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Prof. Dr.-Ing.<br />
Dietrich Schwarz<br />
KERNPROZESSTECHNIK II<br />
Scriptum<br />
zur Vorlesung
<strong>Kernprozesstechnik</strong> II<br />
Prof. Dr.-Ing. Dietrich Schwarz – langjähriges<br />
Mitglied des KTG-Vorstandes und Gründer der<br />
Fachgruppe „Nutzen der Kerntechnik“ – kam<br />
am 3. Juli 2001 auf dem Heimweg von der<br />
Universität Dortmund bei einem tragischen<br />
Verkehrsunfall ums Leben.<br />
Prof. Schwarz war von 1965 bis 1968 bei<br />
AEG an der Entwicklung des SWR und des<br />
Dampfbrüters beteiligt und bis zu seiner Pen-<br />
sionierung im Jahre 2000 bei VEW beschäftigt.<br />
Hier war seine Zeit als Geschäftsführer der<br />
Hochtemperatur GmbH ein Höhepunkt seiner<br />
beruflichen Laufbahn.<br />
Vorbildlich war sein jahrelanges und unermüd-<br />
liches Eintreten für die Nutzung der Kernener-<br />
gie in der Öffentlichkeit.<br />
Hierzu gehörte auch die Ausschreibung von<br />
DM 100.000 aus seinem Privatvermögen für<br />
den Nachweis, dass die Kernenergie ethisch<br />
nicht verantwortbar sei. Dies war Niemandem<br />
möglich.<br />
Ihm war es außerdem ein besonderes Anlie-<br />
gen, die Kerntechnik in Industrieländern zu<br />
nutzen, um Energieressourcen für die Länder<br />
der Dritten Welt zu erhalten.<br />
Am Lehrstuhl Energieprozesstechnik und Strö-<br />
mungsmechanik (Prof. Strauß) des Fachberei-<br />
ches Chemietechnik der Universität Dortmund<br />
hielt Prof. Schwarz mit großem Enthusiasmus<br />
die Vorlesungen <strong>Kernprozesstechnik</strong> I und II.<br />
Scriptum von Prof. Dr.-Ing. Dietrich Schwarz<br />
Bearbeitet von cand. ing. Michael Busch<br />
Dortmund, 2001<br />
1. Auflage
Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser!<br />
Das Ihnen vorliegende Scriptum zur Vorlesung <strong>Kernprozesstechnik</strong> II<br />
entstand bis zu seinem tragischen Unfall unter wachsamem Auge von<br />
Prof. Schwarz. Ich hoffe, es in seinem Sinne zum Abschluss gebracht zu<br />
haben.<br />
Die handschriftlichen Anmerkungen stammen von Prof. Schwarz. Die<br />
mit [Dub99] gekennzeichneten Abbildungen stammen aus Dubbel -<br />
Taschenbuch für den Maschinenbau und sind teilweise in bearbeiteter<br />
Form dargestellt. Diesem Buch wurde auch die Titelgraphik entnom-<br />
men, die den Kühlturm des THTR Hamm-Uentrop zeigt.<br />
Sollten Ihnen in der vorliegenden Auflage orthographische Fehler auf-<br />
fallen, so bitte ich Sie, diese mir unter feedback@kernprozesstechnik.de<br />
oder unter www.kernprozesstechnik.de mitzuteilen. Satzbau, Inter-<br />
punktion und Inhalt stammen aus der Feder von Prof. Schwarz und soll-<br />
ten nicht verändert werden.<br />
Michael Busch<br />
Student des Maschinenbaues<br />
Dortmund, im November 2001
Die im Juni 1999 entstandene Aufnahme<br />
zeigt Prof. Dr.-Ing. Schwarz (2. v. l.) mit einer<br />
Gruppe von Studenten der Fachrichtungen<br />
Chemietechnik und Maschinenbau sowie<br />
einem Kraftwerksmitarbeiter während einer<br />
von ihm geführten Besichtigung des Kern-<br />
kraftwerkes Emsland (KKE).
Inhaltsverzeichnis<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
1 Standortwahl.............................................................................................. 5<br />
Beschaffungsmarkt am Beispiel eines Kernkraftwerkes;<br />
Kühlungsarten; Infrastruktur; Absatzmarkt; Wechselwirkungen<br />
des KKW mit der Umgebung; Administrative und politische Einflüsse<br />
2 Randbedingungen an das Kernkraftwerk .............................................. 22<br />
Strombedarf; Lastfolgeverhalten; Spannung; Frequenz<br />
3 Vertrag .................................................................................................... 27<br />
Eckpunkte; Preis und Lieferumfang; Gewährleistungen; Liefertermin;<br />
Preise, Zahlungsbedingungen; Planung; Genehmigungsverfahren<br />
und begleitende Kontrollen; Patente; Wohlverhalten, Schiedsgericht;<br />
Gefahrtragung, Haftung; Kündigung, Sistierung<br />
4 Berechnung der Stromgestehungskosten k.......................................... 36<br />
Festkosten F; Brennstoffkosten b (ohne Entsorgung); Entsorgung:<br />
Pfad mit Wiederaufbereitung WA, Pfad mit Direkter Endlagerung;<br />
Gesamte Gestehungskosten: Stromgestehungskosten bei<br />
abgeschriebenen Kraftwerken, bei neuen Kraftwerken, Vergleiche<br />
verschiedener Kraftwerkstypen; Ergänzende methodische<br />
Bewertung; Wind und Sonne<br />
5 Genehmigungsverfahren und begleitende Kontrolle............................ 62<br />
Genehmigung von Kernkraftwerken; Atomrechtliches Genehmigungsverfahren,<br />
Ablauf des Verfahrens; Öffentlichkeitbeteiligung; Weiteres<br />
Verfahren; Gerichtsverfahren; Weitere Genehmigungen; Begleitende<br />
Kontrolle (Aufsicht nach §19 AtG); Randbedingungen für Gutachter<br />
Anlagen ................................................................................................... 74<br />
4
1 Standortwahl<br />
Standortwahl<br />
Bei der Auswahl eines geeigneten Standortes für einen Gewerbebetrieb, so auch für ein<br />
fossil befeuertes Kraftwerk oder Kernkraftwerk (KKW), sind folgende Kriterien zu<br />
beachten:<br />
wirtschaftliche Kriterien:<br />
Beschaffungsmarkt<br />
Infrastruktur<br />
Absatzmarkt<br />
nicht streng wirtschaftliche Kriterien (die aber wirtschaftliche Auswirkungen haben):<br />
Wechselwirkungen mit der Umwelt<br />
politisch-administrative Fragen<br />
1.1 Beschaffungsmarkt am Beispiel eines Kernkraftwerkes<br />
Errichtung:<br />
Von Vorteil ist die Anbindung an einen Wasserweg (Fluss, Kanal, Meer). So können<br />
große sperrige Teile (Reaktordruckgefäß, Dampferzeuger, große Turbinenteile) gut<br />
angeliefert werden.<br />
Der Wasserweg ist nicht zwingend notwendig. Die Endmontage großer Bauteile kann<br />
auch auf der Baustelle selbst stattfinden. Das erfordert einen größeren Aufwand, da<br />
qualitativ hochwertige Bedingungen (clean conditions) realisiert werden müssen.<br />
Transformatoren werden auf dem Schienenweg angeliefert. Sie werden in ihren<br />
Abmessungen bereits eisenbahngerecht gefertigt.<br />
Die Straßenanbindung ist selbstverständlich.<br />
Betrieb:<br />
Kernkraftwerk benötigte Brennelemente (30 t/a) sind nicht relevant bei der<br />
Standortbestimmung<br />
Braunkohlekraftwerk benötigt, um die gleiche Menge Strom wie ein KKW zu<br />
erzeugen, bis zu 10 Mio t/a (je nach Braunkohlequalität) und sollte<br />
deswegen in Grubennähe gebaut werden (z.B. östl. von Aachen)<br />
Steinkohle der Transport der Kohle ist billiger als Stromtransport<br />
(Kapital- und Betriebsaufwand für Hochspannungsleitungen,<br />
Übertragungsverluste)<br />
Der Betrieb von Wärmekraftwerken, mit Ausnahme von wärmegeführten Heizkraftwerken<br />
erfordert die Bereitstellung großer Mengen Kühlwasser zur Wärmeabfuhr. Das ist<br />
entscheidend für die Wahl des Standortes für ein Kernkraftwerk (KKW). Kernkraftwerke<br />
5
Standortwahl<br />
arbeiten bisher alle mit Dampfturbinen, die Wärmeabfuhr findet im Kondensator statt.<br />
Dieser muss mit möglichst kaltem Wasser versorgt werden. Dafür gibt es mehre<br />
Kühlungsarten.<br />
Direktkühlung<br />
Die einfachste bauliche Variante ist die Direktkühlung:<br />
Abbildung 1: Direktkühlung [Dub99]<br />
TFluss<br />
TFluss +10 °C<br />
Bei der Direktkühlung, auch Frischwasserkühlung genannt, wird das Kühlwasser im<br />
Einlaufbauwerk durch Rechen und Siebe aus Fluss, Teich oder der See entnommen und<br />
dem Kondensator zugeführt. Frei von groben Verunreinigungen, mit Sauerstoff<br />
angereichert (z.T. leicht übersättigt durch gezielte Luftzufuhr), wird es über ein<br />
Auslaufbauwerk dem Gewässer wieder zugeführt. Das so erwärmte Wasser kühlt sich<br />
durch Strahlung und Verdunstung wieder ab (s.u.).<br />
Im folgenden soll an einem Beispiel der benötigte Volumenstrom an Kühlwasser<br />
berechnet werden. Dazu werden vereinfachende Annahmen getroffen:<br />
KKW mit 3 750 MW thermischer Leistung<br />
Wirkungsgrad () ca. 33,33%, damit 1 250 MWel<br />
Rest geht als Abwärme in das Kühlwasser (bei Kohlekraftwerken auch ein Teil<br />
über den Schornstein)<br />
Temperaturerhöhung des Kühlwassers um 10 °C = 41 MWs/m 3<br />
(1 Nm = 1 J = 1 Ws, Wärmekapazität von Wasser 4,1 kJ/kgK, Dichte 1 kg/dm 3 )<br />
Damit gilt dann:<br />
(abzuführende Wärmeleistung/Wärmeaufnahme pro m 3 ) =<br />
Kühlwasserbedarf in m 3 /s<br />
2 500 MW/41 MWsm -3 60 m 3 /s<br />
6
Standortwahl<br />
Die Flussmitteltemperatur darf normalerweise nur um 3 °C (verschmutzter Fluss) bzw. um<br />
5 °C (sauberer Fluss) erhöht werden. Demnach liegt das Minimum der Wasserführung bei<br />
ca. 200 m 3 /s bei 3 °C Erhöhung der Flusstemperatur.<br />
Abkühlung des Flusses auf Feuchtlufttemperatur geschieht von selbst<br />
(Wasserverdunstung senkt die Temperatur).<br />
Feuchtlufttemperatur: Temperatur, die ein Thermometer misst, welches mit einem<br />
feuchten Lappen umwickelt ist. Je trockener die Luft, desto größer ist die Differenz zur<br />
Trockenlufttemperatur. Wasser in Kontakt mit Luft tendiert stets zur Feuchtlufttemperatur.<br />
Beispiel: Ein Teich in der Wüste mit 30 °C wird durch Luft von<br />
40 °C abgekühlt! Bekannt auch: Weinkühlung in Spanien in porösen Tonkrügen.<br />
Als Beispiel für die Abkühlung soll hier der Rhein gelten, an dessen Ufern mehrere<br />
Kraftwerke und Industrieanlagen sein Wasser zur Kühlung benutzen. Er wird als<br />
verschmutzter Fluss angesehen.<br />
Flusstemperatur<br />
Abbildung 2: Temperaturverlauf Rhein<br />
Auch die Summe aller Einleiter darf die Temperatur nicht mehr als 3 °C über die<br />
natürliche Temperatur (angenommen: Feuchtlufttemperatur) erhöhen. Die zuständige<br />
Behörde erstellt einen sogenannten Wärmelastplan.<br />
Außer der maximalen Flusstemperaturerhöhung wird auch die maximal zulässige<br />
Flusstemperatur festgelegt, z.B. auf 28 °C. Oberhalb 25 °C darf der Fluss dann nicht mehr<br />
um 3 °C erwärmt werden. Gegebenenfalls sind Kühltürme zu installieren und<br />
zuzuschalten.<br />
7
Ablaufkühlung<br />
Standortwahl<br />
Wenn die Direktkühlung nicht ausreicht, wird häufig als Ergänzung die Ablaufkühlung<br />
eingesetzt:<br />
Abbildung 3: Ablaufkühlung [Dub99]<br />
Bei der Ablaufkühlung kann die Erwärmung des Wassers im Kondensator höher liegen,<br />
als oben bei der Direktkühlung angenommen, beispielsweise bei 15 °C. Das ergibt eine<br />
Kühlwassermenge von 40 m 3 /s (gleiche Rechnung wie oben).<br />
Die Temperaturerhöhung nach dem Kühlturm hängt stark von der Kühlturmgröße ab, die<br />
sich nach den Anforderungen richtet. Bei sehr großen Ablaufkühltürmen würde das<br />
Wasser fast auf Feuchtlufttemperatur abgekühlt und könnte u.U. (vor allem nachts) kälter<br />
sein als der Fluss.<br />
Auswirkungen auf die Ökologie:<br />
O2-Gehalt des Wassers nimmt zu, da dem Fluss immer O2-gesättigtes Wasser zugeführt<br />
wird. Die Sättigung erfolgt bei der Direktkühlung durch Überlaufwehre oder andere<br />
technische Maßnahmen, bei der Ablaufkühlung durch den Kühlturm.<br />
Direktkühlung meist vorteilhaft (die Temperaturerhöhung bewirkt allerdings eine<br />
beschleunigte O2-Zehrung, die bei ungünstigen Witterungsbedingungen die O2-Zufuhr<br />
übersteigen kann); sauberer wird der Fluss dadurch immer. Außerdem muss das<br />
Kühlwasser vor Eintritt in den Kondensator mechanisch gereinigt werden (s.o.). Noch<br />
günstiger ist die Ablaufkühlung: Spezifisch (nicht absolut) mehr O2-Eintrag, geringere<br />
Temperaturerhöhung.<br />
8
0 02-Gehalt 2-Gehalt<br />
2-Gehalt<br />
1<br />
3a<br />
Abbildung 4: Vermischungskurve<br />
3d<br />
2a<br />
2d<br />
z.B. 10°C Temperatur [°C]<br />
[1] Fluss vor dem Kraftwerk<br />
(O2-Gehalt nur bei Gebirgsbächen auf Sättigungslinie)<br />
|2a] Wasser nach Ablaufkühlturm<br />
[2d] Wasser nach Direktkühlung mit O2-Anreicherung<br />
[3a] Fluss nach Vermischung mit Wasser aus Ablaufkühlung<br />
[3d] Fluss nach Vermischung mit Wasser aus Direktkühlung<br />
Rückkühlung<br />
Eine weitere Möglichkeit bildet die sogenannte Rückkühlung:<br />
Abbildung 5: Rückkühlung [Dub99]<br />
Standortwahl<br />
9
Standortwahl<br />
Bei dieser Variante verdunstet ein Teil des Kühlwassers und es muss zur Einhaltung<br />
eines bestimmten Salzgehaltes abgeschlämmt werden.<br />
Zur Wärmeabfuhr wird hier die Verdampfungsenthalpie des Wassers (2 500 kWs/Liter)<br />
und die Abgabe fühlbarer Wärme (Erwärmung der Luft) benutzt.<br />
Näherungsweise kann man von einer abzuschlämmenden Wassermenge in Höhe von<br />
50% der Verdunstung ausgehen.<br />
Falls Wärme (fast) nur durch Verdunstung abgeführt wird (trockene, heiße Luft im<br />
Sommer) ergibt sich folgende Rechnung nach unserem Beispiel:<br />
2 500 MW/2 500 MWs/m 3 = 1 m 3 /s<br />
wird verdunsten, zusätzlich sind dann 0,5 m 3 /s abzuschlämmen, also ergibt sich ein<br />
gesamter Zusatzwasserbedarf von 1,5 m 3 /s.<br />
Falls Wärme beispielsweise zu einem Drittel zur Lufterwärmung genutzt wird (kalte,<br />
feuchte Luft), werden aber immer noch (1-1/3)*1,5 = 1 m 3 /s benötigt.<br />
Aus Lippe und Ems kann aber in trockenen Sommern selbst 1 m 3 /s nicht entnommen<br />
werden. Alternative Beschaffungsmethoden:<br />
an der Lippe<br />
Wasser wird vom Rhein über Kanalsystem mit Pumpen an Kanalwasserhaltungen<br />
(Schleusen) vorbei zu den Verbrauchern gebracht.<br />
An der Lippe sind auf ihrem Weg zum Rhein mehrere Kraftwerke und andere industrielle<br />
Wasserverbraucher, die gemeinsam das System betreiben.<br />
Rhein<br />
Abbildung 6: Zusatzwasser 1<br />
10
an der Ems<br />
Standortwahl<br />
Für das KKE (Kernkraftwerk Emsland, RWE) wird das Wasser aus dem extra dafür<br />
angelegten großen Speichersee im Bedarfsfall benutzt. Der positive Nebeneffekt ist ein<br />
Naherholungsgebiet. Der Kanal von der Weser (Mittellandkanal) konnte nicht genutzt<br />
werden, da die Werra aus DDR-Kaligruben viel Salz mit sich brachte und Obstbauern das<br />
Kanalwasser nutzen.<br />
Abbildung 7: Zusatzwasser 2<br />
Die Umwelteffekte sind bei Rückkühlung nur noch gering. Die Wasserführung wird leicht<br />
vermindert; das dem Fluss zurückgegebene (abgeschlämmte) Wasser ist besser gereinigt<br />
als bei der Direkt/Ablaufkühlung und zusätzlich entkarbonisiert (enthärtet).<br />
11
Hybridkühlung<br />
Eine weitere Möglichkeit bietet die Hybridkühlung.<br />
Standortwahl<br />
Abbildung 8: Hybridkühlung (Quelle: Power Engineering International – Aug/Sep 1997)<br />
In Abbildung 8 dargestellt ist ein Hybridkühler mit saugenden Ventilatoren und<br />
seitlich angeordneten Rippenrohren zur Lufterwärmung. Es gibt auch andere<br />
Anordnungen, beispielsweise mit drückenden Ventilatoren (siehe nächste Seite).<br />
Die Hybridkühlung mit Ventilator wird trotz zusätzlichem Energieverbrauch eingesetzt, um<br />
den Kühlturm niedrig halten zu können und das Landschaftsbild zu schonen.<br />
Durch die Nass/Trockenkühlung werden die Kühlturmschwaden unterdrückt (bis auf kleine<br />
Dampfwölkchen an kalten Tagen, siehe Mollier-Diagramm).<br />
Als gutes Beispiel gilt das Neckartal.<br />
Abbildung 9: Nass/Trockenkühlung<br />
12
Standortwahl<br />
Der Hybridkühlturm GKN II (Gemeinschaftkernkraftwerk Neckar, Block II), hat an der Basis<br />
einen Durchmesser von 160 m, eine Gesamthöhe von 51,22 m und eine Schlothöhe von<br />
24,97 m. Der Mündungsdurchmesser des Turms beträgt 73,6 m. Bei Nassbetrieb wird der<br />
benötigte Luftstrom durch 44 Ventilatoren mit einem Gesamtleistungsbedarf von 8,14 MW,<br />
bei Hybridbetrieb durch weitere 44 Ventilatoren mit einem zusätzlichen Leistungsbedarf von<br />
11,22 MW erzeugt.<br />
Quelle: Informationsbroschüre Gemeinschaftskernkraftwerk Neckar GmbH 1999<br />
13
Standortwahl<br />
Trockenkühlung<br />
In Deutschland wurde bis zu seiner Sprengung auch die Bauform des Trockenkühlturmes<br />
verwendet (THTR in Hamm-Uentrop). In trockenen Gegenden gibt es die Trockenkühlung<br />
häufiger, oft mit Ventilatoren anstelle des Kühlturms.<br />
Trockenkühltürme benötigen eine erheblich größere Luftmenge als Nasskühltürme. Sie<br />
sind im Grundflächenbedarf und Bauvolumen entsprechend aufwändiger.<br />
Die Wasserführung erfolgt im geschlossenen Kreislauf (vergl. Autokühler).<br />
Der Kühlturm erzeugt den Zug und ersetzt damit den „Fahrtwind“.<br />
Der Nachteil an diesen Kühltürmen liegt in den hohen Baukosten und an der Problematik,<br />
dass die Kühlwassertemperatur immer über der Trockenlufttemperatur liegt (Bsp.: im<br />
Sommer 32 °C) und damit höher als die Feuchtlufttemperatur (Bsp.: selber Tag, aber<br />
18 °C).<br />
Damit sind Dampftemperatur und -druck am Ende der Turbine höher als beim<br />
Nasskühlturm, folglich der Wirkungsgrad bei gleicher thermischer Leistung kleiner und<br />
dadurch die Kraftwerksleistung geringer.<br />
Abbildung 10: Trockenkühlung [Dub99]<br />
Fazit:<br />
Kühlwasser ist ein wesentlicher Faktor bei der Standortauswahl.<br />
14
1.2 Infrastruktur<br />
Standort-Gegebenheiten für Betrieb:<br />
Standortwahl<br />
Menschen<br />
Bei Textilfabriken oder Elektronikartikeln beeinflusst das Vorhandensein von<br />
Menschen, die für relativ wenig Geld gute Arbeit leisten wollen und können, die<br />
Standortwahl.<br />
Beim KKW ist dies kein standortentscheidender Faktor; nicht spezialisiertes Personal<br />
(z.B. Schlosser) überall vorhanden; wenige Spezialisten ggf. von außen, oft<br />
„Heimkehrer" (Leute aus der Nachbarschaft, die zunächst dort keine Arbeit fanden);<br />
spezielle Ausbildung während KKW-Errichtung (steht vielen mit hinreichender<br />
Vorbildung offen).<br />
Bedarf an Menschen im KKW: inkl. Wachpersonal und Verwaltung ca. 300 Personen.<br />
Verkehrsanbindung (s.o.)<br />
Hilfsdienste außerhalb des KKW (Handwerker)<br />
Wohnungen, Geschäfte, Schulen, Kirchen etc.<br />
Kommunikationsmittel<br />
Die letzten vier Faktoren sind nicht standortentscheidend, da sie in der Regel vorhanden<br />
sind und die ergänzende Beschaffung keine Schwierigkeiten birgt.<br />
Hilfseinrichtungen am Kraftwerk:<br />
Zufahrten: Straße, Schiene, Wasserweg<br />
Zaun, Pförtner (Wachpersonal)<br />
Verwaltung: Verwaltungsgebäude, Sozialgebäude<br />
Werkstätten<br />
Lager (Ersatzteile)<br />
Versorgungsanschlüsse (Wasser, Strom, Kommunikation)<br />
Wasserfabrik: Deionat, Trinkwasser<br />
Feuerwehr, Fuhrpark etc..<br />
Fazit:<br />
Erschlossener Standort = wichtiger Standortfaktor, da vieles schon vorhanden ist und<br />
nicht neu errichtet, ggf. nur erweitert werden muss.<br />
15
1.3 Absatzmarkt<br />
Standortwahl<br />
1. Strom<br />
Strom-Verbundnetz von Norwegen bis Sizilien, von Portugal bis Ungarn; der Strom wird<br />
aber nicht so weit transportiert.<br />
In Deutschland (West) im Mittel ca. 60 km; im allgemeinen beeinflussen Transporte in der<br />
Größenordnung von ca. 100 km den Standort nicht.<br />
Größere Transporte (über 100 km) im Verbundnetz bewerkstelligt man häufig über<br />
„Parallelverschiebungen“.<br />
z.B. Südfrankreich → Turin → Genua → Rom → Neapel<br />
Netto-<br />
Zufluss<br />
Abbildung 11: Parallelverschiebung<br />
Transportweite z.B. 1 000 km<br />
Netto-<br />
Entnahme<br />
Die Summe der differentiellen Transportweitenzunahmen ist deutlich kleiner als die<br />
Entfernung Südfrankreich-Neapel. Manchmal wird der Strom auch über 1 000 km<br />
transportiert, aber nur wenn der Strom lokal billig erzeugt wird (Wasserkraft) und der<br />
Strombedarf weit entfernt ist (z.B. Kanada: Labrador - Montreal/Toronto). In solchen<br />
Fällen wird die Hochspannungsgleichstromübertragung (HGÜ) bevorzugt. Gleichrichter<br />
und Wechselrichter sind zwar teuer, die Stromverluste auf der langen Strecke dafür<br />
vergleichsweise gering.<br />
HGÜ auch nötig bei Kabelstrecken über mehr als einige 10 km (insbesondere<br />
Meereskabel) wegen hoher elektrischer Kapazitäten (Blindleistungen) - am Ende geht<br />
kein Wechselstrom mehr durch.<br />
HGÜ zwingend für Verknüpfung von Netzen unterschiedlicher Frequenz (50/60 Hz in<br />
Japan) und unterschiedlicher Frequenzregelung (früher, z.T. noch Ost-Westeuropa).<br />
16
Standortwahl<br />
2. Wärme<br />
Prozessdampf für Industrie: KKW Stade (D); KKW Gösgen (CH); KKW Bruce<br />
(CDN): Bruce war mit Abstand größter Wärmelieferant der Welt, produzierte D2O für<br />
kanadische KKW; (inzwischen genug D2O erzeugt); dort siedelten sich<br />
zwischenzeitlich zusätzliche Wärmeverbraucher an.<br />
Fernwärme (KKW Beznau (CH), zahlreiche osteuropäische KKW).<br />
Standort bisher nicht wegen Wärmelieferung gewählt, ggf. vorhandenes KKW aber<br />
genutzt (Ausnahme auf dem Papier: KKW-Plan für BASF in Mannheim/Ludwigshafen in<br />
70er Jahren).<br />
Transportweiten (wirtschaftlich)<br />
zum Wärmekunden: einige km<br />
zum Wärmenetz oder großen Abnehmer: wenige 10 km (max. 30 km).<br />
Lokal verbrauchbare Wärme bei KKW ist viel kleiner als abgebbare Wärme (Ausnahme:<br />
Kleine KKW, z.B. Versuchsreaktoren, in Zukunft vielleicht extra dafür konzipierte Modul-<br />
Reaktoren).<br />
1.4 Wechselwirkungen des KKW mit der Umgebung<br />
1.4.1 Wirkung des KKW auf die Umgebung<br />
(a) Radioaktive Stoffe<br />
Pessimistische Berechnung der radioaktiven Belastung; Beispiel:<br />
Jod aus KKW-Kamin → Kuh → Milch → Kleinkind<br />
(Unrealistische Abluftfahne, Kuh am ungünstigsten Aufpunkt, Kind trinkt nur<br />
Milch von dieser Kuh).<br />
KKW wird so gebaut, dass die zulässigen Werte wesentlich unterschritten werden.<br />
→ nicht standortentscheidend (gilt für den Normalbetrieb).<br />
Evakuierung muss planbar sein (und geplant werden), schließt Standort aus, wo das nicht<br />
möglich ist (bei großen Unfällen); Ausnahme: Nachweis, dass im schlimmsten denkbaren<br />
Fall die Evakuierung nicht nötig ist.<br />
GaU: Größter anzunehmender Unfall, der noch beherrscht wird (keine wesentliche<br />
Auswirkung auf Umgebung).<br />
Super-GaU: schlimmster denkbarer Unfall → geht über GaU hinaus (nicht<br />
beherrschtes Ereignis, auslegungsüberschreitendes Ereignis).<br />
17
Standortwahl<br />
„Artikelgesetz“ (neues deutsches Gesetz 1994):<br />
Keine größeren Auswirkungen in der Umgebung beim Super-GaU<br />
→ interpretationsbedürftig: Interpretation steht noch aus, soll parallel zur Planung des<br />
EPR (Europäischer Druckwasserreaktor) erfolgen: Welche Folgen<br />
(Evakuierung/Umsiedlung/Erntevernichtung) - quantitativ - wären noch gesetzeskonform?<br />
Welche Fälle soll man noch betrachten (Abschneide-Kriterium)? Risikoabschätzung in<br />
diesen Grenzfällen sinnvollerweise nur deterministisch (nicht probabilistisch) durchführbar.<br />
Falls das Gesetz erfolgreich eingehalten werden kann, wird man trotzdem nicht in<br />
Stadtmitte bauen.<br />
Denkbare Ausnahme: Kleine Hochtemperaturreaktoren in Stadtmitte/Industrienähe möglich<br />
und bei Wärmeauskopplung sinnvoll. Beim THTR (Hamm-Uentrop) bereits nachgewiesen,<br />
dass Evakuierung im schlimmsten denkbaren Fall nicht nötig gewesen wäre.<br />
Voraussetzung für stadtnahe Errichtung: Akzeptanz der Bevölkerung.<br />
(b) Lärmentwicklung<br />
Regelung ist Ländersache: In NRW Abstandserlass: Abstand von Wohngebieten muss<br />
eingehalten werden.<br />
Außerdem darf Lärmentwicklung durch Transformator, Kühlturm etc. vorgeschriebene<br />
Lärmentwicklung im Wohngebiet nicht überschreiten.<br />
Der Nachbarlärm (z.B. Autobahn) wird nicht berücksichtigt (Messung in<br />
verkehrsschwächster Zeit oder Berechnung).<br />
Die Bestimmungen müssen eingehalten werden → teurer Lärmschutz kann Standort<br />
benachteiligen.<br />
(c) Wärme<br />
Wärmeabgabe über Kühlsystem; hier ist der optische Eindruck nicht zu vernachlässigen.<br />
Beispiel: KKW im Neckartal (Neckarwestheim), siehe Abbildung weiter oben. Lösung mit<br />
Ventilator-Hybridkühlturm sehr teuer, falls anderer Standort zu finden gewesen wäre, wäre<br />
man dorthin gegangen.<br />
18
1.4.2 Wirkung der Umwelt auf das Kernkraftwerk<br />
Standortwahl<br />
(a) Natürliche Einflüsse<br />
Sturm (in den USA mit Telefonmast als Rammbock).<br />
Hochwasser: KKW darf nicht den Hochwasserabflussquerschnitt verengen.<br />
Erdbeben: Nicht standortbestimmend, da großräumig zu beachten. Abstand von<br />
Verwerfungen (D); Japan: Mögliche Erdbebenintensität aus Größe inaktiver<br />
Verwerfungen in der Umgebung abgeschätzt. KKW muss hier wie dort Erdbebenlasten<br />
aushalten; in D, bei relativ kleinen zu erwartenden Erdbeben<br />
z.T. stark übertriebene Anforderungen (Beispiel: Dübel für THTR-Kabelpritschen).<br />
(b) Zivilisatorische Einflüsse<br />
Flugzeugabsturz: Das KKW wird dagegen ausgelegt, trotzdem werden militärische<br />
Übungsgelände und Einflugschneisen von Flughäfen gemieden, letztere auch wegen<br />
Begrenzung der Bauhöhe.<br />
Explosionen: Munitionslager (geheim): Bundeswehr muss gefragt werden, teilt mit,<br />
ob KKW gebaut werden darf oder nicht.<br />
Chemieanlagen (vergl. 1.3, BASF): Ggf. Sondermaßnahmen oder hinreichende<br />
Entfernung nötig.<br />
Verkehrswege (Transport explosibler Stoffe): Abstand einzuhalten, abhängig von<br />
möglicherweise transportierter Menge explosibler Stoffe; wegen gewünschter<br />
Nähe zu Verkehrswegen evtl. Standortprobleme.<br />
Abbildung 12: Notwendig einzuhaltende Abstände<br />
Gegen den verbleibenden Explosionsdruck wird das KKW ausgelegt (siehe KPT I).<br />
19
1.5 Administrative und politische Einflüsse<br />
1.5.1 Administrative Einflüsse<br />
Standortwahl<br />
Folgende Pläne müssen vorliegen:<br />
Landesentwicklungsplan (LEP) in NRW und anderen (nicht allen) Bundesländern<br />
Gebietsentwicklungsplan (zuständig: Regierungsbezirk/-präsident)<br />
Flächennutzungsplan (zuständig: Gemeinde)<br />
Bebauungsplan (gibt an, wie viel % der Fläche im Mittel wie hoch bebaut werden<br />
darf) zuständig: Gemeinde<br />
Landesentwicklungsplan (LEP): In dichtbesiedelten Ländern (NRW) müssen für Vorhaben<br />
mit großem Flächenbedarf Flächen vorsorglich freigehalten werden.<br />
1. Schritt<br />
Landesministerium schlägt Flächen vor nach Rücksprache mit in Frage kommenden<br />
Unternehmen; es werden mehr Vorschläge als nötig unterbreitet.<br />
2. Schritt<br />
Gemeinden nehmen Stellung zu den Vorschlägen<br />
positiv: mögliche Steuereinnahmen, Arbeitsplätze<br />
negativ: Einschätzung, dass das Industrieunternehmen nicht kommt und<br />
die Fläche für andere Zwecke blockiert ist, z.B. für die Ansiedlung<br />
kleiner Gewerbe.<br />
Vorhaben, z.B. KKW abgelehnt: Wirtschaftliche Gründe, z.B. Tourismus gefährdet;<br />
allgemeine Ablehnung der Umweltbelastung/Kernkraft.<br />
3. Schritt<br />
Zurück an das Ministerium; das Ministerium wertet die Stellungnahmen aus und<br />
berücksichtigt diese; bei KKW Rücksichtnahme auf eine Ablehnung bisher problemlos, da<br />
andernorts Zustimmung.<br />
Bei Müllverbrennungsanlagen oder Deponien kann eine allgemeine Ablehnung vorliegen;<br />
hier macht das Ministerium ggf. einen Plan nach objektiven Gesichtspunkten. Plan wird im<br />
Landtag verabschiedet und damit Gesetz, wenn es gar nicht anders geht, auch gegen den<br />
Willen einer Gemeinde.<br />
20
1.5.2 Politische Einflüsse<br />
Falls der politische Wille gegen ein KKW ist, ist ein Standort nicht möglich.<br />
Standortwahl<br />
Problem: Änderung des politischen Willens (NRW)<br />
z.B. THTR Hamm-Uentrop:<br />
Nach kurzem Betrieb aus politischen Gründen stillgelegt.<br />
z.B. SNR Kalkar:<br />
Durch „Kalkarisierung“ (behördliche Prüfung ohne Aussicht auf Entscheidung)<br />
Inbetriebnahme verhindert.<br />
z.B. SWR Würgassen:<br />
Stillgelegt anlässlich anstehender Reparatur, da Kalkarisierung befürchtet; in<br />
anderen Ländern ähnliche Schäden an über 20 SWR, dort überall repariert<br />
(belegt Politik als Ursache für die Stillegung von Würgassen). Falls Ähnliches<br />
in Zukunft auch nur zu befürchten ist, kann KKW nicht errichtet werden (derzeit<br />
gültig für ganz D).<br />
Fazit:<br />
Politischer Einfluss hat große Bedeutung für den Standort.<br />
Folgerung: Standortverlagerung (innerhalb D oder D → Ausland)<br />
1. KKW Hamm NRW, 1975, neben THTR geplanter DWR; Problem<br />
„Kalkarisierung“ → Errichtung bei Lingen, Emsland (Niedersachsen)<br />
ab 1982, Inbetriebnahme 1988.<br />
2. Wiederaufarbeitungsanlage Gorleben: Hearing 1979 → Technik o.k. →<br />
Sicherheit o.k. → politische Durchsetzung nicht möglich (Ministerpräsident<br />
Albrecht, CDU).<br />
Alternative zunächst: Wackersdorf Bayern: Land (CSU-geführt), Gemeinde Wackersdorf<br />
(SPD-geführt) dafür → 800 000 Einsprüche aus Deutschland und Österreich,<br />
Demonstrationen u.ä. → Angebot der Wiederaufarbeitung aus Frankreich für 1/3 - 1/2<br />
der Kosten, die in Wackersdorf angefallen wären (Preis überhöht durch geringe<br />
Leistungsgröße und deutschen Perfektionismus, u.a. höchste Sicherheitsmaßnahmen, z.B.<br />
Rückhaltung von Krypton).<br />
Fazit:<br />
Transport nach und Wiederaufarbeitung in Frankreich oder Großbritannien, Rücktransport<br />
verfestigter Abfälle (seit 1996) .<br />
21
Randbedingungen an das Kernkraftwerk<br />
2 Randbedingungen an das Kernkraftwerk<br />
(siehe auch Vertrag)<br />
Technische Randbedingungen: „Qualität des Stroms“<br />
Abbildung 13: Strombedarf<br />
Kraftwerke werden im Sommerhalbjahr planmäßig vom Netz genommen und revidiert.<br />
Daher Reserveleistung (verfügbare Kraftwerksleistung abzüglich Spitzenstrombedarf)<br />
im Sommer ungefähr so groß wie im Winter. Reserveleistung auch durch Witterung<br />
(Wasserführung), unplanmäßige Ausfälle, politische Behinderung eines<br />
Wiederanfahrens von KKW, umwelt- und energiepolitische Gründe (z.B. möglichst<br />
kein Öl zur Stromerzeugung) eingeschränkt.<br />
Gas/Öl<br />
Laufwasser<br />
Abbildung 14: Jahresdauerlinie<br />
22
Randbedingungen an das Kernkraftwerk<br />
Wind- und Solarstromerzeuger tragen zur Leistung nicht bei, da sie nicht sicher dann<br />
zur Verfügung stehen, wenn sie gebraucht werden.<br />
In Abbildung 14 ist die Jahresdauerlinie der vom Netz geforderten Leistung<br />
dargestellt. Leistung in kurzen Zeitabschnitten gemessen und nach Größe geordnet<br />
(wie Bücher im Bücherschrank). Die Kraftwerke werden fast ausschließlich nach den<br />
momentanen Kosten, im wesentlichen Brennstoffkosten, eingesetzt.<br />
Abbildung 15: Abflachung der Lastkurve mit Hilfe von Pumpspeicherwerken<br />
Kraftwerksbetrieb im Tagesverlauf<br />
hier Bedeutung der Mindestlast (bei Mittellastkraftwerken) gut zu erkennen; es gibt<br />
aber auch Kraftwerke, die jede Nacht abgestellt werden, insbesondere dort, wo der<br />
Anteil an Grundlastkraftwerken höher ist, siehe Abbildung 16 unten.<br />
Abbildung 16: Lastabdeckung mit hohem Anteil an Grundlast-Kraftwerken<br />
23
Randbedingungen an das Kernkraftwerk<br />
KKW werden aus wirtschaftlichen Gründen meist nahe an der Vollast betrieben,<br />
müssen dem Strombedarfsverlauf aber folgen können.<br />
Wichtig: Mindestlast (wie weit kann ein Kraftwerk heruntergefahren werden, ohne<br />
dass es abgeschaltet werden muss) typische Werte 20 - (40)% der Nennlast.<br />
Ein Kraftwerk, das oft ab- und angefahren wird, unterliegt erheblichen<br />
Werkstoffbelastungen.<br />
1. Lastfolgeverhalten, Anforderungen<br />
(a) Rampen<br />
Abbildung 17: Rampen<br />
Steigerung 10%/min, aber nicht über den ganzen Bereich: 60% Erhöhung in ca. 1 Std.<br />
Problem: Werkstoffermüdung durch Temperaturdifferenzen in dickwandigen<br />
Bauteilen; falls ∆T/∆t zu groß: Sekundärspannungen, Plastifizierung, später Risse; ∆T<br />
in dicken Wänden gemessen, ∆T/∆t durch Regler begrenzt.<br />
24
(b) Bandfahren<br />
Abbildung 18: Bandfahren<br />
Randbedingungen an das Kernkraftwerk<br />
große Sprünge<br />
nach oben nötig bei Ausfall eines größeren Kraftwerkes nach unten nötig bei<br />
Ausfall eines Netzteiles.<br />
Früher: 10% Sprung/5 sec; Heute: 5% Sprung/5 sec (jeweils zwischen<br />
40% - 100%); 2. Sprung in gleicher Richtung nach 5 min, bei mehreren<br />
Sprüngen hintereinander ist die Begrenzung die Rampe (s.o.); ein Kraftwerk<br />
muss Sprünge zwischen 2% und 5 (10)% im Lastbereich von 40% - 100%<br />
100 000 mal ertragen.<br />
Wichtig ist ferner, dass sich das KKW bei einem Lastabwurf im Eigenbedarf fangen<br />
muss (Dampf zur Turbine abgesperrt, damit diese nicht durchdreht, dann wieder so<br />
viel Dampfzufuhr, dass der Generator genug Strom zur Deckung des<br />
Kraftwerkseigenbedarfs erzeugt); wegen schneller Temperaturänderung starke<br />
Werkstoffbeanspruchung; seltener Vorgang.<br />
Es wird vertraglich festgelegt:<br />
Auslegung (Berechnung) auf 40 Jahre; mit Liste, was das KKW in 40 Jahren<br />
aushalten muss, z.B. wie oft an- und abgefahren wird (aus welchem Zustand,<br />
kalt, warm, Nulllast, Volllast → in welchen Zustand); Liste von Störungen, z.B.<br />
Fangen im Eigenbedarf, große Störungen (selten), z.B. 1 Fall in 40 Jahren.<br />
→ Ermüdung berechnet; Ermüdung muss unterhalb des zulässigen<br />
Grenzwertes liegen; bei bestimmten Apparateteilen, z.B. Wassereinspritzung<br />
in Frischdampf oder kalte Ventile, die gelegentlich heißen Dampf abblasen, ist<br />
der Nachweis auf 40 Jahre nicht möglich; falls reale Belastung der<br />
pessimistischen Berechnung entspricht, ermüdetes Teil auszutauschen und<br />
falls Lieferer vertraglich 40 Jahre Standzeit pauschal zusagte, muss er ggf.<br />
Austausch vornehmen (Rückstellung dafür – Mehrkosten).<br />
25
Randbedingungen an das Kernkraftwerk<br />
2. Spannung<br />
Die Spannung darf für 0,3 sec auf 85% der Nennspannung abfallen; das KKW muss<br />
dabei funktionsfähig bleiben, mit 100% der Nennlast. Bei 90% der Spannung sollen<br />
Hilfsantriebe die Leistung nicht wesentlich verringern.<br />
Problem:<br />
Motorerwärmung → elektrische Isolierung<br />
Leistung P = const; P = U • l = 0,9 Uo•1,1 Io<br />
Erwärmung ~ R I 2 steigt also um<br />
1 2<br />
<br />
<br />
<br />
0,<br />
9 <br />
1<br />
<br />
23,<br />
4%<br />
Die Erwärmung muss durch die Auslegung der Motorwicklung (Isolierung) verkraftet<br />
werden. Diese Prämisse gilt nicht für Motoren beim Anlaufen, da hier der Motor ein<br />
Vielfaches an Strom zieht (der Zustand des Anlaufens ist nur kurz; mehrfaches<br />
Anlaufen hintereinander würde dagegen den Motor unzulässig erwärmen).<br />
3. Frequenz<br />
Normalzustand 50 Hz<br />
KKW muss bei 47,5 Hz funktionstüchtig bleiben mit 100% bis 10 min.<br />
KKW muss bei 48,0 Hz funktionstüchtig bleiben mit 100% bis 20 min.<br />
Problem: Turbine<br />
Eine Turbine ist ein vielfach schwingungsfähiger Körper: Schaufeln,<br />
Torsionsschwingungen, Achse usw. → Resonanzbereiche.<br />
Auslegung: bei 50 Hz ist ein Schwingungstal (Minimum).<br />
26
3 Vertrag<br />
3.1 Eckpunkte<br />
Wirtschaftlichkeit eines Kraftwerks bestimmt durch:<br />
Preis (DM)<br />
Leistung (kW)<br />
Verfügbarkeit (h/a)<br />
Lieferzeit (a) (Bedeutung: wann verfügbar, wieviel Preissteigerung,<br />
Zinsen, Steuern, Personalkosten etc. bis Betriebsbeginn zu zahlen)<br />
Nettowirkungsgrad (kWhel/kWhth) oder Wärmeverbrauch (kWhth/kWhel)<br />
Vertrag<br />
Leistung, Preis, Lieferzeit, Wirkungsgrad im Vertrag festgehalten, Verfügbarkeit nur<br />
manchmal, nur bei neuartigen Anlagen und auch dies nur für eine begrenzte Zeit (z.B.<br />
4 Jahre); Grund: Verfügbarkeit auch durch Betreiber beeinflusst; Lieferer muss<br />
Verantwortung abgeben können, will Bücher schließen.<br />
Wenn Leistung oder Wirkungsgrad nicht erreicht, wenn Lieferzeit überschritten<br />
(Lieferer verantwortlich), Vertragsstrafe (Pönale) fällig; bei manchen Verträgen im<br />
umgekehrten Fall auch ein Bonus (z.B. halb so hoch wie Pönale).<br />
Wenn Leistung/Wirkungsgrad um mehr als z.B. 10% unterschritten, Lieferzeit um<br />
mehr als z.B. 10 Monate überschritten, dann vertraglich Rücktritt möglich, d.h.<br />
theoretisch: Kraftwerk zurück, Geld zurück. Praktisch versucht man, den Schaden zu<br />
minimieren; Interesse des Bestellers, den Lieferer wirtschaftlich überleben zu lassen.<br />
Besteller wirtschaftlich schwer geschädigt, dafür in starker Verhandlungsposition.<br />
3.2 Preis und Lieferumfang<br />
Preis für KKW von 1 250 MWel (netto) in den 80er Jahren rund 3,5 Mrd DM. Alles<br />
Wesentliche, was den Lieferumfang betrifft (auch: gewählte Werkstoffe u.v.a.m.), in<br />
mehrbändigem Angebot beschrieben.<br />
Im Vertrag allgemeine, klarstellende, abgrenzende und ergänzende Angaben zum<br />
Umfang der Lieferungen und Leistungen. Technische Angaben im Sicherheitsbericht,<br />
der die Grundlage der Genehmigung darstellt, sind ebenfalls zu erfüllen und insofern<br />
Vertragsbestandteil.<br />
Vollständigkeitsklausel: Was nirgendwo steht, weil es vergessen wurde oder eine<br />
geringe Bedeutung hat, was dennoch für die Funktion des KKW notwendig ist, muss<br />
auf Kosten des Lieferers zusätzlich erbracht werden. In Deutschland, im Gegensatz<br />
zu etlichen anderen Ländern, schlüsselfertige Bauweise des gesamten KKW (mit<br />
Ausnahme einiger definierter, meist peripherer Bereiche) üblich.<br />
27
Vertrag<br />
Qualität der Ausführung möglichst im Angebot und im Regelwerk (ggf. geforderte von<br />
mehreren Güteklassen angeben) festzuschreiben. Wo solcher Bezug fehlt, soll das<br />
KKW mindest so gut sein wie ein im Vertrag definiertes Referenzkraftwerk; gleiches<br />
gilt für nicht zwingend erforderliche Ausstattungen (ggf. entsprechend mehr zu<br />
liefern). Beispiel: Helligkeit der Turbinenhalle mit Bezug auf Referenzkraftwerk auf<br />
Kosten des Lieferers verdoppelt.<br />
Bei Verkehrswegen, Stromleitungen, Wasserzu- und -ableitungen u.ä. wird durch<br />
Liefergrenzen bestimmt, wer was bis wohin liefert. Beispiele: Kraftwerkszaun; Unteroder<br />
Oberspannungsseite des Transformators.<br />
Der Bauherr (oder von ihm beauftragte Dritte) erbringen in der Regel (oder oft)<br />
folgende Lieferungen und Leistungen:<br />
Grundstück, Vermessung, Planierung, Baugrunduntersuchung: Risiko, Zaun;<br />
Beweissicherung: Radioaktivität in Umgebung vor Baubeginn<br />
Genehmigungsverfahren; Standortteil des Sicherheitsberichtes; (begleitende<br />
Kontrolle auf der Baustelle: letztere, wenn vertraglich so vereinbart, und vom<br />
Lieferer gegen Mehrpreis)<br />
Betriebspersonal für Inbetriebnahme etc., oft mehrjähriger Vorlauf; ärztliche<br />
Überwachung<br />
Anschlüsse an Wasserweg, Schiene, Straße; Parkplätze, Stromanschlüsse mit<br />
Mess-, Steuer-, Schutzleitungen, Fernmelde- und Wasseranschlüsse:<br />
Versorgung, Entsorgung – alles bis zur jeweiligen Liefergrenze<br />
Lieferung von Strom für Bauzeit/Inbetriebnahme, Wässer verschiedener<br />
Qualität, in definierter Menge, Entsorgung von Abwässern und von<br />
radioaktiven Abfällen, sofern sie bei ordnungsgemäßer Inbetriebnahme<br />
anfallen<br />
Baubaracken für das eigene Personal, Verwaltungs- und Sozialgebäude,<br />
Kantine<br />
fast alles Mobile: Ausstattungen von Labors, Werkstätten, Wäscherei,<br />
Hygienetrakt: Spinde etc., Verwaltungs-, Sozialgebäude, Pförtnergebäude,<br />
Garagen, Feuerwehr; Transporteinrichtungen, Brennelementtransportbehälter;<br />
Schutzkleidung/Ausrüstung, Strahlenüberwachungsgeräte; Turbinenöl,<br />
Schmieröl (z.T. nach Erstfüllung), Kraftstoffe für ordnungsgemäße<br />
Inbetriebnahme; Sonderwerkzeuge, Hebebühnen, Prüfroboter u.v.a.m.,<br />
sofern nicht im Lieferumfang des Lieferers<br />
((große) Transformatoren)<br />
(Kühlturm).<br />
28
Vertrag<br />
Der Lieferer (oder von ihm beauftragte Dritte, ca. 700 Firmen) erbringen in der Regel:<br />
Errichtung, Inbetriebnahme, Probebetrieb des schlüsselfertigen KKW (außer<br />
Lieferungen und Leistungen des Bestellers)<br />
Sicherheitsbericht (Einbau Standortteil des Bestellers), Unterlagen für<br />
Genehmigungsverfahren, Unterstützung; begleitende Kontrolle in Werkstätten<br />
(nicht so oft: auf Baustelle)<br />
Angaben für Besteller: wann und wie dessen Leistungen zu erbringen sind;<br />
Ausbildung des Personals des Bestellers; Betriebsvorschriften; Anforderungen<br />
an Brennelemente (so dass auch die Konkurrenz liefern kann); <strong>Dokument</strong>ation<br />
Reserveteile (rechtzeitig mitzubestellen, dann billiger)<br />
bestimmte mobile Einrichtungen (meist im Angebot enthalten, wie<br />
Schraubenspannvorrichtungen, Einrichtungen für Brennelementwechsel etc.;<br />
zusätzlich z.B. Monitore, große Werkbänke).<br />
Regeln und Richtlinien bei Lieferungen stets einzuhalten. Falls im Entwurfsstadium: in<br />
Vertragsanhang definiert, was gilt (alte Fassung, neue Fassung im Entwurf, ganz oder<br />
teilweise - je nachdem, womit zu rechnen).<br />
Lieferungen und Leistungen können sich während der Bauzeit ändern durch:<br />
Forderungen der Genehmigungsbehörde (verbindliche Zusage, dass so<br />
ausgeführt, oder Auflage im Genehmigungsbescheid); Forderungen bei<br />
begleitender Kontrolle (Vorprüfung etc.); Änderung des Regelwerks gegenüber<br />
definiertem Stand (s.o.)<br />
Vorschläge des Lieferers (technisch bessere oder wirtschaftlichere Lösungen)<br />
Wünsche des Bestellers.<br />
Verantwortung bleibt beim Lieferer, kann deswegen ggf. Bestellerwünsche ablehnen.<br />
Besteller muss terminliche und preisliche Folgen tragen (auch Verbilligung möglich).<br />
Verteuerung durch Behördenforderungen vom Lieferer zum Teil (z.B. 1/3) bis zu<br />
bestimmter Maximalhöhe mitgetragen. Damit Blick für Angemessenheit einer<br />
Forderung geschärft; vom Lieferer keine Überperfektion angeboten (Ingenieur durch<br />
Kaufmann gezügelt).<br />
3.3 Gewährleistungen<br />
Dauer: normal 8 - 10 000 h Betrieb, 2 Kalenderjahre; bei Bauten 5 Jahre normal,<br />
angesichts 5 - 6jähriger Bauzeit (Bauten meist am Anfang) oft weniger vereinbart (z.B.<br />
3 Jahre ab Übergabe). Sonderregelungen, wenn Betrieb durch Behörden oder durch<br />
Störung unterbrochen. Auf jeden Fall gewisse Restgewährleistungszeit.<br />
29
Vertrag<br />
Kraftwerk soll über 40 Jahre halten (in Zukunft bis zu 60 Jahre, KKW Emsland 90<br />
Jahre); Planung auf Grundlage einer Liste von Vorgängen mit besonderer<br />
Materialbeanspruchung: An- und Abfahren, größere Laständerungen/Sprünge,<br />
Störungen etc.. Zulässige Materialermüdung, beim Reaktordruckbehälter zulässige<br />
Versprödung rechnerisch nachzuweisen. Falls Ermüdung rechnerisch unzulässig<br />
(etwas), realer, meist nicht so beanspruchender Betrieb abgewartet, notfalls<br />
Austausch auf Kosten des Lieferers, falls vertraglich so festgelegt. Aber keine<br />
Garantie (Grund wie bei Verfügbarkeit, s.o.).<br />
Ist ein Schaden prinzipieller Natur (tritt er innerhalb der Gewährleistungszeit immer<br />
wieder auf), muss grundsätzliche Abhilfe geschaffen werden. Bei Änderungen<br />
müssen Reserveteile mit geändert werden. Nimmt ein Hersteller zur Beseitigung<br />
eines Mangels Reserveteile vom Lager des Betreibers, muss er sie ersetzen (nicht:<br />
bezahlen). In Ausnahmefällen, falls der Betreiber zustimmt, ist Bezahlung möglich.<br />
Zeitraum und Methode, wann und wie Nennleistung und Wirkungsgrad zu messen,<br />
vertraglich festgelegt, ebenso Umrechnungskurve, falls Umgebungstemperatur von<br />
vertraglich unterstellter Temperatur abweicht. Werden Nennleistung/Wirkungsgrad<br />
nicht erreicht, muss Lieferer zunächst nachbessern (versuchen, die vertraglich<br />
garantierten Daten mit Zusatzmaßnahmen doch noch zu erreichen). Falls das nicht<br />
gelingt, ist Vertragsstrafe (Pönale) fällig. Pönale deckt nur kleinen Bruchteil des<br />
wirtschaftlichen Verlustes des Bestellers (1% Leistung entspräche etwa 60 Mio €),<br />
schmälert aber Gewinn des Herstellers erheblich. Damit Zweck (Hersteller strengt<br />
sich an) erreicht; auch wichtig: Verlust an Renommee. Bei Überschreiten<br />
gewährleisteter Werte in manchen Verträgen Bonus ausgelobt (üblich: halbe Höhe<br />
der Pönale); wirtschaftlicher Nutzen um ein Vielfaches größer.<br />
Geräuschpegel (im Kraftwerk und in der Umgebung) ebenfalls gewährleistet. Falls<br />
überschritten: Solange nachzubessern, bis zugesicherte Werte erreicht. Ausstieg aus<br />
solchem Bemühen mittels Pönale nicht möglich, da Betriebserlaubnis an Einhaltung<br />
der Geräuschpegel gekoppelt.<br />
Radiologische Fragen in Genehmigungsverfahren geregelt. Entsprechende Werte<br />
auch im Vertrag erwähnt. Auslegung und Berechnung mit großen Sicherheitsmargen.<br />
Reale Werte weit unterhalb zulässigen und garantierten Werten.<br />
30
3.4 Liefertermin<br />
Vertrag<br />
Falls Lieferer an Überschreitung schuld, Pönale fällig; üblich: je vollendete Woche<br />
Pönale zahlen, bei KKW mit mehrjähriger Bauzeit je vollendeten Monat.<br />
Wirtschaftliche Bedeutung der Pönale wie bei Leistung/Wirkungsgrad. Bei<br />
Unterschreitung der Lieferzeit manchmal Bonus, z.B. in Höhe der halben Pönale<br />
(KKE: Bonus bis 6 Monate Lieferzeitverkürzung vereinbart, tatsächlich 8 Monate<br />
erreicht).<br />
Summe aller Pönalen vertraglich begrenzt; Rücktrittsrecht (s.o.), wenn Summe<br />
überschritten werden würde.<br />
Lieferer entschuldigt (exkulpiert) bei Lieferverzug, in Fällen von<br />
höherer Gewalt<br />
Arbeitskämpfen (Streik, Aussperrung), Aufruhr, Sabotage<br />
Feuer, das Lieferer nicht zu vertreten hat (wird sehr eng ausgelegt)<br />
Temperaturen unter -5 °C bei einer bestimmten Bauphase (KKW: Montage der<br />
Sicherheitshülle)<br />
Eingreifen oder Nichttätigwerden der öffentlichen Hand (insbesondere<br />
Verzögerungen im Genehmigungsverfahren), sofern Lieferer nicht daran<br />
schuld ist (z.B. bei unzureichenden Unterlagen; letzteres wird von der<br />
Behörde, falls sie im Verzug ist, grundsätzlich behauptet, schon um<br />
Schadensersatzklagen vorzubeugen; es kann schwierig sein zu entscheiden,<br />
wer an einer Verzögerung schuld ist, bei erklärtem politischen Willen wie im<br />
Falle Kalkar war es leider nicht schwierig)<br />
Falls Besteller seine Leistungen nicht rechtzeitig erbringt (Lieferer muss ihm<br />
allerdings rechtzeitig vorher mitgeteilt haben, was er wann benötigt)<br />
Ausschusswerden eines terminbestimmenden Lieferteils; Hersteller muss<br />
allerdings nachweisen, dass er alles getan hat, um das zu vermeiden: Wahl<br />
hochqualifizierter Werkstatt, Beachtung aller Regeln, zumutbare Vorsorge: bei<br />
„Meterware“ (Rohrleitungen, Kabel) und „Massenware“ (kleine Ventile,<br />
Pumpen, Instrumente) Bestellung zusätzlicher Längen oder Stücke (ggf.<br />
später Ersatzteil), sonst Bestellung von Halbzeugen (z.B. Turbinenwelle in<br />
geschmiedetem Zustand; falls eine Welle auf der Drehbank zu stark abgedreht<br />
- Ausschuss, aus Schmiedestück schnell Ersatz zu schaffen; falls dieser Fall<br />
nicht eintritt, kann Schmiedestück später für einen anderen Auftrag genutzt<br />
werden)<br />
In manchen Verträgen auch Ausschusswerden beim Transport (z.B. Absturz<br />
eines wichtigen Teils ins Meer), wiederum alle Sorgfalt vorausgesetzt; wo das<br />
nicht steht, wird vorausgesetzt, dass mit eben dieser Sorgfalt ein Schaden<br />
auszuschließen ist (Restrisiko beim Hersteller).<br />
31
3.5 Preise, Zahlungsbedingungen<br />
Vertrag<br />
Der Preis, z.B. 3,5 Mrd DM, wird in Raten bezahlt, nach einem Zahlungsplan.<br />
Tatsächliche Zahlung oft an zahlungsauslösende Ereignisse gebunden (z.B. Beginn<br />
oder Abschluss bestimmter Betonierarbeiten, Fertigstellung wichtiger Komponenten),<br />
falls dadurch Endtermin beeinflusst. Hersteller legt gern zeitliche Puffer zwischen<br />
Ereignis und Zahlungstermin (in Maßen akzeptabel). Preis für Maschinen- und<br />
Elektrotechnik (MT/ET) und für Bautechnik (BT) gesondert ausgewiesen.<br />
Preisgleitung: Zum Zeitpunkt i zu zahlende Rate ändert sich nach folgender Formel:<br />
Wobei a + b + c = 1<br />
R<br />
R<br />
i<br />
i0<br />
M<br />
a<br />
b<br />
M<br />
L<br />
c<br />
L<br />
M: Preisindex für verschiedene Materialien, für<br />
MT/ET: Index für Eisen-, Stahl- und Temperguss<br />
(Statistisches Bundesamt)<br />
BT: verschiedene Indizes für Stabstahl, Bauhölzer, Sand/Kies,<br />
Zement, sonstige Stoffe (Formel hat hier fünf Glieder statt<br />
einem, die Summe aller Faktoren ist aber auch hier 1)<br />
L: Lohnindex, bei<br />
MT/ET: bestimmter Ecklohn in der Metallindustrie, einschließlich<br />
gesetzlicher und tariflicher Zuschläge<br />
BT: bestimmter Ecklohn eines Baufacharbeiters, mit Zuschlägen<br />
M0/L0: letzte bekannte Werte vor Vertragsabschluss<br />
Mi/Li: bei Ratenzahlung oder etwas davor (je nach Dauer statistischer<br />
Ermittlungen) gültige Werte. Im Vertrag Zeitpunkt jeweils genau<br />
definiert<br />
a: unveränderlicher Faktor; der Besteller hätte ihn gerne möglichst groß,<br />
der Hersteller möglichst klein; Beispiel 0,15<br />
b: Faktor für Materialanteil (bei BT, wie gesagt, mehrere Faktoren)<br />
c: Faktor für Lohnanteil.<br />
i<br />
0<br />
i<br />
0<br />
<br />
<br />
<br />
32
Vertrag<br />
Normalerweise sind das feste Faktoren, die den durchschnittlichen Kostenteilen<br />
möglichst gut entsprechen. Bei langlaufenden Verträgen wie beim KKW können sie<br />
sich auch verändern: Sinkender Materialanteil zum Ende der Lieferzeit, dann nur noch<br />
Endmontage und Inbetriebnahme; in diesem Fall wären auch die Faktoren zu<br />
indizieren, nach der Formel:<br />
R<br />
R<br />
i<br />
i0<br />
<br />
a<br />
b<br />
<br />
i<br />
Für den Fall, dass sich Verzögerungen ergeben (Nichteintreten auslösender<br />
Ereignisse), die vom Lieferer zu vertreten/nicht zu vertreten sind, enthält der Vertrag<br />
eine Reihe von Regelungen über Ratenzahlungen (verzögert/planmäßig) und über die<br />
Anwendung der Preisgleitung (ausgesetzt/nicht ausgesetzt). Bei größeren<br />
Verzögerungen ohne Schuld des Lieferers wird der Zahlungsplan neu verhandelt (mit<br />
Rücksicht auf den realen Kostenverlauf). Beeinflusst eine Verzögerung den Endtermin<br />
entgegen den Erwartungen nicht oder doch werden zu spät oder zu früh gezahlte<br />
Raten verzinst.<br />
Die Zahlung der letzten Rate wird stets an eine Bankbürgschaft, bei sehr großen<br />
Konzernen auch an eine Konzernbürgschaft gebunden. Sinn: Finanzielle Sicherung<br />
der Garantieleistungen. Manchmal wird vereinbart, dass der Besteller von der letzten<br />
Rate die erwarteten Kosten der Mängelbeseitigung zurückhalten kann. Bei KKW wird<br />
die Auszahlung eines Teils der letzten Rate (z.B. 10%) auch an die Lieferung der<br />
endgültigen Betriebsunterlagen gebunden (sehr wichtig, aber früher manchmal etwas<br />
zögerlich erstellt - Frage der Reife der Technik).<br />
3.6 Planung<br />
Projektleitungen, Besprechungen, Protokolle, Terminpläne etc. vertraglich geregelt.<br />
Besteller kann überall mitwirken, Verantwortung bleibt beim Hersteller. Bei Einigung<br />
über Kosten und Termin kann Besteller Wünsche durchsetzen.<br />
Wichtig: Auswahl der Unterlieferanten (UL) (Anzahl der UL ca. 700)<br />
Gesichtspunkte: Bewährung/Qualität; Service: Erreichbarkeit im deutschen<br />
Sprachraum, zumindest Servicetochter hier; Bereitschaft zum Einsatz in KKW (ggf.<br />
Strahlenbereich); Unterlieferer in KKW-Nähe (Umgebung soll Nutzen haben) oder im<br />
Stromversorgungsbereich des Bestellers; Kosten (Hersteller-lnteresse). Vorgehen:<br />
Liste der (wichtigen) Komponenten, wo Besteller gefragt sein will. Hierfür macht<br />
Hersteller Liste anzufragender Unterlieferanten (Besteller kann begründet streichen<br />
oder hinzufügen). Klausel: Bevorzugung UL in KKW-Nähe/Versorgungsbereich (muss<br />
natürlich wettbewerbsfähig sein). Teilnahme des Bestellers an technischen<br />
Besprechungen mit UL möglich (selten genutzt, Kapazitätsproblem). Besteller könnte<br />
teureren UL bevorzugen, falls er Differenz zahlt und Hersteller zustimmt (nie genutzt);<br />
Besteller kann aber billigen UL ablehnen, falls Qualität oder Service objektiv<br />
gefährdet.<br />
M<br />
M<br />
i<br />
0<br />
c<br />
i<br />
L<br />
L<br />
i<br />
0<br />
<br />
<br />
<br />
33
Vertrag<br />
Im Vertrag verlangt, dass gleichartige Komponenten in den von den verschiedenen<br />
UL gelieferten Systemen gleichartig sind, z.B. kleine Pumpen, Ventile, Motoren,<br />
Instrumente. Grund: Geringerer Aufwand bei Lagerhaltung. Methoden, um das zu<br />
erreichen: Ausschreibung gleichartiger Komponenten, Auswahl des Anbieters mit dem<br />
besten Preis-Leistungsverhältnis, danach:<br />
entweder Vorschrift an Lieferanten von Subsystemen, diese Komponenten zu<br />
den vereinbarten Bedingungen zu beziehen<br />
oder Großeinkauf und Verteilung der Komponenten in jeweils benötigter<br />
Stückzahl an einzelne UL.<br />
Fertigung, Montage: Besteller kann sich vom Fortgang, Qualität stets vergewissern,<br />
auch bei UL (das aber nur mit Hauptauftragnehmer); zusätzliche Prüfungen zahlt<br />
Hersteller nur, falls tatsächlich Mängel aufgedeckt.<br />
Zusammenarbeit Besteller/Hersteller auf Baustelle geregelt. Ebenso<br />
Inbetriebnahmeschritte, Probebetrieb (Voraussetzungen, Dauer, Fahrprogramm,<br />
Kriterien für Erfolg, ggf. Wiederholung), Übernahme (Besteller muss bei gegebenen<br />
Voraussetzungen übernehmen, auch bei Vorliegen nicht wesentlicher Mängel; diese<br />
in einer - bei einem 3,5 Mrd DM-Auftrag naturgemäß umfangreichen - Liste<br />
festgehalten, in Gewährleistungszeit und/oder Revisionen abgearbeitet).<br />
Besonderes Augenmerk: Sicherheitstechnisch wichtige Systeme und Komponenten.<br />
Von der ersten Idee bis zur Stilllegung von Regelwerk und sachverständigen Prüfern<br />
begleitet. In sog. Vorprüfung Konzept, Konstruktion, Schweißplan, Werkstoffwahl,<br />
Festigkeitsberechnungen etc. geprüft. Fertigung kontrolliert.<br />
Sonderkapitel Schweißungen: Schweißer selbst wiederkehrend geprüft;<br />
Verfahrensprüfung (Nachweis der Eignung beabsichtigter Schweißung);<br />
Schweißzusätze (Maßnahmen gegen Verwechslung); Schweißvorgang (alle<br />
wesentlichen Daten protokolliert), Fortsetzung des Schweißens in Probestücke (aus<br />
gleichen Werkstoffen) hinein, letztere zerstörend geprüft; Prüfung der fertigen<br />
Schweißnaht (Ultraschall u.a.); Nullatlas; Druck- und Dichtheitsprüfung; in Betrieb:<br />
wiederkehrende Prüfung der Schweißnaht, Vergleich mit Nullatlas, Bewertung anhand<br />
bruchmechanischer Erkenntnisse; wiederkehrende Druckproben; zerstörende Prüfung<br />
von Proben, die exakt wie die Reaktordruckgefäßwand geschweißt und einem leicht<br />
erhöhten Neutronenfluss ausgesetzt wurden (Anordnung etwas näher am<br />
Reaktorkern als Druckgefäßwand); damit Maß der Neutronen(Gamma)versprödung<br />
voreilend bekannt.<br />
Auch sonst: Qualitätssicherungssystem des Herstellers geprüft, Fertigung selbst,<br />
fertige Produkte, Montage, Inbetriebnahme, Druck und Dichtheit, Funktion;<br />
wiederkehrende Prüfungen; <strong>Dokument</strong>ation aller Schritte.<br />
Stilllegung: Auch hier jeder Schritt zur Genehmigung vorzulegen und von<br />
Sachverständigen geprüft.<br />
34
3.7 Genehmigungsverfahren und begleitende Kontrolle<br />
Vertrag<br />
(hier nur in Bezug auf den Vertrag)<br />
Genehmigungsverfahren: Verantwortlich Betreiber (zahlt Gutachten, Gebühren);<br />
Hersteller liefert Sicherheitsbericht, Unterlagen (große Zahl), unterstützt<br />
(Besprechungen, Gerichtsverhandlungen etc.).<br />
Begleitende Kontrolle: Verantwortlich Hersteller (zahlt Vorprüfungen, Prüfungen in<br />
Werkstätten, manchmal auf der Baustelle - je nach Vertrag; in der Mehrzahl der Fälle<br />
trägt der Betreiber die Kosten für letztere).<br />
Vertrag regelt auch Organisation und Abwicklung, soweit Besteller und Hersteller<br />
betroffen.<br />
3.8 Patente<br />
Bei Verletzung von Patenten kann KKW stillgelegt werden, sehr großer<br />
wirtschaftlicher Schaden. Hersteller muss alles tun, um so etwas abzuwenden:<br />
Maximale Sorgfalt, ggf. Befriedigung des Patentinhabers, notfalls Austausch<br />
betreffender Komponente. Besteller hilft.<br />
3.9 Wohlverhalten, Schiedsgericht<br />
Vertrag versucht alle Eventualitäten (z.B. Verzögerungen aus den verschiedensten<br />
Gründen) in ihren Konsequenzen zu regeln. Trotzdem nicht vorher geregelte<br />
Situationen denkbar. Dann Regelung »im Geiste des Vertrages« auszuhandeln.<br />
Prinzip Fairness.<br />
Mögliche Streitpunkte: Umfang und Qualität der Lieferungen und Leistungen,<br />
Vorgehen bei Aufholen einer Verzögerung, Mängelbeseitigung, Bezahlung von<br />
Mehraufwand u.v.a.m.. Fast immer gütliche Einigung auf mittlerer Ebene, gelegentlich<br />
auf höherer. Ganz selten, nur wenn es um viel geht, ernsthafter Streit. Dann laut<br />
Vertrag nicht ordentliches Gericht, sondern Schiedsgericht zu bemühen (Ausnahme:<br />
nukleare Haftung): Eine Partei verfasst Klageschrift und nennt Schiedrichter ihrer<br />
Wahl, andere Partei muss in bestimmter Frist ihrerseits Schiedsrichter nennen (sonst<br />
vom Oberlandesgericht ernannt); beide müssen zeitlich befristet Obmann (mit<br />
Richterbefähigung) wählen (ggf. wieder vom OLG);<br />
Entscheid nach Vertrag und deutschem Recht.<br />
3.10 Gefahrtragung, Haftung<br />
Stark verkürzt: Wessen Versicherung zahlt für wen in welchen Fällen.<br />
3.11 Kündigung, Sistierung<br />
Besteller kann immer kündigen, trägt finanzielle Folgen (möglichst klein zu halten).<br />
Besteller kann auch Unterbrechung (Sistierung) verlangen, Folgen wie bei Kündigung.<br />
35
Stromgestehungskosten k<br />
4 Berechnung der Stromgestehungskosten k<br />
Hinzu kommen Stromverteilungskosten, die je nach Spannungsebene stark<br />
differieren; bei Niederspannungsabnehmern sind die Verteilungskosten wesentlich<br />
höher als die Gestehungskosten; am meisten muss der städtische<br />
Niederspannungsabnehmer für Steuern und andere, vom Staat auferlegte Lasten<br />
bezahlen: Konzessionsabgabe (Abgabe an die jeweilige Gemeinde), Stromsteuer,<br />
Einspeisevergütung für Strom aus erneuerbaren Energien (bei Wind und Sonne um<br />
den Faktor 5 - 40 überhöht) und für Strom aus Anlagen der Kraft-Wärme-Kopplung<br />
(Unterstützung von Kommunen, die solche Anlagen aus politischen Gründen gebaut<br />
haben, Argument der CO2-Einsparung oft unzutreffend), auf alles dann die<br />
Mehrwertsteuer.<br />
Allgemein: Für jedes Produkt gibt es Kosten, die unabhängig von der Produktion<br />
anfallen und Kosten proportional der Menge der erzeugten Güter.<br />
Das gilt auch für die Stromerzeugung. Hier kostet die Herstellung einer kWh:<br />
F<br />
k = b<br />
N H<br />
F = Festkosten [€/a]<br />
N = Kraftwerksnennleistung [MW]<br />
H = Volllastbenutzungsstundenzahl [h/a]<br />
H =<br />
elektrische<br />
Jahresarbeit<br />
Kraftwerksnennleistung<br />
b =<br />
hängt ab von Verfügbarkeit des Kraftwerks (eingeschränkt durch<br />
Brennstoffwechsel, Revision, technische und politische Störungen)<br />
und vom Einsatz gemäß Strombedarf; letzterer richtet sich nach den<br />
Brennstoffkosten: Da die Brennstoffkosten bei Kernkraftwerken<br />
niedrig sind, werden diese bevorzugt eingesetzt.<br />
arbeitsabhängige Kosten, fast ausschließlich Brennstoffkosten<br />
[¢/kWh]<br />
(Umrechnungsfaktoren 10 x weggelassen).<br />
36
4.1 Festkosten F<br />
Stromgestehungskosten k<br />
F = A ( a + s + v + w + r ) + V + P + B<br />
A = Anlagekosten zum Zeitpunkt der Übergabe des Kraftwerks (DM)<br />
A = (P + BHEL) (1 + g + z)<br />
P = Anlagenpreis: 1982 ca. 3,5 Mrd DM für 1 250 MW oder<br />
rund 1 400 €/kW, 2001 ca. 2 Mrd. € für 1 500 MW, oder rund<br />
1 300 €/kW, die spezifischen Kosten sind also in 20 Jahren leicht<br />
gefallen (Wettbewerb und technischer Fortschritt überwiegen<br />
Lohnkostensteigerungen und weitere Erhöhung der Sicherheit)<br />
BHEL = Bauherreneigenleistungen: einige 100 Mio €, je nach<br />
Abgrenzung des Lieferumfanges: z.B. mit/ohne Kühlturm; mit/ohne<br />
TÜV auf Baustelle<br />
g = Faktor für Preisgleitung<br />
z = Faktor für Zinsen und Steuern während der Bauzeit.<br />
1. Rate (bei Vertragsabschluss) enthält keine Preisgleitung, muss aber über die ganze<br />
Bauzeit (z.B. 6 Jahre) verzinst und versteuert werden; letzte Rate (bei Übergabe)<br />
enthält nur Preisgleitung über die ganze Bauzeit. Mit den Inflationsraten in den letzten<br />
Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts war in Deutschland:<br />
1+g+z 1,5<br />
Da der 1 überschreitende Teil dieses Faktors in erster Näherung der Bauzeit<br />
proportional ist und die Kosten erheblich steigert, gehen verstärkte Bemühungen<br />
dahin, die Bauzeit künftiger Kernkraftwerke zu verkürzen. Mit fortschreitender<br />
genehmigungstechnischer Reife ist das im Wesentlichen ein technisches Problem.<br />
Auch dank niedriger Inflationsraten und Zinsen wird der Faktor (1+g+z) in Zukunft<br />
deutlich geringer als 1,5 sein.<br />
genauere Berechnung der Preisgleitung Zinsen und Steuern<br />
P(1+g+z)= R i0(1+q) i (1+p) n-i<br />
Ri0 = Raten ohne Preisgleitung<br />
Q = mittlerer Prozentsatz der Preisgleitung<br />
i = Jahre ab Zahlung der 1. Rate<br />
p = mittlerer Satz für Zinsen und Steuern<br />
n = Jahre ab Zahlung der 1. Rate bis zur Übergabe<br />
37
Stromgestehungskosten k<br />
Unter Berücksichtigung dieser Faktoren kostete ein Kernkraftwerk bei Übergabe 1989<br />
weniger als 3 Mrd €. In Deutschland können Zinsen und Steuern während der Bauzeit<br />
abgeschrieben werden, d.h. 1989 standen weniger als 2,5 Mrd € zu Buch. In den USA<br />
dürfen Bauzinsen etc. erst nach vollständiger Fertigstellung des Kraftwerks<br />
abgeschrieben werden und belasten den Kunden dann stärker („rate shock").<br />
Das Geld dafür wird als Eigenkapital (EK) und Fremdkapital (FK) (von Banken,<br />
Versicherungen) aufgebracht. EK stammt primär von den Aktionären, wird investiert,<br />
fließt durch Abschreibung zurück und steht dann für neue Investitionen zur Verfügung;<br />
durch nicht ausgeschüttete Gewinne (Rücklagen) kann das EK erhöht werden.<br />
(Achtung: Rückstellungen sind etwas anderes, nämlich vorsorglich beiseite gelegte<br />
Gelder für sichere oder wahrscheinliche spätere Verpflichtungen, hier: für Pensionäre,<br />
Entsorgung, Stilllegung.) Kommt man mit dem EK nicht aus, gibt es eine<br />
Kapitalerhöhung. (Falls Aktionäre, z.B. Kommunen, das Geld dafür nicht aufbringen<br />
können, gibt es ersatzweise komplizierte Konstruktionen.)<br />
Abschreibungen (= rückfließendes Kapital) und Rückstellungen erhöhen die Liquidität,<br />
haben aber nichts mit dem Gewinn zu tun (wird im politischen Raum oft nicht<br />
verstanden). Da sie von den Einnahmen abgezogen werden, kann man auch sagen,<br />
dass Abschreibungen und Rückstellungen den Gewinn mindern. Das Geld, was dann<br />
in der Kasse liegt, gehört den Aktionären (ist das, was sie ursprünglich einbrachten,<br />
plus evtl. zurückliegendem Gewinn, auf den sie verzichteten, der aber schon hoch<br />
versteuert wurde) oder es gehört den Pensionären, Entsorgern und<br />
Abrissunternehmen.<br />
Die „Bedienung“ des Kapitals kann annuitätisch erfolgen:<br />
a = Annuität (%/a). Die Annuität dient dem Vergleich der<br />
Wirtschaftlichkeit zwischen verschiedenen Kraftwerken (z.B. Kohle –<br />
Kernenergie)<br />
= Abschreibung (Eigen- und Fremdkapital) bzw. Tilgung (Rückgabe von<br />
Fremdkapital) plus Dividende (Eigenkapitalrendite) bzw. Zinsen<br />
(Fremdkapital) gemittelt über die Abschreibungsdauer von n Jahren<br />
(Finanzamt: n = 19); die Mittelung erfolgt mit der Formel<br />
p<br />
a =<br />
(diese Formel gehört zur Allgemeinbildung)<br />
n<br />
1<br />
( 1<br />
p)<br />
p = Mischzinssatz für Eigen- und Fremdkapital. Eigenkapital muss mindestens<br />
1 / 3 betragen.<br />
38
Beispiel:<br />
p = 8%; n = 19;<br />
damit a=10,4%<br />
d.h. im ersten<br />
Jahr 8% Zinsen,<br />
2,4% Tilgung<br />
im 19. Jahr ca.<br />
0,8% Zinsen,<br />
9,6% Tilgung<br />
Abbildung 19: Tilgung 1<br />
Stromgestehungskosten k<br />
Bei Fremdkapitalbelastungen von Immobilien (Hypotheken, Bauspardarlehen) wird<br />
üblicherweise annuitätisch verzinst und getilgt. (Hier und im Folgenden Begriffe<br />
verwendet, die für Fremdkapital üblich sind; die Methodik gilt gleichermaßen für das<br />
Eigenkapital.)<br />
Bedeutung des Zinssatzes:<br />
Der gewählte Mischzinssatz p für Eigen- und Fremdkapital ist bedeutend für die<br />
Bewertung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit von Kernkraftwerken (KKW).<br />
Das liegt daran, dass KKW spezifisch zwei bis drei Mal so viel kosten wie Kohle- und<br />
Gaskraftwerke.<br />
Der Vorteil der KKW liegt bei den niedrigen Brennstoffkosten. (Darüber hinaus ist zu<br />
erwarten, dass der historische Trend sinkender nuklearer und steigender fossiler<br />
Brennstoffkosten sich auch in Zukunft fortsetzen wird, letzteres insbesondere beim<br />
Erdgas.)<br />
Nimmt man nun hohe Kapitalkosten an (hohe, schnelle Kapitalrenditen), werden KKW<br />
gegenüber ihren Wettbewerbern benachteiligt. Bei längerem Zeithorizont, bei<br />
Berücksichtigung des sog. „goldenen Endes“ nach erfolgter Abschreibung<br />
(Stromerzeugung zu Kosten, die dann nur noch von großen, abgeschriebenen<br />
Wasserkraftwerken unterboten werden können) haben KKW dagegen komperative<br />
Vorteile.<br />
Manche Analysten rechnen die Inflationsraten vom Marktzins ab und rechnen mit sog.<br />
„realen“ Zinssätzen (Zinssätze, die sich bei ansonsten gleichbleibenden Bedingungen<br />
ohne Inflation ergeben würden). Hier wird mit Werten von beispielsweise 4,5%/a<br />
(Finnland) oder 6%/a (deutsche Studie) gerechnet, was beides relativ vorteilhaft für<br />
KKW ist.<br />
39
Stromgestehungskosten k<br />
40
Stromgestehungskosten k<br />
Auf der anderen Seite liegt eine Renditevorgabe des RWE von 11%/a vor Steuern<br />
(EK-Anteil 1/3) sowie ein Zinssatz von 7,5%/a hier Fremdkapital (Anteil 2/3),<br />
gerechnet über eine wirtschaftliche Lebensdauer von 30 Jahren. Der Annuitätsfaktor<br />
liegt damit in der gleichen Größenordnung wie in dem oben gewählten Beispiel. RWE<br />
hat 1998 trotzdem noch einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Importkohle errechnet.<br />
Eine gewisse Inflation wurde insofern berücksichtigt, als bei Importkohle eine<br />
Kostensteigerung von 1%/a angenommen wurde. Die niedrigsten Kosten ergaben<br />
sich laut RWE 1998 für erdgasgefeurte GuD-Kraftwerke (siehe Abbildung Seite 39).<br />
Mit der Preissteigerung für Erdgas in den Folgejahren gilt das nicht mehr. Unabhängig<br />
davon zeigt die Abbildung die großen Unterschiede in den Fixkosten und damit die<br />
entsprechende Bedeutung des Zinssatzes, der die Fixkosten wesentlich mitbestimmt.<br />
Für die beschriebenen Vergleichsrechnungen wird eine annuitätische Zinsung und<br />
Tilgung zugrundegelegt.<br />
Realiter wird bei Kraftwerken anders abgeschrieben bzw. getilgt:<br />
Entweder linear<br />
Oder degressiv<br />
Abbildung 20: Tilgung 2<br />
41
Stromgestehungskosten k<br />
Degressiv: Tilgung in festem Prozentsatz vom Buchwert, z.B. 10% davon; das gäbe<br />
im 1.Jahr eine Tilgung von 10%, im 2. Jahr von 9%, im 3. von 8,1%. Wenn man an<br />
diesem Verfahren festhalten würde, wäre die Tilgungszeit unendlich mit immer<br />
kleineren Tilgungsraten. Daher geht man dann auf lineare Tilgung über, wenn die so<br />
errechneten Tilgungsraten größer werden als die degressiv errechneten. (Bei 10%/a<br />
sind das 10 Jahre vor Tilgungsende, bei Tilgung über 19 Jahre also ab dem 9. Jahr<br />
nach Tilgungsbeginn; im 10. Jahr selbst ist die degressive Abschreibung gleich der<br />
linearen und entspricht 3,874% des Buchwertes zu Beginn.) Die Zinsen – z.B. mit 8%<br />
des Buchwertes – nehmen rasch ab. Die (nicht zwingend auszunutzende) Erlaubnis<br />
zur degressiven Abschreibung wird vom Gesetzgeber manchmal gewährt, wenn die<br />
Konjunktur angekurbelt werden soll.<br />
Da lineare und degressive Abschreibung jedes Jahr unterschiedliche Zahlen liefern,<br />
sind sie für vergleichende Berechnungen von Stromgestehungskosten nicht geeignet.<br />
s = Steuersatz (%/a)<br />
s hängt ab von Dividende und Fremdkapitalzinsen; da die<br />
Steuersätze hierfür unterschiedlich sind, hängt s auch vom Verhältnis<br />
Eigen-/Fremdkapital ab. Früher gab es auch kapitalabhängige,<br />
ertragsunabhängige Steuern (heute nur noch für Grundstücke)<br />
Größenordnung: s = 2,5 bis 3%/a<br />
v = Versicherungssatz für Sachversicherung<br />
(sog. nukleare Feuerversicherung und Maschinenschaden-<br />
Versicherung) stark abhängig von Art und Umfang der Versicherung<br />
z.B. v = 0,5%/a<br />
w = Prozentsatz für Wartung und Instandhaltung und anderen extern<br />
bezogenen Leistungen (z.B. Wachpersonal) (Erfahrungswert)<br />
Größenordnung: w = 1%/a (traditionell bei Kohlekraftwerken etwas<br />
höher, da dort Verschleiß größer)<br />
r = Rückstellungen für Kraftwerksstilllegung und Nachbetriebsphase<br />
(einschl. kaufmännischer Sicherheit) 1996 mit ca. 0,6 Mrd €<br />
angesetzt, das sind 1,2 Mrd DM/19a = 63 Mio DM/a oder rund 1%<br />
von A; mit beginnenden Rückstellungen können Zinsen daraus gegen<br />
weitere Kosten-Steigerungen aufgerechnet werden; Überschüsse<br />
sind selbstverständlich zu versteuern.<br />
Mit den hier gewählten Zahlen (s sei = 2,7%) ergab sich (alle Zahlen bezogen auf ein<br />
sog. Konvoi-Kernkraftwerk der 1980er Jahre):<br />
A[a + s + v + w + r] = 3 Mrd € × 0,156/a = 468 Mio €/a<br />
(wegen der vorgezogenen Bezahlung der Bauzinsen, s.o., ist es realiter rund 1 / 6<br />
weniger).<br />
42
Stromgestehungskosten k<br />
Die übrigen Festkosten umfassen:<br />
V = Haftpflichtversicherung, weniger als 1 Mio €/a.<br />
Auch dieser relativ geringe Betrag ist, gemessen am realen Risiko<br />
noch viel zu hoch; Annahme: 10 000 Reaktorbetriebsjahre (bisher) <br />
1 Mio €/Reaktorbetriebsjahr = 10 Mrd € Prämieneinnahmen.<br />
Ausgaben demgegenüber um Größenordnungen geringer (mit<br />
Harrisburg, ohne das technisch nicht vergleichbare Tschernobyl)<br />
P = Personalkosten (ohne externes Personal): 300 x 80 T€/a 24 Mio €/a<br />
(einschließlich aller Nebenkosten, Pensionsrückstellungen etc.),<br />
Stand 2000<br />
B = Brennstoff-Festkosten; in etwa die Abschreibung und Verzinsung des<br />
im Reaktorkern investierten verzinsten Kapitals plus Rückstellung für<br />
den aperiodischen Teil der Entsorgung des Letztkerns. Berechnung<br />
wie folgt: Abzinsung/Aufzinsung aller Brennstoffkosten von vor<br />
Inbetriebnahme bis nach Stilllegung auf den Zeitpunkt der Übergabe<br />
(Barwertbildung), Substraktion der abgezinsten arbeitsabhängigen<br />
Brennstoffkosten, annuitätische Gleichverteilung der Differenz.<br />
Größenordnung B 15 Mio €/a<br />
Bei der Berechnung von B wird eine bestimmte Jahresstromerzeugung zugrunde<br />
gelegt;<br />
B ist dann<br />
B Z p a b N H a<br />
ni i ( 1 ) - <br />
a<br />
worin<br />
Zi = alle Zahlungen für den Brennstoffkreislauf vom Natururan für den<br />
Erstkern bis zur Endlagerung des Letztkerns zu den jeweiligen<br />
Zahlungszeitpunkten ni<br />
p = Satz für Zinsen und Steuern für Auf- und Abzinsungen<br />
(wie bei der Annuität, s.o.)<br />
ni = Zeit in Jahren vor einem Stichzeitpunkt (positiv) bzw. nach<br />
einem Stichzeitpunkt (negativ), zu dem die Zahlung Zi geleistet wird;<br />
Stichzeitpunkt zweckmäßigerweise = Übergabe<br />
Der Ausdruck in eckigen Klammern ist der Barwert aller Brennstoffkosten zum<br />
Stichzeitpunkt.<br />
43
a = Annuität (s.o.)<br />
b = arbeitsabhängige Brennstoffkosten (s.u.)<br />
NH = Jahresstromerzeugung (s.o.)<br />
Stromgestehungskosten k<br />
a/a = soll andeuten: gleichmäßig angenommene Jahresbeträge können in<br />
gleicher Weise aufgezinst und (annuitätisch) verteilt werden<br />
Gesamte Festkosten:<br />
F 500 Mio €/a<br />
das sind etwa 1,5 Mio € pro Tag, an dem das Kraftwerk verfügbar ist.<br />
Bei den Festkosten ist noch zu unterscheiden zwischen<br />
Kapitalkosten, die eines Tages zu Null werden und zwar nach erfolgter<br />
vollständiger Abschreibung (Amortisation) und nach erfolgter Ansammlung der<br />
Stilllegungskosten (Verteuerungen der Stilllegung nach diesem Zeitpunkt<br />
werden in aller Regel durch Zinsgewinne aus diesen Fonds mehr als<br />
ausgeglichen)<br />
sonstige Festkosten. In Anlehnung an die angelsächsische Praxis werden sie<br />
auch in Deutschland als O&M-Kosten (für operation and maintenance)<br />
bezeichnet.<br />
Viele Autoren unterscheiden noch zwischen festen und variablen O&M-Kosten. Zu<br />
den letzten werden manchmal Brennelement-Entsorgungskosten gerechnet. (Hier<br />
werden sie den arbeitsabhängigen Brennstoffkosten zugeschlagen, mit Ausnahme<br />
des aperiodischen Anteils am Ende der Betriebszeit).<br />
Dann gibt es O&M-Kosten, die sich z.B. je nach Wartungsaufwand ändern können,<br />
die aber kaum etwas mit der Menge des erzeugten Stroms zu tun haben, also<br />
praktisch nicht arbeitsabhängig sind. (Hier werden sie den festen O&M-Kosten<br />
zugerechnet.)<br />
44
Stromgestehungskosten k<br />
45
Stromgestehungskosten k<br />
46
Stromgestehungskosten k<br />
47
Stromgestehungskosten k<br />
48
Stromgestehungskosten k<br />
49
4.2 . Brennstoffkosten b (ohne Entsorgung)<br />
Stromgestehungskosten k<br />
Zusammensetzung der Kosten siehe „Brennstoffkreislauf“ vom Nov. 1979 (qualitativ).<br />
Quantitativ (Nachlade-Brennelement); Zahlen andauernden Änderungen unterworfen;<br />
hier beispielhafte Werte, die die Methodik zeigen:<br />
a) Natururan:<br />
kg Natururan<br />
kg Uran mit 4,0% U235<br />
9,137 3 8<br />
12 $<br />
<br />
lb U O<br />
3<br />
8<br />
1,178 lb U O<br />
<br />
lb U<br />
(unterstellt: Abreicherung des Natururans auf 0,3%)<br />
b) Konversion: 5 €/kg Unat 46 €/kg U (4,0%)<br />
c) Anreicherung:<br />
5,356 Trennarbeitseinheiten<br />
(TAE)<br />
kg U (4,0%) bei Abreicherung<br />
auf 0,3 %<br />
d) Herstellung: ca. 380 €/kg U<br />
2,2 lb U 1,1Euro<br />
<br />
kg U $<br />
82 Euro<br />
<br />
TAE<br />
439 Euro<br />
kg U (4,0%)<br />
313 Euro<br />
kg U (4,0%)<br />
Bei Erniedrigung der Abreicherung (z.B. auf 0,2%) wird weniger Natururan und mehr<br />
Trennarbeit benötigt. Für jedes Natururan-Trennarbeit-Preisverhältnis gibt es eine<br />
kostenoptimale Abreicherung. In dem gewählten Beispiel entspricht der relativ hohe<br />
Wert von 0,3% dem niedrigen Uranpreis.<br />
Uran und Dienstleistungen müssen vor Einsatz im Reaktor gekauft werden, so dass<br />
noch nennenswerte Zinskosten anfallen. Ein fertiges Brennelement mit 4,0%<br />
Anreicherung kostet daher mit diesen Zahlen zum Einsatzzeitpunkt etwa<br />
1 200 €/kg U.<br />
Hiermit werden ca. 50 MWd/kg U (thermisch) erzeugt, das sind bei 33,8%<br />
Wirkungsgrad<br />
50 MWd 24 h<br />
0,338 405 600<br />
kWh el/kg<br />
U<br />
kg U d<br />
Damit ergeben sich Brennstoffkosten (ohne Wiederaufarbeitung) von rund<br />
0,3 cent/kWh.<br />
50
4.3 Entsorgung<br />
Stromgestehungskosten k<br />
Für die Entsorgung gibt es zwei Pfade, mit und ohne Wiederaufbereitung (WA). Bis<br />
1994 war die WA Pflicht. 1994 hat der Gesetzgeber die Möglichkeit geschaffen,<br />
zwischen den Pfaden mit und ohne WA zu wählen. Der Weg ohne WA ist billiger,<br />
konnte aber wegen vorhandener, langfristiger Verträge nicht gleich begangen werden.<br />
Die seit 1998 amtierende Bundesregierung will die WA bis zum Jahr 2005 beenden<br />
und dann nur noch die „Direkte Endlagerung“ als Entsorgungspfad zulassen<br />
(Stand 2001).<br />
4.3.1 Pfad mit Wiederaufbereitung WA<br />
Dieser Pfad umfasst folgende Kostenbestandteile, mit in etwa folgenden Kosten<br />
(Stand 2000):<br />
WA einschließlich Transport zur WA (Bei der WA werden Uran, z.B. 94%, Plutonium,<br />
z.B. 1%, und Spaltprodukte, z.B. 5%, voneinander getrennt.)<br />
1 400 €/kg U<br />
Fertigung von Uran-Plutonium-Mischoxid-Brennelementen (MOX-BE):<br />
2 200 €/kg MOX-BE, das sind noch 1 820 €/kg Mehrkosten gegenüber einem Uran-<br />
BE (s.o.); da das Plutonium für rund ein Viertel einer Nachladung ausreicht, betragen<br />
die gemittelten Mehrkosten 1 820/4 =<br />
455 €/kg U<br />
Fertigung von Brennelementen aus rezyklierbarem Uran (auch WAU genannt):<br />
660€/kg U. Das sind rund 280 €/kg U Mehrkosten gegenüber einem BE aus frischem<br />
Uran. Da das „WAU“ wieder angereichert werden muss, reicht die Menge nur für rund<br />
ein Sechstel einer Nachladung; daraus ergeben sich gemittelte Mehrkosten von<br />
280/6 =<br />
47 €/kg U<br />
Endlagerung der verglasten Spaltprodukte (einschließlich Transport,<br />
Zwischenlagerung u.a.)<br />
Gesamtkosten der Entsorgung via WA rund<br />
1 050 €/kg U<br />
2 950 €/kg U<br />
Da die Kosten wesentlich später liegen als der Zeitpunkt der Verursachung (Abbrand<br />
im Reaktor) und der dann bereits kaufmännisch pflichtgemäß erfolgenden<br />
Rückstellung von Geldmitteln, müssten die Kosten um einen Zinsgewinn vermindert<br />
werden. Hier wird vorsichtshalber angenommen, dass spätere Kostensteigerungen<br />
den Zinsgewinn kompensieren.<br />
Bezogen wieder auf 405 600 kWh/kg U ergeben sich auf dem beschriebenem Wege<br />
Entsorgungskosten von über 0,7 cent/kWh. Das ist mehr als das Doppelte des<br />
Aufwandes, der für frische Uran-BE aufzubringen ist.<br />
51
4.3.2 Pfad mit Direkter Endlagerung<br />
Stromgestehungskosten k<br />
Im Jahr 2000 wurde mit folgenden Kosten gerechnet:<br />
Zwischen- und Endlagerbehälter, diverse Transporte und Zwischenlagerung<br />
zusammen rund<br />
580 €/kg U<br />
Konditionierung zum Zwecke der Endlagerung<br />
520 €/kg U<br />
Endlagerung selbst<br />
660 €/kg U<br />
Summe<br />
1 760 €/kg U<br />
Hinsichtlich des möglichen Zinsgewinnes gilt das zuvor Gesagte. Wieder auf<br />
405 600 kWh/kg U bezogen, kostet die direkte Endlagerung über 0,4 cent/kWh, also<br />
auch hier mehr als das „vordere Ende“.<br />
Im Jahr 2000 wurden noch etwas mehr als die Hälfte der Brennelemente<br />
aufgearbeitet, weniger als die Hälfte für die Direkte Endlagerung zwischengelagert.<br />
Für die gemittelten Entsorgungskosten wurden daher 0,6 cent/kWh angegeben. Mit<br />
den Kosten für das „vordere Ende“ ergeben sich insgesamt arbeitsabhängige<br />
Brennstoffkosten von<br />
0,3 cent/kWh + 0,6 cent/kWh = 0,9 cent/kWh.<br />
Diskussion<br />
Es sei vermerkt, dass für das „vordere Ende“ bereits eine ausgereifte, dem<br />
Wettbewerb ausgesetzte Praxis existiert. Für das „hintere Ende“, die Entsorgung, fehlt<br />
es z.T. am Wettbewerb, z.T. an Praxis, z.T. an beidem. Die oben angegebenen<br />
Kosten sind sehr vorsichtig gerechnet, die Annahme weiterer Kostensteigerungen (in<br />
Höhe der Zinsgewinne) ist vermutlich falsch. Eher ist, wie die Erfahrung mit dem<br />
„vorderen Ende“ zeigt, mit fallenden Kosten zu rechnen.<br />
Die Kosten für das „vordere Ende“ haben sich in den letzten 20 Jahren mehr als<br />
halbiert. Berücksichtigt man die Geldentwertung, ist der Rückgang sogar noch<br />
deutlicher.<br />
Dazu hat die Steigerung des Abbrandes von damals typischerweise 33 MWd/kg U auf<br />
rund 50 MWd/kg U zu Anfang des neuen Jahrtausends wesentlich beigetragen. Dafür<br />
musste die Anreicherung, der Natururaneinsatz und auch der Fertigungsaufwand<br />
erhöht werden, wenn auch in einem größeren Verhältnis als 50/33.<br />
Weitere Kostensenkungen ergaben sich bei allen vorgelagerten Prozessen;<br />
besonders auffällig war der technische Fortschritt bei der Anreicherung.<br />
Die Entsorgungskosten sind in erster Näherung umgekehrt proportional zum Abbrand.<br />
Auch sie sind also, trotz aller kaufmännischen Vorsicht, deutlich gefallen. Der<br />
Übergang vom Pfad mit Wiederaufbereitung zum Pfad mit Direkter Endlagerung trägt<br />
52
Stromgestehungskosten k<br />
weiter dazu bei. Weder beim einem, noch beim anderen Entsorgungspfad sind aber<br />
die Kostensenkungspotentiale (ohne Verminderung der Sicherheit, oft mit Erhöhung<br />
der Sicherheit) ausgeschöpft. Mit einiger Wahrscheinlichkeit ist mindestens eine<br />
Halbierung möglich.<br />
Was auf jeden Fall für eine Kostensenkung sorgt, ist die weitere, kontinuierliche<br />
Erhöhung des Abbrandes: 60 MWd/kg U werden konkret angestrebt, erste<br />
Versuchserfahrungen mit 70 MWd/kg U sind bereits gewonnen (2001).<br />
Langfristig lassen sich Gesamtkosten von 0,5 cent/kWh erwarten.<br />
4.4 Gesamte Stromgestehungskosten<br />
Hier ist, wie gesagt, zwischen voll abgeschriebenen und neuen Kernkraftwerken zu<br />
unterscheiden. Ferner ist zu zeigen, inwiefern unterschiedliche Kraftwerkstypen für<br />
unterschiedliche Aufgaben (Grund-, Mittel-und Spitzenlast) die bestgeeigneten sind.<br />
4.4.1 Stromgestehungskosten bei abgeschriebenen Kraftwerken<br />
Hier sind neben Brennstoffkosten einschließlich Entsorgung nur die laufenden Kosten<br />
für eigenes und Fremdpersonal (z.B. für Bewachungsdienstleistungen), Revisionen<br />
(viel Fachpersonal), Wartung und Instandhaltung, Sach- und Haftpflichtversicherung<br />
etc. zu bezahlen. Oft kommen Nachrüstungen und Abschreibungen auf<br />
Nachrüstungen dazu.<br />
Gewinne und damit auch gewinnabhängige Steuern werden hier nicht berücksichtigt.<br />
Sie ergeben sich erst aus der Differenz zwischen Marktpreis und Kosten.<br />
Früher, bevor der Markt liberalisiert war, wurde ein fester Gewinn einkalkuliert, der<br />
Preis danach berechnet und der Strompreis-Aufsichtsbehörde (für Tarifabrechner) zur<br />
Genehmigung vorgelegt.<br />
Die Festkosten (alles außer Brennstoffkosten) sind auf die erzeugte Strommenge zu<br />
beziehen. Hier ist zu berücksichtigen, dass die deutschen KKW nach ihrer<br />
Inbetriebnahme mit verbesserten Turbinen ausgerüstet wurden, was den<br />
Wirkungsgrad und – bei gleicher thermischer Reaktorleistung – die elektrische<br />
Leistung erhöht.<br />
Bei wenigen (einigen?) Reaktoren wird auch die Reaktorleistung nach einem<br />
umfänglichen Genehmigungsverfahren gesteigert.<br />
Die beschriebenen Festkosten unterliegen naturgemäß gewissen Schwankungen.<br />
Nehmen wir beispielsweise einen Betrag von 100 Mio €/a an und beziehen ihn auf die<br />
bei grossen KKW typischerweise erzielten 11 Mrd kWh/a, ergibt sich ein<br />
Festkostenanteil von<br />
100 Mio Euro<br />
<br />
0,<br />
9 cent/kWh<br />
11 Mrd kWh<br />
Zusammen mit den Brennstoffkosten in gleicher Höhe ergeben sich gesamte<br />
Stromgestehungskosten von<br />
0,9 cent/kWh + 0,9 cent/kWh = 1,8 cent/kWh.<br />
53
4.4.2 Stromgestehungskosten bei neuen Kernkraftwerken<br />
Stromgestehungskosten k<br />
Technik und Wettbewerb haben bei allen Kraftwerken und auch bei den Brennstoffen<br />
seit den 1980er Jahren zu erheblichen Preissenkungen geführt. Auch die Zinsen sind<br />
heute oft niedriger als damals. Daher sind die alten Zahlen heute nicht mehr<br />
brauchbar. Neuere Daten sind oft theoretisch, teils überholt, teils zu niedrig.<br />
Wirklichkeitsnah ist man nur dann, wenn man eigenes Geld für ein Kraftwerk<br />
auszugeben beabsichtigt. Das ist in Westeuropa, soweit KKW betroffen sind zu<br />
Anfang des Jahrhunderts nur in Finnland der Fall.<br />
Eine Kurzfassung der dort berechneten Stromgestehungskosten im Vergleich mit<br />
GuD-, Kohle- und Torfkraftwerken ist vollständig als Anlage beigefügt.<br />
Dazu ist folgendes zu bemerken:<br />
Die Investitionskosten beinhalten Bauzinsen, aber keine Steuern und keine<br />
Preisgleitung. Der Erstkern wird hier den Investitionskosten zugeschlagen. (Das führt<br />
zu ähnlichen Ergebnissen wie die genauere Methode, die im Skript weiter oben<br />
dargestellt wurde.)<br />
Die spezifischen Investitionskosten zwischen den verglichenen Kraftwerken<br />
differieren, wie gezeigt, enorm.<br />
Für die Kernenergie vorteilhaft ist der niedrige Zinssatz von 4,5%/a. Offenbar wird hier<br />
mit einem inflationsbereinigtem Wert gerechnet.<br />
Die nuklearen Brennstoffkosten enthalten nur das „vordere Ende“, die zu Grunde<br />
gelegten Zahlen sind ähnlich wie die im Skript und führen daher zu einem nahezu<br />
identischem Ergebnis. Die Entsorgungskosten (wie auch die Stilllegungskosten)<br />
wurden zu den variablen O&M-Kosten zugeordnet.<br />
In Finnland muss man dafür eine von der Regierung festgesetzte Summe pro kWh<br />
(damit arbeitsabhängig) in einen Fonds einzahlen, während in Deutschland der<br />
Betreiber verpflichtet ist, dafür Rückstellungen zu bilden.<br />
Kaufmännische Vorsicht und preistreibende politische Praxis führen in Deutschland<br />
zu wesentlich höheren Werten für diese Posten als in Finnland.<br />
54
Stromgestehungskosten k<br />
55
Stromgestehungskosten k<br />
56
Stromgestehungskosten k<br />
57
Stromgestehungskosten k<br />
Tafel 2 (in der Abbildung Seite 55) gibt die Gesamtkosten in €/MWh wieder. Streicht<br />
man eine Stelle ab, so erhält man c/kWh (z.B. 30 €/MWh = 3 c/kWh).<br />
Bemerkenswert ist, dass die Vollkosten bei 8 000 h/a (das entspricht etwa den o.g.<br />
11 TWh/a für ein großes deutsches KKW) mit 2,145 c/kWh nur wenig über den o.g.<br />
1,8 c/kWh für ein voll abgeschriebenes deutsches KKW liegen.<br />
Die wesentlichen Ursachen dafür wurden schon genannt:<br />
Niedriger Zinssatz und niedrigere Entsorgungs-und Stilllegungskosten. (Für die<br />
Stilllegung geplant: Nutzung der Endlager für schwach radioaktive Teile, die für<br />
jeweils weniger als 20 Mio € an den beiden finnischen Standorten in den Granit<br />
getrieben wurden.)<br />
Aus den Zahlen der Tafel 2 kann man rückwärts die Formel ermitteln, mit der die<br />
einzelnen Werte ausgerechnet wurden.<br />
Sie lautet:<br />
121450<br />
Euro/a<br />
k <br />
6,27 Euro/MWh<br />
MW H (h/a)<br />
Darin entspricht H (h/a) der Volllast-Ausnutzung des Kraftwerks.<br />
Diese Formel entspricht derjenigen, die ganz am Anfang des Kapitels 4 genannt<br />
wurde.<br />
Rechnet man weiter zurück, ergeben sich Festkosten für ein 1250 MW-KKW von<br />
121450<br />
Euro/a<br />
MW<br />
<br />
1250<br />
MW<br />
151,8<br />
Mio Euro/a<br />
das ist ein knappes Drittel des Wertes, der oben mit anderen Zahlen für ein KKW der<br />
1980er Jahre errechnet wurde.<br />
Die variablen Kosten von 6,27 €/MWh sind die Summe der Brennstoffkosten<br />
(2,86 €/kWh) und der variablen O&M-Kosten (3,41 €/kwh), die, wie gesagt,<br />
Entsorgung und Stilllegung umschließen.<br />
Auch in Deutschland kommt man bei künftigen KKW (1 528 MW-EPR) zu deutlich<br />
niedrigeren Kosten als früher.<br />
58
Aus der Abbildung Seite 39 lässt sich in etwa ablesen:<br />
oder<br />
360 000 DM/a<br />
k <br />
10<br />
DM/MWh<br />
MW H (h/a)<br />
185 000 Euro/a<br />
k <br />
5,13 Euro/MWh<br />
MW H (h/a)<br />
Stromgestehungskosten k<br />
Die letztere Zahl enthält, im Gegensatz zu Finnland, keine Stilllegungskosten. Die<br />
bereits diskutierte, deutliche Senkung der Entsorgungskosten ist für ein solches,<br />
zukünftiges KKW schon eingerechnet.<br />
4.4.3 Vergleich verschiedener Kraftwerkstypen<br />
Darstellungsweise: Die finnische und die deutsche Studie vergleichen das KKW mit<br />
anderen Kraftwerken. Das lässt sich graphisch darstellen. Üblich ist die Auftragung<br />
der €/MWh oder c/kWh über der Volllaststundenzahl H (h/a), was typischerweise so<br />
aussieht:<br />
Abbildung 21: Kraftwerkstypenvergleich 1<br />
59
Stromgestehungskosten k<br />
Darin ist (a) ein Kraftwerk mit hohen Kapital- und niedrigen Brennstoffkosten, (b) ein<br />
Kraftwerk mit mittleren Werten und (c) ein Kraftwerk mit niedrigen Kapital- und hohen<br />
Brennstoffkosten.<br />
Eine andere Darstellung zeigt den Aufwand in €/kWa wieder über der<br />
Volllaststundenzahl:<br />
Abbildung 22: Kraftwerkstypenvergleich 2<br />
Hier kann man mit Geraden arbeiten und geht bei H = 0 nicht gegen . Trotzdem ist<br />
die entsprechende Darstellung häufiger anzutreffen.<br />
Unabhängig von der Darstellungsweise: Unterhalb von x (h/a) ist das Kraftwerk (a)<br />
das wirtschaftlichste (Spitzenlast), zwischen x und y (h/a) ist das Kraftwerk (b) das<br />
optimale (Mittellast), oberhalb von y (h/a) kostet das Kraftwerk (c) (Grundlast) am<br />
wenigsten.<br />
Ein Energieversorger, der alle Lastarten zu bedienen hat, ist daher gut beraten, alle<br />
drei (oder mehr) in seinem Kraftwerkspark vorzuhalten.<br />
Im finnischen Beispiel (Tafel 2) erzeugt das KKW den Strom oberhalb von 5 650 h/a<br />
(siehe Text) billiger als das Kohlekraftwerk (Punkt y). Unterhalb von etwa 4 300 h/a<br />
(Punkt x) ist das Gaskraftwerk wiederum billiger als das Kohlekraftwerk. (Mit hohen<br />
Gaspreisen würde sich der Punkt x nach unten verschieben.)<br />
Hier nicht dargestellt sind Gasturbinen, die in der Anschaffung noch billiger sind als<br />
ein gasgefeuertes GuD-Kraftwerk, aber aufgrund ihres relativ schlechten<br />
Wirkungsgrades hohe Brennstoffkosten aufweisen. Bei sehr niedrigen<br />
Benutzungstundenzahlen sind sie aber die wirtschaftlichsten Stromerzeuger.<br />
Gar keinen Schnittpunkt mit den übrigen Kraftwerken hat das Torfkraftwerk. Es ist<br />
also in allen Lastbereichen teurer und hat daher keine Chancen verwirklicht zu<br />
werden (außer es ist politisch gewollt und wird entsprechend subventioniert).<br />
60
4.4.4 Ergänzende methodische Bewertung<br />
Stromgestehungskosten k<br />
Die Wirtschaftlichkeitsberechnungen gehen meist davon aus, dass sich die<br />
Verhältnisse nach Inbetriebnahme nicht wesentlich ändern. Falls sie das in<br />
voraussehbarer Weise doch tun, kann man das kaufmännisch durch die<br />
Barwertmethode (ähnlich der Berechnung der Brennelement-Festkosten von KKW)<br />
berücksichtigen: Alle Kosten und Stromerträge der Jahre i nach Übergabe werden mit<br />
(1 + q) -1 auf das Jahr der Übergabe umgerechnet und die so ermittelte Summe der<br />
Kosten durch die ebenso ermittelte Summe der Stromerträge geteilt; q = fester<br />
Abzinsungsfaktor, dem meist ein Betrag für Steuern zugerechnet wird; z.B. q = 10%.<br />
So lässt sich beispielsweise berücksichtigen, dass die Brennstoffkosten von KKW<br />
voraussichtlich weiter sinken werden (technischer Fortschritt in allen Bereichen des<br />
Brennstoffkreislaufs bei weiter gesteigertem Abbrand), während die Kohlepreise doch<br />
wieder steigen werden. Am Ende der Abschreibungszeit profitiert das KKW zudem<br />
von einer größeren Kostenentlastung als das (billigere) Kohlekraftwerk.<br />
4.5 Wind und Sonne<br />
Da Wind und Sonne nicht zuverlässig zur Verfügung stehen, ersetzen sie keine<br />
Leistung, sondern nur arbeitsabhängige Betriebskosten. Der Wert von Wind- und<br />
Solarstrom liegt daher bei 1-2 cent/kWh. In anderen Ländern, wo die Erzeugung von<br />
Strom aus Wind und Sonne ungefähr dem Bedarf folgt (z.B. für Klimatisierung und<br />
Pumpen von Wasser), ist der Wert der so erzeugten kWh entsprechend höher<br />
(Leistungsbeitrag).<br />
61
5 Genehmigungsverfahren und<br />
begleitende Kontrolle<br />
Genehmigungsverfahren und begleitende Kontrolle<br />
Genehmigungsverfahren:<br />
Verfahren, in dem entschieden wird, ob und wie (mit welchen Modifikationen) ein<br />
beantragtes Vorhaben ausgeführt werden darf.<br />
Die Zuständigkeit liegt bei der Genehmigungsbehörde (Land).<br />
Begleitende Kontrolle:<br />
Verfahren, wodurch sichergestellt wird, dass ein Vorhaben regelgerecht und wie<br />
genehmigt ausgeführt (und später betrieben und stillgelegt) wird; zuständig ist hier die<br />
Aufsichtsbehörde (Land).<br />
5.1 Genehmigung von Kernkraftwerken<br />
(1) Nach §7 Atomgesetz (AtG): Im folgenden ausführlich behandelt.<br />
(2) Baurechtliche Genehmigungen.<br />
In mehreren Bundesländern ist das atomrechtliche Verfahren integriert, nicht aber<br />
beispielsweise in Bayern. Verwaltungsgebäude und ähnliche unterliegen in jedem Fall<br />
einer gesonderten Baugenehmigung. Zuständig: Kreis oder Stadt.<br />
Verfahren nach §4 Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG).<br />
Im wesentlichen Kühlturm; Transformatoren (wegen Lärm) nur außerhalb von<br />
Kraftwerken nach BImSchG zu genehmigen; Notstromdiesel zeitweilig auch<br />
Gegenstand des BImSchG.<br />
Früher war der Kühlturm oft in das atomrechtliche Verfahren integriert. Nach Meinung<br />
des Bundesverwaltungsgerichtes: Fehlerhaftes Ermessen der Behörde.<br />
Das KKW Mühlheim-Kärlich stand wegen dieses Formfehlers 9 Monate still,<br />
währenddessen der Kühlturm ein 2. Mal ohne jede sachliche Änderung genehmigt<br />
wurde. Volkswirtschaftlicher Schaden: Mehrere 100 Mio DM, je nachdem wie<br />
gerechnet (Vollkosten oder Differenzkosten). Der Kühlturm wurde noch für andere<br />
KKW zweimal genehmigt, jedoch während der Bauzeit.<br />
Zuständig: Landesbehörde, in NRW die gleiche wie für das Verfahren nach AtG.<br />
62
Genehmigungsverfahren und begleitende Kontrolle<br />
(3) Wasserrechtliche Erlaubnis oder Bewilligung nach §2, §3<br />
Wasserhaushaltsgesetz (WHG)<br />
Wasserentnahme aus Fluss und Grundwasser, Wassereinleitung vor/nach Beginn<br />
des Reaktorbetriebes: Welche Mengen mit welchen organischen, anorganischen und<br />
radioaktiven Stoffen, mit welcher Temperatur und welchem Sauerstoffgehalt;<br />
Grundwasserabsenkung zur Gebäudegründung (samt Ableitung); Beherrschung des<br />
schnelleren Regenabflusses (Bodenversiegelung durch Gebäude und Straßen);<br />
Verfahren parallel zu den Verfahren (1) bis (3); zuständig Wasserbehörden der<br />
Länder.<br />
Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP): Noch keine Praxis<br />
5.2. Atomrechtliches Genehmigungsverfahren<br />
Aufteilung in folgende Schritte üblich:<br />
1. Teilerrichtungsgenehmigung (TEG):<br />
Umfasst Konzept der Anlage als Ganzes sowie einen großen Teil der Gebäude.<br />
Besonderheit: Einbeziehung der Öffentlichkeit, um deren berührte Interessen, die der<br />
Genehmigungsbehörde unbekannt sein können, kennen zu lernen.<br />
Weitere TEG, früher recht viele, in der jüngeren Vergangenheit nur noch zwei bis drei<br />
z.B.:<br />
2. TEG für Maschinen- und Elektrotechnik und weitere Gebäude<br />
3. TEG für Beladen des Kerns.<br />
Abschließend: 4. TEG-Betriebsgenehmigung, früher oft vorläufig oder auch in<br />
Teilschritten, heute meist eine Genehmigung mit Freigabevorbehalten für die<br />
einzelnen Inbetriebnahmeschritte. In Zukunft angestrebt: Nur noch eine Genehmigung<br />
für Errichtung und Betrieb, falls nicht durchsetzbar: nur noch eine Genehmigung für<br />
die Errichtung. Vorteil: größere politische Sicherheit, geringere Gefahr der<br />
Verzögerung während der Errichtung; Nachteil: Alle sicherheitstechnischen<br />
Unterlagen müssen vor Baubeginn fertiggestellt sein, und zwar um so viel eher, dass<br />
Begutachtung und Bearbeitung durch die Behörde einschließlich<br />
Öffentlichkeitsbeteiligung möglich ist.<br />
63
Genehmigungsverfahren und begleitende Kontrolle<br />
Am Genehmigungsverfahren beteiligt sind (allgemein):<br />
Behörden<br />
Gutachter<br />
Betreiber (als Antragsteller)<br />
Hersteller (ggf. als Mitantragsteller- je nach Wunsch der Behörden, auf jeden<br />
Fall als Quelle der meisten bedeutsamen Informationen)<br />
Öffentlichkeit (bei der 1. TEG); bei Änderung von wesentlichen<br />
Genehmigungsvoraussetzungen, die der 1. TEG zugrunde lagen, muss die<br />
Öffentlichkeit erneut beteiligt werden; was wesentlich ist, ist bundesbehördlich<br />
festgelegt.<br />
Federführend ist die eigentliche Genehmigungsbehörde, eine Landesbehörde; in<br />
NRW das Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie, dem auch die<br />
Förderung der Kernenergie obliegt. In anderen Bundesländern sind die beiden<br />
Funktionen auf unterschiedliche Ministerien aufgeteilt, was prinzipiell besser ist.<br />
Die Landesbehörde wird im Auftrag des Bundes tätig, vertreten durch das<br />
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BMU (früher<br />
Bundesministerium des Innern, BMI); das BMU ist gegenüber der Landesbehörde<br />
weisungsberechtigt; bei den einzelnen Genehmigungsschritten teilt das BMU der<br />
Landesbehörde per Weisung mit, welche Punkte aus seiner Sicht bei der<br />
Genehmigung berücksichtigt werden müssen. Die Weisungsberechtigung gilt auch<br />
gegenüber den Aufsichtsbehörden des Landes; in jüngerer Zeit, bei unterschiedlichen<br />
politischen Auffassungen über die Kernenergie, hat das BMU einige Male<br />
Landesbehörden angewiesen, anders zu verfahren, als diese wollten (z.B. einer<br />
Wiederinbetriebnahme zuzustimmen). Zur Klärung, wie weit der Bund dabei gehen<br />
darf, wurde das Bundesverfassungsgericht angerufen; dieses urteilte, dass der<br />
Weisung des Bundes auch dann zu folgen ist, wenn diese (tatsächlich oder nur nach<br />
Meinung des Landes) rechtswidrig sei (Frage der Verantwortung).<br />
Neben den federführenden Landesministerien und dem BMU werden zahlreiche<br />
andere Behörden und Ämter in das Genehmigungsverfahren einbezogen, u.a.<br />
Bundeswehr (mögliche Kollisionen)*<br />
Bundespost (Kommunikation)*<br />
Bundesbahn<br />
Wasser- und Schifffahrtsdirektion/Ämter unter Mitwirkung der Wasserverbände<br />
Landes-Innenministerium mit unterer Baubehörde für den Bauteil sowie für<br />
Katastrophenschutz/Objektschutz<br />
Landesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit<br />
zugeordneten Ämtern, Kammern und Anstalten (Ökologie, Wasser, und Abfall)<br />
u.a. für Natur- und Landschaftsschutz<br />
Landesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (in NRW früher für das<br />
Genehmigungsverfahren zuständig)<br />
64
Genehmigungsverfahren und begleitende Kontrolle<br />
das für Raumplanung zuständige Landesministerium samt zugeordneten<br />
Planungsräten, Siedlungsverband etc.<br />
Flugsicherung<br />
Straßenbauämter<br />
Staatliches Materialprüfungsamt<br />
Zuständiger Regierungspräsident mit zugeordnetem Gewerbeaufsichtsamt<br />
und Amt für Wasser- und Abfallwirtschaft<br />
Alle betroffenen Kreisverwaltungen und Gemeinden (zumindest so weit in<br />
Katastrophenschutz-Planung einzubeziehen).<br />
Diese Liste ist ein Beispiel und kann in konkreten Fällen (anderen Bundesländern)<br />
anders aussehen.<br />
* gilt für 1980er Jahre, neuere Praxis liegt noch nicht vor<br />
Diese anderen Behörden und Ämter verhandeln grundsätzlich nur mit der<br />
Genehmigungsbehörde (Kanalisierung), Anforderungen zusätzlicher Unterlagen<br />
werden über die Genehmigungsbehörde an die Unterlagenersteller weitergegeben;<br />
ebenso kann die Genehmigungsbehörde die Erstellung zusätzlicher Gutachten<br />
veranlassen. Die abschließende Stellungnahme der anderen Behörden und Ämter<br />
kann Forderungen oder Wünsche enthalten, was alles bei der Genehmigung des<br />
KKW zu berücksichtigen sei (z.B. spezielle Messgeräte oder ganze wissenschaftliche<br />
Messprogramme). Im Ermessen der Genehmigungsbehörde liegt es, das in den<br />
Genehmigungsbescheid zu integrieren oder auch nicht.<br />
Im späteren Verlauf der Abwicklung gibt es auch direkte Kontakte zwischen<br />
Betreiber/Hersteller und anderen Behörden und Ämtern, z.B. der unteren<br />
Baubehörde, dem Gewerbeaufsichtsamt, der Feuerwehr etc..<br />
Zur Beurteilung der Genehmigungsunterlagen zieht die Behörde Gutachter zu (die<br />
der Antragsteller bezahlen muss, ebenso wie Gebühren zur Abdeckung der Kosten<br />
der Behörde). Zu den Gutachtern gehören:<br />
TÜV (für Maschinen- und Elektrotechnik)<br />
Baustatiker<br />
Baugrundgutachter<br />
Seismologen<br />
Meteorologen (meist Deutscher Wetterdienst)<br />
Hydrologen<br />
Radiobiologen (Land, Fluss)<br />
Brandschutz-Gutachter<br />
Schallschutz-Gutachter<br />
Landschaftsschutz-Gutachter<br />
Sabotageschutz-Gutachter<br />
Gutachter für Einwirkungen von außen<br />
65
Genehmigungsverfahren und begleitende Kontrolle<br />
Ergonomie-Experten (Mensch-Maschine-Wechselwirkung, insbesondere auf<br />
der Warte)<br />
(Gutachter für die letzten drei Punkte meist Gesellschaft für Anlagen- und<br />
Reaktorsicherheit, GRS)<br />
Ggf. noch weitere (z.B. Nuklearmediziner).<br />
Der nach BImSchG zu genehmigende Kühlturm wird ebenfalls in vieler Hinsicht<br />
begutachtet (Wärme, Feuchte, Schatten, Geruch, Lärm, Salze, Bakterien). Weitere<br />
Gutachten sind für das wasserrechtliche Verfahren zu erstellen, z.B. Einleitung von<br />
Kühlwässern in Flüsse.<br />
Die GRS (mit Sitz in Köln und München, neuerdings auch mit einem Büro in Berlin)<br />
wird getragen vom Bund (46,1%), den Ländern NRW und Bayern (je 3,85%) und allen<br />
TÜV sowie dem Germanischen Lloyd („Schiffs-TÜV“ und auch Brandschutz-Gutachter<br />
beim KKW Emsland), zusammen 46,2%. Die GRS finanziert sich durch<br />
Behördenaufträge (keine auftragsunabhängige Beschäftigung).<br />
Schwerpunkte der GRS-Tätigkeit sind:<br />
Analytische Bewertung der international gemeldeten Störfälle durch die WANO<br />
(World Association of Nuclear Operators - jetzt einschließlich der KKW des<br />
ehemaligen Ostblocks) hinsichtlich ihrer möglichen Bedeutung für deutsche<br />
KKW; ohne diese Dienstleistungen könnten wichtige Informationen in der Flut<br />
des für uns nicht Bedeutsamen untergehen. Häufig wird aufgrund dieser<br />
Informationen, die auch alle Betreiber erhalten, noch einmal von der<br />
zuständigen Aufsichtsbehörde nachgefragt.<br />
Beobachtung und Auswertung besonderer Ereignisse im Ausland (z.B.<br />
Harrisburg oder Tschernobyl)<br />
Vergleich und Harmonisierung international verschiedener Regelwerke (oft<br />
formale Punkte)<br />
Gutachterliche Begleitung des in der Planung befindlichen französischdeutschen<br />
Druckwasserreaktors (EPR=„European Pressurised Water<br />
Reactor“); dafür Gründung eines Büros in Paris. Zusammenarbeit mit dem<br />
französischen IPSN (Institute de Protection et Sureté Nucléaire), derzeit<br />
(2001) unterbrochen<br />
Unterstützung russischer und ukrainischer Behörden, dafür Büros in Moskau<br />
und Kiew<br />
Sicherheitstechnische Grundsatzuntersuchungen: Probabilistik, Fehler aus<br />
gemeinsamer Ursache, menschliches Versagen; sog. Accident Management;<br />
Einwirkungen von außen; Sabotageschutz (wie gesagt) u.a.<br />
Durchführung eigener Forschung und Entwicklung in diesem Zusammenhang,<br />
z.B. mathematische Modellierung schwerer Störfälle<br />
wissenschaftliche und administrative Betreuung sicherheitstechnischer<br />
Forschung von Dritten (Projektträgerschaft im Auftrag des BMBF oder BMWi);<br />
u.a. Beurteilung, ob bestimmte Forschungen sinnvoll sind, vernünftig<br />
durchgeführt und dokumentiert werden und ob der finanzielle Aufwand dafür<br />
angemessen ist.<br />
Weitere Funktionen wie Sekretariate für RSK, SSK, KTA (s.u.) wurden 1990 an das<br />
Bundesamt für Strahlenschutz abgegeben.<br />
66
Genehmigungsverfahren und begleitende Kontrolle<br />
Die Aufgaben des Bundesamtes für Strahlenschutz sind in der Anlage 1 zu<br />
Kapitel 5 dargestellt.<br />
Der BMU hat zwei eigene Beraterkreise und zwar<br />
die Reaktorsicherheitskommission (RSK) mit diversen Unterausschüssen und<br />
die Strahlenschutzkommission (SSK).<br />
Die RSK befasst sich mit allen sicherheitstechnischen Aspekten der Reaktortechnik<br />
und des -betriebs, die SSK mit Strahlenmesstechnik, biologisch-medizinischen<br />
Fragen der Strahlung und dergleichen, nicht nur hinsichtlich der Kerntechnik.<br />
Im Gegensatz zu den vorher genannten Gutachtern und Institutionen sind die<br />
Mitglieder der RSK und SSK ehrenamtlich tätige Spitzenfachleute (z.B. für<br />
sicherheitstechnische Analysen, Thermodynamik, Werkstoffwissenschaften,<br />
Reaktorbetrieb, Strahlemesstechnik, Strahlenmedizin). Sie sorgen dafür, dass<br />
sicherheitstechnisch wichtige Fragestellungen von hauptamtlich tätigen Fachleuten<br />
aufbereitet (s.o.) werden, dass RSK oder SSK dazu ein begründetes Urteil fällen<br />
können.<br />
Die RSK nimmt zu wesentlichen Genehmigungschritten Stellung (zumindest 1. TEG<br />
und Betriebsgenehmigung) sowie zu anderen wichtigen Fragen (z.B. Nachrüstungen,<br />
neue Reaktorkonzepte). Diese Stellungnahmen bilden im Genehmigungsverfahren<br />
die Grundlage der jeweiligen Weisung des BMU an die zuständige Landesbehörde.<br />
In Grundsatzfragen wird auch die GRS vom BMU zu Rate gezogen. Die beiden<br />
Begutachtungsstränge in Richtung BMU und Landes-Genehmigungsbehörde<br />
ergänzen sich mehr, als dass sie sich überschneiden.<br />
5.3 Ablauf des atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens, 1.TEG<br />
Antrag durch Betreiber (oder Betreiber plus Hersteller, je nach Wunsch der<br />
Behörde) an die Behörde; der Hersteller liefert in jedem Fall den größten Teil<br />
der Informationen und unterstützt den Betreiber.<br />
Als <strong>Dokument</strong> beigefügt: Der Sicherheitsbericht mit Standortteil (Besiedelung,<br />
Wirtschaft, Verkehrswege, Meteorologie etc.), KKW-Beschreibung mit<br />
Betonung der sicherheitstechnischen Einrichtungen, radioaktive Stoffe und<br />
Strahlenschutz, Kraftwerksbetrieb, Störfallanalysen, schließlich Entsorgung<br />
und Stilllegung.<br />
Ergänzend beigefügt: Kurzsicherheitsbericht, mehrfach gedruckt, für Beteiligte,<br />
die nur Teilaspekte interessieren, wofür ein Überblick über das Ganze genügt;<br />
das gilt insbesondere für die „anderen Behörden und Ämter“.<br />
Ferner: Angaben zu den übrigen Genehmigungsvoraussetzungen nach AtG<br />
(s.u.).<br />
Im Laufe des Genehmigungsverfahrens werden für die diversen Gutachter<br />
noch viele hundert weitere Detailarbeitsberichte geliefert, die mehrere<br />
Aktenschränke füllen.<br />
67
Genehmigungsverfahren und begleitende Kontrolle<br />
Dem entsprechen Kosten des Genehmigungsverfahrens. In den 80er Jahren<br />
rund 40 Mio DM einschließlich Gebühren (ca. 10%); hinzu kommen die<br />
ebenfalls nicht unerheblichen Kosten für die übrigen Genehmigungsverfahren.<br />
Dem Antrag folgt die Information der anderen Behörden und Ämter, die um<br />
Stellungnahme gebeten werden, die Informationen der Öffentlichkeit und die<br />
Beauftragung der diversen Gutachter.<br />
5.4 Öffentlichkeitsbeteiligung<br />
Im amtlichen Veröffentlichungsblatt (Hinweis im Bundesanzeiger), vor allem in der<br />
Tagespresse, wird der Bevölkerung mitgeteilt:<br />
der nach Art und Ort bezeichnete Antrag<br />
die Möglichkeit, sich wo (z.B. im Rathaus) wann (zwei Monate lang) durch<br />
Einsicht in den Sicherheitsbericht zu informieren<br />
die Möglichkeit, innerhalb dieser Frist schriftliche (oder zur Niederschrift<br />
mündlich vorgebrachte) Einwände an die Genehmigungsbehörde (oder eine<br />
andere angegebene Behörde) zu richten<br />
die geplante Erörterung (möglichst schon mit Angabe von Zeit und Ort).<br />
Gestritten wird oft über die Anfertigung von Kopien aus dem Sicherheitsbericht und<br />
Einsicht in weiterführende Unterlagen (Problem des Know-how-Schutzes).<br />
Diesbezügliches Ermessen wird nicht überall gleich gehandhabt.<br />
Einwände können von juristischen Personen (z.B. Firmen) und natürlichen Personen<br />
erhoben werden. Absicht des Gesetzgebers war, der Behörde auf diese Weise<br />
Kenntnis von speziellen Gegebenheiten zu verschaffen, die durch das Vorhaben<br />
beeinträchtigt werden könnten. Heute ist daraus eine überwiegend plesbizitäre<br />
Veranstaltung geworden, mit Sammeleinsprüchen aus dem gesamten Bundesgebiet<br />
und dem benachbarten Ausland und Standardbegründungen allgemeiner Art.<br />
Nach Auswertung der Einsprüche lädt die Genehmigungsbehörde die Einsprecher,<br />
die sich durch Bevollmächtigte vertreten lassen können, nicht aber etwa „die<br />
Bevölkerung“ zu einer Erörterung ein. Die Erörterung ist also nicht öffentlich;<br />
interessierte Personen (Presse, Schulklassen) werden jedoch in der Regel<br />
zugelassen, sofern sie nicht stören.<br />
Gestritten wird oft, ob die Gutachten vorher vorliegen sollen und ob die Einsprecher<br />
(genauer: die für den plebiszitären Teil der Einsprecher sprechenden professionellen<br />
Einsprecher von sogenannten Ökoinstituten, der Universität Bremen etc.) vorher<br />
Einsicht in die Gutachten bekommen sollten. Das hat, mit dem oben genannten, vom<br />
Gesetzgeber beabsichtigten Zweck der Erörterung nichts zu tun; zweitens<br />
beanspruchen die professionellen Einsprecher damit eine Rolle als Obergutachter, zu<br />
der sie trotz Fachkenntnissen keinesfalls qualifiziert sind (m.W. gibt es keinen<br />
einzigen Gedanken zur Verbesserung der Sicherheit, der zuerst von jener Seite<br />
geäussert worden wäre); drittens verzögert sich das Verfahren, weil Gutachten,<br />
Einsicht, Erörterung nacheinander statt parallel abgewickelt werden. Trotzdem hat es<br />
Minister gegeben, die dem Begehren auf Einsicht in Gutachten zumindest teilweise<br />
stattgegeben haben.<br />
68
Genehmigungsverfahren und begleitende Kontrolle<br />
In der Regel werden die Gutachter sowie betroffene Fachbehörden zur Erörterung<br />
beigeladen, um die Genehmigungsbehörde, falls die Situation es ergibt, in freier Rede<br />
sachkundig zu unterstützen.<br />
Der Antragsteller nimmt gemäß Atomverfahrensordnung auf jeden Fall an der<br />
Erörterung teil, der Hersteller wird stets beigeladen, auch wenn er nicht<br />
Mitantragsteller ist.<br />
Nur ein winziger Teil der Einwender, die allgemeine Gesichtspunkte vorbrachten, ist<br />
an einer sachlichen Diskussion der Einwände interessiert; um Unwillen kundzutun und<br />
dafür möglichst wenig Zeit zu opfern hat sich in den 80er Jahren folgende<br />
Vorgehensweise entwickelt: möglichst viele Einwender (z.B. über 1 000) sind bei<br />
Beginn dabei, dann wird ausschließlich über Verfahrensfragen diskutiert<br />
(erfindungsreich-obstruktiv), früher oder später wird der Antrag gestellt, den<br />
Versammlungsleiter wegen Befangenheit abzulehnen, der lehnt, nach Rücksprache<br />
mit seinem Minister, diesen Antrag ab.<br />
Bei dieser oder einer anderen Gelegenheit verlassen fast alle Einwender unter Protest<br />
den Saal; übrig bleiben die professionellen Einwender, die einmal mehr die Antworten<br />
einsammeln, die sie schon kennen (oft über mehrere Tage), mit einigen wenigen<br />
interessierten Bürgern als Zuhörer und einer Handvoll Einwender im Sinne des<br />
Gesetzgebers (s.o).<br />
Die Konzentration auf die Verfahrensfragen hat den weiteren Vorteil, dass die<br />
Kernenergie erfahrungsgemäß so leichter auszuhebeln ist als mit Sachfragen<br />
(Kühlturm Mühlheim-Kärlich u.a.). Sorgfalt in Verfahrensfragen ist daher sehr wichtig.<br />
Die beschriebene Strategie wird durchaus nicht nur bei der Kernenergie angewandt.<br />
Die Sachfragen können, je nach Ermessen des Versammlungsleiters, auf zwei<br />
verschiedene Weisen abgehandelt werden:<br />
Einmal geordnet nach Einwendern, in der Reihenfolge des Eingangs der<br />
Einwendungen. Sollten sich Einwände wiederholen, kann auf frühere, im Protokoll<br />
nachlesbare Aussagen dazu verwiesen werden.<br />
Zum anderen geordnet nach Sachgebietspunkten, was bei vielen Einwänden<br />
übersichtlicher ist, aber Einwender mit mehreren ganz bestimmten Anliegen zwingt<br />
länger als nötig dabeizubleiben. Die professionellen Einwender bleiben sowieso die<br />
ganze Zeit da, ihnen ist das zweite Verfahren lieber. Die ganze Anhörung wird, wie<br />
gesagt, protokolliert. Eine Kopie der meist recht voluminösen Niederschrift wird jedem<br />
Einwender auf Wunsch zugesandt.<br />
Die Genehmigungsbehörde wertet die Niederschrift aus; faktisch werden nur die vom<br />
Gesetzgeber gemeinten speziellen Belange berücksichtigt (z.B. zusätzliches<br />
Messinstrument), da die allgemeinen Belange, sofern sie zu berücksichtigen sind,<br />
ohnehin berücksichtigt werden. (Es sei vermerkt, dass andere Beobachter auch dem<br />
allgemeinen Teil der Erörterung einen gewissen, für mich allerdings nicht<br />
erkennbaren, sachlichen Nutzen zusprechen.)<br />
69
5.5 Weiteres Verfahren<br />
Genehmigungsverfahren und begleitende Kontrolle<br />
Der Behörde liegen am Ende dieser Phase vier (Gruppen von) Stellungnahmen vor:<br />
die Weisung des BMU samt zugehörigen Bedingungen, unter denen die<br />
Anlage zu genehmigen wäre<br />
die diversen Gutachten mit Auflagenvorschlägen<br />
die Stellungnahmen der sonstigen Behörden und Ämter mit Forderungen und<br />
Wünschen nach Zusatzeinrichtungen oder -leistungen<br />
die Ergebnisse der Erörterung mit den Einwendern, aus denen ggf. auch<br />
zusätzliche Forderungen abzuleiten wären.<br />
Da ein großer Teil der Forderungen auf unzureichender Information beruht und<br />
ohnehin erfüllt würde, andererseits Verwaltungsaufwand zum Nachhalten der<br />
Erfüllung von Forderungen minimiert werden soll, werden die diversen, zu erfüllenden<br />
Ansprüche dem Antragsteller/Hersteller vor Erteilung der Genehmigung mitgeteilt.<br />
Dieser hat Gelegenheit schriftlich zu bestätigen und darzulegen, dass er die<br />
Forderungen ohnehin zu erfüllen gedachte, manchmal auch auf etwas anderen<br />
Wegen, als der Fordernde meinte, aber mit demselben Ergebnis. Er darf auch<br />
versuchen, seines Erachtens unangemessene Auflagenvorschläge (z.B.<br />
wissenschaftliche Untersuchungen, die mit der Anlage nur entfernt zu tun haben)<br />
abzuwehren.<br />
Schließlich wird der Genehmigungsbescheid geschrieben. Er enthält den<br />
Genehmigungsumfang, das Verzeichnis der zugrunde gelegten <strong>Dokument</strong>e (einschl.<br />
z.B. nachträglicher Zusagen), Beschränkungen, Bedingungen, Auflagen (ggf. mit<br />
Terminen), Begründung der Genehmigung, eine Aussage über die sofortige<br />
Vollziehbarkeit (s.u.) und eine Rechtsmittelbelehrung. Der Bescheid wird an den<br />
Antragsteller und an sämtliche Einwender versandt. Bei sehr vielen Einwendern darf<br />
die Zusendung durch öffentliche Bekanntmachung (und Einsichtnahme) ersetzt<br />
werden. Auf schriftliche Anforderung hin wird der Bescheid bis zum Ablauf der<br />
Klagefrist aber jedem Einwender zugestellt.<br />
5.6 Gerichtsverfahren<br />
In der Regel wird die Genehmigung als sofort vollziehbar erklärt. Das heißt, die<br />
Anlage kann errichtet werden, auch wenn dagegen Klage erhoben wird. Errichtung<br />
und Prozess laufen dann parallel. Wird der Sofortvollzug nicht ausgesprochen, hat<br />
eine Klage aufschiebende Wirkung (viele Monate bis etliche Jahre).<br />
Durch die Errichtung werden, mit vielen Milliarden DM, Fakten geschaffen. Hier<br />
besteht nicht zu Unrecht die Sorge, dass es einem Richter zu einem späteren<br />
Zeitpunkt schwerfällt, eine an sich aufzuhebende Genehmigung dann noch<br />
aufzuheben (obwohl auch das im Falle Mülheim-Kärlich, im wesentlichen aus<br />
formalen Gründen, zweimal vorgekommen ist); es besteht daher die (häufig genutzte)<br />
Möglichkeit, Klage gegen die sofortige Vollziehbarkeit zu erheben (ohne<br />
aufschiebende Wirkung). Diese Klage kann vergleichsweise schnell entschieden<br />
werden. Der Richter muss hier abwägen, welche Erfolgsaussichten in der Sache<br />
bestehen (d.h. in einer Klage gegen die Genehmigung selbst); kann er aufgrund<br />
vorangegangener Gerichtsurteile annehmen, dass der Kläger in der Sache<br />
unterliegen wird, wird der Richter den Sofortvollzug bestätigen; räumt er dem Kläger<br />
70
Genehmigungsverfahren und begleitende Kontrolle<br />
jedoch Erfolgsaussichten in der Sache ein, wird er den Sofortvollzug aufheben, d.h.:<br />
erst wird prozessiert, dann gebaut oder auch nicht.<br />
Im übrigen kann auch der Antragsteller klagen, z.B. gegen eine seines Erachtens<br />
ungerechtfertigte Auflage.<br />
5.7. Weitere Genehmigungen<br />
Die weiteren Genehmigungsschritte laufen im Prinzip genauso ab, nur ohne<br />
Öffentlichkeitsbeteiligung (außer, wie gesagt, bei wesentlichen Änderungen).<br />
5.8 Begleitende Kontrolle (Aufsicht nach §19 AtG)<br />
Was das ist, wurde einleitend gesagt, wie umfassend sie ist, wurde bereits in Kapitel<br />
„Vertrag“ dargelegt. Die Kosten (Personal/<strong>Dokument</strong>ationsaufwand) liegen deutlich<br />
über 100 Mio DM (vielleicht bei 120 Mio DM; schwierig zu erfassen, da z.gr.T. in<br />
Preisen der Unterlieferanten enthalten).<br />
5.9 Randbedingungen für Gutachter<br />
Gutachter sind in der Regel abhängig Beschäftigte und könnten Pressionen<br />
ausgesetzt sein, bei der Begutachtung etwas weniger kritisch zu sein, als es der<br />
Aufgabenstellung angemessen wäre.<br />
Dem steht nicht nur die Berufsehre und das Streben nach Erfolgserlebnissen<br />
(insbesondere durch das Finden von Schwachpunkten) entgegen - durch deutsches<br />
Perfektionsstreben oft und manchmal unangemessen verstärkt -, sondern auch die<br />
Haftung. Der Gutachter steht als Person mit seiner Unterschrift für den Inhalt des<br />
Gutachtens grade. Wenn später etwas passiert und wenn das nachweisbar mit einem<br />
fehlerhaften Gutachten zusammenhängt, wird er vermögens- oder strafrechtlich zur<br />
Rechenschaft gezogen.<br />
Ein Fehler liegt nur dann vor, wenn der Gutachter den Stand der Technik in seinem<br />
Fachgebiet, bei der Kernenergie den Stand von Wissenschaft und Technik, sowie die<br />
einschlägigen Gesetze und Regelwerke nicht gebührend beachtet hat. (Er muss nicht<br />
mehr wissen als die „Zunft“.)<br />
Gesetze und Regeln sind hierarchisch gestuft. Bei der Kernenergie sind zu<br />
unterscheiden:<br />
Das Atomgesetz (AtG) von 1959, inzwischen mehrfach novelliert und die<br />
Strahlenschutzverordnung (StrlSchV), die auch Gesetzesrang hat; letztere soll<br />
2001 (ebenfalls zum wiederholten Mal) novelliert werden und wird dann wohl<br />
anders abgekürzt werden.<br />
Die Richtlinien des BMU (früher BMI).<br />
Die Leitlinien der RSK.<br />
Die Regeln des Kerntechnischen Ausschusses (KTA).<br />
71
Genehmigungsverfahren und begleitende Kontrolle<br />
Hierarchie der Vorschriften im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren<br />
Atomgesetz<br />
Verordnungen<br />
Sicherheitskriterien<br />
Regeln des KTA und<br />
Richtlinien der Behörden<br />
Sonstige Regeln und Richtlinien<br />
Spezifikationen<br />
Darüber hinaus sind eine Fülle weiterer Regeln (DIN, Dampfkessel, Druckbehälter,<br />
Brandschutz etc.) zu beachten.<br />
Das AtG hatte bis 2001 den Zweck, die Nutzung der Kernenergie zu fördern und hat<br />
unverändert den Zweck, vor ihren Gefahren zu schützen. Es regelt das<br />
Genehmigungsverfahren (§7) und verlangt allgemein: Zuverlässigkeit des<br />
Antragstellers, Zuverlässigkeit und Fachkunde der verantwortlichen Personen,<br />
Kenntnis des gesamten Betriebspersonals über Gefahren und Schutzmaßnahmen,<br />
Vorsorge gegen Schäden (nach dem Stand von Wissenschaft und Technik – nicht nur<br />
nach dem Stand der Technik, wie sonst üblich), Vorsorge für den Ausgleich von<br />
Schäden, Schutz gegen Einwirkungen Dritter, Berücksichtigung öffentlicher<br />
Interessen (Wasser, Luft, Boden) bei der Standortwahl. Die Genehmigung darf bei<br />
Vorliegen o.g. Voraussetzungen erteilt werden, sie muss nicht, wie sonst im<br />
Baurecht, erteilt werden. Das AtG regelt ferner Umgang mit und Aufbewahrung von<br />
radioaktiven Stoffen (einschließlich Endlagerung), Bedingungen für Genehmigungen<br />
(einschließlich Widerruf), Zuständigkeiten, Haftung etc..<br />
Die StrlSchV ist schon etwas spezifischer; sie gibt beispielsweise an, welche<br />
Personengruppen unter welchen Umständen welche Strahlendosis erhalten dürfen.<br />
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es noch die<br />
Deckungsvorsorgeverordnung gibt (regelt die Haftpflicht) und die Atomrechtliche<br />
Verfahrensverordnung (regelt das Genehmigungsverfahren im Einzelnen).<br />
Die BMU-Richtlinien bilden die erste Stufe der Konkretisierung des AtG; z.B. legten<br />
sie fest, welche Störfälle einer Sicherheitsanalyse zugrunde zu legen sind. Anfang der<br />
70er Jahre entschied das damals zuständige BMI, dass auch Flugzeugabstürze zu<br />
berücksichtigen sind. Das ist ein typischer Ermessensentscheid, da ein<br />
Flugzeugabsturz mit katastrophalen Folgen schon ein „Punkttreffer“ sein muss, was<br />
sehr unwahrscheinlich ist und durch administrative Maßnahmen, d.h. Flugverbote,<br />
noch unwahrscheinlicher gemacht werden kann. Das Risiko auf der Erde stehend<br />
direkt durch ein abstürzendes Flugzeug getötet zu werden, ist größer als das Risiko,<br />
72
Genehmigungsverfahren und begleitende Kontrolle<br />
indirekt aufgrund eines Flugzeugabsturzes auf ein ungeschütztes KKW<br />
umzukommen. Trotzdem hat das BMI damals so entschieden.<br />
Die BMU-Richtlinien legen beispielsweise auch das Inhaltsverzeichnis von<br />
Sicherheitsberichten fest, die im Genehmigungsverfahren zu erbringende Information,<br />
die erforderliche Fachkunde zum Betrieb eines Kernkraftwerkes, das Vorgehen bei<br />
Wartung und Instandhaltung, zahlreiche Aspekte des Strahlenschutzes und so fort.<br />
Die RSK-Leitlinien setzen die Konkretisierung fort. Sie legen insbesondere fest,<br />
welche Sicherheitseinrichtungen ein Kernkraftwerk haben muss. Sie definieren<br />
darüber hinaus beispielsweise, was ein Flugzeugabsturz ist (Last-Zeitdiagramm,<br />
Trefferfläche).<br />
Die KTA-Regeln gehen sehr ins Detail, sie legen Auslegung, Berechnung, Werkstoffe,<br />
Fertigung, (wiederkehrende) Prüfungen etc. für sicherheitstechnisch wichtige<br />
Komponenten fest, ebenso allgemeine Grundsätze des Qualitätswesens, für das<br />
Betriebshandbuch etc..<br />
An der Erstellung der KTA-Regeln wirken alle Fachkundigen mit; stets dabei sind<br />
Vertreter von:<br />
Behörden<br />
Gutachtern<br />
Herstellern und<br />
Betreibern,<br />
da jeder seine typischen Erfahrungen mit dem jeweiligen Gegenstand hat. Darüber<br />
hinaus können noch andere Experten hinzugezogen werden, z.B. Seismologen für<br />
Erdbebenberechnungen oder Gewerkschaftsvertreter, wenn es um die Gestaltung der<br />
Arbeitsplätze geht.<br />
Die Regeln durchlaufen mehrere Stadien: Zunächst ist festzustellen, ob ein<br />
Regelungsbedarf besteht und ob eine Sache regelungsfähig ist (ob genügend Wissen<br />
und Erfahrung vorliegt). Dann werden von den vier „Fraktionen“ Fachleute in die<br />
regelerstellende Arbeitsgruppe delegiert, die insgesamt drei Fassungen der geplanten<br />
Regel erstellen:<br />
Aufgrund des Vorberichtes (1. Fassung) wird das weitere Vorgehen beschlossen<br />
(prinzipiell möglich auch: Nichtweiterverfolgung), der sog. Gründruck wird der<br />
gesamten Fachwelt zur Stellungnahme gegeben. Die endgültige Fassung, der sog.<br />
Weißdruck, wird bei hinreichendem Konsens vom KTA als Regel verabschiedet. In<br />
den Entscheidungsgremien sind wie in den Arbeitsgruppen die vier „Fraktionen“ und<br />
als fünfte Fraktion die „Sonstigen“ (z.B. auch DIN, Versicherer....) vertreten.<br />
73
Anlage 1: Aufgaben des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS)<br />
Anlage 1 zu Kapitel 5<br />
Aufgaben des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS)<br />
Zentralabteilung, Salzgitter<br />
Atom- und Strahlenschutzrecht (u.a. hinsichtlich Sicherstellung und<br />
Endlagerung radioaktiver Abfälle)<br />
Internationale Zusammenarbeit<br />
Zentrale Datenverarbeitung, Verwaltung<br />
Organisatorisch der Zentralabteilung angegliedert, nicht weisungsgebunden:<br />
RSK- und SSK-Geschäftsstellen, Bonn: Vor-, Zu-, Nacharbeit von Beratungen,<br />
Mitarbeit an der Formulierung der Stellungnahmen für den BMU.<br />
Fachbereich Strahlenhygiene<br />
Institut für Strahlenhygiene, Neuherberg<br />
Forschung: Wirkung (nicht)ionisierender Strahlung, gesundheitliche Bewertung;<br />
natürliche/künstliche Radioaktivität, daraus sich ergebende Dosis,<br />
genetisch/somatische Risiken. Erfassung medizinischer Strahlenbelastung (mit<br />
Qualitätssicherung; Weiterentwicklung: gleiche Wirkung mit weniger Belastung);<br />
lückenlose <strong>Dokument</strong>ation beruflicher Strahlenbelastung; Überwachung der<br />
Umweltradioaktivität mit „Integriertem Mess- und Informationssystem“ (IMIS).<br />
Institut für Atmosphärische Radioaktivität, Freiburg<br />
Spurenanalyse radioaktiver Stoffe in Luft und Niederschlag (Datendienst,<br />
Warndienst).<br />
Fachbereich nukleare Entsorgung und Transport, Braunschweig<br />
Errichtung und Betrieb von Endlagern (auch Abfalldokumentation)<br />
staatliche Verwahrung von Kernbrennstoffen (KBS)<br />
Genehmigung der Verwahrung von KBS andernorts<br />
Transportgenehmigung für KBS und Großquellen (einschließlich berg- und<br />
kerntechnischer Sicherheitsfragen)<br />
74
Anlage 1: Aufgaben des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS)<br />
Fachbereich kerntechnische Sicherheit, Salzgitter<br />
Übergreifende Fragen kerntechnischer Sicherheit<br />
Sicherheit und Sicherung der kerntechnischen Einrichtungen<br />
kerntechnische Sicherheit von Anlagen im Beitrittsgebiet (ehemalige DDR)<br />
Thematisch ähnlich GRS, jedoch aus behördlichem Blickwinkel (GRS mehr aus<br />
gutachterlichem Blickwinkel); als nachgeordnete Behörde direkte Unterstützung des<br />
BMU als oberste Behörde. Angeschlossen:<br />
KTA-Geschäftsstelle, Salzgitter.<br />
Fachbereich Strahlenschutz, Berlin<br />
Fachpersonal vom SAAS der ehemaligen DDR<br />
Strahlenschutz in bergbaulichen Anlagen und deren Umgebung<br />
(Altlastenaufarbeitung)<br />
Strahlenexposition durch kerntechnische Anlagen (außer Zwischen- und Endlager)<br />
(Vorschriften, Messmethoden, Bewertung etc.)<br />
Berufliche Strahlenexposition (Vorschriften, Messmethoden, Bewertung etc.).<br />
75
Anlage 2 zu Kapitel 5<br />
Kernkraftwerk Emsland (KKE)<br />
Anlage 2: Kernkraftwerk Emsland (KKE)<br />
Daten und Angaben zum atomrechtlichen Genehmigungsverfahren<br />
Tabelle 1: Anträge, Inhalte, Genehmigungen<br />
Antrag Inhalt Genehmigungen<br />
17.08.1978 1. TG Standort, Konzept, Hauptbauwerke 04.08.1982<br />
06.12.1982 2. TG Maschinen-, Elektro- und Leittechnik,<br />
Warmprobebetrieb I<br />
28.02.1984 TG 1.1 Nebenbauwerke: (aus 2.TG<br />
ausgegliedert)<br />
12.03.1984 2. TG Änderungen: Entfall<br />
Ausschlagsicherungen an<br />
Hauptkühlmittelleitungen und<br />
Speisewasserleitungen; Entfall<br />
Stoßdämpfer im<br />
Transportbehälterbecken; Maschinen-,<br />
Elektro- und Leittechnik,<br />
Warmprobebetrieb I<br />
28.01.1985 3. TG Umgang mit Kernbrennstoffen und<br />
sonstigen radioaktiven Stoffen,<br />
Warmprobebetrieb II<br />
20.08.1986 4. TG Nukleare Inbetriebsetzung und<br />
Probebetrieb, Betrieb<br />
Summe der eingereichten Unterlagen: 20 m dick, Schriftverkehr 10 m.<br />
21.05.1984<br />
20.09.1984<br />
04.05.1987<br />
30.03.1988<br />
76
Tabelle 2: Gutachter<br />
TÜV Norddeutschland,<br />
Hannover<br />
Hauptgutachter<br />
RW TÜV<br />
TÜV Rheinland<br />
Anlage 2: Kernkraftwerk Emsland (KKE)<br />
Sicherheitsgutachten: Standort, Konzept der Anlage,<br />
Errichtung und Betrieb der Anlage. 200 000 Stunden<br />
Gutachten = 3 700 Seiten<br />
Unterstützend<br />
Unterstützend<br />
Müller BBM Schalltechnische Begutachtung<br />
GRS Anlagensicherung, Stellungnahmen zu Einwendungen<br />
betreffend allgem. Fragen der Reaktorsicherheit,<br />
Radioökologie (Luftpfad, Wasserpfad)<br />
Prof. Streffer Synergismen; Strahlenbiologie<br />
Prof. Drescher Mikrobiologische Auswirkungen des Kühlturmbetriebes<br />
Ing.-Büro Lambrecht Ökologische Datensammlung, Ermittlung land- und<br />
forstwirtschaftlicher Nutzungsparameter,<br />
pflanzensoziologische Kartierung, Landschaftspflege<br />
LUFA, Oldenburg Standortspezifische Parameter für Böden und Bewuchs<br />
DWD, Essen Meteorologie, Klimatologie, Deutscher Wetterdienst<br />
ZSI Auslegungsbedingungen für sicherheitstechnisch<br />
wesentliche Baukonstruktionen. Baubarkeit der<br />
sicherheitstechnisch wesentlichen Gebäude<br />
NLfB Erdbau-<br />
laboratorium, Essen<br />
(KLE-Gutachter)<br />
Baugrund- und Gründungsverhältnisse<br />
Prof. Ahorner Seismologe, Erdbebenauslegung<br />
Germanischer Lloyd Brandschutz<br />
Summe der Gutachten: ca. 1m dick (Kosten, nur Atomrecht: = 40 Mio DM<br />
einschließlich Gebühren ( = 10%)).<br />
77
Tabelle 3: Öffentlichkeitsbeteiligung<br />
Anlage 2: Kernkraftwerk Emsland (KKE)<br />
28.08. - 23.10.1979 Auslegung der Antragsunterlagen zur 1. TG<br />
02.01. - 02.03.1981 Erneute Auslegung der Antragsunterlagen zur 1. TG<br />
Aufgrund der Umstellung der Konvoi-Abwicklung<br />
Einwendungen:<br />
1. Auslegung<br />
2. Auslegung<br />
17 000<br />
3 200<br />
20 200<br />
12.05. - 15.05.1981 Erörterung<br />
davon 222 individuell begründet<br />
12.04. - 12.06.1985 Auslegung der Antragsunterlagen zu Änderungen im<br />
Rahmen der 2.TG<br />
Einwendungen: 610<br />
davon 1 individuell begründet<br />
16.07.1984 Erörterung<br />
Tabelle 4: RSK-Empfehlung<br />
11.11.1981 170. RSK-Sitzung<br />
Empfehlung zu Standort und Konzept<br />
21.10.1987 226. RSK-Sitzung<br />
Empfehlung zu Inbetriebnahme und Betrieb<br />
Tabelle 5: (BMI) BMU-Weisungen<br />
12.02.1982 Standort, Konzept, 1. TG<br />
30.06.1982 Ergänzung<br />
21.03.1988 Inbetriebnahme und Betrieb<br />
78
Tabelle 6: Beteiligte Behörden<br />
(BMI) BMU<br />
Wasser- und Schifffahrtsdirektion West, Münster<br />
Bundesbahndirektion Hannover<br />
Oberpostdirektion Bremen<br />
Wehrbereichsverwaltung II, Hannover<br />
DWD, Offenbach<br />
NRW (MAGS) MWMT<br />
Nds. MI Innenminister von Niedersachsen<br />
Nds. MWV Minister für Wirtschaft und Verkehr von Niedersachsen<br />
Nds. MELF Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten<br />
Bezirksregierung Weser-Ems, Oldenburg<br />
Nds. Landesverwaltungsamt, Hannover<br />
Nds. Landesamt für Bodenforschung, Hannover<br />
Nds. Wasseruntersuchungsamt, Hildesheim<br />
GAA Osnabrück (Gewerbeaufsichtsamt)<br />
Wasserwirtschaftsamt Meppen<br />
Staatliches Forstamt Lingen<br />
Wasser- und Schifffahrtsamt Meppen<br />
Veterinäruntersuchungsamt Hannover<br />
Landkreis Emsland, Meppen<br />
Landkreis Grafschaft-Bentheim, Nordhorn<br />
Landkreis Osnabrück, Osnabrück<br />
Stadt Lingen (Ems)<br />
Straßenbauamt Lingen<br />
Landwirtschaftskammer Weser-Ems (Oldenburg)<br />
Handwerkskammer Osnabrück<br />
Industrie- und Handelskammer Osnabrück<br />
Vereinigung des Emsländischen Landvolkes e.V.<br />
Kreisverein Lingen<br />
Anlage 2: Kernkraftwerk Emsland (KKE)<br />
Niederländisch-Deutsche Kommission für grenznahe kerntechnische Einrichtungen<br />
79