Beckers, Hermann-Josef, Heil und Heilung - MMH/MMS
Beckers, Hermann-Josef, Heil und Heilung - MMH/MMS
Beckers, Hermann-Josef, Heil und Heilung - MMH/MMS
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>Hermann</strong>-<strong>Josef</strong> <strong>Beckers</strong><br />
<strong>Heil</strong> <strong>und</strong> <strong>Heil</strong>ung<br />
÷ffentliche Geistheilung als T.V.-Spektakel; Geistheiler als Reiseattraktion;<br />
feinstoffliche <strong>Heil</strong>weisen als Lehrinhalte; "Therapiebed¸rftigkeit der Medizin". Die<br />
Stichworte lieflen sich vermehren, die darauf aufmerksam machen, dass viele Menschen<br />
der Auffassung sind, mit unserem Ges<strong>und</strong>heitssystem sei etwas nicht in Ordnung. Die<br />
geistig- spirituelle Dimension m¸sse in Betracht gezogen werden. Nur so sei den<br />
vielf‰ltigen Erfahrungen von Unheil <strong>und</strong> Krankheit beizukommen. Der Mensch versucht<br />
sich von den Plagen <strong>und</strong> Ausweglosigkeiten, die seit jeher sein Dasein bestimmen, zu<br />
befreien.<br />
Auf vielen Gebieten wurden beachtliche Erfolge erzielt. Doch die Bem¸hungen um<br />
Selbsterlˆsung haben viele bˆse, nie gedachte Folgen nach sich gezogen (vgl. Pompey<br />
1985):<br />
die Zerstˆrung des Lebensraumes (z.B. das Wald- <strong>und</strong> Flusssterben),<br />
die Zellwucherung des Krebses,<br />
die Zunahme psychosomatischer Erkrankungen (z.B. Herzerkrankungen <strong>und</strong><br />
Kreislaufzusammenbr¸che),<br />
das Zerreiflen von emotionalen Lebensr‰umen (Ehe- <strong>und</strong> Familienzerw¸rfnisse),<br />
die Ausbreitung von seelischen Erkrankungen (Depression, ƒngste, Hoffnungs-<br />
<strong>und</strong> Sinnlosigkeit usw.).<br />
Die Frage nach den Ursachen <strong>und</strong> nach dem Sinn, der mˆglicherweise hinter den<br />
Unheilserfahrungen steckt, hat die Menschen zu allen Zeiten bewegt. Einer der ‰ltesten<br />
Erkl‰rungsversuche ist der j¸disch-christliche, der Unheil als eine "Stˆrung<br />
f<strong>und</strong>amentaler, nat¸rlicher <strong>und</strong> zwischenmenschlicher Beziehungen" (÷kologie)<br />
beschreibt.<br />
Nach der biblischen Offenbarungstradition zweifelte der Mensch an dem Gutsein des<br />
inneren Logos (Oiko-Logos) <strong>und</strong> des ‰ufleren Logos (Theo-Logos). Der Mensch wollte<br />
seine "Wirk"lichkeit, d.h. seine Lebenswahrheit (in der Philosophie auch ontologische<br />
Wahrheit genannt) <strong>und</strong> die Schˆpfung mit ihren Mˆglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen nicht<br />
bejahen. Die Folge dieses Gr<strong>und</strong>misstrauens war:<br />
1. eine radikale Beziehungsstˆrung des Menschen zu sich: er erkannte, dass er<br />
nackt war (Genesis),<br />
2. eine radikale Beziehungsstˆrung zum N‰chsten: Adam <strong>und</strong> Eva beschuldigten<br />
sich gegenseitig (Genesis 3,12), <strong>und</strong><br />
3. eine radikale Beziehungsstˆrung zur Schˆpfung: die M¸hsal der t‰glichen Arbeit<br />
<strong>und</strong> des Lebens in der Familie (Genesis 3,16-19); (vgl. Pompey).<br />
Die Unstimmigkeit, die sich aus diesem Urmisstrauen des Menschen ergibt, wird<br />
verst‰rkt - so Pompey - durch die Gr<strong>und</strong>struktur der Bed¸rftigkeit des Menschen.<br />
Im Hinblick auf die von Abraham Maslow vorgelegte Hierarchie der Bed¸rfnisse merkt
Pompey an:<br />
"dass die Selbstverwirklichung als das hochstehendste Bed¸rfnis herausgestellt wird,<br />
d.h. die Suche nach der eigenen Wahrheit, als Lebens-'Wirk'lichkeit. Die Bem¸hungen<br />
des Menschen, diese Wahrheit, d.h. die Entfaltung all seiner Mˆglichkeiten zu finden,<br />
sind vielf‰ltig <strong>und</strong> von ebenso vielen Illusionen <strong>und</strong> Fehlversuchen gepr‰gt:<br />
die Befriedigung des kˆrperlichen Gr<strong>und</strong>bed¸rfnisses (1. Bed¸rfnisbereich) bis<br />
zu S¸chtigkeit <strong>und</strong> Rausch (z.B. die Trink-, Efl- <strong>und</strong> Tablettenabh‰ngigkeit, die<br />
Sex- <strong>und</strong> Horrorfilmsucht);<br />
die psychosoziale Angst vor Liebes- <strong>und</strong> Achtungsverlust (3. Bed¸rfnisbereich)<br />
in Verbindung mit der oft sozial blockierenden Angst, Unabh‰ngigkeit <strong>und</strong><br />
Freiheit dadurch zu verlieren (4. Bed¸rfnisbereich), sowie<br />
der fast uners‰ttliche Selbstverwirklichungskult (5. Bed¸rfnisbereich) in<br />
Selbsterfahrungsgruppen durch Meditationstechniken <strong>und</strong> Anschluss an die<br />
verschiedensten fernˆstlichen Psychokulte, den sogenannten Jugendreligionen."<br />
(Pompey)<br />
Wenn <strong>Heil</strong>, wie Dorothee Sˆlle es einmal ausgedr¸ckt hat, die Sehnsucht des Menschen<br />
nach Ganzsein, nach "unzerst¸cktem Leben" ausdr¸ckt, geht es bei <strong>Heil</strong>ung um Leib,<br />
Seele, Umwelt <strong>und</strong> Mitwelt, um den Glauben an Gott <strong>und</strong> um die Verantwortung vor der<br />
Schˆpfung. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach Spontanheilungen, die<br />
sich der Erkl‰rbarkeit durch eine materialistische Beweisf¸hrung zumindest vorl‰ufig<br />
entziehen. W‰hrend die Mˆglichkeit solcher <strong>Heil</strong>ungen bei uns wohl eher bestritten<br />
wird, wird man in anderen Teilen der Welt wohl eher auf Unverst‰ndnis stoflen, wenn<br />
man derartige Selbstverst‰ndlichkeiten ¸berhaupt in Frage stellt. Werner<br />
Hoerschelmann hat im Rahmen einer Vortragsreihe in der Hamburger Hauptkirche St.<br />
Petri viele Beispiele f¸r Glaubensheilungen in den Kirchen der Welt mitgeteilt.<br />
Die wichtigsten Ergebnisse seiner ‹berlegungen hat Hoerschelmann in den folgenden -<br />
leicht modifizierten - Thesen zusammengefasst:<br />
1. Es gibt spontane <strong>Heil</strong>ungen <strong>und</strong> es gibt Menschen, die sie besser hervorrufen<br />
kˆnnen als andere Menschen.<br />
2. Diese F‰higkeit ist kein Ausweis von Gˆttlichkeit. Da derartige <strong>Heil</strong>ungen sich<br />
im Bereich der geschaffenen Wirklichkeit bewegen, ist ihre Erkl‰rbarkeit<br />
gr<strong>und</strong>s‰tzlich auch dann anzunehmen, wenn sie heute noch nicht gegeben ist.<br />
3. <strong>Heil</strong>ungsw<strong>und</strong>er der Bibel sind hinweisende Zeichen des kommenden<br />
Gottesreiches, in dem alles heil sein wird.<br />
4. Die <strong>Heil</strong>ungsw<strong>und</strong>er der Bibel machen den Glauben nicht ¸berfl¸ssig, sondern<br />
sollen den Glauben an <strong>und</strong> die Hoffnung auf die Verf¸gungsmacht Gottes<br />
fˆrdern <strong>und</strong> st‰rken.<br />
5. Mit dem Hinweis auf die alleinige Verf¸gungsmacht Gottes w‰hrt der<br />
Zeichencharakter der <strong>Heil</strong>ungsw<strong>und</strong>er bestimmte Missverst‰ndnisse ab:<br />
- das "medizinische" Missverst‰ndnis,<br />
- das "magische" Missverst‰ndnis,<br />
- die "W<strong>und</strong>ergl‰ubigkeit".<br />
6. W<strong>und</strong>er im Sinne des Neuen Testamentes sind im Glauben an Jesus Christus<br />
erkannte Zeichen der anbrechenden Auferstehungswirklichkeit inmitten einer<br />
noch vorherrschenden Kreuzesgestalt der menschlichen Existenz.<br />
7. In der Aussendungsrede (Math. 10/Luk. 10) ¸bertr‰gt Jesus diesen "Arbeitsstil"
ausdr¸cklich auch auf seine J¸nger: Math. 10, 8: heilt Kranke, weckt Tote auf,<br />
macht Auss‰tzige rein, treibt D‰monen aus. Luk. 10,9: heilt die Kranken, die<br />
dort sind <strong>und</strong> sagt den Leuten, das Reich Gottes ist euch nahe.<br />
8. In diesem christlichen Sinn verstandene <strong>Heil</strong>ung geschieht nicht durch den<br />
<strong>Heil</strong>er, sondern durch Gott selbst.<br />
Das hat zur Folge<br />
- man traut es dem heiligen Geist zu, f¸r den ganzen Menschen "zust‰ndig" zu<br />
sein<br />
- man rechnet betend auf Gottes machtvolles Eingreifen, bleibt sich aber der<br />
Unverf¸gbarkeit Gottes bewusst,<br />
- kˆrperliche <strong>Heil</strong>ung ist nicht Selbstzweck, sondern Hinweis auf das Reich<br />
Gottes <strong>und</strong> zielt auf Umkehr,<br />
- Leiden gewinnt seinen Sinn aus seiner Stellung im <strong>Heil</strong>splan Gottes.<br />
9. Jede Suggestion einer <strong>Heil</strong>ungsgarantie unter christlichem Vorzeichen, sei es<br />
durch den "<strong>Heil</strong>er", sei es durch seine Mitarbeiter / Anh‰nger, ist<br />
Gottesl‰sterung.<br />
10. Es ist ebenso gottesl‰sterlich, Gott keine Einwirkungsmˆglichkeit auf die<br />
<strong>Heil</strong>ung des Leibes zuzutrauen.<br />
11. Gr¸nde f¸r eine derartige Leugnung kˆnnten sein:<br />
- die (neu)-platonische Vorstellung, der Leib sei "Kerker der Seele"<br />
- die Schwierigkeiten, ein <strong>Heil</strong>shandeln Gottes in ein naturwissenschaftliches<br />
Weltbild zu integrieren<br />
- die Angst <strong>und</strong>/oder Unf‰higkeit, gezielt zu beten.<br />
Wenn Kirche den <strong>Heil</strong>ungsauftrag ernst nimmt, sind <strong>Heil</strong>ungen, die vorkommen, nicht<br />
Mirakel, sondern Zeichen daf¸r, dass die <strong>Heil</strong>szusage Gottes dem ganzen Menschen gilt.<br />
Gott im Gebet / Gottesdienst um <strong>Heil</strong>ung bitten, darf <strong>und</strong> sollte nur der, der im Glauben<br />
mit der Wirklichkeit der Auferweckung f¸r seine eigene <strong>und</strong> unser aller Existenz<br />
rechnet.<br />
<strong>Hermann</strong>-<strong>Josef</strong> <strong>Beckers</strong>, Dr.phil.<br />
Studium Mathematik, kath. Theologie, Studium Erziehungswissenschaft, Soziologie,<br />
Psychologie.<br />
Von 1969 bis 2005 T‰tigkeit in verschiedenen Arbeitsfeldern im Bistum Aachen.<br />
Derzeit Lehrbeauftragter an der Katholischen Fachhochschule/Nordrhein,<br />
Abt. Aachen, FB Soziologie