Ist Wingfoot Goodyear auf der Suche nach ... - Reifenpresse.de
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Reifen International<br />
30<br />
<strong>Ist</strong> <strong>Wingfoot</strong> <strong>Goodyear</strong> <strong>auf</strong><br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Suche</strong> <strong>nach</strong> passen<strong>de</strong>n Füßen?<br />
<strong>Goodyear</strong> <strong>nach</strong> Gibara: Von Schul<strong>de</strong>n geplagt – Kampf um die Wen<strong>de</strong><br />
The <strong>Goodyear</strong> Tire & Rubber Co. kann nicht mit ihren ertragsstarken<br />
Wettbewerbern Bridgestone (Japan) und Michelin<br />
(Frankreich) mithalten, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong> am En<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Ära Gibara an <strong>de</strong>n<br />
Abgrund gedrängte Konzern kämpft ums Überleben, um ein wenigstens<br />
ausgeglichenes Ergebnis. Hoffnungsträger Bob Keegan, seit Oktober 2000<br />
als Chief Operating Officer (COO) und seit Januar 2003 als CEO verantwortlich,<br />
kämpft mit neuer Mannschaft gegen eine unbarmherzig ticken<strong>de</strong> Uhr. Reicht die<br />
Zeit noch aus? Verspricht die von Keegan vorgenommene „Procterisierung <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Goodyear</strong>“<br />
ein neuer Anfang zu wer<strong>de</strong>n o<strong><strong>de</strong>r</strong> ist <strong><strong>de</strong>r</strong> Anfang vom En<strong>de</strong> damit eingeläutet wor<strong>de</strong>n?<br />
Die Diagnosen sind vorgenommen, <strong><strong>de</strong>r</strong> Behandlungsplan hat längst begonnen, allein<br />
die Wirkung <strong><strong>de</strong>r</strong> Medizin lässt <strong>auf</strong> sich warten. Müssen an<strong><strong>de</strong>r</strong>e Medikamente verschrieben<br />
wer<strong>de</strong>n o<strong><strong>de</strong>r</strong> muss <strong><strong>de</strong>r</strong> Behandlungsplan neu ausgearbeitet wer<strong>de</strong>n?<br />
Niemand sollte die Augen davor verschließen,<br />
dass die fortdauern<strong>de</strong> Schwäche<br />
in Amerika <strong>de</strong>n gesamten Konzern umwerfen<br />
kann, sofern <strong>Goodyear</strong> doch noch unter<br />
Chapter 11 flüchten muss. Reines Wunsch<strong>de</strong>nken,<br />
dass an<strong><strong>de</strong>r</strong>e Regionen sich <strong>de</strong>m folgenlos<br />
entziehen könnten. Wenn schon keine<br />
Wettbewerber, so stün<strong>de</strong>n in diesem Fall<br />
unerwünschte Investorengruppen ante portas,<br />
um <strong>de</strong>n Konzern dann bestmöglich zu filetieren.<br />
Das insgesamt doch enttäuschen<strong>de</strong><br />
Verhandlungsergebnis mit <strong>de</strong>n Steelworkers<br />
zeigt auch, dass <strong>Goodyear</strong> zu viel noch mit<br />
sich selbst beschäftigt bleibt, während gleichzeitig<br />
die bei<strong>de</strong>n großen Konkurrenten Michelin<br />
und Bridgestone Gas geben, sich selbst<br />
als Elefanten beschreiben, die alles nie<strong><strong>de</strong>r</strong>walzen,<br />
was ihnen im Wege steht, während<br />
sie <strong>Goodyear</strong> als sterben<strong>de</strong> Elefantenkuh weit<br />
hinter sich wähnen. O<strong><strong>de</strong>r</strong> ist diese ketzerische<br />
Frage berechtigt: Sucht <strong>Wingfoot</strong> <strong>Goodyear</strong><br />
für seine Schuhe die passen<strong>de</strong>n Füße statt passen<strong>de</strong><br />
Schuhe herzustellen, in <strong>de</strong>nen man angenehm,<br />
komfortabel und schmerzfrei l<strong>auf</strong>en<br />
kann? <strong>Ist</strong> <strong>Goodyear</strong> nunmehr tatsächlich<br />
„market-driven“ o<strong><strong>de</strong>r</strong> nur „procterisiert, gar<br />
„über-procterisiert“? Wie hat sich die in Nordamerika<br />
so schon mausetot gesagte Reifenmarke<br />
Firestone dagegen erholen können!<br />
Vorbemerkung<br />
Wer dieser Zeitschrift ein Nachtreten gegen<br />
Gibara unterstellen will, sei so frei. Gibara sei<br />
doch Geschichte, nun gehe es um Zukunft.<br />
Doch welche Zukunft bietet die unter Keegan<br />
in Gang gekommene „Procterisierung <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
<strong>Goodyear</strong>“? Dabei geht es, zur Vermeidung<br />
jeglicher Missverständnisse, nicht um die neuen<br />
Personen und <strong><strong>de</strong>r</strong>en Fähigkeiten, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n<br />
es geht um die realistischen Möglichkeiten<br />
und die Grenzen von Marketing in <strong><strong>de</strong>r</strong> Reifenbranche.<br />
Wer sich <strong><strong>de</strong>r</strong> Zukunft zuwen<strong>de</strong>t,<br />
kann <strong><strong>de</strong>r</strong> Vergangenheit nicht ausweichen,<br />
son<strong><strong>de</strong>r</strong>n muss sich an Aussagen berühmter<br />
Zeitgenossen erinnern, wie <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>de</strong>s ehemaligen<br />
britischen Premierministers Harold Macmillan<br />
mit seinen Spitznamen Supermac bzw.<br />
Mac the Knife: „Die Vergangenheit sollte ein<br />
Sprungbrett sein, nicht ein Sofa.“ Klarer noch<br />
die Einsicht von José Ortega y Gasset: „Die<br />
Vergangenheit kann uns nicht sagen, was wir<br />
tun, wohl aber, was wir lassen sollen.“ Im Folgen<strong>de</strong>n<br />
wer<strong>de</strong>n Fragen gestellt und Meinungen<br />
geäußert. Ob Meinungen richtig o<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
falsch, wertlos o<strong><strong>de</strong>r</strong> wertvoll bzw. dumm o<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
auch intelligent sind, entschei<strong>de</strong>t je<strong><strong>de</strong>r</strong> Leser<br />
für sich. Da Keegan bisher zu Gesprächen<br />
nicht zur Verfügung stand, können Fragen<br />
rund um <strong>de</strong>n Turnaround-Plan nur in dieser<br />
Form gestellt und Antworten dar<strong>auf</strong> gesucht<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
Vision und Wirklichkeit<br />
Zum En<strong>de</strong> seiner Amtszeit waren Gibaras Visionen<br />
wie Seifenblasen zerplatzt. Analysten<br />
halten ihm vor, viel versprochen und zuletzt<br />
kaum noch was gehalten zu haben. Ein Eingeständnis<br />
auch eigener Fehler fehlt bis heute.<br />
Scheiterte er nur dank externer, außerhalb<br />
seines Einflussbereichs liegen<strong><strong>de</strong>r</strong> Faktoren?<br />
Seit er sich einen Bonus für angebliche Cashflow-Verbesserungen<br />
für das Jahr 2001 in Höhe<br />
von 1,25 Millionen Dollar hatte gewähren<br />
lassen, die laut <strong>de</strong>m Akron Beacon Journal nur<br />
unter Anwendung „aggressiver Bilanzierungsmetho<strong>de</strong>n“<br />
weitgehend <strong>auf</strong> <strong>de</strong>m Papier<br />
angefallen seien und <strong>de</strong>n einzigen Zweck gehabt<br />
haben sollen, <strong>de</strong>n Konzern <strong>nach</strong> außen<br />
besser als <strong><strong>de</strong>r</strong> Wirklichkeit entsprechend präsentieren<br />
zu können, war auch die öffentliche<br />
Meinung in Akron gegen ihn. Vollends unten<br />
durch ist Gibara in <strong>de</strong>n Augen <strong><strong>de</strong>r</strong> Belegschaft,<br />
seit bekannt wur<strong>de</strong>, dass <strong><strong>de</strong>r</strong> um das<br />
Überleben kämpfen<strong>de</strong> Konzern von seinen<br />
Belegschaftsmitglie<strong><strong>de</strong>r</strong>n Opfer und Son<strong><strong>de</strong>r</strong>einsätze<br />
verlangte und bekam, während sich<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Mann an <strong><strong>de</strong>r</strong> Spitze zum Abschied auch<br />
noch 441.692 US-Dollar „für nicht genommenen<br />
Urlaub <strong><strong>de</strong>r</strong> bei<strong>de</strong>n letzten Jahre“ überweisen<br />
ließ, womit <strong>nach</strong> Meinung von Insi<strong><strong>de</strong>r</strong>n<br />
lediglich ein weiterer Bonus für Gibara<br />
trotz <strong>de</strong>s Rekordverlustes versteckt wor<strong>de</strong>n ist.<br />
Für bare Münze nimmt die Belegschaft aber<br />
Gibaras wie<strong><strong>de</strong>r</strong>holtes Bekenntnis, bei allen<br />
Problemen habe <strong>Goodyear</strong> aber die besten<br />
Leute und besten Marken, um die man in <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Industrie benei<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>, die besten Fabriken,<br />
die besten Technologien und die Forschungsund<br />
Entwicklungsleistungen seien state of the<br />
art, weil damit im Umkehrschluss das Management<br />
<strong>auf</strong> sich selbst als Alleinschuldigen<br />
<strong>auf</strong>merksam macht. War <strong><strong>de</strong>r</strong> zuletzt glücklose<br />
Gibara in seinen CEO-Jahren von zu vielen<br />
Claqueuren umgeben, die <strong>de</strong>m Harvard-<br />
Absolventen allzu unkritisch folgten?<br />
Gibara, immerhin noch CEO bis zum<br />
31.12.2002 und bis Juni 2003 Chairman, ist<br />
nicht nur mit seiner Vision gescheitert, aus<br />
<strong>Goodyear</strong> wie<strong><strong>de</strong>r</strong> die Nummer eins im Reifengeschäft<br />
und dazu <strong>de</strong>n am besten verdienen<strong>de</strong>n<br />
Reifenhersteller zu machen, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n<br />
im April/Mai 2003 hingen Keegans Bemühungen<br />
um Neuordnung <strong><strong>de</strong>r</strong> Bankschul<strong>de</strong>n<br />
am sei<strong>de</strong>nen Fa<strong>de</strong>n und wenigstens theoretisch<br />
musste ein Gang unter Chapter 11 <strong>nach</strong><br />
wie vor als nicht unrealistisch in Erwägung gezogen<br />
wer<strong>de</strong>n. Die Banken erhöhten <strong>de</strong>n Kreditrahmen<br />
ihres ohnehin schon ächzen<strong>de</strong>n<br />
Schuldners um rund 500 Millionen US-Dollar,<br />
ließen sich ihre bis dahin weitgehend ungesicherten<br />
Kredite so weit wie nur eben<br />
NEUE ReifenZeitung 9/2003
möglich absichern und verpfän<strong>de</strong>n und re<strong>de</strong>n<br />
seit<strong>de</strong>m bei allen wesentlichen Entscheidungen<br />
mit. Spötter sehen seither das Management<br />
um Keegan in Handschellen von Bankiers<br />
und als Management ohne Handlungsfreiheiten.<br />
Lange konnte das Management<br />
zu<strong>de</strong>m <strong>de</strong>n Eindruck vermitteln, mit <strong>de</strong>n<br />
Steelworkers äußerst hart um einen neuen<br />
Abschluss zu ringen, gegen <strong><strong>de</strong>r</strong>en Wi<strong><strong>de</strong>r</strong>stand<br />
durchzusetzen, was im Sinne <strong>de</strong>s Konzerns<br />
unverzichtbar schien, doch die jetzt bekannten,<br />
noch zu ratifizieren<strong>de</strong>n Ergebnisse<br />
legen die Vermutung nahe, dass <strong><strong>de</strong>r</strong> Handlungsspielraum<br />
<strong>de</strong>s Managements nicht nur<br />
durch die Banken, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n auch durch <strong>de</strong>n<br />
verstärkten Einfluss <strong><strong>de</strong>r</strong> Gewerkschaften eingeschnürt<br />
wird. Trifft diese Zeitschrift <strong>de</strong>n<br />
Nerv o<strong><strong>de</strong>r</strong> geht sie <strong>de</strong>n Managern bloß <strong>auf</strong><br />
die Nerven, die for<strong><strong>de</strong>r</strong>n, das Glas bitte als halb<br />
voll statt halb leer zu beschreiben? Doch wie<br />
das angesichts <strong><strong>de</strong>r</strong> Tatsache, dass CEO-Keegan<br />
das Halbjahresergebnis 2003 selbst als<br />
„enttäuschend“ bezeichnen muss. Heißt „enttäuschend“<br />
nun „halb voll“ o<strong><strong>de</strong>r</strong> „halb leer“<br />
o<strong><strong>de</strong>r</strong> gar „beinahe leer“? Die Region Nordamerika<br />
hat zwar eigenen Angaben zufolge<br />
im Ersatzgeschäft Pkw-Reifen wie<strong><strong>de</strong>r</strong> Anteile<br />
zurückerobern können und war dabei mit<br />
<strong>de</strong>n Marken <strong>Goodyear</strong> und Dunlop und auch<br />
im Geschäft mit Nutzfahrzeugreifen erfolgreich,<br />
dort allerdings in einem ebenfalls rückläufigen<br />
Markt „mit einem weniger vorteilhaften<br />
Produktmix“. Doch so ganz rosig kann<br />
es dann auch wie<strong><strong>de</strong>r</strong> nicht gewesen sein. Der<br />
vor etwa vor zwei Jahren von Paccar abgeworbene<br />
und von <strong>Goodyear</strong> angeheuerte Ted<br />
Fick ist ja gera<strong>de</strong> in diesen Tagen entlassen<br />
wor<strong>de</strong>n. In einem um zehn Prozent rückläufigen<br />
Erstausrüstungsmarkt hat <strong>Goodyear</strong> in<br />
<strong>de</strong>n USA noch mehr als nur zehn Prozent eingebüßt.<br />
Hinzu kommt, dass die Kostenentwicklung<br />
bei Rohstoffen alle Bemühungen<br />
<strong>de</strong>s hoch gehan<strong>de</strong>lten NA Tire-Chefs Rich<br />
ausgerechnet in dieser schwierigen Phase äußerst<br />
erschweren. Jonathan Rich wur<strong>de</strong> ins<br />
Amt gehievt, <strong>nach</strong><strong>de</strong>m North American Tire<br />
– <strong><strong>de</strong>r</strong> Heimatmarkt <strong>Goodyear</strong>s – allein im Jahr<br />
2002 mehr als acht Millionen Pkw-Reifen weniger<br />
als im Jahr zuvor im Ersatzgeschäft abzusetzen<br />
wusste. Klarer lässt sich das Scheitern<br />
einer neu eingeführten Preispolitik kaum<br />
dokumentieren. Preise zu hoch! Marketing zu<br />
schwach! <strong>Goodyear</strong> hat schmerzhaft lernen<br />
müssen, dass <strong><strong>de</strong>r</strong> Markt die Preise macht!<br />
<strong>Goodyear</strong> muss am Markt hängen; <strong><strong>de</strong>r</strong> Markt<br />
hängt sich je<strong>de</strong>nfalls nicht an <strong>Goodyear</strong>! Wie<br />
man hört, haben die Verantwortlichen diesen<br />
Fehlschlag mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Notwendigkeit begrün<strong>de</strong>t,<br />
neue Strukturen einziehen zu müssen. Überzeugen<br />
solche Argumente? Mit <strong>de</strong>m Fehl-<br />
schlag gleich acht Millionen Reifen binnen<br />
Jahresfrist <strong>auf</strong> <strong>de</strong>m Heimatmarkt weniger abzusetzen,<br />
verlor <strong>Goodyear</strong> sehr viel Geld, aber<br />
verglichen mit <strong>de</strong>m, was es kosten wird, verlorenen<br />
Bo<strong>de</strong>n wie<strong><strong>de</strong>r</strong> gutmachen zu können,<br />
war <strong><strong>de</strong>r</strong> schreckliche Misserfolg <strong>de</strong>s Jahres<br />
2002 noch relativ billig. Sechs von sieben Divisions<br />
hätten sich verbessert, heißt es in<br />
Akron stets. Welche Substanz steckt in dieser<br />
Aussage? Europäische Manager stellen die<br />
Frage, wie <strong><strong>de</strong>r</strong> Teilkonzern Europa zu sehen<br />
sei. Motto: Glas halb voll o<strong><strong>de</strong>r</strong> mehr als das!<br />
Samir F. Gibara verbuchte zuletzt nur Misserfolge<br />
Mehr als nur brotlose Kunst? Wie armselig<br />
wäre <strong>Goodyear</strong>-Dunlop in Europa Ost und<br />
West ohne die vom <strong>de</strong>utschen Markt getragenen<br />
Ergebnisse? Es brennt seit Jahren in<br />
Kernmärkten wie England und Frankreich.<br />
Doch Deutschland gilt in Führungskreisen <strong>de</strong>s<br />
Konzerns als „Freizeitpark“. Viel Urlaub, viele<br />
Feiertage, dicke Gehälter, stramme soziale<br />
Leistungen und viel Anspruchs<strong>de</strong>nken. In <strong>de</strong>n<br />
bisherigen Quartalsberichten wird groß und<br />
breit über je<strong>de</strong>s noch so kleine und unbe<strong>de</strong>uten<strong>de</strong><br />
Land <strong><strong>de</strong>r</strong> osteuropäischen Region<br />
berichtet; dass die gesamte Region für sich allein<br />
gesehen sehr wenig darstellt, weil die<br />
Mehrzahl aller dort produzierten Reifen zum<br />
Kostpreis zuzüglich 15 Prozent Kalkulations<strong>auf</strong>schlag<br />
in an<strong><strong>de</strong>r</strong>e Regionen, vorzugsweise<br />
Westeuropa, geliefert wer<strong>de</strong>n, lässt sich <strong>de</strong>n<br />
Berichten nicht entnehmen! Deutschland mag<br />
als „Freizeitpark“ im fernen Amerika verrissen<br />
wer<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>nnoch wäre es äußerst günstig,<br />
auch dort wahrzunehmen, wie knallhart<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Wettbewerb in Deutschland ist. Wer unter<br />
diesen Umstän<strong>de</strong>n bestehen kann und<br />
Jahr für Jahr einen EBIT von weit über 100<br />
Reifen International<br />
Millionen Euro erwirtschaftet, muss sich nirgendwo<br />
im gesamten <strong>Goodyear</strong>-Konzern<br />
verstecken! Doch Erfolg wird gerne relativiert.<br />
Zu gerne behaupten ehemalige wie gegenwärtige<br />
Lan<strong>de</strong>schefs aus Frankreich, England<br />
und an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Län<strong><strong>de</strong>r</strong>n: Wenn wir solch einen<br />
Winter- und Breitreifenmarkt hätten, wären<br />
wir besser als die Deutschen. Kann sein. Aber<br />
Michelin verdient auch in England Geld. Wie<br />
verhält es sich seit vielen Jahren mit <strong>Goodyear</strong>?<br />
Unternehmenskultur mit Fragezeichen<br />
Ob Bridgestone, <strong>Goodyear</strong> und Michelin, je<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Konzern hat seine besten zehn Prozent,<br />
seine schwächsten zehn Prozent und das<br />
Heer <strong><strong>de</strong>r</strong> weißgrauen Belegschaft dazwischen.<br />
Ausgezeichnete Führer profilieren sich in <strong>de</strong>n<br />
Regionen, aber oft gelingt es auch ein paar<br />
Schaumschlägern, sich als energische Führer<br />
darzustellen und <strong>nach</strong> oben zu schwingen.<br />
Gut geführte Konzerne filtern wirkliche Führer<br />
sehr schnell heraus und entlarven ihre<br />
Schaumschläger ebenfalls fix. Wie „tickt“<br />
<strong>Goodyear</strong>? Bridgestone „tickt“ in allen Regionen<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Welt zwar unterschiedlich, letztlich<br />
aber japanisch. François Michelin, die wohl<br />
überragen<strong>de</strong> Persönlichkeit in <strong><strong>de</strong>r</strong> Reifenindustrie<br />
<strong>de</strong>s 20. Jahrhun<strong><strong>de</strong>r</strong>ts, beschwor noch<br />
einmal in seiner Abschiedsre<strong>de</strong> „die Gene <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Auvergne“ seines Weltkonzerns. Wo können<br />
die Grün<strong>de</strong> für Erfolge und Misserfolge liegen,<br />
wenn nicht in <strong>de</strong>n han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n Personen<br />
und in <strong>de</strong>n Unternehmenskulturen, die positive<br />
Auswüchse begünstigen und negative<br />
unverzüglich einbremsen? Bridgestone und<br />
Michelin sind Konzerne geblieben, die mit<br />
Ernsthaftigkeit ein wesentliches Qualitätsprodukt<br />
wie Reifen vermarkten, technisch weitaus<br />
anspruchsvoller als Produkte, die in Plastiktüten<br />
täglich neu gek<strong>auf</strong>t wer<strong>de</strong>n müssen.<br />
Wenn man sich dahingehend verständigen<br />
kann, dass Forschung und Entwicklung im<br />
Reifengeschäft auch in Zukunft keinen einzigen<br />
wirklichen Riesensatz ermöglicht, mit<br />
<strong>de</strong>m lästige Wettbewerber auszuschalten wären,<br />
dass ferner die Zeit <strong><strong>de</strong>r</strong> grandiosen Erfin<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
und Erfindungen vorbei ist, dass sich<br />
technischer Fortschritt über schrittweise Verbesserungen<br />
in einer Fülle von Einzelmaßnahmen<br />
und Einzelschritten manifestiert,<br />
dann sind die Aussichten für <strong>Goodyear</strong> eher<br />
schlecht, weil die Konkurrenten intensiver forschen<br />
und bereit sind, viel mehr Geld für F&E<br />
prozentual vom Umsatz und auch in absoluten<br />
Beträgen <strong>auf</strong>zuwen<strong>de</strong>n als das Unternehmen,<br />
das wie<strong><strong>de</strong>r</strong> zur Nummer eins wer<strong>de</strong>n<br />
möchte. <strong>Ist</strong> F&E eine Glücksache wie Golfen?<br />
Es ist wie beim Golfen, alles Glücksache.<br />
NEUE ReifenZeitung 9/2003 31
Reifen International<br />
Aber die besten Golfer wissen, dass sie umso<br />
mehr „Glück“ haben, je mehr sie trainieren,<br />
Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat.<br />
Das aber ist in Akron alles kein Thema,<br />
<strong>de</strong>nn das Management hat kurz und bündig<br />
festgestellt, die Qualität <strong><strong>de</strong>r</strong> Produkte sei outstanding.<br />
Keine weiteren Diskussionen!<br />
<strong>Goodyear</strong> hing zwar schon früher <strong><strong>de</strong>r</strong> Ruf an,<br />
während BFGoodrich neue Produkte erfin<strong>de</strong>,<br />
Firestone solche zur Se-<br />
rienreife treibe, hätten<br />
nur die Akronesen von<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Market Street die Fähigkeit,<br />
auch einen<br />
Markterfolg daraus machen<br />
zu können. Das<br />
stimmte. Doch inzwischen<br />
gehört BFGoodrich<br />
zu Michelin, Firestone<br />
zu Bridgestone und<br />
damit zu Weltkonzernen, die <strong>Goodyear</strong> hinter<br />
sich gelassen haben. Be<strong>de</strong>utet Sparen in<br />
F&E Schwäche? Keineswegs meinen die Amerikaner,<br />
<strong>Goodyear</strong> verfüge eben über bessere<br />
Software, könne sich <strong>auf</strong> Computersimulationen<br />
verlassen, während Konkurrenten gezwungen<br />
seien, in Straßentests alles mühselig<br />
im Sinne <strong>de</strong>s Wortes erfahren zu müssen.<br />
Wie verzweifelt muss ein für diese Aussage<br />
verantwortlicher Pressemann sein? Sollte aber<br />
tatsächlich ein <strong>Goodyear</strong>-Manager dieser<br />
Aussage Glauben schenken, ist er entwe<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
an Naivität o<strong><strong>de</strong>r</strong> an Arroganz unübertreffbar.<br />
<strong>Goodyear</strong>s Finanzgebaren<br />
Kaum im Amt, trieb Gibara <strong>de</strong>n Konzern 26mal<br />
in Folge zu immer neuen Rekor<strong>de</strong>n. Wie<br />
macht man das ohne „Financial Engineering“,<br />
somit ohne Manipulation? Der Aktienkurs<br />
schoss in die Höhe, Aktionäre nahmen die Gewinne<br />
mit und machten sich aus <strong>de</strong>m Staube.<br />
Eine Belegschaft kann jedoch nicht einfach<br />
„Gewinnmitnahme“ betreiben und sich aus<br />
<strong>de</strong>m Staub machen. Rückschauend beschweren<br />
sich heute <strong>Goodyear</strong>-Manager, Gibara<br />
habe sie mit ihren realistischen Präsentationen<br />
oft genug heimgeschickt und Nachbesserungen<br />
verlangt mit <strong>de</strong>m Bemerken,<br />
Wall Street erwarte mehr von <strong>Goodyear</strong>.<br />
Wenn das stimmt, wem hat es genutzt? Erinnert<br />
sei an <strong>de</strong>n Börsen-Hype mitsamt seinen<br />
Exzessen. Natürlich hatte <strong>Goodyear</strong> auch<br />
Spitzenmanager, die das nicht mitmachten<br />
und eben nicht ihre <strong>auf</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Grundlage realistischer<br />
Möglichkeiten erarbeiteten Zahlen<br />
irgendwelchen Erwartungen anpassten. Dennoch<br />
zeigen sich Beobachter überzeugt, dass<br />
die Zahl <strong><strong>de</strong>r</strong> „Jasager“ <strong>de</strong>utlich in <strong><strong>de</strong>r</strong> Überzahl<br />
war. Doch diese haben (<strong>Wingfoot</strong> Good-<br />
32<br />
Sam Gibara 1996:<br />
„Meine Vision ist es, aus<br />
<strong>Goodyear</strong> im Jahr 2000<br />
<strong>de</strong>n besten Reifenhersteller<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Welt unter Anlegung<br />
aller <strong>de</strong>nkbaren Maßstäbe<br />
zu machen.“<br />
year) dann dafür sorgen wollen, dass <strong><strong>de</strong>r</strong> Fuß<br />
<strong>de</strong>m Schuh passt! Auch <strong>Goodyear</strong> hat viele<br />
höhere Manager zu einschlägigen Seminaren<br />
geschickt mit <strong>de</strong>m Ziel, diesen angeblich mo<strong><strong>de</strong>r</strong>nere<br />
Bilanzierungsmetho<strong>de</strong>n vermitteln<br />
zu lassen. Was sich alles kompliziert anhören<br />
mag, lief doch ganz schlicht und einfach nur<br />
<strong>auf</strong> Diskussionen hinaus, wie man etwas optimal<br />
verbuchen könne. Wie viel einfacher wäre<br />
diese Frage: Wie<br />
war das Geschäft?<br />
Schreiben wir’s <strong>auf</strong>!<br />
Doch einfache Wege<br />
sind Intelligenzbestien<br />
oft genug zuwi<strong><strong>de</strong>r</strong>, so<br />
hat man sich auch bei<br />
<strong>Goodyear</strong> lieber aggressiveBilanzierungspolitik<br />
im Grun<strong>de</strong><br />
weltweit zu Eigen<br />
gemacht, ist dabei aber innerhalb <strong>de</strong>s gesetzlich<br />
vorgegebenen Rahmens geblieben,<br />
während u.a. Enron, Worldcom (war während<br />
<strong>de</strong>s Börsenbooms bis zu 100 Milliar<strong>de</strong>n US-<br />
Dollar wert, hatte allerdings die Bilanzen um<br />
elf Milliar<strong>de</strong>n US-Dollar geschönt und dabei<br />
Verluste als Gewinne gebucht, erklärte sich inzwischen<br />
„freiwillig“ bereit, Aktionäre mit einer<br />
als „Rekordzahlung“ bezeichneten Summe<br />
von 500 Millionen US-Dollar zu „entschädigen“)<br />
diese Grenzen überschritten. Diese<br />
bei<strong>de</strong>n Firmen sind bankrott, ihren ehemaligen<br />
Führern drohen Gefängnisstrafen.<br />
Die Anwendung hier beschriebener aggressiver<br />
Bilanzierungsmetho<strong>de</strong>n war legal, war<br />
sie auch legitim? Stand das noch im Einklang<br />
mit <strong>de</strong>m Konzernanspruch „Protect our good<br />
name“? Auch europäische<strong>Goodyear</strong>-Manager<br />
sahen das recht unverkniffen,<br />
<strong>de</strong>nn angesprochen<br />
<strong>auf</strong> diese Bilanzierungsmetho<strong>de</strong>n<br />
hieß es: „Das ist Bilanzierungskunst,<br />
das sind<br />
Künstler.“ Eine freundliche<br />
Auffor<strong><strong>de</strong>r</strong>ung an<br />
<strong>de</strong>n Journalisten, seinem<br />
eigenen geistigen<br />
Horizont versuchsweise<br />
erst mal <strong>auf</strong> die Schliche<br />
zu kommen, bevor dreisterweise<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> geistige<br />
Horizont einer Koryphäe<br />
vermessen wer<strong>de</strong>n solle.<br />
Im „Land <strong><strong>de</strong>r</strong> unbegrenzten Möglichkeiten“<br />
regt sich ohnehin so schnell niemand<br />
über Peanuts <strong>auf</strong>. Der Chef <strong><strong>de</strong>r</strong> New Yorker<br />
Börse, Dick Grasso (57), hat sich gera<strong>de</strong> in diesen<br />
Tagen „<strong>auf</strong>gel<strong>auf</strong>ene Pensionsbezüge“<br />
und sonstige betriebliche Ansprüche in Höhe<br />
von 139,5 Millionen US-Dollar auszahlen lassen<br />
und bei seinem bisherigen Arbeitgeber<br />
einen neuen Vertrag unterschrieben, <strong><strong>de</strong>r</strong> ihm<br />
nicht allein ein Gehalt von 1,4 Millionen, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n<br />
ferner einen Garantiebonus von einer<br />
Million US-Dollar zusätzlich jährlich garantiert.<br />
Bewerten das nur Europäer als Selbstbedienungsmentalität<br />
bzw. verachten so etwas<br />
als Ausgeburt an Perversion, während<br />
sich Amerikaner schon ruhig stellen lassen mit<br />
<strong>de</strong>m Hinweis, <strong><strong>de</strong>r</strong> Betrag unterliege doch <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Einkommenssteuer? Wenn sich auch Gibaras<br />
Visionen als Fata Morgana erwiesen und sich<br />
verständlicherweise Unmut und Wut Tausen<strong><strong>de</strong>r</strong>,<br />
die ihren Job verloren, über ihm ausbreiten,<br />
so darf man ihm allerdings nicht zu<br />
viel Schan<strong>de</strong>, erst recht nicht zu viel <strong><strong>de</strong>r</strong> Ehre<br />
antun. Ein Mann allein baut keine Schul<strong>de</strong>nberge<br />
in Milliar<strong>de</strong>nhöhe <strong>auf</strong> und erst recht ist<br />
kein Mann allein stark genug, diese abzubauen.<br />
<strong>Goodyear</strong>s Personalpolitik<br />
Sam Gibara 1997:<br />
„Vor fast zwei Jahren habe<br />
ich <strong>Goodyear</strong>’s Mission<br />
in das 21. Jahrhun<strong><strong>de</strong>r</strong>t<br />
eingeführt. Das ist eine<br />
Vision wie <strong>Goodyear</strong>,<br />
strategisch fokussiert <strong>auf</strong><br />
Wachstum und<br />
Kostenführerschaft, <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
beste Reifenhersteller<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Welt unter Anlegung<br />
aller <strong>de</strong>nkbaren<br />
Maßstäbe wird.“<br />
War Gibara selbst noch von seinem Vorgänger<br />
im Amt, „Stan“ Gault, <strong>nach</strong> einem Ausleseverfahren<br />
mit Bill Sharp und John Fiedler<br />
ernannt wor<strong>de</strong>n, so musste die <strong>auf</strong> Druck <strong>de</strong>s<br />
Boards erfolgte Ernennung Keegans zum<br />
COO im Sommer 2000 als eine Art Weck-,<br />
wenn nicht schon Alarmruf verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.<br />
Zu lange waren in Nordamerika die Geschäfte<br />
schon permanent schwächer gewor<strong>de</strong>n.<br />
Wer 30 und mehr Jahre Spitzenjobs in<br />
einem Konzern hatte, mag zu schnell dazu<br />
neigen, diesen Konzern als sein Eigentum zu<br />
sehen. Eine Führungskraft<br />
von außen kann<br />
da durchaus für neues<br />
Denken sorgen. Keegan<br />
trat am 1. Oktober<br />
2000 als Presi<strong>de</strong>nt und<br />
Chief Operating Officer<br />
bei <strong>Goodyear</strong> an<br />
u.a. mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Zusicherung,<br />
binnen drei Jahren<br />
Konzernchef zu<br />
wer<strong>de</strong>n o<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>de</strong>n Konzern<br />
mit einer bereits<br />
festgelegten Abfindung<br />
in Höhe mehrerer<br />
Millionen Dollar<br />
verlassen zu dürfen.<br />
Dass Keegan seine For<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen stellte, ist<br />
verständlich. Dass <strong>Goodyear</strong> sich aber dar<strong>auf</strong><br />
einlassen musste, lässt Rückschlüsse <strong>auf</strong> die<br />
verbliebene Anziehungskraft zu. Stellte sich<br />
die Belegschaft <strong>nach</strong> <strong>de</strong>m Jointventure mit<br />
Dunlop unter Gibara erst <strong>auf</strong> ein „Hiring Free-<br />
NEUE ReifenZeitung 9/2003
Reifen International<br />
ze“ ein und dann <strong>auf</strong> etliche Spar- und Entlassungswellen,<br />
so fin<strong>de</strong>t das unter Keegan bis<br />
heute eine Fortsetzung. 700 Menschen, vorzugsweise<br />
in Akron, entlassen, die Fabrik<br />
Huntsville wird geschlossen und nun sollen<br />
„nationwi<strong>de</strong>“ weitere 500 Arbeitsplätze (white<br />
collar) gestrichen wer<strong>de</strong>n. Wie später noch<br />
auszuführen sein wird, haben die Steelworkers<br />
gegenüber Good-<br />
year durchgesetzt, dass<br />
<strong>auf</strong> je<strong>de</strong>n fünften gekündigten<br />
blue collar (Arbeiter<br />
mit Stun<strong>de</strong>nlohn)<br />
eben auch ein white collar<br />
(Angestellter mit Gehalt)<br />
zu kündigen ist. Um<br />
welche Positionen und<br />
Leute es sich dabei han<strong>de</strong>lt,<br />
stellte Rich jetzt in<br />
das Ermessen <strong><strong>de</strong>r</strong> Fabrikchefs.<br />
Ein En<strong>de</strong> aller<br />
Kündigungen und Unruhen ist nicht in Sicht.<br />
Was kommt noch? Alles nur Erblast Gibara?<br />
Während das Bridgestone-Unternehmensbekenntnis<br />
„Passion for Excellence“ von <strong><strong>de</strong>r</strong> Belegschaft<br />
mit Lei<strong>de</strong>nschaft gelebt und exerziert<br />
wird, ziehen verängstigte und verunsicherte<br />
<strong>Goodyear</strong>-Leute nicht allein in Nordamerika<br />
nur noch <strong>de</strong>n Kopf ein in Erwartung<br />
neuer Horrormeldungen sowie neuer Entlassungswellen.<br />
Gefeuert wer<strong>de</strong>n nicht nur Leute ohne<br />
Können und ohne Fortune, gefeuert wird quer<br />
durch die Bank, weil alles nur noch als Kosten<br />
betrachtet wird.<br />
1. Der Sparkurs in Eink<strong>auf</strong>,<br />
Prozessgestaltung, Forschung<br />
Das von Keegan bezifferte Einsparungspotenzial<br />
bis 2005 soll ein bis eineinhalb Milliar<strong>de</strong>n<br />
US-Dollar betragen, und es wur<strong>de</strong>n<br />
auch Unterlagen präsentiert, wie diese realisiert<br />
wer<strong>de</strong>n sollen. Doch schon die unübersehbare<br />
Bandbreite von immerhin 500 Millionen<br />
Dollar lässt <strong>auf</strong>horchen. Wartet das Management<br />
klammheimlich <strong>auf</strong> eine Verbesserung<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> US-Wirtschaft, um sich dann mit diesem<br />
Argument aus <strong>de</strong>m Plan stehlen zu können?<br />
<strong>Ist</strong> bloß eine von <strong>de</strong>n Banken erwartete<br />
Zahl in plausibel erscheinen<strong><strong>de</strong>r</strong> Form zu Papier<br />
gebracht wor<strong>de</strong>n? Schon 1999 hatte Gibara<br />
öffentlich <strong>nach</strong> <strong>de</strong>m Dunlop-Deal Synergien<br />
in dreistelligen Millionenhöhen vorgerechnet<br />
und eine EBIT-Verbesserung von<br />
jährlich 350 Millionen Dollar in Aussicht gestellt.<br />
Je<strong><strong>de</strong>r</strong>mann hat angesichts <strong><strong>de</strong>r</strong> weiteren<br />
Entwicklung lernen können: Nichts ist so geduldig<br />
wie Papier. Weitgehend sollte dies<br />
durch verbesserte Eink<strong>auf</strong>schancen realisiert<br />
34<br />
Sam Gibara 1998:<br />
„Das Magazin Fortune<br />
sieht <strong>Goodyear</strong> als eine<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> am stärksten<br />
bewun<strong><strong>de</strong>r</strong>ten Firma <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Kautschukbranche.<br />
Wir wer<strong>de</strong>n diese Industrie<br />
in das nächste<br />
Jahrtausend führen.“<br />
wer<strong>de</strong>n. Jetzt will das Management gleich<br />
600 Millionen Dollar im Eink<strong>auf</strong> einsparen.<br />
Wo hat das in <strong><strong>de</strong>r</strong> Geschichte von Großkonzernen<br />
wirklich schon mal stattgefun<strong>de</strong>n?<br />
Und selbst wenn es gelänge, brächte es nur<br />
eine Erleichterung im Wettbewerb, wenn<br />
gleichzeitig die großen Konkurrenten nicht<br />
ebenso erfolgreich wären. <strong>Goodyear</strong> ist in <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
jetzigen Verfassung<br />
für Großlieferanten<br />
ein nicht unerhebliches<br />
Risiko. Warum<br />
sollte es ein Lieferant<br />
auch nur im Ansatz<br />
wagen, <strong>Goodyear</strong> einen<br />
Vorteil gegenüber<br />
Michelin, Bridgestone<br />
und an<strong><strong>de</strong>r</strong>en<br />
einzuräumen? Welcher<br />
Reifenhändler<br />
wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>nn an einen<br />
krisengeschüttelten Großverbraucher noch<br />
mehr liefern, Zahlungsziele ausweiten, Preise<br />
senken und sehen<strong>de</strong>n Auges das Risiko vergrößern?<br />
Hoffnungsfroh projizierte Eink<strong>auf</strong>sersparnisse<br />
sind meist „Luftnummern“. So<br />
hat die wie<strong><strong>de</strong>r</strong> einmal taumeln<strong>de</strong> Autoschmie<strong>de</strong><br />
Chrysler vor zwei Jahren solche Eink<strong>auf</strong>sersparnisse<br />
angeblich mit Rücken<strong>de</strong>ckung<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> potenten Muttergesellschaft<br />
Daimler durchdrücken können. Mit welchem<br />
Ergebnis? Milliar<strong>de</strong>nverluste damals, ebensolche<br />
heute. Nun kann<br />
man mit <strong>Goodyear</strong> weiteres<br />
Einsparpotenzial<br />
diskutieren, doch all diese<br />
Maßnahmen sind bei<br />
<strong>de</strong>n Konkurrenten selbstverständlich.Kostensenkung<br />
bleibt ein ewiges<br />
Rennen ohne Ziellinie.<br />
Aber hat <strong>Goodyear</strong> nur<br />
ein Kostenproblem o<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
auch ein Marktproblem<br />
o<strong><strong>de</strong>r</strong> gar bei<strong>de</strong>s?<br />
2a. Der Sparkurs mit<br />
<strong>de</strong>n Beschäftigten<br />
Welche Entlassungswellen<br />
und Werksschließungen<br />
stehen <strong>de</strong>n Beschäftigten<br />
noch bevor? In Europa<br />
wur<strong>de</strong>n in <strong><strong>de</strong>r</strong> jüngeren<br />
Vergangenheit bereits<br />
zwei Dunlop-Fabriken<br />
geschlossen, nun ereilt<br />
mit Huntsville in <strong>de</strong>n<br />
USA eine weitere Fabrik dieses Schicksal. Da<br />
hat <strong>Goodyear</strong> angeblich ganz hart verhan<strong>de</strong>lt,<br />
aber sofort ließen sich die Gewerkschafter vernehmen,<br />
die Vereinbarung mit <strong>Goodyear</strong> im<br />
Ergebnis auch bei Bridgestone, Michelin und<br />
an<strong><strong>de</strong>r</strong>en umsetzen zu wollen. Doch das dürfte<br />
schwer sein und <strong>Goodyear</strong> im Wettbewerb<br />
wenig nutzen, weil etwa 70 bis 80 Prozent<br />
von <strong><strong>de</strong>r</strong>en Produktionskapazitäten aus „nonunionized-factories“<br />
kommen. Hat <strong>Goodyear</strong><br />
nun wirkliche Fortschritte erzielt, gar einen<br />
Durchbruch geschafft? O<strong><strong>de</strong>r</strong> musste das Verhandlungsergebnis<br />
so hingenommen wer<strong>de</strong>n,<br />
weil sich <strong><strong>de</strong>r</strong> Arbeitgeber einen auch nur<br />
kurzen Streik in <strong><strong>de</strong>r</strong> gegebenen Situation einfach<br />
nicht leisten konnte? Dann allerdings<br />
hätte man sich nur Zeit gek<strong>auf</strong>t, ein ungelöst<br />
gebliebenes Problem wird dann wie<strong><strong>de</strong>r</strong> zurückkommen.<br />
Schon die Verhandlungen mit<br />
<strong>de</strong>n Banken um Neuordnung <strong><strong>de</strong>r</strong> Schul<strong>de</strong>n<br />
und Ausweitung <strong><strong>de</strong>r</strong> Kreditlinie sahen sehr<br />
<strong>nach</strong> K<strong>auf</strong> von Zeit aus. Verhan<strong>de</strong>lt wur<strong>de</strong><br />
jetzt mit <strong>de</strong>n Gewerkschaften ein 27-seitiger<br />
Vertrag unter <strong><strong>de</strong>r</strong> Überschrift „Saving our<br />
jobs, our retirees, our standard of living, our<br />
future. <strong>Goodyear</strong>, a company in crisis“. <strong>Goodyear</strong><br />
beugt sich <strong>de</strong>n Gewerkschaften. Man habe<br />
ja gewusst, dass <strong>Goodyear</strong> Probleme habe,<br />
aber dass es sich um eine solch tiefgreifen<strong>de</strong><br />
Krise han<strong>de</strong>le, habe man erst durch eigene<br />
intensive Nachforschungen erfahren,<br />
teilt die Führung <strong><strong>de</strong>r</strong> Steelworkers <strong>de</strong>n Mitglie<strong><strong>de</strong>r</strong>n<br />
mit. Nie zuvor habe eine Gewerkschaft<br />
die Finanzen eines Konzerns so intensiv<br />
untersucht wie<br />
Sam Gibara 1999:<br />
„Das Jahr war unter<br />
strategischem Aspekt<br />
großartig, operativ<br />
aber enttäuschend. Das<br />
kommen<strong>de</strong> Jahr wird<br />
weitaus besser wer<strong>de</strong>n.<br />
Wir wer<strong>de</strong>n<br />
Dunlop integrieren und<br />
auch die an<strong><strong>de</strong>r</strong>en<br />
Akquisitionen in Polen,<br />
Slowenien und<br />
Südafrika. Wir wer<strong>de</strong>n im<br />
amerikanischen<br />
Ersatzgeschäft schneller<br />
wachsen als im<br />
Erstausrüstungsgeschäft,<br />
und wir wer<strong>de</strong>n stark in<br />
Forschung und<br />
Entwicklung investieren.“<br />
dieses Jahr bei <strong>Goodyear</strong><br />
und sei dabei<br />
von einigen <strong><strong>de</strong>r</strong> besten<br />
Analysten von<br />
Wall Street unterstützt<br />
wor<strong>de</strong>n. Ein<br />
noch härteres Auftreten,<br />
meinen die Verhandlungsführer,hätte<br />
<strong>Goodyear</strong> in <strong>de</strong>n<br />
Ruin getrieben. Man<br />
habe die Gefahr <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Konzernzerschlagung<br />
durchaus vor<br />
Augen gehabt. Die<br />
Vereinbarung kann<br />
getrost als schwere<br />
Nie<strong><strong>de</strong>r</strong>lage für das<br />
Management bezeichnet<br />
wer<strong>de</strong>n. Das<br />
<strong>Goodyear</strong>-Management<br />
sei in die Verhandlungengegangen<br />
mit <strong>de</strong>m Ziel, verschie<strong>de</strong>ne<br />
Fabriken<br />
zu schließen, um dann umso mehr Reifen aus<br />
Billiglohnlän<strong><strong>de</strong>r</strong>n zu importieren. Ferner soll-<br />
NEUE ReifenZeitung 9/2003
te die Produktionskapazität in „Non-Union-<br />
Fabriken“ erhöht wer<strong>de</strong>n. Man habe weiter<br />
außerhalb <strong><strong>de</strong>r</strong> USA investieren und Maschinen<br />
aus stillgelegten amerikanischen Fabriken<br />
verk<strong>auf</strong>en wollen. Doch da spielten die Gewerkschaften<br />
nicht mit und <strong>Goodyear</strong> musste<br />
sich <strong><strong>de</strong>r</strong>en Druck beugen. Nunmehr wird lediglich<br />
eine Fabrik in Huntsville geschlossen;<br />
dafür haben die Steelworkers aber die Garantie<br />
erhalten, dass in <strong>de</strong>n kommen<strong>de</strong>n drei<br />
Jahren, so lange soll <strong><strong>de</strong>r</strong> Vertrag gelten, keine<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> von <strong>de</strong>n Gewerkschaften kontrollierten<br />
weiteren zwölf Fabriken geschlossen wird,<br />
neue Produkte zunächst in <strong><strong>de</strong>r</strong>en Fabriken<br />
hergestellt wer<strong>de</strong>n und Importe aus Billiglohnlän<strong><strong>de</strong>r</strong>n<br />
nur dann erhöht wer<strong>de</strong>n dürfen,<br />
wenn alle Fabriken voll ausgelastet sind. Eine<br />
Verlagerung von Produktion aus <strong>de</strong>n Gewerkschaftsfabriken<br />
in solche ohne Gewerkschaftskontrolle<br />
ist <strong>de</strong>m Management ebenfalls<br />
untersagt. Dem Management sind auch<br />
in eigener Sache die Hän<strong>de</strong> gebun<strong>de</strong>n wor<strong>de</strong>n.<br />
Zur Vermeidung ausufern<strong><strong>de</strong>r</strong> Selbstbedienung<br />
von Spitzenmanagern dürfen diese<br />
nur noch so viel verdienen wie Spitzenleute<br />
vergleichbarer Unternehmen und vergleichbarer<br />
Größe. Einem Missbrauch von Stock<br />
Options habe man einen Riegel vorgeschoben,<br />
triumphiert die Gewerkschaft. Mit diesem<br />
Ergebnis hat <strong>Goodyear</strong> <strong>nach</strong> Meinung<br />
von Analysten zu wenig erreicht, um <strong>de</strong>s<br />
Problems <strong><strong>de</strong>r</strong> Überkapazitäten Herr wer<strong>de</strong>n<br />
zu können. Man hätte etwa drei o<strong><strong>de</strong>r</strong> gar vier<br />
Fabriken schließen müssen. So aber könnten<br />
bestenfalls 60 bis 70 Millionen US-Dollar eingespart<br />
wer<strong>de</strong>n, während weit mehr als „nur“<br />
halbe Milliar<strong>de</strong> Dollar zuvor im Raum gestan<strong>de</strong>n<br />
hätten. Bloomberg News schreibt,<br />
<strong>Goodyear</strong> wer<strong>de</strong> wohl allergrößte Probleme<br />
haben, die avisierten Einsparungen realisieren<br />
zu können. Eigentlich wird das bereits jetzt für<br />
unmöglich gehalten.<br />
2b. Der Huntsville-Effekt<br />
In Huntsville wer<strong>de</strong>n täglich rund 15.000 Reifen<br />
gefertigt von rund 250.000 bis 275.000<br />
Reifen insgesamt in Nordamerika. Selbst<br />
wenn man unterstellt, dass diese Produktionskapazität<br />
<strong>auf</strong> die sonstigen Fabriken verlagert<br />
wer<strong>de</strong>n kann ohne neue Mitarbeiter<br />
einstellen zu müssen, dürften die Einsparungen<br />
bei etwa 150.000 Dollar täglich (Basis:<br />
zehn Dollar Fixkosten pro Reifen) und somit<br />
bei rund 50 Millionen Dollar jährlich liegen,<br />
wobei zunächst aber noch Schließungskosten<br />
in erheblichem Umfang anfallen. 50 Millionen<br />
Dollar sind viel, aber sie sind eben auch in Relation<br />
zu setzen zu einer Region, die rund sieben<br />
Milliar<strong>de</strong>n Dollar jährlich umsetzt. Wie<br />
man sich mit Schließungen zu<strong>de</strong>m irren kann,<br />
zeigt das Hin und Her um die Gads<strong>de</strong>n-Fabrik.<br />
Erst geschlossen, ein halbes Jahr später<br />
wie<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>auf</strong>gemacht. Somit brennt die Frage<br />
noch stärker <strong>auf</strong> <strong>de</strong>n Nägeln, ob die angeblichen<br />
Verhandlungserfolge auch nur annähernd<br />
<strong>de</strong>m entsprechen, was man wollte und<br />
was notwendig gewesen wäre. <strong>Ist</strong> Sparen in<br />
dieser Form mehr als eine verzweifelte Verteidigungsstrategie?<br />
Wer Belegschaften motivieren<br />
will, muss ihnen Perspektiven <strong>auf</strong>zeigen,<br />
eine Vorwärtsstrategie ermöglichen!<br />
Wenn das Sparen schon nicht klappt, wo sind<br />
solche Vorwärtsstrategien?<br />
3a. Welchen Wert hat <strong>Goodyear</strong> mit<br />
Dunlop erworben<br />
Vor welchem Hintergrund und mit welchen<br />
Zielen hat <strong>Goodyear</strong> 1999 Dunlop übernommen?<br />
Was bekam <strong><strong>de</strong>r</strong> Konzern für mehr<br />
als 900 Millionen Dollar und wie viele hun-<br />
Bob Keegan, seit Oktober 2000 Spitzenmanager bei<br />
<strong>Goodyear</strong>, versprach im Frühsommer 2003: Die Zukunft<br />
beginnt jetzt<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong>t Millionen hat er an Schließungskosten<br />
bezahlt? <strong>Ist</strong> das nun alles? Welche Konsequenz<br />
hat es, dass <strong>Goodyear</strong> in diesem Jahr<br />
die Beteiligung an SRI (Sumitomo Rubber Industries)<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> blanken Not gehorchend verk<strong>auf</strong>te?<br />
SRI galt bis 1999 nur <strong>de</strong>shalb als kreditwürdig,<br />
weil man annehmen durfte, dass<br />
das große Sumitomo-Konglomerat im Falle eines<br />
Falles einspringen wür<strong>de</strong>. Heute ist dieselbe<br />
Firma bärenstark und könnte <strong>de</strong>n ach<br />
so großen <strong>Goodyear</strong>-Konzern <strong>auf</strong>k<strong>auf</strong>en zu<br />
ziemlich genau <strong>de</strong>m Preis, <strong>de</strong>n es 1999 für<br />
<strong>de</strong>n Verk<strong>auf</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong>, wie man heute allzu gut<br />
weiß, äußerst sanierungswürdigen Dunlop-<br />
Reifenaktivitäten in Europa (Ausnahme: die<br />
<strong>de</strong>utschen Reifenwerke) und <strong>de</strong>n USA erzielte.<br />
Das wäre doch was. Auf Kosten <strong><strong>de</strong>r</strong> Good-<br />
Reifen International<br />
year erst alles sanieren lassen und dann gnädig<br />
das Gesamtgebil<strong>de</strong> zu <strong>de</strong>m Preis übernehmen,<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> von <strong>Goodyear</strong> 1999 für alte und<br />
nicht mehr wettbewerbsfähige Fabriken bezahlt<br />
wor<strong>de</strong>n war. Das mag ja nur Wunsch<strong>de</strong>nken<br />
einiger Dunlop-Manager in USA, vor<br />
allem aber in Europa sein. Realistischer ist da<br />
schon die Annahme, dass Dunlop seinen 25prozentigen<br />
Anteil am Jointventure in Europa<br />
(Westeuropa) <strong>auf</strong>stocken wür<strong>de</strong>. Doch dabei<br />
können die Japaner sich alle Zeit <strong><strong>de</strong>r</strong> Welt<br />
lassen. Sollte <strong><strong>de</strong>r</strong> große US-Konzern unter<br />
Chapter 11 geraten, bestimmen sie die Konditionen<br />
vollständig. An ihnen geht kein Weg<br />
vorbei, weil sie zu je<strong><strong>de</strong>r</strong> Zeit ihren Anteil <strong>auf</strong>stocken<br />
können. <strong>Goodyear</strong> könnte selbst im<br />
Falle eines Falles in Europa nichts gegen die<br />
Japaner entschei<strong>de</strong>n. Das Verhältnis 25 : 75<br />
zu Gunsten von <strong>Goodyear</strong> gibt die wirklichen<br />
Macht- und Einflussverhältnisse nicht wie<strong><strong>de</strong>r</strong>.<br />
<strong>Goodyear</strong> meinte 1999, Anlagevermögen,<br />
Fabriken und Marken übernommen zu haben.<br />
Über das Schicksal einiger Dunlop-Fabriken<br />
und <strong>de</strong>n Sanierungs<strong>auf</strong>wand von einigen<br />
hun<strong><strong>de</strong>r</strong>t Millionen Dollar wur<strong>de</strong> in diesem<br />
Beitrag schon berichtet. Die Markenrechte<br />
Dunlop sind <strong>de</strong>n Banken verpfän<strong>de</strong>t.<br />
Gab es mal die Vorstellung, <strong>auf</strong> <strong>de</strong>m strategisch<br />
nicht ganz unwichtigen Markt Japan, wo<br />
<strong>Goodyear</strong> sich seit Jahrzehnten mit erbärmlichem<br />
Erfolg umtut, reüssieren zu können, so<br />
dürfte sich das mit <strong>de</strong>m Verk<strong>auf</strong> <strong>de</strong>s zehnprozentigen<br />
Anteils an SRI von selbst erledigt<br />
haben. Eigentlich wollte <strong>Goodyear</strong> diesen Anteil<br />
ja schrittweise <strong>auf</strong>stocken. Es gibt nichts<br />
mehr, was man in Japan als Partnerverpflichtungen<br />
betrachten könnte; und warum SRI einem<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong>zeit schwächlichen Konkurrenten<br />
Freundschaftsdienste erweisen sollte, steht im<br />
Ermessen <strong><strong>de</strong>r</strong> Leserphantasie. Der avisierte<br />
Wachstumssprung, Umsatzerweiterung von<br />
knapp 14 Milliar<strong>de</strong>n <strong>auf</strong> 20 Milliar<strong>de</strong>n Dollar,<br />
entpuppte sich als Rohrkrepierer. Wenn <strong>de</strong>nn<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> SRI/Dunlop-Deal für <strong>Goodyear</strong> jemals<br />
<strong>auf</strong> einer strategischen Grundlage gestan<strong>de</strong>n<br />
haben sollte, so wäre diese Grundlage entfallen.<br />
Was folgt daraus? Kann <strong><strong>de</strong>r</strong> Konzern einer<br />
Strategie<strong>de</strong>batte weiter ausweichen?<br />
Müssen die Mitarbeiter nicht in allen Teilen<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Welt wissen, wohin die Reise gehen soll,<br />
um ihren Beitrag für eine pünktliche Ankunft<br />
erbringen zu können?<br />
3b. Fragen zur Rolle <strong><strong>de</strong>r</strong> Sumitomo<br />
Rubber Industries (SRI)<br />
Im Wege <strong><strong>de</strong>r</strong> Neuordnung ihrer Schul<strong>de</strong>n hat<br />
<strong>Goodyear</strong> nahezu alles <strong>de</strong>n Banken verpfän<strong>de</strong>n<br />
müssen, auch in Europa, auch in West-<br />
Europa, wo SRI mit immerhin 25 Prozent be-<br />
NEUE ReifenZeitung 9/2003 35
Reifen International<br />
teiligt ist. Ohne vorherige Zustimmung <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
SRI wäre ein Pfand <strong><strong>de</strong>r</strong> Banken relativ wertlos.<br />
Somit wird – rein spekulativ! – eine vorherige<br />
Zustimmung <strong><strong>de</strong>r</strong> SRI unterstellt. Warum,<br />
vor allem <strong>auf</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Grundlage welchen<br />
Rechtes, sollte SRI aber vorbehaltlos zugestimmt,<br />
und damit die Interessen <strong><strong>de</strong>r</strong> eigenen<br />
Aktionäre geschädigt,<br />
je<strong>de</strong>nfalls gefähr<strong>de</strong>t haben?<br />
Somit wird –<br />
wie<strong><strong>de</strong>r</strong>um rein spekulativ<br />
– zu unterstellen<br />
sein, dass <strong>Goodyear</strong><br />
<strong>de</strong>n Partner SRI an<strong><strong>de</strong>r</strong>weitig<br />
abgesichert hat.<br />
Ohne eine solche Absicherung<br />
hätte das SRI-<br />
Management kaum<br />
eine Rechtfertigung<br />
gehabt, <strong>Goodyear</strong>s<br />
Wunsch und <strong><strong>de</strong>r</strong> For<strong><strong>de</strong>r</strong>ung<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Banken <strong>nach</strong>kommen<br />
zu dürfen.<br />
Dafür gibt es auch –<br />
wie<strong><strong>de</strong>r</strong> reine Spekulation<br />
– dann auch Hinweise.<br />
Tatsache ist, dass<br />
die Sava-Fabrik vom K<strong>auf</strong> durch <strong>Goodyear</strong> an<br />
in das Vermögen <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Goodyear</strong> in USA integriert<br />
war. Dass die Fabrik erst seit einigen Monaten<br />
zu <strong>Goodyear</strong> Dunlop Western Europe<br />
gehört, haben die bei<strong>de</strong>n Presi<strong>de</strong>nts in Europa,<br />
Jarro Kaplan (Ost) und Michael Roney<br />
(West), <strong>auf</strong> Anfrage bestätigt ohne Hintergrün<strong>de</strong><br />
und weitere Informationen dafür geben<br />
zu wollen o<strong><strong>de</strong>r</strong> geben zu können. Warum<br />
bringt man etwas in ein Jointventure ein,<br />
was einem voll gehört und teilt fortan auch<br />
<strong>de</strong>n Gewinn im Verhältnis eins zu drei, was<br />
einem zuvor zu 100 Prozent zur Verfügung<br />
stand? Hat SRI <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Goodyear</strong> eine Millionensumme<br />
für <strong>de</strong>n 25-prozentigen Anteil an <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Sava-Fabrik überwiesen? Davon ist nichts bekannt<br />
und, so weit zu sehen, we<strong><strong>de</strong>r</strong> durch<br />
<strong>Goodyear</strong> noch durch SRI etwas veröffentlicht.<br />
In Presseverlautbarungen diesen Jahres<br />
allerdings ist die Re<strong>de</strong> davon, <strong>Goodyear</strong> wer<strong>de</strong><br />
mit SRI in Asien weitaus stärker als zuvor<br />
zusammenarbeiten und SRI-Waren von Asien<br />
aus verstärkt beziehen. In Asien (ohne Einbeziehung<br />
von Japan) ist <strong>Goodyear</strong> allerdings<br />
weit stärker als SRI. Hat es hier einen ähnlichen<br />
Deal gegeben und gehört vielleicht (das<br />
ist wie<strong><strong>de</strong>r</strong>um reine Spekulation) eine asiatische<br />
<strong>Goodyear</strong>-Fabrik faktisch bereits SRI?<br />
Wer Spekulationen dieser Art ablehnt, soll<br />
dann davon ausgehen, dass SRI Freundschaftsdienste<br />
leistet und sich selbst noch höheren<br />
Risiken völlig ungeschützt ausgesetzt<br />
haben könnte.<br />
36<br />
Sam Gibara 2000:<br />
„Wir hatten<br />
Rekordverkäufe, aber die<br />
Erträge waren<br />
enttäuschend. Angesichts<br />
schwieriger Umstän<strong>de</strong><br />
erzielten unsere<br />
Mitarbeiter weltweit<br />
hervorragen<strong>de</strong> Fortschritte<br />
<strong>auf</strong> vielen Fel<strong><strong>de</strong>r</strong>n, die als<br />
langfristige strategische<br />
Werte für das<br />
Unternehmen gewertet<br />
wer<strong>de</strong>n müssen.“<br />
4. <strong>Goodyear</strong>: Marken und Menschen und<br />
die „Procterisierung“<br />
Hat <strong>Goodyear</strong> die besten Marken und die<br />
besten Leute, um die <strong><strong>de</strong>r</strong> Konzern in <strong><strong>de</strong>r</strong> Branche<br />
benei<strong>de</strong>t wird? Je<strong>de</strong>nfalls haben Gibara<br />
und auch Keegan das selbst behauptet. Ersterer<br />
war bei <strong>de</strong>n Kun-<br />
<strong>de</strong>n weniger präsent,<br />
letzterer will <strong>auf</strong> Kun<strong>de</strong>n<br />
wenigstens hören<br />
und kommt im Gespräch<br />
mit Kun<strong>de</strong>n<br />
auch durchaus an. Das<br />
bestätigen Händler und<br />
Konzernmanager, <strong>de</strong>nen<br />
lediglich <strong><strong>de</strong>r</strong> zu<br />
oft geäußerte Hinweis<br />
„dies haben wir bei Kodak<br />
so gemacht“ Zahnschmerzen<br />
verursacht.<br />
Nett zu wissen, aber<br />
wer ist Kodak? Eine vorbildliche<br />
Firma, eine mit<br />
unta<strong>de</strong>ligen Fähigkeiten,<br />
unta<strong>de</strong>ligem Ruf<br />
und großen Erfolgen<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> letzten zehn Jahre?<br />
Das ist bei Procter & Gamble an<strong><strong>de</strong>r</strong>s. Dieser<br />
Konzern versteht Marketing, versteht Marketingkonzepte<br />
und Strategien ständig neu<br />
zu erarbeiten und erfolgreich<br />
durchzusetzen, er<br />
setzt rund 40 Milliar<strong>de</strong>n<br />
Dollar um und erwirtschaftet<br />
einen EBIT von<br />
6,67 Milliar<strong>de</strong>n Dollar<br />
sowie einen Nettogewinn<br />
von 4,3 Milliar<strong>de</strong>n<br />
Dollar. PG nennt mehr<br />
als 300 Marken sein Eigen,<br />
ist tätig in <strong><strong>de</strong>r</strong> Babypflege<br />
(Pampers),<br />
Schönheitspflege (Oil of<br />
Olaz), Textil- und Haushaltspflege<br />
(Lenor, Meister<br />
Proper), Gesundheitspflege<br />
(Blend-a-med),<br />
Hygienepapier (Tempo),<br />
Damenhygiene (Always).<br />
Diese Produkte wer<strong>de</strong>n<br />
über Verbrauchermärkte<br />
sowie C+C-Märkte weltweit<br />
abgesetzt.<br />
Keegan hat viele Manager<br />
von außen, von<br />
Procter & Gamble und<br />
ähnlichen Konzernen<br />
kommend, bei <strong>Goodyear</strong><br />
in Amt und Wür<strong>de</strong>n<br />
Sam Gibara 2001:<br />
„Wir blicken <strong>auf</strong> gute<br />
Leistungen und auch <strong>auf</strong><br />
Enttäuschungen zurück,<br />
aber zum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Jahres<br />
2001 ist <strong>Goodyear</strong> weitaus<br />
besser positioniert als im<br />
vorigen Jahr. Wir sind<br />
bereit für die<br />
wirtschaftliche Wen<strong>de</strong>.<br />
Wir haben einen Cash<br />
Flow von 475 Millionen<br />
Dollar erwirtschaftet und<br />
verfügen über flüssige<br />
Mittel von fast einer<br />
Milliar<strong>de</strong> Dollar. Mit <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Marke <strong>Goodyear</strong><br />
gewannen wir<br />
Marktanteile hinzu und<br />
wir erwarten dass <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
,Flight to Quality’ sich im<br />
Jahr 2002 noch<br />
beschleunigt.“<br />
gebracht. Richtig o<strong><strong>de</strong>r</strong> falsch? Je<strong>de</strong>nfalls hat er<br />
damit nicht nur viele fähige und ehrgeizige,<br />
son<strong><strong>de</strong>r</strong>n auch erfahrene Manager („Eigengewächse“)<br />
enttäuscht und vergrätzt. Zuvor hatten<br />
Gibara und Keegan ja unisono gelobt,<br />
<strong>Goodyear</strong> wer<strong>de</strong> auch wegen seiner Menschen<br />
von <strong>de</strong>n Wettbewerbern benei<strong>de</strong>t. Da<br />
<strong>Goodyear</strong> eine Neubesinnung <strong>auf</strong> Marketing<br />
brauchte, muss man das aber möglicherweise<br />
in K<strong>auf</strong> nehmen. Hat es wirklich an Leuten<br />
o<strong><strong>de</strong>r</strong> fehlen<strong>de</strong>n bzw. zu knapp bemessenen<br />
Budgets gemangelt in einem in <strong><strong>de</strong>r</strong> Vergangenheit<br />
nahezu zu To<strong>de</strong> gesparten Reifenkonzern?<br />
Zur Erinnerung: Keegan hat gleich<br />
zu Beginn seiner Amtszeit die Werbeagentur<br />
gewechselt, sehr stark einseitig <strong>auf</strong> Werbung<br />
für <strong>de</strong>n Endverbraucher gesetzt und neue<br />
Marketingleute geholt. Nach drei Jahren darf<br />
man <strong>nach</strong> <strong>de</strong>n Ergebnissen wenigstens mal<br />
fragen! Wer ist für die bisher nicht eingetretenen<br />
Ergebnisse (Keegan selbst sagte: „enttäuschend“)<br />
verantwortlich? <strong>Ist</strong> <strong>Goodyear</strong> nur,<br />
o<strong><strong>de</strong>r</strong> auch nur zu schnell und zu stark, „procterisiert“<br />
wor<strong>de</strong>n? Wird dieses Spiel (Gamble)<br />
für <strong>Goodyear</strong> gut ausgehen o<strong><strong>de</strong>r</strong> zu einem<br />
Waterloo führen? Brauchte man <strong>auf</strong> allen Ebenen<br />
neue Manager von außen? Solche von<br />
Procter & Gamble und ähnlichen Unternehmen<br />
mit großen Marketingabteilungen? Die<br />
Antwort ist ein<strong>de</strong>utig: Ja. Nur bei <strong>Goodyear</strong><br />
lan<strong>de</strong>ten diese neuen Manager meist gleich<br />
in absoluten Top-Positionen.<br />
Braucht man<br />
Leute, die alte Schuhe<br />
weit wegwerfen, bevor<br />
sie sich <strong><strong>de</strong>r</strong> eigenen<br />
L<strong>auf</strong>fähigkeit in<br />
neuen Schuhen gewiss<br />
sind? Sollen neue<br />
Manager alles umkrempeln<br />
o<strong><strong>de</strong>r</strong> sollen<br />
sie mithelfen, frischen<br />
Wind in möglicherweise<br />
verstaubtes Denken<br />
bringen zu können?<br />
Man muss sich<br />
vielleicht auch die Frage<br />
stellen, was einen<br />
ausgezeichneten<br />
Marketingexperten<br />
veranlassen könnte,<br />
eine Marketingschmie<strong>de</strong><br />
wie Procter &<br />
Gamble zu verlassen<br />
und zu einem Reifenhersteller<br />
zu gehen,<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> nicht allein erkennbar<br />
in großen<br />
Schwierigkeiten ist,<br />
son<strong><strong>de</strong>r</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong> über-<br />
NEUE ReifenZeitung 9/2003
Reifen International<br />
haupt nicht auch nur im Ansatz über Budgets<br />
verfügt, die erfor<strong><strong>de</strong>r</strong>lich wären, „eine Marke<br />
zu machen“. Das Waschmittel Persil ist allein<br />
in Deutschland mit einem Werbe<strong>auf</strong>wand von<br />
vermutlich 20 Millionen Euro zur Marke gemacht<br />
wor<strong>de</strong>n; doch diese 20 Millionen müssen<br />
je<strong>de</strong>s Jahr neu investiert wer<strong>de</strong>n, dass die<br />
Marke so stark bleibt wie sie ist. Ein Lernerfolg<br />
steht <strong><strong>de</strong>r</strong> großen und einst so starken<br />
<strong>Goodyear</strong> <strong>nach</strong> hier vorliegen<strong><strong>de</strong>r</strong> Überzeugung<br />
noch sehr schmerzhaft bevor: Grundvoraussetzung<br />
für Erfolg<br />
bleibt, geschriebene, vor<br />
allem ungeschriebene<br />
Gesetze <strong>de</strong>s Marktes zu<br />
kennen, um sie dann<br />
auch respektieren zu<br />
können. Procter & Gamble<br />
ist unter Marketinggesichtspunkten<br />
eine<br />
phantastische Firma, die<br />
<strong>de</strong>n Endverbraucher bestens<br />
kennt, führen und<br />
im positiven Sinne auch<br />
verführen kann. Für<br />
<strong>Goodyear</strong> und die Reifenindustrie<br />
ist aber alles<br />
an<strong><strong>de</strong>r</strong>s. <strong>Goodyear</strong> macht<br />
<strong>de</strong>n Markt nicht, aber <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Markt hat Platz für <strong>Goodyear</strong>.<br />
<strong>Goodyear</strong> macht<br />
und verkün<strong>de</strong>t keine<br />
Preise, aber <strong><strong>de</strong>r</strong> Markt<br />
lässt unterschiedliche Preise<br />
in einer bestimmten<br />
Bandbreite zu. Je<strong><strong>de</strong>r</strong> Versuch,<br />
erfolgreiche Maßnahmen<br />
aus an<strong><strong>de</strong>r</strong>en<br />
Branchen unreflektiert<br />
eins zu eins übertragen<br />
zu wollen, wird notwendigerweise<br />
scheitern. Dabei<br />
soll aber das etwaige Missverständnis gar<br />
nicht erst <strong>auf</strong>kommen, es sei gemeint, aus an<strong><strong>de</strong>r</strong>en<br />
Branchen nichts lernen zu können.<br />
Aber zwei Aussagen dieses Beitrages „stehen“:<br />
Erstens: Noch sind alle Marketingpäpste<br />
dieser Welt daran gescheitert, aus <strong>de</strong>m Reifenk<strong>auf</strong><br />
einen Lustk<strong>auf</strong> zu machen.<br />
Zweitens: Wenn überhaupt etwas zu gewinnen<br />
wäre, dann nur über eine längere<br />
Zeitschiene. Auf je<strong>de</strong>n Fall aber müssen die<br />
verkäuferischen Anstrengungen draußen im<br />
Feld verstärkt wer<strong>de</strong>n. So lange <strong>Goodyear</strong> um<br />
<strong>de</strong>n täglichen Cashflow ringt und unter Schul<strong>de</strong>n<br />
ächzt, wären Experimente besser verschoben<br />
wor<strong>de</strong>n.<br />
Was ist mit „Procterisierung“ gemeint und<br />
warum wer<strong>de</strong>n so vehement Zweifel geäu-<br />
38<br />
Sam Gibara 2002:<br />
„Unser Ziel ist sehr<br />
einfach. Forcierung <strong>de</strong>s<br />
Turnarounds. Wir sind <strong>auf</strong><br />
<strong>de</strong>m richtigen Weg. Die<br />
Refinanzierungsverhandlungen<br />
mit <strong>de</strong>n Banken<br />
waren ein kritischer Punkt.<br />
Wir sind sehr<br />
zuversichtlich, <strong>de</strong>nn<br />
unsere Produkte sind<br />
Spitzenklasse, wir haben<br />
die richtige Führung,<br />
die richtigen Strategien,<br />
die mo<strong><strong>de</strong>r</strong>nste<br />
Produktpalette, das<br />
breiteste Distributionsnetzwerk,<br />
die stärkste globale<br />
Produktionspräsenz,<br />
eine ganz und gar<br />
großartige Technologie<br />
und eine Belegschaft, <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
niemand das Wasser<br />
reichen kann.“<br />
ßert? Was Artikel <strong>de</strong>s täglichen Gebrauchs anbelangt,<br />
so wer<strong>de</strong>n diese gek<strong>auf</strong>t, als Kosten<br />
abgehakt. Menschen „riskieren“ <strong>de</strong>n K<strong>auf</strong> einer<br />
Tube Zahncreme, wenn sie glauben, damit<br />
weißere Zähne zu erhalten; wenn Frauen<br />
sich mit Always sicher fühlen, soll es so sein.<br />
Wer mit Lenor und Ariel kuschelweich und<br />
rein wie keiner zu waschen meint, greift zu<br />
diesen Produkten. Je<strong>de</strong> Woche neu, mehrfach<br />
im Monat, vielfach im Jahr. Wer aber stellt sich<br />
in Wettbewerb mit Freund o<strong><strong>de</strong>r</strong> Freundin, um<br />
zum Jahresen<strong>de</strong> he-<br />
rauszufin<strong>de</strong>n, um wie<br />
viel Prozent die<br />
Blend-a-med-Zähne<br />
nun wirklich weißer<br />
sind als die markenlos<br />
gereinigten? Wer <strong>de</strong>n<br />
Fleck mit Ariel nicht<br />
herauswäscht, versucht<br />
es mit einem<br />
zweiten Mittel und<br />
wirft da<strong>nach</strong> das nicht<br />
mehr sauber zu reinigen<strong>de</strong><br />
Teil <strong>auf</strong> <strong>de</strong>n<br />
Müllberg. Reifen sind<br />
aber keine Güter <strong>de</strong>s<br />
täglichen Bedarfs. Falsche<br />
Reifenwahl repariert<br />
man nicht einen<br />
Tag <strong>nach</strong> <strong>de</strong>m K<strong>auf</strong>,<br />
wenn man meint, das<br />
Produkt halte nicht,<br />
was es versprochen<br />
habe bzw. was man<br />
sich selbst davon versprochen<br />
habe. Man<br />
investiert mit je<strong>de</strong>m<br />
Reifenk<strong>auf</strong> für die<br />
kommen<strong>de</strong>n Jahre.<br />
Man muss Reifen haben,<br />
von Wollen allein<br />
kann keine Re<strong>de</strong> sein. Warum keinen billigen<br />
Reifen, warum eine bekannte Marke? Warum<br />
<strong>Goodyear</strong>-Reifen, wenn es eine an<strong><strong>de</strong>r</strong>e und<br />
billigere Marke aus diesem Hause gibt? Wo<br />
beginnt die Führung, manche meinen auch<br />
Verführung <strong>de</strong>s Kun<strong>de</strong>n? Bei PG-Artikeln im<br />
strategisch günstig gelegenen Regal, <strong>auf</strong> Augenhöhe.<br />
Fragt eine Kundin die Verkäufern im<br />
C+C-Geschäft, ob die Zähne auch wirklich so<br />
perlweiß wer<strong>de</strong>n? Sie tut es nicht, und eine<br />
Verkäuferin könnte es we<strong><strong>de</strong>r</strong> beantworten<br />
noch Produktkenntnisse mitteilen, weil sie bei<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Artikelvielfalt sofort so überfor<strong><strong>de</strong>r</strong>t wäre<br />
wie je<strong><strong>de</strong>r</strong> Einkäufer ebenfalls maßlos überfor<strong><strong>de</strong>r</strong>t<br />
wäre. Folglich müssen Marketing und Category<br />
Management <strong>de</strong>n Großkun<strong>de</strong>n helfen<br />
beim Abverk<strong>auf</strong>, ihnen im Zweifel sogar in allen<br />
Einzelschritten darlegen, wie das Produkt<br />
optimal vermarktet wird.<br />
Wo wer<strong>de</strong>n Reifen vermarktet? Zu 80 bis<br />
90 Prozent über spezialisierte Fachgeschäfte.<br />
Im Reifengeschäft beginnt die Führung <strong>de</strong>s<br />
Kun<strong>de</strong>n im positiven Fall in <strong>de</strong>ssen „Showroom“.<br />
Man sieht schwarze Reifen, die im<br />
günstigsten Fall sogar annähernd rund sein<br />
sollen und man bleibt <strong>auf</strong> Beratung angewiesen.<br />
Reifen mögen „low interest products“<br />
sein, aber es bleiben technisch anspruchsvolle<br />
Produkte, und man muss die technischen<br />
Vorteile erklären, man kann <strong>auf</strong> Sicherheit<br />
und (das meint je<strong>de</strong>nfalls Michelin) <strong>auf</strong> einen<br />
„flight to quality“ setzen. Selbst wenn jemand<br />
<strong>auf</strong>grund einer Werbeaussage k<strong>auf</strong>en wollte,<br />
wäre es für <strong>de</strong>n Händler leicht, <strong>de</strong>n K<strong>auf</strong>entschluss<br />
zu torpedieren, <strong>de</strong>n Kun<strong>de</strong>n zu verunsichern.<br />
Keinem Reifenhersteller nützt das<br />
strategisch günstig gelegene Regal, er muss<br />
durch das „Na<strong>de</strong>löhr Händler“. Zugegeben:<br />
In einigen Kanälen ist es an<strong><strong>de</strong>r</strong>s, so bei <strong>de</strong>n<br />
Wal-Marts, Kmarts und an<strong><strong>de</strong>r</strong>en. Hier entschei<strong>de</strong>n<br />
Preis, Warenverfügbarkeit und Sortiment<br />
über Erfolg und Misserfolg. Und in diesen<br />
Kanälen kann es zu einer echten, fruchtbaren<br />
Zusammenarbeit zwischen Lieferant<br />
und Regalbereitsteller kommen. Für alle an<strong><strong>de</strong>r</strong>en<br />
Kanäle dürfte das eher zweifelhaft sein.<br />
Wie konnte <strong>de</strong>nn die im Jahr 2000 sozusagen<br />
nahezu zu To<strong>de</strong> geprügelte Reifenmarke<br />
Firestone Wie<strong><strong>de</strong>r</strong><strong>auf</strong>erstehung feiern o<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
auch einfach nur überleben? Weil dieser Reifenkonzern<br />
eine Marktverankerung hat, weil<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong>en Big Bosse wissen, wie Kun<strong>de</strong>n, wie Reifenhändler<br />
aussehen, wie sie „ticken“ und<br />
welche Bedürfnisse sie haben. Ohne John<br />
Lampe und seine engsten Mitarbeiter wäre<br />
das alles völlig un<strong>de</strong>nkbar. Hier ist we<strong><strong>de</strong>r</strong> mit<br />
Marketingtricks noch mit Marketinggurus gearbeitet<br />
wor<strong>de</strong>n, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n die Führungscrew<br />
hat Tag für Tag Gespräche mit <strong>de</strong>n Han<strong>de</strong>lskun<strong>de</strong>n<br />
geführt, Überzeugungsarbeit geleistet<br />
und erreicht, in einer so unendlich schwierigen<br />
Phase nicht im Stich gelassen wor<strong>de</strong>n<br />
zu sein. Die so heftigen und vielfach einfach<br />
nur unfairen Angriffe <strong>auf</strong> Firestone wur<strong>de</strong>n<br />
bravourös abgefe<strong><strong>de</strong>r</strong>t. Damit haben Lampe &<br />
Co. ein Meisterstück abgeliefert, das kaum<br />
noch zu überbieten ist. Eine groß angelegte<br />
Werbekampagne wäre unter <strong>de</strong>n gegebenen<br />
Umstän<strong>de</strong>n kontraproduktiv gewesen.<br />
Wollen sich die neuen Marketingstrategen<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Goodyear</strong> anmaßen, <strong>de</strong>n Reifenfachleuten<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Kanäle erklären zu<br />
wollen, was sie zu tun o<strong><strong>de</strong>r</strong> zu lassen haben.<br />
Wenn sie auch nicht viel können sollten, aber<br />
das eine, alles um Reifen und Rad, wissen und<br />
können sie weit besser als ein Marketing- und<br />
Werbefachmann. Gutes Marketing kann <strong>de</strong>n<br />
Verbraucher darin bestärken, eine gute Ent-<br />
NEUE ReifenZeitung 9/2003
scheidung getroffen zu haben, aber die meisten<br />
Händler, je<strong>de</strong>nfalls die guten, wären in <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Lage, ihre Kun<strong>de</strong>n zu führen und zu verführen.<br />
Hat ein Reifenhändler <strong>de</strong>n Kun<strong>de</strong>n erst<br />
einmal in Richtung einer bestimmten Marke<br />
gebracht, dann wird das Markenimage und<br />
die Markenbekanntheit <strong>de</strong>n K<strong>auf</strong>entschluss<br />
bestärken, es <strong>de</strong>m Händler ermöglichen, eine<br />
bekanntere Marke hochpreisiger zu verk<strong>auf</strong>en<br />
als eine unbekannte Marke. Über die<br />
Mechanismen im Markt, die hier nur ange<strong>de</strong>utet<br />
wer<strong>de</strong>n können, ließen sich mühelos<br />
Bücher füllen. Wer somit ein neues Denken<br />
in <strong>de</strong>n Markt bringen will, muss zunächst lernen<br />
wie <strong><strong>de</strong>r</strong> Markt „tickt“. Michelin arbeitet alle<br />
Leute, <strong>de</strong>nen Potenzial beigemessen wird,<br />
über – min<strong>de</strong>stens – sechs Monate ein. Sie<br />
wissen dann, was ein Reifen ist, woraus er besteht,<br />
wie er gebaut wird, was er leistet und<br />
wie er wo vermarktet wird. Sofern neue Manager<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> französischen Sprache nicht mächtig<br />
sind, wird ihnen diese in Intensivkursen<br />
eingebimst. Der Globalplayer hat zwei Konzernsprachen:<br />
Französisch und Englisch! Zukünftige<br />
Manager <strong><strong>de</strong>r</strong> unteren, <strong><strong>de</strong>r</strong> mittleren,<br />
aber auch <strong><strong>de</strong>r</strong> oberen Ebene bekommen somit<br />
ein halbes Jahr und länger ihr Gehalt, um<br />
lernen zu können. Damit wird vermie<strong>de</strong>n,<br />
dass sie in <strong><strong>de</strong>r</strong> Anfangsphase blauäugig je<strong>de</strong>n<br />
Unfug verzapfen. Im Gegensatz dazu <strong>Goodyear</strong>.<br />
Was sollten aber von Keegan aus an<strong><strong>de</strong>r</strong>en<br />
Branchen geholte Marketingleute ermöglichen?<br />
Hat er Spitzenleute von PG abwerben<br />
können, die Erfahrung haben im Aufbau<br />
einer Marketingabteilung? Gehen erfolgreiche<br />
Marketingleute von PG allein<br />
wegen <strong>de</strong>s Gel<strong>de</strong>s von dort weg? Welcher<br />
Spitzenmann im Marketing muss <strong>de</strong>nn noch<br />
lernen, ohne große Budgets die Welt eben<br />
nicht aus <strong>de</strong>n Angeln heben zu können? Welche<br />
Budgets lassen die Margen von Reifenherstellern<br />
<strong>de</strong>nn zu, und ist somit nicht ein<br />
vollkommen an<strong><strong>de</strong>r</strong>es Denken, als es gemeinhin<br />
bei an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Markenartiklern vorherrschend<br />
ist, erfor<strong><strong>de</strong>r</strong>lich? Selbst wenn es nicht<br />
so wäre, wäre es <strong>nach</strong> hier vorherrschen<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Überzeugung viel, viel erfolgversprechen<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
gewesen, jüngere und halbwegs erfahrene<br />
Marketingleute aus an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Branchen, auch<br />
und beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s <strong><strong>de</strong>r</strong> von Procter & Gamble, in<br />
ein <strong>Goodyear</strong>-Team zu integrieren, diese dort<br />
ihre I<strong>de</strong>en entwickeln und um <strong><strong>de</strong>r</strong>en Umsetzung<br />
zunächst mal kämpfen zu lassen. Statt<br />
<strong>de</strong>ssen müssen sich aber in einigen Fällen<br />
durchaus erfahrene <strong>Goodyear</strong>-Leute mit in<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Branche unerfahrenen Vorgesetzten arrangieren,<br />
<strong>de</strong>nen sie zuvor zu erklären haben,<br />
warum (Rückgriff <strong>auf</strong> die Vergangenheit) etwas<br />
geht und etwas nicht geht. Man muss sich<br />
vielleicht <strong>auf</strong> Erfahrung auch nicht immer zu<br />
viel einbil<strong>de</strong>n, aber von jeglicher Branchenund<br />
Produktkenntnis unbeleckt geblieben zu<br />
sein, ist auch kein Vorteil per se. Das kann in<br />
Einzelfällen mal Gültigkeit haben, doch generell?<br />
Dem kann man entgegenhalten, ein<br />
über Marketing schreiben<strong><strong>de</strong>r</strong> Journalist sei<br />
wie <strong><strong>de</strong>r</strong> Farbe beschreiben<strong>de</strong> Blin<strong>de</strong>. Das<br />
muss nicht falsch sein. Aber ein aus einer völlig<br />
an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Branche kommen<strong><strong>de</strong>r</strong> Marketingexperte<br />
sollte vielleicht doch auch erst einmal<br />
ein halbes Jahr tagein und tagaus reisen, um<br />
zu sehen wie Kun<strong>de</strong>n aussehen, wie sie „ticken“,<br />
warum sie so und nicht an<strong><strong>de</strong>r</strong>s gepolt<br />
sind, welche Zusammenhänge es ansonsten<br />
gibt, die nicht übersehen wer<strong>de</strong>n sollten. Und<br />
es gibt ja nun in <strong>de</strong>n USA und rund um die<br />
Welt Absatzkanäle <strong><strong>de</strong>r</strong> unterschiedlichsten<br />
Jonathan Rich setzt <strong>auf</strong> Six-Sigma<br />
Art, die sich gegenseitig nicht grün sind und<br />
Marktanteile voneinan<strong><strong>de</strong>r</strong> abjagen wollen. So<br />
mag man in nicht wenigen Einzelfällen Erfolge<br />
feiern, die bei Licht betrachtet schreckliche<br />
Misserfolge sind. Eine Marketing- und Verk<strong>auf</strong>smannschaft,<br />
die binnen zwölf Monaten<br />
acht Millionen Reifen verliert und dies als „notwendige<br />
Restrukturierung“ schönre<strong>de</strong>n will,<br />
kann nicht überzeugen. Nur mit <strong>de</strong>m Rotstift<br />
sind diese allerdings nicht zurückzuholen. Das<br />
alles aber ist verheerend für die <strong>Goodyear</strong>-<br />
Leute, die es könnten. Da wer<strong>de</strong>n auch in Europa<br />
nun Manager in Rente gehen, die 40-<br />
Jährige als ihre Nachfolger ausersehen, ausgebil<strong>de</strong>t<br />
und geför<strong><strong>de</strong>r</strong>t hatten und nun gezwungen<br />
sind, statt <strong><strong>de</strong>r</strong>er unerfahrene 35-Jährige<br />
aus an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Branchen in Position bringen<br />
zu müssen. Wer alles nur an<strong><strong>de</strong>r</strong>s macht,<br />
hat damit aber noch nichts besser gemacht.<br />
Unübersehbare „Procterisierung“ somit auch<br />
außerhalb <strong><strong>de</strong>r</strong> Vereinigten Staaten von Amerika.<br />
Können diese Leute <strong>de</strong>nn nicht erfolg-<br />
Reifen International<br />
reich wer<strong>de</strong>n? Doch, wenn sie die Erfahrungen<br />
gesammelt haben, wissen wie die Kun<strong>de</strong>n<br />
ticken und die Gesetze <strong>de</strong>s Marktes kennen.<br />
Doch über diese Leute verfügt <strong><strong>de</strong>r</strong> Konzern<br />
ja gera<strong>de</strong>, warum soll er neue holen und<br />
diese lange einarbeiten? Zu<strong>de</strong>m hat er dazu<br />
keine Zeit mehr! Abschließend zu diesem<br />
Komplex die ketzerische Frage: Wie ist es mit<br />
<strong>Wingfoot</strong> <strong>Goodyear</strong>? Wer<strong>de</strong>n die Schuhe <strong>de</strong>n<br />
Füßen angepasst o<strong><strong>de</strong>r</strong> sollen die Füße gezwungen<br />
wer<strong>de</strong>n, sich <strong>de</strong>m Schuh anzupassen?<br />
<strong>Ist</strong> nicht <strong><strong>de</strong>r</strong> Fuß <strong><strong>de</strong>r</strong> Markt und <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Schuh das Produkt? Glaubt man ernsthaft, <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Markt wür<strong>de</strong> sich <strong>Goodyear</strong> anpassen?<br />
5. Ein Markenproblem<br />
Mehr-Marken-Politik! „G3“ – <strong>Goodyear</strong>, Dunlop<br />
und Kelly – heißt es in Nordamerika. Diese<br />
drei unterschiedlich zu platzieren<strong>de</strong>n Marken<br />
wer<strong>de</strong>n Händlern an die Hand gegeben,<br />
zusammen mit notfalls weiteren House- o<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Private Brands, damit die unterschiedlichen<br />
Verbrauchertypen nahezu optimal angesprochen<br />
wer<strong>de</strong>n können. Das ist zumin<strong>de</strong>st eine<br />
zu durchschauen<strong>de</strong> und auch <strong>nach</strong>vollziehbare<br />
Mehr-Marken-Strategie. Erfun<strong>de</strong>n hat<br />
sie Michelin in Nordamerika, durchgesetzt<br />
auch. Und Erfolg haben die Franzosen damit<br />
sowieso! In Europa ist das weitgehend an<strong><strong>de</strong>r</strong>s.<br />
In einigen Län<strong><strong>de</strong>r</strong>n konnten die General Manager<br />
sich ihre Unabhängigkeit erhalten. Da<br />
geht es, soll man ihnen glauben, darum die<br />
einzelnen Marken in unterschiedlichen Kanälen<br />
zu halten. So habe <strong>Goodyear</strong> über das<br />
Franchisenetz Premio/HMI/Quick ein eigenes<br />
Netz, Dunlop stütze sich <strong>auf</strong> Kooperationen<br />
und Fulda bediene auch spezielle Kun<strong>de</strong>nschichten.<br />
Kannibalismus gebe es nicht, weil<br />
man „hinter <strong>de</strong>m Vorhang“ wohl steuere und<br />
harmonisiere. Hier sollten Journalisten nicht<br />
über das bessere o<strong><strong>de</strong>r</strong> schlechtere System räsonieren<br />
wollen, aber <strong>de</strong>nnoch ein paar Fragen<br />
stellen dürfen. Wenn es einen Steuerungsbedarf<br />
gibt, wer steuert und wer steuert<br />
wen und was? Wie, mit welchen Augen blickt<br />
man <strong>auf</strong> die Kun<strong>de</strong>n und <strong><strong>de</strong>r</strong>en Verbraucher?<br />
Ziel kann nur die Durchsetzung <strong><strong>de</strong>r</strong> Premiummarken<br />
sein, angereichert am Ran<strong>de</strong> mit weniger<br />
hoch angesie<strong>de</strong>lten Marken. Läuft noch<br />
alles rund, wenn Händler gerne schon mal<br />
<strong>de</strong>n Weg <strong>de</strong>s geringsten Wi<strong><strong>de</strong>r</strong>stan<strong>de</strong>s gehen<br />
und preisgünstigere Reifen anbieten als sie eigentlich<br />
müssten und damit sogar zumin<strong>de</strong>st<br />
gleich gute Erträge wie mit Premiumreifen erwirtschaften<br />
können. Was lässt sich mit <strong>de</strong>n<br />
Margen, die Billigmarken <strong>de</strong>m Hersteller ermöglichen,<br />
<strong>de</strong>nn finanzieren?<br />
Osteuropa hat Platz für Marken wie Sava<br />
und Debica, weil Sava und Debica in Slowe-<br />
NEUE ReifenZeitung 9/2003 39
Reifen International<br />
nien und Polen mehr als nur nichtssagen<strong>de</strong><br />
Namen sind und die schwache K<strong>auf</strong>kraft <strong>de</strong>n<br />
K<strong>auf</strong> hochwertiger Premiumreifen stark erschwert<br />
und begrenzt. Haben Billigmarken in<br />
Westeuropa nicht allein strategische Aufgaben<br />
zu erfüllen, zu dienen, <strong>de</strong>n Premiummarken<br />
zu helfen? Muss man nicht einfach<br />
nur viel mehr <strong>auf</strong> <strong>de</strong>n einzelnen Kun<strong>de</strong>n und<br />
<strong>de</strong>ssen Potenzial sehen und sich dar<strong>auf</strong> konzentrieren?<br />
Muss man nicht aktiv versuchen,<br />
das Markenmix zu steuern und zu optimieren?<br />
Welche Markenphilosophie wird schließ-<br />
lich die Oberhand gewinnen?<br />
In je<strong>de</strong>m Fall<br />
wäre aber zu fragen,<br />
erstens: Kann es sich eine<br />
Premiummarke leisten,<br />
in einem einzigen<br />
Absatzkanal nicht vertreten<br />
zu sein? Die Journalistenantwort<br />
wäre:<br />
Nein! Und zweitens:<br />
Muss eine Billigmarke,<br />
House- o<strong><strong>de</strong>r</strong> Private<br />
Brand in allen Kanälen<br />
vertreten sein? Ein Journalist<br />
wür<strong>de</strong> fragen:<br />
Warum <strong>de</strong>nn das?<br />
Schließlich drittens:<br />
Kann ein Konzern mit<br />
mehreren Reifenmarken<br />
dar<strong>auf</strong> verzichten,<br />
<strong>de</strong>n Han<strong>de</strong>lspartnern<br />
eine klare Mehr-Marken-Strategie<br />
mit klar<br />
<strong>de</strong>finierten Segmenten<br />
für klar <strong>de</strong>finierte Verbrauchertypen<br />
mit allen<br />
weiteren erfor<strong><strong>de</strong>r</strong>lichen<br />
Serviceleistungen anzubieten<br />
o<strong><strong>de</strong>r</strong> sollte er sich dar<strong>auf</strong> verlassen und<br />
damit zufrie<strong>de</strong>n geben, dass Händler sich eigene<br />
Mehr-Marken-Strategien mit selbst gewählten<br />
Marken erarbeiten?<br />
6. Strukturproblem<br />
Lässt sich ein Konzern dieser Größe in seinen<br />
jetzigen Strukturen optimal steuern? Sechs<br />
von sieben Divisions seien profitabel! Wen soll<br />
das überzeugen? Der <strong>de</strong>utsche Markt ist für<br />
<strong>Goodyear</strong>-Dunlop erfreulich gut. Doch was ist<br />
Fulda Reifen ohne Einbindung in <strong>de</strong>n Konzern?<br />
Was ist die Deutsche <strong>Goodyear</strong> <strong>auf</strong> sich<br />
allein gestellt? Woher kommen <strong>de</strong>nn die Reifen?<br />
Aus welchen Fabriken? Wo wird F&E betrieben?<br />
Was ist die osteuropäische Region <strong>auf</strong><br />
sich allein gestellt wert? Wie sieht es <strong>de</strong>nn aus<br />
mit <strong><strong>de</strong>r</strong> K<strong>auf</strong>kraft in Slowenien, in <strong><strong>de</strong>r</strong> Türkei,<br />
in Polen? Wer sollte <strong>de</strong>nn all die tollen Sava-<br />
40<br />
Bob Keegan 2003:<br />
„Die Zukunft beginnt<br />
heute. Der Erfolg wird<br />
nicht über Nacht kommen,<br />
aber er kommt. Unsere<br />
Führer und unsere<br />
Belegschaft arbeiten voller<br />
Energie am Turnaround.<br />
Wir wer<strong>de</strong>n aus diesen<br />
schwierigen Zeiten als eine<br />
stärkere Firma <strong>de</strong>nn zuvor<br />
herauskommen. Ich danke<br />
allen, die das möglich<br />
machen, <strong>de</strong>n Mitarbeitern,<br />
<strong>de</strong>n Händlern, unseren<br />
Kun<strong>de</strong>n und unseren<br />
Lieferanten und natürlich<br />
<strong>de</strong>n Aktionären und<br />
beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s <strong>de</strong>m<br />
Aufsichtsrat, <strong><strong>de</strong>r</strong> mit einer<br />
Fülle von Erfahrung und<br />
Ratschlägen involviert ist.“<br />
und Debica-Reifen k<strong>auf</strong>en, könnte man nicht<br />
im Konzern statt <strong>de</strong>ssen auch <strong>Goodyear</strong>, Dunlop<br />
und Fulda <strong>auf</strong> die Seitenwän<strong>de</strong> vulkanisieren?<br />
Wo wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>nn die Reifen gefertigt,<br />
für die britische Verbraucher Geld hinblättern?<br />
Wenn Rich heute Reifen aus Lateinamerika<br />
und Osteuropa bezieht, so sorgt er<br />
in diesen Regionen schon mal für gute Zahlen,<br />
o<strong><strong>de</strong>r</strong> etwa nicht? Doch mit <strong>de</strong>m Import<br />
von Reifen geht auch Import von Arbeitslosigkeit<br />
einher. Hing Rich in seiner vorigen<br />
Funktion als Chef <strong><strong>de</strong>r</strong> Chemical Division nicht<br />
auch überwiegend gera<strong>de</strong><br />
von <strong>de</strong>n Lieferungen<br />
an an<strong><strong>de</strong>r</strong>e Konzern-Divisions<br />
ab? Wo<br />
holte und holt die Chemical<br />
Division <strong>de</strong>nn<br />
Umsätze und Erträge?<br />
Mit Fremdkun<strong>de</strong>n o<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
überwiegend eben<br />
doch mit Intercompany-sales?<br />
Fazit: Die Divisions<br />
sind miteinan<strong><strong>de</strong>r</strong> verzahnt,<br />
bedingen einan<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
und können nicht<br />
losgelöst voneinan<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
gesehen wer<strong>de</strong>n. Der<br />
Konzern verdient mit<br />
Pkw-Reifen Geld o<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
auch nicht und ebenso<br />
mit Nutzfahrzeugreifen.<br />
Ob mehr o<strong><strong>de</strong>r</strong> weniger<br />
Gewinn in diesem<br />
o<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>de</strong>m an<strong><strong>de</strong>r</strong>en<br />
Teil <strong><strong>de</strong>r</strong> Welt buchhalterisch<br />
verbleibt, ist eine<br />
völlig an<strong><strong>de</strong>r</strong>e Frage.<br />
Muss man <strong>de</strong>m nicht<br />
Rechnung tragen? Da ist es leicht gesagt, man<br />
wer<strong>de</strong> in die Erstausrüstung nicht mehr liefern,<br />
sollten die Preise nicht auskömmlich sein<br />
bzw. keine Gewinne ermöglichen. Zunächst<br />
muss man sich <strong>de</strong>nnoch die Frage stellen, ob<br />
und wo man sich im konkreten Fall einen Verzicht<br />
in <strong><strong>de</strong>r</strong> Erstausrüstung überhaupt leisten<br />
kann o<strong><strong>de</strong>r</strong> welche verheeren<strong>de</strong>n Folgen es für<br />
das Ersatzgeschäft haben wird. Wer bestimmt<br />
das heute? Ein Finanzmann, ein Controller, ein<br />
Produktionsdirektor o<strong><strong>de</strong>r</strong> ein unter Budgetknappheit<br />
lei<strong>de</strong>n<strong><strong>de</strong>r</strong> Leiter eines Forschungszentrums?<br />
Welche Aufgabe übernimmt ein<br />
regionales Headquarter? Die Geschäfte wur<strong>de</strong>n<br />
früher (und dies als Mitteilung für je<strong><strong>de</strong>r</strong>mann:<br />
auch in Zukunft) lokal gemacht. Wer<br />
meint, Europa von Akron aus führen zu können,<br />
wird scheitern. Wer von Brüssel aus die<br />
Geschäfte operativ in <strong>de</strong>n einzelnen Län<strong><strong>de</strong>r</strong>n<br />
steuern wollte, geht ebenfalls einen schweren<br />
Gang. Derzeit, sofern nicht alle Anzeichen trügen,<br />
hat Zentralisierung wie<strong><strong>de</strong>r</strong> mal Oberhand<br />
gewonnen mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Folge, dass sich auch<br />
in <strong>de</strong>n regionalen Headquarters eine Reihe<br />
von Menschen für befähigt genug hält, aus<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Entfernung Menschen, Märkte und Marken<br />
steuern zu können.<br />
Aussicht immer noch ungewiss<br />
Kann <strong>Goodyear</strong> die Wen<strong>de</strong> noch schaffen,<br />
weitere Fehler verkraften? Ein Sparen an <strong>de</strong>n<br />
Verk<strong>auf</strong>smannschaften spart ein Unternehmen<br />
in <strong><strong>de</strong>r</strong> Lage von <strong>Goodyear</strong> zu To<strong>de</strong>. Muss<br />
sich ein Management nicht auch selbst fragen,<br />
ob <strong><strong>de</strong>r</strong> erhoffte Erfolg <strong>auf</strong> <strong>de</strong>m nun eingeschlagenen<br />
Weg nicht schon zu lange ausgeblieben<br />
ist und Än<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen zwingend gewor<strong>de</strong>n<br />
sind? <strong>Ist</strong> jemals die Chance für eine<br />
schnelle Verbesserung schon vor <strong>de</strong>m Hintergrund<br />
<strong>de</strong>s <strong>de</strong>saströsen Reifenrückrufs von<br />
Wettbewerber Firestone größer gewesen?<br />
Wenn nicht jetzt, hätte es heißen können,<br />
wann dann? Muss es nicht die Anstrengungen<br />
dar<strong>auf</strong> richten, die Belegschaft wie<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
richtig ans L<strong>auf</strong>en zu bringen, sie mit Nachdruck<br />
um die Erbringung <strong><strong>de</strong>r</strong> berühmten<br />
Extrameile je<strong>de</strong>n Tag zu bitten, damit Erfolg<br />
möglich wird, zu motivieren und nicht zu drohen,<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Belegschaft <strong>de</strong>n Glauben an sich<br />
selbst zurückzugeben und einfach anzuerkennen,<br />
dass nicht alles falsch war, was in <strong>de</strong>n<br />
letzten Jahrzehnten gemacht wor<strong>de</strong>n ist. Wäre<br />
es nicht viel einfacher, die <strong>Suche</strong> <strong>nach</strong> fähigen<br />
Leuten <strong>auf</strong> allen Ebenen und in allen<br />
Län<strong><strong>de</strong>r</strong>n mit aller Sorgfalt zuallererst in <strong>de</strong>n<br />
eigenen Reihen zu beginnen, statt Headhunter<br />
einzusetzen, die „Eigengewächse“ nicht<br />
kennen, zumin<strong>de</strong>st aber übersehen müssen,<br />
weil sie ansonsten nichts verdienen. Während<br />
<strong>Goodyear</strong> nichts verdient, haben vielleicht zu<br />
viele „Dritte“ viel zu viel an <strong>Goodyear</strong> verdient.<br />
Die heute Managern von außen unterlegenen<br />
Kandidaten sollten Stehvermögen zeigen, eine<br />
Nie<strong><strong>de</strong>r</strong>lage auch einmal verkraften und<br />
sich von <strong>de</strong>m Unternehmen <strong>de</strong>nnoch nicht<br />
abwen<strong>de</strong>n, sie sollten um <strong>de</strong>n Erfolg <strong>de</strong>s Konzerns<br />
ringen, keinesfalls entnervt <strong>auf</strong>geben. Es<br />
ist nur eine Frage <strong><strong>de</strong>r</strong> Zeit bis sich die Spreu<br />
vom Weizen endgültig wie<strong><strong>de</strong>r</strong> getrennt haben<br />
wird. Viele neue Manager wer<strong>de</strong>n auch wie<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
gehen, viele alte wer<strong>de</strong>n zurückkommen<br />
bzw. wie<strong><strong>de</strong>r</strong> geholt wer<strong>de</strong>n. Das alles ist sicher.<br />
Einzig unsicher bleibt, ob <strong><strong>de</strong>r</strong> Konzern noch<br />
genug Zeit hat. Etwas <strong>auf</strong> <strong>de</strong>n Kopf zu stellen,<br />
scha<strong>de</strong>t manchmal nicht, allerdings wäre es<br />
sehr günstig, wenn es da<strong>nach</strong> auch wie<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>auf</strong><br />
die Beine gestellt wor<strong>de</strong>n wäre. Auch das sollte<br />
noch gelingen. Hoffentlich.<br />
klaus.had<strong>de</strong>nbrock@reifenpresse.<strong>de</strong><br />
NEUE ReifenZeitung 9/2003