Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Als Bauholz ungeeignet<br />
„Morgen besuchen wir die Zedern des Libanon!"<br />
Meine Ankündigung weckt die begeisterte<br />
Zustimmung der Studenten, die mit mir in<br />
Kirbet Kanafar ein ökumenisches Aufbaulager<br />
durchführen. Vier Wochen schon haben wir<br />
oben am Berge, in gut 1300 m über dem Meeresspiegel,<br />
Gestrüpp gerodet, Steine zu Trokkenmauern<br />
aufgesetzt und Terrassen angelegt.<br />
Früh um 5 Uhr geht es hinauf, um die Morgenkühle<br />
zu nutzen, gegen 11 Uhr wird es so heiß,<br />
daß wir die Arbeit einstellen müssen. Nachmittags<br />
dann, sobald die Schatten länger werden,<br />
arbeiten wir auf dem Gelände der Ludwig-<br />
Schneller-Schule, ziehen Gräben für die Kanalisation<br />
oder legen bei der Sportplatzanlage letzte<br />
Hand an.<br />
Morgen also soll es hinaufgehen in den Libanon.<br />
Ahmed, einer der einheimischen Lehrer,<br />
wird uns führen. Um 3 Uhr wecken! Um 4 Uhr<br />
stehen wir zur Tat bereit vor dem Tor; es kann<br />
losgehen. Stetig geht es bergan, westwärts ins<br />
Gebirge. Längst liegt unser Arbeitsplatz mit den<br />
halb fertigen Weinbergterrassen hinter uns. Im<br />
Dunkel geht es eine Schlucht hinauf, hinter<br />
Ahmed her, der als schwarzer Schatten sich über<br />
uns gegen den Sternenhimmel abzeichnet. Der<br />
Grat ist erreicht, Ahmed ordnet eine Pause an.<br />
Genau im rechten Augenblick haben wir den<br />
Kamm erstiegen. Die ersten goldenen Sonnenpfeile<br />
schießen hinter dem Antilibanon hervor,<br />
wischen die Sterne weg. Silbriges Zittern spielt<br />
um den Hermon, und nun - ganz plötzlich -<br />
steigt der obere Rand der Sonne über den<br />
Kamm der Berge. Ein überwältigendes Bild:<br />
Rotgold glühend die Sonne, zu ihren Füßen als<br />
violetter Schatten der Antilibanon. Davor klei-<br />
ne, zarte Wolken über dem Tal der Bik'a, die<br />
noch im Dunkel liegt. Und wir hier! Einer zitiert<br />
halblaut den 104. Psalm:<br />
Herr, mein Gott, du bist sehr herrlich;<br />
du bist schön und prächtig geschmückt.<br />
Licht ist dein Kleid, das du anhast.<br />
Du breitest den Himmel aus wie einen Teppich;<br />
du baust deine Gemächer über den Wassern.<br />
Du fährst auf den Wolken wie auf einem Wagen<br />
und kommst auf den Flügeln des Windes...<br />
Die Sonne steht schon eine Handbreit über den<br />
Bergen, als wir uns endlich losreißen. Ahmed<br />
treibt uns an: „Bitte beeilen! Wir haben noch<br />
eine Stunde." Es geht noch immer aufwärts,<br />
doch wir haben keine Schwierigkeiten, da der<br />
Kamm des Gebirges gut zu begehen ist. Langsam<br />
wird es heiß. Ein Glück, daß wir so früh aufgebrochen<br />
sind.<br />
Plötzlich schwenkt Ahmed vom Kamm ab nach<br />
Westen. Fast im gleichen Augenblick zerreißen<br />
die Nebel, die dort hingen, und geben den Blick<br />
ins Vorland frei. Berge, Welle hinter Welle, und<br />
die nächste immer ein wenig niedriger. Dahinter<br />
das dunkelgrüne Band der fruchtbaren Küste<br />
und ganz weit in der Ferne das Meer. Verwirrendes<br />
Bild: Das Meer dort scheint über die<br />
Wolken emporzusteigen. Verwirrend und doch<br />
verständlich. Befinden wir uns doch auf annähernd<br />
2500 Metern Höhe, also hoch über den<br />
Wolken dort im Westen. Darum trifft unser<br />
Blick über die Wolken hin das Meer. Jetzt geht<br />
es in eine Schlucht, um eine Bergecke, und -<br />
„Da sind sie!" Ja, da sind sie, die Zedern des Libanon.<br />
Das heißt, eines der drei noch vorhandenen<br />
Reservate.<br />
71