschenbuch):<br />

Das BIldmotiv des Buchumschlags zeigt „<strong>Christus</strong> als<br />

Apotheker“, das Ölgemälde stammt aus der Karmeliter-<br />

Apotheke München. Es entstand im 1. Viertel des 18. Jh.<br />

Der Maler ist nicht bekannt.<br />

Angaben: Heidelberger Apothekenmuseum<br />

Seite 25: bpk / Skulpturensammlung und Museum für<br />

Byzantinische Kunst, SMB<br />

Seite 26: Foto: Abendmahlsfeier in der Loschwitzer Kirche in<br />

Sachsen, Foto: Johannes Dose<br />

Foto: Waschung in der Moschee Foto: Peter Williams /WCC)<br />

Seite 27: Bild: Friedrich Christoph Oetinger (1702-1782),<br />

Bild: Wuerttembergische Landesbibliothek<br />

Seite 28 und 29:<br />

Rembrandtzeichnungen:<br />

- Jesus heilt einen Aussätzigen, Amsterdam,<br />

Rijksprentenkabinet,<br />

Quelle: www.uni-leipzig.de/ru/bilder/wunder/b2-21.jpg,<br />

- Jesus heilt einen Kranken, bpk / Kupferstichkabinett, SMB /<br />

Jörg P. Anders<br />

- Die Auferweckung der Tochter des Jaiurus; bpk / Kupferstichkabinett,<br />

SMB / Jörg P. Anders<br />

- Studie für die Gruppe der Kranken auf dem Hundertguldenblatt;<br />

,bpk / Kupferstichkabinett, SMB / Jörg P. Anders<br />

- Jesus heilt den Blindgeborenen; Rotterdam, Museum<br />

Boymans van Boiningen, Quelle: www.uni-leipzig.de/<br />

ru/bilder/wunder/b2-57.jpg<br />

Seite 33: Gianni Guadalupi. Der Nil. Die Geschichte seiner<br />

Entdeckung und Eroberung. Karl Müller Verlag, Erlangen,<br />

1999. S. 203<br />

Alle Autorenbilder: privat<br />

Seiten: 7, 8, 14, 18, 30-36:<br />

<strong>MMH</strong>/<strong>MMS</strong><br />

<strong>MMH</strong>-report 04/2008<br />

Herausgeber: Vorstand der<br />

Medizinischen Missionshilfe e.V.<br />

Redaktion: Dr. Gerd Propach<br />

Photoredaktion, PrePress: HelP<br />

Anschrift: <strong>MMH</strong>-report, Berliner Straße 57,<br />

35435 Wettenberg, Tel.: 06406 - 75111<br />

E-mail : mmh-report@<strong>MMH</strong>info.de<br />

Druck: Ordensgemeinschaft der Armen Brüder<br />

des heiligen Franziskus, Beschäftigungshilfe Düsseldof<br />

Konto für Spenden: Postbank Essen<br />

Konto 440654 433, BLZ 36010043

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