Vor dem Sturm« 1812/13 Eisernes Kreuz Buchara 1920 ... - MgFa
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Heft 4/2012<br />
C 21234 ISSN 0940 - 4163<br />
<br />
<br />
<br />
Militärgeschichte im Bild: Sophie Scholl verabschiedet ihren Bruder Hans (2.v.l.) und Freunde an die Ostfront, Juli 1942.<br />
»<strong>Vor</strong> <strong>dem</strong> <strong>Sturm«</strong> <strong>1812</strong>/<strong>13</strong><br />
<strong>Eisernes</strong> <strong>Kreuz</strong><br />
<strong>Buchara</strong> <strong>1920</strong><br />
Sanitätsdienst vor Stalingrad
Impressum<br />
Militärgeschichte<br />
Zeitschrift für historische Bildung<br />
Herausgegeben<br />
vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt<br />
durch Oberst Dr. Hans-Hubertus Mack und<br />
Oberst i.G. Dr. Winfried Heinemann (V.i.S.d.P.)<br />
Produktionsredakteur der aktuellen<br />
Ausgabe:<br />
Oberstleutnant Dr. Harald Potempa<br />
Redaktion:<br />
Friederike Höhn B.A. (fh), korresp. Mitglied<br />
Hauptmann Jochen Maurer M.A. (jm), korresp.<br />
Mitglied<br />
Oberstleutnant Dr. Harald Potempa (hp)<br />
Hauptmann Ines Schöbel M.A. (is)<br />
Mag. phil. Michael Thomae (mt)<br />
Bildredaktion: Dipl.-Phil. Marina Sandig<br />
Lektorat: Dr. Aleksandar-S. Vuletić<br />
Layout/Grafik:<br />
Maurice Woynoski / Medienwerkstatt D. Lang<br />
Karte: Zeitschrift »Osteuropa«<br />
Anschrift der Redaktion:<br />
Redaktion »Militärgeschichte«<br />
Militärgeschichtliches Forschungsamt<br />
Postfach 60 11 22, 14411 Potsdam<br />
E-Mail: MGFARedaktionMilGeschichte@<br />
bundeswehr.org<br />
Homepage: www.mgfa.de<br />
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an obige Anschrift erbeten. Für unverlangt eingesandte<br />
Manuskripte wird nicht gehaftet. Durch<br />
Annahme eines Manuskriptes erwirkt der Herausgeber<br />
auch das Recht zur Veröffentlichung,<br />
Übersetzung usw. Die Honorarabrechnung erfolgt<br />
jeweils nach Veröffentlichung. Die Redaktion<br />
behält sich Änderungen von Beiträgen vor.<br />
Die Wiedergabe in Druckwerken oder Neuen<br />
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sowie Übersetzung sind nur nach<br />
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Redaktion übernimmt keine Verantwortung für<br />
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beträgt sechs Wochen zum Ende des<br />
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Stellmacherstraße 14, 26506 Norden,<br />
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© 2012 für alle Beiträge beim<br />
Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA)<br />
Druck:<br />
SKN Druck und Verlag GmbH & Co., Norden<br />
ISSN 0940-4163<br />
Editorial<br />
Der Journalist und Schriftsteller Theodor<br />
Fontane gab 1876 seinem ersten belletristischen<br />
Werk den Titel »<strong>Vor</strong> <strong>dem</strong> Sturm.<br />
Roman aus <strong>dem</strong> Winter <strong>1812</strong> auf <strong>13</strong>«. Er<br />
erzählt darin von der Situation Preußens,<br />
seiner Armee, seiner Bevölkerung sowie<br />
seines Landsturmes während der Konvention<br />
von Tauroggen und vor <strong>dem</strong> Beginn<br />
der Befreiungskriege im Frühjahr<br />
18<strong>13</strong>. In diesen Monaten sind die Aufrufe<br />
»An mein Volk« und »An mein Kriegsheer«<br />
entstanden, und das Lützowsche<br />
Freikorps hat bei seiner »wilden verwegenen Jagd«, eine sprachliche<br />
Anlehnung an die germanische Götterwelt, erstmalig die Farben<br />
SchwarzRotGold verwendet. Janine Rischke beschreibt die strukturellen<br />
<strong>Vor</strong>bedingungen für die Erhebung und geht dabei auf die<br />
Staats und vor allem die Heeresreformen ein.<br />
Einen moralischen Beitrag in diesem Kampf stellte ohne Zweifel die<br />
Stiftung des Eisernen <strong>Kreuz</strong>es durch König Friedrich Wilhelm III. vor<br />
200 Jahren dar. Bewusst benutzte er dafür ein christliches Symbol gegen<br />
Napoleon nach dessen Niederlage in Russland, wurde diese<br />
doch als Gottes Wille gedeutet. Harald Potempa erzählt von der<br />
wechselvollen Geschichte des Eisernen <strong>Kreuz</strong>es als Auszeichnung<br />
und Symbol von 18<strong>13</strong> bis zur Gegenwart. Ironie der Geschichte: <strong>Vor</strong>bild<br />
für diese neue Kriegsauszeichnung war der Orden der französischen<br />
Ehrenlegion (Légion d’honneur), <strong>dem</strong> sich das Historische<br />
Stichwort widmet.<br />
Den roten Sturm auf <strong>Buchara</strong> im Jahre <strong>1920</strong> untersucht Rudolf A.<br />
Mark. Diese wenig bekannte Operation der Roten Armee unter<br />
Michail W. Frunse bedeutete das Ende des mittelasiatischen Emirates<br />
und dessen gewaltsame Eingliederung in die Sowjetunion.<br />
Christoph Schneider schließlich zeichnet den Weg einer Infanteriedivision<br />
nach Stalingrad und ihren Untergang unter einem weniger<br />
bekannten Aspekt nach: Er stellt die sanitätsdienstliche Versorgung<br />
der Division vor.<br />
Ein Wort in eigener Sache: Nach nunmehr fünf Jahren verlässt Major<br />
Dr. Klaus Storkmann das Team Militärgeschichte; die Redaktion<br />
bedankt sich bei ihm für sein langjähriges Engagement in ihren Reihen.<br />
Hauptmann Jochen Maurer M.A. wirkt seit Oktober als Dozent<br />
an der Offizierschule der Luftwaffe in Fürstenfeldbruck. Das Team<br />
Militärgeschichte unterstützt er künftig dankenswerterweise als<br />
korrespondierendes Mitglied.<br />
Ich wünsche Ihnen eine gewinnbringende Lektüre dieses Heftes sowie<br />
ein glückliches und friedliches Jahr 20<strong>13</strong>.<br />
Dr. Harald Potempa<br />
Oberstleutnant
»<strong>Vor</strong> <strong>dem</strong> <strong>Sturm«</strong>: Militärische Reformen<br />
und Mentalitätswandel in<br />
Preußen und Deutschland<br />
<strong>1812</strong>/<strong>13</strong><br />
Janine Rischke M.A., geboren 1982 in Berlin-<br />
Köpenick, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am<br />
Lehrstuhl für Militärgeschichte/Kulturgeschichte<br />
der Gewalt an der Universität Potsdam<br />
Das Eiserne <strong>Kreuz</strong>.<br />
Zur Karriere einer<br />
Kriegsauszeichnung<br />
Oberstleutnant Dr. Harald Potempa, geboren<br />
1963 in Dorfen/Landkreis Erding,<br />
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am MGFA<br />
Der rote Sturm auf <strong>Buchara</strong>:<br />
Frunses »Turkfront« und die<br />
Eroberung des Emirats <strong>1920</strong><br />
PD Dr. habil. Rudolf A. Mark, geboren 1951<br />
in Bad Mergentheim, Privatdozent<br />
an der Helmut-Schmidt-Universität/Universität<br />
der Bundeswehr Hamburg<br />
Eine Division verblutet …<br />
Die sanitätsdienstliche Versorgung<br />
der 295. Infanteriedivision auf <strong>dem</strong><br />
Weg nach Stalingrad<br />
OTL d.R. Christoph Schneider, StR, geboren<br />
1969 in Gräfeling/Landkreis München,<br />
Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der<br />
Wehrgeschichtlichen Lehrsammlung des Sanitätsdienstes<br />
der Bundeswehr, München<br />
4<br />
10<br />
14<br />
18<br />
Inhalt<br />
Service<br />
Das historische Stichwort:<br />
Die französische Ehrenlegion 22<br />
Neue Medien 24<br />
Lesetipp 26<br />
Die historische Quelle 28<br />
Geschichte kompakt 29<br />
Ausstellungen 30<br />
Militärgeschichte<br />
im Bild<br />
»Weiße Rose« 31<br />
München Ostbahnhof am 23. Juli 1943:<br />
Sophie Scholl verabschiedet ihren Bruder<br />
Hans sowie weitere Studentenfreunde,<br />
die als Sanitäter an die Ostfront abkommandiert<br />
wurden. Von links: Hubert Furtwängler,<br />
Hans Scholl, Raimund Samüller,<br />
Sophie Scholl und Alexander Schmorell.<br />
George (Jürgen) Wittenstein/akg-images<br />
Weitere Mitarbeiter dieser Ausgabe:<br />
Hauptmann Michael Berger, MGFA;<br />
Dr. Gabriele Bosch, MGFA;<br />
Christopher Hanitzsch (Potsdam),<br />
Christopher Schmidt (Berlin),<br />
Nicoleta Rohrlich-Berger (Berlin).
<strong>Vor</strong> <strong>dem</strong> Sturm<br />
»<strong>Vor</strong> <strong>dem</strong> <strong>Sturm«</strong>. Militärische<br />
Reformen und Mentalitätswandel in<br />
Preußen und Deutschland <strong>1812</strong>/<strong>13</strong><br />
5Volksopfer 18<strong>13</strong>. Gemälde (Öl auf Leinwand) von Arthur Kampf.<br />
»Die rote Hand, die Feuer an die<br />
Scheunen legte, die die Goldringe<br />
von den Fingern unserer Toten zog,<br />
sie ist unvergessen hier herum, und<br />
eine rötere Hand wird ihr Antwort<br />
geben.«<br />
Diesen Appell legt Theodor Fontane<br />
in seinem Roman »<strong>Vor</strong><br />
<strong>dem</strong> <strong>Sturm«</strong>, der die angespannte<br />
politische Situation im ländlichen<br />
Brandenburg im Winter <strong>1812</strong> beschreibt,<br />
seinem Protagonisten, <strong>dem</strong><br />
Gutsbesitzer Berndt von Vitzewitz, angesichts<br />
der preußischen Niederlage<br />
gegen das napoleonische Frankreich in<br />
den Mund. Obwohl literarisches Produkt<br />
aus <strong>dem</strong> späten 19. Jahrhundert,<br />
spiegelt diese Äußerung die Stimmung<br />
der ständischen Eliten, die den totalen<br />
Umsturz der ständischen Welt und des<br />
politischgesellschaftlichen Systems in<br />
Europa befürchteten, wider. Insbesondere<br />
die Erfahrungen auch der gewöhnlichen<br />
Landbevölkerung, die den<br />
Einmarsch und die Plünderung durch<br />
die Soldaten der französischen Armee<br />
erlebte, werden hier als Rechtfertigung<br />
für eine Erhebung gegen die Fremdherrschaft<br />
angeführt.<br />
Das Jahr <strong>1812</strong> nahmen die literarischen<br />
Figuren des Romans als Wendepunkt<br />
wahr. Gleiches galt für zahlreiche<br />
Zeitgenossen: Politisch wie gesellschaftlich<br />
wurden die Mobilmachung und<br />
die Gegenwehr in Preußen sowie in<br />
den übrigen deutschen Territorien vorbereitet.<br />
Wesentliche Triebkräfte und<br />
4 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2012<br />
<strong>Vor</strong>bilder waren die Reformen der<br />
preußischen Regierung auf <strong>dem</strong> Gebiet<br />
der militärischen Organisation und der<br />
Militärgerichtsbarkeit sowie bei der<br />
Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht.<br />
Zusammen mit der Niederlage<br />
Napoleons im Russlandfeldzug <strong>1812</strong><br />
bildeten sie die <strong>Vor</strong>aussetzungen für<br />
eine militärische Erhebung gegen die<br />
französische Besatzung. Diese konnte<br />
nur zusammen mit Russland, später<br />
mit weiteren Bündnispartnern realisiert<br />
werden. In Deutschland verursachte<br />
Preußen die Initialzündung,<br />
zum Flächenbrand wurde der Krieg<br />
gegen Napoleon aber erst, als sich die<br />
übrigen »deutschen« Staaten anschlossen.<br />
Zu dieser Positionierung war der<br />
preußische König allerdings nicht be<br />
bpk/MDBK, Ursula Gerstenberger/Künstlerrechte: akg-images
eit, bevor sich die Aussicht auf einen<br />
Sieg über Napoleon abzeichnete. In<br />
den Jahren zuvor hatte die zögernde<br />
Politik des preußischen Monarchen sowohl<br />
zur politischen Resignation als<br />
auch zu einer angespannten Ungeduld<br />
weiter Bevölkerungsteile geführt, erwartete<br />
man doch den Umschwung<br />
der politischgesellschaftlichen Gegebenheiten.<br />
Den überkommenen Verhältnissen<br />
standen der Wille und auch<br />
die Notwendigkeit von Veränderungen<br />
gegenüber, die bereits einige Zeit vor<br />
der preußischen Niederlage bei Jena<br />
und Auerstedt und des Untergangs des<br />
Heiligen Römischen Reiches Deutscher<br />
Nation 1806 eingesetzt hatten. Politische<br />
und militärische Reformen leiteten<br />
auch in den traditionellen ständischen<br />
Schichten ein Umdenken ein,<br />
das dann 60 Jahre später im Werk Fontanes<br />
eine zentrale Rolle spielte. Welche<br />
Formen dieser Wandel im gesellschaftlichen<br />
und besonders im militärpolitischen<br />
Bereich annahm und welche<br />
Bedeutung die militärischen Reformen<br />
von oben in diesem Prozess besaßen,<br />
zeigen die folgenden Ausführungen.<br />
Das Scheitern des ständischen<br />
Systems in Europa<br />
Die Verzweiflung über die militärischen<br />
Niederlagen gegen Frankreich<br />
und die politische Unterwerfung unter<br />
das Nachbarland war groß. Hauptantrieb<br />
für das Handeln und Empfinden<br />
der Hauptfigur im Roman »<strong>Vor</strong> <strong>dem</strong><br />
<strong>Sturm«</strong> sind <strong>dem</strong>entsprechend der<br />
Hass auf den »Bösesten auf Erden«,<br />
Kaiser Napoleon Bonaparte, und die<br />
verheerenden Folgen der Schlacht bei<br />
Jena und Auerstedt. Viele Angehörige<br />
des Adels dienten im Militär, einige<br />
hatten nach 1807 ihren Abschied genommen<br />
und warteten sehnsüchtig auf<br />
ihre Chance zur Revanche.<br />
Die militärische Niederlage gegen<br />
Frankreich hatte die Brüchigkeit der<br />
traditionellen Herrschaft des Ancien<br />
Régime in ganz Europa gezeigt. Die<br />
persönliche Politik der Fürsten und die<br />
verwandtschaftlichen Beziehungen<br />
zwischen den europäischen Herrschern<br />
hatten gesellschaftliche, wirtschaftliche<br />
und soziale Reformen lange<br />
Zeit verzögert oder sogar behindert. In<br />
Preußen hatte sich das Erbe der friderizianischen<br />
Ära, so zeigten es die Französische<br />
Revolution 1789 und die spätere<br />
napoleonische Expansion, längst<br />
überlebt. Besonders die Gegensätze<br />
zwischen <strong>dem</strong> wirtschaftlich erstarkenden<br />
Bürgertum und <strong>dem</strong> auf traditionellen<br />
Privilegien fußenden, Militär<br />
und Verwaltung dominierenden Adel<br />
wurden zum Ende des 18. Jahrhunderts<br />
in den Territorien des Alten Reiches<br />
zunehmend sichtbar.<br />
Doch während auf linksrheinischem<br />
Gebiet das Bürgertum erste politische<br />
und wirtschaftliche Rechte erhielt, beharrten<br />
rechts des Rheins die traditionellen<br />
Kräfte auf der althergebrachten<br />
Verteilung von Besitzrechten, Privilegien<br />
und Aufstiegschancen. Gerade die<br />
Streitkräfte in der Habsburger Monarchie<br />
sowie in Preußen blieben lange<br />
5Sitzung der Militär-Reorganisations-Kommission am 18. Oktober 1807 in Königsberg. Chromotypie (um 1900) nach einer Zeichnung<br />
von Carl Röchling. V.l.n.r.: Hermann von Boyen, N.N., Friedrich Wilhelm III., August Neidhardt von Gneisenau, Gerhard von<br />
Scharnhorst, N.N., Karl vom und zum Stein, NN.<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2012<br />
5<br />
bpk/Dietmar Katz
pk<br />
<strong>Vor</strong> <strong>dem</strong> Sturm<br />
Die Konvention von<br />
Tauroggen<br />
Als sich im Oktober <strong>1812</strong> die Große<br />
Armee auf <strong>dem</strong> Rückzug aus Russland<br />
befand, machte sich in den<br />
deutschen Territorien die gegen<br />
Frankreich und Napoleon gerichtete<br />
Aufbruchsstimmung breit, der sich<br />
später auch die gemäßigten Kräfte<br />
anschlossen. Einen wesentlichen An-<br />
Zeit Bastionen eines adligständischen<br />
Offizierkorps, das es bürgerlichen Offizieren<br />
nur vereinzelt erlaubte, in die<br />
hohen Ränge vorzudringen.<br />
Heeresreformen in Preußen<br />
Die Notwendigkeit einer Reorganisation<br />
des Militärwesens war in Preußen<br />
bereits seit 1795 diskutiert worden: König<br />
Friedrich Wilhelm III. hatte angesichts<br />
des immensen Verwaltungsaufwandes<br />
für das Heer und dessen Angehörige<br />
1798 eine Denkschrift vorgelegt,<br />
die vor allem eine Neuordnung des<br />
Kantonsystems – dieses System regelte<br />
die Einberufung der militärdienstpflichtigen<br />
Untertanen – zum Ziel hatte<br />
und zaghaft neue Ideen anstoßen<br />
wollte. 1803 betonte Major Karl Friedrich<br />
von Knesebeck die Notwendigkeit<br />
von Reformen, wenn das preußische<br />
Heer in Zukunft mit der Armee Napoleons<br />
mithalten wolle. Dazu gehöre die<br />
Erhöhung der Zahl ausgebildeter<br />
Mannschaften ebenso wie eine Verkürzung<br />
der Dienstzeit und die Einrichtung<br />
einer »Vaterlandsreserve« zur<br />
Verstärkung der regulären Truppen. In<br />
den folgenden Jahren diskutierten die<br />
stoß für die tatsächliche<br />
Erhebung stellte dabei die<br />
Waffenstillstandserklärung<br />
zwischen <strong>dem</strong> preußischen<br />
Generalleutnant Johann<br />
David Ludwig Graf Yorck<br />
von Wartenburg und <strong>dem</strong><br />
Generalmajor in russischen<br />
Diensten Hans von Diebitsch<br />
dar. Während der preußische Offizier<br />
ein intaktes Hilfskontingent auf<br />
<strong>dem</strong> Nordflügel der napoleonischen<br />
Armee im Baltikum führte, war Diebitsch<br />
Generalquartiermeister beim<br />
Wittgensteinschen Korps der russischen<br />
Armee. Unter Vermittlung des ebenfalls<br />
in russischen Diensten stehenden<br />
Obersten Carl von Clausewitz und der<br />
anwesenden preußischen wie russischen<br />
Offiziere unterzeichneten die<br />
beiden Generale am 30. Dezember<br />
reformwilligen Offiziere mit einer bereits<br />
1795 von Friedrich Wilhelm II.<br />
eingesetzten »ImmediatMilitärOrganisationsKommission«<br />
vor allem Fragen<br />
zur Einrichtung eines Volksheeres<br />
durch die Einführung einer allgemeinen<br />
Wehrpflicht sowie die grundlegende<br />
Neuausrichtung der Militärtaktik.<br />
Die Überlegungen blieben jedoch<br />
folgenlos.<br />
Es war die Niederlage gegen Napoleon,<br />
die den Umbau des politischen,<br />
sozialen und militärischen Apparates<br />
in Preußen erzwang. Dieser stand jedoch<br />
unter keinem guten Stern, da die<br />
Beschränkungen von Truppenstärke<br />
und Territorium durch den Tilsiter<br />
Frieden von 1807 sowie die starke militärische<br />
Präsenz Frankreichs in Preußen<br />
stets zu spüren waren. Trotz des<br />
Misstrauens der französischen Besatzung<br />
setzten die Minister Reichsfreiherr<br />
Karl vom und zum Stein und Karl<br />
August von Hardenberg sowie die Offiziere<br />
August Neidhardt von Gneisenau,<br />
Carl von Clausewitz und besonders<br />
Gerhard von Scharnhorst, der ab<br />
1807 die MilitärReorganisationskommission<br />
leitete, die dringend notwendigen<br />
Neuerungen durch, immer am<br />
6 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2012<br />
3Konvention von Tauroggen<br />
am 30. Dezember<br />
<strong>1812</strong>. Handschlag zwischen<br />
den Generalen<br />
Yorck von Wartenburg<br />
und Diebitsch, zeitgenössischer<br />
Holzstich.<br />
<strong>1812</strong> in der Poscheruner Mühle, drei<br />
Kilometer von Tauroggen entfernt,<br />
die Konvention. Yorck hatte sich<br />
mehrfach um eine Weisung aus<br />
Berlin bemüht, letztlich aber im<br />
Alleingang und ohne politische<br />
Rückendeckung Friedrich Wilhelms<br />
III. gehandelt. In einem noch am selben<br />
Tag verfassten Rechtfertigungsschreiben<br />
an den König begründete<br />
Yorck die Rechtmäßigkeit seines<br />
<strong>Vor</strong>gehens:<br />
»Jetzt oder nie ist der Moment, Freiheit,<br />
Unabhängigkeit und Größe<br />
wiederzuerlangen. Ich schwöre Ew.<br />
Königlichen Majestät, dass ich auf<br />
<strong>dem</strong> Sandhaufen ebenso ruhig wie<br />
auf <strong>dem</strong> Schlachtfelde, auf <strong>dem</strong> ich<br />
grau geworden bin, die Kugel erwarten<br />
werde.«<br />
In Folge dieser eigenmächtigen politischen<br />
Entscheidung fiel Yorck beim<br />
König in Ungnade, wurde nach <strong>dem</strong><br />
späteren Sieg über Napoleon jedoch<br />
wieder rehabilitiert. Die militärischen<br />
und gesellschaftlichen Eliten<br />
in Preußen und Deutschland verstanden<br />
diesen Vertrag jedoch als<br />
Signal zum Aufbegehren gegen Napoleon<br />
und seine Armee.<br />
Rande des von Frankreich gewährten<br />
Handlungsspielraums. Von 1807 bis<br />
18<strong>13</strong> konzentrierten sich die Neuerungen<br />
vor allem auf Militärtaktik und<br />
Waffen, die Professionalisierung des<br />
Offizierkorps, die grundlegende Reorganisation<br />
des Militärrechts, die Besserstellung<br />
von Soldaten und Unteroffizieren<br />
sowie die professionelle Ausbildung<br />
von Offizieren etwa in den Kriegsschulen,<br />
die seit 1810 vorerst in Berlin, Breslau<br />
und Königsberg geschaffen wurden.<br />
Modernisierung der Streitkräfte<br />
Die preußische Armee hatte in den<br />
Kriegen in der Mitte des 18. Jahrhunderts<br />
mit Präzision in der Lineartaktik,<br />
eingeübt durch ständiges Exerzieren<br />
der Handgriffe, meist erfolgreich<br />
agiert, aber an der bewährten Schlachtführung<br />
der Lineartaktik nur wenig<br />
geändert, obwohl die preußische Kriegführung<br />
bereits zu Zeiten Friedrichs II.<br />
als überholt betrachtet wurde. In den<br />
folgenden Jahrzehnten wurde das<br />
Kriegsbild auf <strong>dem</strong> europäischen Kontinent<br />
stärker durch den »kleinen<br />
Krieg« geprägt. Das Konzept kam vor<br />
allem im Spanischen Unabhängigkeits
krieg von 1808 bis 18<strong>13</strong> – hier in Verbindung<br />
mit einer neuartigen Form des<br />
Volkskrieges – zum Tragen und beeinflusste<br />
letztlich auch die Kriegführung<br />
in den Befreiungskriegen (siehe Martin<br />
Rink, Die Erfindung des Guerillakrieges,<br />
in: Militärgeschichte, Heft<br />
1/2008, S.4–9).<br />
Durch den Frieden von Tilsit waren<br />
die preußische Armee auf eine Stärke<br />
von 42 000 Mann reduziert und der<br />
Staat Preußen auf den Status einer Mittelmacht<br />
zurechtgestutzt worden, was<br />
eine Aufrüstung verhinderte. Dieses<br />
Problem suchten die Reformer mit der<br />
Einführung des »Krümpersystems«,<br />
der Schaffung einer »verborgenen« militärischen<br />
Reserve, zu umgehen. Dabei<br />
wurden in jeder Kompanie einige<br />
Soldaten mehr als üblich beurlaubt<br />
und dafür neue Rekruten eingezogen,<br />
die dann nach einer kurzen Ausbildung<br />
wieder entlassen wurden. Dieses<br />
System erlaubte die Ausbildung von<br />
deutlich mehr jungen Männern (den<br />
»Krümpern«) als die zuvor getroffenen<br />
Regelungen und schuf so eine zahlenmäßig<br />
starke Reserve.<br />
Die Reformer lösten nun endgültig<br />
die Autonomie der Regimenter auf, die<br />
zuvor durch ihre Obersten verwaltet<br />
und weitgehend selbstständig geführt<br />
worden waren. Zu<strong>dem</strong> schufen sie ein<br />
übergeordnetes Kriegsministerium,<br />
das die in den übrigen Verwaltungen<br />
verstreuten Zuständigkeitsbereiche für<br />
das Militär bündelte und nun als neue<br />
Zentrale für eine einheitliche Organisation<br />
der Streitkräfte Sorge trug. Die<br />
Neuerungen im taktischen Bereich taten<br />
ein Übriges, um die traditionelle<br />
Armee für künftige Kriege vorzubereiten:<br />
Die neu eingerichteten Jägerregimenter<br />
und die leichten Truppen erhielten<br />
größere Bedeutung für die<br />
Kriegführung, die Kampfeinheiten<br />
wurden nun in kleineren Brigaden formiert.<br />
Auch dies bedingte eine Veränderung<br />
der Anforderungen an die Soldaten<br />
und somit eine andere Form der<br />
Rekrutierung.<br />
Der Wandel der ständischen<br />
Struktur<br />
Den Männern um Scharnhorst galten<br />
die schwierige soziale Herkunft der<br />
meisten angeworbenen Soldaten und<br />
deren prekäre Familienverhältnisse als<br />
Faktoren für das schlechte Ansehen<br />
der Armee. Hatten die Soldatenfrauen<br />
als Versorgerinnen und Unterstützung<br />
für ihre Männer in den Garnisonen<br />
und besonders im Feldzug lange Zeit<br />
eine wesentliche Rolle gespielt, sollten<br />
die Reformen nun endlich die Trossgesellschaft<br />
verkleinern und Soldatenfrauen<br />
und kinder aus der Militärgesellschaft<br />
entfernen. Diese Maßnahmen<br />
dienten nach Gneisenaus Ansicht der<br />
Stärkung des Kampfwillens, denn ein<br />
alleinstehender Soldat ohne Familie sei<br />
eher bereit, Leib und Leben zu riskieren,<br />
als ein sorgender Familienvater,<br />
der seine Liebsten nahe bei sich hatte.<br />
Daneben hatten die preußische sowie<br />
die kaiserlichösterreichische Armee<br />
aber vor allem ein Problem mit den<br />
Aufstiegsmöglichkeiten für verdiente<br />
Soldaten und Offiziere bürgerlicher<br />
Herkunft. Das Offizierkorps in den beiden<br />
Monarchien bewahrte sich lange<br />
Zeit einen konservativ ständischen<br />
Charakter und reservierte einen Großteil<br />
der Offizierstellen für den einheimischen<br />
Adel. Lediglich die eher »technischen«<br />
Einheiten der Artillerie sowie<br />
der Pioniere, die neu aufgestellten Jägerkorps<br />
und einige Regimenter der leichten<br />
Reiterei nahmen in ihren Reihen<br />
immer öfter auch bürgerliche Offiziere<br />
auf, galten diese Einheiten doch beim<br />
Adel als nicht nobel genug. Daher besaßen<br />
dort die bürgerlichen Offiziere<br />
auch vergleichsweise gute Aufstiegsmöglichkeiten.<br />
Die preußischen Reformer<br />
wollten nun mit der Abschaffung<br />
des Anciennitätsprinzips, das die Beförderung<br />
der Offiziere nach Dienstjahren<br />
vorsah, und über ein neu geschaffenes<br />
Leistungsprinzip für die Stabsoffiziere<br />
und Generale eine Durchlässigkeit der<br />
Standesschranken in der gesamten Armee<br />
erreichen.<br />
Im Zuge dieser Entwicklung wurden<br />
nun auch die Mannschaften und Unteroffiziere<br />
rechtlich besser gestellt und<br />
als wichtige Basis der Streitkräfte anerkannt.<br />
Der Dienst an der Waffe sollte<br />
nach <strong>dem</strong> Willen der Reformer nicht<br />
länger als Zwangsdienst begriffen werden,<br />
sondern vielmehr einer inneren<br />
Verpflichtung entspringen, womit auch<br />
der Willkür und der Brutalität gegenüber<br />
Untergebenen eine Absage erteilt<br />
wurde. Um diesen Dienst aber zum einen<br />
berechenbar und zum anderen<br />
auch anspruchsvoll zu gestalten,<br />
musste ein verlässliches Militärrecht<br />
für alle Dienstgrade erarbeitet werden.<br />
Dazu gehörten unter anderem die<br />
Vereinheitlichung und Kodifizierung<br />
der Militärjustiz. Dieser Bereich war<br />
bisher weitgehend innerhalb der Regimenter<br />
durch Militärangehörige als<br />
Laienrichter geregelt worden. Die Standardisierung<br />
des Strafmaßes und die<br />
Schaffung eines »Corpus Iuris Militaris«<br />
beförderte die Ablösung traditioneller<br />
Körper und Ehrenstrafen zugunsten<br />
einer einheitlichen Ahndung<br />
von Delikten im Militär.<br />
Der Umbau der Armee hatte in den<br />
Zwischenkriegsjahren einen erheblichen<br />
sozialen und rechtlichen Wandel<br />
zur Folge: 1808 traten die »Kriegsartikel<br />
für Soldaten und Unteroffiziere« in<br />
Kraft, flankiert von neuen Bestimmungen<br />
zu den Militärstrafen für die<br />
Mannschaften sowie für die Offiziere.<br />
Die neuen <strong>Vor</strong>schriften sprachen den<br />
Soldaten nun eine persönliche Ehre zu<br />
und schafften die schweren Körperstrafen<br />
ab. Gleichzeitig schrieben sie<br />
auch für die militärischen Eliten Delikte<br />
im Militärdienst fest, denn diese<br />
sollten nun unabhängig vom Dienstgrad<br />
geahndet werden.<br />
Mit der Aufhebung des ständischen<br />
Militärrechts im folgenden Jahr wurden<br />
Frauen und Kinder der Soldaten<br />
endgültig der zivilen Gerichtsbarkeit<br />
unterstellt, die militärische Rechtsprechung<br />
allein auf die aktiv dienenden<br />
und in Reserve stehenden Militärpersonen<br />
beschränkt und die Militärgesellschaft<br />
damit grundlegend umgewandelt.<br />
Nach Bekunden der Reformer<br />
diente die Reorganisation der Armee<br />
nicht nur <strong>dem</strong> Zweck, das preußische<br />
Militär wieder effizienter zu gestalten,<br />
sondern sie sollte darüber hinaus die<br />
Bevölkerung für einen Krieg gegen Napoleon<br />
motivieren. Die Notwendigkeit<br />
einer stehenden Armee in Friedenszeiten<br />
war in den Debatten zwischen<br />
Gesellschaftskritikern und Militärreformern<br />
allerdings stark umstritten. Nur<br />
in Bezug auf die Steigerung der »Wehrbereitschaft«<br />
der Bevölkerung, die es<br />
durch die Reformen und ein engagiertes<br />
politisches <strong>Vor</strong>gehen der preußischen<br />
Regierung zu stärken galt, war<br />
man sich in weiten Kreisen der Gesellschaft<br />
in den deutschen Staaten bereits<br />
einig. Doch die <strong>Vor</strong>behalte aus <strong>dem</strong><br />
Bürgertum und von Seiten des besitzenden<br />
Adels bestanden weiterhin, so dass<br />
es der politischen Erschütterungen<br />
durch die Feldzüge Napoleons der<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2012
<strong>Vor</strong> <strong>dem</strong> Sturm<br />
5»An mein Volk« – Aufruf König Friedrich Wilhelms III. vom 17. März 18<strong>13</strong>, Titelseite<br />
der Schlesischen privilegirten Zeitung vom 20. März 18<strong>13</strong>.<br />
Jahre 1805 bis 1809 bedurfte, um eine<br />
umfassende Mobilmachung breiter<br />
Schichten zu gewährleisten. Erst die<br />
»Aufhebung der bisherigen Ausnahmeregelungen<br />
für weite Bevölkerungskreise<br />
durch das Kantonsreglement für<br />
die Dauer des Krieges« in <strong>Vor</strong>bereitung<br />
für den Kampf gegen Frankreich<br />
im Februar 18<strong>13</strong> schuf auch beim Gros<br />
der bürgerlichen Schichten die Bereitschaft,<br />
den Militärdienst als Verteidigung<br />
des Vaterlandes anzunehmen.<br />
Der Russlandfeldzug und die<br />
Folgen<br />
Nach der Niederlage Österreichs gegen<br />
Napoleon 1809 spitzten sich die<br />
politischen Gegensätze zwischen<br />
Frankreich und Russland zu: Während<br />
Napoleon seit 1810 gegenüber unbequemen<br />
politischen Gegnern immer<br />
härter durchgriff, einzelne Amtsträger<br />
gefangen nehmen ließ und unliebsame<br />
Monarchen einfach absetzte, reagierte<br />
Russland mit der faktischen Aufhebung<br />
der gegen Großbritannien gerichteten<br />
Kontinentalsperre und der Verstärkung<br />
der militärischen Präsenz an<br />
den Außengrenzen des Zarenreiches.<br />
Die prekäre Lage des zwischen den<br />
beiden Mächten liegenden Preußen<br />
verschärfte sich dabei dramatisch, und<br />
alles deutete auf einen neuen Krieg<br />
hin. Das Gerücht einer Zerschlagung<br />
der Hohenzollernmonarchie durch<br />
Napoleon und seine Verbündeten<br />
führte schließlich zu einer regelrechten<br />
8 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2012<br />
bpk<br />
Panik in der Berliner Regierung, obwohl<br />
ein entsprechend formuliertes<br />
Dokument sich im Nachhinein als Fälschung<br />
erwies. Anfang 1811 gestaltete<br />
sich die außenpolitische Lage aus Sicht<br />
der preußischen Reformer so hoffnungslos,<br />
dass Gneisenau in einem<br />
Schreiben vom 6. Januar vermerkte:<br />
»Was werden wir tun? Was sollen wir<br />
tun?«<br />
König Friedrich Wilhelm III. konnte<br />
sich angesichts des Bedrohungsszenarios<br />
noch immer nicht entschließen,<br />
militärisch gegen Frankreich vorzugehen.<br />
Dieses politische Zögern ließ auch<br />
die Reformer um Scharnhorst den<br />
Glauben an eine baldige Verbesserung<br />
der preußischen Lage zunehmend verlieren.<br />
Verschiedene preußische Offerten<br />
an den russischen Hof waren ins<br />
Leere gelaufen, auch geheime Verhandlungen<br />
mit <strong>dem</strong> Kaiserhof in<br />
Wien waren ohne Ergebnis geblieben<br />
und hatten an Preußens Lage als »Puffer«<br />
zwischen den zum Krieg rüstenden<br />
Großmächten nichts geändert.<br />
<strong>Vor</strong> diesem Hintergrund ist auch das<br />
ängstliche Vermeiden aller Konflikte<br />
mit der französischen Regierung zu<br />
verstehen, das schließlich zum verhängnisvollen<br />
Bündnis mit Napoleon<br />
im Frühjahr <strong>1812</strong> führte. Somit war<br />
Preußen außenpolitisch auf <strong>dem</strong> Tiefpunkt<br />
angelangt und erzwungenermaßen<br />
zum Bündnispartner des politischen<br />
Gegners geworden. Die einst<br />
vorherrschende Militärmacht in Europa<br />
hatte dieser Entwicklung militärisch<br />
nichts mehr entgegenzusetzen. Die politische<br />
Lage änderte sich erst mit <strong>dem</strong><br />
katastrophalen Scheitern des Russlandfeldzuges<br />
Napoleons und den Versuchen<br />
von russischer Seite, mit <strong>dem</strong><br />
preußischen Hof ein Bündnis einzugehen.<br />
Fontane lässt seine Romanfigur<br />
Berndt von Vitzewitz die Erwartungshaltung<br />
des ländlichen Adels gegenüber<br />
<strong>dem</strong> König angesichts der großen Verluste,<br />
die das napoleonische Heer in<br />
Russland erleidet, wie folgt ausdrücken:<br />
»Es ist mir, als wäre eine Wandlung<br />
über die Gemüter gekommen. Das<br />
ganze Fühlen ist ein höheres; wo noch<br />
Niedrigkeit der Gesinnung ist, da wagt<br />
sie sich nicht hervor. Was fehlt, ist eins:<br />
ein leitender Wille, ein entschlusskräftiges<br />
Wort.«<br />
Diese Entschlusskraft zeigte sich<br />
trotz der zahlreichen hoffnungsvollen
pk/Loescher Petsch<br />
5Theodor Fontane (1819–1898), Aufnahme<br />
von 1880.<br />
Anzeichen für die Schwächung der<br />
französischen Armee erst am 17. März<br />
18<strong>13</strong>: Friedrich Wilhelm III. stellte sich<br />
mit <strong>dem</strong> Aufruf »An mein Volk!« und<br />
<strong>dem</strong> darin enthaltenen Appell zur<br />
Volksbewaffnung an die Spitze eines<br />
Aufbegehrens gegen Napoleon.<br />
Betrachtet man jedoch die näheren<br />
Umstände, zeigt sich, dass die Entscheidung<br />
des Königs weniger durch<br />
seine eigene Initiative hervorgerufen<br />
wurde. Vielmehr folgte diese vor allem<br />
einer Aktion, die den Handlungsspielraum<br />
des König bereits Ende <strong>1812</strong> eingeschränkt<br />
hatte: Am 31. Dezember<br />
<strong>1812</strong> unterzeichnete der preußische<br />
General Ludwig Yorck von Wartenburg<br />
eigenmächtig mit <strong>dem</strong> in russischen<br />
Diensten stehenden Generalmajor<br />
Johann von Diebitsch die Konvention<br />
von Tauroggen. Sie vereinbarten einen<br />
Waffenstillstand, der das jahrelange diplomatische<br />
Ringen zwischen der Berliner<br />
Regierung und <strong>dem</strong> Zarenhof beendete.<br />
Das Bündnis der Preußen mit<br />
Napoleon war brüchig geworden. Die<br />
Gegner Napoleons unter den preußischen<br />
Offizieren hatten lange auf eine<br />
solche Erklärung hingewirkt.<br />
Der Feldzug gegen den großen Gegner<br />
im Osten war <strong>dem</strong> französischen<br />
Kaiser zum Verhängnis geworden. Der<br />
Niedergang seiner Armee in Russland<br />
mit hohen personellen Verlusten beförderte<br />
den Bruch des Bündnisses zwi<br />
»<strong>Vor</strong> <strong>dem</strong> <strong>Sturm«</strong><br />
Der Roman erschien ab 1876 in 36<br />
Teilen in der Leipziger Wochenzeitschrift<br />
»Daheim«. Das Werk basiert<br />
auf Fontanes »Wanderungen durch<br />
die Mark Brandenburg« und verbindet<br />
die Zeit der Befreiungskriege mit<br />
der allgemeinen Geschichte in den<br />
brandenburgischen Landen des beginnenden<br />
19. Jahrhunderts. Fontane<br />
nutzte historische Persönlichkeiten<br />
als <strong>Vor</strong>bilder für die Ausgestaltung<br />
seiner Figuren und platzierte diese in<br />
einen bekannten Kontext von Politik,<br />
Gesellschaft und Militär.<br />
Im Mittelpunkt der Handlung steht<br />
die patriotisch gesinnte adlige Familie<br />
von Vitzewitz, deren Angehörige<br />
zahlreiche höfische und militärische<br />
Ämter bekleiden und die im Winter<br />
<strong>1812</strong> angesichts der sich abzeich-<br />
schen Preußen und Frankreich, und<br />
die Konvention von Tauroggen bildete<br />
schließlich die Initialzündung für die<br />
Ereignisse im Jahr 18<strong>13</strong>. Die vorangegangenen<br />
innenpolitischen, wirtschaftlichen<br />
und militärischen Reformen hatten<br />
für die umfassende Erhebung in<br />
den Befreiungskriegen ab 18<strong>13</strong> die<br />
Grundlage geschaffen. Das Jahr <strong>1812</strong><br />
bereitete den Boden für den politischen<br />
Zusammenschluss der Gegner Napoleons<br />
und bildete den Auftakt für die militärische<br />
Revanche. Die grundlegende<br />
Neugestaltung von Staat und Armee<br />
nach <strong>dem</strong> militärischen und politischen<br />
Debakel 1806/07 sowie die Entwicklung<br />
eines preußischen Nationalbewusstseins,<br />
das es <strong>dem</strong> Bürger auch<br />
erlaubte, als Soldat seine Rolle zur Verteidigung<br />
des Landes beizutragen,<br />
legten den Grundstein für eine identitätsstiftende<br />
Armee in Preußen.<br />
Die Preußischen Reformen gehören<br />
heute zum Traditionsverständnis der<br />
deutschen Streitkräfte. Erst der gesellschaftliche<br />
Umbau durch die militärischen<br />
Reformer ermöglichte es, breite<br />
Bevölkerungsschichten, sowohl in den<br />
traditionell ständischen Schichten als<br />
auch im vermögenden städtischen Bürgertum,<br />
durch die Anerkennung soldatischer<br />
Leistung und die Aufwertung<br />
des Militärdienstes für den Dienst an<br />
der Waffe zu gewinnen. Die politische<br />
Entwicklung bewegte schließlich auch<br />
nenden Niederlage Napoleons in<br />
Russland auf ein weiteres Zeichen<br />
zum Aufstand gegen die französische<br />
Besatzung hofft. Fontane verbindet<br />
in dieser Familienkonstellation<br />
die generationenübergreifende<br />
Auseinandersetzung mit der französischen<br />
Besatzung, das Moment einer<br />
»nationalen« Erhebung und die<br />
enge Bindung an preußische Traditionen.<br />
Das Familienoberhaupt des Romans,<br />
Berndt von Vitzewitz, ist <strong>dem</strong><br />
Generalleutnant Friedrich August<br />
Ludwig von der Marwitz (1777–1837)<br />
nachempfunden, der sich durch seinen<br />
herausragenden militärischen<br />
Einsatz in den Befreiungskriegen<br />
und insbesondere bei der Einrichtung<br />
einer Landwehr in Preußen, die<br />
für den militärischen Sieg über Napoleon<br />
von großer Bedeutung war, hervorgetan<br />
hat.<br />
die von der preußischen Politik enttäuschten<br />
Standesvertreter dazu, sich<br />
erneut militärisch zu engagieren. Diese<br />
Stimmung, die gesellschaftlichen Debatten<br />
und die Standesdünkel im »heißen«<br />
Jahr <strong>1812</strong> beschreibt Fontane in<br />
seinem ersten Roman. Er arbeitet sowohl<br />
die Herausforderungen des ständischen<br />
Systems im ländlichen Preußen<br />
als auch die wesentlichen gesellschaftlichen<br />
Veränderungen durch das Reformwerk<br />
von Scharnhorst und Gneisenau<br />
heraus. Erst die generationenübergreifende<br />
Wahrnehmung der »Aufbruchstimmung«<br />
ermöglichte, so das Verständnis<br />
eines Theodor Fontane ebenso<br />
wie das der militärischen Reformer,<br />
den »<strong>Sturm«</strong> gegen die französische<br />
Fremdherrschaft im Jahr 18<strong>13</strong>.<br />
Literaturtipps<br />
Janine Rischke<br />
Karen Hagemann, »Mannlicher Muth und Teutsche Ehre«.<br />
Nation, Militär und Geschlecht zur Zeit der Antinapoleonischen<br />
Kriege Preußens, Paderborn [u.a.] 2002 (= Krieg<br />
in der Geschichte, 8).<br />
Mario Kandil, Die deutsche Erhebung <strong>1812</strong>–1815. Die Befreiungskriege<br />
gegen die französische Fremdherrschaft.<br />
Eine Gesamtdarstellung, Stegen am Ammersee 2011.<br />
Bernd von Münchow-Pohl, Zwischen Reform und<br />
Krieg. Untersuchungen zur Bewußtseinslage in Preußen<br />
1809–<strong>1812</strong>, Göttingen 1987.<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2012<br />
9
Das Eiserne <strong>Kreuz</strong><br />
Das Eiserne <strong>Kreuz</strong>. Zur Karriere<br />
einer Kriegsauszeichnung<br />
Das aktuelle Motto der Bundeswehr<br />
»Wir. Dienen. Deutschland.«<br />
wird von einem Logo in<br />
der Form des Eisernen <strong>Kreuz</strong>es (EK)<br />
begleitet. Es findet sich zu<strong>dem</strong> auf Panzern,<br />
Flugzeugen, Hubschraubern, auf<br />
Schiffen und Booten sowie auf den<br />
Fahnenspitzen der Truppenfahnen.<br />
Wie konnte eine vor zweihundert Jahren<br />
vom preußischen König gestiftete<br />
Auszeichnung solch eine Karriere machen?<br />
Zwar wurde das Eiserne <strong>Kreuz</strong> in der<br />
Vergangenheit an preußische und später<br />
an deutsche Soldaten aller Dienstgrade<br />
und Stände verliehen. Es handelte<br />
sich aber zunächst »lediglich« um<br />
eine Kriegsauszeichnung, die ausdrücklich<br />
nur für die Dauer der Befreiungskriege<br />
18<strong>13</strong> bis 1815 gestiftet worden<br />
war. Umso erstaunlicher ist die<br />
Neuauflage in den Jahren 1870, 1914<br />
und 1939 sowie das Nachwirken bis<br />
zum heutigen Tage.<br />
Orden und<br />
Kriegsauszeichnungen<br />
Nach den Niederlagen 1806/07 im<br />
Krieg gegen Napoleon reformierten<br />
sich der preußische Staat und sein Militär.<br />
Dabei orientierte man sich unter<br />
anderem am erfolgreichen Modell des<br />
Gegners, auch bei der Vergabe von militärischen<br />
Auszeichnungen: In Frankreich<br />
hatte der Erste Konsul, Napoleon<br />
Bonaparte, 1802 den Orden der Ehrenlegion<br />
in fünf Klassen geschaffen, der<br />
unabhängig von Dienstgrad, Beruf<br />
oder Stand nach Leistung vergeben<br />
wurde. Ein solches klassen und ständeübergreifendes<br />
Element fehlte in<br />
Preußen wie in den anderen deutschen<br />
Staaten. Zwar gab es den Schwarzen<br />
AdlerOrden, den RotenAdlerOrden<br />
und verschiedene Hausorden. Darüber<br />
hinaus existierten die hochangesehenen,<br />
aber den Offizieren vorbehaltenen<br />
»Halsorden« wie der preußische<br />
Pour le Mérite (seit 1740, wörtlich »Für<br />
den Verdienst«), der österreichische<br />
MilitärMariaTheresienOrden (seit<br />
1757) oder der bayerische MilitärMax<br />
10 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2012<br />
5Das Eiserne <strong>Kreuz</strong> von 18<strong>13</strong> – Entwurfszeichnung und Ausführung (Staatliche Museen<br />
zu Berlin/Kupferstichkabinett).<br />
JosephOrden (seit 1806). Die Verleihung<br />
der beiden letztgenannten war<br />
sogar mit der Erhebung in den Adelsstand<br />
verbunden. Mit der Verleihung<br />
der Orden erfolgte zugleich die Aufnahme<br />
in die jeweilige Gemeinschaft<br />
der Ordensträger, die sich zu entsprechenden<br />
Festen und Veranstaltungen<br />
unter Führung eines Ordenskanzlers<br />
oder großmeisters traf. Auszeichnungen<br />
hingegen wurden lediglich verliehen.<br />
Mit <strong>dem</strong> Eisernen <strong>Kreuz</strong> stiftete<br />
der preußische König Friedrich Wilhelm<br />
III. (1797–1840) erstmals eine<br />
Kriegsauszeichnung, die sowohl Offiziere<br />
als auch Unteroffiziere und<br />
Mannschaften erhalten konnten. Er<br />
folgte damit <strong>dem</strong> französischen Modell,<br />
wobei es sich hier eben um keinen<br />
Orden handelte.<br />
18<strong>13</strong>: Die Entstehung des<br />
Eisernen <strong>Kreuz</strong>es<br />
Am <strong>13</strong>. März 18<strong>13</strong> beauftragte der König<br />
den Architekten Friedrich Schinkel<br />
mit <strong>dem</strong> Entwurf eines schwarzen, in<br />
Silber (heraldisch: weiß) gefassten<br />
<strong>Kreuz</strong>es aus Gusseisen. Die Farbwahl<br />
ergab sich aus den Farben Preußens,<br />
die auf die des Deutschen Ordens zu<br />
rückgehen. Die <strong>Kreuz</strong>form wurde gewählt,<br />
da sich das Bündnis aus Russland<br />
und Preußen als ein christliches<br />
Bündnis gegen das nach zeitgenössischer<br />
Interpretation gottlose Frankreich<br />
verstand. Als Symbol für das Einfache<br />
– und gemäß den Aufrufen an<br />
die Bevölkerung, für den Krieg zu<br />
spenden (»Gold gab ich für Eisen«) –<br />
sollte das <strong>Kreuz</strong> nicht aus kostbarem<br />
Material hergestellt werden. Gleichsam<br />
stand das Wort Eisen als Chiffre<br />
für Krieg und Bewaffnung an sich, so<br />
etwa in <strong>dem</strong> im Jahr zuvor gedichteten<br />
Lied »Der Gott, der Eisen wachsen ließ,<br />
der wollte keine Knechte …« oder im<br />
Sprachgebrauch vom Eisernen Zeitalter<br />
sowie in der Kombination von »Blut<br />
und Eisen«.<br />
Das schwarze <strong>Kreuz</strong> war mit einer<br />
Königskrone, den Initialen FW, drei Eichenblättern<br />
und der Zahl 18<strong>13</strong> belegt.<br />
Schinkel orientierte sich an der heraldischen<br />
Form des Tatzenkreuzes mit<br />
den sich verbreiternden Balkenenden.<br />
Der König wiederum datierte die »Urkunde<br />
über die Stiftung des Eisernen<br />
<strong>Kreuz</strong>es« in zwei Klassen und einem<br />
Großkreuz bewusst auf den 10. März<br />
18<strong>13</strong> zurück. Dies war der Geburtstag<br />
seiner Gemahlin, der in Preußen hoch<br />
bpk/SMB/Jörg P. Anders
verehrten und propagandistisch als<br />
Landesmutter überhöhten Königin<br />
Luise von Preußen, die drei Jahre zuvor<br />
gestorben war.<br />
In den Kriegen gegen Napoleon wurden<br />
sechs Großkreuze, 668 EK I. und<br />
8542 EK II. Klasse verliehen, zu denen<br />
374 EK II. Klasse am weißschwarzen<br />
Nichtkämpferband kamen. Je nach<strong>dem</strong>,<br />
ob die Verdienste im direkten<br />
Kampf oder bei dessen Unterstützung<br />
erworben worden waren, differierten<br />
das Band des Eisernen <strong>Kreuz</strong>es (schwarzes<br />
Band mit weißer Einfassung oder<br />
weißes Band mit schwarzer Einfassung)<br />
und die Trageweise, die später<br />
von der Klasse des Eisernen <strong>Kreuz</strong>es<br />
abhängig war. <strong>Vor</strong>aussetzung zum<br />
Erwerb des EK I, das auf der linken<br />
Brust getragen wurde, war der Besitz<br />
des EK II, das am Knopfloch zu tragen<br />
war. Die Verleihung einiger preußischer<br />
Orden wurde indessen ausgesetzt<br />
oder eingeschränkt, wodurch das<br />
Eiserne <strong>Kreuz</strong> an deren Stelle treten<br />
konnte. Neben seine Bedeutung als<br />
Kriegsauszeichnung trat der symbolische<br />
Gehalt des Eisernen <strong>Kreuz</strong>es: Es<br />
zierte Kriegerdenkmale und Erinnerungstafeln<br />
für die Gefallenen in Kirchen,<br />
die auf königlichen Befehl hin<br />
aufgestellt wurden. Im Laufe der Zeit<br />
wurde das Eiserne <strong>Kreuz</strong> zum Zeichen<br />
der Befreiungskriege schlechthin.<br />
18 0/ 1: Das Eiserne <strong>Kreuz</strong> wird<br />
wiederentdeckt<br />
Weder in den Waffengängen gegen Dänemark<br />
1864 noch gegen Österreich<br />
Ungarn und den Deutschen Bund 1866<br />
wurde das Eiserne <strong>Kreuz</strong> erneuert.<br />
Dies geschah erst 1870/71: Der 1867 unter<br />
preußischer Führung gegründete<br />
Norddeutsche Bund und die mit ihm<br />
verbündeten süddeutschen Staaten<br />
führten zunächst Krieg gegen das Kaiserreich<br />
Frankreich unter Napoleon III.,<br />
später gegen die Republik Frankreich.<br />
Mit <strong>dem</strong> »Statut des wiederbelebten<br />
Eisernen <strong>Kreuz</strong>es für den Feldzug gegen<br />
Frankreich« erfuhr die Auszeichnung<br />
eine Renaissance. Wiederum<br />
diente Königin Luise als Symbolfigur:<br />
König Wilhelm I. von Preußen (1858/61<br />
bis 1888) datierte das Statut auf den<br />
19. Juli 1870 zurück, den 60. Todestag<br />
seiner Mutter.<br />
Der König beurteilte die »Lage des<br />
Vaterlands« als ernst, sprach von der<br />
dankbaren »Erinnerung an die Heldentaten<br />
unserer <strong>Vor</strong>fahren in den großen<br />
Jahren der Befreiungskriege« und nahm<br />
auf das von seinem »Vater gestiftete<br />
Ordenszeichen des Eisernen <strong>Kreuz</strong>es«<br />
Bezug. Dieses wollte er »in seiner<br />
ganzen Bedeutung wieder aufleben<br />
lassen«. Nun aber konnte das Eiserne<br />
<strong>Kreuz</strong> an alle Deutschen verliehen werden,<br />
es war keine rein preußische Angelegenheit<br />
mehr. Die Auszeichnung<br />
selbst änderte sich weder in Form,<br />
Farbe noch Trageweise. Unterhalb der<br />
Königskrone prangte die Initiale W,<br />
darunter war die Zahl 1870 angebracht,<br />
die Eichenblätter entfielen. Während<br />
des Krieges wurden neun Großkreuze,<br />
<strong>13</strong>19 EK I. und 47 644 EK II. Klasse verliehen,<br />
davon 4002 am weißschwarzen<br />
Nichtkämpferband. Zwar hatte sich<br />
die Zahl der verliehenen Kriegsauszeichnungen<br />
gegenüber 18<strong>13</strong> deutlich<br />
erhöht, jedoch waren auch mehr Soldaten<br />
unter Waffen, sodass letztlich in<br />
beiden Kriegen jeder zwanzigste Kombattant<br />
mit einem Eisernen <strong>Kreuz</strong> ausgezeichnet<br />
wurde. Neu war allerdings,<br />
dass im Jahre 1895, 25 Jahre nach der<br />
Schlacht bei Sedan, für die Inhaber des<br />
EK II. Klasse eine Bandspange mit drei<br />
Eichenblättern und der Zahl 25 gestiftet<br />
wurde. Dies machte deutlich, wie<br />
sehr der militärische Gründungsmythos<br />
des Deutschen Kaiserreiches mit<br />
<strong>dem</strong> Mittel des Eisernen <strong>Kreuz</strong>es propagiert,<br />
symbolisiert und gelebt<br />
wurde.<br />
Wie schon 18<strong>13</strong> zierte das Eiserne<br />
<strong>Kreuz</strong> Kriegerdenkmale und andere<br />
Objekte, die an den Krieg erinnerten.<br />
Zu<strong>dem</strong> wurde nach der Gründung des<br />
Deutschen Kaiserreichs die neue<br />
Reichskriegsflagge mit <strong>dem</strong> <strong>Kreuz</strong> versehen:<br />
das linke obere Feld trug die<br />
Farben schwarzweißrot und war mit<br />
<strong>dem</strong> Eisernen <strong>Kreuz</strong> belegt.<br />
Erster Weltkrieg<br />
Auch im nächsten Krieg wurde das<br />
Eiserne <strong>Kreuz</strong> wieder verwendet. Am<br />
5. August 1914 erließ der König von Preußen<br />
und Deutsche Kaiser Wilhelm II.<br />
(1888–1918) sein »Statut über die Wiederbelebung<br />
des Eisernen <strong>Kreuz</strong>es«. Er<br />
sprach von der »ernsten Lage« durch<br />
den »aufgezwungenen Krieg«, erinnerte<br />
»an die Heldentaten unserer <strong>Vor</strong>fahren«<br />
in den Befreiungskriegen sowie<br />
im Einigungskampf und verwies<br />
auf das »Ordenszeichen des Eisernen<br />
<strong>Kreuz</strong>es«, das von seinem Urgroßvater<br />
gestiftet worden war. Farbe und Trageweise<br />
blieben unverändert. Neben der<br />
Königskrone und der Initiale Wilhelms<br />
wurde es mit der Jahreszahl 1914 versehen.<br />
Allerdings veränderte sich die<br />
Verleihungspraxis während des Ersten<br />
Weltkrieges massiv. Da der König und<br />
Kaiser beim EK II. Klasse auf sein persönliches<br />
<strong>Vor</strong>schlagsrecht verzichtet<br />
hatte, wurden Antrags und Verleihungsrecht<br />
in der militärischen Hierarchie<br />
nach unten verschoben, wovon<br />
die Kommandeure vor Ort ausgiebig<br />
Gebrauch machten. Dies hatte zur<br />
Folge, dass im Ersten Weltkrieg fünf<br />
Großkreuze, rund 218 000 EK I. und<br />
über fünf Millionen EK II. Klasse verliehen<br />
wurden – bei <strong>13</strong>,4 Millionen<br />
deutschen Kriegsteilnehmern. Die<br />
Chance, ein <strong>Eisernes</strong> <strong>Kreuz</strong> verliehen<br />
zu bekommen, lag somit bei 1:2,5, was<br />
die Auszeichnung in gewissem Sinne<br />
entwertete. Spottverse über das »Kasino<strong>Kreuz</strong>«<br />
machten die Runde. Großer<br />
Wertschätzung erfreuten sich Träger<br />
des EK I, und es ist kein Zufall,<br />
dass nach <strong>dem</strong> Krieg vornehmlich in<br />
rechtskonservativen Kreisen immer<br />
wieder auf diese Auszeichnung verwiesen<br />
wurde. Adolf Hitler gab sich<br />
das Image des unbekannten Weltkriegsgefreiten<br />
und Frontkämpfers.<br />
Zur SAMontur und zur Uniform trug<br />
er stets das EK I. Klasse.<br />
Während des Ersten Weltkrieges<br />
wurde das Eiserne <strong>Kreuz</strong> zum Abzeichen<br />
und zum Symbol des deutschen<br />
Militärs schlechthin; Flugzeuge,<br />
Luftschiffe, Ballone und die ersten Panzer<br />
wurden damit versehen. In der gesellschaftlichen<br />
und militärischen Hierarchie<br />
aber standen die Halsorden<br />
deutlich höher. Die Militärklasse des<br />
preußischen PourleMérite wurde<br />
während des Ersten Weltkrieges lediglich<br />
687 Mal verliehen und war damit<br />
weitaus exklusiver als das Eiserne<br />
<strong>Kreuz</strong>. Als Aberwitz mag dabei gelten,<br />
dass im proklamierten Kampf gegen<br />
den »Erbfeind Frankreich« der höchste<br />
preußische Militärorden ausgerechnet<br />
eine französische Aufschrift trug.<br />
Der Bruch: 1939–1945<br />
Die NSMachthaber im seit <strong>dem</strong> »Anschluss«<br />
Österreichs »Großdeutschen<br />
Reich« standen in puncto Orden 1939<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2012<br />
11
Das Eiserne <strong>Kreuz</strong><br />
5Einweihung des Eisernen Landsturmmannes am Jahrestag der deutschen Besetzung<br />
Rigas, 3. September 1918.<br />
vor einigen Problemen. Durch das<br />
Ende der deutschen und österreichischen<br />
Monarchien im Jahre 1918 gab es<br />
keine Halsorden und somit keine Konkurrenz<br />
zum Eisernen <strong>Kreuz</strong> mehr.<br />
Ihre Wiedereinführung widersprach<br />
<strong>dem</strong> Ideal der »Volksgemeinschaft«:<br />
Sie galten nicht nur als elitär, sondern<br />
waren auch mit <strong>dem</strong> ungeliebten monarchischen<br />
Gedanken verbunden. Zu<strong>dem</strong><br />
wäre von den zahlreichen noch<br />
lebenden und mit den Halsorden dekorierten<br />
Weltkriegsveteranen möglicherweise<br />
Widerstand zu erwarten gewesen.<br />
Viele von ihnen dienten in der<br />
seit 1935 aufgebauten Wehrmacht und<br />
trugen ihre Halsorden an der Uniform.<br />
Das Eiserne <strong>Kreuz</strong> hingegen war an<br />
Soldaten aller Dienstgrade und Stände<br />
verliehen worden und eignete sich daher<br />
aus Sicht des NSStaates für die<br />
Inanspruchnahme durch die »Volksgemeinschaft«.<br />
Es hatte hohen Bekanntheitsgrad,<br />
band die Veteranen ein und<br />
konnte die Jugend begeistern, zumal<br />
sich die gesellschaftlichen Zugangsvoraussetzungen<br />
zur Laufbahn der Offiziere<br />
gelockert hatten und während<br />
des Krieges weiter lockerten.<br />
Adolf Hitler erließ am Tag des deutschen<br />
Überfalls auf Polen, am 1. Sep<br />
tember 1939, die »Verordnung über die<br />
Erneuerung des Eisernen <strong>Kreuz</strong>es«. Er<br />
hatte nach eigenem Bekunden »das<br />
Deutsche Volk zur Abwehr gegen die<br />
ihm drohenden Angriffe zu den Waffen«<br />
gerufen, bezog sich auf die »heldenmütigen<br />
Kämpfe, die Deutschlands<br />
Söhne in den früheren Kriegen zum<br />
Schutz der Heimat bestanden haben«,<br />
und erneuerte »den Orden des Eisernen<br />
<strong>Kreuz</strong>es«. Die letzte Formulierung<br />
war neu: Zum ersten Mal wurde<br />
das Eiserne <strong>Kreuz</strong> als Orden und nicht<br />
mehr nur als »Ordenszeichen« angesprochen.<br />
Es entfielen die bisherigen<br />
Bestimmungen, wonach das Eiserne<br />
<strong>Kreuz</strong> für Verdienste sowohl im Kampf<br />
als auch zur Unterstützung desselben<br />
an der Front, in der Etappe und in der<br />
Heimat verliehen werden konnte. Stattdessen<br />
wurde es »ausschließlich für<br />
besondere Tapferkeit vor <strong>dem</strong> Feinde<br />
und für hervorragende Verdienste in<br />
der Truppenführung verliehen«. Die<br />
preußischen Bandfarben schwarzweiß<br />
wurden durch die Farben des Reiches<br />
schwarzweißrot ersetzt, statt Krone<br />
und Initialen prangte auf <strong>dem</strong> Eisernen<br />
<strong>Kreuz</strong> ein Hakenkreuz mit darunterliegender<br />
Zahl 1939. Für EKTräger des<br />
Ersten Weltkrieges gab es Wiederholungsspangen.<br />
Neben <strong>dem</strong> Großkreuz<br />
12 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2012<br />
bpk<br />
und den beiden Klassen des Eisernen<br />
<strong>Kreuz</strong>es wurde als Ersatz für die alten<br />
Halsorden und als Symbol für das neue<br />
NSRegime das Ritterkreuz des Eisernen<br />
<strong>Kreuz</strong>es eingeführt, das ebenfalls<br />
um den Hals zu tragen war. Dadurch<br />
konnte das Eiserne <strong>Kreuz</strong> mit den Halsorden<br />
gleichziehen und erhielt somit<br />
eine gesellschaftliche und militärische<br />
Bedeutung, die es vorher nie besessen<br />
hatte. Das Ritterkreuz wurde während<br />
des Krieges um die Stufen des Eichenlaubes<br />
(ab 1940), des Eichenlaubes mit<br />
Schwertern (ab 1941), des Eichenlaubes<br />
mit Schwertern und Brillanten (ab<br />
1941) sowie des Goldenen Eichenlaubes<br />
mit Schwertern und Brillanten<br />
(ab 1944) erweitert. Während des Zweiten<br />
Weltkrieges wurden ein Großkreuz,<br />
8397 Ritterkreuze, 300 000 Eiserne<br />
<strong>Kreuz</strong>e I. Klasse und drei Millionen<br />
Stück II. Klasse verliehen. Bei etwa 19<br />
Millionen Angehörigen der Wehrmacht<br />
und der WaffenSS war die<br />
Chance auf Erhalt eines Eisernen<br />
<strong>Kreuz</strong>es deutlich geringer als im Ersten<br />
Weltkrieg, aber sehr viel höher als<br />
18<strong>13</strong>/15 und 1870/71.<br />
Allerdings darf nicht vergessen werden,<br />
dass die Nationalsozialisten das<br />
Eiserne <strong>Kreuz</strong> selbst entwerteten. Zum<br />
einen wurden jüdische Weltkriegsvete<br />
5Generalfeldmarschall Erwin Rommel:<br />
Träger des Eichenlaubes zum Ritterkreuz<br />
des Eisernen <strong>Kreuz</strong>es und des<br />
Pour le Mérite. Fotopostkarte 1942.<br />
bpk/Berndt
anen und EKTräger diskriminiert,<br />
eingesperrt und ermordet. Zum anderen<br />
sorgten die militärischen »Ehrengerichte«<br />
nach <strong>dem</strong> 20. Juli 1944 dafür,<br />
dass die Männer des Widerstandes aus<br />
der Wehrmacht ausgestoßen wurden<br />
und ihrer Eisernen <strong>Kreuz</strong>e sowie Ritterkreuze<br />
verlustig gingen. Nur so konnte<br />
es geschehen, dass sie in zivil und ohne<br />
Auszeichnungen die <strong>dem</strong>ütigenden<br />
Schauprozesse des »Volksgerichtshofes«<br />
vor ihrer Hinrichtung erleiden<br />
mussten.<br />
Die deutsche Propaganda hingegen<br />
verwendete das Eiserne <strong>Kreuz</strong> auch im<br />
Zweiten Weltkrieg als Symbol. Zwar<br />
verwendete die Wehrmacht statt des<br />
Eisernen <strong>Kreuz</strong>es in Form des Tatzenkreuzes<br />
auf den Panzern und Flugzeugen<br />
das Balkenkreuz, was teilweise<br />
schon in der Endphase des Ersten Weltkrieges<br />
praktiziert worden war. Dessen<br />
Farbgebung aber entsprach derjenigen<br />
des Eisernen <strong>Kreuz</strong>es.<br />
Ab 1955<br />
Als den ersten 101 Freiwilligen der Bundeswehr<br />
am 12. November 1955, <strong>dem</strong><br />
zweihundertsten Geburtstag des preußischen<br />
Militärreformers Gerhard von<br />
Scharnhorst, ihre Ernennungsurkunden<br />
verliehen wurden, geschah dies vor<br />
<strong>dem</strong> Symbol des Eisernen <strong>Kreuz</strong>es, das<br />
weder mit Jahreszahl noch mit Initiale<br />
oder gar Zeichen belegt war. Darin waren<br />
sowohl Neuanfang als auch Verbeugung<br />
vor <strong>dem</strong> Bestehenden.<br />
Im Jahre 1955 lag der Zweite Weltkrieg<br />
gerade einmal zehn Jahre, der<br />
Erste Weltkrieg erst 37 Jahre zurück.<br />
Die Masse der Zeitgenossen im In und<br />
Ausland kannte somit das Eiserne<br />
<strong>Kreuz</strong>, und nicht wenige wussten, dass<br />
es bereits vor <strong>dem</strong> NSUnrechtsregime<br />
diese Auszeichnung gegeben hatte, die<br />
von den Nazis besudelt und missbraucht<br />
worden war. Auf dieses preußischdeutsche<br />
und nach zeitgenössischer<br />
Anschauung zeitlose Eiserne<br />
<strong>Kreuz</strong> als Zeichen »sittlich gebundener<br />
Tapferkeit« wollte die damalige Führung<br />
bewusst zurückgreifen. Die Luftfahrzeuge<br />
und Panzer der Bundeswehr<br />
wurden mit <strong>dem</strong> Eisernen <strong>Kreuz</strong> als<br />
Erkennungszeichen versehen, die aus<br />
der Hand des Bundepräsidenten an die<br />
Truppenteile verliehenen Fahnen enthielten<br />
die Auszeichnung in der Fahnenspitze.<br />
Gleichsam war es notwen<br />
5Die Quadriga kurz vor ihrer Montage nach <strong>dem</strong> Neuguss 1958. Der Berliner<br />
Magistrat ließ danach durch die Steglitzer Bildgießerei Noack das Eiserne <strong>Kreuz</strong><br />
und den Adler entfernen.<br />
dig gesetzlich zu klären, welche Orden<br />
und Kriegsauszeichnungen des Zweiten<br />
Weltkrieges zur Uniform der Bundeswehr<br />
getragen werden durften. Das<br />
Gesetz über Orden und Ehrenzeichen<br />
von 1957 legte fest, dass <strong>Eisernes</strong> <strong>Kreuz</strong><br />
und Ritterkreuz getragen werden durften,<br />
allerdings ohne Hakenkreuz und<br />
nur in einer mit der Zahl 1939 versehenen<br />
Version mit drei Eichenlaubblättern<br />
als Symbol.<br />
In den Anfangsjahren der Bundeswehr<br />
bestand nur geringer Bedarf an<br />
Auszeichnungen, sodass erst im Jahre<br />
1980 das Ehrenkreuz der Bundeswehr<br />
in den Stufen Bronze, Silber und Gold<br />
eingeführt wurde. Zwar stellt es heraldisch<br />
ebenfalls ein Tatzenkreuz dar,<br />
weist aber in Farbgebung, Form und<br />
Gestaltung bewusst keinerlei Ähnlichkeiten<br />
mit <strong>dem</strong> Eisernen <strong>Kreuz</strong> auf. Die<br />
Auslandseinsätze der Bundeswehr<br />
machten eine Diskussion über die Notwendigkeit<br />
von Auszeichnungen für<br />
Tapferkeit wieder aktuell. Hierbei gab<br />
es immer wieder Überlegungen Einzelner,<br />
sich <strong>dem</strong> Eisernen <strong>Kreuz</strong> anzunähern,<br />
die Entscheidung fiel jedoch 2008<br />
zugunsten des Ehrenkreuzes der Bundeswehr<br />
für Tapferkeit.<br />
Zusammenfassung<br />
Die Stiftung des Eisernen <strong>Kreuz</strong>es jährt<br />
sich 20<strong>13</strong> zum 200. Mal. Allerdings besteht<br />
es nicht durchgehend seit 200 Jahren.<br />
Es wurde 18<strong>13</strong>, 1870, 1914 und<br />
1939 durch Einzelentscheidungen jeweils<br />
neu gestiftet. Als Kriegsauszeichnung<br />
wurde es lediglich <strong>13</strong> Jahre lang<br />
verliehen. Es stand bis zum Beginn des<br />
Zweiten Weltkrieges immer im Schatten<br />
der Halsorden und steigerte seine<br />
militärische und gesellschaftliche Bedeutung<br />
erst mit deren Erlöschen sowie<br />
mit der Stiftung des Ritterkreuzes<br />
zum Eisernen <strong>Kreuz</strong>. Als militärisches<br />
Symbol jedoch ist es seit zweihundert<br />
Jahre lang fast durchgängig nachweisbar.<br />
Die Bundeswehr nutzt es als Logo<br />
sowie als Sinnbild sittlich gebundener<br />
Tapferkeit.<br />
Harald Potempa<br />
Literaturtipps<br />
Harald Potempa (Hrsg.), Das Eiserne <strong>Kreuz</strong>. Zur Geschichte<br />
einer Auszeichnung, Berlin-Gatow 2003 (= Veröffentlichungen<br />
des Luftwaffenmuseums. Texte & Materialien 1).<br />
Ralph Winkle, Der Dank des Vaterlandes. Eine Symbolgeschichte<br />
des Eisernen <strong>Kreuz</strong>es 1914 bis 1936, Essen 2007.<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2012<br />
<strong>13</strong><br />
bpk/Meier
<strong>Buchara</strong> <strong>1920</strong><br />
Der rote Sturm auf <strong>Buchara</strong><br />
Frunses »Turkfront« und die<br />
Eroberung des Emirats <strong>1920</strong><br />
Am 28. August <strong>1920</strong> traten Rotarmisten<br />
der Turkestanischen<br />
Front (Turkfront) unter Michail<br />
W. Frunse (1885–1925) zum Sturm auf<br />
das mittelasiatische Emirat von <strong>Buchara</strong><br />
an. In einem verheerenden Angriff<br />
wurde dessen Hauptstadt, Zentrum<br />
muslimischer Gelehrsamkeit und<br />
seit 1868 Regierungssitz des gleichnamigen<br />
zarischen Protektorats, zerstört,<br />
geplündert und mit <strong>dem</strong> Emirat nach<br />
und nach <strong>dem</strong> Sowjetimperium eingegliedert.<br />
Damit waren alle Versuche der<br />
einheimischen Kräfte, das autokratische<br />
Regime des Emirs Said AlimKhan<br />
(1880–1944) durch <strong>dem</strong>okratische Reformen<br />
zu ersetzen und die nationale<br />
Selbstständigkeit zu erreichen, gescheitert.<br />
Der Herrschaft der Zaren folgte die<br />
der Sowjets. Um deren Machtposition<br />
in Mittelasien zu sichern, hatte Frunse<br />
in einem Telegramm am 31. Juli <strong>1920</strong><br />
Lenin erklärt, war »mit <strong>Buchara</strong> Schluss<br />
zu machen«. Erreicht wurde dieses Ziel<br />
am 2. September <strong>1920</strong>.<br />
Die Kontrahenten<br />
Schon Anfang 1918 hatte es einen erfolglosen<br />
Eroberungsversuch gegeben,<br />
nach<strong>dem</strong> 1917 auch in RussischTurkestan<br />
die Provisorische Regierung gestürzt<br />
worden war und in Taschkent<br />
ein Turkestanischer Rat der Volkskommissare<br />
(Turksovnarkom) die Macht<br />
übernommen hatte. Am 30. April wurde<br />
schließlich die innerhalb der Russischen<br />
Sozialistischen Föderalistischen Sowjet<br />
Republik (RSFSR) autonome Turkestanische<br />
Sowjetrepublik proklamiert.<br />
Damit war die Machtfrage aber keineswegs<br />
entschieden. Der Bürgerkrieg im<br />
europäischen und nordasiatischen Teil<br />
des einstigen Zarenreichs band Kräfte.<br />
An der südlichen Peripherie erwiesen<br />
sich die Khanate von <strong>Buchara</strong> und<br />
Chiwa als starke Gegner. Dort verband<br />
das Bekenntnis zum Islam Herrscher<br />
und Untertanen so sehr, dass die Bolschewiki<br />
bei je<strong>dem</strong> Angriff mit massiver<br />
Gegenwehr zu rechnen hatten.<br />
<strong>Vor</strong> allem <strong>Buchara</strong> entwickelte sich<br />
zum Hauptwidersacher der Sowjetherrschaft<br />
in »Transoxanien«. Es<br />
konnte im März 1918 alle Angriffe des<br />
Turksovnarkom abwehren. Als Ergebnis<br />
machten sich in der muslimischen<br />
Bevölkerung Hass und Aversionen gegen<br />
Russen sowie Andersgläubige<br />
breit, so dass das Regime des Emirs gestärkt<br />
wurde. Said Alim Khan verbündete<br />
sich mit Afghanistan und erhielt<br />
von dort Waffen. Zu<strong>dem</strong> kontaktierte<br />
er die antisowjetische BasmatschiBewegung<br />
im FerganaTal und verhandelte<br />
mit Chiwa über ein gemeinsames<br />
<strong>Vor</strong>gehen. Schließlich bemühte sich<br />
der Emir auch um die Unterstützung<br />
Persiens und der Briten, um türkische<br />
und deutsche Einflussversuche zu unterbinden.<br />
Gleichzeitig konnte er mit<br />
Hilfe entflohener österreichischer<br />
Kriegsgefangener seine Artillerie und<br />
anderes Kriegsgerät in Stand setzen.<br />
Die Streitkräfte <strong>Buchara</strong>s waren An<br />
14 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2012<br />
5Soldaten der 1. Reiterarmee General Budjonnys im Bürgerkrieg <strong>1920</strong>.<br />
fang 1919 doppelt so stark wie im Jahr<br />
zuvor.<br />
Planungen<br />
Die Sowjetmacht hatte Probleme in<br />
Mittelasien. Der Bürgerkrieg schnitt sie<br />
vom Kern der RSFSR ab, und im Januar<br />
1919 wäre sie durch eine Erhebung in<br />
Taschkent beinahe gestürzt worden.<br />
Moskau reagierte mit der Bildung einer<br />
Turkestanischen Kommission (Turkkomissija)<br />
als bevollmächtigte Vertretung<br />
der sowjetischen Führung. Sie<br />
hatte für gute Beziehungen zu Afghanistan,<br />
<strong>Buchara</strong> und Chiwa zu sorgen:<br />
Die Rote Armee war anderweitig gebunden,<br />
und Sowjetrussland konnte<br />
sich keinen »Bruch mit <strong>dem</strong> islamischen<br />
Osten« leisten, wie der Volkskommissar<br />
für Außenbeziehungen<br />
Georgi W. Tschitscherin damals die<br />
turkestanischen Genossen belehrte.<br />
Die Turkkomissija verfolgte eine zwei<br />
bpk
gleisige Politik, operierte taktisch und<br />
gab das Fernziel der »Auflösung« der<br />
Khanate nie auf. Nicht umsonst wurde<br />
1919 ausgerechnet Frunse, einer der<br />
erfolgreichsten sowjetischen Generale,<br />
zum Befehlshaber der Turkfront ernannt.<br />
Offiziell herrschten gute, ja<br />
freundschaftliche Beziehungen zu <strong>Buchara</strong>.<br />
Ende 1919 etwa wurden trotz<br />
angespannter Wirtschaftslage einige<br />
Güterwagen mit Nahrungsmitteln und<br />
Manufakturwaren in das Emirat geschickt<br />
und Kontakte für Wirtschaftsverhandlungen<br />
geknüpft. Am 26. Dezember<br />
wurde zu<strong>dem</strong> in Neu<strong>Buchara</strong><br />
ein »Fest der Einigung von Groß<strong>Buchara</strong><br />
und Sowjetrussland« begangen,<br />
auf <strong>dem</strong> sich Rotarmisten und einheimische<br />
Soldaten verbrüderten. Festessen<br />
sowie Treffen der turkestanischen<br />
Sowjetführer mit Vertretern der bucharischen<br />
Regierung folgten. Selbst der<br />
Emir, sonst als asiatischer Despot dargestellt,<br />
wurde ehrenvoll behandelt.<br />
Nach einem Staatsbesuch der Turkkommissija<br />
im Januar <strong>1920</strong> hob diese<br />
zu<strong>dem</strong> die großartige Perspektive der<br />
»historisch und wirtschaftlich bedingten<br />
Union [der beiden] Staaten«<br />
hervor. <strong>Buchara</strong> sollte nun auch nicht<br />
mehr bedroht, sondern gegen alle Angriffe<br />
verteidigt werden. Als Beweis so<br />
Zentralasien bis 1917<br />
Wolga<br />
Astrachan<br />
K a s p i s c h e s M e e r<br />
PERSIEN<br />
Uralsk<br />
nach<br />
Moskau<br />
Fort<br />
Alexandrowski<br />
Quelle: Zeitschrift OSTEUROPA.<br />
Krasnowodsk<br />
Orenburg<br />
Transkaspien<br />
Kuchan<br />
Nischapur<br />
wjetischer Aufrichtigkeit wurden <strong>dem</strong><br />
Emir einige der (alten) Geschütze zurückgegeben,<br />
die ihm 1918 abgenommen<br />
worden waren. Zugleich wurden<br />
aber die sowjetischen Garnisonen in<br />
den von Russen bewohnten Ortschaften<br />
des Emirats verstärkt.<br />
Während die Turkkomissija nach<br />
außen Einvernehmen und Kooperation<br />
mit den Khanaten <strong>dem</strong>onstrierte, betrieb<br />
sie den Sturz der mittelasiatischen<br />
Herrscher durch »Revolutionierung«<br />
von innen. Ende 1919 hatte man in<br />
Taschkent schon eine nationalrevolutionäre<br />
Erhebung in <strong>dem</strong> von inneren Unruhen<br />
erschütterten Khanat von Chiwa<br />
militärisch unterstützt und »<strong>dem</strong> Volk<br />
von Chiwa [geholfen], sich von der Unterdrückung<br />
zu befreien«. Dem folgte<br />
am 30. April <strong>1920</strong> die Proklamation der<br />
Choresmischen Sowjetischen Volksrepublik,<br />
die am <strong>13</strong>. September <strong>1920</strong> ein<br />
Unionsbündnis mit der RSFSR einging.<br />
Das ChiwaUnternehmen brachte<br />
auch die Wende der <strong>Buchara</strong>Politik. In<br />
Taschkent hatte sich die »Kriegspartei«<br />
durchgesetzt, und in Moskau hatten<br />
radikale Kräfte Lenin überzeugt, dass<br />
eine weitere Duldung des Emirs <strong>dem</strong><br />
sowjetischen Prestige schadete. Allerdings<br />
war die russische Führung im<br />
Sommer <strong>1920</strong> aus diplomatischen<br />
Ural<br />
Aktjubinsk<br />
Aralsee<br />
Urgentsch<br />
Chiwa<br />
Aschchabad<br />
Emirat von<br />
<strong>Buchara</strong><br />
Emirat von Chiwa<br />
(bis 1868)<br />
(bis 1873)<br />
Merw<br />
Kuschka<br />
<strong>Buchara</strong><br />
Samarkand<br />
Karschi<br />
Petropawlowsk<br />
Koktschetaw<br />
Akmola<br />
Fergana<br />
Gründen gegen eine gewaltsame Sowjetisierung<br />
<strong>Buchara</strong>s. Weniger sensibel<br />
verhielten sich die turkestanischen<br />
Kommunisten. Sie wollten die Revolution<br />
bis Persien und Indien tragen, wobei<br />
<strong>Buchara</strong> nur eine Etappe darstellen<br />
sollte. Daher beschloss die Turkkomissija<br />
am 30. Juni <strong>1920</strong> den Sturz des<br />
Emirs durch eine inszenierte Revolution.<br />
Helfer waren die bucharischen<br />
Kommunisten, deren Zahl zwar gering<br />
war, die aber anders als die Mehrheit<br />
der <strong>dem</strong>okratischen, auf nationalrevolutionäre<br />
Erneuerung setzenden Jungbucharischen<br />
Bewegung die Militärintervention<br />
gut hießen. Gleichzeitig<br />
wurde der Emir Ziel heftiger Pressekampagnen.<br />
Da jener praktisch alle<br />
Forderungen nach Demokratisierung<br />
und Reform seines Regimes abgelehnt<br />
hatte, fanden die <strong>Vor</strong>würfe der Bolschewiki<br />
die Zustimmung der Öffentlichkeit.<br />
Allerdings war das Vertrauen<br />
der sowjetischen Führung auf eine Erhebung<br />
der bucharischen Bevölkerung<br />
gering. Sie galt als zu »fatalistisch« und<br />
der islamischen Geistlichkeit hörig,<br />
welche die wichtigste Stütze des Monarchen<br />
bildete. Daher fiel die Entscheidung<br />
zugunsten einer militärischen<br />
Überraschungsoperation – ungeachtet<br />
der Moskauer Warnung vor einer<br />
Semiretschie<br />
Syrdarja<br />
Wjerny<br />
Pischpek<br />
Khanat von Kokand (später<br />
Issyk-<br />
(bis 1875) Frunse,<br />
Kul<br />
heute Bischkek)<br />
Taschkent<br />
Andischan<br />
Chodschent<br />
Samarkand<br />
Kuljab<br />
AFGHANISTAN<br />
Omsk<br />
Osch<br />
Kokand<br />
Pawlodar<br />
R U S S I S C H E S R E I C H<br />
Gurjew<br />
Semipalatinsk<br />
Akmolinsk<br />
Aralsk<br />
Balchaschsee<br />
Amudarja<br />
Syrdarja<br />
Irtysch<br />
BRITISCH-INDIEN<br />
Semipalatinsk<br />
Ust-<br />
Kamenogorsk<br />
Saisansee<br />
CHINA<br />
0 300 km<br />
Staatsgrenzen<br />
russische Grenze<br />
um 1800<br />
Linie russischer<br />
Befestigungen in den<br />
1860er-Jahren gebaut<br />
Eisenbahn<br />
Generalgouvernement<br />
Steppe<br />
Generalgouvernement<br />
Turkestan<br />
Vasallenstaat <strong>Buchara</strong> seit 1868<br />
Vasallenstaat Chiwa seit 1873<br />
Zentren der<br />
Generalgouvernements<br />
Fergana Bezirk (Oblast)<br />
Bezirks-(Oblast-)Grenzen<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2012<br />
MGFA<br />
05934-06<br />
15
<strong>Buchara</strong> <strong>1920</strong><br />
5Michail W. Frunse (Aufnahmedatum<br />
unbekannt).<br />
neuen Front in Asien. Denn eine solche<br />
war wegen der noch nicht beendeten<br />
Operationen gegen Józef Piłsudskis Polen,<br />
gegen die antikommunistischen<br />
russischen Verbände Alexander Koltschaks<br />
und Pjotr Wrangels sowie einer<br />
drohenden antisowjetischen Allianz in<br />
Zentralasien unter Führung Großbritanniens<br />
zu vermeiden.<br />
Trotz<strong>dem</strong> hielten diese <strong>Vor</strong>behalte<br />
die Taschkenter Bolschewiki nicht auf.<br />
Sie begründeten ihren Entschluss mit<br />
einem bevorstehenden antisowjetischen<br />
Bündnis zwischen Persien, Afghanistan<br />
und <strong>Buchara</strong>, <strong>dem</strong> sie zuvorkommen<br />
wollten, sowie mit <strong>dem</strong> Drängen<br />
der zum Aufstand bereiten Kommunisten<br />
und Jungbucharern. Sie verwiesen<br />
auf den Abschluss aller militärischen<br />
<strong>Vor</strong>bereitungen, die auch <strong>dem</strong><br />
Emir nicht verborgen geblieben waren.<br />
Im Übrigen hätten die von der Roten<br />
Armee unterstützte Revolution in<br />
Chiwa und Aserbaidschan sowie Moskaus<br />
Persienpolitik die Beziehungen<br />
zu <strong>Buchara</strong> längst verschlechtert. Zu<strong>dem</strong><br />
stünden die Truppen des Emirates<br />
»für einen Schlag gegen Russland bereit«,<br />
der mit »Hilfe der internationalen<br />
Imperialisten« drohe. Taschkent<br />
setzte sich schließlich u.a. durch, weil<br />
Frunse auf seiner Seite war.<br />
Die Eroberung<br />
Vom 12. August <strong>1920</strong> datierte der Operationsplan,<br />
der Angriffsbefehl erging<br />
am 25. August, und am 28. August be<br />
gann die Invasion. Frunses Truppen<br />
bestanden aus rund 7000 Infanteristen<br />
und Kavalleristen, die von 5000 Aufständischen<br />
unterstützt wurden. Zur<br />
Ausstattung gehörten 46 Geschütze,<br />
230 MG, zehn gepanzerte Kraftfahrzeuge,<br />
fünf Panzerzüge und zwölf<br />
Flugzeuge. Die Truppe gliederte sich in<br />
fünf Kolonnen und hatte den Auftrag,<br />
<strong>Buchara</strong> zu erstürmen sowie strategisch<br />
wichtige Städte im Osten des<br />
Emirats einzunehmen. Die AmuDarja<br />
Flottille sicherte die südliche Flanke.<br />
Schnell wurde Tschardschuj erobert,<br />
ein bucharisches Revolutionskomitee<br />
eingesetzt, das den Machtwechsel verkündete<br />
und wie vorgesehen die Rote<br />
Armee um Hilfe bat.<br />
Weniger erfolgreich verlief der <strong>Vor</strong>stoß<br />
gegen die Hauptstadt Alt<strong>Buchara</strong>.<br />
Frunses Abteilungen waren auf<br />
entschiedenen Widerstand gestoßen<br />
und hatten sich unter sehr hohen Verlusten<br />
zurückziehen müssen. Die regulären<br />
Streitkräfte des Emirs zählten<br />
3725 Mann Infanterie und 7850 Kavalleristen,<br />
einige Dutzend neuer Geschütze<br />
und 20 MG. Die Truppe war allerdings<br />
kaum ausgebildet und ohne<br />
jede Kampferfahrung. Zusätzlich<br />
wurde ein rund 20 000 Mann starkes<br />
Volksaufgebot (nuker) mobilisiert, das<br />
allerdings weder über eine adäquate<br />
Ausrüstung noch über moderne Waffen<br />
verfügte, sondern sich mit älteren<br />
russischen BerdanGewehren, Steinschlossflinten,<br />
Säbeln und Stöcken begnügen<br />
musste.<br />
Die Regierung des Emirats war über<br />
die sowjetischen Absichten informiert<br />
und hatte rechtzeitig rund 20 000 Mann<br />
zur Verteidigung Alt<strong>Buchara</strong>s aufgeboten,<br />
die sich wacker schlugen.<br />
Den Mangel an Ausrüstung und Feuerkraft<br />
machten sie durch fanatischen<br />
Kampfeswillen wett. Derart starken<br />
Widerstand, genährt von Patriotismus<br />
und Religion, hatten die bolschewistischen<br />
Führer nicht erwartet. Außer<strong>dem</strong><br />
– beklagte sich Frunse später – seien<br />
»die Versicherungen der bucharischen<br />
Revolutionäre über die angebliche Aufstandsbereitschaft<br />
der Bevölkerung«<br />
nichts als Lüge gewesen. Lediglich der<br />
Einsatz von Flugzeugen verhinderte<br />
ein vollständiges Niedermachen der<br />
Rotgardisten durch die bucharische<br />
Reiterei. Erst durch Verstärkungen,<br />
nach viertägigem Artilleriebeschuss,<br />
wobei angeblich auch Gas eingesetzt<br />
16 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2012<br />
bpk<br />
wurde, sowie mittels Bombardierung<br />
durch elf Flugzeuge konnte die Stadt<br />
am 2. September eingenommen werden.<br />
Sie war zur Hälfte niedergebrannt<br />
und bis zu 80 Prozent zerstört.<br />
Die Verluste waren gewaltig. Vermutlich<br />
wurde ein Drittel der 150 000<br />
Einwohner getötet, viele flohen. Berühmte<br />
Architekturdenkmäler, darunter<br />
auch der Ark, die Herrscherresidenz<br />
im Zentrum Alt<strong>Buchara</strong>s, waren<br />
zerstört, und was erhalten geblieben<br />
war, fiel Plünderungen anheim. Der<br />
Emir und Teile seines Hofstaates hatten<br />
sich in den Osten des Emirats, das<br />
heutige Tadschikistan, retten können,<br />
wo sie versuchten, mit afghanischer<br />
und britischer Hilfe den Kampf gegen<br />
die Bolschewiki fortzusetzen.<br />
Folgen<br />
Die Eroberung und Zerstörung des<br />
Emirats sicherten die sowjetische Herrschaft<br />
über Mittelasien und besaßen<br />
hohe Symbolkraft. Die Emire galten als<br />
brutale, macht und geldgierige, ja perverse<br />
Despoten, die ihre wie Sklaven<br />
behandelten Untertanen bis aufs Blut<br />
quälten und hemmungslos ausbeuteten.<br />
Dieses Bild überzeichnete zwar<br />
die wahren Verhältnisse, charakterisierte<br />
aber hinlänglich die politische<br />
Machtordnung im Khanat und den von<br />
den Herrschern angehäuften Reichtum,<br />
der zu der Not der Masse ihrer<br />
Untertanen in einem krassen Widerspruch<br />
stand. Said AlimKhan war als<br />
Emir nicht nur ein mächtiger Grundherr,<br />
er besaß auch im Ausland Immobilien<br />
und Geldvermögen. Sein Einkommen<br />
übertraf vor <strong>dem</strong> Ersten Weltkrieg<br />
vermutlich die Höhe der Einnahmen<br />
des Zarenreichs aus RussischTurkestan.<br />
Lebensstil und Regime entsprachen<br />
durchaus den Bildern eines asiatischen<br />
Despoten, wie die Bolschewiki<br />
sie pflegten. Daher schien den Kommunisten<br />
in Taschkent die Eroberung<br />
<strong>Buchara</strong>s und die Zerstörung seiner<br />
materiellen Kultur nicht nur gerechtfertigt,<br />
sie bildete geradezu die <strong>Vor</strong>bedingung<br />
für jeden sozialistischen Neuanfang.<br />
Dies dürfte bei den massiven Plünderungen<br />
eine Rolle gespielt haben. Sie<br />
begannen bereits unmittelbar nach der<br />
Einnahme <strong>Buchara</strong>s, wobei die Truppe<br />
von ihren Kommandeuren kaum zur<br />
Disziplin gebracht werden konnte. Wie
letztere nach Moskau meldeten, waren<br />
die Übergriffe von Angehörigen einheimischer<br />
Regimenter ausgegangen,<br />
die sich angeblich schlimmer als ihre<br />
russischen Kameraden aufgeführt hatten.<br />
Ein politisch Verantwortlicher erklärte<br />
die Übergriffe »als ein Resultat<br />
der ungeheueren Schwäche der örtlichen<br />
Revolutionäre«. Aber der Rest<br />
der Truppe stand ihnen nicht nach.<br />
Selbst ein Befehl Frunses, Plünderer<br />
standrechtlich zu erschießen, blieb<br />
praktisch folgenlos, denn wie in vielen<br />
anderen Fällen des Bürgerkrieges auch,<br />
waren die Offiziere darauf angewiesen,<br />
ihre Truppe bei Laune zu halten.<br />
Neben Schatzkammern und Truhen<br />
sowie den Einrichtungen der Herrscherresidenzen<br />
wurde auch die einfache<br />
Bevölkerung ausgeplündert und<br />
drangsaliert. Es kam zu Vergewaltigungen,<br />
Wegtrieb von Vieh, Raub von<br />
Lebensmitteln und Niederbrennen von<br />
Dörfern, Häusern sowie Wohnungen.<br />
Entsetzte Beobachter sprachen von<br />
»fürchterlichen Pogromen«. Selbst die<br />
Requirierungen der sowjetischen Behörden<br />
nahmen ein Ausmaß an, das<br />
nur als Raub und Ausplünderung zu<br />
bezeichnen war. Sogar religiöse Einrichtungen,<br />
Moscheen und Madrasse<br />
(Schulen) wurden nicht verschont; sie<br />
dienten als Kasernen und Pferdeställe.<br />
Frunse und seinen Truppen erbeuteten<br />
unglaubliche Schätze, darunter<br />
ein Teil der Gepäckwagen des flie<br />
henden Emirs. Mit Güterzügen wurden<br />
die Raubgüter nach Taschkent und<br />
sonst wohin verbracht. Die Schätze<br />
wurden nicht, wie zwischenzeitlich erwogen,<br />
nach Moskau transportiert,<br />
sondern unter der Aufsicht der Turkestanischen<br />
Republik in Taschkent gelagert.<br />
Bei Revisionen im Jahr 1922 wurden<br />
dort folgende Wertgegenstände<br />
gezählt:<br />
705 Truhen und 904 Säcke mit 72 t Silbermünzen,<br />
1453 Silberbarren und 42<br />
Silberplatten mit einem Gewicht von<br />
6,6 t, 108 Truhen und Kisten mit silbernen<br />
Gegenständen, 220 kg Gold, 35 428<br />
Goldmünzen zu 5 Rubel, 5030 Münzen<br />
zu 10 Rubel, <strong>13</strong>82 ältere Rubelmünzen,<br />
10 037 Bucharische Goldmünzen, »außer<strong>dem</strong><br />
Edelsteine, goldene bucharische<br />
Ordenssterne und Medaillen<br />
und wertvolle mit Brillanten und Rubinen<br />
besetzte und mit Emaillearbeiten<br />
verzierte goldene Paradesäbel«. Schon<br />
1925 war ihr Verbleib aber nicht mehr<br />
festzustellen. Offenkundig waren die<br />
turkestanischen Verwalter der Schätze<br />
in die Fußstapfen der Plünderer von<br />
<strong>1920</strong> getreten. Nur wenige waren dafür<br />
zur Rechenschaft gezogen und die wenigsten<br />
bestraft worden.<br />
Nachspiel<br />
Frunse selbst wurde 1921 vor eine Untersuchungskommission<br />
zitiert. Sie<br />
warf ihm vor, die Flucht des Emirs<br />
5Volkskommissar Michail W. Frunse (2.v. l.) nimmt 1925 auf <strong>dem</strong> Roten Platz in Moskau<br />
eine Parade ab..<br />
bpk<br />
nicht verhindert zu haben und auf die<br />
Verhandlungsangebote über einen<br />
Waffenstillstand nicht eingegangen zu<br />
sein. Erst dadurch seien eine friedliche<br />
Übergabe <strong>Buchara</strong>s verhindert und die<br />
Plünderungen ermöglicht worden. Zusätzlich<br />
hatte er sich für den Raub von<br />
Kriegstrophäen durch seine Truppen<br />
sowie die Veruntreuung des vom Emir<br />
zurückgelassenen Vermögens zu verantworten.<br />
Hinzu kam der Verdacht, er<br />
selbst habe sich bereichert. Allerdings<br />
wurde das Verfahren bald eingestellt,<br />
da die <strong>Vor</strong>gänge in <strong>Buchara</strong> nach zeitgenössischer<br />
Argumentation keine Besonderheiten<br />
darstellten. Mit Blick auf<br />
die konterrevolutionären Bedrohungen<br />
und Schädigung des Ansehens der<br />
Sowjetmacht schien es zu<strong>dem</strong> weder<br />
nützlich noch politisch klug, gegen<br />
hohe Parteifunktionäre vorzugehen.<br />
Zu<strong>dem</strong> wurde Frunse zu diesem Zeitpunkt<br />
als Oberbefehlshaber in der<br />
Ukraine dringend benötigt und hatte<br />
damit eine sehr entscheidende Position<br />
inne. Zwar war die Zugehörigkeit der<br />
ukrainischen Territorien zum Sowjetstaat<br />
im März 1921 durch den Frieden<br />
von Riga bestätigt worden, aber die<br />
Herrschaft der Bolschewiki war noch<br />
keineswegs gefestigt.<br />
Im aufgelösten Emirat wurde am<br />
6. Oktober <strong>1920</strong> die Bucharische Sowjetische<br />
Volksrepublik (BNSR) ausgerufen.<br />
Das Blutvergießen hielt allerdings<br />
noch viele Jahre an. Zwar ging der<br />
Emir im April 1921 ins Exil nach Afghanistan,<br />
aber die Basmatschi konnten<br />
erst Ende der 20er Jahre als besiegt<br />
betrachtet werden. Im Oktober 1924<br />
ging die BNSR in der neu gegründeten<br />
Usbekischen SSR, Gliedstaat der<br />
UdSSR, auf.<br />
Rudolf A. Mark<br />
Literaturtipps<br />
Baymirza Hayit, Sowjetrussische Orientpolitik am Beispiel<br />
Turkestans, Köln, Berlin 1962.<br />
Vladimir Genis, »S Bucharoj nado končat’ ...« K istorii butaforskich<br />
revoljucij. Dokumental’naja chronika [»Mit <strong>Buchara</strong><br />
ist Schluss zu machen ...« Zur Geschichte der inszenierten<br />
Revolutionen. Eine Dokumentenchronik], Moskva<br />
2001.<br />
P.M. Abdullaev [u. a.], Turkestan v načale XX veka: k istorii<br />
istokov nacional’noj nezavisimosti [Turkestan zu Beginn<br />
des 20. Jh.: Zur Geschichte der Ursprünge der nationalen<br />
Unabhängigkeit], Taškent 2000.<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2012<br />
1
Sanitätsdienst vor Stalingrad<br />
Eine Division<br />
verblutet …<br />
Die sanitätsdienstliche<br />
Versorgung der 295. Infan-<br />
teriedivision auf <strong>dem</strong><br />
Weg nach Stalingrad<br />
»Tausende Verwundete liegen da auf freiem<br />
Feld, halb eingeschneit, und wer noch laufen<br />
konnte, ging einfach über sie hinweg. Ein Großteil<br />
der Landser war nicht mehr bei Sinnen. Die<br />
schlugen sich mit <strong>dem</strong> Stahlhelm auf den Kopf<br />
oder waren völlig apathisch. All das Elend hat<br />
sie um den Verstand gebracht. Und dann der eisige<br />
Wind, die Kälte, in der die Glieder abfrieren<br />
und nichts zu essen – die sind übergeschnappt.«<br />
So schildert ein deutscher Soldat<br />
den Zustand seiner Kameraden<br />
in Stalingrad kurz vor <strong>dem</strong> Ende<br />
der Kämpfe. Aber selbst in diesem<br />
apokalyptischen Inferno gab es immer<br />
noch Ärzte und Sanitätspersonal, die<br />
in den Stalingrader Sterbekellern operierten<br />
und Wunden verbanden.<br />
In den Lazaretten der Wehrmacht und<br />
der WaffenSS wurden insgesamt 52,4<br />
Millionen Verwundete und Kranke betreut.<br />
Anhand der sanitätsdienstlichen<br />
Versorgung der 295. Infanteriedivision<br />
(ID) sollen im Folgenden exemplarisch<br />
die Möglichkeiten und Probleme des<br />
Sanitätsdienstes im Zweiten Weltkrieg<br />
aufgezeigt werden.<br />
Die 295. ID wurde am 10. Februar<br />
1940 aus Angehörigen des Reichsarbeitsdienstes<br />
im Wehrkreis Hannover<br />
(Wehrkreiskommando XI Blankenburg)<br />
als Division der 8. Welle aufgestellt.<br />
Die Soldaten kamen vorwiegend<br />
aus Baubataillonen und waren größtenteils<br />
militärisch nicht ausgebildet. Die<br />
Stäbe wurden teils neu aufgestellt, teils<br />
gaben andere aktive Einheiten Offiziere<br />
ab. Die 295. ID wies von Anfang an einen<br />
hohen Anteil an Reservisten auf.<br />
Nach der Ausbildung im Jahr 1940<br />
wurde die Division personell weiter<br />
aufgefüllt. Die Gefechtsverpflegungsstärke<br />
betrug anfangs <strong>13</strong> 800 Mannschaften<br />
und 4000 Pferde. Im Frankreichfeldzug<br />
kam die Division erstmals<br />
18 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2012<br />
5Ein Blockhaus dient als Lazarett, Sowjetunion, vermutlich 1941.<br />
zum Einsatz, später betrieb sie in Frankreich<br />
Küstenschutz. Anschließend war<br />
sie in Südpolen eingesetzt. Beim Angriff<br />
auf die Sowjetunion gehörte sie zur<br />
Gruppe der deutschen »Spitzendivisionen«,<br />
sprich: Sie gelangte mit am weitesten<br />
nach Osten. Zu<strong>dem</strong> war sie stets<br />
in Angriffsoperationen verwickelt: Zwischen<br />
Juni 1941 und Juli 1942 war die<br />
295. ID jene Division, die die höchsten<br />
Verluste der 17. Armee erlitt. Im Januar<br />
1943 überrannten sowjetische Truppen<br />
die Division in Stalingrad und vernichteten<br />
sie völlig. Später wurde sie neu<br />
aufgestellt und geriet in Norwegen in<br />
britische Kriegsgefangenschaft.<br />
Die Sanitätsausstattung der<br />
Division<br />
Den Ablauf der Verwundetenversorgung<br />
innerhalb der 295. ID regelten<br />
Verordnungen für das Wehrmachtsanitätswesen.<br />
Im Frontbereich nahmen<br />
nach der Selbsthilfe und der Hilfe<br />
durch Kameraden Sanitäter des Bataillons<br />
die erste fachgerechte Versorgung<br />
vor.<br />
Der Truppenverbandplatz bildete die<br />
unterste Ebene der ärztlichen Versorgung.<br />
Große Operationen konnten dort<br />
allerdings nicht erfolgen. Die Ärzte<br />
führten nur lebensrettende Sofortmaßnahmen<br />
und eine Schmerzbekämpfung<br />
mittels Morphium durch. Die Ver<br />
sorgung der Verwundeten durch die<br />
Truppenärzte fand oft schon auf <strong>dem</strong><br />
Schlachtfeld statt, was hohe Verlustraten<br />
auch bei den Ärzten zur Folge hatte.<br />
Nach der Versorgung durch den<br />
Truppenarzt sollten die Verwundeten<br />
möglichst schnell zur nächsthöheren<br />
Ebene, <strong>dem</strong> Hauptverbandplatz, transportiert<br />
werden, der 4 bis 5 km hinter<br />
der Front an einem geschützten Ort<br />
einzurichten war, allerdings noch im<br />
Feuerbereich der gegnerischen Artillerie<br />
lag und durch feindliche Panzervorstöße<br />
bedroht war.<br />
Der 295. ID unterstanden zwei unabhängig<br />
voneinander operierende Sanitätskompanien.<br />
Die Sanitäter suchten<br />
das Gefechtsfeld ab, transportierten<br />
die Verwundeten und Erkrankten mit<br />
Sanitätsfahrzeugen und versorgten sie<br />
auf <strong>dem</strong> von ihnen eingerichteten<br />
Hauptverbandplatz. Eine dieser Sanitätskompanien<br />
war bespannt (Ausstattung<br />
mit Pferden) und die andere motorisiert<br />
(Ausstattung mit Lkw). Jede<br />
Sanitätskompanie führte ein Stabsarzt,<br />
daneben gehörten ihr noch ein Oberarzt<br />
der Reserve, zwei Assistenzärzte der<br />
Reserve und zwei Unterärzte der Reserve<br />
an. Eine bespannte Sanitätskompanie<br />
hatte eine Stärke von 286 Mann,<br />
eine motorisierte im Schnitt 180 Soldaten,<br />
weil weniger Krankenträger und<br />
Personal für die Versorgung der Pferde<br />
notwendig waren.<br />
BArch
Auf <strong>dem</strong> Hauptverbandplatz führten<br />
die Sanitätsoffiziere die sogenannte<br />
Triage durch. Diese ethisch schwierige<br />
Aufgabe der ersten Sichtung entschied<br />
über die Behandlungsreihenfolge sowie<br />
die Intensität der medizinischen<br />
Behandlung, und sie beantwortete die<br />
Frage der Transportfähigkeit. Schwerstverletzte<br />
wurden abwartend versorgt<br />
und blieben in der Regel auf <strong>dem</strong><br />
Hauptverbandplatz. <strong>Vor</strong> allem Schockbekämpfung,<br />
Schmerzlinderung und<br />
die Fixation von Brüchen sowie lebensnotwendige<br />
Operationen wurden durchgeführt.<br />
Die Bandbreite der medizinischen<br />
Maßnahmen richtete sich dabei<br />
stets nach den Möglichkeiten der Gefechtslage.<br />
Zusätzlich zu diesen beiden Sanitätskompanien<br />
besaß die 295. ID noch ein<br />
bespanntes Feldlazarett und zwei Krankenkraftwagenzüge.<br />
Das Feldlazarett<br />
wurde 10 bis 15 km hinter der Front<br />
eingerichtet und verfügte über sechs<br />
Ärzte, darunter in der Regel ein bis<br />
zwei Fachchirurgen. Das Feldlazarett<br />
bildete den Schwerpunkt der chirurgischen<br />
Versorgung und konnte 100 bis<br />
200 Verletzte stationär betreuen. Verletzte<br />
wurden geröntgt und in mehreren<br />
Operationsräumen chirurgisch versorgt.<br />
Durch den Einsatz von zwei Chirurgengruppen<br />
konnten in 24 Stunden etwa<br />
150 bis 200 Verwundete verschiedener<br />
Schweregrade behandelt werden.<br />
Der Angriff auf die Sowjetunion<br />
Seit den frühen Morgenstunden des<br />
22. Juni 1941 beteiligte sich die 295. ID<br />
im Verband der 17. Armee am Überfall<br />
auf die Sowjetunion. Gemeinsam mit<br />
152 anderen Divisionen, aufgeteilt auf<br />
drei Heeresgruppen (Süd, Mitte und<br />
Nord), begann sie den <strong>Vor</strong>marsch auf<br />
einer Frontbreite von gut <strong>13</strong>00 Kilometern.<br />
Die Division konnte in den ersten<br />
Wochen des Angriffs große Raumgewinne<br />
verzeichnen. Ihre Marschleistungen<br />
waren enorm. Vom 1. April bis zum<br />
7. November 1941 hatten die Soldaten<br />
der Division 2011 km zurückgelegt.<br />
Die Schlammperiode bremste jedoch<br />
den weiteren <strong>Vor</strong>marsch. Die Wege<br />
weichten auf und wurden zunehmend<br />
unpassierbar. Geschütze und Logistiktransporte<br />
mussten sechs und achtspännig<br />
nachgezogen werden. Die<br />
Pferde erschöpften sich bei dieser gewaltigen<br />
Anstrengung völlig. Die vor<br />
gegebenen militärischen Ziele waren<br />
deshalb nicht mehr zu erreichen. Auch<br />
die motorbetriebenen Fahrzeuge verschlissen<br />
zunehmend und wurden betriebsuntauglich.<br />
Die Situation im<br />
November 1941 war katastrophal, wie<br />
Divisionskommandeur Oberst Otto<br />
Korfes, später führendes Mitglied des<br />
Nationalkomitees Freies Deutschland<br />
(NKFD), am 27. März 1942 im Kriegstagebuch<br />
der Division ausführte:<br />
»Bei 35 Grad Kälte hatten wir keinerlei<br />
Winterbekleidung. Von Januar ab<br />
traf die Kleidung tropfenweise ein;<br />
noch heute haben 1/5 der Leute keine<br />
Wintermäntel, die anderen 4/5 nur deswegen,<br />
weil so viele gefallen, verwundet<br />
oder erfroren in die Lazarette gekommen<br />
sind. Ich weiß heute noch<br />
nicht, wie vielen meiner Soldaten<br />
Glieder abgenommen worden sind [...]<br />
Meine Truppe kämpft jetzt, ohne jemals<br />
abgelöst zu sein, in der vordersten<br />
Linie seit <strong>dem</strong> <strong>13</strong>. September 1941.«<br />
Medizinische<br />
Herausforderungen während<br />
des <strong>Vor</strong>marsches<br />
Schon mit Beginn des Russlandfeldzuges<br />
waren die Probleme des Sanitätsdienstes<br />
der Division kaum zu lösen.<br />
Durch das schnelle Tempo des <strong>Vor</strong>marsches<br />
bedingt, wurden möglichst<br />
alle Verwundeten in rückwärtige Sanitätseinrichtungen<br />
verbracht. Der Sanitätsdienst<br />
der Division errichtete 32<br />
Krankensammelpunkte und 47 Hauptverbandplätze.<br />
Die Krankenkraftwagen<br />
des I. Zuges legten <strong>13</strong>7 053 km und<br />
die des II. Zuges 100 864 km zurück.<br />
Im Winter 1941 traten bei den Soldaten<br />
der 295. ID zahlreiche Erfrierungen<br />
auf. Aufgrund der Kriegslage durften<br />
die Soldaten ihren Posten oftmals nicht<br />
verlassen. Ein Arzt schilderte, dass einmal<br />
sogar die Hand eines Maschinengewehrschützen<br />
am MG festgefroren<br />
war. Die Erfrierungen verschlimmerten<br />
sich noch dadurch, dass die Truppe<br />
keine festen Unterkünfte hatte.<br />
Auch der Abtransport der Verwundeten<br />
bereitete zunehmend Probleme.<br />
Zum einen sank die sanitätsdienstliche<br />
Transportkapazität durch die geringer<br />
werdende Anzahl von Pferden. Die<br />
Schwerstverletzten und erkrankten<br />
mussten zum anderen lange Strecken<br />
in den Krankenwagen der Division zurücklegen,<br />
wo jedoch keine Heizmög<br />
lichkeit bestand. Die Verwundeten kamen<br />
deshalb meist in einem äußerst<br />
schlechten Zustand auf <strong>dem</strong> Hauptverbandplatz<br />
oder im Feldlazarett an.<br />
Auf den Hauptverbandplätzen der<br />
295. ID mussten aus Mangel an Möglichkeiten<br />
oft ungeeignete Gebäude genutzt<br />
werden. Es fehlte an Desinfektionsmittel,<br />
Operationshandschuhen<br />
und chirurgischen Instrumenten, und<br />
die unzureichende Versorgung mit<br />
Wasser ließ kaum eine Desinfektion<br />
der Hände zu. Amputierte Glieder und<br />
verdreckte Verbände mussten in Kisten<br />
und Eimern entsorgt werden, die<br />
ein stetes hygienisches Problem bildeten,<br />
da unentwegt die Gefahr bestand,<br />
dass sich Wundinfektionen bildeten.<br />
Für die Narkose wurden Äther oder<br />
Chloroform verwendet. Über eine Narkosemaske<br />
oder mehrfach zusammengelegte<br />
Mullkompressen gaben Sanitätsunteroffiziere<br />
bis zu 75 Tropfen<br />
Narkotikum auf Mund und Nase. Allerdings<br />
bestand bei der Benutzung von<br />
Äther durch die Verbreitung der Dämpfe<br />
Explosionsgefahr. Da auf <strong>dem</strong> Hauptverbandplatz<br />
meist mit Karbidlampen<br />
und Kerzen operiert wurde, stellte dies<br />
ein großes zusätzliches Risiko für Patient<br />
und Operationsteam dar. Manchmal<br />
schliefen die Ärzte auch bei einer<br />
Operation ein, wenn sie selbst zu viele<br />
Narkosedämpfe eingeatmet hatten.<br />
Der Sanitätsunteroffizier Heinrich<br />
Kuck schilderte im September 1941 in<br />
einem Brief von der Front, der in der<br />
Wehrgeschichtlichen Lehrsammlung<br />
des Sanitätsdienstes der Bundeswehr<br />
(SanAkBw), München, überliefert ist,<br />
die Situation im Operationssaal:<br />
»Bei je<strong>dem</strong> Verwundeten beginnt ein<br />
neues Bangen und Fragen, wenn wir<br />
die Verbände lösen. Wie viele Stunden<br />
stehen wir nun schon pausenlos am<br />
Operationstisch? Es geht nicht mehr so<br />
weiter. Die alten blutigen Verbände<br />
türmen sich im Raum, die Luft ist von<br />
Wundgeruch und Narkosemitteln unerträglich.<br />
Die Zahl der unversorgten<br />
Verwundeten wird aber nicht weniger,<br />
sondern mehr, denn trotz Dunkelheit<br />
finden uns immer mehr Fahrzeuge mit<br />
Verwundeten [...] Wenn doch Ablösung<br />
käme! Aber woher sollte sie wohl<br />
kommen? Mein Doktor hat schwarze<br />
Ränder um die Augen und ist gelbblass<br />
im Gesicht wie die Schwerverwundeten<br />
selbst. Hin und wieder<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2012<br />
19
Sanitätsdienst vor Stalingrad<br />
stützt er sich am Tisch. Mir brennen<br />
die Augen, die Hände zittern, aber es<br />
geht noch.«<br />
Für Schwerverletzte stellte der Wehrmachtsanitätsdienst<br />
Blut und Blutersatzstoffe<br />
bereit. Allerdings fehlte für<br />
die Gabe von Bluttransfusionen bei<br />
den Soldaten eine zuverlässige Blutgruppenbestimmung,<br />
und meist standen<br />
die Konserven aufgrund ihrer<br />
geringen Haltbarkeit nicht zur Verfügung.<br />
Auf den Hauptverbandplätzen<br />
der 295. ID wurde deshalb die Blutübertragung<br />
von Mann zu Mann vorgenommen.<br />
Häufig spendete auch das<br />
Sanitätspersonal Blut, was dieses weiter<br />
körperlich schwächte. Schwerste<br />
Verletzungen an Armen und Beinen<br />
wurden amputiert, was allen an der<br />
Operation Beteiligten Übermenschliches<br />
abverlangte:<br />
»Für die Amputation brauchen wir<br />
noch zwei Hilfskräfte [...] Einer leuchtet<br />
mit der Karbidlampe, der andere<br />
hält das zerschossene Bein. Die beiden<br />
»Hilfsschwestern« sind sehr aufgeregt<br />
und müssen erst energisch angeredet<br />
werden. Da passiert es! Der Laternen<br />
5Verwundetentransport mit einem LKW, Ostfront.<br />
20 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2012<br />
halter sinkt um und liegt nun lang im<br />
Zimmer. Krampfhaft hält der Ohnmächtige<br />
die brennende Lampe fest<br />
und hätte sich und uns beinahe böse<br />
angebrannt. So eine Sauerei! Es kann<br />
sich jetzt keiner um ihn kümmern. Im<br />
Augenblick der Lostrennung wird<br />
auch der andere gelb im Gesicht. Hilflos<br />
steht er mit <strong>dem</strong> amputierten Glied<br />
da. Ich habe nicht nach ihm sehen können,<br />
da jeder nur auf seine Arbeit zu<br />
schauen hat, das ist nun mal Operationsdisziplin.<br />
Ich kann <strong>dem</strong> armen<br />
Kerl noch rechtzeitig unsanft in den<br />
Hosenboden treten, sodass er nicht<br />
umfällt. So ist ihm und uns geholfen.«<br />
Bauchschüsse mussten möglichst<br />
schnell in rückwärtige Sanitätseinrichtungen<br />
verlegt und dort operiert werden.<br />
Wegen der militärischen Lage war<br />
es den Ärzten der 295. ID jedoch häufig<br />
nicht möglich, die Patienten weiterzuverlegen.<br />
Die Todesrate bei Bauchschüssen<br />
belief sich auf 68 bis 83 Prozent.<br />
Die große Anzahl der Verletzten<br />
insgesamt brachte den Sanitätsdienst<br />
der Division immer wieder an den<br />
Rand des Zusammenbruchs.<br />
Hero Kuck<br />
Der Weg in den Untergang –<br />
Stalingrad<br />
Am 20. August 1942 trat die 6. Armee<br />
am Don zum Angriff an. Nach massiven<br />
Kämpfen brach die 295. ID, seit<br />
August der 6. Armee unterstellt, am<br />
14. September im Zentrum von Stalingrad<br />
bis zur Wolga durch. Ab Mitte<br />
September musste jedoch aus Kräftemangel<br />
das Angriffstempo gedrosselt<br />
werden. Die Division war abgekämpft.<br />
Der Häuserkampf der zerstörten Stadt<br />
erlaubte der Division kaum noch einen<br />
Kampf der verbundenen Waffen (mit<br />
Flugzeugen und Panzern). Weil den<br />
Soldaten immer wieder die Munition<br />
ausging, wurde mit Bajonetten, Spaten<br />
und sogar mit Steinen gekämpft. Trotz<br />
völliger Erschöpfung musste die Division<br />
immer wieder angreifen.<br />
Am 19. November begann im Schneegestöber<br />
die Einkesselung der 6. Armee,<br />
die das Schicksal von etwa 350 000<br />
deutschen (die genaue Anzahl ist bis<br />
heute unbekannt) und der mit ihnen<br />
verbündeten Soldaten besiegelte. Nach<br />
der Einschließung durch die Sowjetarmee<br />
war der Kessel zuerst etwa 60 km<br />
lang und 40 km breit. Die 295. ID war<br />
in gut ausgebauten Stellungen an der<br />
Wolga eingesetzt. Von November 1942<br />
bis Januar 1943 gab es bei ihr nur geringe<br />
Kampfhandlungen. Erst im Januar<br />
wurden die Deutschen in die<br />
Stadt zurückgedrängt. Die Armee verlor<br />
dabei die für die Versorgung so lebensnotwendigen<br />
Flugplätze.<br />
Der Sanitätsdienst zerbricht …<br />
Die zunehmenden Straßen und Häuserkämpfe<br />
führten zu schwersten Verletzungen<br />
durch Karabiner und Maschinenpistolen.<br />
Besonders in den<br />
Nächten wurde die Wehrmacht von<br />
der Roten Armee durch das Abschießen<br />
von Leuchtraketen und Stoßtruppunternehmen<br />
auch psychisch schwer<br />
belastet. Dazu kam die zunehmende<br />
Luftüberlegenheit der Sowjets. Die<br />
psychische Überbeanspruchung zeigt<br />
sich auch an <strong>dem</strong> steigenden Munitionsverbrauch<br />
bei den Infanteriewaffen.<br />
Splitter von Granaten, Bomben<br />
und Minen brachten den Soldaten<br />
schwerste Verletzungen bei. Besonders<br />
die schweren Verbrennungen bereiteten<br />
den Ärzten Versorgungsprobleme.<br />
Die großflächigen Wunden ent
5Transport von Verwundeten mit einer Fieseler Fi 156, Feldflugplatz am Don.<br />
zündeten sich und Wundbrand war die<br />
Folge.<br />
Am 19. September hatte man auf <strong>dem</strong><br />
Hauptverbandplatz der Division innerhalb<br />
von wenigen Tagen bereits<br />
rund 1000 Verwundete versorgt. Am<br />
28. September zählte der Hauptverbandplatz<br />
den 2000. Verwundeten. Es<br />
fehlte schlicht an allem – an Decken, an<br />
Medikamenten, an Verbandmaterial.<br />
Der Zustand der 295. ID verschlechterte<br />
sich zusehends. Die Division war<br />
bald nicht mehr in der Lage anzugreifen.<br />
Seit der Einkesselung konnten Verwundete<br />
und Kranke der Division nur<br />
noch auf <strong>dem</strong> Luftweg abtransportiert<br />
werden, Medikamente und Verbandmaterial<br />
mussten eingeflogen werden.<br />
Jedoch hatten beim Transportraum<br />
Munition und Betriebsstoffe <strong>Vor</strong>rang.<br />
Wie viele Kranke und Verletzte letztlich<br />
den Kriegsschauplatz mit <strong>dem</strong><br />
Flugzeug verließen, ist unklar, da viele<br />
Flugzeuge abgeschossen wurden. Auf<br />
den Flugplätzen nahm die Zahl der<br />
Verwundeten stetig zu. Die Kranken<br />
lagen unversorgt in Zelten auf der Erde<br />
und erfroren jämmerlich. Die ausgeflogenen<br />
Verwundeten durften zuerst<br />
nicht in die Heimat. Hitler befahl, dass<br />
keiner von ihnen über die Dnjeprlinie<br />
verlegt werden durfte. Nachrichten<br />
von der Front bei Stalingrad sollten so<br />
nicht ungefiltert in das Reich gelangen.<br />
Die letzte Maschine verließ Stalingrad<br />
am 23. Januar 1943.<br />
Während des Rückzugs in die zerstörte<br />
Stadt verschärfte sich die sanitätsdienstliche<br />
Versorgung. Verbandplätze<br />
durften nur in Feindeshand fallen,<br />
wenn vorher alle Ärzte und das Sanitätspersonal<br />
abgezogen wurden, die<br />
Verwundeten wurden häufig einfach<br />
ihrem Schicksal überlassen.<br />
Durch den Verlust der Flugplätze<br />
konnte am Ende aus der Stadt niemand<br />
mehr ausgeflogen werden. Es fehlte an<br />
schmerzstillenden Medikamenten.<br />
Eine Registrierung der Verwundeten<br />
fand nicht mehr statt, die Toten blieben<br />
einfach liegen. Die noch kampffähigen<br />
Soldaten waren geschwächt und apathisch,<br />
sie reagierten häufig nicht einmal<br />
mehr, wenn sie angesprochen wurden.<br />
Da nur noch verunreinigtes Wasser<br />
zur Verfügung stand, brach die Ruhr<br />
aus. Die blutigen Durchfälle belasteten<br />
die Kampffähigkeit. Die Verlausung<br />
und der Typhus nahmen ebenfalls zu.<br />
Ab Dezember 1942 traten ungeklärte<br />
Todesfälle bei der Armee auf. Die Soldaten<br />
starben einfach ohne erkennbaren<br />
Grund. Ein eingeflogener Pathologe<br />
stellte fest, dass die Armee langsam<br />
verhungerte. Der Kräfteverfall der<br />
Truppen, insbesondere auch beim Sanitätspersonal,<br />
bewirkte, dass sich das<br />
medizinische Versorgungssystem zusehends<br />
auflöste. Verwundete erhielten<br />
keine Verpflegung mehr und blieben<br />
deshalb bei ihren Einheiten. Um die<br />
Kampfkraft zu erhalten, mussten zahl<br />
Hero Kuck<br />
reiche Sanitäter der Division die Lücken<br />
bei der Infanterie stopfen. Mit <strong>dem</strong> Beginn<br />
der sowjetischen Offensive ab<br />
<strong>dem</strong> 10. Januar verschärfte sich die<br />
Lage für die Verwundeten noch weiter.<br />
Eine organisierte medizinische Versorgung<br />
existierte nicht mehr. Verwundete,<br />
Kranke und Hungernde flohen in<br />
das Stadtzentrum. Da es dort jedoch<br />
keine Unterkünfte gab, erfroren sie zu<br />
Hunderten. Ein Funkspruch vom 24. Januar<br />
1943 an die Heeresgruppe Don<br />
verdeutlicht die chaotische Situation<br />
der sterbenden 6. Armee: »Grauenhafte<br />
Zustände im engeren Stadtgebiet, wo<br />
etwa 20 000 Verwundete unversorgt in<br />
Häuserruinen Obdach suchen. Dazwischen<br />
ebenso viele Ausgehungerte,<br />
Frostkranke und Versprengte, meist<br />
ohne Waffen, die im Kampf verloren<br />
gingen. Starkes Artilleriefeuer auf<br />
ganzem Stadtgebiet.«<br />
Am 23. Januar 1943 befand sich die<br />
Chirurgengruppe der 2. Sanitätskompanie<br />
in Karpowka, wo auch das Feldlazarett<br />
war. Es ist anzunehmen, dass<br />
sich die Sanitätskompanie in den Nordteil<br />
des Kessels flüchtete, als Karpowka<br />
von den Sowjets überrannt wurde.<br />
Dort verlieren sich die Spuren. Die<br />
Rote Armee vernichtete die Reste der<br />
Division. In vielen Häusern und Kellern<br />
vegetierten die verletzten und erkrankten<br />
Soldaten nur mehr vor sich<br />
hin. Am 31. Januar ging der Oberbefehlshaber<br />
der 6. Armee, Friedrich Paulus,<br />
in Gefangenschaft, und am 3. Februar<br />
gab das Oberkommando der<br />
Wehrmacht bekannt: »Der Kampf um<br />
Stalingrad ist zu Ende.« Das galt jedoch<br />
nicht für die verwundeten und<br />
erkrankten Soldaten, die nur langsam –<br />
und oftmals auch gar nicht – sich von<br />
ihren Verletzungen erholten. Für die<br />
Überlebenden der 6. Armee begann<br />
mit der Kriegsgefangenschaft ein<br />
neues, jahreslanges Leiden.<br />
Literaturtipps<br />
Christoph Schneider<br />
Eckehart Guth (Hrsg.), Sanitätswesen im Zweiten Weltkrieg,<br />
Bonn 1990 (= <strong>Vor</strong>träge zur Militärgeschichte, 11).<br />
Christian Hartmann, Unternehmen Barbarossa. Der deutsche<br />
Krieg im Osten 1941–1945, München 2011.<br />
Wolfgang Kirstein, Rekonstruktionen eines Tage-Buches.<br />
Die 295. Infanterie-Division 1939–1945, Langelsheim<br />
2004.<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2012<br />
21
Service<br />
Napoleon Bonaparte stiftete 1802<br />
als Erster Konsul den wichtigsten<br />
Orden Frankreichs, dessen<br />
Statuten mehrfache Veränderungen<br />
erfuhren. Während der letzten zweihundertzehn<br />
Jahre wurden mehr als<br />
eine Million Zivilisten und Militärs mit<br />
<strong>dem</strong> <strong>Kreuz</strong> der Ehrenlegion ausgezeichnet.<br />
Besonders in den Kriegen des<br />
20. Jahrhunderts stieg die Zahl der Ordensträger<br />
von 50 000 im Jahre 1914<br />
auf über 300 000 im Jahre 1963. Ein Jahr<br />
zuvor war auf Anweisung des französischen<br />
Staatspräsidenten Charles de<br />
Gaulle ein neuer Kodex festgelegt und<br />
am 3. Dezember ein neuer nationaler<br />
Verdienstorden geschaffen worden.<br />
Dadurch sank in den folgenden Jahren<br />
die Zahl der Ordensträger der Ehrenlegion<br />
auf weniger als 100 000. Jährlich<br />
werden etwa 3500 Kandidaten neu vorgeschlagen,<br />
davon 2200 Zivilisten. Der<br />
Kodex legt fest, dass je nach Grad und<br />
Würde nicht mehr als 125 000 lebende<br />
Träger die Auszeichnung tragen dürfen:<br />
75 Großkreuzträger, 250 Großoffiziere,<br />
1250 Kommandeure, 10 000 Offiziere,<br />
1<strong>13</strong> 425 Ritter der Ehrenlegion.<br />
2012 zählte der Orden ungefähr 93 000<br />
Mitglieder, eine Zahl, die seit ungefähr<br />
zehn Jahren stabil geblieben ist.<br />
Aus historischen Gründen erfolgten<br />
lange Zeit vorwiegend Nominierungen<br />
aus den Reihen der Militärs, seit 1970<br />
stieg allerdings die Zahl der Zivilisten<br />
stetig an. Diese stellen heute zwei Drittel<br />
der Ausgezeichneten. Die Auszeichnung<br />
illustriert die Gesamtheit der Aktivitäten<br />
des Landes und ist ein getreues<br />
Spiegelbild der französischen Nation.<br />
»Die Ehrenlegion ist die höchste nationale<br />
Auszeichnung. Sie wird als Belohnung<br />
vergeben für herausragende Verdienste<br />
an die Nation, sei es im zivilen<br />
oder militärischen Bereich.« (Artikel R 1<br />
des Codex der Ehrenlegion vom 28. November<br />
1962).<br />
Der Präsident der Französischen Republik<br />
ist der Großmeister der Ehrenlegion.<br />
Er ernennt den Großkanzler,<br />
der für einen Zeitraum von sechs Jahren<br />
aus den Reihen der Großkreuzträger<br />
ausgewählt wird. Dieser steht <strong>dem</strong><br />
Rat des Ordens vor und führt, assistiert<br />
von einem Generalsekretär, die Großkanzlei.<br />
Er ist auch Kanzler des von<br />
Präsident de Gaulle gestifteten Nationalen<br />
Verdienstordens.<br />
Der Rat des Ordens wiederum setzt<br />
sich aus 17 Mitgliedern zusammen, die<br />
Das historische Stichwort<br />
jeweils die Gesamtheit der französischen<br />
Gesellschaft repräsentieren. Er<br />
berät über Statutsfragen, das Ratsbudget,<br />
über die Ernennungen, Beförderungen<br />
und die Disziplin der Mitglieder.<br />
Er ist weiterhin für die Verleihung der<br />
Militärmedaille zuständig, die am 22. Januar<br />
1852 gestiftet wurde.<br />
Die Großkanzlei verwaltet den Orden<br />
der Ehrenlegion, die Militärmedaille<br />
sowie den nationalen Orden<br />
»Pour le Mérite«. Sie ist eine autonome<br />
Institution mit einer eigenen Tradition.<br />
Sie hat ihren Sitz im Palais de Salm, das<br />
im Jahre 1804 von Graf Bernard de Lacépède,<br />
<strong>dem</strong> ersten Großkanzler des<br />
Ordens, gekauft wurde.<br />
Im Übrigen unterstehen der Großkanzlei<br />
das Museum und die Schulen<br />
der Ehrenlegion, die durch Napoleon I.<br />
gegründet wurden: die Töchter, Enkeltöchter<br />
und Urenkeltöchter der Mitglieder<br />
beider nationaler Orden sowie<br />
des militärischen Ordens werden dort<br />
unterrichtet. Es handelt sich um Internate<br />
mit jeweils einem Collège in Saint<br />
Germain en Laye und einem Lyceum<br />
in der ehemaligen königlichen Abtei in<br />
SaintDenis.<br />
22 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2012<br />
Die französische Ehrenlegion<br />
– La Légion d´honneur<br />
5Kaiser Napoleon I. überreicht <strong>dem</strong> Grenadier Lazareff das <strong>Kreuz</strong> der Ehrenlegion,<br />
Tilsit am 7. Juli 1807. Gemälde (Öl auf Leinwand, 1808) von Jean Baptiste Debret.<br />
Das Museum der Ehrenlegion im Palais<br />
de Salm ist eines der wenigen SpezialMuseen<br />
auf der Welt, die sich mit<br />
Orden beschäftigen. Neben der Möglichkeit,<br />
darin vertiefte Studien zu betreiben,<br />
soll das Museum die Ordensgeschichte<br />
ausstellen, vor allen Dingen<br />
jedoch die Prinzipien, Erfordernisse<br />
und Werte aufzeigen, für die die nationalen<br />
französischen Orden seit ihrer<br />
Gründung stehen.<br />
Die Mitglieder des Ordens<br />
Jeder Franzose und jede Französin, die<br />
der französischen Nation große Dienste<br />
erwiesen haben, können für die Ehrenlegion<br />
vorgeschlagen werden. Die jeweiligen<br />
Minister sammeln <strong>Vor</strong>schläge<br />
aus ihren Ressorts, aus der staatlichen<br />
Verwaltung sowie aus der Gesellschaft<br />
insgesamt. Seit 2008 kann jeder französische<br />
Bürger, festgelegt nach genau<br />
bestimmten Modalitäten (durch 50 Unterschriften<br />
aus <strong>dem</strong>selben Département)<br />
eine Person vorschlagen, die für<br />
einen der beiden nationalen Orden<br />
erstmalig nominiert wird. Durch dieses<br />
Verfahren soll gewährleistet werden,<br />
bpk/RMN-Grand Palais/Daniel Arnaudet
dass, <strong>dem</strong> Wunsch des Präsidenten der<br />
Republik entsprechend, bei der Zusammensetzung<br />
der Ordensträger die<br />
Vielfalt der französischen Gesellschaft<br />
repräsentiert wird und alle Franzosen<br />
in die Aufgabe einbezogen werden,<br />
diejenigen zu würdigen, die der Nation<br />
dienen. An Minister, Parlamentarier<br />
und Mitglieder des Kabinetts darf<br />
der Orden der Ehrenlegion während<br />
der Dauer ihres Mandats nicht verliehen<br />
werden.<br />
Verlauf einer Ordensverleihung<br />
Zunächst muss der betreffende Minister<br />
ein Memorandum über die offenkundigen<br />
Verdienste des Kandidaten<br />
verfassen. Erst wenn dieses Dossier<br />
von der Großkanzlei positiv bewertet<br />
worden ist, erfolgt die Entscheidung<br />
des Ordensrates. Die Beurteilung der<br />
außerordentlichen Verdienste ist eine<br />
schwierige und komplexe Aufgabe.<br />
Der Ordensrat stützt sich dabei auf die<br />
Statuten der Legion, um seiner Kontrollfunktion<br />
zu genügen. Er versichert<br />
sich der tatsächlichen Verdienste und<br />
prüft, ob es darüber auch nur den leisesten<br />
Zweifel gibt. Von besonderen<br />
Ausnahmefällen abgesehen, gelten bei<br />
der Verleihung strikte Zeitvorgaben:<br />
5Joachim Murat (1767–1815) als Großadmiral<br />
und Mitglied der Ehrenlegion.<br />
Gemälde (Öl auf Leinwand 1835) von<br />
Charles Victor Eugène Lefebvre nach<br />
einer <strong>Vor</strong>lage von François Pascal<br />
Simon Gérard.<br />
bpk/RMN – Grand Palais/Gérard Blot<br />
5Das Palais der Ehrenlegion, Stahlstich um 1850.<br />
20 Jahre Tätigkeit im Öffentlichen<br />
Dienst oder im Berufsleben, um zum<br />
Ritter ernannt zu werden. Weitere acht,<br />
um zum Offizier, und zusätzlich fünf,<br />
um zum Kommandeur, dann noch drei<br />
Jahre, um zum Großoffizier ernannt zu<br />
werden, und schließlich noch einmal<br />
drei Jahre, um das Großkreuz zu bekommen.<br />
Jede Ernennung oder Rangerhöhung<br />
bedarf neuer Verdienste.<br />
Ernennungen und Rangerhöhungen<br />
werden per Dekret vom Präsidenten<br />
der Republik, <strong>dem</strong> Großmeister des<br />
Ordens, unterzeichnet und im »Journal<br />
officiel de la République française« veröffentlicht.<br />
Die Zugehörigkeit zum Orden<br />
erfolgt erst nach der Verleihungszeremonie<br />
durch ein Mitglied, das der<br />
Kandidat ausgewählt hat, das zumindest<br />
gleichrangig sein muss und das<br />
der Großkanzler dazu ermächtigt hat.<br />
Die Ehrenlegion stellt eine lebende<br />
Elite dar. Der Orden kann allerdings<br />
auch Verstorbenen verliehen werden,<br />
wenn diese bei der Erfüllung ihrer<br />
Pflichten getötet wurden.<br />
Rechte, Pflichten und<br />
Ernennungen<br />
Die Ehrenlegion ist mit keinerlei <strong>Vor</strong>teilen<br />
oder Privilegien verbunden;<br />
lediglich ein geringer Ehrensold wird<br />
gewährt. Die Verurteilung durch ein<br />
Gericht wegen eines Verbrechens oder<br />
eines Vergehens zu einem Jahr Gefängnis<br />
oder einer höheren Strafe führt automatisch<br />
zum Ausschluss aus <strong>dem</strong> Orden.<br />
Geringere Strafen oder ehrenrühriges<br />
Verhalten führen zu drei möglichen<br />
Strafen: Rüge, Suspendierung oder<br />
Ausschluss. Die Rüge wird durch den<br />
Großkanzler ausgesprochen. Eine Suspendierung<br />
oder ein Ausschluss erfolgen<br />
per Dekret durch den Präsidenten<br />
der Republik.<br />
Jedes Jahr gibt es für Zivilisten drei<br />
Ernennungstermine: am 1. Januar, zu<br />
Ostern und am 14. Juli. Die Ernennungen<br />
für aktive Militärangehörige<br />
erfolgen zu Beginn des Monats Juli, für<br />
Reservisten und Kriegsverletzte im<br />
Mai und für ausländische Staatsbürger<br />
im Laufe der ersten drei Monate des<br />
Jahres.<br />
Gleichberechtigung<br />
Erst im Jahre 1851, während der Zweiten<br />
Republik, wurde die erste Frau mit<br />
<strong>dem</strong> Orden der Ehrenlegion ausgezeichnet:<br />
Angélique Brulon (1772–1859),<br />
während der Revolutionskriege »Sergent«<br />
im Linienregiment Nr. 42, schwer<br />
verwundet bei der Ausübung ihrer<br />
Pflichten, wurde 1798 offiziell als Versehrte<br />
in das Kriegsinvalidenheim<br />
(Hôtel des Invalides) aufgenommen<br />
und 1822 zum »SousLieutenant« ernannt.<br />
1912 gehörten nur an die hundert<br />
Frauen der Ehrenlegion an; das waren<br />
0,25 Prozent der Mitglieder. Durch die<br />
traditionellen gesellschaftlichen Verhältnisse,<br />
die den Platz der Frauen in<br />
der Gesellschaft bestimmten, konnten<br />
sie die erforderliche Anzahl von Dienstjahren<br />
nicht erbringen, die <strong>Vor</strong>aussetzung<br />
für die Aufnahme in die Ehrenlegion<br />
war.<br />
Die Integration von Frauen in den<br />
Orden spiegelt den langsamen Prozess<br />
ihrer Emanzipation und Integration in<br />
die Berufswelt wider. Noch im Jahre<br />
1985 stellten die Frauen nur 7,8 Prozent,<br />
2006 schon 18 Prozent der Mitglieder<br />
der Ehrenlegion. Seit der Präsidentschaft<br />
von Nicolas Sarkozy werden<br />
ebenso viele Frauen wie Männer in die<br />
Ehrenlegion sowie in die nationalen<br />
Verdienstorden aufgenommen, um ihrem<br />
Anteil an den gesellschaftlichen<br />
Aufgaben Rechnung zu tragen.<br />
Michael Berger und<br />
Nicoleta Rohrlich-Berger<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2012<br />
23<br />
bpk
24<br />
Service<br />
Heeresbericht<br />
Die Bücher »Im Westen nichts<br />
Neues« von Erich Maria Remarque<br />
oder »In Stahlgewittern« von Ernst<br />
Jünger sind weltbekannt und haben<br />
hohe Auflagen erreicht. Der Roman<br />
»Heeresbericht« von Edlef Köppen<br />
steht eher in deren Schatten. Er erschien<br />
1930, wurde von den Nazis bereits<br />
1933 verboten und blieb dann<br />
lange Zeit zu Unrecht nahezu vergessen.<br />
Inzwischen liegt er als Hörbuch<br />
vor. Wie einst Kurt Tucholsky als Leser<br />
durch das gedruckte Buch in den Bann<br />
gezogen wurde, so wird der Hörer<br />
durch die akustische Inszenierung in<br />
eine Welt geführt, die erschreckender<br />
nicht sein kann.<br />
Köppens Protagonist, der Student<br />
Adolf Reisiger, meldet sich als Kriegsfreiwilliger<br />
und erlebt den Krieg im<br />
Jahre 1914 zunächst in Frankreich bei<br />
einem Feldartillerieregiment. Alsbald<br />
schon nimmt seine Odyssee des Schreckens<br />
ihren Lauf: angefangen vom Anblick<br />
der ersten Kriegsversehrten und<br />
Toten über die »Materialschlachten«<br />
bis hin zu den Gräueln des sich ausweitenden<br />
Gaskriegs. 1916 wird Reisiger<br />
verwundet, nach seiner Genesung<br />
wird er an die Ostfront versetzt. Nach<br />
<strong>dem</strong> Friedensschluss von BrestLitowsk<br />
am 3. März 1918 wird seine Einheit<br />
an die Westfront nach Frankreich<br />
verlegt. Im Range eines Leutnants der<br />
Edlef Köppen, Heeresbericht. Regie:<br />
Karmers. Ungekürzt gelesen von<br />
Peter Bieringer, Dieter Thomas Heck,<br />
Frank Arnold, Uwe Friedrichsen u.a.,<br />
11 AudioCDs, 776 Min., 32 S. Booklet,<br />
Königs Wusterhausen, Edition<br />
Apollon 2012. ISBN 3941940112;<br />
39,90 Euro<br />
Neue Medien<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2012<br />
Reserve erlebt er nun die letzten Versuche<br />
der Obersten Heeresleitung,<br />
durch Großoffensiven eine Wende des<br />
Krieges herbeizuführen. War Reisiger<br />
anfangs noch von Idealismus und Opferbereitschaft<br />
geprägt, so muss er<br />
durch seine Erlebnisse im Kriegsalltag<br />
zunehmend erkennen, dass nicht nur<br />
Land und Flur leiden, sondern die<br />
Seele selbst daran zerbricht. Er bricht<br />
psychisch zusammen und wird in eine<br />
Nervenheilanstalt eingewiesen.<br />
Die Aufnahmen der elf CDs bestechen<br />
durch ihre Montagetechnik im<br />
Stile des von Karl Kraus einem<br />
Marstheater zugedachten Dramas »Die<br />
letzten Tage der Menschheit«. So werden<br />
diverse OTöne genutzt, um den<br />
Hörern den Zeitgeist näher zu bringen,<br />
etwa Heeresberichte, Divisionsbefehle,<br />
Politikeransprachen usw. Das Hörbuch<br />
zeigt den Krieg in all seiner bis ins<br />
Mark erschütternden Form von Leid<br />
und Elend. Doch endet das Werk nicht<br />
mit der Ohnmacht des Protagonisten,<br />
sondern mit einer klaren Erkenntnis:<br />
Krieg ist das größte aller Verbrechen.<br />
Christopher Hanitzsch Karten, Grafiken und mit musikalischer<br />
Untermalung dargestellt wird.<br />
Ähnlich sind dann die wahlweise zu<br />
nutzenden Filme zu den Einzelepochen<br />
(»Dreißigjähriger Krieg«, »Revolu<br />
Längsschnitt Krieg und Frieden<br />
Die Münsteraner Firma Anne Roerkohl<br />
DokumentARfilm bietet eine<br />
große Auswahl von interaktiven DVDs<br />
zur Unterrichtsgestaltung. Zwei Ausgaben<br />
ihrer Reihe »Geschichte interaktiv«<br />
widmet sie jetzt den Themen<br />
»Krieg« und »Frieden«.<br />
Die beiden Ausgaben sind im Prinzip<br />
gleich aufgebaut: Sie enthalten jeweils<br />
eine DVD und eine CD; die DVD mit<br />
den eigentlichen Unterrichtsmaterialien,<br />
die CD mit <strong>dem</strong> didaktischen Begleitmaterial.<br />
Die DVD bietet jeweils einen<br />
Überblicksfilm. Die Ausgabe zum<br />
»Krieg« beleuchtet das Thema seit der<br />
Frühen Neuzeit unter verschiedenen<br />
Aspekten: »Symmetrische und asymmetrische<br />
Kriege«, »Legitimierung«, »Totaler<br />
Krieg«, »Gewalt«, »Propaganda<br />
und Medien«, »Neue und alte Kriege.<br />
Ein Vergleich«. Kerstin von Lingen,<br />
Herfried Münkler, Sönke Neitzel und<br />
Edgar Wolfrum erläutern in kurzen<br />
Wortbeiträgen, was dann in Filmausschnitten,<br />
zeitgenössischen Bildern,<br />
Längsschnitt Krieg und Frieden, Teil<br />
1: Krieg (= Geschichte interaktiv – das<br />
moderne medienkonzept für den<br />
unterricht, 16), 1 DVD, <strong>13</strong>0 Min. (bilingual<br />
Deutsch/Englisch), mit didaktischem<br />
Begleitmaterial (CDROM).<br />
ISBN 9783981256482; 49,90 Euro<br />
tionskriege und napoleonische Kriege«,<br />
»Erster Weltkrieg«, »Zweiter Weltkrieg«,<br />
»Kalter Krieg«, »Neue Kriege«)<br />
aufgebaut, die zusätzliche hochkarätige<br />
Spezialisten für die jeweilige Epoche<br />
aufbieten. So vielseitig das ausgebreitete<br />
Material ist, diese Filme lassen<br />
sich im Unterrichtsgeschehen jeweils<br />
nur am Stück einsetzen – die Dauer des<br />
Einzelfilms liegt zwischen 15 und<br />
22 Minuten, also doch vom Drittel bis<br />
zur Hälfte einer Unterrichtsstunde.<br />
Hinzuzufügen ist, dass Teile der Tonspur<br />
sowie die Bilduntertitel jeweils<br />
auch in gutem Englisch angeboten werden;<br />
das ändert nichts daran, dass der<br />
inhaltliche Schwerpunkt der DVD weit<br />
überwiegend auf eine deutsche Perspektive<br />
ausgerichtet ist.<br />
Die Filme sind in ihrem Aufbau eher<br />
klassische Unterrichtsfilme: Sie bieten<br />
eine konkrete Sicht auf das Thema (die<br />
auf den Kalten Krieg ist gelegentlich<br />
unerfreulich äquidistant zwischen Ost<br />
und West), offerieren eher Information,<br />
als dass sie zu Fragen auffordern oder<br />
unterschiedliche Interpretationen herausfordern.
neue<br />
und umfassend angegangen wird. Da<br />
Gleichwohl ist es bemerkenswert,<br />
dass in einem für den Schulunterricht<br />
gedachten Werk nicht nur der Frieden,<br />
sondern auch das Thema »Krieg« ausdrücklich,<br />
wissenschaftlich fundiert<br />
rin zeigt sich eine erstaunliche Entwicklung<br />
geschichtsdidaktischer Trends.<br />
Winfried Heinemann<br />
Portal Militärgeschichte<br />
Der Arbeitskreis Militärgeschichte<br />
e.V., gegründet 1995, dient <strong>dem</strong><br />
Austausch in der geschichtswissenschaftlichen<br />
Forschung zu Militär und<br />
Krieg. Seine Arbeit erweiterte der Verein<br />
in diesem Jahr mit <strong>dem</strong> Start eines<br />
eigenen Themenportals zur Militärgeschichte,<br />
das die Ziele der Vereinigung<br />
in das vernetzte Zeitalter tragen soll.<br />
Dazu werden Forschungsberichte, Projektskizzen<br />
und aka<strong>dem</strong>ische Ankündigungen<br />
bereitgestellt. Das Portal<br />
spricht aber nicht nur Wissenschaftlerinnen<br />
und Wissenschaftler an, auch<br />
für den militärhistorisch interessierten<br />
»Laien« bietet die Seite genügend Material.<br />
Rubriken wie »Militärgeschichte<br />
aktuell« und »Stichtag« greifen Zugänge<br />
des Feuilletons auf und laden<br />
zur weiteren Auseinandersetzung mit<br />
derartigen Themen ein. Den Anfang<br />
machte eine Serie von Interviews mit<br />
namhaften Historikern, die ihre Forschungen<br />
und Pläne zu Vergangenheit,<br />
Gegenwart und Zukunft der Militärgeschichtsschreibung<br />
darlegen. Zu<strong>dem</strong><br />
wurden bereits mehrere Essays veröffentlicht,<br />
die die gesamte Bandbreite<br />
des Faches Militärgeschichte abbilden<br />
– von der Darstellung des Krieges in<br />
http://portal-militaergeschichte.de/<br />
Computerspielen über Sicherheitsdebatten<br />
in der Neuzeit bis zur militärischen<br />
Futurologie im Kalten Krieg. In<br />
der Rubrik »Klassiker« wiederum werden<br />
bedeutende Aufsätze online gestellt,<br />
die die Forschung geprägt haben<br />
und noch immer wichtig sind. Sollte<br />
nach der Lektüre noch weiterer Bedarf<br />
an Quellen, Materialien und Informationen<br />
bestehen, kann auf das Linkverzeichnis<br />
zurückgegriffen werden. Dort<br />
werden wichtige Internetressourcen zu<br />
verschiedenen Epochen und Themen<br />
von militärhistorischem Interesse gesammelt.<br />
Hinzu kommen Kontaktdaten<br />
zu Archiven, Forschungseinrichtungen<br />
und Bibliotheken.<br />
Es steht außer Frage, dass das sich<br />
Portal vornehmlich an forschende Nutzerinnen<br />
und Nutzer richtet. Nichtsdestoweniger<br />
wird es auch bei einem<br />
breiteren Publikum auf Interesse stoßen,<br />
da es ein vielschichtiges Angebot<br />
bereithält, das fundierte Informationen<br />
und zahlreiche Anregungen bietet. Der<br />
epochen und themenübergreifende<br />
Ansatz füllt eine bis dato bestehende<br />
Lücke im Sortiment des Internets. Es<br />
bleibt zu hoffen, dass der bislang gelungene<br />
Start eine erfolgreiche Fortsetzung<br />
findet fh<br />
E-Book<br />
Waterloo<br />
Die Lebens und Leidensgeschichte<br />
des 1787 geborenen Friedrich Lindau<br />
enthält Außergewöhnliches. Von<br />
den täglichen Drangsalen der französischen<br />
Besatzer in seiner Heimatstadt<br />
Hameln angewidert und zur offenen<br />
Opposition bereit, verlässt der junge<br />
Mann seine angestammte Heimat, um<br />
in der Fremde eine Möglichkeit zu suchen,<br />
gegen diese Besatzung mit Waffengewalt<br />
vorzugehen. Lindau findet<br />
sie als Soldat in britischer Uniform, in<strong>dem</strong><br />
er als Schütze des 2. leichten LinienBataillons<br />
der Königlich Deutschen<br />
Legion (King’s German Legion,<br />
KGL) auf spanischem Boden gegen die<br />
Franzosen kämpft. Selbst nach der ersten<br />
Abdankung Napoleons, dessen<br />
Rückkehr nach Frankreich und der erneut<br />
installierten Herrschaft bleibt Lindau<br />
seinem <strong>Vor</strong>satz treu und nimmt<br />
unter anderem an der Verteidigung<br />
des Gutshofes La HayeSainte im Zen<br />
trum der Alliierten teil, dessen Behauptung<br />
durch die deutschbritischen<br />
Truppen letztlich zum Sieg am 18. Juni<br />
1815 und der zweiten und endgültigen<br />
Abdankung des Kaisers der Franzosen<br />
führt. So, als wäre damit seine Schul<br />
digkeit getan, lässt sich Lindau trotz<br />
der Widerstände seines Kommandeurs<br />
aus <strong>dem</strong> aktiven Militärdienst entlassen<br />
und kehrt nach all den schrecklichen<br />
und zum Teil sehr blutigen Erlebnissen<br />
wieder nach Hause zurück.<br />
Hier geht es nicht um Strategie oder<br />
Taktik; im Zentrum der Erinnerungen<br />
an die Jahre 1809 bis 1815, die ein mit<br />
Lindau befreundeter Hamelner Rektor<br />
anhand der Erzählungen des Schuhmachermeisters<br />
und ehemaligen Soldaten<br />
niederschreibt und 1846 erstmals<br />
publizieren lässt, steht das tägliche<br />
Überleben in der Schlacht und immer<br />
wieder die Beschaffung von Essen und<br />
Trinken für sich und seine Kameraden.<br />
Die Unmittelbarkeit der Schilderungen<br />
nimmt den Leser an der Seite des Protagonisten<br />
immer wieder mit ins Zentrum<br />
der Schlachtereignisse.<br />
Um eine Neuausgabe des Buches hat<br />
sich vor einigen Jahren der Kölner<br />
Fachverlag Amon verdient gemacht;<br />
seit 2009 liegt sogar eine englischsprachige<br />
Übersetzung vor. Dem Trend der<br />
Zeit folgend, wartet der Verlag neuerdings<br />
mit einem preiswerten EBook<br />
auf. mt<br />
Friedrich Lindau, Ein Waterlookämpfer.<br />
Erinnerungen eines Soldaten aus den<br />
Feldzügen der königlich deutschen<br />
Legion, Köln 2012, 319 KB (Print 114 S.).<br />
ASIN B0093TKSDS; 9,99 Euro<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2012<br />
25
Einhundert Jahre Krieg<br />
Dass sich ein Krieg mehr als einhundert<br />
Jahre hinzieht, erscheint unvorstellbar.<br />
Doch genau dies geschah,<br />
als sich England und Frankreich in nicht<br />
enden wollenden mörderischen Auseinandersetzungen<br />
des 14. und 15. Jahrhunderts<br />
befehdeten. England stellte<br />
seinen Anspruch auf den Thron und<br />
die Krone des Nachbarlandes und versuchte<br />
dies in mehreren Feldzügen auf<br />
französischem Boden durchzusetzen.<br />
In diesem 116 Jahre währenden Ringen<br />
zweier europäischer Königshäuser<br />
starben nicht nur Ritter und Soldaten.<br />
Der Krieg trug die Kampfhandlungen<br />
mitten unter die Bevölkerung. Dies geschah<br />
etwa in Form von Kaperfahrten<br />
französischer Schiffe an die englische<br />
Südküste, durch das Plündern und Verwüsten<br />
des französischen Kernlandes<br />
und der englisch besetzten Gebiete<br />
durch die »chevauchée« genannten<br />
Raubzüge der Engländer, Burgunder<br />
und Franzosen.<br />
Anne Curry beschreibt diesen hierzulande<br />
nur wenig bekannten Konflikt<br />
des ausgehenden Mittelalters. Die <strong>Vor</strong>geschichte,<br />
die einzelnen Kriegsparteien<br />
und der strategische Verlauf werden<br />
durch Kartenmaterial, Quellenauszüge<br />
und Bildmaterial ergänzt. Die<br />
Autorin widmet sich den politischen<br />
Verflechtungen und wirft unter anderem<br />
einen Blick auf das Aufkommen<br />
der ersten Feuerwaffen und die Weiterentwicklung<br />
der Infanterie zur schlagkräftigen,<br />
kostengünstigeren und entscheidenden<br />
Alternative gegenüber<br />
den teuer ausgerüsteten schweren Reiterverbänden.<br />
Anhand der Biografie<br />
dreier Soldaten zeichnet sie in einem<br />
Kapitel den Konflikt nach.<br />
Das Buch liefert ein eindrückliches<br />
Bild über den ersten Jahrhundertkonflikt<br />
der Geschichte. Zugleich zeigt<br />
es den Wandel der Kriegführung auf.<br />
Christopher Schmidt<br />
26<br />
Service<br />
Lesetipp<br />
Anne Curry, Der Hundertjährige<br />
Krieg<br />
(<strong>13</strong>37–1453), Darmstadt<br />
2012. ISBN: 978-3-<br />
86312-345-1, <strong>13</strong>6 S.,<br />
19,90 Euro<br />
Roms Legionen<br />
SPQR ist die Abkürzung für das lateinische<br />
Senatus Populusque Romanus<br />
(»Senat und Volk von Rom«).<br />
Sie ist noch heute auf den Wappen<br />
Roms zu finden. Einst führten die<br />
mächtigen Legionen jenen Schriftzug<br />
im Schatten des Adlers auf ihren Standarten<br />
mit.<br />
Was aber bedeutet der Begriff »Legion«,<br />
woher stammt er, was assoziiert man<br />
damit? Aufschluss gibt das aus <strong>dem</strong><br />
Englischen übersetzte Buch von Nigel<br />
Pollard und Joanne Berry. Akribisch<br />
beschreiben die beiden Autoren, was<br />
es mit den »militärischen Eliteeinheiten«<br />
auf sich hatte. Angefangen in der<br />
Zeit der Republik über die Kaiserzeit<br />
Nigel Pollard und<br />
Joanne Berry,<br />
Die Legionen Roms,<br />
Stuttgart 2012. ISBN<br />
978-3-8062-2633-1;<br />
240 S., 34,95 Euro<br />
bis hin zur Spätantike, wird umfassend<br />
über Rekrutierungen, Formationen,<br />
Reformen sowie Schlachtverläufe berichtet.<br />
Auch über Organisationen und<br />
Befehlsstrukturen, die vom Kaiser des<br />
»imperium romanum« nach unten<br />
über die Tribune auf die Kohortenführer<br />
bis zum einfachen Legionär reichten,<br />
wird ausführlich Zeugnis abgelegt.<br />
Illustrationen, Abbildungen von<br />
Büsten und Darstellungen antiker Reliefs<br />
geben Aufschluss über die einst so<br />
große Zeit des Weltreiches. Der purpurrot<br />
gebundene Einband des 240 Seiten<br />
umfassenden Werkes ähnelt der<br />
Farbe der einst von den Centurionen<br />
(Hauptleuten) getragenen Tunika.<br />
Diese Farbe sollte an den Blutzoll vergangener<br />
Schlachten gemahnen.<br />
Das Buch verfügt über ein ausführliches<br />
Glossar. Für den Leserkreis, der<br />
mit dieser Publikation angesprochen<br />
werden soll, wäre noch etwas mehr<br />
deutschsprachige Literatur in der Bibliografie<br />
hilfreich gewesen. Das Buch<br />
ist jedoch allemal ein Gewinn für jene,<br />
die sich für das römische Legionärswesen<br />
interessieren.<br />
Christopher Hanitzsch<br />
Feldherren der Antike<br />
Vicco von Bülow alias Loriot hielt<br />
den römischen Schreckensruf<br />
»Hannibal vor den Toren« für so bekannt,<br />
dass er ihn in veränderter Form<br />
für einen Filmtitel nutzte: »Papa ante<br />
Portas«. Die übrigen antiken Heerführer<br />
sind nicht mehr ganz so bekannt,<br />
sieht man einmal von Alexander <strong>dem</strong><br />
Großen, Pyrrhos oder Julius Cäsar ab.<br />
Stephan Elbern will dies ändern und<br />
versammelt zu diesem Zweck 54 bedeutende<br />
Feldherren der Antike in seinem<br />
hier anzuzeigenden Band. Die<br />
Protagonisten werden in ein bis sechsseitigen<br />
Beiträgen vorgestellt. Zu Beginn<br />
werden jeweils Mensch und Bedeutung<br />
charakterisiert, es folgen ein<br />
politischer und militärischer Überblick,<br />
schließlich ein Quellen oder Literaturzitat<br />
aus der Wirkungsgeschichte. Fotos,<br />
Land und Schlachtkarten sowie<br />
Literaturtipps runden die Kurzbiografien<br />
ab. Elbern weitet seinen Blick in<br />
Gestalt von fünf Personen auf den alten<br />
Orient, also auf Assyrien, Mesopotamien<br />
und Ägypten, aus.<br />
Die übrigen 49 Feldherren sind in alphabetischer<br />
Folge <strong>dem</strong> klassischen<br />
Altertum entnommen. Hierbei bezieht<br />
Elbern auch die Gegner der Römer mit<br />
ein. Somit finden Alarich, Arminius,<br />
Attila, Boudicca, die Heldin Britanniens,<br />
der Gote Fritigern, der Sklave<br />
Spartacus oder der vielen durch die<br />
AsterixHefte bekannte Gallier Vercingetorix<br />
Eingang in das Buch. Selbstverständlich<br />
sind Persönlichkeiten wie<br />
Alkibiades, Konstantin der Große, Epameinondas,<br />
der Vater der »schiefen<br />
Schlachtordnung«, Nero, Germanicus,<br />
Marc Aurel, Marius, Sulla, Themistokles<br />
und Trajan verzeichnet. Wer sich<br />
für die Antike begeistert, wird hier<br />
kurzweilig belohnt.<br />
hp<br />
Stephan Elbern,<br />
Schwert und Geist.<br />
Bedeutende Heerführer<br />
des Altertums, Darmstadt,<br />
Mainz 2012. ISBN<br />
978-3-8053-4522-4;<br />
140 S., 24,99 Euro
Die Erfindung der Deutschen<br />
Wer sind nur diese Germanen?<br />
Wie verhalten sie sich, wie leben<br />
sie, welche Sitten und Bräuche pflegen<br />
sie? Diese Fragen wurden bereits im<br />
1. Jahrhundert gestellt und von einem<br />
römischen Historiker auf ca. 30 Seiten<br />
behandelt. Die »Germania« ist eine<br />
derart berühmte und zugleich berüchtigte<br />
Schrift der Antike, dass es verwunderlich<br />
anmutet, dass sie erst jetzt<br />
als »gefährliches Buch« in den Blickpunkt<br />
gerückt ist. Das Werk von Publius<br />
Cornelius Tacitus »übte über einen derart<br />
langen Zeitraum hinweg – insgesamt<br />
waren es 450 Jahre – einen so großen<br />
Einfluss aus, weil ›Deutschland‹<br />
viele Jahrhunderte lang nur ein Produkt<br />
der Phantasie war« (S. 15). Im<br />
»Dritten Reich« wurde das »goldene<br />
Christopher B. Krebs, Ein<br />
gefährliches Buch – Die<br />
»Germania« des Tacitus und<br />
die Erfindung der Deutschen,<br />
München 2011. ISBN<br />
978-3-421-04211-8; 352 S.,<br />
24,99 Euro<br />
Büchlein« rezipiert, um der »germanischen<br />
Vergangenheit« eine »deutsche<br />
Zukunft« anzudichten (S. 288).<br />
Der Altphilologe Christopher B.<br />
Krebs behandelt in seinem Werk diesen<br />
Germanenmythos und die Rezeption<br />
der Schrift über die Jahrhunderte<br />
hinweg. Zunächst zeigt er auf, dass Tacitus<br />
selbst nie die von ihm beschriebenen<br />
Germanen selbst gesehen und<br />
erlebt hat. Sein Ziel war es, der römischen<br />
Gemeinschaft ihre Dekadenz<br />
aufzuzeigen, in<strong>dem</strong> er den »Germanen«<br />
als moralisch standhaft und<br />
kämpferisch <strong>dem</strong> übermäßigen Luxus<br />
der Römer entgegenhielt. Wie dieses in<br />
nur einem einzigen Exemplar erhaltene<br />
Werk die Jahrhunderte überlebte<br />
und im 15. Jahrhundert wiederentdeckt<br />
wurde, das kann in diesem hervorragend<br />
erzählten Buch leicht fassbar<br />
nachgelesen werden. Krebs zeigt<br />
auf, wie die Herrschenden Tacitus‘<br />
Aussagen bis in die Zeit des Nationalsozialismus<br />
für Ihre Zwecke instrumentalisierten.<br />
Das Werk ist <strong>dem</strong> an<br />
der Gefahr eines Büchleins Interessierten<br />
sehr zu empfehlen. is<br />
Luftwaffe<br />
Nachschlagewerke eignen sich nur<br />
begrenzt als GuteNachtLektüre,<br />
gewinnen für gewöhnlich keine Nobelpreise<br />
und sind trotz<strong>dem</strong> äußerst wichtig.<br />
Oberstleutnant a.D. Jürgen Zapf,<br />
u.a. beim Luftwaffenmuseum in BerlinGatow<br />
eingesetzt, hat inzwischen<br />
den siebten Band seiner Reihe über<br />
Flugplätze der Luftwaffe der Wehrmacht<br />
vorgelegt. Er behandelt darin<br />
die Bundesländer Niedersachsen und<br />
Bremen. Das Buch ist in drei große Abschnitte<br />
gegliedert.<br />
Die Einführung verzeichnet die zeitgenössische<br />
Definition der Flugplätze,<br />
die sich in neun Gruppen vom Fliegerhorst<br />
über die Einsatzhäfen bis hin zu<br />
Feldflug, Gefechtslande, Arbeits und<br />
Industrieplätzen gliederten. Es folgt<br />
ein Abschnitt über Bauten der Luftwaffe.<br />
Der Hauptteil schließlich ist mit<br />
»Airfield Schedule« überschrieben.<br />
Insgesamt werden 106 Flugplätze vorgestellt.<br />
Der Autor schöpft bei seiner<br />
Darstellung aus zeitgenössischen deutschen<br />
Quellen und Karten, aus alliierten<br />
Luftbildaufnahmen sowie aus heutigen<br />
Detailfotos. Darüberhinaus informiert<br />
er über die Lage der Flugfelder,<br />
über ihre Geschichte nebst Denkmalen,<br />
aber auch über die Stationierung der<br />
einzelnen Truppenteile, teilweise bis in<br />
die Gegenwart. Hinzu kommen die<br />
entsprechenden Angaben zur bodengebundenen<br />
Luftverteidigung (Flak)<br />
und zur für die Luftwaffe so wichtigen<br />
Logistik. Der Autor informiert zu<strong>dem</strong><br />
über den heutigen Zustand der Plätze.<br />
Die Detailaufnahmen sind eine Fundgrube<br />
für alle, die an Bau, Kultur,<br />
Memorial und sogar Mentalitätsgeschichte<br />
Interesse haben. Jürgen Zapf<br />
hat eine beeindruckende Pionierleistung<br />
vollbracht, die als Basis für weitere<br />
Forschungen dienen kann.<br />
hp<br />
Jürgen Zapf,<br />
Flugplätze der Luftwaffe<br />
1934–1945<br />
– und was davon<br />
übrig blieb, Bd 7:<br />
Niedersachsen &<br />
Bremen, Zweibrücken<br />
2011. ISBN 978-3-<br />
86619-064-1; 576 S.,<br />
59, 00 Euro<br />
Konvention von Tauroggen<br />
Auf welches Dokument der preußischen<br />
Kriegsgeschichte konnten<br />
sich konservative Militärs der Kaiserzeit,<br />
liberale Politiker, Paul von Hindenburg,<br />
die Geschwister Scholl, Oberst<br />
i.G. Graf Stauffenberg sowie die DDR<br />
beziehen und für ihre jeweiligen Zwecke<br />
nutzbar machen? Michael Fröhlich<br />
gibt in Gestalt der Konvention von Tauroggen<br />
vom 30. Dezember <strong>1812</strong> die<br />
Antwort. Er belässt es nicht bei der<br />
Schilderung ihrer Entstehung, sondern<br />
flicht gekonnt die Wirkungsgeschichte<br />
mit ein. Einen breiten Platz nimmt hierbei<br />
Generalleutnant Ludwig Graf Yorck<br />
von Wartenburg ein.<br />
Zur Situation: Preußen war im Russlandfeldzug<br />
<strong>1812</strong> mit Napoleon verbündet,<br />
preußische Truppen in Stärke<br />
Michael Fröhlich,<br />
Tauroggen <strong>1812</strong>. Eine<br />
Konvention im Spannungsfeld<br />
von Krieg,<br />
Diplomatie und<br />
Tradition, Bonn 2011<br />
(= Studia Aca<strong>dem</strong>ia<br />
Historica). ISBN 978-3-<br />
936741-66-7; 254 S.,<br />
25,00 Euro<br />
von ca. 20 000 Mann belagerten als Teil<br />
des X. Armeekorps unter <strong>dem</strong> französischen<br />
Marschall MacDonald Riga.<br />
Als die Grande Armée in Russland unterging,<br />
verhandelte der preußische<br />
General Yorck ohne Ermächtigung seines<br />
Königs, Friedrich Wilhelm III., und<br />
letztlich sogar gegen dessen Willen mit<br />
<strong>dem</strong> russischen Gegner, erklärte seine<br />
Truppen für neutral, bewirkte den<br />
Rückzug der Franzosen aus Ostpreußen,<br />
verhinderte eine russische Besetzung<br />
des Landesteils und rettete die eigene<br />
Truppe für seinen König. Zwar<br />
fiel er bei diesem zunächst in Ungnade,<br />
wurde aber letztlich befördert und geadelt.<br />
Die Konvention von Tauroggen,<br />
<strong>dem</strong> Buch im Anhang beigegeben, war<br />
politisch ein Meilenstein auf <strong>dem</strong> Weg<br />
in die Befreiungskriege der Jahre<br />
18<strong>13</strong>/15. Das Buch verbindet Militär,<br />
Biografie, Mentalitäts sowie Diplomatiegeschichte<br />
und ist die erste wissenschaftliche<br />
deutschsprachige Publikation<br />
zum Thema seit langer Zeit.<br />
hp<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2012<br />
2
28<br />
Service Die historische Quelle<br />
Militärgeschichtliches Forschungsamt – Bibliothek<br />
Wenn ein Jubiläum wie der 300. Geburtstag Friedrichs<br />
des Großen gefeiert wird, schauen Archivare<br />
und Bibliothekare in ihren Beständen auch nach bisher<br />
der Öffentlichkeit verborgen gebliebenen Schätzen. So<br />
fand sich in der Bibliothek des Militärgeschichtlichen<br />
Forschungsamtes (MGFA) erst kürzlich eine Handschrift<br />
mit Autographen des Preußenkönigs und königlichem<br />
Siegel. Der Titel der kleinen Schrift lautet: »Instruction<br />
Friederich Des Grossen für Die General Majors der Infanterie<br />
(OriginalManuscript) Potsdam 1748«. Einem <strong>Vor</strong>wort<br />
an den Adressaten Generalmajor Johann Georg von<br />
Lestewitz auf eineinhalb Seiten folgt die sechs Blätter umfassende<br />
Instruktion. In ihr geht es vor allem darum, das<br />
stehende Heer in den langen Jahren des Friedens kriegsbereit<br />
zu halten. Der König fordert von seinen Truppen<br />
beständiges Exerzieren sowie das Üben von Formationen.<br />
Die Generale sollten im operativtaktischen Denken auf<br />
der Höhe der Zeit bleiben und sich ihrer Unterstellung<br />
unter den obersten Feldherren, <strong>dem</strong> König selbst, stets<br />
bewusst sein.<br />
6Autograph mit Siegel<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2012<br />
Spuren eines Königs<br />
An dieser Stelle interessiert jedoch weniger der Inhalt,<br />
vielmehr sind die Stationen des Stückes bemerkenswert.<br />
Heute liegt die Handschrift in gebundenem Zustand vor.<br />
Ein Einband, offensichtlich aus <strong>dem</strong> 19. oder frühen 20.<br />
Jahrhundert, trägt außen und innen Spuren einer wechselvollen<br />
Geschichte. Wann die Handschrift in eine Bibliothek<br />
Einzug hielt, lässt sich nicht ermitteln. Ein erster<br />
Nachweis ergibt sich aus <strong>dem</strong> Exlibris im Innendeckel.<br />
Demnach ist sie bereits gebunden in der KöniglichPreußischen<br />
Artillerie und Ingenieurschule zu Berlin vereinnahmt<br />
worden. Insgesamt findet man fünf verschiedene<br />
Signaturen, die heutige<br />
nicht mitgezählt. Leider<br />
lassen sich nur noch eine<br />
sicher und eine fast sicher<br />
zuordnen. Auf <strong>dem</strong> Buchrücken<br />
ist ein Signaturschild<br />
mit der Zahl<br />
»21507« aufgedruckt.<br />
Auch wenn der Besitzstempel<br />
fehlt, ist davon<br />
auszugehen, dass sie aus<br />
der 1919 gegründeten<br />
Heeresbücherei zu Berlin<br />
stammt. Was mit den Beständen<br />
der Bibliothek<br />
geschah, als das Gebäude<br />
1945 fast vollständig zerstört<br />
wurde, ist nie aufgeklärt<br />
worden. Einige Experten<br />
nehmen an, dass<br />
die Bücher verbrannt<br />
4Exlibris<br />
sind, andere vermuten, dass Teile der Sammlung in die<br />
Sowjetunion oder nach Polen verschleppt wurden. 1956<br />
richtete die Bundeswehr die Wehrbereichsbibliothek II in<br />
Hannover ein. Dort trug eine Bibliothekarin unser Bändchen<br />
mit Stempel und alter Signatur im Zugangsbuch<br />
von 1965 ein. Als diese Bibliothek im Zuge von Umstrukturierungen<br />
2003 geschlossen wurde, verhandelte das<br />
Land Niedersachsen geschickt mit <strong>dem</strong> Bund und konnte<br />
erwirken, dass fast 80 000 Bände in der Niedersächsischen<br />
Landesbibliothek als Depositum verblieben, auch wenn<br />
sie formal <strong>dem</strong> MGFA zugeschlagen wurden. Einige<br />
Stücke, so auch Friedrichs Instruktion, kamen wegen ihrer<br />
Bedeutung für die preußische Geschichte dennoch<br />
nach Potsdam. Heute lagert die Handschrift, die zum<br />
wertvollen Altbestand des MGFA gehört, im Sondermagazin<br />
in Strausberg.<br />
Die umfassende Überlieferungsgeschichte wird auf der<br />
Website des MGFA nachzulesen sein.<br />
Gabriele Bosch
pk<br />
17<strong>13</strong> 12. März 2003<br />
Beim Blick auf das absolutistische Preußen des 17. und<br />
18. Jahrhunderts scheint es, als habe sich eine ganze Reihe<br />
der einstigen Kurfürsten und Könige durch einen vom<br />
Volksmund angedichteten Beinamen in eine gute, beinahe<br />
schon verpflichtende Tradition begeben. Zu den bekanntesten<br />
dürften ohne Zweifel der »Große Kurfürst« für<br />
Friedrich Wilhelm (1640–1688) sowie »Friedrich der Große«<br />
für Friedrich II. (1740–1786) zählen. Als Enkel des Großen<br />
Kurfürsten und Vater des späteren Friedrich des Großen<br />
trat jedoch im Jahr 17<strong>13</strong> zunächst Friedrich Wilhelm I. als<br />
zweiter König in Preußen (17<strong>13</strong>–1740) seine Regentschaft<br />
an. Ein wesentliches Ziel seiner Politik bestand in der Aufwertung<br />
der Position BrandenburgPreußens in Europa<br />
durch die Aufstellung einer starken und schlagkräftigen<br />
Armee. Im Zuge seiner Herrschaft wurde das auf 85 000<br />
Mann angewachsene Militär zum Zentrum des Staates,<br />
nach <strong>dem</strong> sich alle übrigen Bereiche, wie die Wirtschaft<br />
oder die Verwaltung des Landes, auszurichten hatten. Die<br />
Schaffung eines zentralen Verwaltungsapparats oder der<br />
sparsame Umgang mit Staatsgütern sollten die wegweisende<br />
Funktion des Heeres zusätzlich unterstützen und vorantreiben.<br />
So einig sich die Fachwelt über seine Rolle als<br />
Schöpfer einer starken und disziplinierten preußischen Armee<br />
ist, so vielfältig erscheint hingegen der Ursprung seines<br />
Beinamens, der ihn fortan als »Soldatenkönig« auswies.<br />
Einer der naheliegenden Erklärungsansätze sieht dabei im<br />
ständigen Tragen der für einen absolutistischen Herrscher<br />
eher unüblichen »Soldatenkluft« den Ursprung. Als »sparsamer<br />
und strenger Landesvater« zugleich trug Friedrich<br />
Wilhelm I. in der Regel einfache Kleidung, seit 1725 jedoch<br />
ständig Uniform, die damit nach außen hin zu seinem bestimmenden<br />
Erscheinungsmerkmal wurde. Als eine andere<br />
mögliche Ursache für diesen vom Volksmund gewählten<br />
Spitznamen muss die Leibgarde des Königs herhalten, bei<br />
deren Auswahl der Herrscher selbst ein besonderes Merkmal<br />
in den <strong>Vor</strong>dergrund gestellt hatte. Angehörige dieser<br />
»Langen Kerls« konnten nach seiner Maßgabe nur Soldaten<br />
werden, die eine Körpergröße von mehr als zwei Meter aufwiesen.<br />
Ein anderer Erklärungsversuch wiederum sieht im<br />
Gesamtkonzept Friedrich<br />
Wilhelms I. den Ursprung<br />
seiner Namensgebung: die<br />
Schaffung einer Grundlage<br />
für den Aufstieg BrandenburgPreußens<br />
zur<br />
späteren (militärischen)<br />
Großmacht.<br />
jm<br />
Geschichte kompakt<br />
Friedrich Wilhelm I., der »Soldatenkönig« Attentat auf Zoran Djindjić<br />
3Friedrich Wilhelm I., der<br />
Soldatenkönig und seine<br />
»Langen Kerls«. Zeichnung/Chromotypie<br />
(um<br />
1901) von Carl Röchling.<br />
SZ Photo/Caro<br />
Ministerpräsident Zoran Djindjić verlässt das Gebäude der<br />
serbischen Regierung im Zentrum Belgrads. Er will zu<br />
einem Treffen mit der schwedischen Außenministerin Ana<br />
Lindh, die in Belgrad eingetroffen ist. Plötzlich fallen<br />
Schüsse. Djindjić und sein Leibwächter werden getroffen.<br />
Nach wenigen Augenblicken tragen Vertraute Djindjić ins<br />
Gebäude, alarmieren die Notfallambulanz, entscheiden<br />
sich aber vor deren Eintreffen, selbst den bewusstlosen<br />
Ministerpräsidenten ins städtische Unfallkrankenhaus zu<br />
bringen. Dort angekommen, können die Ärzte nur noch seinen<br />
Tod feststellen.<br />
Nach <strong>dem</strong> Bekanntwerden des Attentats verhängt die serbische<br />
Regierung den Ausnahmezustand. Schnell geraten<br />
Angehörige der organisierten Kriminalität, aber auch Militärkreise<br />
ins Visier der Fahnder. 2007 verurteilt ein Sondergericht<br />
zwölf Angeklagte zu langjährigen Freiheitsstrafen.<br />
Als Djindjić 2001 zum serbischen Ministerpräsidenten gewählt<br />
wurde, galt er als politischer Hoffnungsträger. Lange<br />
Jahre der Opposition und des Widerstandes gegen das<br />
Milošević-Regime lagen hinter ihm. 1952 als Sohn eines jugoslawischen<br />
Offiziers geboren, hatte Djindjić Philosophie<br />
studiert, mit Kommilitonen eine oppositionelle Studentengruppe<br />
gegründet und war so erstmals in Konflikt mit <strong>dem</strong><br />
kommunistischen Regime geraten. Nach einer mehrmonatigen<br />
Haftstrafe setzte er sein Studium in der Bundesrepublik<br />
fort, wo er 1979 im Fach Philosophie promoviert wurde.<br />
1989 kehrte er nach Serbien zurück und gründete dort mit<br />
anderen Oppositionellen die Demokratische Partei.<br />
Nach seiner Wahl zum serbischen Ministerpräsidenten<br />
sah sich Djindjić mit zahlreichen politischen Problemen<br />
konfrontiert. So galten die Sicherheitsbehörden als von Anhängern<br />
des gestürzten Präsidenten Milošević unterwandert.<br />
Diese wie auch die Nationalisten lehnten die Auslieferung<br />
von Milošević an das Internationale Strafgericht für<br />
das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag ab, die<br />
Djindjić 2002 anordnete.<br />
Der Attentäter, der die Schüsse auf Djindjić vom Dach<br />
eines 180 Meter entfernten Gebäudes abfeuerte, war Vizekommandant<br />
der »Roten Barette«, einer Anfang der 1990er<br />
gegründeten paramilitärischen Spezialeinheit, die in den<br />
jugoslawischen Sezessionskriegen wiederholt eingesetzt<br />
wurde und mutmaßlich an Kriegsverbrechen beteiligt war.<br />
Als Hauptdrahtzieher des Attentats verurteilte das Sondergericht<br />
den Kommandanten dieser Spezialeinheit, die nach<br />
<strong>dem</strong> Attentat 2003 aufgelöst wurde.<br />
Aleksandar-S. Vuletić<br />
3Zoran Djindjić, Ministerpräsident<br />
der jugoslawischen<br />
Republik Serbien am<br />
9. März 2001 in Berlin.<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2012 29
• Berlin<br />
Fair Play. Die Alliierten<br />
und der Sport<br />
Alliiertenmuseum<br />
Clayallee <strong>13</strong>5 – Outpost<br />
14195 Berlin<br />
Tel.: 0 30 / 81 81 99 0<br />
www.alliiertenmuseum.de<br />
bis 8. April 20<strong>13</strong><br />
Donnerstag bis Dienstag<br />
10.00 bis 18.00 Uhr<br />
Eintritt: frei<br />
Zerstörte Vielfalt.<br />
Berlin 1933–1938<br />
Deutsches Historisches<br />
Museum<br />
Unter den Linden 2<br />
10117 Berlin<br />
Tel.: 0 30 / 20 30 40<br />
www.dhm.de<br />
31. Januar<br />
bis 10. November 20<strong>13</strong><br />
täglich 10.00 bis 18.00 Uhr<br />
Eintritt: 8,00 Euro<br />
(unter 18 Jahren frei)<br />
Freigekauft – Wege aus<br />
der DDR-Haft<br />
Erinnerungsstätte<br />
Notaufnahmelager<br />
Marienfelde<br />
Stiftung Berliner Mauer<br />
Marienfelder Allee 66/80<br />
12277 Berlin<br />
Tel.: 0 30 / 75 00 84 00<br />
www.notaufnahmelagerberlin.de<br />
bis 31. März 20<strong>13</strong><br />
Dienstag bis Sonntag<br />
10.00 bis 18.00 Uhr<br />
Eintritt frei<br />
Es geht mir gut.<br />
Deutsche Feldpost von<br />
1870 bis 2010<br />
Militärhistorisches Museum<br />
der Bundeswehr<br />
Luftwaffenmuseum<br />
BerlinGatow<br />
Besuchereingang:<br />
Am Flugplatz Gatow 33<br />
14089 Berlin<br />
Tel.: 0 30 / 36 87 26 08<br />
www.luftwaffenmuseum.<br />
com<br />
bis 31. Mai 20<strong>13</strong><br />
Dienstag bis Sonntag<br />
10.00 bis 18.00 Uhr<br />
Eintritt: frei<br />
30<br />
Service<br />
Glücksfälle – Störfälle.<br />
Facetten interkultureller<br />
Kommunikation<br />
Museum für Kommunikation<br />
Berlin<br />
Leipziger Straße 16<br />
10117 BerlinMitte<br />
Tel.: 0 30 / 20 29 40<br />
www.mfk-berlin.de<br />
bis 24. Februar 20<strong>13</strong><br />
Dienstag<br />
9.00 bis 20.00 Uhr<br />
Mittwoch bis Freitag<br />
9.00 bis 17.00 Uhr<br />
Samstag bis Sonntag<br />
10.00 bis 18.00 Uhr<br />
Eintritt: 3,00 Euro<br />
ermäßigt: 1,50 Euro<br />
• Dresden<br />
Stalingrad – Lauter<br />
letzte Worte<br />
Militärhistorisches Museum<br />
der Bundeswehr<br />
Olbrichtplatz 2<br />
01099 Dresden<br />
Tel.: 03 51 / 82 32 85 1<br />
www.mhmbw.de<br />
bis 30. April 20<strong>13</strong><br />
Montag<br />
10.00 bis 21.00 Uhr<br />
Donnerstag bis Dienstag<br />
10.00 bis 18.00 Uhr<br />
Eintritt: 5,00 Euro<br />
ermäßigt: 3,50 Euro<br />
(für BundeswehrAngehörige<br />
Eintritt frei)<br />
• Graz<br />
Ausstellungen<br />
Fremde im Visier.<br />
Fotoalben aus <strong>dem</strong><br />
Zweiten Weltkrieg<br />
Universalmuseum<br />
Johanneum<br />
Multimediale<br />
Sammlungen<br />
Joanneumsviertel<br />
A8010 Graz<br />
Tel.: +4331 6/80 17 94 00<br />
www.museum-joanneum.<br />
at<br />
bis 1. September 20<strong>13</strong><br />
Dienstag bis Sonntag<br />
10.00 bis 17.00 Uhr<br />
Eintritt: frei<br />
• Kulmbach<br />
Armeemuseum<br />
Friedrich der Große<br />
Plassenburg<br />
95326 Kulmbach<br />
Tel.: 0 92 21 / 82 20 0<br />
www.armeemuseumplassenburg.de<br />
Dauerausstellung<br />
April bis September<br />
täglich<br />
9.00 bis 18.00 Uhr<br />
Oktober bis März<br />
täglich<br />
10.00 bis 16.00 Uhr<br />
Eintritt: 4,50 Euro<br />
ermäßigt: 3,50 Euro<br />
• Leipzig<br />
FORUM 18<strong>13</strong><br />
Museum zur Völkerschlacht<br />
bei Leipzig<br />
Straße des 18. Oktober<br />
100<br />
04299 Leipzig<br />
Tel.: 03 41 / 24 16 87 0<br />
www.stadtgeschichtlichesmuseum-leipzig.de<br />
Dauerausstellung<br />
November bis März<br />
täglich<br />
10.00 bis 16.00 Uhr<br />
Eintritt: 6,00 Euro<br />
ermäßigt: 4,00 Euro<br />
• Wittstock<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2012<br />
Museum des Dreißigjährigen<br />
Krieges<br />
Amtshof 1–5<br />
16909 Wittstock/Dosse<br />
Tel.: 0 33 94 / 43 37 25<br />
www.mdk-wittstock.de<br />
Dauerausstellung<br />
Dienstag, Donnerstag<br />
und Samstag<br />
10.00 bis 16.00 Uhr<br />
Mittwoch<br />
9.00 bis 17.00 Uhr<br />
Freitag<br />
9.00 bis 14.00 Uhr<br />
Sonntag<br />
11.00 bis 16.30 Uhr<br />
Eintritt: 2,50 Euro<br />
ermäßigt: 1,50 Euro<br />
Heft 1/20<strong>13</strong><br />
Militärgeschichte<br />
Zeitschrift für historische Bildung<br />
<strong>Vor</strong>schau<br />
Nach wie vor bewegen die Ereignisse im<br />
März und April 1938 die Gemüter in Österreich<br />
– bei den Militärs, in der Geschichtswissenschaft<br />
wie auch in der breiten Öffentlichkeit.<br />
Das zeigt sich insbesondere entlang der<br />
runden Jahrestage von Einmarsch und »Anschluss«,<br />
wenn die Medien ihren Beitrag zur<br />
Sensibilisierung für das Thema leisten. Stets<br />
ist es auch der »NichtEinsatz« des Österreichischen<br />
Bundesheeres, der dann zur Diskussion<br />
steht. Dagegen treten in der österreichischen<br />
Öffentlichkeit, aber auch insgesamt<br />
– fernab der Militärgeschichtsschreibung –<br />
die militärischen Aspekte des Einmarsches<br />
auf Seiten der Wehrmacht eher in den Hintergrund.<br />
Der österreichische Militärhistoriker<br />
Erwin A. Schmidl beleuchtet in seinem Beitrag<br />
– immer natürlich mit Blick auf die politischen<br />
Hintergründe – die militärischen Abläufe<br />
in jenen Märztagen.<br />
<strong>Vor</strong> 100 Jahren erschütterte ein Spionagefall<br />
Militär und Öffentlichkeit der Habsburgermonarchie:<br />
Oberst Alfred Redl, Nachrichtenoffizier<br />
im Geheimdienst ÖsterreichUngarns,<br />
hatte Aufmarschpläne der k.u.k Armee an<br />
Russland, Italien und Frankreich verkauft.<br />
Die vollständige Aufklärung des Hochverrats<br />
unterblieb, nicht zuletzt wegen des<br />
Selbstmordes von Redl. Der Mythenbildung<br />
um den Fall waren in der Folge Tür und Tor<br />
geöffnet. Verena Moritz und Hannes Leidinger<br />
erhellen eines der rätselhaftesten Kapitel<br />
der österreichischen Geschichte.<br />
Von Mythen umrankt ist auch eine weitere<br />
historische Persönlichkeit des Nachbarlandes:<br />
Andreas Hofer, der sich 1809 – zusammen<br />
mit österreichischen Truppen – an der<br />
Spitze von mehreren Tausend Tiroler Bauern<br />
gegen die bayrischfranzösischen Truppen<br />
erhob. Dem bis heute verehrten »Helden«<br />
und <strong>dem</strong> Volksaufstand von 1809 widmet<br />
sich der Beitrag von Julia Thielmann.<br />
Der Potsdamer Musikhistoriker Thomas<br />
Freitag schließlich wendet sich im kommenden<br />
Heft einem »Liebling des Volkes« zu.<br />
Er beschreibt das Wirken von Herms Niel<br />
(1884–1954), des bedeutendsten Marschliedkomponisten<br />
des »Dritten Reiches«.<br />
mt
Militärgeschichte im Bild<br />
»Weiße Rose« –<br />
das historische Bild<br />
Eine Gruppe junger Leute – mehrere<br />
junge Männer, dabei eine offenbar<br />
fröhlich gestimmte, durchaus hübsche<br />
Studentin. Wären die jungen Männer<br />
nicht in Wehrmachtuniform, man<br />
würde sie für das halten, was sie in<br />
Wirklichkeit auch sind: Studenten.<br />
Aber das Bild entsteht im dritten<br />
Kriegssommer, und die Studenten in<br />
Uniform sind allesamt angehende<br />
Mediziner, Angehörige einer Studentenkompanie<br />
in München, die nunmehr<br />
für drei Monate als Sanitätsfeldwebel<br />
zum Kriegsdienst an die Ostfront<br />
müssen.<br />
Die Aussicht auf den Krieg scheint<br />
die Gruppe nicht zu belasten: Der bittere<br />
Kriegswinter 1941 mit seinen<br />
Rückschlägen vor Moskau ist vorbei,<br />
und die deutschen Truppen sind noch<br />
weiter als im <strong>Vor</strong>jahr in die Tiefe des<br />
russischen Raumes vorgestoßen. Bald<br />
werden sie in Stalingrad stehen oder<br />
im Kaukasus. In Nordafrika geht es voran.<br />
Der Krieg, so mag mancher glauben,<br />
ist so gut wie gewonnen. Kein<br />
Wunder, dass die Studentengruppe<br />
fröhlich lacht und die einzige Zivilistin<br />
unter ihnen ausgelassen die Arme<br />
schwenkt.<br />
Und doch erschließt sich das Eigentliche<br />
des Bildes nicht auf den ersten<br />
Blick. Es sind nicht irgendwelche Studenten,<br />
die sich da auf <strong>dem</strong> Münchener<br />
Ostbahnhof verabschieden: Ganz rechts<br />
steht Alexander Schmorell, die Studentin<br />
heißt Sophie Scholl, und die drei<br />
Kommilitonen vor ihr sind (von rechts<br />
nach links) Raimund Samüller, Hans<br />
Scholl und Hubert Furtwängler, Neffe<br />
des Dirigenten Wilhelm Furtwängler.<br />
Hans Scholl und Alexander Schmorell<br />
haben bereits im Juni und Juli insgesamt<br />
vier Flugblätter verfasst, illegal<br />
gedruckt und verteilt. Sie gehören der<br />
Widerstandsgruppe »Weiße Rose« an.<br />
Nun sind die Soldaten also auf <strong>dem</strong><br />
Weg zur 252. Infanteriedivision und<br />
deren Einsatzort Gžansk im Mittelabschnitt<br />
der Ostfront, wo sie auf <strong>dem</strong><br />
Hauptverbandplatz das Leiden und<br />
die Schrecken des Krieges aus nächster<br />
Nähe miterleben. (Sophie Scholl leistet<br />
währenddessen »Kriegshilfsdienst« in<br />
einem Rüstungsbetrieb in Ulm.)<br />
Es ist aber nicht nur die Erfahrung<br />
eines schrecklichen Krieges, welche die<br />
Münchener Studenten zum Handeln<br />
treibt. Natürlich: Ihr fünftes und<br />
sechstes Flugblatt wird – im Winter<br />
5Hans und Sophie Scholl mit Christoph Probst in München, 23. Juli 1942<br />
George Wittenstein/akg<br />
1942/43, nach der Rückkehr aus Russland<br />
– von der Katastrophe bei Stalingrad<br />
geprägt sein. »Dreihundertdreißigtausend<br />
deutsche Männer hat die<br />
geniale Strategie des Weltkriegsgefreiten<br />
sinn und verantwortungslos in<br />
Tod und Verderben gehetzt. Führer,<br />
wir danken dir!«, schreiben sie da voller<br />
Bitterkeit. Aber sie wenden sich<br />
auch gegen die Entchristlichung<br />
Deutschlands, gegen die immer unverschämter<br />
werdenden Parteifunktionäre<br />
(der Gauleiter von München, Paul<br />
Giesler, hatte kritisiert, dass auch<br />
Frauen studieren; sie sollten stattdessen<br />
»<strong>dem</strong> Führer ein Kind schenken«,<br />
er würde auch seine Adjutanten zu<br />
<strong>dem</strong> Zweck vorbeischicken), kurz: Sie<br />
lehnten das gesamte verbrecherische<br />
NSSystem ab.<br />
Bei der Verteilung ihres sechsten<br />
Flugblattes wurden Hans und Sophie<br />
Scholl am 18. Februar 1943 beobachtet,<br />
gestellt und verhaftet. Schon vier Tage<br />
später, am 22. Februar, verhandelte der<br />
eilig nach München zusammengerufene<br />
Volksgerichtshof gegen sie sowie<br />
gegen Christoph Probst und verurteilte<br />
die drei zum Tode. Noch am selben Tag<br />
wurden sie in MünchenStadelheim<br />
hingerichtet. Alexander Schmorell wurde<br />
erst später verhaftet und am <strong>13</strong>. Juli<br />
1943 ermordet. Hubert Furtwängler<br />
überlebte, er starb vor gut einem Jahr,<br />
am 3. Mai 2011, in Maienfeld in der<br />
Schweiz.<br />
Hitler erklärte sich die deutsche Niederlage<br />
im Ersten Weltkrieg mit einem<br />
»Dolchstoß« der Heimat in den Rücken<br />
des Heeres. Jetzt, in der Krise des laufenden<br />
Krieges, sollte sich so etwas<br />
nicht wiederholen. Das NSRegime publizierte<br />
daher die Urteile und Hinrichtungen<br />
der »Weißen Rose« zur Abschreckung.<br />
Nach <strong>dem</strong> Ende des Krieges<br />
wurde die Gruppe zum Symbol für<br />
den Widerstand von Jugendlichen. Sie<br />
handelten aus christlicher Überzeugung,<br />
mit tiefem Ernst. Aber sie waren<br />
zugleich fröhliche junge Studenten –<br />
unser Bild zeigt es.<br />
Winfried Heinemann<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2012<br />
31
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Wie Friedrich »der Große« wurde. Eine kleine Geschichte des Siebenjährigen Krieges<br />
1756 bis 1763. In Zusammenarb. mit <strong>dem</strong> Militärgeschichtlichen Forschungsamt,<br />
Potsdam, und <strong>dem</strong> Militärhistorischen Museum der Bundeswehr, Dresden, hrsg. von<br />
Eberhard Birk, Thorsten Loch und Peter Andreas Popp, Freiburg i.Br., Berlin, Wien:<br />
Rombach 2012, VIII, 306 S., EUR 24,80 [ISBN 978-3-7930-9711-2]<br />
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