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Und brachten Gold aus Punt<br />
Es ist Nacht, als wir wieder im Camping Seestern<br />
eintreffen. Nach dem Abendessen suche<br />
ich die Einsamkeit. Der Sand ist noch warm, in<br />
den Fiederblättern der Palmen harft der Nordwind.<br />
Ob er jemals einschläft? Über mir in ungewohnter<br />
Klarheit die Sterne, viel größer als<br />
daheim, weit mehr, als wir je im trüben Norden<br />
sehen. Viel näher, fast greifbar über mir, ein<br />
schimmerndes Band, von Horizont zu Horizont.<br />
Und unversehens gerate ich ins Träumen. Sindbad,<br />
der Seefahrer, zog über diese Meere Arabiens.<br />
Drüben, wo der Kamm des Gebirges<br />
schwarz vor den Sternen steht, horstete der Vogel<br />
Roch. Und Scheherezade spann ihre Geschichten,<br />
dort hinter den Bergen, weit hinter<br />
der Wüste, am Euphrat. Die Berge, die Wüste,<br />
das Meer: nie haben sie den Geist des Menschen<br />
zur Ruhe kommen lassen. Der Mensch in seiner<br />
Unruhe will wissen, was hinter den Bergen und<br />
der Wüste liegt, will erfahren, wie es drüben, am<br />
anderen Ufer aussieht.<br />
Ein Irrtum, wenn wir meinen, erst moderne<br />
Sicht der Welt mache fähig, ins Unbekannte<br />
vorzustoßen. Ein Irrtum, weil er den Menschen<br />
nicht in die Rechnung zieht, diesen Menschen,<br />
der träumen kann: träumen von fernen Gestaden<br />
und unbekannten Gefahren, träumen von<br />
Frauen und Gold, träumen vom Erreichbaren<br />
und vom schier Unmöglichen. Ein Irrtum, wenn<br />
wir meinen, die Seefahrer früher Zeiten hätten<br />
sich ängstlich am Ufer hingetastet. Natürlich hat<br />
auch Seefahrt einmal „klein angefangen". Auf<br />
einem Bündel Binsen, einem Baumstamm, einem<br />
Floß. Doch diese Kindheit der Seefahrt<br />
liegt urweit zurück. Sehr früh entdeckte der<br />
Mensch, welch guter Freund das Wasser ist. Es<br />
trug die Last, die man sonst selber schleppen<br />
mußte. Es floß als Strom rascher, als die eigenen<br />
Füße trugen. Und dann der Wind, des Wassers<br />
Bruder: Er gab dem Fahrzeug Flügel!<br />
Auf dem Wasser hat der Mensch diesen Planeten<br />
entdeckt. Das gilt für alle Länder „über<br />
See", für alle „neuen" Inseln und Kontinente.<br />
Es gilt aber auch weithin für unsere Alte Welt,<br />
lange, bevor man Geschichte schrieb und der<br />
Nachwelt weitergab. Nur auf dem Weg über das<br />
Wasser konnte die Besiedlung der nördlichen<br />
Inseln erfolgen, als das große Eis das Land freigab.<br />
Gar nicht zu reden von den tausend Inseln<br />
Indonesiens, den zehntausend der Südsee, von<br />
Neuguinea und Australien, den Osterinseln<br />
oder Neuseeland.<br />
Kaum hatte der Mensch das Boot erfunden, da<br />
stieß er schon ins Unbekannte vor. Menschen<br />
wollen wissen, was „drüben" ist, müssen die<br />
Rückseite des Mondes kennenlernen, müssen in<br />
den „Raum" vorstoßen.<br />
Früh <strong>—</strong> wir wissen nicht einmal, wie früh <strong>—</strong> hat<br />
der Mensch entdeckt, daß das Mittelmeer nur<br />
ein Binnenmeer ist. Wahrscheinlich war es<br />
schon der Neandertaler, der die Meerengen<br />
überwand. Und war der erste Schiffer, vom<br />
Sturm verschlagen, an die jenseitige Küste gelangt,<br />
so wagte es der nächste, weil er nun wußte,<br />
daß es ein „Drüben" gab.<br />
Weit schwieriger als im Mittelmeer ist Seefahrt<br />
auf dem Roten Meer. Korallenriffe ohne Zahl,<br />
unwirtliche Küsten ohne Wasser und häufig zum<br />
Sturm auffrischende Winde. Nautisch ist sogar<br />
heute noch das Rote Meer ein Gewässer, das die<br />
volle Aufmerksamkeit eines Navigators erfor-<br />
94 Abb. S. 95: Tontäfelchen, das eine Goldlieferung aus Ofir anzeigt