umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität - Bafu - admin.ch
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umwelt<br />
Natürli<strong>ch</strong>e Ressourcen in der S<strong>ch</strong>weiz<br />
<strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong><br />
Ein Blick in die Zukunft > Keine grenzenlose <strong>Mobilität</strong> > Umwelts<strong>ch</strong>onend<br />
unterwegs > Die Vorteile des kombinierten Güterverkehrs<br />
Weitere Themen: > Immer mehr Waldreservate > Lokale Klimainitiativen<br />
3/<strong>2012</strong>
Inhalt<br />
> Dossier<br />
<strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong><br />
03 Editorial von BAFU-Vizedirektor Gérard Poffet<br />
04 Der Verkehr der Zukunft<br />
Ein Blick hinter die Labortüren<br />
08 <strong>Mobilität</strong> unter der Lupe<br />
Zahlen und Fakten zum Alltagsverkehr in der<br />
S<strong>ch</strong>weiz<br />
12 Mit dem Tram an den Start<br />
In ihrer Freizeit sind die Mens<strong>ch</strong>en am meisten<br />
unterwegs.<br />
16 Keine grenzenlose <strong>Mobilität</strong><br />
Interview mit dem BAV-Direktor Peter Füglistaler<br />
20 Umweltgere<strong>ch</strong>t unterwegs<br />
13 Vorzeigebeispiele aus der Praxis<br />
30 Na<strong>ch</strong>denken über Autos und Städte<br />
Interview mit der <strong>Mobilität</strong>sexpertin Saskia Sassen<br />
33 Zwei Paletten auf Reisen<br />
Der kombinierte Gütertransport ist eine wegweisende<br />
Lösung.<br />
> Zum Titelbild<br />
2<br />
Dynamis<strong>ch</strong> unterwegs: Die hohe <strong>Mobilität</strong> führt hierzulande<br />
vor allem in den Städten zu Beeinträ<strong>ch</strong>tigungen<br />
der Lebensqualität und der mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Gesundheit.<br />
Hauptprobleme sind die primär von privaten<br />
Motorfahrzeugen verursa<strong>ch</strong>te Luftvers<strong>ch</strong>mutzung und<br />
der Lärm. Im Verglei<strong>ch</strong> dazu belasten der Langsamverkehr<br />
und der ÖV die Umwelt deutli<strong>ch</strong> weniger.<br />
Bild: Keystone<br />
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> Weitere Themen<br />
39 Waldreservate für 20 000 Arten<br />
Ein Gewinn für die Biodiversität im Wald<br />
44 Grenzübers<strong>ch</strong>reitende Lufts<strong>ch</strong>adstoffe<br />
Vers<strong>ch</strong>ärfung des Göteborg-Protokolls<br />
46 Klimas<strong>ch</strong>utz beginnt im Kleinen<br />
Vorzeigebeispiele für lokale Klimainitiativen<br />
50 Immer mehr Plastik im Abfall<br />
Knackpunkte des Kunststoffrecyclings<br />
54 Reduktion der Umweltrisiken<br />
Gefahrengüter im S<strong>ch</strong>ienenverkehr unter der Lupe<br />
> Rubriken<br />
36 Vor Ort Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>ten aus den Kantonen<br />
38 International<br />
57 Bildung<br />
58 Re<strong>ch</strong>t /Publikationen<br />
60 Tipps<br />
61 Impressum<br />
62 Intern<br />
63 Porträt<br />
> Gut zu wissen<br />
Alle Artikel dieses Heftes – ausser den Rubriken –<br />
sind au<strong>ch</strong> im Internet verfügbar:<br />
www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/magazin<strong>2012</strong>-3<br />
Die meisten Beiträge enthalten weiterführende Links<br />
und Literaturangaben.<br />
Das BAFU im Internet: www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />
> Vors<strong>ch</strong>au<br />
Hierzulande leben rund drei Viertel der Mens<strong>ch</strong>en in<br />
Städten oder Agglomerationsgemeinden. Die nä<strong>ch</strong>ste<br />
Ausgabe ist deshalb dem Thema Urbane Lebensräume<br />
gewidmet und ers<strong>ch</strong>eint Ende November<br />
<strong>2012</strong>. Das BAFU setzt si<strong>ch</strong> für eine na<strong>ch</strong>haltige Gestaltung<br />
und Nutzung dieser Siedlungsräume ein, in<br />
denen au<strong>ch</strong> vielfältige Naturerlebnisse und die Biodiversität<br />
ihren Platz finden sollen.<br />
umwelt 3/<strong>2012</strong>
Intelligent unterwegs<br />
No<strong>ch</strong> nie war die S<strong>ch</strong>weiz so mobil wie heute. Über<br />
derart viel Bewegungsdrang würden frühere Genera-<br />
tionen nur staunen: Wir wohnen im Kanton S<strong>ch</strong>wyz und<br />
pendeln na<strong>ch</strong> Züri<strong>ch</strong> zur Arbeit; wir leben in Nyon und<br />
verbringen die Wo<strong>ch</strong>enenden im Val d’Anniviers; und<br />
wir sind in Lyss zu Hause und frönen unserer Kletter-<br />
leidens<strong>ch</strong>aft im Jura. Ni<strong>ch</strong>t zu vergessen sind die<br />
Ferien. 2010 unternahm die S<strong>ch</strong>weizer Bevölkerung rund<br />
10 Millionen Reisen ins Ausland. Ihre persönli<strong>ch</strong>e<br />
<strong>Mobilität</strong> s<strong>ch</strong>eint grenzenlos. Gesells<strong>ch</strong>aft und Wirt-<br />
s<strong>ch</strong>aft profitieren entspre<strong>ch</strong>end von mobilen Mens<strong>ch</strong>en<br />
und lei<strong>ch</strong>t vers<strong>ch</strong>iebbaren Gütern.<br />
Do<strong>ch</strong> die grosse Bewegungsfreiheit hat ihren Preis.<br />
2010 herrs<strong>ch</strong>te auf S<strong>ch</strong>weizer Strassen 16 000 Stunden<br />
Stau, das heisst im S<strong>ch</strong>nitt fast 44 Stunden tägli<strong>ch</strong> –<br />
ein neuer Rekord. Und au<strong>ch</strong> beim CO 2-Ausstoss lag der<br />
Strassenverkehr nur unwesentli<strong>ch</strong> unter der Rekordmar-<br />
ke von 2008. Zudem leiden viele Mens<strong>ch</strong>en unter dem<br />
Verkehrslärm, und die Infrastruktur für Auto und Zug<br />
verbrau<strong>ch</strong>t Land – eine sehr begrenzte Ressource in<br />
der S<strong>ch</strong>weiz. Damit bedroht das ungebremste Verkehrs-<br />
wa<strong>ch</strong>stum die Errungens<strong>ch</strong>aften einer mobilen Gesell-<br />
s<strong>ch</strong>aft. Gefragt sind also neue, zukunftsfähige Formen.<br />
Deshalb wollen Bundesrat und Parlament unter anderem<br />
den Langsamverkehr fördern.<br />
umwelt 3/<strong>2012</strong><br />
In diesem Heft zeigen wir, dass umweltgere<strong>ch</strong>te<br />
<strong>Mobilität</strong> s<strong>ch</strong>on heute mögli<strong>ch</strong> ist, und wir präsentieren<br />
na<strong>ch</strong>ahmenswerte Beispiele. Wir werfen zudem einen<br />
Blick hinter die Türen von Fors<strong>ch</strong>ungslabors und Firmen,<br />
die an den mögli<strong>ch</strong>st energiesparenden Verkehrsmitteln<br />
von morgen arbeiten.<br />
Te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e Verbesserungen und neue Te<strong>ch</strong>nologien<br />
werden viel zur Lösung unserer <strong>Mobilität</strong>sprobleme bei-<br />
tragen, do<strong>ch</strong> ein Patentrezept gibt es ni<strong>ch</strong>t. Umweltge-<br />
re<strong>ch</strong>te <strong>Mobilität</strong> setzt si<strong>ch</strong> aus vielen unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en<br />
Puzzleteilen zusammen – aus einer Kombination von<br />
mehreren Fortbewegungsmitteln sowie dem Hinterfra-<br />
gen von Gewohnheiten und Bedürfnissen.<br />
Denn si<strong>ch</strong>er ist: Au<strong>ch</strong> umweltgere<strong>ch</strong>te <strong>Mobilität</strong><br />
kann ni<strong>ch</strong>t grenzenlos sein. Selbst wenn wir unsere<br />
Verkehrsmittel auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> mit erneuerbarer Energie<br />
betreiben, wird immer eine bessere Ökobilanz aufwei-<br />
sen, wer in der Nähe seines Arbeitsplatzes wohnt. Und<br />
Wo<strong>ch</strong>enendausflüge mit dem Flugzeug werden die Um-<br />
welt immer stärker belasten als eine Velotour ins Grüne<br />
direkt vor der eigenen Haustür.<br />
Gérard Poffet, Vizedirektor BAFU<br />
Verkehrte S<strong>ch</strong>weiz, in der<br />
si<strong>ch</strong> die Berge im Mittelland<br />
erheben: Je höher<br />
die Spitze, desto besser<br />
ist die Ers<strong>ch</strong>liessung eines<br />
Ortes mit dem öffentli<strong>ch</strong>en<br />
Verkehr.<br />
Quelle: Bundesamt für Raumentwicklung<br />
ARE<br />
3
ZUKUNFTSVERKEHR<br />
Keine Science-Fiction<br />
auf der Strasse<br />
Werden Brennstoffzellenautos die Benzinfahrzeuge ablösen? Wann sind auf unseren Strassen<br />
die ersten Lei<strong>ch</strong>tbau-Autos unterwegs? Reisen wir künftig mit der Magnets<strong>ch</strong>webebahn zur<br />
Arbeit? Ein Blick in die Labors der Motoren- und <strong>Mobilität</strong>sfors<strong>ch</strong>ung.<br />
Dann steht es plötzli<strong>ch</strong> vor uns, das erste Brennstoffzellen-Postauto<br />
der S<strong>ch</strong>weiz. Unsere Augen<br />
auf die Zeitung geri<strong>ch</strong>tet, hatten wir den Bus an<br />
diesem frühen Morgen im Brugger Bahnhof gar<br />
ni<strong>ch</strong>t kommen sehen, und zu hören war er au<strong>ch</strong><br />
ni<strong>ch</strong>t. Ansonsten aber unters<strong>ch</strong>eidet er si<strong>ch</strong><br />
kaum von klassis<strong>ch</strong>en Postautos – nur das Da<strong>ch</strong><br />
ist um einen halben Meter erhöht, und am Bus<br />
prangt der stolze Slogan «Ein emissionsfreier<br />
Antrieb für unsere Umwelt».<br />
Das Testfahrzeug verkehrt seit Dezember<br />
2011 auf den Postautolinien in Brugg (AG). Es<br />
ist Teil des internationalen Fors<strong>ch</strong>ungsprojekts<br />
CHIC (Clean Hydrogen in European Cities). Fünf<br />
Jahre lang wird in fünf europäis<strong>ch</strong>en Städten<br />
getestet, wie si<strong>ch</strong> Brennstoffzellen-Busse im Alltag<br />
bewähren. Betankt werden sie an einer fixen<br />
Tankstelle mit lokal hergestelltem Wasserstoff.<br />
Dieser wird ni<strong>ch</strong>t wie übli<strong>ch</strong> in einem <strong>ch</strong>emis<strong>ch</strong>en<br />
Verfahren aus Erdgas oder Kohle gewonnen,<br />
sondern mittels Stromelektrolyse aus Wasser.<br />
Dazu dienen erneuerbare Energiequellen<br />
wie Wasserkraft, Solarstrom und Windkraft. In<br />
den Brennstoffzellen auf dem Da<strong>ch</strong> des Busses<br />
wird der Wasserstoff in elektris<strong>ch</strong>e Antriebsenergie<br />
umgewandelt. Um die Leistungsfähigkeit<br />
zu steigern, verfügen die Fahrzeuge über eine<br />
Lithium-Ionen-Batterie. Sie dient als Zwis<strong>ch</strong>enspei<strong>ch</strong>er<br />
für die elektris<strong>ch</strong>e Energie. Bremst der<br />
Bus, generiert der Elektromotor Strom, den er in<br />
die Batterie zurückspeist. Dies ist ein bedeutender<br />
Gewinn für Postautos, die häufig bremsen,<br />
anhalten und wieder bes<strong>ch</strong>leunigen müssen.<br />
4<br />
Die S<strong>ch</strong>weizer Brennstoffzelle. Auf unserer Fahrt<br />
über die hügelrei<strong>ch</strong>e Strecke von Brugg na<strong>ch</strong><br />
Villigen zeigt der Bus keinerlei S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>en.<br />
Pannen gebe es nur sehr selten, erklärt uns der<br />
Chauffeur. Er sei begeistert und stolz, bei diesem<br />
Experiment – «einem Projekt mit Zukunft» –<br />
mittun zu dürfen. Bald passieren wir den Elektronenbes<strong>ch</strong>leuniger<br />
des Paul S<strong>ch</strong>errer Instituts<br />
(PSI), der wie ein gigantis<strong>ch</strong>es UFO auf einer<br />
Wiese steht. Dann geht es zu Fuss über eine Brücke<br />
zum Hauptgebäude des PSI, wo uns Philipp<br />
Dietri<strong>ch</strong>, der Projektleiter für Brennstoffzellenantriebe,<br />
empfängt. Er führt uns dur<strong>ch</strong> das Labor<br />
zum Herzstück seiner Fors<strong>ch</strong>ungstätigkeit –<br />
der «S<strong>ch</strong>weizer Brennstoffzelle». Zusammen mit<br />
Nick Hayeks Belenos AG entwickelt das PSI ein<br />
Brennstoffzellensystem für einen Kleinwagen.<br />
Das Ziel lautet: Die Fahrleistung und die Kosten<br />
(Fahrzeugkauf plus Betrieb) des Brennstoffzellenautos<br />
sollen über die ganze Lebenszeit von<br />
rund zehn Jahren mit herkömmli<strong>ch</strong>en Personenwagen<br />
verglei<strong>ch</strong>bar sein. No<strong>ch</strong> ist man ni<strong>ch</strong>t<br />
so weit: «Die Kosten und die Lebensdauer der<br />
Brennstoffzellen weisen no<strong>ch</strong> viel Optimierungspotenzial<br />
auf», sagt Dietri<strong>ch</strong>. Do<strong>ch</strong> man sei auf<br />
gutem Weg. Dies hat jüngst au<strong>ch</strong> das Bundesamt<br />
für Energie (BFE) erkannt: Es zei<strong>ch</strong>nete die<br />
Belenos AG und das PSI mit dem Preis Watt d’Or<br />
2011 aus.<br />
Hayeks Antriebssystem bekommen wir an<br />
diesem Vormittag aus Geheimhaltungsgründen<br />
ni<strong>ch</strong>t zu sehen, dafür ein ähnli<strong>ch</strong> konzipiertes<br />
Brennstoffzellensystem zum Antrieb<br />
umwelt 3/<strong>2012</strong> > Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong>
Sollen Autos und<br />
Elektromobile ents<strong>ch</strong>eidend<br />
weniger Energie<br />
verbrau<strong>ch</strong>en, müssen<br />
sie lei<strong>ch</strong>ter werden.<br />
Die Firma ESORO in<br />
Fällanden (ZH) ist unter<br />
anderem auf die Entwicklung<br />
von Lei<strong>ch</strong>tbaufahrzeugen<br />
spezialisiert.<br />
Weniger Gewi<strong>ch</strong>t gilt<br />
ni<strong>ch</strong>t nur für den Bau<br />
der Karosserie, sondern<br />
für die Konstruktion<br />
aller Fahrzeugkomponenten<br />
– wie zum<br />
Beispiel der Sitze. Sie<br />
müssen lei<strong>ch</strong>t, aber vor<br />
allem au<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong>er sein.<br />
Die Stabilität ist bereits<br />
beim Entwurf das zen-<br />
trale Thema und wird am Computer getestet (oben). Die Herstellung der<br />
Lei<strong>ch</strong>tbausitze erfolgt aus rezyklierbarem Faserverbundkunststoff (Mitte<br />
links). Ein Industrieroboter sorgt für die Positionierung der Materialien in<br />
der Produktionspresse (Mitte re<strong>ch</strong>ts). Gegenüber herkömmli<strong>ch</strong>en Sitzen<br />
Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong> > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />
(unten links im Hintergrund) lassen si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> die Lei<strong>ch</strong>tbaute<strong>ch</strong>nologie<br />
bis zu 30 Prozent Gewi<strong>ch</strong>t einsparen. Ein Kleinwagen wie der Prototyp<br />
ESORO H301 (unten re<strong>ch</strong>ts) wiegt in Lei<strong>ch</strong>tbauweise rund ein Viertel<br />
weniger als gängige Autos. Bilder: Hans S<strong>ch</strong>ürmann<br />
5
Bild links: Automatisierte<br />
Si<strong>ch</strong>erheitssysteme sollen<br />
künftig Unfälle auf der<br />
Strasse verhindern – beispielsweise<br />
dur<strong>ch</strong> Kommunikationsmögli<strong>ch</strong>keiten<br />
der Autos untereinander.<br />
Die Car2Car-Te<strong>ch</strong>nologie<br />
basiert auf Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>ten,<br />
wel<strong>ch</strong>e si<strong>ch</strong> die Fahrzeuge<br />
gegenseitig senden.<br />
Sie dienen als Grundlage<br />
zum Erkennen von kritis<strong>ch</strong>en<br />
Situationen.<br />
Bild re<strong>ch</strong>ts: Das Funksystem<br />
für die Car2Car-<br />
Kommunikation basiert<br />
auf dem drahtlosen<br />
lokalen Netzwerk (WLAN)<br />
und hat einen Radius von<br />
wenigen hundert Metern.<br />
Sobald zwei oder mehrere<br />
Fahrzeuge in Funkdistanz<br />
sind, bauen sie ein<br />
Ad-hoc-Netzwerk auf.<br />
Bilder: car2car<br />
6<br />
eines S<strong>ch</strong>iffsmotors. Daran ist eine Vielzahl von<br />
Messgeräten anges<strong>ch</strong>lossen. «Das Prinzip einer<br />
Brennstoffzelle ist einfa<strong>ch</strong>», erklärt der Fors<strong>ch</strong>er<br />
und rei<strong>ch</strong>t uns eine Zelle, klein wie eine Strei<strong>ch</strong>holzs<strong>ch</strong>a<strong>ch</strong>tel.<br />
Eine Membran in der Mitte der<br />
Zelle lässt die Wasserstoffmoleküle kontrolliert<br />
ausströmen. Diese treffen auf der anderen Seite<br />
auf Sauerstoff; daraus entsteht elektris<strong>ch</strong>er<br />
Strom. Im Prinzip könne si<strong>ch</strong> jedes S<strong>ch</strong>ulkind<br />
eine Brennstoffzelle bauen, sagt der Projektleiter.<br />
Die Vorgänge im Nano- und Mikroberei<strong>ch</strong><br />
zu verstehen und zu optimieren ist die Aufgabe<br />
der Fors<strong>ch</strong>er. Wann ist mit dem Dur<strong>ch</strong>bru<strong>ch</strong> zu<br />
re<strong>ch</strong>nen? «Bei der Leistungsdi<strong>ch</strong>te sind wir nah<br />
dran», sagt Philipp Dietri<strong>ch</strong>. Wasserstoff sei zwar<br />
teurer als Benzin, aber im Fahrzeug doppelt so<br />
effizient. Der hohe Preis ist eine Folge der aufwändigen<br />
Herstellung und der verglei<strong>ch</strong>sweise<br />
s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ten Energiebilanz: Um Wasserstoff mit<br />
dem Energiegehalt eines Liters Benzin zu produzieren,<br />
muss man die Energie von rund drei<br />
Litern Benzin einsetzen. Zudem, so räumt Dietri<strong>ch</strong><br />
ein, fehle in der S<strong>ch</strong>weiz ein Grundversorgungsnetz<br />
mit Wasserstoff-Tankstellen, wie es<br />
derzeit in Deuts<strong>ch</strong>land gebaut werde. Erst dann<br />
folgten die Autokäufer. Einfa<strong>ch</strong>er sei der Einstieg<br />
für Stadtbusse und Postautos: Wie im Testbetrieb<br />
in Brugg können die Fahrer stets dieselbe<br />
Tankstelle ansteuern.<br />
Erdgas mit grossem Potenzial. Ähnli<strong>ch</strong>es hören wir<br />
ein paar Tage später von Christian Ba<strong>ch</strong>, Motorenentwickler<br />
an der Eidgenössis<strong>ch</strong>en Materialprüfungs-<br />
und Fors<strong>ch</strong>ungsanstalt (Empa) in Dübendorf<br />
(ZH). Er bes<strong>ch</strong>äftigt si<strong>ch</strong> seit Jahren mit<br />
der Entwicklung eines verbrau<strong>ch</strong>sarmen Erdgasfahrzeugs.<br />
«Erdgas und Biogas sind attraktive<br />
Treibstoffe mit deutli<strong>ch</strong> geringeren CO2-Emissionen<br />
als Benzin oder Diesel», erklärt er und führt<br />
uns ins Motorenlabor. Dort hantiert ein Me<strong>ch</strong>aniker<br />
an einem grünen VW Touran. Auf den ersten<br />
Blick uns<strong>ch</strong>einbar, beherbergt das Auto ein<br />
komplexes Erdgas-Elektrohybrid-Antriebssystem.<br />
Es ist im Rahmen des Projekts «CLEVER» (Clean<br />
and Efficient Vehicle Resear<strong>ch</strong>) entwickelt und<br />
von Bos<strong>ch</strong>, VW sowie den Bundesämtern BFE<br />
und BAFU mitfinanziert worden. Jüngst konnten<br />
die Fors<strong>ch</strong>er zeigen, dass der Erdgas-Elektrohybrid-Motor<br />
35 Prozent CO2 einspart, mit Biogasbeimis<strong>ch</strong>ung<br />
nimmt die CO2-Belastung no<strong>ch</strong><br />
mehr ab. Erstaunli<strong>ch</strong>erweise kostet ein Erdgas-<br />
Elektrohybrid-Auto über die ganze Lebensdauer<br />
ni<strong>ch</strong>t mehr als ein Benziner. Gehört ihm also die<br />
Zukunft? «Die Knacknuss ist das Versorgungsnetz»,<br />
sagt Christian Ba<strong>ch</strong>. No<strong>ch</strong> stehen den Erdgasfahrern<br />
in der S<strong>ch</strong>weiz bloss 132 Tankstellen<br />
zur Verfügung, in ganz Frankrei<strong>ch</strong> sind es ledigli<strong>ch</strong><br />
25, was die Reiseplanung ers<strong>ch</strong>wert. Do<strong>ch</strong><br />
das werde si<strong>ch</strong> ändern, ist der Entwickler überzeugt.<br />
«Erdgasmotoren haben no<strong>ch</strong> viel Effizienzsteigerungspotenzial.<br />
Die tiefen Erdgaspreise<br />
und die neuen CO2-Vors<strong>ch</strong>riften ab 2015 werden<br />
zu einer deutli<strong>ch</strong>en Zunahme der Erdgasfahrzeuge<br />
führen. Dann folgen die Tankstellen.»<br />
An ein baldiges Ende des Verbrennungsmotors<br />
glaubt au<strong>ch</strong> der Mas<strong>ch</strong>inenbauer Lino<br />
Guzzella von der ETH Züri<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t: «Au<strong>ch</strong> in Zukunft<br />
werden die meisten Autos mit Otto- oder<br />
Dieselmotoren ausgerüstet sein», sagt der neue<br />
Rektor der Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ule. Im Unters<strong>ch</strong>ied zum<br />
öffentli<strong>ch</strong>en Bahn- und Stadtverkehr, der weitgehend<br />
von Stromleitungen abhängig sei, müsse<br />
der Individualverkehr seine Energie selber mitführen.<br />
Aus der S<strong>ch</strong>ublade seines S<strong>ch</strong>reibtis<strong>ch</strong>s<br />
umwelt 3/<strong>2012</strong> > Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong>
Das Gewi<strong>ch</strong>t des Fahrzeugs<br />
wird zur zentralen Grösse. Als<br />
Konsequenz darf das Auto<br />
der Zukunft keine Zusammenstösse<br />
mehr erleiden. Weil an<br />
den allermeisten Unfällen die<br />
Fahrer s<strong>ch</strong>uld sind, brau<strong>ch</strong>t<br />
es automatisierte Si<strong>ch</strong>erheitssysteme.<br />
kramt er S<strong>ch</strong>okolade hervor und fragt: «Wenn<br />
Sie auf eine Wanderung gehen, packen Sie dann<br />
eine Tafel S<strong>ch</strong>oggi ein oder gut zwei Kilogramm<br />
Brokkoli mit dem glei<strong>ch</strong>en Energiegehalt?» Die<br />
Antwort gibt er glei<strong>ch</strong> selbst: «Mit dem Treibstoff<br />
ist es dasselbe: Benzin und Diesel haben fantastis<strong>ch</strong>e<br />
Energiewerte, viel höhere als Batterien.»<br />
Dazu komme der sehr günstige Preis von Benzin,<br />
das pro Liter kaum teurer sei als Mineralwasser.<br />
Dieser finanzielle Fehlanreiz habe allerdings<br />
zum Bau von zu s<strong>ch</strong>weren und zu leistungsstarken<br />
Autos geführt.<br />
Computergesteuerte Fahrzeuge. Lino Guzzella<br />
wüns<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> lei<strong>ch</strong>tere und sparsamere Autos.<br />
Dabei setzt er auf kleine, turbogeladene Motoren<br />
und pneumatis<strong>ch</strong>e Hybriden mit einer Kombination<br />
aus Druckluft- und Verbrennungsmotor,<br />
wie sie im Keller des Instituts erprobt werden.<br />
Nötig sei zudem ein radikaler Lei<strong>ch</strong>tbau aus<br />
Aluminium, Kohlefasern oder Magnesium, wie<br />
ihn etwa die S<strong>ch</strong>weizer Firmen Georg Fis<strong>ch</strong>er,<br />
Esoro oder Horla<strong>ch</strong>er, aber au<strong>ch</strong> Industriegrössen<br />
wie Audi und BMW vorantreiben. «Das Gewi<strong>ch</strong>t<br />
des Fahrzeugs wird zur zentralen Grösse»,<br />
prophezeit Lino Guzzella. Als Konsequenz darf<br />
das Auto der Zukunft keine Zusammenstösse<br />
mehr erleiden. Weil an den allermeisten Unfällen<br />
die Fahrer s<strong>ch</strong>uld sind, brau<strong>ch</strong>t es automatisierte<br />
Si<strong>ch</strong>erheitssysteme.<br />
Das Feld der diskutierten Hilfsmittel ist gross:<br />
Bordcomputer, Satellitennavigation, vorprogrammierte<br />
Strassenprofile, Steuerhilfen, Kommunikation<br />
der Autos untereinander (Car2Car)<br />
und mit Verkehrssignalen. Der Internetkonzern<br />
Google testet gar ein Highte<strong>ch</strong>-Auto, das auf<br />
einen autonomen Betrieb ums<strong>ch</strong>alten kann.<br />
Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong> > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />
Jüngst hat das US-Patentamt ein entspre<strong>ch</strong>endes<br />
Patent gewährt. Damit liessen si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t nur<br />
Unfälle, sondern au<strong>ch</strong> Staus vermeiden, sind<br />
die Google-Te<strong>ch</strong>niker überzeugt. Sie re<strong>ch</strong>nen<br />
vor, unsere Strassen könnten doppelt so viele<br />
computergesteuerte Autos aufnehmen wie von<br />
Mens<strong>ch</strong>enhand gelenkte. «Te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong> ist das alles<br />
ma<strong>ch</strong>bar», sagt Lino Guzzella. «Der grosse<br />
Widerstand sitzt in den Köpfen, denn die Leute<br />
könnten dann ni<strong>ch</strong>t mehr na<strong>ch</strong> Herzenslust<br />
bes<strong>ch</strong>leunigen.»<br />
Führerlose Systeme im Test. Au<strong>ch</strong> Giovanni<br />
D’Urbano, Mas<strong>ch</strong>ineningenieur und Leiter der<br />
BAFU-Sektion Verkehr, kann si<strong>ch</strong> eine Koppelung<br />
der Fahrzeuge auf viel befahrenen Strecken<br />
wie Autobahnen vorstellen. In di<strong>ch</strong>ten Ballungszentren<br />
s<strong>ch</strong>webt ihm der Einsatz von Personal-<br />
Rapid-Transit-Systemen (PRT) vor, wie sie der<br />
Flughafen Heathrow in London testet. In einem<br />
Pilotversu<strong>ch</strong> werden hier Passagiere mit kleinen,<br />
führerlosen Elektrowagen von einem Parkplatz<br />
zum gewüns<strong>ch</strong>ten Terminal befördert.<br />
Wie also wird der Individualverkehr in 20 bis<br />
30 Jahren aussehen, fragen wir den Fa<strong>ch</strong>mann<br />
auf einer Zugfahrt zwis<strong>ch</strong>en Bern und Züri<strong>ch</strong>?<br />
Giovanni D’Urbano sieht einen Mix aus vers<strong>ch</strong>iedenen<br />
Antriebssystemen und Treibstoffen:<br />
saubere Diesel, kleine Benzinautos, Hybridfahrzeuge,<br />
Erdgasautos, reine Elektromobile, E-Bikes<br />
und Velos. Ents<strong>ch</strong>eidend seien au<strong>ch</strong> die Entwicklung<br />
der Treibstoffkosten und gesetzli<strong>ch</strong>e<br />
Rahmenbedingungen wie CO2-Gesetz, Abgasvors<strong>ch</strong>riften<br />
oder finanzielle Lenkungsabgaben.<br />
«Es ist anzunehmen, dass die fossilen Treibstoffe<br />
künftig teurer werden. Deshalb dürften si<strong>ch</strong> die<br />
sparsamen Modelle dur<strong>ch</strong>setzen», sagt Giovanni<br />
D’Urbano und greift na<strong>ch</strong> seinem Abonnement,<br />
das er dem Zugführer entgegenstreckt. Und wie<br />
wird si<strong>ch</strong> der öffentli<strong>ch</strong>e Verkehr entwickeln?<br />
Werden wir dereinst mit Magnets<strong>ch</strong>webebahnen<br />
das Mittelland queren, wie es die Projekte «Swiss<br />
Metro» (unterirdis<strong>ch</strong>) oder «SwissRapid Express»<br />
skizzieren? «Es sind no<strong>ch</strong> zu viele Fragen offen»,<br />
erklärt der BAFU-Verkehrsspezialist. «Die Fors<strong>ch</strong>ung<br />
muss zuerst zeigen, was te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong> und<br />
finanziell überhaupt ma<strong>ch</strong>bar ist.»<br />
Die Züge der Zukunft werden si<strong>ch</strong> also ni<strong>ch</strong>t<br />
grundsätzli<strong>ch</strong> von den heutigen unters<strong>ch</strong>eiden.<br />
Do<strong>ch</strong> immerhin will uns die SBB künftig geräumigere<br />
Wagen und auf den Hauptverkehrsa<strong>ch</strong>sen<br />
zusätzli<strong>ch</strong>e Fahrten im Viertelstundentakt<br />
bieten.<br />
Nicolas Gattlen<br />
Weiterführende Links unter<br />
www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/magazin<strong>2012</strong>-3-01<br />
KONTAKT<br />
Giovanni D’Urbano<br />
Sektions<strong>ch</strong>ef Verkehr,BAFU<br />
031 322 93 40<br />
giovanni.durbano@bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />
7
8<br />
<strong>Mobilität</strong> unter der Lupe<br />
Länge des Strassennetzes:71 452km<br />
stark gesundheitsgefährdend (> 55 dBA)<br />
gesundheitsgefährdend (40 – 44,9 dBA)<br />
mässig störend (30 – 39,9 dBA)<br />
gesundheitli<strong>ch</strong> unbedenkli<strong>ch</strong> (< 30 dBA)<br />
Bewertung na<strong>ch</strong> WHO<br />
bjo. Millionen von Mens<strong>ch</strong>en sind in der S<strong>ch</strong>weiz tägli<strong>ch</strong> auf dem Strassen- und<br />
S<strong>ch</strong>ienennetz unterwegs. Die hohe <strong>Mobilität</strong> ist ein zentrales Merkmal unserer<br />
Gesells<strong>ch</strong>aft und Teil der persönli<strong>ch</strong>en Lebensqualität. Sie vers<strong>ch</strong>afft uns wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e<br />
Vorteile, verursa<strong>ch</strong>t andererseits aber au<strong>ch</strong> vielfältige Umwelt- und<br />
Gesundheitsprobleme.<br />
Vor allem entlang von viel befahrenen Strassen leiden Hunderttausende<br />
von Anwohnern unter dem gesundheitss<strong>ch</strong>ädigenden Lärm der Motorfahrzeuge<br />
und ihrem Abgasausstoss. Die Verkehrsadern mit der grössten Transportleistung<br />
sind praktis<strong>ch</strong> deckungsglei<strong>ch</strong> mit den Immissionskarten, die<br />
übermässige Lärm- und Luftbelastungen anzeigen – so etwa mit dem Reizgas<br />
Stickstoffdioxid (NO 2).<br />
Bedingt dur<strong>ch</strong> die dynamis<strong>ch</strong>e Entwicklung der Transportbedürfnisse im<br />
Personen- und Güterverkehr haben in den letzten Jahrzehnten au<strong>ch</strong> die entspre<strong>ch</strong>enden<br />
Treibhausgasemissionen, der Flä<strong>ch</strong>enverbrau<strong>ch</strong> und damit die<br />
Lands<strong>ch</strong>aftszerstörung und Zers<strong>ch</strong>neidung von Lebensräumen stark zugenommen.<br />
Die Verkehrsinfrastruktur belegt heute rund einen Drittel der Siedlungsflä<strong>ch</strong>en<br />
oder umgere<strong>ch</strong>net etwa 130 Quadratmeter pro Person, was ungefähr<br />
dem Dreifa<strong>ch</strong>en der Wohnflä<strong>ch</strong>e entspri<strong>ch</strong>t. Dabei nehmen allein die Strassenareale<br />
fast 90 Prozent in Bes<strong>ch</strong>lag.<br />
Neben den Ho<strong>ch</strong>leistungsa<strong>ch</strong>sen existiert aber au<strong>ch</strong> ein gut ausgebautes<br />
Netz für den umwelts<strong>ch</strong>onenden Langsamverkehr in Form von Wanderwegen,<br />
Gebirgspfaden und Velorouten (Seiten 10 und 11).<br />
Länge<br />
STRASSENLäRMBELASTUNG, 2008<br />
des S<strong>ch</strong>ienennetzes: 5124<br />
Tagsüber leiden<br />
1200 000<br />
Personen unter Strassenlärm<br />
70 000<br />
unter Bahnlärm<br />
65 000<br />
unter Fluglärm<br />
km<br />
Na<strong>ch</strong>ts leiden<br />
700 000<br />
Personen unter Strassenlärm<br />
140 000<br />
unter Bahnlärm<br />
95 000<br />
unter Fluglärm<br />
ANZAHL DER MOTORFAHRZEUGE MIT CH-NUMMERNSCHILD, 2011<br />
4163 003 348 553 60 324 665 870<br />
umwelt 3/<strong>2012</strong> > Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong>
17<br />
16<br />
15<br />
14<br />
13<br />
12<br />
11<br />
10<br />
9<br />
8<br />
7<br />
6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
11 845 379<br />
85 000<br />
29<br />
Flughafen und<br />
Anzahl Passagiere pro Jahr<br />
Passagierzahlen (Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nitt<br />
pro Tag) der grössten Bahnhöfe<br />
Gebirgslandeplatz<br />
Anzahl Passagiers<strong>ch</strong>iffe auf<br />
den grössten Seen<br />
Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong> > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />
9<br />
69 336<br />
100 704<br />
30 074<br />
4 095 626<br />
120 000 22 910 504<br />
150 000<br />
JäHRLICHER CO 2-AUSSTOSS DES VERKEHRS IN MILLIONEN TONNEN<br />
1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010<br />
HOCHLEISTUNGSNETZ FÜR DEN STRASSEN- UND BAHNVERKEHR<br />
10<br />
120 000<br />
300 000<br />
23<br />
22<br />
125 000<br />
169 082<br />
12<br />
15<br />
81 113<br />
18 697<br />
Anzahl Motorfahrzeuge pro Tag<br />
Anzahl Zugreisende pro Tag<br />
bis 5000<br />
25 000<br />
50 000<br />
100 000<br />
15 000<br />
30 000<br />
45 000<br />
60 000<br />
75 000<br />
90 000<br />
STICKSTOFFDIOXID-BELASTUNG (NO 2), 2010<br />
Mikrogramm NO2 /m<br />
> 36<br />
33–36<br />
30–33<br />
25–30<br />
20–25<br />
15–20<br />
10–15<br />
≤ 10<br />
3<br />
9
20500 km<br />
Die S<strong>ch</strong>weizer Bevölkerung legt im Jahr pro Kopf zurück – rund die Hälfte des Erdumfangs.<br />
40% Von den im Inland zurückgelegten Distanzen entfallen<br />
auf die Freizeit,<br />
36% 18%<br />
auf Arbeit und Ausbildung und auf Einkäufe und Begleitgänge.<br />
FLäCHENBEDARF UNTERSCHIEDLICHER<br />
VERKEHRSMITTEL, PRO PERSON<br />
(in Bewegung, inklusive Abstände)<br />
10<br />
3 m 2<br />
115 m 2<br />
7 m 2<br />
10 m 2<br />
ZURÜCKGELEGTE DISTANZEN PRO FORTBEWEGUNGSMITTEL, IN PROZENT<br />
25,6%<br />
18,7%<br />
DIE SCHWEIZER HAUSHALTE BESITZEN FOLGENDE TRANSPORTMITTEL<br />
20,5 %<br />
48,7 %<br />
11%<br />
22,6 %<br />
24,8 %<br />
und mehr...<br />
2 %<br />
und mehr...<br />
25,5 %<br />
und mehr...<br />
5,7 %<br />
31,4 %<br />
20,8 %<br />
87 %<br />
3,7%<br />
49,6%<br />
Quellen: ARE, ASTRA, BAFU, BAV, BAZL, BFS, SBB, Stadt Züri<strong>ch</strong><br />
umwelt 3/<strong>2012</strong> > Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong>
Grün: nationale Velorouten<br />
Grüner Punkt: Velomietstation<br />
Gelb: Wanderwege<br />
Rot: Bergwanderwege<br />
Blau: Alpinwanderwege<br />
66 000 km Wanderwege<br />
UNTERWEGS VERBRACHTE ZEIT (in Minuten pro Tag):<br />
DURCHSCHNITTLICHES REISETEMPO (in Stundenkilometern):<br />
Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong> > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />
DICHT GEWOBENES NETZ FÜR DEN LANGSAMVERKEHR<br />
vernetzen die ganze S<strong>ch</strong>weiz. Es gibt in der S<strong>ch</strong>weiz9nationale, 53 regionale<br />
und 59 lokale Velorouten mit über100Velomietstationen.<br />
4,9 km 13,4 km 33,5 km 38,6 km 61,4 km<br />
Weiterführende Links unter www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/magazin<strong>2012</strong>-3-02<br />
ÖV<br />
11
FREIZEITVERKEHR<br />
Mit Bahn und Tram<br />
an den Start<br />
Die verstopften Strassen und überfüllten Züge vor Arbeitsbeginn und na<strong>ch</strong> Büros<strong>ch</strong>luss täus<strong>ch</strong>en<br />
darüber hinweg: Am mobilsten sind die Mens<strong>ch</strong>en in der S<strong>ch</strong>weiz ni<strong>ch</strong>t als Pendler, sondern in ihrer<br />
Freizeit. Die grössten Distanzen legen sie im Auto und während der Ferien im Flugzeug zurück.<br />
Der Berner Frauenlauf ist ein sportli<strong>ch</strong>es Ereignis,<br />
das mehr Mens<strong>ch</strong>en bewegt als ho<strong>ch</strong>karätige<br />
Fussballspiele im Stade de Suisse. «Bewegt»<br />
im Wortsinn: Ni<strong>ch</strong>t nur, dass 14 000 Läuferinnen<br />
Strecken von 0,5 bis 15 Kilometern rennend<br />
oder walkend hinter si<strong>ch</strong> bringen. Über viel weitere<br />
Distanzen bewegt werden die Aktiven und<br />
das no<strong>ch</strong> zahlrei<strong>ch</strong>ere Publikum auf dem Weg<br />
an den Ort des Ges<strong>ch</strong>ehens und abends wieder<br />
zurück na<strong>ch</strong> Hause.<br />
Bahnbillett im Startgeld inbegriffen. Um diesen Verkehr<br />
mögli<strong>ch</strong>st umweltverträgli<strong>ch</strong> abzuwickeln,<br />
haben si<strong>ch</strong> die Organisatoren einiges einfallen<br />
lassen. Im Startgeld inbegriffen ist ein Bahnbillett<br />
für die Hin- und Rückfahrt ab Wohnort in<br />
der ganzen S<strong>ch</strong>weiz. Mit der SBB ist dafür ein<br />
Paus<strong>ch</strong>alpreis ausgehandelt worden. Wer ein Generalabonnement<br />
besitzt, bezahlt ein reduziertes<br />
Startgeld, desglei<strong>ch</strong>en Läuferinnen aus Bern<br />
und den nä<strong>ch</strong>stgelegenen Aussengemeinden, die<br />
bloss eine Fahrkarte für das Nahverkehrsnetz<br />
benötigen. Zudem steht in den Startunterlagen<br />
deutli<strong>ch</strong>, dass keine Parkplätze angeboten werden.<br />
Die Kombination der beiden Massnahmen<br />
wirkt: «Unsere Umfragen zeigen, dass 95 Prozent<br />
der Läuferinnen mit öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrsmitteln<br />
anreisen», sagt Catherine Imhof vom Organisationskomitee.<br />
Das ist ein Traumwert für den Freizeitverkehr.<br />
Gemäss der Erhebung der Bundesämter für<br />
Statistik (BFS) und Raumentwicklung (ARE) über<br />
die <strong>Mobilität</strong> in der S<strong>ch</strong>weiz aus dem Jahr <strong>2012</strong><br />
wird insgesamt zwar fast die Hälfte aller Wegetappen<br />
zu Fuss zurückgelegt. Do<strong>ch</strong> für 67 Prozent<br />
der Distanzen im Freizeitverkehr kommen<br />
12<br />
Auto oder Motorrad zum Einsatz. Und während<br />
der Anteil des motorisierten Individualverkehrs<br />
insgesamt lei<strong>ch</strong>t gesunken ist, bleibt das Auto<br />
unbestritten das wi<strong>ch</strong>tigste Gefährt in der Freizeit.<br />
Zur Arbeit geht es zunehmend per Bahn<br />
oder Bus − do<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Feierabend setzt man si<strong>ch</strong><br />
na<strong>ch</strong> wie vor am liebsten ins eigene Gefährt.<br />
Frei im eigenen Auto. Befragungen zeigen klar,<br />
weshalb das Auto in der Freizeit so populär ist:<br />
kürzere Fahrzeit einerseits, ungenügende Ers<strong>ch</strong>liessung<br />
des Reiseziels dur<strong>ch</strong> Bus und Bahn<br />
anderseits. Die Kosten hingegen spielen eine untergeordnete<br />
Rolle. Tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> lassen si<strong>ch</strong> Freizeitziele<br />
mit dem öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr oft ni<strong>ch</strong>t<br />
so gut errei<strong>ch</strong>en wie der Arbeitsplatz, und na<strong>ch</strong><br />
Feierabend und an Feiertagen sind die Fahrpläne<br />
weniger di<strong>ch</strong>t als zu den werktägli<strong>ch</strong>en<br />
Stosszeiten.<br />
Andreas Blumenstein vom Büro für <strong>Mobilität</strong><br />
in Bern sieht no<strong>ch</strong> einen anderen Grund für<br />
die geringe Beliebtheit des ÖV na<strong>ch</strong> Feierabend.<br />
«Die Verkehrsmittelwahl hat au<strong>ch</strong> einen emotionalen<br />
Aspekt», sagt er. «Pendeln ist Alltagsroutine,<br />
Freizeit ist Ausbru<strong>ch</strong> aus dieser Routine. Wir<br />
mö<strong>ch</strong>ten dann spontan ents<strong>ch</strong>eiden können,<br />
wann und wohin die Fahrt geht. Das eigene<br />
Auto entspri<strong>ch</strong>t dieser Befindli<strong>ch</strong>keit eher als<br />
der ÖV, dessen Nutzung eine gewisse Planung erfordert.»<br />
Freizeit ist Freiheit, und diese will man<br />
si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> Fahrpläne bes<strong>ch</strong>neiden lassen.<br />
Freizeitverkehr dominiert. Unsere Gesells<strong>ch</strong>aft ist<br />
so mobil wie nie zuvor. Im Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nitt sind<br />
die Mens<strong>ch</strong>en in der S<strong>ch</strong>weiz 37 Kilometer pro<br />
Tag unterwegs, davon 40 Prozent in der Freizeit<br />
umwelt 3/<strong>2012</strong> > Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong>
Der Berner Frauenlauf setzt<br />
als sportli<strong>ch</strong>e Grossveranstaltung<br />
voll auf den öffentli<strong>ch</strong>en<br />
Verkehr. 95 Prozent<br />
der Teilnehmerinnen reisen<br />
per Bahn, Tram und Bus<br />
zum Start im Stadtzentrum.<br />
Alle Bilder: Ruben Wyttenba<strong>ch</strong><br />
und bloss 24 Prozent im Arbeitsverkehr. Unberücksi<strong>ch</strong>tigt<br />
bleiben in diesen Zahlen längere<br />
Tagesausflüge und Reisen, die pro Person und<br />
Jahr 6700 Kilometer ausma<strong>ch</strong>en – davon sind<br />
vier Fünftel Freizeitverkehr. Mehr als die Hälfte<br />
dieser Distanzen legen wir im Flugzeug zurück.<br />
Auf 3Tonnen CO 2-Emissionen im gesamten<br />
motorisierten Individualverkehr kommt heute<br />
bereits mehr als 1 Tonne, die wir im internationalen<br />
Flugverkehr freisetzen. Die Bedeutung<br />
der Flugreisen wird laut Tourismusexperten weiter<br />
zunehmen. So hat etwa die Studie Reisemarkt<br />
S<strong>ch</strong>weiz des Instituts für Öffentli<strong>ch</strong>e Dienstleistungen<br />
und Tourismus der Universität St. Gallen<br />
aus dem Jahr 2008 gezeigt, dass kürzere Reisen<br />
und Billigflüge besonders im Trend liegen.<br />
Wie lässt si<strong>ch</strong> dieser <strong>Mobilität</strong>shunger in<br />
der Freizeit umweltgere<strong>ch</strong>t stillen? Eine s<strong>ch</strong>wierige<br />
Frage: «Bisherige verkehrspolitis<strong>ch</strong>e und<br />
verkehrsplaneris<strong>ch</strong>e Strategien waren in erster<br />
Linie auf den Arbeitspendlerverkehr sowie auf<br />
den Fernverkehr ausgeri<strong>ch</strong>tet», s<strong>ch</strong>reibt der Bundesrat<br />
in seiner 2009 veröffentli<strong>ch</strong>ten «Strategie<br />
Freizeitverkehr». «Die spezifis<strong>ch</strong>en Aspekte des<br />
Freizeitverkehrs wurden zu wenig intensiv in die<br />
Überlegungen zu einer na<strong>ch</strong>haltigen Verkehrspolitik<br />
einbezogen. Entspre<strong>ch</strong>end gross sind<br />
heute der Handlungsbedarf und das Handlungspotenzial.»<br />
Die Strategie hat zum Ziel, den privaten<br />
Freizeitverkehr mit Auto und Motorrad bis<br />
zum Jahr 2020 zu stabilisieren. Die Anteile des<br />
ÖV und des Langsamverkehrs sollen erhöht, die<br />
Wege verkürzt werden.<br />
Die Ziele also sind klar – wie sie si<strong>ch</strong> errei<strong>ch</strong>en<br />
lassen, weniger. Einer der Gründe liegt<br />
darin, dass si<strong>ch</strong> das Verhalten der Mens<strong>ch</strong>en in<br />
Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong> > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />
13
der Freizeit ni<strong>ch</strong>t über einen Leisten s<strong>ch</strong>lagen<br />
lässt, der Freizeitverkehr ist ein überaus heterogenes<br />
Gebilde. Deshalb gibt es au<strong>ch</strong> keine<br />
Patentlösungen, um ihn zu beeinflussen. Was<br />
es brau<strong>ch</strong>t, ist ein Paket von vers<strong>ch</strong>iedensten<br />
aufeinander abgestimmten Massnahmen.<br />
Freizeitverkehr ist Nahverkehr. Fast zwei Drittel<br />
der tägli<strong>ch</strong>en Freizeitwege liegen innerhalb von<br />
Agglomerationen. Man fährt zu Besu<strong>ch</strong>, geht<br />
auswärts essen, saust ins Training oder zum<br />
nä<strong>ch</strong>sten Waldrand. Ein Drittel bis die Hälfte<br />
dieser Wege misst weniger als 2 Kilometer. Das<br />
heisst: Dur<strong>ch</strong> ein ausgebautes ÖV-Angebot und<br />
attraktive Wege für Velofahrende und Fussgänger<br />
könnte es dur<strong>ch</strong>aus gelingen, die Freizeitmobilität<br />
vom Auto weg zu verlagern. Dies gilt<br />
vorab für Berei<strong>ch</strong>e, in denen der Anteil des Individualverkehrs<br />
besonders ho<strong>ch</strong> ist, wie zum<br />
Beispiel für den Sportverkehr. Kein Wunder,<br />
versu<strong>ch</strong>en viele Umsteigeprojekte, den Sportlerinnen<br />
und Sportlern den ÖV s<strong>ch</strong>mackhaft zu<br />
ma<strong>ch</strong>en.<br />
Fussballna<strong>ch</strong>wu<strong>ch</strong>s per ÖV zum Mat<strong>ch</strong>. Eltern von<br />
fussballspielenden Kindern werden am Wo<strong>ch</strong>enende<br />
vielfa<strong>ch</strong> zu Chauffeuren im Nebenamt.<br />
Sie fahren ihren Na<strong>ch</strong>wu<strong>ch</strong>s zum Mat<strong>ch</strong>.<br />
Weit sind die Wege beispielsweise bei den Turnieren,<br />
die man<strong>ch</strong>e Fussballclubs im Kanton<br />
Züri<strong>ch</strong> im Frühsommer und Spätherbst organisieren.<br />
Um die Eltern von ihrem Fahrdienst<br />
und die Umwelt von den Auswirkungen des<br />
Autoverkehrs zu entlasten, hat das Beratungsbüro<br />
Synergo mit Unterstützung des BAFU und<br />
weiteren Partnern das Projekt Soccermobile<br />
entwickelt. Synergo stellt für Veranstalter und<br />
Clubs Informationen zur Anreise mit dem öffentli<strong>ch</strong>en<br />
Verkehr zusammen. Zudem gibt es<br />
für die Clubs ein kostenloses, für das gesamte<br />
Gebiet des Zür<strong>ch</strong>er Verkehrsverbundes gültiges<br />
Gruppenbillett.<br />
Die Ergebnisse eines Tests an fünf Turnieren<br />
waren vielverspre<strong>ch</strong>end: Jedes dritte Team<br />
nutzte das ÖV-Angebot. Im Juni <strong>2012</strong> lief das<br />
Projekt aus. No<strong>ch</strong> ist ungewiss, ob und in wel<strong>ch</strong>er<br />
Form es weitergeführt werden soll. Kostenlose<br />
Gruppenbillette könne es aber auf die<br />
Dauer ni<strong>ch</strong>t geben, sagt Projektleiter Dominik<br />
Oetterli von Synergo. Ob die Vereine dem ÖV<br />
treu bleiben, wenn sie das Kollektivbillett selber<br />
berappen müssen, ist offen.<br />
Lücken im touristis<strong>ch</strong>en ÖV-Netz s<strong>ch</strong>liessen. Wer<br />
si<strong>ch</strong> in seiner Freizeit gerne in der Natur bewegt,<br />
fährt oft im Auto in die Berge oder Hügel.<br />
Dabei gäbe es dur<strong>ch</strong>aus Mögli<strong>ch</strong>keiten, ohne<br />
eigenes Fahrzeug in abgelegene Gebiete zu<br />
14<br />
reisen. Diese Alternative will der Verein mountain<br />
wilderness besser bekannt ma<strong>ch</strong>en. Unter<br />
www.alpentaxi.<strong>ch</strong> bietet er einen Überblick<br />
über lokale Taxiunternehmen im S<strong>ch</strong>weizer<br />
Alpenraum. Die Idee: Das Alpentaxi überbrückt<br />
die letzten Kilometer von der Bus- oder Bahnendstation<br />
bis zu Ausgangs- und Endpunkt einer<br />
Wanderung oder Skitour.<br />
Lücken im touristis<strong>ch</strong>en ÖV-Netz s<strong>ch</strong>liessen<br />
will au<strong>ch</strong> der Verein Busalpin. Dazu wurden<br />
2005 und 2006 in vier Pilotregionen – Gantris<strong>ch</strong><br />
(BE), Binntal (VS), Greina (GR/TI) und<br />
Moosalp (VS) – neue Angebote entwickelt,<br />
zum Beispiel ein Ruf bus, der die Ausflügler zur<br />
Langlaufloipe oder zum Ausgangspunkt einer<br />
Wanderung bringt. Mehr als 25 000 Fahrgäste<br />
haben diese Mögli<strong>ch</strong>keit in den beiden Versu<strong>ch</strong>sjahren<br />
genutzt. Inzwis<strong>ch</strong>en sind weitere<br />
Regionen beigetreten. Der Verein berät sie beim<br />
Auf bau von ÖV-Angeboten und vermarktet diese<br />
über seine Internetplattform www.busalpin.<strong>ch</strong>.<br />
Sowohl das Alpentaxi wie au<strong>ch</strong> Busalpin werden<br />
vom BAFU finanziell unterstützt.<br />
Gefördert wird au<strong>ch</strong> das Projekt «Mobiles<br />
Entlebu<strong>ch</strong>». Es bietet Besu<strong>ch</strong>erinnen und<br />
Besu<strong>ch</strong>ern des UNESCO-Biosphärengebiets<br />
Alternativen zum Privatauto: Verkehrsangebote<br />
wie zum Beispiel Kleinbusse für Wintersporttreibende<br />
oder Rail Bons für die Anreise<br />
zu Exkursionen. Die Angebote werden genutzt,<br />
wenn au<strong>ch</strong> in eher bes<strong>ch</strong>eidenem Umfang.<br />
Eine Erfolgskontrolle dur<strong>ch</strong> das Institut für<br />
Tourismuswirts<strong>ch</strong>aft an der Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ule Luzern<br />
hat ergeben, dass im Laufe eines Jahres rund<br />
1200 automobile Gäste aufgrund dieser Alternativen<br />
auf den ÖV und den Langsamverkehr<br />
umgestiegen sind.<br />
Warum in die Ferne s<strong>ch</strong>weifen? <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong><br />
Freizeitmobilität lässt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t nur dur<strong>ch</strong> bessere<br />
ÖV-Angebote s<strong>ch</strong>affen. Viel Verkehr liesse<br />
si<strong>ch</strong> zum Beispiel vermeiden, wenn wir ni<strong>ch</strong>t<br />
bis in die Alpen oder den Jura fahren müssten,<br />
um uns der Natur nahe zu fühlen. Anders gesagt:<br />
Gut ers<strong>ch</strong>lossene und attraktive Naherholungsgebiete<br />
ma<strong>ch</strong>en lange Fahrten ins Grüne<br />
überflüssig. Eine wi<strong>ch</strong>tige Rolle können hier<br />
wiederbelebte Flusslands<strong>ch</strong>aften spielen. Dies<br />
gilt etwa für die Birspark-Lands<strong>ch</strong>aft, ein Aufwertungsprojekt<br />
im Kanton Baselland, das von<br />
der Stiftung Lands<strong>ch</strong>aftss<strong>ch</strong>utz zur Lands<strong>ch</strong>aft<br />
des Jahres <strong>2012</strong> gewählt worden ist. Früher galten<br />
die Uferzonen als verna<strong>ch</strong>lässigte Hinterhöfe<br />
der Gemeinden an der Birs, heute werden<br />
sie von der Bevölkerung als Naturoasen und Erholungsgebiete<br />
ges<strong>ch</strong>ätzt.<br />
Au<strong>ch</strong> in der Hunzigenau an der Aare oberhalb<br />
von Bern herrs<strong>ch</strong>t an sonnigen Tagen<br />
umwelt 3/<strong>2012</strong> > Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong>
KONTAKT<br />
Doris O<strong>ch</strong>sner Tanner<br />
Sektion Verkehr<br />
BAFU<br />
031 322 96 87<br />
doris.o<strong>ch</strong>sner@bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />
Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong> > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />
reger Betrieb. Man badet, brät Würste und geniesst<br />
die Sonne. Das war ni<strong>ch</strong>t immer so: Zu<br />
einer viel besu<strong>ch</strong>ten Wasserwelt entwickelte<br />
si<strong>ch</strong> die Hunzigenau erst 2006. Als Ho<strong>ch</strong>wassers<strong>ch</strong>utzmassnahme<br />
wurde damals das Flussbett<br />
verbreitert. Ein neuer Seitenarm liess zwei<br />
Inseln entstehen, wovon die eine mit einem<br />
Steg ers<strong>ch</strong>lossen ist. Die wilde Flusslands<strong>ch</strong>aft<br />
im Kleinformat liegt in Fusswegdistanz zu den<br />
Agglomerationsgemeinden Rubigen und Münsingen.<br />
Ähnli<strong>ch</strong>e Renaturierungsmassnahmen werden<br />
au<strong>ch</strong> an anderen Abs<strong>ch</strong>nitten der Aare zwis<strong>ch</strong>en<br />
Thun und Bern umgesetzt oder sind geplant.<br />
Übrigens: 68 Prozent der Leute, die si<strong>ch</strong><br />
heute in dieser Lands<strong>ch</strong>aft erholen, wohnen in<br />
den anliegenden Gemeinden. Dies ergab unlängst<br />
eine Besu<strong>ch</strong>ererhebung. 65 Prozent kommen<br />
per ÖV, Velo oder zu Fuss. Ob die Aufwertungen<br />
insgesamt zu weniger Autofahrten<br />
Rund 14 000 Läuferinnen bestreiten Jahr für Jahr den Berner Frauenlauf. Im Startgeld<br />
inbegriffen ist das Bahnbillett ab dem Wohnort na<strong>ch</strong> Bern. Das Ticket ist vier Tage<br />
gültig. Öffentli<strong>ch</strong>e Parkplätze werden keine angeboten, dafür zahlrei<strong>ch</strong>e Extrazüge.<br />
führen werden, ist hingegen fragli<strong>ch</strong>. Weil das<br />
Gebiet immer mehr Leute anziehe, sei «mit<br />
einer Zunahme des motorisierten Individualverkehrs<br />
zu re<strong>ch</strong>nen», heisst es im Beri<strong>ch</strong>t zum Erholungs-<br />
und Besu<strong>ch</strong>erinformationskonzept für<br />
die gesamte Aarestrecke zwis<strong>ch</strong>en Thun und<br />
Bern.<br />
Ob Farniente am Wasser, Outdoor-Aktivitäten<br />
in den Bergen, Grossveranstaltungen oder<br />
Kinderfussball: Der Weg zu einer umweltgere<strong>ch</strong>ten<br />
<strong>Mobilität</strong> in der Freizeit ist lang. Und es<br />
brau<strong>ch</strong>t no<strong>ch</strong> viele sprühende Ideen und wegweisende<br />
Projekte, bis wir das Gefühl von Freiheit<br />
und Ungebundenheit ni<strong>ch</strong>t mehr mit dem<br />
Losfahren im Auto glei<strong>ch</strong>setzen.<br />
Weiterführende Links unter<br />
www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/magazin<strong>2012</strong>-3-03<br />
Hansjakob Baumgartner<br />
15
VERKEHRSPOLITIK<br />
«Wir wollen keine<br />
grenzenlose <strong>Mobilität</strong>»<br />
Der vorbildli<strong>ch</strong> ausgebaute öffentli<strong>ch</strong>e Verkehr gehört für Peter Füglistaler zu den wi<strong>ch</strong>tigsten wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Standort-<br />
vorteilen der S<strong>ch</strong>weiz. Im Interview mit umwelt erklärt der Direktor des Bundesamtes für Verkehr (BAV), wie das an-<br />
haltende Wa<strong>ch</strong>stum der <strong>Mobilität</strong> bewältigt werden soll – und weshalb der Staat in diesem Berei<strong>ch</strong> Grenzen setzen muss.<br />
16<br />
umwelt: Herr Füglistaler, ist es erstrebenswert, künftig<br />
mit dem Zug in einer halben Stunde von Bern na<strong>ch</strong><br />
Züri<strong>ch</strong> fahren zu können?<br />
Peter Füglistaler: Jede Bes<strong>ch</strong>leunigung s<strong>ch</strong>afft<br />
mehr <strong>Mobilität</strong>. Unser Ziel ist aber ni<strong>ch</strong>t, die <strong>Mobilität</strong><br />
zu erhöhen, sondern sie zu bewältigen,<br />
– und zwar mögli<strong>ch</strong>st ökologis<strong>ch</strong> verträgli<strong>ch</strong>.<br />
Darum ri<strong>ch</strong>ten wir den Ausbau auf die Kapazität<br />
mit besseren und bequemeren Angeboten aus<br />
und ni<strong>ch</strong>t auf die Bes<strong>ch</strong>leunigung. Das ist eine<br />
klare Absage an eine S<strong>ch</strong>nellbahn Züri<strong>ch</strong>–Bern.<br />
Das sieht die SBB-Chefetage etwas anders. Dort heisst<br />
es: «Wir erfüllen die Bedürfnisse unserer Kunden und<br />
ma<strong>ch</strong>en, was der Markt will.»<br />
Der von uns geplante Kapazitätsausbau ri<strong>ch</strong>tet<br />
si<strong>ch</strong> voll na<strong>ch</strong> dem Markt. Aber wir wollen ni<strong>ch</strong>t<br />
mit Fahrzeitverkürzungen neue Märkte s<strong>ch</strong>affen.<br />
Eine zusätzli<strong>ch</strong>e Bes<strong>ch</strong>leunigung würde zu<br />
einem zusätzli<strong>ch</strong>en Landvers<strong>ch</strong>leiss führen und<br />
damit dem Raumkonzept S<strong>ch</strong>weiz und der Verkehrs-<br />
sowie der Raumplanungspolitik des Bundes<br />
widerspre<strong>ch</strong>en.<br />
Wel<strong>ch</strong>en Nutzen verdanken wir der gestiegenen<br />
<strong>Mobilität</strong>?<br />
Wir profitieren in jeder Phase unseres Lebens<br />
umwelt 3/<strong>2012</strong> > Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong>
davon: während der S<strong>ch</strong>ul- und Ausbildungszeit,<br />
später bei der Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> einer interessanten<br />
Arbeit und immer wieder au<strong>ch</strong> zur Erholung<br />
in der Freizeit. Vor allem aber erweitert die gestiegene<br />
<strong>Mobilität</strong> unseren Erlebnisraum, und<br />
sie bedeutet ein Stück persönli<strong>ch</strong>e Freiheit, die<br />
vielen Mens<strong>ch</strong>en neben der gedankli<strong>ch</strong>en Freiheit<br />
sehr wi<strong>ch</strong>tig ist.<br />
Wie viel <strong>Mobilität</strong> brau<strong>ch</strong>t es, damit si<strong>ch</strong> die S<strong>ch</strong>weiz<br />
wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> erfolgrei<strong>ch</strong> weiterentwickeln kann?<br />
Man geht allgemein davon aus, dass ein Zusammenhang<br />
zwis<strong>ch</strong>en Wohlstand und Verkehrswa<strong>ch</strong>stum<br />
besteht. Ein ökonomis<strong>ch</strong>er<br />
Aufs<strong>ch</strong>wung führt zu einer Verkehrszunahme.<br />
Unsere Abs<strong>ch</strong>ätzungen zeigen, dass für die wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e<br />
Entwicklung der S<strong>ch</strong>weiz bis 2030<br />
ein beträ<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>es Verkehrswa<strong>ch</strong>stum nötig sein<br />
wird. Beim Personenverkehr re<strong>ch</strong>nen wir mit<br />
Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong> > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />
«Vor allem erweitert die gestiegene <strong>Mobilität</strong> unseren<br />
Erlebnisraum, und sie bedeutet ein Stück persönli<strong>ch</strong>e<br />
Freiheit, die vielen Mens<strong>ch</strong>en neben der gedankli<strong>ch</strong>en<br />
Freiheit sehr wi<strong>ch</strong>tig ist.» Peter Füglistaler, Direktor BAV<br />
einem Plus in der Grössenordnung von 60 Prozent<br />
und beim Gütertransport mit 70 Prozent.<br />
Als stark exportorientiertes Land müssen wir<br />
unsere Märkte effizient ers<strong>ch</strong>liessen, den Pendlerverkehr<br />
zu den Wirts<strong>ch</strong>aftszentren ermögli<strong>ch</strong>en<br />
und als Tourismusland au<strong>ch</strong> den Freizeitverkehr<br />
attraktiv organisieren.<br />
Kann die S<strong>ch</strong>weiz eine derartige Verkehrszunahme<br />
verkraften?<br />
Tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> spüren wir die Na<strong>ch</strong>teile des Verkehrswa<strong>ch</strong>stums<br />
immer deutli<strong>ch</strong>er. I<strong>ch</strong> denke<br />
an die Zersiedlung des Landes oder an die Belastungen<br />
dur<strong>ch</strong> Lärm und Lufts<strong>ch</strong>adstoffe. Zudem<br />
nehmen die Verkehrsanlagen immer grössere<br />
Flä<strong>ch</strong>en in Anspru<strong>ch</strong>. Wir müssen den Verkehr<br />
deshalb mögli<strong>ch</strong>st ökologis<strong>ch</strong> bewältigen. Er<br />
muss gebündelt und in sensiblen Räumen –<br />
wie etwa in di<strong>ch</strong>t bevölkerten Gebieten oder im<br />
Bilder: Hansueli Tra<strong>ch</strong>sel<br />
17
18<br />
Alpenraum – in seinem Wa<strong>ch</strong>stum bes<strong>ch</strong>ränkt<br />
oder auf umweltgere<strong>ch</strong>te Verkehrsträger verlagert<br />
werden.<br />
Gibt es Grenzen der persönli<strong>ch</strong>en <strong>Mobilität</strong>?<br />
Selbstverständli<strong>ch</strong>, überall wo die persönli<strong>ch</strong>e<br />
Freiheit die Gemeins<strong>ch</strong>aft zu stark belastet,<br />
brau<strong>ch</strong>t es Eins<strong>ch</strong>ränkungen. Das gilt längst<br />
au<strong>ch</strong> beim Verkehr. Wir sperren Dur<strong>ch</strong>gangsstrassen<br />
und stellen so in Wohnquartieren<br />
den S<strong>ch</strong>utz der Anwohner über das Re<strong>ch</strong>t auf<br />
freie <strong>Mobilität</strong>. Oder wir befreien die Stadtzentren<br />
vom Verkehr. Au<strong>ch</strong> mit dem Na<strong>ch</strong>t- und<br />
Sonntagsfahrverbot für Lastwagen kennt die<br />
S<strong>ch</strong>weiz eine gesetzli<strong>ch</strong>e Eins<strong>ch</strong>ränkung, wel<strong>ch</strong>e<br />
die öffentli<strong>ch</strong>en Interessen über die uneinges<strong>ch</strong>ränkte<br />
<strong>Mobilität</strong> stellt. Wir wollen keine<br />
grenzenlose <strong>Mobilität</strong>, der Verkehr muss für<br />
Mens<strong>ch</strong> und Umwelt verträgli<strong>ch</strong> sein.<br />
Der Staat s<strong>ch</strong>ränkt die <strong>Mobilität</strong> also ein?<br />
Ja, und unsere neue Vorlage zur Finanzierung<br />
und zum Ausbau der Bahninfrastruktur sieht<br />
au<strong>ch</strong> vor, dass die Nutzer mehr an die Infrastruktur<br />
bezahlen müssen, weshalb die Preise<br />
auf Ende <strong>2012</strong> um gut 5 Prozent erhöht werden.<br />
Der Benutzer soll spüren, dass die <strong>Mobilität</strong><br />
etwas kostet. Teil der Vorlage ist au<strong>ch</strong> die<br />
Bes<strong>ch</strong>ränkung des Pendlerabzugs bei der direkten<br />
Bundessteuer auf 3000 Franken im Jahr. Es<br />
gibt Autopendler, die bis anhin 70 000 Franken<br />
abgezogen haben. Die Bots<strong>ch</strong>aft ans Parlament<br />
ist klar: Es brau<strong>ch</strong>t die <strong>Mobilität</strong> – vor allem<br />
im Berufsleben, aber sie soll nur no<strong>ch</strong> im Ag-<br />
«Wenn wir Geld sparen wollen, holen wir im<br />
di<strong>ch</strong>t belasteten Netz mehr heraus, als wenn wir<br />
in den Randgebieten Kahls<strong>ch</strong>lag betreiben.»<br />
glomerationsgebiet steuerli<strong>ch</strong> begünstigt werden.<br />
Wer über grössere Distanzen pendelt, soll<br />
vom Staat ni<strong>ch</strong>t mehr dafür belohnt werden.<br />
Zu Spitzenzeiten sind viele Züge bereits heute bre<strong>ch</strong>end<br />
voll. Ist eine weitere Verlagerung des Verkehrs<br />
von der Strasse auf die S<strong>ch</strong>iene überhaupt no<strong>ch</strong><br />
mögli<strong>ch</strong>?<br />
Sie muss mögli<strong>ch</strong> sein. In den letzten 10 Jahren<br />
ist der Anteil des ÖV am gesamten Verkehrsaufkommen<br />
gestiegen, und dieser Trend wird<br />
si<strong>ch</strong> weiter fortsetzen müssen. Wenn wir den<br />
Verkehr mögli<strong>ch</strong>st ökologis<strong>ch</strong> bewältigen wollen,<br />
sind die ents<strong>ch</strong>eidenden Kriterien hohe<br />
Effizienz und geringe Umweltbelastung. Hier<br />
s<strong>ch</strong>neiden Massenverkehrsmittel wie die Bahn<br />
deutli<strong>ch</strong> besser ab als der motorisierte Individualverkehr.<br />
Die Stossri<strong>ch</strong>tung ist deshalb klar:<br />
Das künftige Verkehrswa<strong>ch</strong>stum soll weitgehend<br />
vom ÖV bewältigt werden.<br />
Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Wie sind wir im<br />
Jahr 2050 ges<strong>ch</strong>äftli<strong>ch</strong> und privat unterwegs?<br />
Es fällt mir s<strong>ch</strong>wer zu sagen, ob wir uns in Zukunft<br />
mit Magnetbahnen bewegen oder mit<br />
dem Lei<strong>ch</strong>tflugzeug umhers<strong>ch</strong>wirren. I<strong>ch</strong> bin<br />
kein Te<strong>ch</strong>nikfreak. Sehr wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> aber<br />
werden wir weiterhin mit Zug und Auto unterwegs<br />
sein. Do<strong>ch</strong> das Ents<strong>ch</strong>eidende sind für<br />
mi<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t die Verkehrsmittel. Meine Vision<br />
ist, dass es 2050 eine persönli<strong>ch</strong>e <strong>Mobilität</strong>skarte<br />
gibt. Sie wird die Fahrkosten aufgrund<br />
der Distanz und der Tageszeit belasten, den<br />
Verkehr in empfindli<strong>ch</strong>en Räumen wie in Städten<br />
oder Erholungszonen extra verre<strong>ch</strong>nen,<br />
Rabatte für ökologis<strong>ch</strong>e Transportarten gewähren<br />
und einen Zus<strong>ch</strong>lag für Leute erheben, die<br />
immer no<strong>ch</strong> mit der Benzinkuts<strong>ch</strong>e unterwegs<br />
sind.<br />
Hat ein immer besser ausgebautes öffentli<strong>ch</strong>es<br />
Verkehrsnetz ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> Kehrseiten? Es hält die<br />
Mens<strong>ch</strong>en davon ab, si<strong>ch</strong> zu Fuss oder mit dem Velo<br />
fortzubewegen.<br />
Öffentli<strong>ch</strong>er Verkehr und Langsamverkehr<br />
müssen si<strong>ch</strong> ergänzen. Der Langsamverkehr<br />
hat si<strong>ch</strong>er no<strong>ch</strong> Potenzial. Bei den Elektrobikes<br />
erleben wir im Moment ja fast eine Art Revolution.<br />
Sie s<strong>ch</strong>liessen eine Lücke, da es vielen<br />
Leuten zu aufwendig ist, Distanzen ab einer<br />
gewissen Länge mit dem Velo zurückzulegen.<br />
Aber man darf ni<strong>ch</strong>t vergessen, dass die Bevölkerung<br />
älter wird und trotzdem mobil sein<br />
will. Dur<strong>ch</strong> die Angebote im öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr<br />
stellen wir si<strong>ch</strong>er, dass si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> diese<br />
Leute bequem und weitgehend CO 2-frei bewegen<br />
können.<br />
Der Langsamverkehr wird vom Staat bena<strong>ch</strong>teiligt.<br />
Ausgere<strong>ch</strong>net Fussgänger und Velofahrende, wel<strong>ch</strong>e<br />
die Umwelt und das Verkehrssystem am wenigsten<br />
belasten, erhalten keine Steuervorteile.<br />
Eine gewisse Ungere<strong>ch</strong>tigkeit wird ja nun<br />
dur<strong>ch</strong> die erwähnte Bes<strong>ch</strong>ränkung des Pendlerabzugs<br />
beseitigt. Um weiter zu gehen, bräu<strong>ch</strong>te<br />
es ein eigentli<strong>ch</strong>es «Mobility Pricing», also eine<br />
viel stärker differenzierte Tarifierung als heute.<br />
Für den öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr würde dies allerdings<br />
au<strong>ch</strong> bedeuten, das Generalabonnement<br />
zu hinterfragen. Dieses Angebot für unlimitierte<br />
Fahrten zu einem Fixpreis von knapp 3400 Franken<br />
ist natürli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t im Sinn einer benutzergere<strong>ch</strong>ten<br />
Tarifierung. Dies alles wird no<strong>ch</strong> viel<br />
umwelt 3/<strong>2012</strong> > Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong>
zu reden geben. Deshalb müssen si<strong>ch</strong> Velofahrende<br />
und Fussgänger wohl no<strong>ch</strong> einige Jahre mit<br />
einem guten Gewissen selber belohnen.<br />
Wie lange können wir uns den gut ausgebauten ÖV<br />
no<strong>ch</strong> leisten?<br />
Gegenfrage: Kann es si<strong>ch</strong> die S<strong>ch</strong>weiz leisten,<br />
auf einen ihrer wi<strong>ch</strong>tigsten Standortvorteile zu<br />
verzi<strong>ch</strong>ten?<br />
Denkt man an die Postautos, die oft kaum besetzt bis<br />
ins hinterste Bergtal fahren, kann s<strong>ch</strong>on das Gefühl<br />
aufkommen, die S<strong>ch</strong>weiz leiste si<strong>ch</strong> mit dem flä<strong>ch</strong>endeckenden<br />
ÖV-Angebot einen Luxus.<br />
Dies ist ein grosser Irrtum. Wer s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t ausgelastete<br />
Busse sieht, denkt, dieses Angebot brau<strong>ch</strong>e<br />
es do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t. Do<strong>ch</strong> im Verglei<strong>ch</strong> mit der<br />
S-Bahn, die au<strong>ch</strong> im Raum Züri<strong>ch</strong> ihre Kosten<br />
ni<strong>ch</strong>t deckt, geht es dabei um relativ kleine Beträge.<br />
Wenn wir Geld sparen wollen, holen wir<br />
im di<strong>ch</strong>t belasteten Netz mehr heraus, als wenn<br />
wir in den Randgebieten Kahls<strong>ch</strong>lag betreiben.<br />
Beim letzten Sparprogramm des Bundes zeigte<br />
si<strong>ch</strong>, wel<strong>ch</strong> grosser Teil des Angebots in den<br />
Randgebieten gestri<strong>ch</strong>en werden müsste, um<br />
nur s<strong>ch</strong>on eine kleine Einsparung zu erzielen.<br />
Wir haben s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> einen Versorgungsauftrag.<br />
Es gehört zur S<strong>ch</strong>weiz, dass si<strong>ch</strong> mit<br />
dem öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr au<strong>ch</strong> die meisten<br />
Bergdörfer errei<strong>ch</strong>en lassen. Das müssen wir<br />
uns leisten, denn es trägt au<strong>ch</strong> zum gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />
Zusammenhalt bei!<br />
Sie haben s<strong>ch</strong>on angetönt, dass die ÖV-Benutzenden<br />
künftig mehr für die <strong>Mobilität</strong> bezahlen sollen.<br />
Ja, davon bin i<strong>ch</strong> überzeugt. Man darf si<strong>ch</strong> keinen<br />
Illusionen hingeben – wir kommen immer<br />
für die Kosten der <strong>Mobilität</strong> auf, wenn ni<strong>ch</strong>t<br />
über die Tarife, dann eben über die Steuern.<br />
Deshalb soll etwas mehr bezahlen, wer den unmittelbaren<br />
Nutzen hat. Heute tragen die ÖV-<br />
Nutzer nur etwa die Hälfte der Kosten, während<br />
die Steuerzahler den Rest übernehmen. Dieses<br />
Verhältnis wird si<strong>ch</strong> in den nä<strong>ch</strong>sten Jahren graduell<br />
vers<strong>ch</strong>ieben. Do<strong>ch</strong> eigentli<strong>ch</strong> müssten die<br />
Nutzer einen deutli<strong>ch</strong> grösseren Kostenanteil<br />
tragen.<br />
Wie soll die Kostenverteilung denn künftig aussehen?<br />
Es geht um eine s<strong>ch</strong>rittweise Verteuerung. Mit<br />
einem Preisanstieg von über 5Prozent Ende<br />
<strong>2012</strong> bewegen wir uns si<strong>ch</strong>er am oberen Ende<br />
des Mögli<strong>ch</strong>en. Es brau<strong>ch</strong>t höhere Preise, damit<br />
wir die Infrastrukturkosten decken können. Das<br />
BAV geht davon aus, dass es wegen dieser Verteuerung<br />
ni<strong>ch</strong>t zu einer Rückverlagerung des<br />
Verkehrs auf die Strasse kommt. Mögli<strong>ch</strong> ist eine<br />
gewisse Abs<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>ung des Wa<strong>ch</strong>stums – und<br />
Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong> > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />
das ist gar ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t. Der ÖV hat in den<br />
vergangenen Jahren Wa<strong>ch</strong>stumsraten von bis zu<br />
8 Prozent erlebt, was au<strong>ch</strong> zu Problemen geführt<br />
hat.<br />
Warum wird ausgere<strong>ch</strong>net der öffentli<strong>ch</strong>e Verkehr so<br />
stark gefördert? Aus Umweltsi<strong>ch</strong>t liessen si<strong>ch</strong> diese<br />
öffentli<strong>ch</strong>en Mittel effizienter ausgeben, oder man<br />
könnte damit au<strong>ch</strong> andere Berei<strong>ch</strong>e wie die Gesundheit<br />
stärker subventionieren.<br />
Zu diesen Fragen findet eine permanente Diskussion<br />
in Bundesrat und Parlament statt, wenn<br />
es um Budgetents<strong>ch</strong>eide geht und Vorlagen dis-<br />
«Bei allen Umfragen zur Wettbewerbsfähigkeit<br />
der S<strong>ch</strong>weiz steht die Qualität des ÖV an<br />
prominenter Stelle.»<br />
kutiert werden. Da steht der ÖV im dauernden<br />
Verteilkampf mit anderen Ausgabenberei<strong>ch</strong>en.<br />
Die S<strong>ch</strong>weiz kennt bei der Zuteilung der staatli<strong>ch</strong>en<br />
Mittel einen relativ einfa<strong>ch</strong>en Me<strong>ch</strong>anismus:<br />
Es gilt, Abstimmungen zu gewinnen – sei<br />
es im Parlament oder an der Urne.<br />
Ihr Vorgänger Max Friedli hat einmal von einer «beinahe<br />
irrationalen Begeisterung» der S<strong>ch</strong>weiz für den<br />
öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr gespro<strong>ch</strong>en. Sehen Sie das<br />
au<strong>ch</strong> so?<br />
Meiner Meinung na<strong>ch</strong> sind es sehr rationale<br />
Überlegungen, die uns dazu veranlassen, den<br />
öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr zu fördern. Bei allen Umfragen<br />
zur Wettbewerbsfähigkeit der S<strong>ch</strong>weiz<br />
steht die Qualität des ÖV an prominenter Stelle.<br />
Es zieht ausländis<strong>ch</strong>e Firmen ni<strong>ch</strong>t zuletzt in die<br />
S<strong>ch</strong>weiz, weil es uns gelingt, die Verkehrsprobleme<br />
vorbildli<strong>ch</strong> zu lösen.<br />
Interview: Kaspar Meuli<br />
Weiterführende Links unter<br />
www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/magazin<strong>2012</strong>-3-04<br />
Peter Füglistaler. Der 1959 geborene Peter Füglistaler<br />
ist seit 2010 Direktor des Bundesamtes für Verkehr<br />
(BAV) und gestaltet in dieser Funktion die s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e<br />
Verkehrspolitik ents<strong>ch</strong>eidend mit. Na<strong>ch</strong> einer<br />
Banklehre holte er in einem Fernstudium die Matura<br />
na<strong>ch</strong>, studierte an der Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ule St. Gallen Volkswirts<strong>ch</strong>aft<br />
und doktorierte über Massnahmen gegen die<br />
Armut. Dana<strong>ch</strong> arbeitete er bei der Eidgenössis<strong>ch</strong>en<br />
Finanzverwaltung und war während 14 Jahren in vers<strong>ch</strong>iedenen<br />
leitenden Funktionen bei der SBB tätig.<br />
Peter Füglistaler ist verheiratet und hat zwei Tö<strong>ch</strong>ter. Er<br />
lebt in Binningen (BL).<br />
19
PRAXISBEISPIELE<br />
Umweltgere<strong>ch</strong>t hier und heute<br />
Beispiele aus der S<strong>ch</strong>weiz und aus dem Ausland zeigen: <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong> ist keine Zukunftsmu-<br />
sik, sondern s<strong>ch</strong>on heute mögli<strong>ch</strong>. umwelt stellt 13 erprobte, originelle oder besonders innovative Ansätze<br />
vor – von den S<strong>ch</strong>weizer Erfolgsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten «Mobility» und «Umweltabo» bis zum <strong>Mobilität</strong>smanagement<br />
in Firmen und bei der Stadtentwicklung.<br />
Rote Flotte auf dem Vormars<strong>ch</strong><br />
Die S<strong>ch</strong>weiz ist die Wiege des Carsharings. Die Erfindung der kombinierten<br />
<strong>Mobilität</strong> von Auto und öffentli<strong>ch</strong>em Verkehr ist eine Erfolgsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te.<br />
Warum ein eigenes Auto besitzen, wenn es oft<br />
ungebrau<strong>ch</strong>t herumsteht? Weshalb einen PW<br />
ni<strong>ch</strong>t mit anderen teilen und erst dann nutzen,<br />
wenn man ihn wirkli<strong>ch</strong> brau<strong>ch</strong>t? Diese Frage<br />
gab in den 1980er-Jahren den Anstoss zum Modell<br />
des «Autoteilens». Sie führte 1997 zur Gründung<br />
von Mobility Carsharing und leitete einen<br />
gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Wandel ein: Immer mehr<br />
Mens<strong>ch</strong>en verzi<strong>ch</strong>ten auf das eigene Auto als<br />
Statussymbol – eine Mobility-Mitgliedkarte ist<br />
ni<strong>ch</strong>t nur für junge Mens<strong>ch</strong>en attraktiver. Sie erlaubt<br />
den Zugang zu 2600 Fahrzeugen an 1300<br />
Standorten in der ganzen S<strong>ch</strong>weiz – vom Kleinwagen<br />
bis zum Cabriolet und Transporter. Jeden<br />
Monat eröffnet Mobility bis zu 10 neue Standorte.<br />
Dadur<strong>ch</strong> können ständig mehr Benutzer<br />
ein Auto in wenigen Minuten zu Fuss oder mit<br />
dem Velo errei<strong>ch</strong>en.<br />
Die roten Fahrzeuge der Mobility-Flotte gehören<br />
in der S<strong>ch</strong>weiz mittlerweile zum vertrauten<br />
Strassenbild. Der Dur<strong>ch</strong>bru<strong>ch</strong> zum ho<strong>ch</strong>professionellen,<br />
kundenorientierten Unternehmen<br />
erfolgte 2002 dank der Kooperation mit der SBB<br />
und dem Konzept der kombinierten <strong>Mobilität</strong>.<br />
Es steht für ein nahtloses Umsteigen vom Zug<br />
auf das Auto am Bahnhof. Heute zählt Mobility<br />
über 100 000 Mitglieder – das theoretis<strong>ch</strong>e<br />
Potenzial wird gar auf eine halbe Million Kunden<br />
ges<strong>ch</strong>ätzt.<br />
Mobility-Kunden bu<strong>ch</strong>en pro Jahr zwis<strong>ch</strong>en<br />
10 und 15 Fahrten, auf denen sie dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong><br />
je 40 Kilometer zurücklegen. Ist das wirkli<strong>ch</strong><br />
weniger als mit dem eigenen Auto? «Das<br />
20<br />
Modell ist ökologis<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong>haltig», erklärt Hermann<br />
S<strong>ch</strong>errer vom Bundesamt für Energie.<br />
«Ein Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittskunde senkt seinen CO 2-<br />
Ausstoss um etwa 200 Kilogramm pro Jahr. Total<br />
sind das 20 000 Tonnen CO 2.» Jeder fünfte<br />
Mobility-Nutzer hatte zuvor ein eigenes Auto.<br />
Dank Carsharing sind auf den S<strong>ch</strong>weizer Strassen<br />
also 20 000 Autos weniger unterwegs – tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />
eine Erfolgsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te. Stefan Hartmann<br />
o<br />
umwelt 3/<strong>2012</strong> > Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong>
Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong> > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />
Umfassender <strong>Mobilität</strong>splan<br />
Die neue Genfer Industriezone Plan-les-Ouates boomt. Do<strong>ch</strong> der Verkehr auf den Zufahrten<br />
staut si<strong>ch</strong>, und Parkplätze werden immer knapper. Abhilfe s<strong>ch</strong>afft ein unternehmensüber-<br />
greifender <strong>Mobilität</strong>splan, an dem si<strong>ch</strong> zahlrei<strong>ch</strong>e Partner beteiligen.<br />
Die Industriezone Plan-les-Ouates (ZIPLO) bei<br />
Genf beherbergt 330 Unternehmen mit insgesamt<br />
knapp 8000 Mitarbeitenden. Die meisten<br />
von ihnen kommen motorisiert zur Arbeit. Bis<br />
2015 sollen hier rund 2000 zusätzli<strong>ch</strong>e Arbeitsplätze<br />
entstehen.<br />
Um das Verkehrsaufkommen einzudämmen<br />
und denno<strong>ch</strong> eine gute Ers<strong>ch</strong>liessung der Zone<br />
zu gewährleisten, galt es, einen breiten Konsens<br />
unter allen Akteuren zu finden. Deshalb haben<br />
die Gemeinde Plan-les-Ouates, die Vereinigung<br />
der ansässigen Firmen sowie die Fondation<br />
pour les terrains industriels und die kantonale<br />
Verkehrsdirektion einen umfassenden <strong>Mobilität</strong>splan<br />
bes<strong>ch</strong>lossen. «No<strong>ch</strong> nie sind in einem<br />
derart grossen Rahmen Ressourcen zusammengelegt<br />
und Hilfsmittel bereitgestellt worden»,<br />
bestätigt Sandra Brazzini, Projektverantwortli<strong>ch</strong>e<br />
bei der ZIPLO. «Je höher die Zahl der beteiligten<br />
Unternehmen und je vielfältiger die<br />
Partner, desto günstiger und bedarfsgere<strong>ch</strong>ter<br />
die angebotenen Dienstleistungen.»<br />
Herzstück des Plans ist die seit Mitte 2010 betriebene<br />
<strong>Mobilität</strong>szentrale. Sie bietet weit mehr<br />
als eine herkömmli<strong>ch</strong>e Auskunftsstelle: Betreute<br />
my<br />
Alle Illustrationen: Anna Lu<strong>ch</strong>s<br />
Dienstleistungen, persönli<strong>ch</strong>e Beratung, eine<br />
peppige Website und Merkblätter sollen die Bes<strong>ch</strong>äftigten<br />
von sanfteren <strong>Mobilität</strong>slösungen<br />
überzeugen. Als Alternative zum allein benutzten<br />
Privatauto fördert die Zentrale namentli<strong>ch</strong><br />
das Carpooling: Anbieter von Mitfahrgelegenheiten<br />
und Interessenten werden unkompliziert<br />
telefonis<strong>ch</strong> vermittelt. Der persönli<strong>ch</strong>e Kontakt<br />
erlaubt es, gezielt auf spezifis<strong>ch</strong>e Anfragen<br />
einzugehen. Weitere aktive Massnahmen sind<br />
«Grand Compte Unireso» – ein Vorzugstarif für<br />
ÖV-Jahresabonnemente – sowie in Zukunft eine<br />
Veloflotte und direkte Shuttleverbindungen.<br />
Um die Unternehmen moralis<strong>ch</strong> in die<br />
Pfli<strong>ch</strong>t zu nehmen, hat die ZIPLO eine Charta<br />
erarbeitet. 19 Betriebe, die zusammen knapp<br />
80 Prozent der Bes<strong>ch</strong>äftigten in der Zone stellen,<br />
haben si<strong>ch</strong> bereits dazu verpfli<strong>ch</strong>tet und zur<br />
Erlei<strong>ch</strong>terung der Kommunikation interne <strong>Mobilität</strong>sverantwortli<strong>ch</strong>e<br />
ernannt. «In einer ersten<br />
Phase wollen wir errei<strong>ch</strong>en, dass die grössten<br />
Unternehmen mitma<strong>ch</strong>en und eine Vorreiterrolle<br />
spielen», erklärt Sandra Brazzini. Langfristig<br />
sollen alle Unternehmen eingebunden werden.<br />
Cornélia Mühlberger de Preux<br />
21
Das Homeoffice verringert den Pendlerstrom<br />
Ein Viertel der in der S<strong>ch</strong>weiz gefahrenen Kilometer wird auf dem Weg zur Arbeit zurückgelegt. Es<br />
geht aber au<strong>ch</strong> anders. Regelmässige Heimarbeit reduziert den <strong>Mobilität</strong>sbedarf im Berufsalltag.<br />
Laptop und Internetans<strong>ch</strong>luss ma<strong>ch</strong>en<br />
das Arbeiten für immer mehr Mens<strong>ch</strong>en<br />
praktis<strong>ch</strong> überall mögli<strong>ch</strong> – unter<br />
anderem daheim. Das Potenzial<br />
für diese moderne Form von Heimarbeit<br />
ist gross. «In der S<strong>ch</strong>weiz könnten<br />
rund 450 000 Arbeitnehmende<br />
einen Tag pro Wo<strong>ch</strong>e von zu Hause<br />
aus arbeiten», weiss Norbert Egli von<br />
der Sektion Konsum und Produkte<br />
des BAFU. «So liessen si<strong>ch</strong> pro Jahr<br />
67 000 Tonnen CO 2 einsparen.» Zum<br />
Verglei<strong>ch</strong>: In einem Unternehmen mit<br />
150 Angestellten entspri<strong>ch</strong>t das Sparpotenzial<br />
eines wö<strong>ch</strong>entli<strong>ch</strong>en Homeoffice<br />
Day der CO 2-Belastung von fünfeinhalb<br />
Flugreisen rund um die Welt. «Homeoffice<br />
ist ni<strong>ch</strong>t nur ökologis<strong>ch</strong> sinnvoll,<br />
sondern au<strong>ch</strong> volkswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> interessant»,<br />
betont Norbert Egli. «Dur<strong>ch</strong> das<br />
Arbeiten von zu Hause aus lässt si<strong>ch</strong><br />
die <strong>Mobilität</strong>sna<strong>ch</strong>frage in Stosszeiten<br />
dämpfen.» Allein bei der SBB, so zeigen<br />
deren Bere<strong>ch</strong>nungen, liessen si<strong>ch</strong> jedes<br />
Jahr Dutzende von Millionen Franken<br />
für Kapazitätserweiterungen einsparen,<br />
wenn jeder fünfte Pendler einen Tag<br />
pro Wo<strong>ch</strong>e daheim arbeiten würde.<br />
Zahlrei<strong>ch</strong>e Arbeitgeber setzen si<strong>ch</strong><br />
denn au<strong>ch</strong> aktiv für die Heimarbeit ihrer<br />
Angestellten ein – so zum Beispiel<br />
der WWF mit seinen rund 120 Bes<strong>ch</strong>äftigten.<br />
«Es gibt kaum einen anderen<br />
Berei<strong>ch</strong>, in dem mit verglei<strong>ch</strong>sweise geringem<br />
Aufwand so grosse Einsparungen<br />
bei den CO 2-Emissionen mögli<strong>ch</strong><br />
sind», sagt Thomas Vellacott, CEO des<br />
WWF S<strong>ch</strong>weiz. «Deshalb verfügen bei<br />
uns praktis<strong>ch</strong> alle Mitarbeitenden über<br />
die te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en Hilfsmittel, um von zu<br />
Hause aus auf alle Server zuzugreifen.»<br />
22<br />
Das Angebot der Telearbeit stosse auf<br />
«sehr positive Resonanz».<br />
Am meisten Erfahrung mit der Arbeit<br />
im Homeoffice hat Microsoft. Beim<br />
Umbau des S<strong>ch</strong>weizer Hauptsitzes in<br />
Züri<strong>ch</strong>-Wollishofen wagte das Unternehmen<br />
2011 einen Versu<strong>ch</strong>: Baubedingt<br />
konnten die 500 Angestellten<br />
damals während dreier Monate ni<strong>ch</strong>t<br />
im Büro arbeiten. «Die Mitarbeitenden<br />
fanden es grundsätzli<strong>ch</strong> toll, ihren Arbeitsort<br />
frei zu wählen», sagt Microsoft-<br />
Medienspre<strong>ch</strong>erin Barbara Josef. «Zur<br />
Not hatten wir ein Gemeins<strong>ch</strong>aftsbüro<br />
in Wollishofen bereitgestellt.»<br />
Berei<strong>ch</strong>ernd fanden die Microsoft-Leute<br />
vor allem, dass si<strong>ch</strong> Arbeit und Familie<br />
besser unter einen Hut bringen liessen.<br />
Dur<strong>ch</strong> die Arbeit daheim fühlten si<strong>ch</strong><br />
man<strong>ch</strong>e Mitarbeitende jedo<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> berufli<strong>ch</strong><br />
und sozial isoliert. Do<strong>ch</strong> insgesamt<br />
s<strong>ch</strong>eint das Fazit des Experiments<br />
positiv: Die Microsoft-Bes<strong>ch</strong>äftigten<br />
arbeiten heute deutli<strong>ch</strong> öfter freiwillig<br />
von zu Hause aus als vor dem Umbau.<br />
«Es gilt, das gute Mass zu finden»,<br />
sagt Norbert Egli. «Das Ziel kann ni<strong>ch</strong>t<br />
sein, die Arbeit im Büro abzus<strong>ch</strong>affen.»<br />
Sonst gehe der soziale Zusammenhang<br />
am Arbeitsplatz verloren und au<strong>ch</strong> der<br />
inhaltli<strong>ch</strong>e Austaus<strong>ch</strong> leide. «Do<strong>ch</strong> die<br />
Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> der ri<strong>ch</strong>tigen Balance lohnt<br />
si<strong>ch</strong>, denn als ökologis<strong>ch</strong>er Gewinn<br />
winkt weniger <strong>Mobilität</strong> – ohne zusätzli<strong>ch</strong>e<br />
Einri<strong>ch</strong>tungen.»<br />
Vera Bueller<br />
umwelt 3/<strong>2012</strong> > Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong>
«In S<strong>ch</strong>weizer Firmen liesse si<strong>ch</strong> eine von sieben<br />
Ges<strong>ch</strong>äftsreisen einsparen, das sind rund 15 Prozent<br />
der gefahrenen oder geflogenen Kilometer», sagt der<br />
Ökonom Peter Masciadri. Er leitet beim Berner Büro<br />
für <strong>Mobilität</strong> das Projekt Swit<strong>ch</strong>. Dieses will Firmen<br />
davon überzeugen, vermehrt auf Online-Meeting-<br />
Systeme zu setzen und so Verkehr zu vermeiden.<br />
Die dazu nötige Te<strong>ch</strong>nik ist längst vorhanden: Ein<br />
breites Angebot von Videokonferenzsystemen wie<br />
Webex, Skype oder Lync erlaubt virtuelle Treffen<br />
von Mitarbeitenden, Kunden und Partnern mit bis<br />
zu 25 Teilnehmenden. Die Systeme funktionieren<br />
webgestützt und ermögli<strong>ch</strong>en zum Beispiel au<strong>ch</strong><br />
den Austaus<strong>ch</strong> von Dokumenten. «Diese Lösungen<br />
brau<strong>ch</strong>en keine spezielle Infrastruktur, sind kostengünstig<br />
und au<strong>ch</strong> innerhalb der S<strong>ch</strong>weiz sinnvoll»,<br />
erklärt Peter Masciadri.<br />
Skypen statt reisen: Diese Devise drängt si<strong>ch</strong><br />
ni<strong>ch</strong>t nur aus Umweltsi<strong>ch</strong>t auf. Die Firma Contec<br />
aus Uetendorf bei Thun (BE) etwa hat erlebt, dass<br />
si<strong>ch</strong> dank neuster Te<strong>ch</strong>nologie und individueller<br />
Beratung mit Swit<strong>ch</strong> jährli<strong>ch</strong> rund 4000 Franken<br />
pro mobilen Mitarbeiter einsparen lassen. Das Unternehmen<br />
stellt Gummiabdi<strong>ch</strong>tungen für Fla<strong>ch</strong>dä<strong>ch</strong>er<br />
und Tei<strong>ch</strong>e her und bes<strong>ch</strong>äftigt rund 50 Angestellte<br />
an vier Standorten in der ganzen S<strong>ch</strong>weiz.<br />
«Unsere Mitarbeiter verbringen unterwegs zu Aus-<br />
Per Velo ins Unispital<br />
Der von Pro Velo S<strong>ch</strong>weiz verliehene Prix Velo<br />
zei<strong>ch</strong>net Betriebe aus, die anderen in Sa<strong>ch</strong>en Fahrradförderung<br />
eine Nasenlänge voraus sind. Er wird<br />
vom BAFU sowie von Biketek, Vélosuisse und Velopa<br />
unterstützt. Das Genfer Universitätsspital gehört<br />
zweifellos zu den Vorbildern. Es bemüht si<strong>ch</strong><br />
na<strong>ch</strong> Kräften, den Verkehr zu verflüssigen, die Umwelt<br />
zu s<strong>ch</strong>onen und die rund 12 000 Mitarbeitenden<br />
zu mehr Bewegung zu ermutigen. «Seit 2008<br />
ist der <strong>Mobilität</strong>splan fest im institutionellen Umweltmanagement<br />
des Spitals verankert», erläutert<br />
die Verantwortli<strong>ch</strong>e Mouna Asal. Drei Kernmassnahmen<br />
sollen die Nutzung des Fahrrads fördern:<br />
Vergünstigungen beim Kauf von Velos, kostenlose<br />
Tests von E-Bikes und zinslose Darlehen. Eine Erhöhung<br />
der Abstellplätze auf 1300, optimierte<br />
Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong> > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />
Skypen statt reisen<br />
Videokonferenzen statt Ges<strong>ch</strong>äftsreisen: Virtuelle Meetings können au<strong>ch</strong><br />
innerhalb der S<strong>ch</strong>weiz erhebli<strong>ch</strong> zur Verkehrsvermeidung beitragen.<br />
senstellen oder Kunden drei volle Monate pro Jahr im Auto», sagt<br />
der Ges<strong>ch</strong>äftsinhaber Erwin Gyger, «etwas Ineffizienteres gibt es<br />
gar ni<strong>ch</strong>t!» Au<strong>ch</strong> Thomas Bu<strong>ch</strong>eli, wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Mitarbeiter<br />
in der Sektion Klimapolitik des BAFU, sieht für Videokonferenzen<br />
ein grosses Potenzial. «Sie können persönli<strong>ch</strong>e Kontakte zwar ni<strong>ch</strong>t<br />
vollständig ersetzen, sind aber im Ges<strong>ch</strong>äftsalltag viel häufiger eine<br />
sinnvolle Alternative, als man denkt.» Drei wi<strong>ch</strong>tige Pluspunkte<br />
sind tiefere Kosten, geringere S<strong>ch</strong>adstoffemissionen und der erhebli<strong>ch</strong>e<br />
Zeitgewinn. Vera Bueller<br />
2011 ist das Genfer Universitätsspital zu Re<strong>ch</strong>t mit dem «Prix Velo<br />
für velofreundli<strong>ch</strong>e Betriebe» ausgezei<strong>ch</strong>net worden.<br />
Parkmögli<strong>ch</strong>keiten und eine neu eröffnete Selbstbedienungs-Reparaturwerkstatt<br />
bieten weitere Anreize. Zudem stehen 368 Fahrräder<br />
bereit, um dur<strong>ch</strong> Unterführungen von einem Gebäude zum<br />
anderen zu gelangen, sowie weitere 32 Räder für Fahrten ausserhalb<br />
des Areals. Versu<strong>ch</strong>sweise besteht au<strong>ch</strong> das Angebot einer<br />
Velothek für die Ausleihe von Klappfahrrädern. «Das Engagement<br />
des Genfer Universitätsspitals zugunsten des Velos ist beispielhaft»,<br />
lobt Harald Jenk von der Sektion Verkehr beim BAFU.<br />
Damit ni<strong>ch</strong>t genug: Das Team von Mouna Asal ermutigt die<br />
Angestellten, si<strong>ch</strong> an der immer beliebteren Aktion «Bike to work»<br />
zu beteiligen. Na<strong>ch</strong> dem Vorbild von «Green Monkeys» ist in Genf<br />
ausserdem eine Mitfahrzentrale entstanden, die si<strong>ch</strong> besonders an<br />
Bes<strong>ch</strong>äftigte mit unregelmässigen Arbeitszeiten ri<strong>ch</strong>tet. Mouna Asal<br />
ist von ihrem Konzept überzeugt: «Der S<strong>ch</strong>lüssel zum Erfolg eines<br />
<strong>Mobilität</strong>splans ist die interne Dynamik.» Das Genfer Universitätsspital<br />
ist der beste Beweis dafür. Cornélia Mühlberger de Preux<br />
23
Orange mobil<br />
Die Firma Orange hat den Neubau ihres Hauptsitzes in Renens<br />
(VD) zum Anlass genommen, um die Arbeitsorganisation und<br />
<strong>Mobilität</strong> an allen Standorten umzugestalten. Insbesondere<br />
das Parkplatzmanagement ist neu konzipiert worden.<br />
Die meisten Angestellten von Orange S<strong>ch</strong>weiz verfügen über<br />
keinen festen Arbeitsplatz mehr. Am Hauptsitz in Renens<br />
lassen si<strong>ch</strong> die Mitarbeitenden mit ihren mobilen Büros –<br />
ein Trolleykoffer oder Rucksack und ein Laptop – an einer<br />
freien Docking-Station in ihrer Abteilung nieder. Au<strong>ch</strong> in<br />
Sa<strong>ch</strong>en <strong>Mobilität</strong> lautet das Motto mittlerweile «Flexibilität»:<br />
Den Arbeitsweg zu den Firmenstandorten Renens, Biel und<br />
Züri<strong>ch</strong> bewältigen die Bes<strong>ch</strong>äftigten mit unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en<br />
Verkehrsmitteln. Die früher kostenlosen Parkplätze sind<br />
neuerdings zahlungspfli<strong>ch</strong>tig. Ursprüngli<strong>ch</strong> wollte Orange<br />
beim neuen Hauptsitz in Renens zahlrei<strong>ch</strong>e Parkmögli<strong>ch</strong>keiten<br />
einri<strong>ch</strong>ten. Anfang 2009 aber ents<strong>ch</strong>loss man si<strong>ch</strong> mit<br />
Unterstützung des Verkehrs-Clubs der S<strong>ch</strong>weiz (VCS) zur Erarbeitung<br />
eines <strong>Mobilität</strong>skonzepts.<br />
Der für alle drei Standorte in der S<strong>ch</strong>weiz verbindli<strong>ch</strong>e<br />
Plan sah als Erstes eine Art Versteigerung der Parkplätze<br />
vor. Damit wollte man die Bes<strong>ch</strong>äftigten dazu bewegen, ihre<br />
<strong>Mobilität</strong> zu überdenken. Dieser Prozess ermögli<strong>ch</strong>te es, die<br />
Plätze einvernehmli<strong>ch</strong> zuzuteilen und die Parkplatzmiete<br />
festzulegen – in Renens sind es derzeit 70 Franken pro<br />
Monat. Die Einnahmen fliessen in einen gemeinsamen Topf<br />
und werden zweimal pro Jahr an das Personal verteilt. Eine<br />
weitere originelle Massnahme ist der «Mobility Jackpot», eine<br />
Art Verlosung, die besonders engagierte Angestellte belohnt.<br />
Darüber hinaus informiert Orange intern aktiv über mobilitätsbezogene<br />
Themen. So werden die Mitarbeitenden beispielsweise<br />
eingeladen, ihr <strong>Mobilität</strong>sverhalten mithilfe von<br />
www.mobilitaetsdur<strong>ch</strong>blick.<strong>ch</strong> zu überprüfen. Weiter können<br />
sie einen Pool von Firmenautos für berufli<strong>ch</strong>e Zwecke<br />
nutzen – und so auf ein eigenes Auto verzi<strong>ch</strong>ten. Zudem<br />
werden Eco-Drive-Kurse angeboten, und die Infrastruktur für<br />
Velofahrende ist optimiert worden. «Orange setzt vielverspre<strong>ch</strong>ende<br />
Anreize, um die Angestellten zu<br />
einer Änderung ihres <strong>Mobilität</strong>sverhaltens<br />
zu ermuntern», meint Iris Oberauner von<br />
der Sektion Ökonomie beim BAFU. «Ob<br />
si<strong>ch</strong> die negativen Auswirkungen<br />
des Strassenverkehrs dadur<strong>ch</strong><br />
reduzieren lassen, hängt aber<br />
davon ab, ob diese Massnahmen<br />
tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> greifen und<br />
genutzt werden. Eine Evaluierung<br />
ihrer Wirkung<br />
wäre daher wüns<strong>ch</strong>enswert.»<br />
Cornélia Mühlberger de Preux<br />
24<br />
8 7 6 5 4 3 2 1<br />
Das Mietauto<br />
im Take-away<br />
Car2go nennt si<strong>ch</strong> eine neue Form<br />
von kurzer Automiete in Grossstädten.<br />
Ihre Stärken sind unkompliziertes<br />
Bu<strong>ch</strong>en und eine hohe Flexibilität.<br />
Au<strong>ch</strong> Automobilgiganten wie der deuts<strong>ch</strong>e<br />
Daimler-Konzern denken über<br />
neue Formen von <strong>Mobilität</strong> na<strong>ch</strong> – und<br />
lancieren sie mit geballter Marktkraft.<br />
2009 startete Daimler das Projekt Car-<br />
2go mit Pilotversu<strong>ch</strong>en in Ulm und<br />
Austin (USA). Drei Jahre später ist es in<br />
elf Städten Nordamerikas und Europas<br />
Realität und soll s<strong>ch</strong>nell weiterwa<strong>ch</strong>sen.<br />
Das Konzept nimmt den Gedanken<br />
des Carsharings auf und will ihn dank<br />
viel Flexibilität weiter popularisieren.<br />
Und das geht so: Die Car2go-Autos<br />
– auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> zweisitzige Smarts –<br />
stehen ni<strong>ch</strong>t an fixen Verleihstationen,<br />
sondern sind frei über die ganze Stadt<br />
verteilt. Eine Flotte umfasst typis<strong>ch</strong>erweise<br />
300 Wagen. Car2go zielt auf die<br />
innerstädtis<strong>ch</strong>e <strong>Mobilität</strong> ab und ri<strong>ch</strong>tet<br />
si<strong>ch</strong> vor allem an Kurzents<strong>ch</strong>lossene.<br />
Sie können das nä<strong>ch</strong>stliegende Fahrzeug<br />
über eine Smartphone-App, eine<br />
Telefon-Hotline oder via Internet lokalisieren,<br />
bu<strong>ch</strong>en und sofort damit losfahren.<br />
Im Gegensatz zum klassis<strong>ch</strong>en Carsharing<br />
– wie bei Mobility – müssen<br />
si<strong>ch</strong> die Nutzer weder auf eine Rückgabezeit<br />
no<strong>ch</strong> auf einen Rückgabeort<br />
festlegen. Na<strong>ch</strong> Gebrau<strong>ch</strong> können sie<br />
das Fahrzeug auf irgendeinem städtis<strong>ch</strong><br />
verwalteten Parkplatz abstellen.<br />
Der Idee der Kürzestmiete entspri<strong>ch</strong>t<br />
au<strong>ch</strong> das Bezahlsystem: Die Abre<strong>ch</strong>nung<br />
erfolgt auf Minutenbasis. Eine<br />
Minute kostet 29 Cents, ein ganzer Tag<br />
39 Euro. Zusätzli<strong>ch</strong> wird für jeden gefahrenen<br />
Kilometer bezahlt. Versi<strong>ch</strong>erung,<br />
Benzin und Parkgebühren sind<br />
inbegriffen.<br />
Do<strong>ch</strong> ist das ohne Zweifel attraktive<br />
Angebot au<strong>ch</strong> umweltfreundli<strong>ch</strong>? «Ents<strong>ch</strong>eidend<br />
ist, wie viele Autofahrende<br />
dank Car2go auf ihr eigenes Auto verzi<strong>ch</strong>ten»,<br />
meint Harald Jenk von der<br />
Sektion Verkehr beim BAFU. Und <strong>Mobilität</strong>sberater<br />
Andreas Blumenstein<br />
vom Büro für <strong>Mobilität</strong> in Bern gibt zu<br />
umwelt 3/<strong>2012</strong> > Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong>
edenken: «Innerhalb von Städten sind<br />
sol<strong>ch</strong>e Modelle nur bedingt sinnvoll.<br />
Angebote wie Car2go könnten si<strong>ch</strong> gar<br />
als Konkurrenz zum öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr<br />
erweisen und Autofahrende vom<br />
Umsteigen abhalten.»<br />
Der Daimler-Konzern hingegen ist<br />
von seinem Konzept überzeugt. Car-<br />
2go expandiert ras<strong>ch</strong> und weltweit. Im<br />
Herbst 2011 ging Car2go zum Beispiel<br />
mit 500 Smarts in Wien an den Start<br />
und eröffnete Ableger in Amsterdam<br />
und San Diego (USA) mit Flotten von je<br />
300 Elektro-Smarts. Das Konzept findet<br />
denn au<strong>ch</strong> bereits Na<strong>ch</strong>ahmer. Anfang<br />
<strong>2012</strong> haben BMW, Mini und Sixt in Düsseldorf<br />
das Konkurrenzangebot Drive-<br />
Now mit 150 Kleinwagen lanciert.<br />
Stefan Hartmann<br />
umwelt 3/<strong>2012</strong><br />
Zweirädrig unter Strom<br />
Elektrovelos und Elektroroller sind im Aufwind.<br />
Sie tragen dazu bei, dass unsere <strong>Mobilität</strong> Lun-<br />
gen und Ohren weniger belastet.<br />
Die E-Bikes erobern unsere Strassen im Sturm. Im<br />
Jahr 2008 ma<strong>ch</strong>ten sie erst 4 Prozent der in der<br />
S<strong>ch</strong>weiz verkauften Fahrräder aus, 2010 waren es<br />
dreimal so viel: 40 000 Stück – Tendenz steigend.<br />
Wie eine Studie in der Stadt Basel ermittelte, steigen<br />
vor allem reifere Semester auf Elektrofahrräder<br />
um. Ihr Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittsalter beträgt 49 Jahre;<br />
die allermeisten von ihnen verfügen über einen<br />
Führerausweis. Ist dies ein Indiz dafür, dass E-<br />
Bikes zumindest für kürzere Strecken das Auto<br />
ersetzen? «Ja», meint Urs S<strong>ch</strong>wegler, «es gilt die<br />
Faustregel, dass ein Drittel der mit E-Bikes gefahrenen<br />
Kilometer sonst auf normalen Fahrrädern<br />
zurückgelegt worden wäre, ein Drittel mit den<br />
öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrsmitteln und ein Drittel mit<br />
dem Auto oder Motorrad.» Urs S<strong>ch</strong>wegler ist Mitglied<br />
der Ges<strong>ch</strong>äftsleitung von NewRide, einer<br />
Organisation, wel<strong>ch</strong>e die Verbreitung von Elektrofahrrädern<br />
und -scootern fördert – und ihre Nutzung<br />
kritis<strong>ch</strong> unter die Lupe nimmt. Sie wird vom<br />
BAFU und vom Bundesamt für Energie (BFE) unterstützt<br />
und hat unter anderem die Basler Studie<br />
zur E-Bike-Kunds<strong>ch</strong>aft in Auftrag gegeben. Diese<br />
bestätigt, dass Elektrofahrräder andere Verkehrsmittel<br />
ersetzen.<br />
Gross im Kommen sind au<strong>ch</strong> Elektroroller.<br />
Sie verbrau<strong>ch</strong>en laut NewRide 8 Kilowattstunden<br />
Strom für 100 Kilometer, was umgere<strong>ch</strong>net 0,8 Litern<br />
Benzin entspri<strong>ch</strong>t. Vor allem auf kurzen Strecken<br />
mit häufigen Stopps sind die elektrifizierten<br />
Flitzer beim Energiesparen kaum zu s<strong>ch</strong>lagen.<br />
Diesen Vorteil hat die Post erkannt: Seit 2008<br />
setzt sie sol<strong>ch</strong>e Roller für die Briefzustellung ein.<br />
Während man ein Motorrad bei jedem Halt abstellen<br />
und neu starten muss, genügt es beim<br />
E-Roller, anzuhalten und wieder Gas zu geben.<br />
Das auffälligste Unters<strong>ch</strong>eidungsmerkmal der<br />
E-Scooter gegenüber herkömmli<strong>ch</strong>en Rollern ist<br />
allerdings ihr nahezu geräus<strong>ch</strong>loser Auftritt. «Bei<br />
der Lärmbelastung ist der Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en<br />
einem elektris<strong>ch</strong>en und einem herkömmli<strong>ch</strong>en<br />
Roller grösser als jener zwis<strong>ch</strong>en einem Elektround<br />
einem Benzinauto», bestätigt Dominique<br />
S<strong>ch</strong>neuwly von der BAFU-Sektion Strassen und<br />
Fahrzeuge. Aus Si<strong>ch</strong>t des Lärms<strong>ch</strong>utzes wäre<br />
es also dringend erwüns<strong>ch</strong>t, dass si<strong>ch</strong> die Elektroroller<br />
im Verkehr dur<strong>ch</strong>setzen – unter der<br />
Bedingung, dass sie dabei konventionelle<br />
Motorräder ersetzen und ni<strong>ch</strong>t etwa Velos.<br />
Lucienne Rey<br />
25
Veloverleih rollt an<br />
In der S<strong>ch</strong>weiz verzei<strong>ch</strong>net der Veloverleih einen regelre<strong>ch</strong>ten Boom: Angebote wie velopass,<br />
PubliBike und nextbike sind in immer mehr Landesteilen verfügbar. Mit velospot hat die Stadt<br />
Biel eine eigene überzeugende Lösung lanciert.<br />
Sie sind s<strong>ch</strong>on von Weitem erkennbar:<br />
die knallroten velospot-Velos mit ihrem<br />
s<strong>ch</strong>warzen Korb am Lenker. Na<strong>ch</strong><br />
einer Testphase und mehreren Optimierungen<br />
zählt die Seelandmetropole<br />
inzwis<strong>ch</strong>en 40 Verleihstationen und<br />
eine Flotte von 250 Rädern. Wer eines<br />
der leu<strong>ch</strong>tend roten Vehikel ausleihen<br />
mö<strong>ch</strong>te, muss si<strong>ch</strong> ledigli<strong>ch</strong> online<br />
unter www.velospot.<strong>ch</strong> registrieren.<br />
Dana<strong>ch</strong> erhält man eine Chipkarte<br />
zuges<strong>ch</strong>ickt, mit der si<strong>ch</strong> das Fahrrads<strong>ch</strong>loss<br />
entriegeln lässt – und s<strong>ch</strong>on<br />
ist man unterwegs. Ein ni<strong>ch</strong>t mehr benötigtes<br />
Fahrrad wird an einer beliebigen<br />
Verleihstation wieder abgegeben.<br />
«Das System ist einfa<strong>ch</strong>, flexibel und<br />
kommt ohne besondere Infrastruktur<br />
aus», erklärt Jonas S<strong>ch</strong>mid, Spre<strong>ch</strong>er<br />
des Projekts velospot.<br />
Damit der Veloverleih im Nahverkehr<br />
aber eine Rolle spielen kann, zur<br />
Verkehrsverlagerung beiträgt und neue<br />
Nutzergruppen mobilisiert, brau<strong>ch</strong>t es<br />
ein di<strong>ch</strong>tes Netz, das die ganze Stadt<br />
abdeckt. velospot wird vom Dienstleistungszentrum<br />
für innovative <strong>Mobilität</strong><br />
des Eidgenössis<strong>ch</strong>en Departements für<br />
Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation<br />
(UVEK) unterstützt. Um<br />
den Unterhalt der Fahrräder kümmert<br />
si<strong>ch</strong> ein Sozialbetrieb. Ein Jahresabonnement<br />
kostet 50 Franken und bere<strong>ch</strong>tigt<br />
zu einer unbegrenzten Anzahl<br />
Fahrten von bis zu 30 Minuten Dauer.<br />
«Für längere Fahrten wird ein bes<strong>ch</strong>eidener<br />
Zus<strong>ch</strong>lag erhoben. Ausserdem<br />
sind au<strong>ch</strong> Tageskarten verfügbar», präzisiert<br />
Jonas S<strong>ch</strong>mid.<br />
Au<strong>ch</strong> in anderen Teilen der S<strong>ch</strong>weiz<br />
gewinnt der te<strong>ch</strong>nologis<strong>ch</strong> aufgerüstete<br />
Zweiradverleih an Terrain: Im<br />
Frühjahr <strong>2012</strong> hat die PostAuto<br />
S<strong>ch</strong>weiz AG mit velopass den bislang<br />
grössten Bikesharing-Anbieter im<br />
Inland übernommen. Das bestehende<br />
Netz zur Selbstausleihe in über<br />
20 Städten der Romandie sowie im Tessin<br />
wird weitergeführt. Zusammen mit<br />
26<br />
der SBB und Rent a Bike hat PostAuto<br />
bereits 2011 ein ähnli<strong>ch</strong>es Angebot<br />
namens PubliBike lanciert, das zahlrei<strong>ch</strong>e<br />
Nahverkehrsnetze in der ganzen<br />
S<strong>ch</strong>weiz abdeckt. Luzern, Brig, Solothurn,<br />
Basel, Frauenfeld, Winterthur<br />
und Kreuzlingen sind s<strong>ch</strong>on mit an<br />
Bord. Im Lauf des Jahres sollen au<strong>ch</strong><br />
Delsberg, Rapperswil und Züri<strong>ch</strong> dazukommen.<br />
Das aus Deuts<strong>ch</strong>land stammende<br />
System nextbike ist vor allem<br />
in der Osts<strong>ch</strong>weiz vertreten.<br />
In Zusammenarbeit mit den städtis<strong>ch</strong>en<br />
Verkehrsbetrieben sollen demnä<strong>ch</strong>st<br />
au<strong>ch</strong> in Genf 150 Selbstbedienungs-Verleihstationen<br />
für Fahrräder<br />
erri<strong>ch</strong>tet werden. Die Grundidee ist,<br />
eine Ergänzung zu den öffentli<strong>ch</strong>en<br />
Verkehrsmitteln und zum Individualverkehr<br />
anzubieten.<br />
Au<strong>ch</strong> das Bundesamt für Strassen<br />
(ASTRA) verfolgt die Entwicklung<br />
mit Interesse: «Wir mö<strong>ch</strong>ten herausfinden,<br />
ob die Benutzerinnen und<br />
Benutzer anderer Verkehrsmittel mit<br />
Bikesharing-Angeboten neu für das<br />
Velofahren gewonnen werden können<br />
und ob si<strong>ch</strong> damit die Zahl der selten<br />
benutzten Velos reduzieren lässt, die<br />
Parkplätze an zentralen Lagen blockieren»,<br />
erklärt Niklaus S<strong>ch</strong>ranz vom<br />
ASTRA.<br />
Cornélia Mühlberger de Preux<br />
umwelt 3/<strong>2012</strong> > Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong>
Blitzs<strong>ch</strong>nell elektris<strong>ch</strong> aufgetankt<br />
Sollen Elektrofahrzeuge die Benzinautos ablösen, brau<strong>ch</strong>t es ein di<strong>ch</strong>tes<br />
Netz an Ladestationen. Do<strong>ch</strong> eine grosse Frage bleibt offen: Wie öko-<br />
logis<strong>ch</strong> wird der Strom für die Hunderttausenden von E-Mobilen erzeugt?<br />
Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong> > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />
Viele Hoffnungen werden in die Elektromobilität<br />
gesetzt: Mit Strom angetriebene<br />
Fahrzeuge sollen den Verkehr umweltfreundli<strong>ch</strong>er<br />
ma<strong>ch</strong>en und insbesondere<br />
die Belastung dur<strong>ch</strong> Lärm, Feinstaub und<br />
CO 2 mindern. Gemäss Bere<strong>ch</strong>nungen des<br />
Energieunternehmens Alpiq könnten bis<br />
zum Jahr 2020 15 Prozent der s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en<br />
Fahrzeugflotte elektris<strong>ch</strong> betrieben<br />
sein und dazu beitragen, einen namhaften<br />
Teil der S<strong>ch</strong>weizer Klimaziele zu errei<strong>ch</strong>en.<br />
Das entsprä<strong>ch</strong>e 720 000 Elektrofahrzeugen.<br />
Etwas konservativer ist die<br />
Prognose des Bundesamtes für Energie<br />
– es re<strong>ch</strong>net mit gegen 300 000 E-Autos.<br />
Damit sol<strong>ch</strong>e Visionen Realität werden,<br />
brau<strong>ch</strong>t es allerdings die entspre<strong>ch</strong>ende<br />
Infrastruktur. Insgesamt 753 000 Ladestationen<br />
in Wohnhäusern, bei Firmen<br />
und im öffentli<strong>ch</strong>en Raum wären nötig,<br />
um den Betrieb der von Alpiq erwarteten<br />
Elektrofahrzeuge si<strong>ch</strong>erzustellen. Zudem<br />
bräu<strong>ch</strong>te es 250 S<strong>ch</strong>nellladestationen an<br />
strategis<strong>ch</strong>en Punkten des Strassennetzes.<br />
Und selbst wenn diese Voraussetzungen<br />
erfüllt sind, ist die Umweltverträgli<strong>ch</strong>keit<br />
keineswegs garantiert. Denn nur<br />
wenn die Autos erneuerbaren Strom tanken,<br />
fällt die Ökobilanz während ihrer<br />
Lebensdauer ähnli<strong>ch</strong> aus wie diejenige<br />
eines modernen Diesel-Kleinwagens.<br />
Der genaue Verglei<strong>ch</strong> der Umweltbelastung<br />
von Benzinfahrzeugen und<br />
Elektroautos ist komplex. Neben der<br />
Stromherkunft spielen zum Beispiel<br />
au<strong>ch</strong> die bei der Herstellung der PW und<br />
der Batterien entstehenden Emissionen<br />
eine wi<strong>ch</strong>tige Rolle. Im mehrjährigen<br />
Projekt THELMA arbeiten die Eidgenössis<strong>ch</strong>e<br />
te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ule (ETH) und<br />
das Paul S<strong>ch</strong>errer Institut deshalb zurzeit<br />
an einer umfassenden Gegenüberstellung<br />
der beiden Antriebsformen – inklusive<br />
ihrer gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Auswirkungen.<br />
Unabhängig davon, wie der Strom für<br />
Elektrofahrzeuge hergestellt wird, haben<br />
ihre Besitzerinnen und Besitzer bislang<br />
mit praktis<strong>ch</strong>en Problemen zu kämpfen:<br />
Eine Batterie ganz aufzuladen dauert bis<br />
zu a<strong>ch</strong>t Stunden. «Es gibt zwar au<strong>ch</strong> Systeme,<br />
mit denen die Batterie innerhalb<br />
von ein bis zwei Stunden auf 80 Prozent<br />
geladen wird», erklärt Felix Reutimann<br />
von der BAFU-Sektion Verkehr. Do<strong>ch</strong> der<br />
s<strong>ch</strong>nelle Ladevorgang senkt die Lebensdauer<br />
der teuren Akkus. Zudem kann es<br />
zu einer Überlastung des lokalen Netzes<br />
kommen, wenn viele Fahrzeuge glei<strong>ch</strong>zeitig<br />
Strom brau<strong>ch</strong>en.<br />
«Mö<strong>ch</strong>te man die Batterien so ras<strong>ch</strong><br />
laden, wie man heute Benzin tankt,<br />
müsste man sie taus<strong>ch</strong>en», sagt Felix<br />
Reutimann. Genau diesen Weg begeht<br />
die kalifornis<strong>ch</strong>e Firma Better Place. Ihr<br />
Ges<strong>ch</strong>äftsprinzip: Die E-Mobil-Besitzer<br />
kaufen nur das Auto, die Batterien mieten<br />
sie. An ultras<strong>ch</strong>nellen Ladestationen<br />
können sie innerhalb von fünf Minuten<br />
eine vollgeladene Batterie eintaus<strong>ch</strong>en –<br />
computergesteuert und vollautomatis<strong>ch</strong>.<br />
Bereits sind Better-Place-Taus<strong>ch</strong>stationen<br />
in Israel und Dänemark in Betrieb.<br />
Lucienne Rey<br />
27
Umweltgere<strong>ch</strong>t bis vor die Haustür<br />
Beim Gütertransport s<strong>ch</strong>einen es umweltgere<strong>ch</strong>te Lösungen s<strong>ch</strong>wer zu haben.<br />
Do<strong>ch</strong> es gibt sie. Zum Beispiel in Burgdorf (BE) oder in den Niederlanden.<br />
Viele historis<strong>ch</strong>e Stadtkerne in<br />
Holland sind eng – zu eng für<br />
Lieferwagen, die si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>male<br />
Gassen zwängen, die Luft belasten und<br />
den Fussgängern das Leben ers<strong>ch</strong>weren.<br />
Vor diesem Hintergrund entstand 2009<br />
in Nijmegen der «Binnenstadservice».<br />
Ziel des neuen Logistikmodells ist eine<br />
na<strong>ch</strong>haltige Warenverteilung in Innenstädten.<br />
Dazu werden die Güter am<br />
Stadtrand in dezentrale Logistikzentren<br />
angeliefert und dann mittels E-Bikes,<br />
Erdgas- oder Elektrofahrzeugen zu den<br />
Kundinnen in der Innenstadt feinverteilt.<br />
Die Versorgung der Läden und<br />
Restaurants erfolgt «just in time» an<br />
sieben Tagen pro Wo<strong>ch</strong>e. Der Start des<br />
innovativen Lieferdienstes erfolgte mithilfe<br />
der öffentli<strong>ch</strong>en Hand. Inzwis<strong>ch</strong>en<br />
ist er kostendeckend – und so erfolgrei<strong>ch</strong>,<br />
dass er na<strong>ch</strong> dem Fran<strong>ch</strong>ising-<br />
System bereits auf zehn weitere Städte<br />
ausgeweitet werden konnte. Laut Fa<strong>ch</strong>leuten<br />
liesse si<strong>ch</strong> das Modell dur<strong>ch</strong>aus<br />
au<strong>ch</strong> in der S<strong>ch</strong>weiz anwenden.<br />
Do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> bei uns gibt es Pioniere<br />
für die umweltgere<strong>ch</strong>te Feinverteilung<br />
von Gütern. Vor 15 Jahren startete in<br />
28<br />
Burgdorf der erste Velohauslieferdienst.<br />
Er spediert den Kunden die im Laden<br />
eingekauften Güter na<strong>ch</strong> Hause. Im Unters<strong>ch</strong>ied<br />
zum Online-Einkauf können<br />
die Konsumentinnen Frü<strong>ch</strong>te, Gemüse<br />
und weitere Produkte zwar im Laden<br />
beguta<strong>ch</strong>ten, müssen si<strong>ch</strong> aber ni<strong>ch</strong>t<br />
ums Heims<strong>ch</strong>leppen kümmern. Mittlerweile<br />
hat das Angebot in 16 Städten<br />
und Gemeinden S<strong>ch</strong>ule gema<strong>ch</strong>t. «Die<br />
Zahl der so vermiedenen Autofahrten<br />
ist beträ<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>», sagt Martin Wälti,<br />
Initiator des Dienstes und Ges<strong>ch</strong>äftsleitungsmitglied<br />
des Büros für <strong>Mobilität</strong>,<br />
einer 2002 gegründeten Firma für<br />
massges<strong>ch</strong>neiderte <strong>Mobilität</strong>slösungen.<br />
In Langnau (BE) zum Beispiel, so Wälti,<br />
habe der Dienst bereits im vierten<br />
Betriebsjahr rund 20 000 Aufträge ausgeführt.<br />
Zum Erfolg tragen au<strong>ch</strong> die<br />
moderaten Kosten von 3Franken pro<br />
Einzellieferung und von 150 Franken<br />
für ein Jahresabo bei.<br />
S<strong>ch</strong>wieriger als im Kleinen<br />
haben es Projekte zur umweltgere<strong>ch</strong>ten<br />
Gütermobilität im Grossen.<br />
Die im Rahmen der Alpen-Initiative<br />
entwickelte Alpentransitbörse etwa<br />
strebt eine bessere Steuerung des alpenquerenden<br />
Güterverkehrs an. Die Idee<br />
basiert auf einer begrenzten Anzahl<br />
von Dur<strong>ch</strong>fahrtsre<strong>ch</strong>ten für Lastwagen<br />
auf den Alpentransitstrecken. Dabei<br />
würden diese Re<strong>ch</strong>te an die Meistbietenden<br />
versteigert. Der Preis hängt von<br />
der Na<strong>ch</strong>frage ab und soll ungefähr<br />
der Differenz der Transportkosten auf<br />
Strasse und S<strong>ch</strong>iene entspre<strong>ch</strong>en. Sobald<br />
der Preis höher steigt, wird es für<br />
Transporteure günstiger, die Bahn zu<br />
benutzen. «Ein länderübergreifendes<br />
Modell wie die Alpentransitbörse würde<br />
die grossen Transitstrecken dur<strong>ch</strong><br />
die Alpen massiv vom Strassengüterverkehr<br />
entlasten», verspri<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> Klaus<br />
Kammer von der Sektion Umweltbeoba<strong>ch</strong>tung<br />
im BAFU. Allerdings brau<strong>ch</strong>t<br />
es dazu eine breite Akzeptanz in allen<br />
Alpenländern – und entspre<strong>ch</strong>end viel<br />
Überzeugungsarbeit.<br />
Stefan Hartmann<br />
umwelt 3/<strong>2012</strong> > Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong>
Pioniertat Umweltabo Umsteigen bei Monds<strong>ch</strong>ein<br />
Günstige und benutzerfreundli<strong>ch</strong>e Abonnements<br />
haben viele Pendler zum Umsteigen auf den<br />
öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr bewogen. Do<strong>ch</strong> dieser Erfolg<br />
hat seinen Preis.<br />
«Passepartout», «Libero» oder «Ostwind»: Die<br />
Namen verheissen Freiheit und Bewegli<strong>ch</strong>keit. Sie<br />
stehen für vers<strong>ch</strong>iedene regionale Tarifverbünde<br />
in der S<strong>ch</strong>weiz. Pionier unter ihnen war 1984<br />
der Tarifverbund Nordwests<strong>ch</strong>weiz (TNW). Sein<br />
«Umweltabo» – europaweit die erste Monatskarte<br />
zur Nutzung aller öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrsmittel<br />
einer Region – ist ein dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>lagender Erfolg.<br />
Die Verkaufszahlen haben kontinuierli<strong>ch</strong> auf heute<br />
über 2Millionen Abos zugenommen. Drei von<br />
vier Fahrgästen besitzen ein U-Abo, das dem TNW<br />
mehr als zwei Drittel seiner jährli<strong>ch</strong>en Einnahmen<br />
von über 200 Millionen Franken einbringt.<br />
Tarifverbünde haben erwiesenermassen viele<br />
Berufspendlerinnen und -pendler dazu bewogen,<br />
vom Auto auf den öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr umzusteigen.<br />
Allerdings trägt die au<strong>ch</strong> in der Freizeit rege<br />
Nutzung der praktis<strong>ch</strong>en Abos zu einer problematis<strong>ch</strong>en<br />
Erhöhung des Verkehrsaufkommens bei.<br />
Do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> auf dem Sonntagsausflug sind öffentli<strong>ch</strong>e<br />
Transportmittel aus Umweltsi<strong>ch</strong>t sinnvoll:<br />
«In den meisten Fällen s<strong>ch</strong>neiden Fahrten mit dem<br />
ÖV in der Ökobilanz besser ab als der motorisierte<br />
Individualverkehr», bestätigt Doris O<strong>ch</strong>sner von<br />
der BAFU-Sektion Verkehr.<br />
Die Förderung einer umweltfreundli<strong>ch</strong>eren<br />
<strong>Mobilität</strong> hat allerdings ihren Preis: Der öffentli<strong>ch</strong>e<br />
Regionalverkehr deckt seine Kosten nirgends<br />
in der S<strong>ch</strong>weiz, er brau<strong>ch</strong>t überall Finanzspritzen.<br />
In Zeiten leerer Kassen gerät dieses Modell in Bedrängnis.<br />
Sogar beim revolutionären Basler U-Abo<br />
wird erwogen, diverse Zonen mit unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en<br />
Tarifen einzuführen. Wer weiter fährt,<br />
würde damit au<strong>ch</strong> stärker zur Kasse gebeten – ein<br />
S<strong>ch</strong>ritt in Ri<strong>ch</strong>tung Verursa<strong>ch</strong>erprinzip also, der<br />
au<strong>ch</strong> aus ökologis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t sinnvoll ers<strong>ch</strong>eint.<br />
«Allerdings sollten die Preise in tragbaren S<strong>ch</strong>ritten<br />
erhöht werden, um mögli<strong>ch</strong>st wenig ÖV-Passagiere<br />
ans Privatauto zu verlieren», sagt Iris Oberauner<br />
von der BAFU-Sektion Ökonomie. «Mehr Kostenwahrheit<br />
würde aber au<strong>ch</strong> höhere Preise im<br />
Strassenverkehr zur Deckung der Umweltkosten<br />
erfordern.»<br />
Praktis<strong>ch</strong>e und kostengünstige Abos, um die<br />
ÖV-Kunds<strong>ch</strong>aft bei der Stange zu halten? Oder teurere<br />
Ticketpreise, wel<strong>ch</strong>e die effektiven Kosten unserer<br />
<strong>Mobilität</strong> widerspiegeln? Beide Strategien bergen<br />
Gefahren. Wel<strong>ch</strong>er von ihnen man den Vorzug<br />
gibt, ist letztli<strong>ch</strong> eine politis<strong>ch</strong>e Frage. Lucienne Rey<br />
Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong> > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />
ÖV-Angebote für Na<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>wärmer haben in der ganzen<br />
S<strong>ch</strong>weiz Erfolg. Au<strong>ch</strong> das Tessin verspri<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> einen deut-<br />
li<strong>ch</strong>en Umsteigeeffekt vom Auto auf den «Night Express».<br />
Na<strong>ch</strong>tbusse sorgen für umweltverträgli<strong>ch</strong>e <strong>Mobilität</strong>. «Vor allem<br />
in grösseren Städten mit zahlrei<strong>ch</strong>en Linien, die ni<strong>ch</strong>t nur das<br />
Stadtgebiet, sondern praktis<strong>ch</strong> die gesamte Agglomeration abdecken,<br />
hat dieses Angebot wesentli<strong>ch</strong> zur Verkehrs- und Lärmentlastung<br />
in den frühen Morgenstunden beigetragen», sagt<br />
Peter S<strong>ch</strong>ild, Sa<strong>ch</strong>bearbeiter Verkehrspolitik beim Bundesamt<br />
für Raumentwicklung (ARE). Das lässt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> im Tessin feststellen.<br />
Obwohl es hier besonders s<strong>ch</strong>wierig ist, die vorwiegend<br />
jugendli<strong>ch</strong>en Na<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>wärmer zum Umsteigen auf den öffentli<strong>ch</strong>en<br />
Verkehr zu bewegen: Getunte Scooter gelten als cool, uralte<br />
Vespas aus Italien als totaler Kult. Zudem sind die Tessiner<br />
Dörfer und Täler dur<strong>ch</strong> den öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr nur s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t<br />
ers<strong>ch</strong>lossen – vor allem abends und na<strong>ch</strong>ts fahren kaum mehr<br />
Busse.<br />
2003 allerdings führte die PostAuto S<strong>ch</strong>weiz AG im Raum<br />
Lugano den «Capriasca Night Express» ein, der si<strong>ch</strong> bei Jugendli<strong>ch</strong>en<br />
als grosser Erfolg erwies: Die Na<strong>ch</strong>frage stieg innert kurzer<br />
Zeit derart an, dass man das Angebot 2005 auf das Gebiet<br />
Collina d’Oro bei Lugano ausgebaut hat. «Wir haben bisher nur<br />
positive Erfahrungen gema<strong>ch</strong>t», bestätigt Paolo Solari, Leiter der<br />
PostAuto-Region Tessin. Wie gross der Umsteigeeffekt vom Auto<br />
zur Nutzung des ÖV sei, lässt si<strong>ch</strong> allerdings no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t sagen,<br />
da der Na<strong>ch</strong>tbus vor allem von Jugendli<strong>ch</strong>en genutzt wird, die<br />
no<strong>ch</strong> gar kein Auto besitzen. Dank dem Na<strong>ch</strong>tbusangebot sind<br />
immerhin einige Eltern weniger als Chauffeure unterwegs. Ausserdem<br />
ist Paolo Solari überzeugt: «Die Na<strong>ch</strong>tbusse haben den<br />
Effekt, dass Jugendli<strong>ch</strong>e positiv an das ÖV-Angebot herangeführt<br />
werden – vorausgesetzt, die Verbindungen sind gut und bequem.»<br />
Zudem komme der Na<strong>ch</strong>wu<strong>ch</strong>s im Bus si<strong>ch</strong>er na<strong>ch</strong> Hause.<br />
«Das gibt den Eltern ein beruhigendes Gefühl.» Vera Bueller<br />
Weiterführende Links unter<br />
www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/magazin<strong>2012</strong>-3-05<br />
KONTAKT<br />
Harald Jenk, siehe Seite 35<br />
Doris O<strong>ch</strong>sner, siehe Seite 15<br />
29
Die Ansi<strong>ch</strong>ten der renommierten<br />
Soziologin Saskia<br />
Sassen sind von ganz<br />
unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Seiten<br />
gefragt: Sie tritt sowohl am<br />
Parteitag der deuts<strong>ch</strong>en<br />
Grünen auf wie an Kongressen<br />
der Autoindustrie.<br />
MOBILITäTSFORSCHUNG<br />
«Den urbanen Raum betra<strong>ch</strong>ten,<br />
als ob wir selbst Städte wären»<br />
Die Soziologin und Ökonomin Saskia Sassen ist eine der s<strong>ch</strong>arfsinnigsten und bekanntesten Sozialfors<strong>ch</strong>erinnen<br />
unserer Zeit. Im Interview mit umwelt spri<strong>ch</strong>t sie über die Grenzen der <strong>Mobilität</strong>, die Urbanisierung des Autos und<br />
über das S<strong>ch</strong>reiben in Zug und Flugzeug.<br />
30<br />
umwelt: Frau Sassen, ist das Bedürfnis na<strong>ch</strong> <strong>Mobilität</strong><br />
eine Konstante in der mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Entwicklung?<br />
Saskia Sassen: Ja, das s<strong>ch</strong>eint so. Aber es gibt ein<br />
äusserst unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>es Verständnis von <strong>Mobilität</strong>.<br />
Es liesse si<strong>ch</strong> sagen, dass unser Begriff<br />
von <strong>Mobilität</strong> mit der digitalen Te<strong>ch</strong>nologie<br />
no<strong>ch</strong> einmal eine andere Phase konzeptioneller<br />
Neuerfindung erfahren hat. Weltweites, simultanes<br />
Kommunizieren, während der eigene Körper<br />
an Ort bleibt, ist au<strong>ch</strong> eine Art von <strong>Mobilität</strong>.<br />
Bild: Dukas Presseagentur<br />
Wenn si<strong>ch</strong> unsere Stimme, unsere Rede bewegt,<br />
tut es ni<strong>ch</strong>ts zur Sa<strong>ch</strong>e, dass der Körper stationär<br />
bleibt.<br />
Bis in die 1960er-Jahre besassen nur vermögende<br />
Leute Autos und reisten ins Ausland. Ist die individuelle<br />
<strong>Mobilität</strong> eine Errungens<strong>ch</strong>aft der demokratis<strong>ch</strong>en<br />
Gesells<strong>ch</strong>aft?<br />
Ja und nein. Ein grosser Teil der <strong>Mobilität</strong> in der<br />
industrialisierten Phase der Entwicklung wird<br />
umwelt 3/<strong>2012</strong> > Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong>
dur<strong>ch</strong> ökonomis<strong>ch</strong>e Bedürfnisse angetrieben.<br />
Die Systeme des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs dienen<br />
im Grunde den Arbeitgebern, sind aber dur<strong>ch</strong><br />
Steuergelder finanziert.<br />
Ist das ni<strong>ch</strong>t etwas gar vereinfa<strong>ch</strong>t?<br />
Natürli<strong>ch</strong> ist der öffentli<strong>ch</strong>e Verkehr viel mehr<br />
als das, aber trotzdem erweist si<strong>ch</strong> der Arbeitsmarkt<br />
in vielen Ländern als ein S<strong>ch</strong>lüsselelement<br />
für seinen Ausbau. Was wir als individuelle<br />
<strong>Mobilität</strong> empfinden, ist in Tat und Wahrheit<br />
ein strukturell getriebenes Bedürfnis.<br />
Ist die <strong>Mobilität</strong> eine Art von Grundre<strong>ch</strong>t?<br />
In man<strong>ch</strong>er Hinsi<strong>ch</strong>t ja, aber wie gesagt, das<br />
Re<strong>ch</strong>t auf <strong>Mobilität</strong> ist mit einer Eins<strong>ch</strong>ränkung<br />
verbunden: Sie besteht dort, wo die Jobs sind.<br />
Was ist mit den Mens<strong>ch</strong>en im Süden, die bei der<br />
<strong>Mobilität</strong> aufholen wollen? Hat jeder Mens<strong>ch</strong> auf<br />
diesem Planeten das Re<strong>ch</strong>t auf ein eigenes Auto?<br />
I<strong>ch</strong> würde eher von einem Re<strong>ch</strong>t auf <strong>Mobilität</strong><br />
spre<strong>ch</strong>en.<br />
Ein eigenes Auto s<strong>ch</strong>eint überall auf der Welt ein<br />
Symbol für persönli<strong>ch</strong>e Freiheit zu sein. Könnte si<strong>ch</strong><br />
das mögli<strong>ch</strong>erweise ändern? In den S<strong>ch</strong>weizer Städten<br />
besitzen heute weniger Mens<strong>ch</strong>en ein Auto als no<strong>ch</strong><br />
vor ein paar Jahren.<br />
Das ist gut für die S<strong>ch</strong>weizer. Mein Mann und<br />
i<strong>ch</strong> leben in zwei Städten – New York und London.<br />
Wir haben kein Auto, und das funktioniert<br />
prima. Wir nehmen Taxis, benutzen den öffentli<strong>ch</strong>en<br />
Verkehr, und i<strong>ch</strong> gehe viel zu Fuss. Leute,<br />
die mit dem Auto in der Stadt unterwegs sind,<br />
sagen mir oft: Das ist do<strong>ch</strong> viel zu weit, sol<strong>ch</strong>e<br />
Distanzen kann man unmögli<strong>ch</strong> zu Fuss gehen!<br />
Und dann entgegne i<strong>ch</strong>: Klar geht das – a<strong>ch</strong> dieser<br />
bourgeoise Heroismus.<br />
Autos stehen ni<strong>ch</strong>t nur für persönli<strong>ch</strong>e Freiheit,<br />
sondern au<strong>ch</strong> für den sozialen Status. Wie konnte das<br />
Auto in dieser Hinsi<strong>ch</strong>t eine derart universelle Rolle<br />
einnehmen?<br />
Ja, das ist erstaunli<strong>ch</strong>. Do<strong>ch</strong> Autos sind hö<strong>ch</strong>st<br />
si<strong>ch</strong>tbare Objekte – und sie werden mit sehr<br />
effizienten Marketingstrategien beworben. Zudem<br />
kann ein Auto au<strong>ch</strong> ein sehr s<strong>ch</strong>önes Objekt<br />
sein, das man gerne ans<strong>ch</strong>aut, berührt und<br />
natürli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> fährt. Es steckt viel Genuss in<br />
einem s<strong>ch</strong>önen Objekt, und obendrein kann ein<br />
Auto sehr nützli<strong>ch</strong> sein.<br />
Was halten Sie von der Forderung, wir sollten unser<br />
Leben ents<strong>ch</strong>leunigen – von der Slow-Food-Bewegung<br />
zum Beispiel?<br />
Dies ist von grosser Bedeutung. I<strong>ch</strong> entwickle<br />
ein verglei<strong>ch</strong>bares Projekt, das si<strong>ch</strong> so ums<strong>ch</strong>rei-<br />
Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong> > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />
ben liesse: Was würde es brau<strong>ch</strong>en, um einen<br />
mögli<strong>ch</strong>st grossen Teil unserer Wirts<strong>ch</strong>aft wieder<br />
zurückzubringen – in eine Region, in eine<br />
Stadt –, statt weiter Outsourcing zu betreiben<br />
und Waren von weit entfernten Orten zu bes<strong>ch</strong>affen.<br />
Wann wird die <strong>Mobilität</strong> vom Bedürfnis zur Last?<br />
In dieser Hinsi<strong>ch</strong>t verhält es si<strong>ch</strong> bei der <strong>Mobilität</strong><br />
glei<strong>ch</strong> wie mit vielen anderen Dingen. Bis zu<br />
einem gewissen Grad ist alles gut und wüns<strong>ch</strong>bar,<br />
und dann wird es problematis<strong>ch</strong>. Die grosse<br />
«Warum bauen wir ni<strong>ch</strong>t verdi<strong>ch</strong>tete Vorstädte,<br />
in denen die Leute mehr zu Fuss unterwegs<br />
sein können!»<br />
Ausdehnung der Vorstädte in den USA halte i<strong>ch</strong><br />
für einen problematis<strong>ch</strong>en Teil der <strong>Mobilität</strong>skurve.<br />
Warum bauen wir ni<strong>ch</strong>t verdi<strong>ch</strong>tete Vorstädte,<br />
in denen die Leute mehr zu Fuss unterwegs<br />
sein können!<br />
Sie sind berufli<strong>ch</strong> ständig rund um den Globus<br />
unterwegs. Empfinden Sie diese extreme <strong>Mobilität</strong><br />
als persönli<strong>ch</strong>e Freiheit oder als Last?<br />
Lästig sind die kurzen Flugreisen – reine Transaktionskosten.<br />
I<strong>ch</strong> mag lange Reisen im Zug<br />
oder im Flugzeug, aber sie müssen sehr komfortabel<br />
sein. Dann erlebe i<strong>ch</strong> das Reisen als<br />
Freiheitsraum, weil i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> dabei in einfa<strong>ch</strong>en<br />
Räumen aufhalte. Hier kann i<strong>ch</strong> so vieles ni<strong>ch</strong>t<br />
tun, das getan werden müsste, wenn i<strong>ch</strong> im<br />
Büro oder zuhause in meinem Arbeitszimmer<br />
wäre. Das Resultat dieser fundamentalen Qualität?<br />
I<strong>ch</strong> kann s<strong>ch</strong>reiben, Stunde um Stunde. Das<br />
fühlt si<strong>ch</strong> an wie Zeit stehlen.<br />
Die individuelle <strong>Mobilität</strong> bringt Kosten für die Gesells<strong>ch</strong>aft<br />
mit si<strong>ch</strong>: von Umwelts<strong>ch</strong>äden über Unfallopfer<br />
bis zu der in Staus vergeudeten Zeit. Lassen si<strong>ch</strong> diese<br />
Probleme mit te<strong>ch</strong>nologis<strong>ch</strong>em Forts<strong>ch</strong>ritt lösen, oder<br />
brau<strong>ch</strong>t es dazu gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Veränderungen?<br />
Diese Probleme lassen si<strong>ch</strong> lösen, und sie müssen<br />
gelöst werden. Mein Projekt, so viel wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e<br />
Aktivität wie mögli<strong>ch</strong> zurückzubringen,<br />
geht in diese Ri<strong>ch</strong>tung. Warum sollen<br />
wir die Herstellung von Tis<strong>ch</strong>en oder Puppen in<br />
weit entfernte Länder auslagern und dann damit<br />
um die halbe Welt reisen, wenn viele Mens<strong>ch</strong>en<br />
bei uns diese Arbeiten verri<strong>ch</strong>ten könnten? Als<br />
Volkswirts<strong>ch</strong>aft sparen wir dur<strong>ch</strong> das Auslagern<br />
kein Geld ein, denn die externen Kosten<br />
dur<strong>ch</strong> Umwelts<strong>ch</strong>äden wie die Vers<strong>ch</strong>mutzung<br />
von Luft und Ozeanen oder den Ressourcenver-<br />
31
au<strong>ch</strong> als Folge der Transporte trägt die Allgemeinheit.<br />
Zudem müssen au<strong>ch</strong> all die Arbeitslosen<br />
in den Industrieländern von der Gesells<strong>ch</strong>aft<br />
unterstützt werden – es sind ni<strong>ch</strong>t die Firmen,<br />
wel<strong>ch</strong>e dafür aufkommen. Wir müssen diese<br />
Art von ökonomis<strong>ch</strong>en Bere<strong>ch</strong>nungen ernst nehmen,<br />
sie bilden nämli<strong>ch</strong> die Grundlage einer<br />
ökologis<strong>ch</strong>en Wirts<strong>ch</strong>aft.<br />
«Es kann ni<strong>ch</strong>t sein, dass die<br />
Armen nur mit dem öffentli<strong>ch</strong>en<br />
Verkehr unterwegs sein dürfen,<br />
während die Mitglieder rei<strong>ch</strong>er<br />
Familien alle ihr eigenes Auto<br />
fahren.»<br />
Haben Regierungen das Re<strong>ch</strong>t, die individuelle <strong>Mobilität</strong><br />
zu bes<strong>ch</strong>ränken, um Umweltprobleme zu lösen –<br />
dur<strong>ch</strong> Quoten zum Beispiel?<br />
Ja, aber es muss so ges<strong>ch</strong>ehen, dass Leute mit<br />
Ma<strong>ch</strong>t und Geld ni<strong>ch</strong>t privilegiert werden. Es<br />
kann ni<strong>ch</strong>t sein, dass die Armen nur mit dem<br />
öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr unterwegs sein dürfen,<br />
während die Mitglieder rei<strong>ch</strong>er Familien alle ihr<br />
eigenes Auto fahren.<br />
Ihre Ansi<strong>ch</strong>ten sind von ganz unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Seiten<br />
gefragt: Sie treten sowohl am Parteitag der deuts<strong>ch</strong>en<br />
Grünen auf wie an Kongressen der Autoindustrie.<br />
Werden die ideologis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>euklappen in der <strong>Mobilität</strong>sdiskussion<br />
abgelegt?<br />
Da bin i<strong>ch</strong> mir ni<strong>ch</strong>t so si<strong>ch</strong>er. Es könnte eher<br />
ein Zei<strong>ch</strong>en dafür sein, dass i<strong>ch</strong> Dinge auf ungewohnte<br />
Weise zusammenbringe.<br />
In einem Ihrer Essays spre<strong>ch</strong>en Sie von der «Urbanisierung<br />
des Autos». Was meinen Sie damit?<br />
I<strong>ch</strong> fors<strong>ch</strong>e mit einem Stipendium von Audi. Die<br />
Firma betreibt eine Denkfabrik für Fragen zur<br />
Stadtentwicklung. Hier arbeiten Fa<strong>ch</strong>leute mit<br />
interessanten Ansi<strong>ch</strong>ten über neue Autokonzepte<br />
zusammen. Dabei geht es au<strong>ch</strong> um das Auto<br />
und die Stadt. Mein Ausgangspunkt ist, dass<br />
Städte auf die Te<strong>ch</strong>nologie zurückwirken. Ein<br />
Beispiel dieser Urbanisierung sind die neuen für<br />
Stadtzentren bestimmten, sehr kleinen Autos.<br />
Spannend finde i<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong>, dass die eigentli<strong>ch</strong><br />
für hohe Ges<strong>ch</strong>windigkeiten und lange Strecken<br />
konzipierten Fahrzeuge im di<strong>ch</strong>ten Stadtzentrum<br />
aufs Krie<strong>ch</strong>en reduziert werden. Die Stadt<br />
ist eine Art Lupe, mit deren Hilfe si<strong>ch</strong> erfolgrei<strong>ch</strong>e<br />
te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e Innovationen für urbane Syste-<br />
32<br />
me besser erkennen lassen. No<strong>ch</strong> gibt es bei der<br />
Urbanisierung des Autos mehr Fragen als Antworten.<br />
Eine Ri<strong>ch</strong>tung ist, neue forts<strong>ch</strong>rittli<strong>ch</strong>e<br />
<strong>Mobilität</strong>sräume zu s<strong>ch</strong>affen.<br />
Was müssen wir uns darunter vorstellen?<br />
Es geht um die Idee, dass <strong>Mobilität</strong>sangebote<br />
eher in Räumen eingebettet sein werden als in<br />
si<strong>ch</strong> bewegenden Fahrzeugen. Es existiert bereits<br />
eine ganze Palette von neuen Te<strong>ch</strong>nologien, wel<strong>ch</strong>e<br />
die Entwicklung von sol<strong>ch</strong>en Räumen fördern<br />
und die Rolle des Autos verändern könnten.<br />
Um zum Kern dieser Frage vorzustossen,<br />
müssen wir den urbanen Raum so betra<strong>ch</strong>ten,<br />
als ob wir selbst Städte wären. Es gilt, mit den<br />
vers<strong>ch</strong>iedenen Elementen zu jonglieren, die den<br />
urbanen Raum ausma<strong>ch</strong>en, und ihn aus mehreren<br />
Perspektiven zu betra<strong>ch</strong>ten. Diese Art von<br />
Analyse bewahrt uns davor, nur den te<strong>ch</strong>nologis<strong>ch</strong>en<br />
Ansatz im Auge zu behalten.<br />
Interview und Übersetzung: Kaspar Meuli<br />
Weiterführende Links unter<br />
www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/magazin<strong>2012</strong>-3-06<br />
Saskia Sassen. Die 1949 in Den Haag (NL) geborene<br />
Saskia Sassen studierte Politikwissens<strong>ch</strong>aften,<br />
Soziologie und Ökonomie. Sie ist Professorin an der<br />
Columbia University in New York und unterri<strong>ch</strong>tet<br />
au<strong>ch</strong> ander London S<strong>ch</strong>ool of Economics. Als Fors<strong>ch</strong>erin<br />
befasst sie si<strong>ch</strong> unter anderem mit Fragen<br />
der Globalisierung und deren Auswirkungen auf die<br />
Entwicklung von Städten. Saskia Sassen ist Mitglied<br />
des Club of Rome. Sie ist mit dem bekannten Soziologen<br />
Ri<strong>ch</strong>ard Sennet verheiratet. Ausgewählte<br />
Publikationen: Das Paradox des Nationalen. Territorium,<br />
Autorität und Re<strong>ch</strong>te im globalen Zeitalter (Suhrkamp,<br />
2008), Metropolen des Weltmarkts (Campus,<br />
2006), The Global City (Princeton University Press,<br />
1991) > www.saskiasassen.com<br />
umwelt 3/<strong>2012</strong> > Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong>
GÜTERTRANSPORT<br />
Zwei Paletten<br />
auf S<strong>ch</strong>weizer Reise<br />
Der Gütertransport gilt als Sorgenkind der umweltverträgli<strong>ch</strong>en <strong>Mobilität</strong>. Aber immer mehr<br />
Unternehmen verfolgen bei der Logistik au<strong>ch</strong> Klimaziele. Der Handlungsspielraum ist allerdings<br />
bes<strong>ch</strong>ränkt, wie die Reise von zwei Transportpaletten aus der Ost- in die Wests<strong>ch</strong>weiz zeigt.<br />
Rasend s<strong>ch</strong>nell sausen die bunt bedruckten Kartons<br />
dur<strong>ch</strong> die Falzmas<strong>ch</strong>ine. Wo Verpackungen<br />
für Medikamente gefaltet und geklebt werden,<br />
kommt das Auge ni<strong>ch</strong>t mehr mit. Dabei ist<br />
hö<strong>ch</strong>ste Präzision gefragt: «Man stelle si<strong>ch</strong> eine<br />
Verwe<strong>ch</strong>slung der Angaben für die Dosierungen<br />
vor», gibt Urs Metzler, stellvertretender Direktor<br />
der Druckerei K+D in St. Gallen, zu bedenken.<br />
«Das darf niemals passieren!» Die Kunden von<br />
K+D – zu 80 Prozent Pharmafirmen – verlangen<br />
ni<strong>ch</strong>t nur Zuverlässigkeit, au<strong>ch</strong> ihre logistis<strong>ch</strong>en<br />
Ansprü<strong>ch</strong>e sind ho<strong>ch</strong>: Die Ware muss «just in time»<br />
verfügbar sein. Die Kunds<strong>ch</strong>aft will ihre Verpackungen<br />
genau dann vor Ort, wenn sie gebrau<strong>ch</strong>t<br />
werden. Entspre<strong>ch</strong>end kurzfristig treffen die Bestellungen<br />
ein. Speditionsleiter Maher Ben Hedi<br />
weiss oft erst um die Mittagszeit, wel<strong>ch</strong>e Mengen<br />
an Kartons es no<strong>ch</strong> am selben Tag zu transportieren<br />
gibt. Umgehend liefert er die Aufträge deshalb<br />
an den Transporteur der Druckerei weiter.<br />
Die Erben von Cargo Domizil. Das Familienunternehmen<br />
Camion Transport aus S<strong>ch</strong>warzenba<strong>ch</strong> (SG)<br />
zählt mit seinen 500 Lastwagen und einem Jahresumsatz<br />
von knapp 200 Millionen Franken zu den<br />
ganz Grossen der Transportbran<strong>ch</strong>e. Hauptges<strong>ch</strong>äft<br />
ist die Spedition von Stückgut. So heissen Sendun-<br />
Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong> > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />
gen, die keinen ganzen Lastwagen füllen, sondern<br />
im Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nitt nur eine halbe Tonne wiegen –<br />
im S<strong>ch</strong>weizer Güterverkehr die mit Abstand wi<strong>ch</strong>tigste<br />
Kategorie. Die Camion Transport verfolgt<br />
ehrgeizige Ziele, ni<strong>ch</strong>t zuletzt im Umweltberei<strong>ch</strong>.<br />
Im Jahr 2010 hat sie si<strong>ch</strong> vorgenommen, S<strong>ch</strong>weizer<br />
Marktführer in der Transportökologie zu werden.<br />
Bis 2015 will sie ihren CO 2-Ausstoss um 5Prozent<br />
senken. Das klingt na<strong>ch</strong> wenig, do<strong>ch</strong> Vizedirektor<br />
Franz Meienhofer relativiert. «Wir starten von<br />
einem sehr hohen Niveau aus. Unsere Emissionen<br />
liegen s<strong>ch</strong>on heute um rund ein Viertel tiefer als<br />
bei den meisten Konkurrenten.»<br />
Franz Meienhofers Ökorezept ist das «duale System».<br />
Einst war es unter dem Namen Cargo Domizil<br />
Herzstück des Stückguttransports bei der SBB. Do<strong>ch</strong><br />
na<strong>ch</strong>dem Cargo Domizil jahrelang zweistellige<br />
Millionenverluste s<strong>ch</strong>rieb, wurde dieser Ges<strong>ch</strong>äftsberei<strong>ch</strong><br />
1996 an die drei Speditionsunternehmen<br />
Camion Transport, Galliker und Planzer verkauft.<br />
Diese haben daraus eine Perle moderner Logistik<br />
geformt. Im 2003 eröffneten Logistikzentrum der<br />
Camion Transport in S<strong>ch</strong>warzenba<strong>ch</strong> werden heute<br />
tägli<strong>ch</strong> bis zu 30 Bahnwaggons beladen, zusammen<br />
verladen die drei Unternehmen 250 Waggons pro<br />
Tag – 80 mehr als zu den besten Zeiten von Cargo<br />
Domizil.<br />
Von der Druckerei<br />
zum Bahnverlad …<br />
Bilder: Stefan Bohrer<br />
33
Umweltgere<strong>ch</strong>t mobil<br />
34<br />
Die Grossverteiler als Vorreiter. Der Gütertransport<br />
mit der Bahn spielt unter anderem bei Coop<br />
und Migros eine wi<strong>ch</strong>tige Rolle. Drei Viertel der<br />
Migros-Transporte von den nationalen in die regionalen<br />
Verteilzentren erfolgen auf der S<strong>ch</strong>iene,<br />
bei Coop sind es zwei Drittel. Mehr Bahn, da sind<br />
si<strong>ch</strong> Logistiker einig, ist kaum mögli<strong>ch</strong>, denn die<br />
Belieferung der Verkaufsstellen erfolgt notgedrungen<br />
praktis<strong>ch</strong> auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> per Lastwagen. Beide<br />
Grossverteiler haben in den vergangenen Jahren<br />
bei der umweltgere<strong>ch</strong>ten Logistik einiges errei<strong>ch</strong>t.<br />
Nun, so sagen sie, seien grosse Sprünge ni<strong>ch</strong>t mehr<br />
mögli<strong>ch</strong>, nur no<strong>ch</strong> Optimierungen. Au<strong>ch</strong> der Leistungsausweis<br />
der Post kann si<strong>ch</strong> sehen lassen: Pakete<br />
und Briefe werden zwis<strong>ch</strong>en den Logistikzentren<br />
auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> per Bahn transportiert. Die Briefzustellung<br />
erfolgt in der S<strong>ch</strong>weiz dank dem Kauf von<br />
Emissionszertifikaten CO 2-neutral, und bis 2016<br />
sollen im Zustelldienst nur no<strong>ch</strong> Elektromopeds<br />
unterwegs sein. Laut Post<strong>ch</strong>ef Jürg Bu<strong>ch</strong>er re<strong>ch</strong>nen<br />
si<strong>ch</strong> diese Massnahmen au<strong>ch</strong> ökonomis<strong>ch</strong>.<br />
Wer als Firma oder als Privatperson die Na<strong>ch</strong>haltigkeit der eigenen <strong>Mobilität</strong><br />
unter die Lupe nehmen will, findet im Internet diverse Hilfsmittel:<br />
www.mobitool.<strong>ch</strong>: Das mit Unterstützung des BFE entwickelte Arbeitsinstrument<br />
für Unternehmen bietet vom ras<strong>ch</strong>en Überblick bis zur vertieften<br />
Analyse dur<strong>ch</strong> Fa<strong>ch</strong>leute alles für den <strong>Mobilität</strong>s<strong>ch</strong>eck.<br />
www.ecotransit.org: Das von vers<strong>ch</strong>iedenen europäis<strong>ch</strong>en Bahnen entwickelte<br />
umfassende Tool ermögli<strong>ch</strong>t Disponenten einen detaillierten Verglei<strong>ch</strong><br />
der Umweltbelastungen vers<strong>ch</strong>iedener Verkehrsmittel auf einer bestimmten<br />
Transportroute.<br />
www.ecopassenger.org: Dieses ausgezei<strong>ch</strong>nete Hilfsmittel für Private kombiniert<br />
Fahrplan, Reisezeit und CO 2Belastung für jede beliebige Route. Dabei<br />
ist die eine oder andere Überras<strong>ch</strong>ung mögli<strong>ch</strong>: Auf langen Strecken<br />
gewinnt ni<strong>ch</strong>t immer der Zug – vollbesetzte Ökoautos halten bei der Umweltbilanz<br />
dur<strong>ch</strong>aus gegen einen ICE mit.<br />
www.mobilitaetsdur<strong>ch</strong>blick.<strong>ch</strong>: Der Online<strong>ch</strong>eck für die private <strong>Mobilität</strong> erlaubt<br />
den Verglei<strong>ch</strong> vers<strong>ch</strong>iedener Transportmittel und zeigt das Verbesserungspotenzial<br />
auf.<br />
In einem Grossraumbüro der Camion Transport<br />
in S<strong>ch</strong>warzenba<strong>ch</strong> dirigieren Disponentinnen<br />
und Disponenten die Lastwagenflotte<br />
des Unternehmens. Dabei lotsen sie jedes Fahrzeug<br />
so, dass es mögli<strong>ch</strong>st effizient unterwegs<br />
ist. Dafür sind drei Kriterien auss<strong>ch</strong>laggebend:<br />
freie Ladekapazität, Nähe zum Kunden und zeitli<strong>ch</strong>e<br />
Verfügbarkeit. Aus diesen Überlegungen<br />
wird beispielsweise Eraldo Braun zur Druckerei<br />
K+D in St. Gallen beordert. Um 13.30 Uhr trifft<br />
der Chauffeur mit seinem Anhängerzug dort ein.<br />
Seit 6 Uhr morgens ist er unterwegs und hat s<strong>ch</strong>on<br />
drei Destinationen angefahren. Sein 36-Tönner<br />
erfüllt die neue Abgasnorm Euro V. Trotzdem verbrau<strong>ch</strong>t<br />
der LKW mit dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong> 31 Litern<br />
ni<strong>ch</strong>t viel weniger Diesel als die Fahrzeuge, mit<br />
denen Eraldo Braun zu Beginn seiner Karriere vor<br />
40 Jahren unterwegs war.<br />
Umladen im Morgengrauen. Um 14.30 Uhr sind<br />
die fris<strong>ch</strong> gedruckten Medikamentenverpackungen<br />
verladen und bereit für die Reise von<br />
St. Gallen zu einem Pharmaunternehmen in der<br />
Wests<strong>ch</strong>weiz. Erste Station ist das Logistikzentrum<br />
der Camion Transport in S<strong>ch</strong>warzenba<strong>ch</strong>.<br />
Dort manövriert Eraldo Braun seinen Laster in<br />
eine Verladebu<strong>ch</strong>t. Ein Hubstapler verfra<strong>ch</strong>tet<br />
die beiden Paletten der Druckerei K+D in<br />
einen mit Codes gekennzei<strong>ch</strong>neten Bahnwaggon.<br />
Dessen Ziel ist das Cargo-Ums<strong>ch</strong>lagcenter<br />
CTL in Lausanne. Um 21.45 Uhr fährt der Güterzug<br />
in S<strong>ch</strong>warzenba<strong>ch</strong> ab. Von nun an ist die<br />
SBB für den Transport zuständig. Die Reise führt<br />
na<strong>ch</strong> Olten (SO). Dort treffen si<strong>ch</strong> die aus den<br />
14 S<strong>ch</strong>weizer Logistikzentren angereisten Lokomotivführer<br />
zu einem gemeinsamen Mitterna<strong>ch</strong>tskaffee.<br />
In dieser Zeit werden die Güterwaggons<br />
neu zusammengestellt, worauf die fris<strong>ch</strong> beladenen<br />
Züge wieder an ihren Ursprungsort zurückfahren<br />
– zum Beispiel na<strong>ch</strong> Lausanne. Dort<br />
beginnt in den frühen Morgenstunden das Umladen<br />
auf Lastwagen. Die Pharmaverpackungen aus<br />
St. Gallen sind für eine Fabrik in Nyon (VD) bestimmt<br />
– aus logistis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t ein Katzensprung.<br />
Um 6.15 Uhr belädt ein Chauffeur sein Fahrzeug<br />
umwelt 3/<strong>2012</strong> > Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong>
mit mehreren für Nyon bestimmten Sendungen.<br />
Um 8.30 Uhr sind die zwei Paletten von K+D an<br />
ihrem Ziel.<br />
Insgesamt hat die kombinierte Reise auf Strasse<br />
und S<strong>ch</strong>iene 18 Stunden gedauert. Dies ist ein<br />
Mehrfa<strong>ch</strong>es der direkten Lastwagenfahrt von der<br />
Ost- in die Wests<strong>ch</strong>weiz, do<strong>ch</strong> die Klimabilanz lässt<br />
si<strong>ch</strong> sehen. So beträgt die CO 2-Belastung der beiden<br />
transportierten Paletten mit Medikamentenkartons<br />
16,2 Kilogramm, wie die Disponenten der Camion<br />
Transport mit ihrer EcoBalance-Software bere<strong>ch</strong>net<br />
haben. Dank der Bahn sind es 19,6 Kilogramm<br />
CO 2 weniger als bei einer Fahrt auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> mit<br />
dem Lastwagen. Zählt man alle von Camion Transport<br />
gelieferten Güter zusammen, hat das Unternehmen<br />
seinen CO 2-Ausstoss mit dem dualen System<br />
um 25 Prozent reduziert. «Damit stossen wir<br />
an die Grenzen unserer Mögli<strong>ch</strong>keiten», sagt Franz<br />
Meienhofer. Aus diesem Grund sind die aktuellen<br />
Reduktionsziele der Firma eher bes<strong>ch</strong>eiden. Do<strong>ch</strong><br />
mittelfristig existiere dur<strong>ch</strong>aus Sparpotenzial –<br />
vor allem dank energieeffizienteren Fahrzeugen.<br />
Bei einer Umstellung auf Hybrid- oder Erdgas-Lastwagen<br />
re<strong>ch</strong>net Franz Meienhofer mit einer zusätzli<strong>ch</strong>en<br />
CO 2-Reduktion um 20 bis 30 Prozent. No<strong>ch</strong><br />
sei die dazu nötige umwelts<strong>ch</strong>onende Antriebste<strong>ch</strong>nologie<br />
aber ni<strong>ch</strong>t serienreif.<br />
Ökobilanzre<strong>ch</strong>ner s<strong>ch</strong>affen Transparenz. Die Firma Camion<br />
Transport gibt Öko-Informationen direkt an<br />
ihre Kunden weiter. Mithilfe des EcoBalance-Systems<br />
werden sie über die Umweltbelastung jeder<br />
einzelnen Sendung informiert und erhalten Ende<br />
Jahr eine detaillierte Bilanz der verursa<strong>ch</strong>ten CO 2-<br />
Emissionen. «So transparent soll es für den Kunden<br />
sein», lobt Harald Jenk von der BAFU-Sektion<br />
Verkehr. Tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ist Transparenz ni<strong>ch</strong>t immer<br />
einfa<strong>ch</strong> zu gewährleisten. Das Bundesamt für Umwelt<br />
arbeitet deshalb an europaweit geltenden<br />
Ökobilanznormen für den Verkehr mit. Immerhin<br />
lassen si<strong>ch</strong> die Umweltbelastungen vers<strong>ch</strong>iedener<br />
Verkehrsmittel im Personen- und Güterverkehr<br />
dank einer Reihe von Ökobilanzre<strong>ch</strong>nern bereits<br />
heute einfa<strong>ch</strong> miteinander verglei<strong>ch</strong>en. Die<br />
St. Galler Druckerei K+D, wel<strong>ch</strong>e ihren Gütertrans-<br />
Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong> > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />
port ganz ausgelagert hat, konnte die CO 2-Emissionen<br />
mit dem dualen Systems im Jahr 2011 um 19<br />
Prozent oder 18,5 Tonnen reduzieren. Diese bea<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e<br />
Einsparung entspri<strong>ch</strong>t dem CO 2-Ausstoss<br />
eines Mittelklasseautos auf einer Strecke von rund<br />
120 000 Kilometern. Trotz der umweltfreundli<strong>ch</strong>eren<br />
Logistik haben si<strong>ch</strong> die Transportkosten für<br />
K+D ni<strong>ch</strong>t verteuert.<br />
Die Strasse holt auf. No<strong>ch</strong> gilt für die umweltgere<strong>ch</strong>te<br />
<strong>Mobilität</strong> von Gütern die Devise: Mögli<strong>ch</strong>st viel<br />
S<strong>ch</strong>iene, mögli<strong>ch</strong>st wenig Strasse! Künftig könnte<br />
si<strong>ch</strong> dies – zumindest tendenziell – ändern. Die<br />
vom Bundesamt für Verkehr (BAV) in Auftrag gegebene<br />
Studie «ÖV und Umwelt. Herausforderungen<br />
und Handlungsbedarf» kommt zum S<strong>ch</strong>luss,<br />
dass der Gütertransport auf der Strasse seinen<br />
Umweltna<strong>ch</strong>teil gegenüber der S<strong>ch</strong>iene in den<br />
kommenden zwei Jahrzehnten wettma<strong>ch</strong>en dürfte<br />
– sei es auf freiwilliger Basis oder als Folge neuer<br />
Vors<strong>ch</strong>riften. Dies gilt insbesondere für die Reduktion<br />
der Stickoxide (NOX) und Russrückstände (PM)<br />
in den Abgasen. «Beim CO 2 sind allerdings keine<br />
Wunder zu erwarten», erklärt Verkehrsspezialist<br />
Harald Jenk. «Wä<strong>ch</strong>st das Transportvolumen wie<br />
erwartet weiter, ist beim Güterverkehr s<strong>ch</strong>on die<br />
Stabilisierung der heutigen CO 2-Emissionen ein<br />
Erfolg.»<br />
Die Firma K+D hat si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t etwa bewusst für<br />
den kombinierten Gütertransport ents<strong>ch</strong>ieden: Bei<br />
der Wahl der Speditionsfirma zählte vor allem die<br />
Pünktli<strong>ch</strong>keit, wie der stellvertretende Direktor Urs<br />
Metzler erklärt. Allein aufgrund der umweltgere<strong>ch</strong>teren<br />
Logistik liessen si<strong>ch</strong> keine zusätzli<strong>ch</strong>en Aufträge<br />
an Land ziehen. Do<strong>ch</strong> wie Beispiele aus anderen<br />
Wirts<strong>ch</strong>aftszweigen zeigen, a<strong>ch</strong>tet ni<strong>ch</strong>t nur<br />
die Kunds<strong>ch</strong>aft vermehrt auf die Ökobilanz, au<strong>ch</strong><br />
immer mehr Unternehmen sind bemüht, si<strong>ch</strong> ökologis<strong>ch</strong><br />
vorbildli<strong>ch</strong> zu verhalten. Unter ihnen gibt<br />
es viele potenzielle Kunden für die Vorreiter einer<br />
umweltfreundli<strong>ch</strong>en Gütermobilität.<br />
Urs Fitze<br />
Weiterführende Links unter<br />
www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/magazin<strong>2012</strong>-3-07<br />
KONTAKT<br />
Harald Jenk<br />
Sektion Verkehr<br />
BAFU<br />
031 322 93 50<br />
harald.jenk@bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />
35
Vor Ort<br />
36<br />
ZG<br />
Intelligente Leu<strong>ch</strong>ten<br />
Seit Anfang <strong>2012</strong> testet die Gemeinde Baar<br />
(ZG) eine intelligente Strassenbeleu<strong>ch</strong>tung.<br />
Auf einem rund 600 Meter langen Fuss- und<br />
Radweg haben die Verantwortli<strong>ch</strong>en 20 LED-<br />
Leu<strong>ch</strong>ten mit einer Leistung von je 29 Watt<br />
installiert. Im Normalzustand sind die Lampen<br />
auf 10 Prozent der Leistung gedimmt. Ihre<br />
volle Leu<strong>ch</strong>tkraft entfalten sie erst, wenn si<strong>ch</strong><br />
ein Velofahrer oder eine Fussgängerin nähert.<br />
Mit Kontrasterkennung operierende Sensoren<br />
können Tiere von Mens<strong>ch</strong>en, Velos oder Autos<br />
unters<strong>ch</strong>eiden. Sie registrieren den Verkehrsteilnehmer<br />
und geben das Signal per Funkverbindung<br />
an die nä<strong>ch</strong>ste Leu<strong>ch</strong>te weiter. So bewegen<br />
si<strong>ch</strong> Radfahrerinnen oder Spaziergänger<br />
auf einem vorauseilenden Li<strong>ch</strong>tteppi<strong>ch</strong>. Stellen<br />
die Sensoren keine Bewegung mehr fest, fahren<br />
die Leu<strong>ch</strong>ten ihre Leistung zurück. Damit<br />
soll bei der Strassenbeleu<strong>ch</strong>tung eine Energieeinsparung<br />
von rund 60 Prozent mögli<strong>ch</strong><br />
sein, und glei<strong>ch</strong>zeitig fallen die unerwüns<strong>ch</strong>ten<br />
Li<strong>ch</strong>timmissionen geringer aus.<br />
> Paul Langenegger, Bauvorsteher, Baar,<br />
041 769 04 30, paul.langenegger@baar.<strong>ch</strong><br />
ZH<br />
Mit Pilzen gegen Zecken<br />
Bei der Bekämpfung von Zecken kommen konventionelle<br />
Methoden – etwa der Einsatz von<br />
Pestiziden – im empfindli<strong>ch</strong>en Ökosystem des<br />
Waldes ni<strong>ch</strong>t in Frage. Ers<strong>ch</strong>wert wird die Su<strong>ch</strong>e<br />
na<strong>ch</strong> biologis<strong>ch</strong>en Massnahmen dadur<strong>ch</strong>,<br />
dass Zecken erstaunli<strong>ch</strong>e Überlebenskünstler<br />
sind – eine einzige Blutmahlzeit rei<strong>ch</strong>t ihnen<br />
für mehrere Monate. Zudem haben sie kaum<br />
natürli<strong>ch</strong>e Feinde. Nun haben Fors<strong>ch</strong>ende der<br />
Zür<strong>ch</strong>er Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ule für Angewandte Wissens<strong>ch</strong>aften<br />
(ZHAW) eine Zecke mit einem tödli<strong>ch</strong>en<br />
Pilzbefall entdeckt. Interessant dabei ist,<br />
dass Pilze aus derselben Gattung (Beauveria<br />
bassiana) bereits zur Bekämpfung von Maikäfern<br />
und Kirs<strong>ch</strong>fru<strong>ch</strong>tfliegen eingesetzt werden.<br />
Im Rahmen eines dreijährigen Fors<strong>ch</strong>ungsprojekts<br />
will man die biologis<strong>ch</strong>e Zeckenbekämpfung<br />
mittels Pilzen nun weiter untersu<strong>ch</strong>en.<br />
> Thomas Hufs<strong>ch</strong>mid, Life Sciences und Facility<br />
Management, ZHAW, 058 934 56 77,<br />
thomas.hufs<strong>ch</strong>mid@zhaw.<strong>ch</strong>, www.zhaw.<strong>ch</strong><br />
BE<br />
Neue Aareinsel<br />
zVg<br />
Im Berner Seeland ist bei Niederried und Radelfingen<br />
eine neue Gewässerlands<strong>ch</strong>aft ent-<br />
standen. Auf einer 6,5 Hektaren grossen Flä<strong>ch</strong>e,<br />
die 13 Fussballfeldern entspri<strong>ch</strong>t, hat man<br />
eine Insel und einen neuen Seitenarm der Aare<br />
gebaut. Die 221 Meter lange und 40 Meter<br />
breite Aareinsel sowie das 370 Meter lange<br />
Seitengerinne haben den vormals glei<strong>ch</strong>förmigen,<br />
strukturarmen Flusslauf verändert. Mit<br />
der Zeit soll hier ein vielfältiger Lebensraum<br />
für Tiere wie Äs<strong>ch</strong>en, Eisvögel oder Biber und<br />
für Pflanzen wie S<strong>ch</strong>warzpappeln entstehen.<br />
Für die Baukosten von 2,7 Millionen Franken<br />
kamen der Kanton Bern, der kantonale Renaturierungsfonds<br />
und der Ökofonds der BKW FMB<br />
Energie AG auf.<br />
> Peter Hässig, Präsident des Ökofonds der BKW,<br />
031 330 51 11, peter.haessig@bkw-fmb.<strong>ch</strong><br />
AG<br />
Naturstreifzug dur<strong>ch</strong> Baden<br />
Eine originelle Führung dur<strong>ch</strong> die Wälder und<br />
das Siedlungsgrün von Baden (AG) bietet der<br />
vom Stadtforstamt und der Stadtökologie lancierte<br />
Audioguide «Ohren auf – Natur erzählt!».<br />
Während eines Spaziergangs – von der Baldegg<br />
dur<strong>ch</strong> den Wald hinein in die Stadt und<br />
dana<strong>ch</strong> aufwärts zu den Reben am Ennetbadener<br />
Geissberg – passiert man 19 Posten, wo<br />
über eine Gratisnummer per Handy zu erfahren<br />
ist, was es vor Ort zu sehen und zu hören gibt.<br />
Thematisiert werden die Arbeit des Försters,<br />
Waldlebewesen, wi<strong>ch</strong>tige Waldbäume, die<br />
Forstwirts<strong>ch</strong>aft in früheren Zeiten, aber au<strong>ch</strong><br />
die Stadtnatur, die Vielfalt der Trockenwiesen<br />
im Gebiet S<strong>ch</strong>artenfels und die illustren Gäste<br />
des Kurhauses Baden im 19.Jahrhundert. Der<br />
Spaziergang dauert knapp vier Stunden.<br />
> www.wald.baden.<strong>ch</strong>/audioguide<br />
LU<br />
Erste Anlage «frisst»<br />
S<strong>ch</strong>wemmholz<br />
Ein Ho<strong>ch</strong>wasser hat 2005 in den Gebieten der<br />
Kleinen Emme und der Reuss S<strong>ch</strong>äden von<br />
umwelt 3/<strong>2012</strong>
und 345 Millionen Franken angeri<strong>ch</strong>tet. Als<br />
Reaktion darauf initiierte der Kanton Luzern<br />
das Projekt «Ho<strong>ch</strong>wassers<strong>ch</strong>utz und Renaturierung<br />
Kleine Emme und Reuss». Zusammen<br />
mit den Kantonen Aargau, Züri<strong>ch</strong> und Zug realisierte<br />
er dabei unter anderem an der Kleinen<br />
Emme in Ettisbühl auf dem Gemeindegebiet<br />
von Malters (LU) die s<strong>ch</strong>weizweit erste Grossanlage<br />
zur S<strong>ch</strong>wemmholzentfernung. Sie kann<br />
einem Ho<strong>ch</strong>wasser führenden Fluss bis zu zwei<br />
Drittel des S<strong>ch</strong>wemmholzes entnehmen. Dazu<br />
ist das Flussbett der Kleinen Emme in Ettisbühl<br />
um 60 Meter verbreitert worden. Das anfallende<br />
S<strong>ch</strong>wemmholz wird damit aus dem Hauptgerinne<br />
zur Holzrückhalteanlage getrieben. Ab<br />
einem Ho<strong>ch</strong>wasser von rund 250 Kubikmetern<br />
pro Sekunde wird die Stauklappe des Ausleitbauwerks<br />
geöffnet und so ein Teil des Ho<strong>ch</strong>wassers<br />
mit dem mitgeführten S<strong>ch</strong>wemmholz<br />
in den Holzrückhalteraum abgeleitet. Dort<br />
fangen Re<strong>ch</strong>en das Holz auf. Die Anlage ist<br />
mit einem neuen Kleinwasserkraftwerk gekoppelt,<br />
das jährli<strong>ch</strong> 4,5 Millionen Kilowattstunden<br />
Strom produzieren soll.<br />
> Albin S<strong>ch</strong>midhauser, Verkehr und Infrastruktur,<br />
albin.s<strong>ch</strong>midhauser@lu.<strong>ch</strong>,<br />
www.ho<strong>ch</strong>wassers<strong>ch</strong>utz-emme-reuss.lu.<strong>ch</strong><br />
umwelt 3/<strong>2012</strong><br />
CH<br />
Der ÖSL-Check<br />
Ob in Form von sauberem Trinkwasser, als<br />
S<strong>ch</strong>utz vor Naturgefahren, als Grundlage für<br />
die landwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Produktion oder zur<br />
Erholung im Freien: Alle profitieren von den<br />
zVg<br />
Leistungen unserer Umwelt und ihrer Ökosysteme.<br />
Do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t jeder, der diese Ökosystemleistungen<br />
in Anspru<strong>ch</strong> nimmt, ist si<strong>ch</strong> dessen<br />
bewusst. Dies liegt au<strong>ch</strong> daran, dass sie oft<br />
kostenlos sind. In den vers<strong>ch</strong>iedenen Prozessen<br />
der räumli<strong>ch</strong>en Planung hat es bisher an<br />
einer systematis<strong>ch</strong>en Berücksi<strong>ch</strong>tigung der<br />
Ökosystemleistungen gemangelt. Dies soll si<strong>ch</strong><br />
nun ändern: Eine gemeinsam vom BAFU und<br />
der Eidgenössis<strong>ch</strong>en Te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ule<br />
(ETH) Züri<strong>ch</strong> konzipierte Arbeitshilfe zeigt<br />
auf, wie sol<strong>ch</strong>e Leistungen in der Planung von<br />
Projekten und Prozessen in der Lands<strong>ch</strong>aft berücksi<strong>ch</strong>tigt<br />
und ges<strong>ch</strong>ützt werden können. Das<br />
Online-Instrument eignet si<strong>ch</strong> etwa für die Erarbeitung<br />
von Leitbildern, Lands<strong>ch</strong>aftsentwicklungskonzepten<br />
(LEK) oder Umweltverträgli<strong>ch</strong>keitsprüfungen<br />
(UVP).<br />
> Roger Keller, Abteilung Arten, Ökosysteme,<br />
Lands<strong>ch</strong>aften, BAFU, 031 322 15 16,<br />
roger.keller@bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>;<br />
http://oesl-<strong>ch</strong>eck.ethz.<strong>ch</strong><br />
ZH<br />
Intelligente Fassaden<br />
Fors<strong>ch</strong>ende der Eidgenössis<strong>ch</strong>en Te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en<br />
Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ule Züri<strong>ch</strong> (ETHZ) entwickeln eine modulare,<br />
adaptive Fassade, die si<strong>ch</strong> automatis<strong>ch</strong><br />
an Energie, Li<strong>ch</strong>t- und Temperaturbedürfnisse<br />
anpasst und daneben au<strong>ch</strong> einen ar<strong>ch</strong>itektonis<strong>ch</strong>en<br />
Gestaltungsspielraum ermögli<strong>ch</strong>t. Je<br />
na<strong>ch</strong> äusseren Bedingungen und vorgegebenen<br />
Zielen kann die Fassade Energie gewinnen,<br />
bes<strong>ch</strong>atten oder die Li<strong>ch</strong>tverhältnisse im<br />
zVg<br />
Raum anpassen. Voraussetzung dafür ist ein<br />
komplexes Zusammenspiel von Sensoren und<br />
Informationste<strong>ch</strong>nik.<br />
> Prof. Dr.Arno S<strong>ch</strong>lüter, ETH Züri<strong>ch</strong>,<br />
s<strong>ch</strong>lueter@ar<strong>ch</strong>.ethz.<strong>ch</strong>, www.suat.ar<strong>ch</strong>.ethz.<strong>ch</strong><br />
BS/SG/BE/GE<br />
Fahren mit Wasserstoff<br />
zVg<br />
Von 2009 bis Anfang <strong>2012</strong> ist auf Basels Strassen<br />
ein wasserstoffbetriebenes Kehrfahrzeug<br />
erprobt worden. Das unter anderem von der<br />
Eidgenössis<strong>ch</strong>en Materialprüfungs- und Fors<strong>ch</strong>ungsanstalt<br />
(Empa) sowie vom Paul S<strong>ch</strong>errer<br />
Institut (PSI) konzipierte Pilotfahrzeug soll den<br />
Wasserstoffantrieb «vom Labor auf die Strasse»<br />
bringen. Wie der Versu<strong>ch</strong> zeigt, spart Wasserstoff<br />
als Treibstoff für Kommunalfahrzeuge<br />
Energie, s<strong>ch</strong>ont die Umwelt, und der Betrieb<br />
ist au<strong>ch</strong> te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>bar. Gegenüber Dieselfahrzeugen<br />
wird der Energieverbrau<strong>ch</strong> um<br />
mehr als die Hälfte reduziert, und bei den CO 2-<br />
Emissionen s<strong>ch</strong>neidet das Fahrzeug – selbst bei<br />
einer fossilen Produktion des Wasserstoffs – um<br />
rund 40 Prozent besser ab. Um rentabel zu sein,<br />
müssen Brennstoffzelle, Druckspei<strong>ch</strong>ertank und<br />
Elektroantrieb allerdings no<strong>ch</strong> deutli<strong>ch</strong> günstiger<br />
werden. Das Fahrzeug ist nun no<strong>ch</strong> bis September<br />
<strong>2012</strong> auf St.Gallens Strassen unterwegs.<br />
Dana<strong>ch</strong> folgen weitere Praxistests in Bern und<br />
Onex (GE).<br />
> Christian Ba<strong>ch</strong>, Abteilung Verbrennungsmotoren,<br />
Empa, 058 765 41 37, <strong>ch</strong>ristian.ba<strong>ch</strong>@empa.<strong>ch</strong><br />
37
21 Aufgaben für das 21. Jahrhundert<br />
Der fünfte, globale UNO-Beri<strong>ch</strong>t über den Zustand der Umwelt<br />
(www.unep.org/geo), an dessen Erarbeitung au<strong>ch</strong> die<br />
S<strong>ch</strong>weiz beteiligt war, s<strong>ch</strong>lägt Alarm: Laut GEO-5 sind die<br />
derzeit beoba<strong>ch</strong>teten Umweltveränderungen beispiellos in<br />
der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Mens<strong>ch</strong>heit. Massnahmen für den Klimas<strong>ch</strong>utz<br />
oder zur Steigerung der Ressourceneffizienz hätten<br />
wohl Verbesserungen gebra<strong>ch</strong>t, do<strong>ch</strong> seien weitere S<strong>ch</strong>ritte<br />
nötig. Dies gilt insbesondere für die Berei<strong>ch</strong>e Klimawandel<br />
und Biodiversität sowie für Massnahmen zur Ents<strong>ch</strong>ärfung<br />
der Wasser-, Abfall- und Chemikalienproblematik. Ansonsten<br />
entstünden unumkehrbare S<strong>ch</strong>äden an den globalen<br />
Ökosystemen. Aufgrund der aktuellen Bestandesaufnahme<br />
formuliert der Beri<strong>ch</strong>t die wi<strong>ch</strong>tigsten «21 Aufgaben für das<br />
21. Jahrhundert».<br />
Gemäss GEO-5 ist das heute unübersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e System der<br />
internationalen Umweltpolitik zu wenig effizient, um die anstehenden<br />
Probleme zu lösen. Zudem fehle es der internationalen<br />
Umweltpolitik an Transparenz und vielerorts au<strong>ch</strong> an<br />
demokratis<strong>ch</strong>er Abstützung. Die zweite grosse Herausforderung<br />
betrifft die Grüne Wirts<strong>ch</strong>aft. Um sie umsetzen zu können,<br />
müsse unter anderem in die Aus- und Weiterbildung<br />
investiert werden. Die dritte grosse Aufgabe sei die Lebensmittel-<br />
und Ernährungssi<strong>ch</strong>erung für 9 Milliarden Mens<strong>ch</strong>en.<br />
Dazu bedürfe es umfassender Frühwarnsysteme, einer effizienteren<br />
landwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Produktion, der Unterstützung<br />
von Kleinbauern und einer Reduktion der Vers<strong>ch</strong>wendung<br />
von Nahrungsmitteln.<br />
38<br />
Nicolas Perritaz<br />
Sektion Europa, Handel und<br />
Entwicklungszusammenarbeit, BAFU<br />
031 325 81 40<br />
nicolas.perritaz@bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />
Wi<strong>ch</strong>tige Termine der internationalen Umweltpolitik<br />
3.–7. September <strong>2012</strong>:<br />
Treffen des zwis<strong>ch</strong>enstaatli<strong>ch</strong>en<br />
Verhandlungsauss<strong>ch</strong>usses für<br />
eine europäis<strong>ch</strong>e Waldkonvention<br />
(INC2) in Bonn (Deuts<strong>ch</strong>land)<br />
17.–21. September <strong>2012</strong>:<br />
Sitzung der Konferenz für<br />
ein internationales Chemikalien-Management<br />
(SAICM)<br />
in Nairobi (Kenia)<br />
International<br />
Wertvolle Feu<strong>ch</strong>tgebiete s<strong>ch</strong>ützen<br />
Feu<strong>ch</strong>tgebiete wie Mangroven, Korallenriffe, Moore, Seeund<br />
Flusslands<strong>ch</strong>aften sind unverzi<strong>ch</strong>tbar für die Erhaltung<br />
der Biodiversität, die Versorgung mit Trinkwasser und die<br />
Dämpfung von Ho<strong>ch</strong>wasserspitzen. Ihr weltweiter S<strong>ch</strong>utz ist<br />
im Ramsar-Übereinkommen von 1975 geregelt. Hauptzweck<br />
dieser Konvention ist die Bezei<strong>ch</strong>nung der international bedeutenden<br />
Feu<strong>ch</strong>tgebiete – und die damit verbundene Verpfli<strong>ch</strong>tung<br />
der jeweiligen Regierungen zu einer na<strong>ch</strong>haltigen<br />
Bewirts<strong>ch</strong>aftung. Inzwis<strong>ch</strong>en sind 2040 sol<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>utzgebiete<br />
mit einer Gesamtflä<strong>ch</strong>e von über 193 Millionen Hektaren<br />
anerkannt.<br />
In der ersten Julihälfte <strong>2012</strong> haben si<strong>ch</strong> 115 der insgesamt<br />
162 Mitgliedstaaten in der rumänis<strong>ch</strong>en Hauptstadt Bukarest<br />
zur 11. Vertragsparteienkonferenz getroffen. Bei den Verhandlungen<br />
ging es unter anderem um die Entwicklung von<br />
Synergien mit weiteren internationalen Abkommen, um die<br />
Verhinderung und Kompensation von Verlusten an Feu<strong>ch</strong>tgebieten<br />
sowie um die Auswirkungen des Klimawandels<br />
auf diese Ökosysteme. Die S<strong>ch</strong>weizer Delegation hat einen<br />
Vors<strong>ch</strong>lag eingebra<strong>ch</strong>t, der in sol<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>utzzonen mögli<strong>ch</strong>st<br />
verantwortungsvolle Investitionen fördern soll. Ziel<br />
ist, dass mit öffentli<strong>ch</strong>en oder privaten Geldern finanzierte<br />
Projekte die Feu<strong>ch</strong>tgebiete weder ökologis<strong>ch</strong> beeinträ<strong>ch</strong>tigen<br />
no<strong>ch</strong> die Lebensbedingungen der dort vorkommenden Arten<br />
vers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tern dürfen.<br />
Sibylle Vermont<br />
Sektion Globales<br />
BAFU<br />
031 322 85 47<br />
sibylle.vermont@bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />
24.–28. September <strong>2012</strong>:<br />
Treffen des internationalen<br />
Auss<strong>ch</strong>usses für Forstwirts<strong>ch</strong>aft<br />
der FAO in Rom (Italien)<br />
1.–12. Oktober <strong>2012</strong>:<br />
Vertragsparteienkonferenzen<br />
des Protokolls von Cartagena<br />
und der Biodiversitäts-Konvention<br />
in Hyderabad (Indien)<br />
umwelt 3/<strong>2012</strong>
WALDBIODIVERSITäT<br />
Waldreservate für 20 000 Arten<br />
Bis 2030 wollen Bund und Kantone auf 10 Prozent der S<strong>ch</strong>weizer Waldflä<strong>ch</strong>e Reservate einri<strong>ch</strong>ten.<br />
Da viele Kantone entspre<strong>ch</strong>ende Anstrengungen unternehmen, wird dieses Ziel wohl errei<strong>ch</strong>t, wie eine<br />
Zwis<strong>ch</strong>enbilanz zeigt. Vor allem in tieferen Lagen besteht allerdings no<strong>ch</strong> ein Na<strong>ch</strong>holbedarf an<br />
grösseren Reservaten.<br />
Viele Amerikareisende s<strong>ch</strong>wärmen von<br />
den riesigen Waldreservaten wie Redwood,<br />
Sequoia oder Yellowstone in den<br />
glei<strong>ch</strong>namigen Nationalpärken der USA.<br />
Mit Ausnahme der naturbelassenen<br />
Bergwälder im Engadiner Nationalpark<br />
finden sie hierzulande ni<strong>ch</strong>ts Verglei<strong>ch</strong>bares.<br />
Die Idee, grosse Walds<strong>ch</strong>utzgebiete<br />
zu s<strong>ch</strong>affen, setzte si<strong>ch</strong> bei uns nur<br />
zögerli<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong>. No<strong>ch</strong> in den 1990er-<br />
Jahren waren erst magere 1,5 Prozent<br />
der S<strong>ch</strong>weizer Waldflä<strong>ch</strong>e als Reservate<br />
Artenvielfalt > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />
Dank seiner steilen und s<strong>ch</strong>wer zugängli<strong>ch</strong>en Lage blieb der Blockfi<strong>ch</strong>tenwald Scatlè bei Brigels<br />
(GR) in der Surselva am Vorderrhein während Jahrhunderten von mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Eingriffen vers<strong>ch</strong>ont.<br />
Aus diesem Grund findet si<strong>ch</strong> im ersten Waldreservat der S<strong>ch</strong>weiz einer der letzten e<strong>ch</strong>ten<br />
Fi<strong>ch</strong>tenurwälder in den Alpen.<br />
ausgewiesen. Mehr sei ni<strong>ch</strong>t nötig, fanden<br />
damals viele Waldbesitzende und<br />
Politiker. Allgemein herrs<strong>ch</strong>te die Meinung<br />
vor, mit den Jagdbanngebieten<br />
und der Erholung der Wildbestände sei<br />
eines der Hauptziele im Naturs<strong>ch</strong>utz<br />
bereits errei<strong>ch</strong>t. Im Verglei<strong>ch</strong> zu den<br />
oft naturfremden Forstbeständen im<br />
Ausland era<strong>ch</strong>tete man den S<strong>ch</strong>weizer<br />
Wald dank seiner naturnahen Bewirts<strong>ch</strong>aftung<br />
ohnehin als ein einziges<br />
Grossreservat.<br />
Umso überras<strong>ch</strong>ter reagierten Waldeigentümer<br />
und Behörden, als Forderungen<br />
na<strong>ch</strong> zusätzli<strong>ch</strong>en Walds<strong>ch</strong>utzgebieten<br />
laut wurden: 10 Prozent<br />
verlangte der WWF, 18 Prozent die<br />
S<strong>ch</strong>utzorganisation Pro Natura und<br />
gar 50 Prozent ein junger Umweltaktivist<br />
vor dem Bundeshaus. Den Anstoss<br />
dazu hatte der erste Erdgipfel in Rio<br />
von 1992 gegeben. Damals verpfli<strong>ch</strong>teten<br />
si<strong>ch</strong> die Unterzei<strong>ch</strong>nerstaaten der<br />
Biodiversitätskonvention, zu denen<br />
39
au<strong>ch</strong> die S<strong>ch</strong>weiz gehört, grosszügig<br />
bemessene Waldreservate einzuri<strong>ch</strong>ten.<br />
In diesen S<strong>ch</strong>utzgebieten soll die Biodiversität<br />
Vorrang haben vor anderen<br />
Waldfunktionen wie Holznutzung oder<br />
Erholung. In den Reservaten will man<br />
au<strong>ch</strong> die wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> uninteressanten,<br />
aber ökologis<strong>ch</strong> wertvollen Zerfalls- und<br />
Pionierphasen zulassen und so vielfältige<br />
Lebensräume für seltene Tier- und<br />
Pflanzenarten s<strong>ch</strong>affen.<br />
Konzept Waldreservate S<strong>ch</strong>weiz. Der Bund<br />
lässt in der Folge ein Basispapier für<br />
eine s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e Waldreservatspolitik<br />
erarbeiten, deren Gestaltung und<br />
Umsetzung freili<strong>ch</strong> den Kantonen<br />
überlassen bleibt. Das 1998 publizierte<br />
«Konzept Waldreservate S<strong>ch</strong>weiz» zeigt<br />
das Potenzial auf und gibt Hinweise<br />
für die Planung und Einri<strong>ch</strong>tung von<br />
Waldreservaten. Im Anhang enthält<br />
40<br />
Für Mittelland-Verhältnisse ist das Waldreservat «Mettlenrein-Hö<strong>ch</strong>i» (links oben) in Wynau (BE) mit 168 Hektaren<br />
relativ gross. Im «Leihubelwald» (links unten) bei Giswil (OW) dokumentieren bis zu 42 Meter hohe Tannen<br />
und Fi<strong>ch</strong>ten die Rückentwicklung zum Naturwald. Höhere Pilze, wie der Rotrandige Baums<strong>ch</strong>wamm (Fomitopsis<br />
pinicola) im jurassis<strong>ch</strong>en Naturwaldreservat «Bois Banal», sind die wi<strong>ch</strong>tigste Organismengruppe zum Abbau<br />
von Totholz.<br />
es Karten, auf denen die potenziell geeigneten<br />
Gebiete eingezei<strong>ch</strong>net sind.<br />
Sie bieten den Betroffenen rei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />
Diskussionsstoff. 2001 einigen si<strong>ch</strong> das<br />
Bundesamt für Umwelt und die kantonalen<br />
Forstdirektoren in den «Leitsätzen<br />
einer s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Waldreservatspolitik»<br />
auf konkrete nationale Ziele.<br />
Demna<strong>ch</strong> sollen bis zum Jahr 2030<br />
10 Prozent der S<strong>ch</strong>weizer Waldflä<strong>ch</strong>e<br />
als Reservate ausgewiesen sein. Auf<br />
etwa der Hälfte aller geplanten Reservatsgebiete<br />
will man die natürli<strong>ch</strong>e<br />
Waldentwicklung wieder zulassen. In<br />
sol<strong>ch</strong>en Naturwaldreservaten (NWR)<br />
wird ganz oder weitgehend auf Eingriffe<br />
verzi<strong>ch</strong>tet. Je na<strong>ch</strong> Status sind eine<br />
Regulation der Wildtierbestände mittels<br />
Jagd sowie Si<strong>ch</strong>erheitss<strong>ch</strong>läge an Strassen<br />
und die Waldbrandbekämpfung<br />
mögli<strong>ch</strong>. Ansonsten lässt man der natürli<strong>ch</strong>en<br />
Entwicklung freien Lauf und<br />
stärkt damit vor allem Organismen, die<br />
im Wirts<strong>ch</strong>aftswald zu kurz kommen,<br />
wie beispielsweise im Holz lebende Insekten<br />
und Pilze. Etwa ein Fünftel aller<br />
Tiere und Pflanzen im Wald – also<br />
über 6000 Arten – sind auf Totholz als<br />
Lebensraum und Nahrungsquelle angewiesen.<br />
Die restli<strong>ch</strong>en 5Prozent der gesamten<br />
Waldflä<strong>ch</strong>e sollen als Sonderwaldreservate<br />
(SWR) dienen. Um die ökologis<strong>ch</strong>e<br />
Qualität bestimmter Biotope<br />
zu erhalten sowie ausgewählte Pflanzen-<br />
und Tierarten zu fördern, sind<br />
hier gezielte Eingriffe mögli<strong>ch</strong> und oft<br />
sogar nötig. Dazu zählen etwa die Entbus<strong>ch</strong>ung<br />
von Felsen und Geröllhalden<br />
mit Reptilienpopulationen oder die<br />
Freihaltung von Waldli<strong>ch</strong>tungen für<br />
Tagfalter, Or<strong>ch</strong>ideen oder das Auerwild.<br />
Ein weiteres Beispiel sind die vom<br />
BAFU unterstützten Ei<strong>ch</strong>enförderungs-<br />
umwelt 3/<strong>2012</strong> > Artenvielfalt
Im Naturwaldreservat<br />
«Bois Banal» auf dem<br />
Gebiet der Gemeinde<br />
Clos du Doubs (JU)<br />
wird die Tanne zunehmend<br />
von der Bu<strong>ch</strong>e<br />
verdrängt. Das Totholz<br />
bietet Lebensraum für<br />
Tausende von Insekten,<br />
Pilzen und Fle<strong>ch</strong>tenarten.<br />
Artenvielfalt > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />
41
programme. Damit will der Bund unter<br />
anderem den Mittelspe<strong>ch</strong>t sowie den<br />
Hirs<strong>ch</strong>käfer erhalten und deren Ausbreitung<br />
fördern.<br />
Zudem besteht die Absi<strong>ch</strong>t, innerhalb<br />
der geplanten Reservatsflä<strong>ch</strong>e<br />
30 Grossreservate von mindestens<br />
500 Hektaren einzuri<strong>ch</strong>ten – und zwar<br />
bei einer angemessenen Verteilung auf<br />
die Regionen. Neben diesem quantitativen<br />
Ziel formuliert das Konzept au<strong>ch</strong><br />
qualitative Ziele. Angestrebt werden<br />
eine repräsentative Vertretung der über<br />
120 bei uns vorkommenden Waldgesells<strong>ch</strong>aften<br />
sowie die besondere Berücksi<strong>ch</strong>tigung<br />
der seltenen und gefährdeten<br />
Waldtypen, für die unser Land au<strong>ch</strong> eine<br />
internationale Verantwortung trägt –<br />
beispielsweise die Lär<strong>ch</strong>en-Arvenwälder<br />
der Zentralalpen oder die Alpenrosenund<br />
Torfmoos-Bergföhrenwälder.<br />
Zwis<strong>ch</strong>enbilanz des BAFU. Na<strong>ch</strong> den ersten<br />
10 von 30 Jahren haben die Kantone<br />
bei allen quantitativen Zielen<br />
Die ökologis<strong>ch</strong> wertvollen Zerfalls- und Pionierphasen<br />
in den Waldreservaten s<strong>ch</strong>affen vielfältige<br />
Lebensräume für seltene Tier- und Pflanzenarten.<br />
bereits gut die Hälfte der Vorgaben errei<strong>ch</strong>t,<br />
wie eine erste Zwis<strong>ch</strong>enbilanz des<br />
BAFU zeigt. Insgesamt sind heute auf<br />
4,6 Prozent der Waldflä<strong>ch</strong>en Reservate<br />
ausges<strong>ch</strong>ieden, davon 2,5 Prozent als<br />
NWR und 2,1 Prozent als SWR. Allerdings<br />
variiert der Wert in den vers<strong>ch</strong>iedenen<br />
Regionen. «Die vorliegenden<br />
Zahlen aus den Kantonen stimmen uns<br />
insofern optimistis<strong>ch</strong>, als wir das quantitative<br />
Ziel bereits fast zur Hälfte errei<strong>ch</strong>t<br />
haben», stellt Markus Bolliger von<br />
der BAFU-Sektion Jagd, Wildtiere und<br />
Waldbiodiversität fest. Für eine tiefere<br />
Analyse der qualitativen Aspekte benötigt<br />
der Bund aber die genauen geografis<strong>ch</strong>en<br />
Daten jedes einzelnen Reservats.<br />
Dazu erarbeitet das BAFU eine umfassende<br />
Statistik, die Ende <strong>2012</strong> vorliegen<br />
sollte. Laut Markus Bolliger «wird es in<br />
42<br />
ANTEIL DER WALDRESERVATE ANDER WALDFLäCHE IN PROZENT UND IHRE FLäCHE IN HA (SäULEN)<br />
Quelle: BAFU<br />
den nä<strong>ch</strong>sten Jahren wohl s<strong>ch</strong>wieriger,<br />
weitere und vor allem grössere zusammenhängende<br />
Flä<strong>ch</strong>en als Reservate<br />
auszuweisen. Es sind nämli<strong>ch</strong> immer<br />
weniger Waldbesitzer bereit, langfristig<br />
auf die Holznutzung in ihrem Wald zu<br />
verzi<strong>ch</strong>ten.» Dafür gibt es vermutli<strong>ch</strong><br />
vers<strong>ch</strong>iedene Gründe. So sind die Eigentümer<br />
zum Beispiel emotional an ihren<br />
Wald gebunden, wollen si<strong>ch</strong> für die Zukunft<br />
ni<strong>ch</strong>ts vergeben oder empfinden<br />
die finanzielle Unterstützung dur<strong>ch</strong> die<br />
öffentli<strong>ch</strong>e Hand als ungenügend.<br />
Es brau<strong>ch</strong>t mehr Grossreservate. S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>punkte<br />
ortet Markus Bolliger au<strong>ch</strong> bei<br />
der regionalen Verteilung der Reservate,<br />
bei ihrer Grösse und hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />
der Repräsentativität der Waldtypen.<br />
Untervertreten seien beispielsweise die<br />
lands<strong>ch</strong>aftsprägenden Bu<strong>ch</strong>enwälder,<br />
Ahorn- und Tannen-Bu<strong>ch</strong>enwälder,<br />
Fi<strong>ch</strong>ten-Tannenwälder sowie Föhrenund<br />
Auenwälder. Immerhin gibt es in-<br />
4000 ha<br />
%<br />
10,1 – 13<br />
5,1 – 10<br />
3,1 – 5,0<br />
2,0 – 3,0<br />
1,6 – 2,0<br />
1,0 – 1,5<br />
zwis<strong>ch</strong>en s<strong>ch</strong>on 18 Grossreservate mit<br />
einer Waldflä<strong>ch</strong>e von je mindestens<br />
500 Hektaren, die si<strong>ch</strong> allerdings vorwiegend<br />
auf wenige Gebiete konzentrieren.<br />
«Die S<strong>ch</strong>affung von weiteren<br />
Grossreservaten in allen Regionen ist<br />
nur mögli<strong>ch</strong>, wenn die Kantone eng<br />
zusammenarbeiten», stellt die ETH-<br />
Fors<strong>ch</strong>erin Jasmin Bernasconi fest.<br />
Ihre im Rahmen einer Ba<strong>ch</strong>elorarbeit<br />
vorgenommene Zwis<strong>ch</strong>enbilanz über<br />
10 Jahre gemeinsame Waldreservatspolitik<br />
von Bund und Kantonen zeigt<br />
auf, dass mehr als die Hälfte der Stände<br />
no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mit den Na<strong>ch</strong>barkantonen<br />
zusammengearbeitet haben, um Grossreservate<br />
auszus<strong>ch</strong>eiden. Die Forstämter<br />
müssten dafür unbedingt mehr investieren,<br />
denn die Grösse sei sehr wohl<br />
wi<strong>ch</strong>tig. «Viele Naturwaldreservate sind<br />
zu klein, um die gewüns<strong>ch</strong>ten ökologis<strong>ch</strong>en<br />
Funktionen erfüllen zu können»,<br />
sagt Markus Bolliger. «Damit si<strong>ch</strong> alle<br />
Entwicklungsphasen auf einer Flä<strong>ch</strong>e<br />
ausbilden können, muss ein Reservat<br />
eine gewisse Mindestflä<strong>ch</strong>e haben –<br />
das heisst im Minimum 40, aber besser<br />
100 Hektaren und mehr.»<br />
Relikte eines Mittelwaldes. Ni<strong>ch</strong>t immer<br />
ist die Baumartenvielfalt in Reservaten<br />
rei<strong>ch</strong>er als in naturnah bewirts<strong>ch</strong>afte-<br />
umwelt 3/<strong>2012</strong> > Artenvielfalt
ten Wäldern. Im NWR «Bois de Chênes»<br />
bei Nyon (VD) beispielsweise<br />
stehen viele Ei<strong>ch</strong>enbäume, wie der<br />
Name erraten lässt. Allerdings sind sie<br />
ni<strong>ch</strong>t das Resultat einer natürli<strong>ch</strong>en<br />
Walddynamik, sondern ein Produkt<br />
der früheren Waldbewirts<strong>ch</strong>aftung,<br />
deren Spuren no<strong>ch</strong> heute gut si<strong>ch</strong>tbar<br />
sind. Abges<strong>ch</strong>nittene Ei<strong>ch</strong>enstrünke<br />
und Bestände mit hohem Ei<strong>ch</strong>enanteil<br />
weisen darauf hin, dass der «Bois<br />
de Chênes» früher als Mittelwald bewirts<strong>ch</strong>aftet<br />
wurde. Man liess einzelne<br />
Ei<strong>ch</strong>enbäume älter werden und fällte<br />
sie erst, wenn sie einen nutzholzfähigen<br />
Dur<strong>ch</strong>messer errei<strong>ch</strong>t hatten. Derweil<br />
wurde aus der Unters<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>t alle<br />
30 Jahre flä<strong>ch</strong>ig das Brennholz geerntet.<br />
Au<strong>ch</strong> andere Gehölzarten im «Bois<br />
de Chênes» sind wohl Kulturrelikte,<br />
darunter Sträu<strong>ch</strong>er wie Goldregen und<br />
Kornelkirs<strong>ch</strong>e sowie Nadelbäume wie<br />
Fi<strong>ch</strong>ten, Tannen, Lär<strong>ch</strong>en und Douglasien.<br />
Für eine nahe gelegene Strei<strong>ch</strong>holzfabrik<br />
wurden sogar nordamerikanis<strong>ch</strong>e<br />
Pappeln angepflanzt.<br />
Artenvielfalt > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />
Mehr Totholz und Baumriesen. Im Jahr<br />
1961 trat die Waadtländer Gemeinde<br />
Grenolier die Nutzungsre<strong>ch</strong>te für<br />
den «Bois de Chênes» an den Kanton<br />
ab, der 1966 eine S<strong>ch</strong>utzverordnung<br />
für eine Flä<strong>ch</strong>e von 160 Hektaren<br />
Wald und Waldwiesen erliess. Seitdem<br />
sind im «Bois de Chênes» die<br />
Bu<strong>ch</strong>en auf dem Vormars<strong>ch</strong>, wie überall<br />
in den tieferen Lagen der S<strong>ch</strong>weiz.<br />
Peter Brang, Mitarbeiter der Eidgenössis<strong>ch</strong>en<br />
Fors<strong>ch</strong>ungsanstalt für<br />
Wald, S<strong>ch</strong>nee und Lands<strong>ch</strong>aft (WSL)<br />
und Co-Autor des Bu<strong>ch</strong>s Waldreservate.<br />
50 Jahre natürli<strong>ch</strong>e Waldentwicklung in der<br />
S<strong>ch</strong>weiz (Haupt Verlag, 2011), weist auf<br />
die langfristige Entwicklung hin: «Da<br />
die Bu<strong>ch</strong>e eine di<strong>ch</strong>te Krone hat und<br />
sehr viel S<strong>ch</strong>atten wirft, kommen viele<br />
andere Baumarten unter Druck, weshalb<br />
die Baumartenvielfalt langsam zurückgeht.<br />
Dafür nimmt die Menge an<br />
Totholz und damit die Zahl an Insekten-,<br />
Vogel- und Pilzarten, die auf abgestorbenes<br />
Holz angewiesen sind, stark<br />
zu. Längerfristig, wenn die derzeit he-<br />
Alle Bilder: Markus Bolliger, BAFU<br />
Ein Waldmeister-Bu<strong>ch</strong>enwald im Reservat «S<strong>ch</strong>lossflue» oberhalb von Twann (BE) am Bielersee. Neben dieser au<strong>ch</strong> im Mittelland weit verbreiteten<br />
Waldgesells<strong>ch</strong>aft prägen diverse wärmeliebende und für den Jurasüdfuss typis<strong>ch</strong>e Laubmis<strong>ch</strong>wälder das 68 Hektaren grosse S<strong>ch</strong>utzgebiet.<br />
Forstli<strong>ch</strong>e Pflegeingriffe erfolgen hier nur no<strong>ch</strong>, um die Verbus<strong>ch</strong>ung und Wiederbewaldung von artenrei<strong>ch</strong>en Li<strong>ch</strong>tungen und Trockenwiesen zu<br />
verhindern.<br />
ranwa<strong>ch</strong>sende und älter werdende Bu<strong>ch</strong>engeneration<br />
abgelöst wird, dürfte<br />
die Baumartendiversität wieder zunehmen,<br />
ganz besonders na<strong>ch</strong> Störungsereignissen<br />
wie Windwurf.»<br />
Die zu einem bestimmten Zeitpunkt<br />
beoba<strong>ch</strong>tete Artenvielfalt in<br />
einem Naturwald ist also nur eine Momentaufnahme<br />
aus einem endlosen<br />
Film, der lange ein Zeitlupentempo<br />
einhält, um plötzli<strong>ch</strong> wie im Zeitraffer<br />
abzulaufen, wenn si<strong>ch</strong> die Ereignisse<br />
na<strong>ch</strong> einem Sturm oder Waldbrand<br />
überstürzen. Anders ist es im Wirts<strong>ch</strong>aftswald<br />
– hier endet der Film,<br />
no<strong>ch</strong> bevor alle Protagonisten auftreten<br />
konnten.<br />
Nicolas Gattlen<br />
Weiterführende Links unter<br />
www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/magazin<strong>2012</strong>-3-08<br />
KONTAKT<br />
Markus Bolliger<br />
Sektion Jagd, Wildtiere und<br />
Waldbiodiversität, BAFU<br />
031 324 77 87<br />
markus.bolliger@bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />
43
GÖTEBORG-PROTOKOLL<br />
Lufts<strong>ch</strong>adstoffe respektieren<br />
keine Grenzen<br />
Die S<strong>ch</strong>adstoffbelastung der Luft in Europa hat seit den frühen 1990er-Jahren stark ab-<br />
genommen. Die bisherigen Forts<strong>ch</strong>ritte auf internationaler Ebene genügen aber ni<strong>ch</strong>t,<br />
um die mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Gesundheit und empfindli<strong>ch</strong>e Ökosysteme ausrei<strong>ch</strong>end zu s<strong>ch</strong>ützen.<br />
Deshalb sollen neue Etappenziele für das Jahr 2020 und eine entspre<strong>ch</strong>ende Vers<strong>ch</strong>ärfung<br />
des Göteborg-Protokolls die Luftqualität nun weiter verbessern.<br />
Belastete Luft kennt keine Grenzen.<br />
Selbst auf dem Grund s<strong>ch</strong>einbar unberührter<br />
Seen in der Arktis stiess ein Fors<strong>ch</strong>erteam<br />
der University of Washington<br />
im nordamerikanis<strong>ch</strong>en Seattle jüngst<br />
auf erhöhte Stickstoffgehalte. Wie die<br />
Fa<strong>ch</strong>leute Ende 2011 im Wissens<strong>ch</strong>aftsmagazin<br />
«Science» beri<strong>ch</strong>teten, liefern<br />
ihre Sedimentanalysen in 36 Seen etwa<br />
ab 1895 erste Hinweise auf einen steigenden<br />
Stickstoffeintrag aus der Atmosphäre.<br />
Seit Mitte des 20. Jahrhunderts<br />
hat die unerwüns<strong>ch</strong>te Düngung (Eutrophierung)<br />
der untersu<strong>ch</strong>ten Gewässer<br />
in Skandinavien, Kanada und den USA<br />
markant zugenommen. Dies gilt für<br />
entlegene Bergseen in den gemässigten<br />
Breiten ebenso wie für die Polargebiete.<br />
Die vor allem in den Gebirgsregionen<br />
und im hohen Norden von Natur<br />
aus nährstoffarmen Gewässer sind bei<br />
Weitem ni<strong>ch</strong>t die einzigen Ökosysteme,<br />
denen die <strong>ch</strong>ronis<strong>ch</strong>e Überdüngung aus<br />
der Luft sowie die allmähli<strong>ch</strong>e Versauerung<br />
zusetzen. Au<strong>ch</strong> Wälder, Weiden,<br />
Magerwiesen, Moore und Sümpfe dienen<br />
als Lebensraum für eine spezialisierte<br />
Vegetation. Sie hat si<strong>ch</strong> im Lauf<br />
der Evolution optimal auf die Nährstoffarmut<br />
eingestellt. Bei einer s<strong>ch</strong>lei<strong>ch</strong>enden<br />
Eutrophierung, wel<strong>ch</strong>e si<strong>ch</strong> über<br />
Jahrzehnte hinziehen kann, werden<br />
44<br />
diese Hungerkünstler allmähli<strong>ch</strong> von<br />
nährstoffliebenden Pflanzen verdrängt,<br />
was si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> negativ auf die Artenvielfalt<br />
der lokalen Fauna auswirkt.<br />
Weit transportierte S<strong>ch</strong>adstoffe. Je na<strong>ch</strong><br />
Windströmung werden umwelt- und<br />
gesundheitss<strong>ch</strong>ädigende Lufts<strong>ch</strong>adstoffe<br />
wie Stickoxide (NO x), S<strong>ch</strong>wefeldioxid<br />
(SO 2) und Feinstaub über Hunderte von<br />
Kilometern verfra<strong>ch</strong>tet. Damit können<br />
beispielsweise Emissionen in Italien,<br />
Frankrei<strong>ch</strong> und Deuts<strong>ch</strong>land au<strong>ch</strong> bei<br />
uns die Hintergrundbelastung der Luft<br />
beeinflussen. Umgekehrt werden Lufts<strong>ch</strong>adstoffe<br />
aus S<strong>ch</strong>weizer Quellen au<strong>ch</strong><br />
in die Na<strong>ch</strong>barländer verweht.<br />
Im Rahmen der UN-Wirts<strong>ch</strong>aftskommission<br />
für Europa (UNECE) haben si<strong>ch</strong><br />
die Mitgliedsstaaten bereits 1979 auf<br />
ein internationales Übereinkommen<br />
zur Bekämpfung dieser weiträumigen<br />
grenzübers<strong>ch</strong>reitenden Luftverunreinigung<br />
geeinigt. «Das mittlerweile von<br />
rund 50 Ländern ratifizierte Abkommen<br />
ist die älteste Umwelts<strong>ch</strong>utz-Konvention»,<br />
erläutert Ri<strong>ch</strong>ard Ballaman, Chef<br />
der Sektion Luftqualität beim BAFU.<br />
«Dank der regelmässigen Erarbeitung<br />
von Zusatzprotokollen, die Lösungen<br />
für gegenwärtige und künftige Probleme<br />
im Berei<strong>ch</strong> der Luftreinhaltung vor-<br />
s<strong>ch</strong>lagen, gilt das UNECE-Abkommen<br />
aber na<strong>ch</strong> wie vor als sehr modern.»<br />
Das Göteborg-Protokoll als Meilenstein.<br />
Eine wi<strong>ch</strong>tige Wegmarke war insbesondere<br />
das 1999 verabs<strong>ch</strong>iedete<br />
Göteborg-Protokoll zur Verringerung<br />
von Versauerung, Eutrophierung und<br />
bodennahem Ozon. Es begrenzt die<br />
aus Si<strong>ch</strong>t der Ökosysteme und der<br />
mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Gesundheit besonders<br />
problematis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>adstoffe SO 2, NO x,<br />
Ammoniak (NH 3) sowie die flü<strong>ch</strong>tigen<br />
organis<strong>ch</strong>en Verbindungen (VOC).<br />
In einer ersten Etappe mit dem Zieljahr<br />
2010 hatten si<strong>ch</strong> die inzwis<strong>ch</strong>en<br />
26 Unterzei<strong>ch</strong>nerstaaten des Protokolls<br />
– darunter die S<strong>ch</strong>weiz, die Europäis<strong>ch</strong>e<br />
Union sowie die USA – zu länderspezifis<strong>ch</strong>en<br />
Reduktionszielen für diese<br />
vier relevanten Lufts<strong>ch</strong>adstoffe verpfli<strong>ch</strong>tet.<br />
Die entspre<strong>ch</strong>enden Vorgaben ri<strong>ch</strong>ten<br />
si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> einer Bewertungsmethode<br />
für eine mögli<strong>ch</strong>st wirkungsorientierte<br />
und kosteneffiziente Verminderung der<br />
Luftverunreinigungen.<br />
Im Verglei<strong>ch</strong> zum Bezugsjahr 1990<br />
ma<strong>ch</strong>en die in Europa angestrebten<br />
Emissionsreduktionen je na<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>adstoff<br />
rund 40 bis gut 60 Prozent aus.<br />
Im Gegensatz zur S<strong>ch</strong>weiz, wel<strong>ch</strong>e alle<br />
entspre<strong>ch</strong>enden Verpfli<strong>ch</strong>tungen er-<br />
umwelt 3/<strong>2012</strong> > Luftreinhaltung
«Aufgrund ihrer Lage mitten in Europa wird die<br />
S<strong>ch</strong>weiz unmittelbar von weiteren Verbesserungen der<br />
Luftqualität in den EU-Staaten profitieren.»<br />
füllt hat und die internationalen Vorgaben<br />
für SO 2 und VOC sogar deutli<strong>ch</strong><br />
übertreffen konnte, haben 10 Länder<br />
ihre Emissionsziele für NO x verfehlt,<br />
wie eine Auswertung der Europäis<strong>ch</strong>en<br />
Umweltagentur (EUA) zeigt. «Die bisherigen<br />
Anstrengungen zur Reduktion<br />
der Luftverunreinigungen rei<strong>ch</strong>en aber<br />
ohnehin ni<strong>ch</strong>t aus, um die kritis<strong>ch</strong>en<br />
Eintragsraten in empfindli<strong>ch</strong>e Ökosysteme<br />
und die no<strong>ch</strong> tragbare Ozonbelastung<br />
zu unters<strong>ch</strong>reiten», stellt Ri<strong>ch</strong>ard<br />
Ballaman fest. «Dazu brau<strong>ch</strong>t es auf paneuropäis<strong>ch</strong>er<br />
Ebene weitere Emissionsminderungen.»<br />
Als Vorsitzender der<br />
Arbeitsgruppe «Strategies and Review»<br />
leitete der BAFU-Luftexperte in den<br />
letzten Jahren denn au<strong>ch</strong> die internationalen<br />
Verhandlungen über eine Weiterentwicklung<br />
des Göteborg-Protokolls<br />
für die Verpfli<strong>ch</strong>tungsperiode bis 2020.<br />
Es geht dabei um einen zusätzli<strong>ch</strong>en<br />
wi<strong>ch</strong>tigen S<strong>ch</strong>ritt, der freili<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t alle<br />
lufthygienis<strong>ch</strong>en Probleme lösen wird.<br />
Neu soll das revidierte Protokoll au<strong>ch</strong><br />
die Belastung der Atemluft mit lun-<br />
Luftreinhaltung > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />
Ri<strong>ch</strong>ard Ballaman, BAFU<br />
gengängigem Feinstaub vermindern.<br />
Wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Erkenntnisse weisen<br />
nämli<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong>, dass die heutige Exposition<br />
der Bevölkerung eine deutli<strong>ch</strong><br />
geringere Lebenserwartung bewirkt. Die<br />
bisherigen Regelungen erfassten ledigli<strong>ch</strong><br />
die Vorläufer der sekundären Feinpartikel,<br />
ohne jedo<strong>ch</strong> den besonders gesundheitss<strong>ch</strong>ädigenden<br />
Russausstoss zu<br />
limitieren.<br />
«Aufgrund ihrer Lage mitten in Europa<br />
wird die S<strong>ch</strong>weiz unmittelbar von<br />
weiteren Verbesserungen der Luftqualität<br />
in den EU-Staaten profitieren», sagt<br />
Ri<strong>ch</strong>ard Ballaman. «Trotzdem werden<br />
uns die lufthygienis<strong>ch</strong>en Dauerbrenner<br />
– wie der Sommersmog dur<strong>ch</strong> zu hohe<br />
Ozongehalte, umwelts<strong>ch</strong>ädigende Stickstoffeinträge<br />
oder die übermässige Feinstaubbelastung<br />
– in ganz Europa no<strong>ch</strong><br />
lange bes<strong>ch</strong>äftigen.»<br />
Vers<strong>ch</strong>ärfte Grenzwerte. Mit strengeren<br />
Limiten für den S<strong>ch</strong>adstoffausstoss aus<br />
Verbrennungsanlagen, s<strong>ch</strong>ärferen Abgasnormen<br />
für neue Fahrzeuge oder<br />
Oberhalb von St. Peter im<br />
S<strong>ch</strong>anfigg (GR) trübt die<br />
vers<strong>ch</strong>mutzte Luft über dem<br />
Churer Rheintal den Weitblick<br />
auf die Gebirgszüge<br />
des Bündner Oberlandes.<br />
Bild: Keystone, Arno Balzarini<br />
te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en Vors<strong>ch</strong>riften zur Minderung<br />
der diffusen Emissionen von<br />
Lösungsmitteln aus Industrie- und Gewerbebetrieben<br />
ist die Mars<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>tung<br />
im revidierten Göteborg-Protokoll vorgegeben.<br />
Eher bes<strong>ch</strong>eiden muten hingegen<br />
die lufthygienis<strong>ch</strong>en Ziele in der<br />
Landwirts<strong>ch</strong>aft an, da si<strong>ch</strong> die Staatengemeins<strong>ch</strong>aft<br />
hier ni<strong>ch</strong>t auf ehrgeizige<br />
Vorgaben für eine Reduktion der Ammoniakemissionen<br />
aus der Nutztierhaltung<br />
einigen konnte.<br />
Damit die S<strong>ch</strong>weiz die gesteckten<br />
Ziele der zweiten Verpfli<strong>ch</strong>tungsperiode<br />
errei<strong>ch</strong>en kann, sind bei einzelnen Anlagenkategorien<br />
kleinere Anpassungen<br />
an den Stand der Te<strong>ch</strong>nik erforderli<strong>ch</strong>,<br />
die das Luftreinhaltekonzept des Bundesrates<br />
von 2009 ohnehin vorsieht.<br />
Beat Jordi<br />
Weiterführende Links unter<br />
www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/magazin<strong>2012</strong>-3-09<br />
KONTAKT<br />
Ri<strong>ch</strong>ard Ballaman<br />
Sektions<strong>ch</strong>ef Luftqualität<br />
BAFU<br />
031 322 64 96<br />
ri<strong>ch</strong>ard.ballaman@bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />
45
LOKALE KLIMAINITIATIVEN<br />
Klimas<strong>ch</strong>utz beginnt im Kleinen<br />
Die internationalen Verhandlungen zum S<strong>ch</strong>utz des Weltklimas kommen seit Jahrzehnten nur s<strong>ch</strong>leppend voran.<br />
Viele Stadtbehörden und umweltbewusste Unternehmen wollen ni<strong>ch</strong>t auf die Ergebnisse warten. Sie denken s<strong>ch</strong>on<br />
heute global und handeln lokal. Dabei können sie auf eine breite Unterstützung dur<strong>ch</strong> die Bevölkerung und ihre<br />
Kunds<strong>ch</strong>aft zählen.<br />
Ende <strong>2012</strong> läuft die erste Verpfli<strong>ch</strong>tungsperiode<br />
der Staatengemeins<strong>ch</strong>aft zur<br />
weltweiten Reduktion der Treibhausgase<br />
aus. Die internationalen Verhandlungen<br />
für das im Rahmen der Klimakonvention<br />
bes<strong>ch</strong>lossene Kyoto-Protokoll dauerten<br />
damals 6Jahre. Zwis<strong>ch</strong>en dem<br />
Dur<strong>ch</strong>bru<strong>ch</strong> an der Klimakonferenz in<br />
Japan und der formellen Inkraftsetzung<br />
des Protokolls im Jahr 2005 verstri<strong>ch</strong>en<br />
46<br />
dann no<strong>ch</strong>mals gut 7 Jahre. Trotz intensiver<br />
Bemühungen konnten si<strong>ch</strong> die<br />
Staaten bis heute ni<strong>ch</strong>t auf einen verbindli<strong>ch</strong>en<br />
Zeitplan und auf konkrete<br />
Reduktionsziele für eine weitere Verpfli<strong>ch</strong>tungsperiode<br />
einigen. Die kommenden<br />
Klimakonferenzen sollen diesbezügli<strong>ch</strong><br />
mehr Klarheit bringen und<br />
neu au<strong>ch</strong> bisher abseits stehende Grossemittenten<br />
wie die USA, China oder In-<br />
dien einbeziehen. Do<strong>ch</strong> gerade beim<br />
Klimas<strong>ch</strong>utz ist der Faktor Zeit ents<strong>ch</strong>eidend.<br />
Um eine gefährli<strong>ch</strong>e Störung des<br />
Klimasystems zu verhindern, soll die<br />
globale Erwärmung auf hö<strong>ch</strong>stens 2 °C<br />
gegenüber der vorindustriellen Zeit begrenzt<br />
werden. Der Weltklimarat IPCC<br />
re<strong>ch</strong>net vor, dass dazu eine Halbierung<br />
der weltweiten Treibhausgasemissionen<br />
bis 2050 notwendig ist.<br />
umwelt 3/<strong>2012</strong> > Klimas<strong>ch</strong>utz
Erfolgrei<strong>ch</strong>e Kampagne in Grossbritannien.<br />
Inzwis<strong>ch</strong>en sind si<strong>ch</strong> weite Teile der<br />
Bevölkerung der Tragweite dieses Problems<br />
bewusst und entspre<strong>ch</strong>end bereit,<br />
freiwillig etwas für den Klimas<strong>ch</strong>utz<br />
zu tun. Dies belegt etwa die ursprüngli<strong>ch</strong><br />
in Grossbritannien lancierte Kampagne<br />
«10:10». Die Unterzei<strong>ch</strong>nenden<br />
verpfli<strong>ch</strong>ten si<strong>ch</strong>, ihren CO 2-Ausstoss<br />
jährli<strong>ch</strong> um 10 Prozent zu reduzieren.<br />
Nur 3Tage na<strong>ch</strong> Lancierung des Projekts<br />
im Jahr 2009 hatten si<strong>ch</strong> bereits<br />
10 000 Privatpersonen, S<strong>ch</strong>ulen, Firmen<br />
und Organisationen angemeldet. Bis<br />
Ende April <strong>2012</strong> ist ihre Zahl auf rund<br />
120 000 Anhänger in mehreren Ländern<br />
angewa<strong>ch</strong>sen. Die Kampagne basiert auf<br />
der einfa<strong>ch</strong>en Idee, dass kontinuierli<strong>ch</strong>e<br />
Optimierungen einfa<strong>ch</strong>er zu realisieren<br />
sind als ehrgeizige Reduktionsziele in<br />
ferner Zukunft. So wirken 10 Prozent<br />
pro Jahr für viele greif barer als etwa<br />
50 Prozent bis 2050, wobei das s<strong>ch</strong>ritt-<br />
Klimas<strong>ch</strong>utz > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />
weise Vorgehen erst no<strong>ch</strong> viel ras<strong>ch</strong>er<br />
zum Ziel führt.<br />
Klimabündnisse in der S<strong>ch</strong>weiz. In der<br />
S<strong>ch</strong>weiz stützt si<strong>ch</strong> die Klimapolitik vor<br />
allem auf das CO 2-Gesetz. Für die Zeit<br />
na<strong>ch</strong> Inkrafttreten der Revision ab 2013<br />
hat das Parlament den Bundesbehörden<br />
eine aktivere Rolle beim lokalen Klimas<strong>ch</strong>utz<br />
übertragen. Demna<strong>ch</strong> sollen sie<br />
Gemeinden, Unternehmen sowie Konsumentinnen<br />
und Konsumenten über<br />
wirksame Massnahmen informieren<br />
und beraten. «I<strong>ch</strong> bin überzeugt, dass<br />
hier no<strong>ch</strong> ein grosses Potenzial bra<strong>ch</strong>liegt»,<br />
sagt Andrea Burkhardt, die Leiterin<br />
der Abteilung Klima beim BAFU.<br />
S<strong>ch</strong>on heute werden au<strong>ch</strong> hierzulande<br />
zahlrei<strong>ch</strong>e effektive Massnahmen<br />
freiwillig umgesetzt. So haben si<strong>ch</strong><br />
21 grössere Gemeinden im «KlimaBündnis-Städte<br />
S<strong>ch</strong>weiz» zusammenges<strong>ch</strong>lossen.<br />
Sie verfolgen gemeinsam lokale<br />
Klimas<strong>ch</strong>utzprojekte, setzen auf eine<br />
na<strong>ch</strong>haltige kommunale Energie- und<br />
Verkehrspolitik, fördern klimafreundli<strong>ch</strong>e<br />
Bauten sowie ein umweltverträgli<strong>ch</strong>es<br />
Bes<strong>ch</strong>affungswesen und sensibilisieren<br />
ihre Bevölkerung.<br />
Zudem tragen mittlerweile fast<br />
300 S<strong>ch</strong>weizer Gemeinden das Label<br />
«Energiestadt». Dieser Leistungsausweis<br />
bes<strong>ch</strong>einigt ihnen unter anderem,<br />
dass sie eine na<strong>ch</strong>haltige kommunale<br />
Energiepolitik betreiben, erneuerbare<br />
Energien fördern, auf eine umweltverträgli<strong>ch</strong>e<br />
<strong>Mobilität</strong> setzen und die Ressourcen<br />
effizient nutzen. Gemäss der<br />
Vision der 2000-Watt-Gesells<strong>ch</strong>aft sind<br />
sie bereit, ihren Energieverbrau<strong>ch</strong> kontinuierli<strong>ch</strong><br />
auf 2000 Watt oder 1 Tonne<br />
CO 2 pro Person und Jahr zu senken.<br />
Leu<strong>ch</strong>tturmprojekte in Genf und Züri<strong>ch</strong>. Als<br />
Vorbild gilt beispielsweise der Kanton<br />
Genf. Seit er das 2000-Watt-Ziel vor<br />
Ein Bekenntnis zur klimas<strong>ch</strong>onenden<br />
2000-Watt-<br />
Gesells<strong>ch</strong>aft an der Fassade<br />
eines neuen Wohngebäudes<br />
im Zür<strong>ch</strong>er Kreis 4. Das<br />
hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> verwendete<br />
Baumaterial aus S<strong>ch</strong>weizer<br />
Wäldern ist der Hauptgrund<br />
für die gute Energie- und<br />
Klimabilanz des Miethauses.<br />
Bilder: BAFU /AURA, E. Ammon<br />
47
Ein Leu<strong>ch</strong>tturmprojekt für die internationale<br />
Umweltstadt Genf: Mitten im Zentrum und<br />
direkt an der Rhone soll auf einem ehemaligen<br />
Industriegelände bis 2014 das erste Ökoquartier<br />
«Carré Vert» mit 300 energieeffizienten Wohnungen<br />
entstehen.<br />
Bilder: «Carré Vert»; Dreier Frenzel, Lausanne<br />
einigen Jahren in sein Energiekonzept<br />
aufgenommen hat, treibt er die konkrete<br />
Umsetzung mit Leu<strong>ch</strong>tturmprojekten<br />
voran. So entsteht etwa auf der Industriebra<strong>ch</strong>e<br />
eines ehemaligen Gaswerks<br />
am Quai du Rhône, mitten in der Innenstadt<br />
bis 2014 das erste Ökoquartier<br />
«Carré Vert» mit 300 Wohnungen. Vorgängig<br />
müssen allerdings no<strong>ch</strong> der mit<br />
S<strong>ch</strong>wermetallen, Kohlenwasserstoffen<br />
und Zyanid belastete Boden sowie das<br />
Grundwasser saniert werden.<br />
An der Fassade eines se<strong>ch</strong>sstöckigen<br />
Holzhauses an der Badenerstrasse mitten<br />
im di<strong>ch</strong>t besiedelten Zür<strong>ch</strong>er Kreis 4<br />
prangt das Klimaverspre<strong>ch</strong>en direkt an<br />
der Fassade: «Die Bewohnerinnen und<br />
Bewohner dieses Gebäudes verpfli<strong>ch</strong>ten<br />
si<strong>ch</strong>, ihren gesamten, stetigen Energieverbrau<strong>ch</strong><br />
auf maximal 2000 Watt<br />
pro Person zu reduzieren. Bei Vertragsbru<strong>ch</strong><br />
hat der Rest der Welt Anspru<strong>ch</strong><br />
auf sozialen Ausglei<strong>ch</strong> oder S<strong>ch</strong>adenersatz»,<br />
steht hier ges<strong>ch</strong>rieben.<br />
«Das ist Kunst am Bau und re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />
natürli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong>setzbar, aber die<br />
2000-Watt-Gesells<strong>ch</strong>aft gehört bei uns<br />
zum Konzept», erklärt Rolf Hefti, Ges<strong>ch</strong>äftsführer<br />
der verantwortli<strong>ch</strong>en Baugenossens<strong>ch</strong>aft<br />
Zurlinden. Züri<strong>ch</strong> liess<br />
als erste S<strong>ch</strong>weizer Stadt über die Ziele<br />
der 2000-Watt-Gesells<strong>ch</strong>aft abstimmen.<br />
Drei von vier Stimmen votierten dabei<br />
für eine Aufnahme in die Gemeindeordnung.<br />
«Für uns war dies ein Grund,<br />
um künftig auf na<strong>ch</strong>haltiges Bauen zu<br />
setzen», sagt Rolf Hefti. «Wir wollen zeigen,<br />
dass diese Ziele s<strong>ch</strong>on heute realisierbar<br />
sind.»<br />
48<br />
Der Hauptgrund für die gute Klimaund<br />
Energiebilanz des Gebäudes an<br />
der Badenerstrasse ist der verbaute<br />
Rohstoff. Er stammt aus S<strong>ch</strong>weizer<br />
Wäldern, ist CO 2-neutral und lässt si<strong>ch</strong><br />
bei einem späteren Abbru<strong>ch</strong> erst no<strong>ch</strong><br />
als Brennstoff nutzen. Für die einstigen<br />
S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>en von Holzbauten – wie den<br />
Brand- und S<strong>ch</strong>alls<strong>ch</strong>utz – hat man<br />
innovative Lösungen gefunden, etwa<br />
in Form einer lärmdämpfenden Splitts<strong>ch</strong>üttung<br />
in den Holzdecken.<br />
Im Interesse einer Reduktion der<br />
grauen Energie setzt die Baugenossens<strong>ch</strong>aft<br />
au<strong>ch</strong> in Sa<strong>ch</strong>en <strong>Mobilität</strong> auf<br />
eine klimaverträgli<strong>ch</strong>e Strategie. In den<br />
Mietpreisen ihres neusten Projekts am<br />
Sihlbogen im Zür<strong>ch</strong>er Kreis 2 ist ein<br />
Abonnement für den Zür<strong>ch</strong>er Verkehrsverbund<br />
enthalten. Parkplätze stehen<br />
praktis<strong>ch</strong> keine zur Verfügung. Hingegen<br />
wird die Genossens<strong>ch</strong>aft Mobility-Fahrzeuge<br />
oder eigene Elektroautos<br />
zur gemeinsamen Nutzung bereitstellen.<br />
«Die zentrale Lage erlei<strong>ch</strong>tert den<br />
Verzi<strong>ch</strong>t auf ein eigenes Auto», stellt<br />
Rolf Hefti fest.<br />
Na<strong>ch</strong>haltigkeit zahlt si<strong>ch</strong> aus. Im Gegensatz<br />
zur Baugenossens<strong>ch</strong>aft Zurlinden,<br />
in der si<strong>ch</strong> mehrheitli<strong>ch</strong> kleine und<br />
mittlere Unternehmen (KMU) aus der<br />
Baubran<strong>ch</strong>e zusammenges<strong>ch</strong>lossen haben,<br />
sind in der Familienheimgenossens<strong>ch</strong>aft<br />
Züri<strong>ch</strong> (FGZ) die jeweiligen<br />
Mietparteien vertreten. 2011 stimmten<br />
sie fast einhellig einem Kredit von rund<br />
16 Millionen Franken für den Bau eines<br />
Netzes zur Versorgung der 2200 Haushalte<br />
mit Abwärme (Anergie) zu. Damit<br />
soll der Energiebedarf bis 2050 von<br />
heute 35 auf 15 Gigawattstunden reduziert<br />
werden. Dur<strong>ch</strong> den weitgehenden<br />
Ersatz der fossilen Brennstoffe Öl und<br />
Gas dur<strong>ch</strong> Abwärme und Sonnenenergie<br />
nimmt der jährli<strong>ch</strong>e CO 2-Ausstoss<br />
umwelt 3/<strong>2012</strong> > Klimas<strong>ch</strong>utz
Insbesondere bei steigenden Energiepreisen s<strong>ch</strong>ont<br />
der sparsame Umgang mit fossilen Brennstoffen ni<strong>ch</strong>t<br />
nur das Klima, sondern bringt zusätzli<strong>ch</strong> finanzielle<br />
Einsparungen.<br />
jedo<strong>ch</strong> viel stärker ab. «Beim Bau des<br />
Fernwärmenetzes kommt uns das kompakte<br />
Siedlungsgebiet entgegen», stellt<br />
der FGZ-Ges<strong>ch</strong>äftsführer Josef Köpfli<br />
fest. Kurzfristig dürfte die Investition<br />
die monatli<strong>ch</strong>en Mietkosten pro Wohnung<br />
um 10 bis 15 Franken erhöhen,<br />
längerfristig werde sie si<strong>ch</strong> jedo<strong>ch</strong> auszahlen.<br />
Insbesondere bei steigenden Energiepreisen<br />
s<strong>ch</strong>ont der sparsame Umgang<br />
mit fossilen Brennstoffen ni<strong>ch</strong>t nur das<br />
Klima, sondern bringt zusätzli<strong>ch</strong> finanzielle<br />
Einsparungen. Dies ma<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong><br />
au<strong>ch</strong> die Klimastiftung S<strong>ch</strong>weiz zunutze,<br />
indem sie KMU beim Energiesparen<br />
unterstützt. Die Finanzierung folgt dem<br />
Prinzip «Die Grossen helfen den Kleinen».<br />
So stammt das Geld von 21 Dienstleistungsunternehmen<br />
wie Banken und<br />
Versi<strong>ch</strong>erungen, die dafür Mittel aus<br />
der Rückverteilung der CO 2-Abgabe zur<br />
Verfügung stellen. Gefördert werden<br />
unter anderem innovative Projekte wie<br />
beispielsweise die Kühlung von Lagerräumen<br />
mit Regenwasser statt mit<br />
Kaltluft. Gelder fliessen au<strong>ch</strong> in die Entwicklung<br />
eines Vakuum-Wäs<strong>ch</strong>etrockners,<br />
der bei glei<strong>ch</strong>er Leistung nur halb<br />
so viel Energie brau<strong>ch</strong>t wie herkömmli<strong>ch</strong>e<br />
Modelle.<br />
Klimas<strong>ch</strong>utz > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />
Mehr Umsatz – weniger CO 2. Das stärkere<br />
Klimabewusstsein zeigt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> im<br />
Konsumverhalten. «Die Na<strong>ch</strong>frage na<strong>ch</strong><br />
sozialethis<strong>ch</strong>en und na<strong>ch</strong>haltigen Produkten<br />
steigt ungebremst», konstatiert<br />
Jürg Peritz, Marketingleiter von Coop.<br />
So konnte der Grossverteiler etwa seinen<br />
Umsatz mit den vollständig CO 2neutralen<br />
Naturaline-Textilien seit den<br />
frühen 1990er-Jahren von 3 auf rund<br />
60 Millionen Franken steigern. Bereits<br />
sind etwa 60 Prozent der Baumwolltextilien<br />
in Coop-Supermärkten Naturaline-Produkte.<br />
«Wir wollen zeigen, dass<br />
Fashion Fairness ni<strong>ch</strong>t auss<strong>ch</strong>liesst»,<br />
sagt Jürg Peritz.<br />
Beim Stromverbrau<strong>ch</strong> setzt Coop<br />
inzwis<strong>ch</strong>en voll auf die Wasserkraft.<br />
Seit 2008 sind die firmeneigenen CO 2-<br />
Emissionen um 9500 Tonnen oder 7 Prozent<br />
gesunken. Als Mitglied der WWF<br />
Climate Group hat si<strong>ch</strong> das Unternehmen<br />
unter anderem zu konkreten Reduktionszielen<br />
verpfli<strong>ch</strong>tet. Neben Coop<br />
beteiligen si<strong>ch</strong> weitere Grossfirmen wie<br />
Migros, Ikea, Swisscom oder die Post.<br />
Trotz steigender Umsätze haben die 11<br />
beteiligten Unternehmen ihre CO 2-Emissionen<br />
zwis<strong>ch</strong>en 2005 und 2010 um insgesamt<br />
150000 Tonnen oder 21 Prozent<br />
verringert.<br />
Aufklärung über den Klimawandel. Szenenwe<strong>ch</strong>sel:<br />
Auf dem grossen Parkplatz<br />
vor dem Hotel Wetterhorn in Grindelwald<br />
(BE) ist die Si<strong>ch</strong>t auf den Oberen<br />
Grindelwaldglets<strong>ch</strong>er beeindruckend.<br />
Do<strong>ch</strong> eine Stimme im Ohr sagt: «In den<br />
1980er-Jahren rei<strong>ch</strong>te der Glets<strong>ch</strong>er<br />
no<strong>ch</strong> bis in die bewaldete Flä<strong>ch</strong>e hinunter.<br />
Diese Lands<strong>ch</strong>aft wird si<strong>ch</strong> in<br />
den kommenden Jahrzehnten mit dem<br />
Klimawandel verändern.» Die Stimme<br />
stammt aus einem zuvor im Bergdorf<br />
gemieteten iPhone, das über die Auswirkungen<br />
des Klimawandels vor Ort<br />
aufklärt. Mit dem Smartphone in der<br />
Hand begeben si<strong>ch</strong> die interessierten<br />
Gäste auf einen von sieben Lehrpfaden.<br />
Mit diesem Angebot ma<strong>ch</strong>en die Verantwortli<strong>ch</strong>en<br />
der Tourismusdestination<br />
Jungfrau-Region auf die gut ersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en<br />
Folgen der Klimaerwärmung im<br />
Alpenraum aufmerksam. Zudem versu<strong>ch</strong>en<br />
sie, die Treibhausgasemissionen in<br />
der Region zu senken und damit selber<br />
einen Beitrag zum Klimas<strong>ch</strong>utz zu leisten.<br />
Na<strong>ch</strong> dem eindrückli<strong>ch</strong>en Besu<strong>ch</strong><br />
im Berner Oberland werden si<strong>ch</strong> wohl<br />
au<strong>ch</strong> einige Feriengäste diesem Anliegen<br />
ans<strong>ch</strong>liessen.<br />
Andres Eberhard<br />
Weiterführende Links unter<br />
www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/magazin<strong>2012</strong>-3-10<br />
KONTAKT<br />
Andrea Burkhardt<br />
Chefin der Abteilung Klima<br />
BAFU<br />
031 322 64 94<br />
andrea.burkhardt@bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />
49
KUNSTSTOFFRECYCLING<br />
Bald ein Einwurflo<strong>ch</strong> mehr?<br />
Der Anteil von Kunststoffen am Haushaltkehri<strong>ch</strong>t steigt kontinuierli<strong>ch</strong> an. Wie die neusten<br />
Bewertungen zeigen, eignen si<strong>ch</strong> einzelne Kunststoffprodukte im Abfall dur<strong>ch</strong>aus<br />
für eine Verwertung. Knackpunkte eines erweiterten Recyclings bleiben jedo<strong>ch</strong> die<br />
Finanzierung und die Standorte der Sammelsysteme.<br />
Das Verstauen des Wo<strong>ch</strong>enendeinkaufs<br />
im Kühls<strong>ch</strong>rank und auf dem Kü<strong>ch</strong>enregal<br />
ma<strong>ch</strong>t es augenfällig: Der Stapel<br />
leerer Plastiktragtas<strong>ch</strong>en wird no<strong>ch</strong><br />
grösser, und Multipackungen müssen<br />
meist von einer Kunststofffolie befreit<br />
werden, die umgehend im Abfall landet.<br />
Au<strong>ch</strong> immer mehr Lebensmittel,<br />
die früher in Gebinden aus Glas, Metall<br />
oder Karton verkauft wurden, sind heute<br />
in Verpackungen aus Polyethylen,<br />
Polystyrol, PET und weiteren Kunststoffen<br />
abgefüllt. Bei steigender Tendenz<br />
ma<strong>ch</strong>en sie im Kehri<strong>ch</strong>tsack inzwis<strong>ch</strong>en<br />
bereits 15 Gewi<strong>ch</strong>tsprozente aus.<br />
Mit Ausnahme von PET-Flas<strong>ch</strong>en,<br />
für die ein feinmas<strong>ch</strong>iges Sammelnetz<br />
mit einer hohen Verwertungsquote von<br />
80 Prozent besteht, landen die meisten<br />
Verpackungsabfälle aus Plastik im Kehri<strong>ch</strong>t.<br />
Do<strong>ch</strong> weshalb werden ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong><br />
andere Kunststofffraktionen aus den<br />
Haushalten separat erfasst und rezykliert?<br />
«Eine Sammlung und Verwertung<br />
von vermis<strong>ch</strong>ten Plastikrückständen<br />
wäre für die Herstellung von neuen Produkten<br />
unbrau<strong>ch</strong>bar», erklärt Mi<strong>ch</strong>el<br />
Monteil, Chef der Sektion Abfallverwertung<br />
und -behandlung beim BAFU. «Bevor<br />
man sol<strong>ch</strong>e Abfälle eins<strong>ch</strong>melzen<br />
kann, müssen sie sorgfältig sortiert, zer-<br />
50<br />
kleinert und gewas<strong>ch</strong>en werden. Diese<br />
Aufbereitung verursa<strong>ch</strong>t vor allem bei<br />
stark vers<strong>ch</strong>mutzten Kunststoffen einen<br />
beträ<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Aufwand.»<br />
Kein zwingender Handlungsbedarf. Zudem<br />
verteuert das beträ<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Volumen<br />
vieler Verpackungen die Rücknahme<br />
und den Transport. Es sind denn au<strong>ch</strong><br />
primär die verglei<strong>ch</strong>sweise hohen<br />
Kosten, wel<strong>ch</strong>e bisher weitere Separatsammlungen<br />
von Plastikgebinden<br />
verhindert haben. Dazu kommt, dass<br />
hierzulande aus ökologis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t<br />
kein dringender Handlungsbedarf besteht,<br />
weil bei uns die meisten Kunststoffrückstände<br />
in den Siedlungsabfall<br />
gelangen – und damit in Kehri<strong>ch</strong>tverbrennungsanlagen<br />
(KVA) energetis<strong>ch</strong><br />
genutzt werden. Anders verhält es si<strong>ch</strong><br />
in Ländern wie Grossbritannien oder<br />
Italien, wo na<strong>ch</strong> wie vor grosse Mengen<br />
an Siedlungsabfällen auf Deponien landen.<br />
Dadur<strong>ch</strong> werden die Plastikrückstände<br />
zum Teil weiträumig verweht,<br />
was die Lands<strong>ch</strong>aft verunstaltet und die<br />
Gewässer belastet.<br />
Ökoeffizientes Recycling. Eine neue Studie<br />
zeigt nun aber, dass die stoffli<strong>ch</strong>e<br />
Verwertung bestimmter Plastikabfälle<br />
au<strong>ch</strong> bei uns dur<strong>ch</strong>aus ökoeffizient sein<br />
kann. «Dies gilt zum Beispiel für das<br />
Recycling von Hohlkörpern und grossen<br />
Folien», stellt Mi<strong>ch</strong>el Monteil fest. «Es<br />
könnte die Umwelt entlasten und wäre<br />
au<strong>ch</strong> volkswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> sinnvoll, weil<br />
dadur<strong>ch</strong> wertvolle Rohstoffe wie insbesondere<br />
Erdöl eingespart würden.»<br />
Seit dem Frühjahr 2010 treffen si<strong>ch</strong><br />
Fa<strong>ch</strong>leute von Bund, Kantonen, Gemeinden,<br />
des Detailhandels und der<br />
Bran<strong>ch</strong>e regelmässig am «Runden Tis<strong>ch</strong><br />
Kunststoffrecycling». Dieses Gremium<br />
erarbeitet Ents<strong>ch</strong>eidungsgrundlagen<br />
und dient der gemeinsamen Lösungssu<strong>ch</strong>e<br />
zur Auss<strong>ch</strong>öpfung der Verwertungspotenziale.<br />
In seinem Auftrag soll eine<br />
Studie unter anderem klären, wel<strong>ch</strong>e<br />
zusätzli<strong>ch</strong>en Kunststofffraktionen si<strong>ch</strong><br />
für eine separate Verwertung eignen.<br />
Dana<strong>ch</strong> muss si<strong>ch</strong> zeigen, ob einzelne<br />
Partner – wie etwa Gemeinden, der Detailhandel<br />
oder private Organisationen<br />
– bereit sind, sol<strong>ch</strong>e Abfälle zurückzunehmen.<br />
Die Frage der Finanzierung<br />
dürfte dabei eine S<strong>ch</strong>lüsselrolle spielen.<br />
Die Interessengemeins<strong>ch</strong>aft Detailhandel<br />
S<strong>ch</strong>weiz (IG DHS) hat die Ma<strong>ch</strong>barkeit<br />
einer kombinierten Hohlkörpersammlung<br />
für Kunststoffflas<strong>ch</strong>en,<br />
PE-Mil<strong>ch</strong>flas<strong>ch</strong>en und Getränkekartons<br />
umwelt 3/<strong>2012</strong> > Abfallwirts<strong>ch</strong>aft
Abfallwirts<strong>ch</strong>aft > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />
PRODUKTIONS-<br />
ABFäLLE<br />
STOFFLICHES RECYCLING<br />
80 000 t Rezyklat<br />
Kunststoffflüsse in der S<strong>ch</strong>weiz für das Jahr 2010<br />
110 000 t<br />
90 000 t<br />
80 000 t<br />
30 000 t<br />
SONSTIGES 24 %<br />
ELEKTRO-<br />
GERäTE 5%<br />
FAHRZEUGE<br />
9%<br />
PRODUKTION<br />
Granulate, Halb- und<br />
Fertigfabrikate<br />
VERBRAUCH<br />
in der S<strong>ch</strong>weiz pro Jahr<br />
1000 000 t<br />
ABFALL<br />
s<strong>ch</strong>weizweit (aus<br />
Verbrau<strong>ch</strong>, Zwis<strong>ch</strong>enlager<br />
und Produktion)<br />
780 000 t<br />
SORTIERUNG<br />
AUFBEREITUNG<br />
145 000 t<br />
5000 t<br />
45 000 t<br />
ENERGETISCHE<br />
VERWERTUNG<br />
50 000 t<br />
VERPACKUNG 37 %<br />
BAU 25 %<br />
430 000 t<br />
Das Zwis<strong>ch</strong>enlager an Kunststoffen in Form von langlebigen Gütern wie Bauteilen oder Fahrzeugen<br />
nimmt jährli<strong>ch</strong> um rund 255 000 Tonnen zu. Derzeit werden etwa 70 Prozent des Jahresverbrau<strong>ch</strong>s<br />
an Plastik energetis<strong>ch</strong> genutzt. Produktströme = blaue Pfeile; Abfallflüsse = grüne Pfeile; industrielle<br />
Prozesse im In- und Ausland = gelb.<br />
570 000 t<br />
10 000 t<br />
5000 t<br />
ZWISCHENLAGER<br />
je na<strong>ch</strong> Verweildauer<br />
320 000 t<br />
635 000 t<br />
KEHRICHTVERBRENNUNG<br />
650 000 t<br />
Grafik: Redilo GmbH /BAFU /Ruth S<strong>ch</strong>ürmann<br />
51
in ihren Verkaufsstellen 2011 bereits<br />
auf eigene Initiative geprüft. Aufgrund<br />
der besonders in kleinen Filialen knappen<br />
Platzverhältnisse und der erforderli<strong>ch</strong>en<br />
Investitionen in die Rücknahmelogistik<br />
hat sie jedo<strong>ch</strong> ents<strong>ch</strong>ieden,<br />
keine flä<strong>ch</strong>endeckende Sammlung<br />
anzubieten. Dies s<strong>ch</strong>liesst jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />
aus, dass einzelne grössere Verkaufsstellen<br />
oder Detailhändler trotzdem<br />
eine Rücknahme der Kunststoffflas<strong>ch</strong>en<br />
anbieten, wie dies etwa in der Region<br />
Luzern bereits der Fall ist.<br />
«Gemeinden, die versu<strong>ch</strong>sweise sol<strong>ch</strong>e<br />
Sammlungen einführen wollen, raten<br />
wir, die erwüns<strong>ch</strong>ten Abfälle genau zu<br />
definieren», sagt Mi<strong>ch</strong>el Monteil. «Dadur<strong>ch</strong><br />
können sie vermeiden, dass stark<br />
vers<strong>ch</strong>mutzte Folien, Joghurtbe<strong>ch</strong>er<br />
oder Verbundpackungen in den Containern<br />
landen, die aufgrund der Verunreinigungen<br />
s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> do<strong>ch</strong> in KVAs<br />
verbrannt werden müssen.» Gestützt<br />
auf die geltenden gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen<br />
liegt es s<strong>ch</strong>on heute in der Kompetenz<br />
der Kantone zu ents<strong>ch</strong>eiden, ob<br />
die Gemeinden auf ihrem Gebiet Separatsammlungen<br />
von Kunststoffabfällen<br />
anbieten dürfen oder gar sollen.<br />
Weniger Probleme bereiten die relativ<br />
einheitli<strong>ch</strong>en Plastikfraktionen aus<br />
Industrie- und Gewerbebetrieben. So<br />
eignen si<strong>ch</strong> etwa Polyethylenfolien aus<br />
der Distribution sowie Abs<strong>ch</strong>nitte oder<br />
dickwandige Kanister sehr gut für das<br />
52<br />
Recycling und erzielen teilweise hohe<br />
Erlöse.<br />
Thermis<strong>ch</strong>e Verwertung. Wird eine thermis<strong>ch</strong>e<br />
Verwertung angestrebt, bestehen<br />
grundsätzli<strong>ch</strong> zwei Mögli<strong>ch</strong>keiten.<br />
Entweder belässt man die Kunststoffe<br />
in den Siedlungsabfällen, womit sie in<br />
Kehri<strong>ch</strong>tverbrennungsanlagen zu Strom<br />
und Wärme umgewandelt werden, oder<br />
sie dienen als alternativer Brennstoff in<br />
Zementwerken. Die S<strong>ch</strong>weizer Zementindustrie<br />
setzt bereits heute beträ<strong>ch</strong>t-<br />
«Eine Sammlung und Verwertung von vermis<strong>ch</strong>ten<br />
Plastikrückständen wäre für die Herstellung von<br />
neuen Produkten unbrau<strong>ch</strong>bar.» Mi<strong>ch</strong>el Monteil, BAFU<br />
li<strong>ch</strong>e Mengen an Kunststoffen ein, die<br />
meistens aus Produktionsrückständen<br />
von Industrie- und Gewerbebetrieben<br />
bestehen. Ein na<strong>ch</strong>trägli<strong>ch</strong>es Aussortieren<br />
der Plastikbestandteile aus den<br />
gemis<strong>ch</strong>ten Siedlungsabfällen ist na<strong>ch</strong><br />
dem geltenden Umweltre<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t zulässig.<br />
Mögli<strong>ch</strong>keiten der Finanzierung. Zur verursa<strong>ch</strong>ergere<strong>ch</strong>ten<br />
Finanzierung der<br />
Verwertungskosten kommt einerseits<br />
ein vorgezogener Recyclingbeitrag<br />
(VRB) auf privatwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Basis in<br />
Frage, wie er im Inland bereits für die<br />
stoffli<strong>ch</strong>e Verwertung von PET-Getränkeflas<strong>ch</strong>en<br />
und Aluminiumdosen existiert.<br />
«Ein sol<strong>ch</strong>es System müsste selbst<br />
bei einem stark s<strong>ch</strong>wankenden Erdölpreis<br />
stabil bleiben, denn die langfristige<br />
Entsorgungssi<strong>ch</strong>erheit hat au<strong>ch</strong> beim<br />
Recycling oberste Priorität», sagt Mi<strong>ch</strong>el<br />
Monteil. Kann si<strong>ch</strong> die betroffene Bran<strong>ch</strong>e<br />
ni<strong>ch</strong>t auf eine sol<strong>ch</strong>e Lösung einigen,<br />
wäre andererseits au<strong>ch</strong> eine vom<br />
Bund vorges<strong>ch</strong>riebene vorgezogene<br />
Entsorgungsgebühr (VEG) mögli<strong>ch</strong>, wie<br />
sie hierzulande für Glasflas<strong>ch</strong>en und<br />
Batterien gilt. Gegenwärtig evaluiert<br />
der Runde Tis<strong>ch</strong> Kunststoffrecycling die<br />
Ma<strong>ch</strong>barkeit einzelner Sammel- und Recyclingsysteme.<br />
Sofern si<strong>ch</strong> die Betroffenen<br />
ni<strong>ch</strong>t auf eine freiwillige Lösung<br />
einigen können, müsste vor einer allfälligen<br />
Umsetzung zuerst ein Konsens auf<br />
politis<strong>ch</strong>er Ebene gefunden werden.<br />
Stoffflüsse unter der Lupe. Als wi<strong>ch</strong>tige<br />
Ents<strong>ch</strong>eidungsgrundlage hat das Fa<strong>ch</strong>gremium<br />
zuerst eine genaue Erhebung<br />
der aktuellen Mengenströme und Verwertungskanäle<br />
erarbeitet. Demna<strong>ch</strong><br />
sind in der S<strong>ch</strong>weiz 2010 insgesamt<br />
rund 1Million Tonnen oder 125 Kilogramm<br />
Kunststoff pro Kopf in den<br />
Wirts<strong>ch</strong>aftskreislauf gelangt. Davon<br />
entfallen unter anderem 26 Prozent auf<br />
Polyethylen, 16 Prozent auf Polypropylen<br />
und 15 Prozent auf PVC – vor<br />
allem Bauteile. 37 Prozent des Kunststoffverbrau<strong>ch</strong>s<br />
gehen auf das Konto<br />
von Verpackungen, und ein Viertel beanspru<strong>ch</strong>t<br />
die Baubran<strong>ch</strong>e. Ebenfalls<br />
bedeutend sind die Kunststoffabfälle<br />
aus der Landwirts<strong>ch</strong>aft, wel<strong>ch</strong>e immer<br />
mehr Wickelfolien einsetzt.<br />
Überras<strong>ch</strong>end ist die Tatsa<strong>ch</strong>e, dass<br />
nur 430 000 Tonnen oder umgere<strong>ch</strong>net<br />
43 Prozent des jeweiligen Jahresverbrau<strong>ch</strong>s<br />
an Kunststoffen direkt im<br />
Abfall landen. Mehr als die Hälfte verbleibt<br />
in Zwis<strong>ch</strong>enlagern, zum Beispiel<br />
in Form von Kunststoff-Fensterrahmen<br />
oder Sportartikeln, die teils erst na<strong>ch</strong><br />
Jahrzehnten entsorgt werden und dann<br />
umwelt 3/<strong>2012</strong> > Abfallwirts<strong>ch</strong>aft
wieder in den Abfallstrom fliessen. Damit<br />
werden pro Jahr insgesamt rund<br />
650 000 Tonnen in KVAs thermis<strong>ch</strong> verwertet.<br />
2010 gelangten von den insgesamt<br />
780000 Tonnen an ausgedienten<br />
Kunststoffrückständen 145 000 Tonnen<br />
in die Sortierung und Auf bereitung.<br />
Davon sind 35 000 Tonnen in S<strong>ch</strong>weizer<br />
Zementwerken als Alternativbrennstoff<br />
eingesetzt und weitere 10 000 Tonnen<br />
in Wirbels<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>töfen für die Energiegewinnung<br />
genutzt worden. Auf die<br />
stoffli<strong>ch</strong>e Verwertung entfallen 90 000<br />
Tonnen, also 9Prozent der in Verkehr<br />
gebra<strong>ch</strong>ten Menge. Die zu 80 000 Tonnen<br />
Rezyklat verarbeiteten Chargen<br />
stammen überwiegend aus Industrie<br />
und Gewerbe, wo Produktionsabfälle<br />
zum Teil in reiner Form anfallen.<br />
Bra<strong>ch</strong>liegendes Verwertungspotenzial. «Einige<br />
unserer Na<strong>ch</strong>barstaaten wie etwa<br />
Deuts<strong>ch</strong>land haben Verwertungsquoten<br />
von bis zu 40 Prozent, während<br />
die S<strong>ch</strong>weiz bei weniger als 10 Prozent<br />
liegt», gibt Martin Model, Ges<strong>ch</strong>äftsführer<br />
der Innoplastics AG in Es<strong>ch</strong>likon<br />
(TG) zu bedenken. Das Potenzial sei<br />
gross, und zwar in Industrie- und Gewerbebetrieben,<br />
in Landwirts<strong>ch</strong>aft und<br />
Gartenbau, aber au<strong>ch</strong> bei Spülmittelund<br />
Kosmetikaflas<strong>ch</strong>en aus den Haushalten.<br />
«Sol<strong>ch</strong>e Abfälle gehören generell<br />
ni<strong>ch</strong>t in die Kehri<strong>ch</strong>tverbrennung.»<br />
Das bra<strong>ch</strong>liegende Potenzial für<br />
ein stoffli<strong>ch</strong>es Recycling ist in der Tat<br />
beträ<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>. Au<strong>ch</strong> die Betreiber der<br />
Zementwerke melden ihr Interesse an.<br />
«S<strong>ch</strong>on heute decken Alternativbrennstoffe<br />
die Hälfte unseres Energiebedarfs<br />
ab, do<strong>ch</strong> wir könnten no<strong>ch</strong> wesentli<strong>ch</strong><br />
mehr Kunststoffe nutzen», erklärt Heiner<br />
Widmer, der beim Bran<strong>ch</strong>enver-<br />
Abfallwirts<strong>ch</strong>aft > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />
band cemsuisse die Berei<strong>ch</strong>e Te<strong>ch</strong>nik<br />
und Umwelt betreut. Bereits seit Mitte<br />
der 1980er-Jahre setzt die S<strong>ch</strong>weizer<br />
Zementindustrie vers<strong>ch</strong>iedene Alternativbrennstoffe<br />
wie Altöl, Lösungsmittel,<br />
Klärs<strong>ch</strong>lamm, Altreifen und Tiermehl<br />
ein – und vermindert dadur<strong>ch</strong> ihren<br />
Bedarf an Kohle. «Diese Strategie ermögli<strong>ch</strong>t<br />
es unserer Bran<strong>ch</strong>e, CO 2-Emissionen<br />
zu reduzieren, inländis<strong>ch</strong>e Energieressourcen<br />
zu nutzen und damit die<br />
Auslandabhängigkeit zu vermindern»,<br />
sagt Heiner Widmer. Do<strong>ch</strong> die Bes<strong>ch</strong>affung<br />
sol<strong>ch</strong>er Brennstoffe ist zunehmend<br />
s<strong>ch</strong>wieriger. Entweder nutzt die produzierende<br />
Industrie kalorienrei<strong>ch</strong>e Abfälle<br />
wie Lösungsmittel vermehrt selbst<br />
thermis<strong>ch</strong>, oder es treten Firmen auf<br />
den Plan, die das Material stoffli<strong>ch</strong> verwerten<br />
wollen, wie dies bei den Kunststoffen<br />
der Fall ist.<br />
Massnahmenbündel für mehr Ökologie. Unabhängig<br />
vom mögli<strong>ch</strong>en Ausbau der<br />
Kunststoffverwertung empfiehlt das<br />
BAFU ein Bündel von Massnahmen,<br />
um die ökologis<strong>ch</strong>en Auswirkungen<br />
des Plastikkonsums mögli<strong>ch</strong>st tief zu<br />
halten. An erster Stelle sind die Verpackungsproduzenten<br />
gefordert. Sie<br />
haben es in der Hand, dünnere Folien<br />
und lei<strong>ch</strong>tere Behälter zu konstruieren<br />
oder Na<strong>ch</strong>füllbeutel anzubieten und damit<br />
den Verbrau<strong>ch</strong> zu minimieren. Die<br />
Kunds<strong>ch</strong>aft wiederum ist gehalten, auf<br />
unnötige Verpackungen zu verzi<strong>ch</strong>ten<br />
und Na<strong>ch</strong>füllsysteme, wie sie etwa für<br />
Was<strong>ch</strong>mittel und das breite Sortiment<br />
an Cerealien bestehen, au<strong>ch</strong> zu nutzen.<br />
An die Verwerter appelliert das<br />
2010 sind in der S<strong>ch</strong>weiz insgesamt rund 1 Million<br />
Tonnen oder 125 Kilogramm Kunststoff pro Kopf in den<br />
Wirts<strong>ch</strong>aftskreislauf gelangt.<br />
BAFU, die Effizienz der vorhandenen<br />
Verbrennungs- und Recyclinglösungen<br />
zu optimieren. «So könnten no<strong>ch</strong> etli<strong>ch</strong>e<br />
KVA-Betreiber den Wirkungsgrad<br />
ihrer Anlagen und die Wärmenutzung<br />
verbessern», sagt Mi<strong>ch</strong>el Monteil. «Eine<br />
höhere Ausbeute an Wärme und Strom<br />
trägt nämli<strong>ch</strong> unter anderem dazu bei,<br />
primäre fossile Energieträger zu s<strong>ch</strong>onen.»<br />
Pieter Poldervaart<br />
Weiterführende Links unter<br />
www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/magazin<strong>2012</strong>-3-11<br />
KONTAKT<br />
Mi<strong>ch</strong>el Monteil<br />
Sektions<strong>ch</strong>ef Abfallverwertung<br />
und -behandlung<br />
BAFU<br />
031 325 91 59<br />
mi<strong>ch</strong>el.monteil@bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />
53
UMWELTRISIKEN BEIM BAHNTRANSPORT<br />
Risikoanalysen als guter Zug<br />
gegen Störfälle<br />
Vorbeugen heisst mit dem denkbar S<strong>ch</strong>limmsten re<strong>ch</strong>nen und dafür sorgen, dass es na<strong>ch</strong> Mögli<strong>ch</strong>keit<br />
ni<strong>ch</strong>t eintritt. Na<strong>ch</strong> der Ermittlung der Personenrisiken beim Transport gefährli<strong>ch</strong>er Güter mit der Bahn<br />
werden nun die methodis<strong>ch</strong>en Grundlagen zur Beurteilung der Umweltrisiken erarbeitet.<br />
In unmittelbarer Umgebung der grün<br />
glitzernden Aare dur<strong>ch</strong>strömt ein ni<strong>ch</strong>t<br />
weniger eindrückli<strong>ch</strong>er Wasserlauf das<br />
Flusstal zwis<strong>ch</strong>en Thun und Bern. Im<br />
Untergrund fliesst ein mä<strong>ch</strong>tiger Grundwasserstrom<br />
dur<strong>ch</strong> die einst von der<br />
Aare abgelagerten Kies- und S<strong>ch</strong>otters<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten.<br />
Für die Bevölkerung der Region<br />
ist diese unsi<strong>ch</strong>tbare Ressource eine<br />
eigentli<strong>ch</strong>e Lebensader. Aus insgesamt<br />
vier Trinkwasserbrunnen in der Nähe<br />
54<br />
Te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e Massnahmen wie verstärkte Tankumhüllungen bei Kesselwagen für den Bahntransport<br />
besonders gefährli<strong>ch</strong>er Güter – zum Beispiel von Chlorgas – haben ents<strong>ch</strong>eidend<br />
zur netzweiten Reduktion der Personenrisiken beigetragen. Nun werden au<strong>ch</strong> die Umweltrisiken<br />
vertieft analysiert. Bilder: SBB<br />
von Kiesen s<strong>ch</strong>öpft der Wasserverbund<br />
Region Bern 55000 Liter pro Minute. Damit<br />
lässt si<strong>ch</strong> der Bedarf der Stadt Bern<br />
und von a<strong>ch</strong>t weiteren Gemeinden decken.<br />
Sowohl die Konstanz der S<strong>ch</strong>üttung<br />
als au<strong>ch</strong> die Qualität des geförderten<br />
Grundwassers sind bemerkenswert.<br />
Der Sand und das feine Geröll im Untergrund<br />
wirken dabei als effizienter Filter.<br />
«Dadur<strong>ch</strong> können wir hier bestes<br />
Trinkwasser gewinnen, das keine weite-<br />
re Auf bereitung mehr benötigt», erklärt<br />
Bernhard Gyger, Ges<strong>ch</strong>äftsführer des<br />
Wasserverbunds Region Bern AG.<br />
Potenziell gefährdete Ressource. Wie in<br />
praktis<strong>ch</strong> allen grösseren Flusstälern der<br />
S<strong>ch</strong>weiz bestehen freili<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> hier vers<strong>ch</strong>iedene<br />
Nutzungsansprü<strong>ch</strong>e an den<br />
begrenzten Raum, die zu Konflikten führen.<br />
So verläuft in unmittelbarer Nähe<br />
der Grundwassers<strong>ch</strong>utzzone die au<strong>ch</strong><br />
umwelt 3/<strong>2012</strong> > Störfallvorsorge
von Lastwagen genutzte Nationalstrasse<br />
A6. Und im Fall der viel befahrenen Eisenbahnstrecke<br />
zwis<strong>ch</strong>en Thun und<br />
Bern wird die S<strong>ch</strong>utzzone sogar vom<br />
Trassee gequert. Dies ist insofern mit Risiken<br />
verbunden, als Güterzüge und<br />
Lastwagen grössere Mengen an wassergefährdenden<br />
Stoffen transportieren. Bei<br />
einem gravierenden Störfall in Kiesen<br />
könnten deshalb Flüssigkeiten wie Benzin<br />
und Heizöl oder Chemikalien in die<br />
Umwelt gelangen und dadur<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> die<br />
wi<strong>ch</strong>tige Grundwasserressource akut gefährden.<br />
«Als effizientes Transportsystem<br />
weist die Bahn gegenüber der Strasse<br />
einige Umwelt- und Si<strong>ch</strong>erheitsvorteile<br />
auf», stellt Daniel Bonomi von der Sektion<br />
Störfall- und Erdbebenvorsorge<br />
beim BAFU fest. «Kommt es beim Transport<br />
von gefährli<strong>ch</strong>en Gütern jedo<strong>ch</strong> zu<br />
einem Unfall, können die deutli<strong>ch</strong> grösseren<br />
Ladekapazitäten das S<strong>ch</strong>adenausmass<br />
vers<strong>ch</strong>limmern.» Zwar wäre es<br />
mögli<strong>ch</strong>, den Trinkwasserbedarf der<br />
Bundeshauptstadt au<strong>ch</strong> bei einer unfallbedingten<br />
Stilllegung der Wasserfassungen<br />
in Kiesen vorübergehend zu decken.<br />
«Kurzfristig könnten wir genügend Wasser<br />
aus dem Emmental und aus der<br />
Belpau beziehen», erläutert Bernhard<br />
Gyger. Allerdings wären in einem sol<strong>ch</strong>en<br />
Fall Qualitätseinbussen in Kauf zu<br />
nehmen, und ausserdem fielen Zusatzkosten<br />
an. Während das Wasser aus<br />
Kiesen dank dem natürli<strong>ch</strong>en Grundwassergefälle<br />
mit Fallhebern ohne zusätzli<strong>ch</strong>en<br />
Energieaufwand na<strong>ch</strong> Bern befördert<br />
wird, sind bei der Wasserfassung<br />
Belpau Pumpen erforderli<strong>ch</strong>. Do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />
in erster Linie dieser Mehraufwand bereitet<br />
Bernhard Gyger Sorgen. «Käme es<br />
in Kiesen zu einer Kontamination, müssten<br />
wir alle verfügbaren Wasserreserven<br />
auss<strong>ch</strong>öpfen. Dies wäre eine sehr<br />
s<strong>ch</strong>wierige Situation.»<br />
Berücksi<strong>ch</strong>tigung der Risiken im Umweltre<strong>ch</strong>t.<br />
Seit 1991 ist der Umgang mit Risi-<br />
Störfallvorsorge > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />
ken dur<strong>ch</strong> den Einsatz und Transport<br />
von gesundheits- und umweltgefährdenden<br />
Stoffen in der Störfallverordnung<br />
(StFV) geregelt. Die Anlagenbetreiber<br />
sind im Sinne der Vorsorge verpfli<strong>ch</strong>tet,<br />
alle geeigneten Massnahmen zur Risikoreduktion<br />
zu treffen. Zur Beurteilung<br />
der Risiken kann die Behörde für Betriebe<br />
oder Verkehrswege bei Bedarf Risikoermittlungen<br />
verlangen. Ihr Zweck besteht<br />
darin, die mögli<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>ädigungen<br />
und deren Eintretenswahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit<br />
abzus<strong>ch</strong>ätzen.<br />
1998 haben Fa<strong>ch</strong>leute eine erste Pilotrisikoanalyse<br />
für die Personenrisiken der<br />
Bahntransporte gefährli<strong>ch</strong>er Güter<br />
dur<strong>ch</strong>geführt. Im Zentrum standen methodis<strong>ch</strong>e<br />
Fragen: «Was könnte alles ges<strong>ch</strong>ehen,<br />
wie passiert es, und wer kann<br />
auf wel<strong>ch</strong>e Art davon betroffen sein?»,<br />
erläutert Daniel Bonomi. «Dabei ging es<br />
darum, dass si<strong>ch</strong> alle Beteiligten auf die<br />
Annahmen und S<strong>ch</strong>ätzungen als Grundlagen<br />
der Analyse einigen, damit die Ergebnisse<br />
breit anerkannt sind.» Ziel der<br />
Pilotstudie war die Entwicklung einer<br />
tragfähigen Methode, um die Bahnrisiken<br />
darstellen und anhand von Kriterien<br />
beurteilen zu können. Auf dieser Basis<br />
sind seitdem vier netzweite, vereinfa<strong>ch</strong>te<br />
Abs<strong>ch</strong>ätzungen der Personenrisiken<br />
aus dem Gefahrguttransport mit der<br />
Bahn vorgenommen worden. Dabei ist<br />
es gelungen, die Datengrundlagen und<br />
Bere<strong>ch</strong>nungsmethoden laufend zu verbessern.<br />
Netzweite Reduktion der Personenrisiken.<br />
Die erste Abs<strong>ch</strong>ätzung ermittelte<br />
135 S<strong>ch</strong>ienenkilometer mit untragbar<br />
hohen Risiken. Das Ergebnis rüttelte auf<br />
und bewog die Bahnunternehmen, die<br />
verantwortli<strong>ch</strong>en Bundesstellen sowie<br />
die Industrie, ein Massnahmenkonzept<br />
zu entwickeln und die Bere<strong>ch</strong>nungen<br />
zu überprüfen. Unter Berücksi<strong>ch</strong>tigung<br />
präziserer Daten ging die 2002 dur<strong>ch</strong>geführte<br />
Analyse no<strong>ch</strong> für 34 S<strong>ch</strong>ienenkilometer<br />
von ni<strong>ch</strong>t akzeptablen<br />
Risiken aus. Sie betrafen hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />
Streckenabs<strong>ch</strong>nitte in di<strong>ch</strong>t besiedeltem<br />
Gebiet, wo ein Unfall entspre<strong>ch</strong>end<br />
viele Mens<strong>ch</strong>enleben hätte gefährden<br />
können.<br />
«Als effizientes Transportsystem weist die Bahn<br />
gegenüber der Strasse einige Umwelt- und Si<strong>ch</strong>erheitsvorteile<br />
auf.» Daniel Bonomi, BAFU<br />
Dank vers<strong>ch</strong>iedener Massnahmen<br />
zur Risikoreduktion konnten die Behörden<br />
jedo<strong>ch</strong> bereits 2006 Entwarnung<br />
geben. «Von Bedeutung sind in diesem<br />
Zusammenhang vor allem die neu installierten<br />
Ortungsanlagen für blockierte<br />
Wagenbremsen und heiss gelaufene Räder»,<br />
erklärt der Störfallexperte Markus<br />
Ammann von der Sektion Umwelt beim<br />
Bundesamt für Verkehr (BAV). Ein weiteres<br />
Potenzial besteht – insbesondere bei<br />
besonders gefährli<strong>ch</strong>en Ladungen wie<br />
Chlorgas – im Berei<strong>ch</strong> der Detektoren<br />
für entgleiste Wagena<strong>ch</strong>sen. Ziel sol<strong>ch</strong>er<br />
te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en Na<strong>ch</strong>rüstungen ist es, betroffene<br />
Züge anzuhalten, bevor si<strong>ch</strong><br />
gravierende Unglücksfälle ereignen.<br />
Konkreten Ans<strong>ch</strong>auungsunterri<strong>ch</strong>t<br />
liefern frühere Störfälle in der S<strong>ch</strong>weiz<br />
wie etwa die Entgleisung eines mit<br />
350 000 Litern Kerosin beladenen Güterzugs<br />
bei Au im St. Galler Rheintal von<br />
1988. Bei diesem Transportunfall ging<br />
ein Teil des Flugbenzins in Flammen<br />
auf, während fast 260000 Liter Kerosin<br />
im Boden versickerten und das Grundwasser<br />
vers<strong>ch</strong>mutzten, was jahrelange<br />
Sanierungsarbeiten erforderte. 1994<br />
55
sprangen Güterwagen eines Benzinzugs<br />
bei Züri<strong>ch</strong>-Affoltern aus den S<strong>ch</strong>ienen<br />
und wurden no<strong>ch</strong> kilometerweit mitgezogen,<br />
bevor sie mit einem Fahrleitungsmast<br />
kollidierten, kippten und ebenfalls<br />
in Brand gerieten.<br />
Neben den netzweit wirksamen<br />
Massnahmen – wie verstärkten Tankumhüllungen<br />
von Kesselwagen – werden<br />
lokal aber au<strong>ch</strong> organisatoris<strong>ch</strong>e<br />
Vorkehrungen zur Risikoreduktion getroffen.<br />
So dürfen beispielsweise in der<br />
Rangieranlage La Praille (GE) während<br />
eines Spiels in der nahe gelegenen Fussballarena<br />
Stade de Genève keine Güterwagen<br />
mit gefährli<strong>ch</strong>er Ladung manövriert<br />
werden.<br />
Solide methodis<strong>ch</strong>e Grundlage. Die letzte<br />
Abs<strong>ch</strong>ätzung von 2011 widerspiegelt<br />
denn au<strong>ch</strong> die positiven Auswirkungen<br />
der in den vergangenen Jahren getroffenen<br />
Si<strong>ch</strong>erheitsmassnahmen. So bestätigt<br />
die jüngste Analyse, dass auf dem<br />
S<strong>ch</strong>weizer Bahnnetz keine ni<strong>ch</strong>t akzeptablen<br />
Risiken mehr bestehen. Au<strong>ch</strong> die<br />
Länge der Strecken im Übergangsberei<strong>ch</strong><br />
mit knapp vertretbaren Risiken hat seit<br />
2006 markant von 579 auf 68 Kilometer<br />
abgenommen, was no<strong>ch</strong> rund 2 Prozent<br />
des Streckennetzes entspri<strong>ch</strong>t. Wesentli<strong>ch</strong>e<br />
Gründe dafür sind die gesenkten<br />
Entgleisungsraten und die geringere Eintretenswahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit<br />
einer Freisetzung<br />
von gefährli<strong>ch</strong>en Stoffen.<br />
Zudem hat die SBB inzwis<strong>ch</strong>en Zugriff<br />
auf einen vergrösserten Bestand<br />
an Anlagen- und Betriebsdaten. Dies ermögli<strong>ch</strong>t<br />
es, die effektiv vorhandenen<br />
56<br />
Wei<strong>ch</strong>en genauer in die Bere<strong>ch</strong>nungen<br />
einzubeziehen und au<strong>ch</strong> die Belegungszahlen<br />
der Züge zu präzisieren. «Damit<br />
lassen si<strong>ch</strong> die Ergebnisse immer stärker<br />
der Realität anglei<strong>ch</strong>en, sodass wir zunehmend<br />
von vorsorgli<strong>ch</strong> pessimistis<strong>ch</strong>en<br />
Annahmen abwei<strong>ch</strong>en können»,<br />
erläutert Daniel Bonomi vom BAFU.<br />
Die vorliegenden soliden methodis<strong>ch</strong>en<br />
Grundlagen für die Abs<strong>ch</strong>ätzung<br />
der Personenrisiken erlei<strong>ch</strong>tern nun<br />
au<strong>ch</strong> die netzweite Ermittlung der potenziellen<br />
Umweltrisiken. Die Annahmen<br />
über Streckenführung, Transportmengen,<br />
Anzahl der Wei<strong>ch</strong>en pro<br />
Strecke wie au<strong>ch</strong> die S<strong>ch</strong>ätzungen der<br />
ausgelaufenen Stoffmengen bleiben si<strong>ch</strong><br />
nämli<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong>.<br />
Im Unters<strong>ch</strong>ied zu den Personenrisiken, wel<strong>ch</strong>e si<strong>ch</strong><br />
na<strong>ch</strong> der Opferzahl bemessen, wirft die Beurteilung<br />
der Umweltrisiken grössere methodis<strong>ch</strong>e Probleme<br />
auf.<br />
S<strong>ch</strong>wer bere<strong>ch</strong>enbare Umwelt. Im Unters<strong>ch</strong>ied<br />
zu den Personenrisiken, wel<strong>ch</strong>e<br />
si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> der Opferzahl bemessen, wirft<br />
die Beurteilung der Umweltrisiken allerdings<br />
grössere methodis<strong>ch</strong>e Probleme<br />
auf. «Die unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Vers<strong>ch</strong>mutzungen<br />
der Umwelt sind tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />
s<strong>ch</strong>wer zu quantifizieren», stellt Daniel<br />
Bonomi fest. Zudem lassen si<strong>ch</strong> die Prozesse<br />
bei störfallbedingten Umweltbelastungen<br />
s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t verallgemeinern. «So<br />
müsste man für jeden denkbaren Unfallstandort<br />
wissen, wohin etwa auslaufendes<br />
Benzin fliesst. Aber s<strong>ch</strong>on eine kleine<br />
Mauer oder ein Entwässerungsgraben<br />
können die Situation total verändern.»<br />
Die s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>te Fassbarkeit des Untersu<strong>ch</strong>ungsgegenstandes<br />
legt ein pragmatis<strong>ch</strong>es<br />
Vorgehen nahe. Von vitaler Bedeutung<br />
sind dabei in erster Linie<br />
grössere Grundwasserfassungen. An-<br />
hand des Pilotstandortes Kiesen untersu<strong>ch</strong>t<br />
das BAFU – in Zusammenarbeit<br />
mit dem BAV und der SBB – deshalb die<br />
wesentli<strong>ch</strong>en Parameter zur Abs<strong>ch</strong>ätzung<br />
der Umweltrisiken bei einem<br />
Eisenbahnunfall mit Gefahrengütern<br />
sowie den Aufwand für präventive Si<strong>ch</strong>erheitsmassnahmen.<br />
Bernhard Gyger beziffert die Kosten<br />
für einen Tagesausfall der Grundwasserfassungen<br />
in Kiesen auf 50000 Franken.<br />
Na<strong>ch</strong> dem Kerosinunfall bei Au im<br />
St. Galler Rheintal dauerte es damals allerdings<br />
zwei Jahre, bis allein das kontaminierte<br />
Erdrei<strong>ch</strong> vom versickerten Flugbenzin<br />
gereinigt war. Im Rahmen des<br />
Projekts «Aarewasser» hat der Kanton<br />
Bern die Folgekosten für einen vollständigen<br />
Ersatz der Trinkwassernutzung in<br />
Kiesen abges<strong>ch</strong>ätzt und kam dabei auf<br />
100 Millionen Franken. Angesi<strong>ch</strong>ts sol<strong>ch</strong>er<br />
Zahlen lohnt es si<strong>ch</strong> also, die Umweltrisiken<br />
beim Transport gefährli<strong>ch</strong>er<br />
Güter und mögli<strong>ch</strong>e vorsorgli<strong>ch</strong>e Massnahmen<br />
fundiert abzuklären.<br />
Weiterführende Links unter<br />
www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/magazin<strong>2012</strong>-3-12<br />
Lucienne Rey<br />
KONTAKT<br />
Daniel Bonomi<br />
Sektion Störfall- und Erdbebenvorsorge<br />
BAFU<br />
031 322 93 98<br />
daniel.bonomi@bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />
umwelt 3/<strong>2012</strong> > Störfallvorsorge
Bildung<br />
Lernen ausserhalb der S<strong>ch</strong>ulgebäude<br />
Am 10. November <strong>2012</strong> findet in Luzern die 3. Tagung über<br />
«Aussers<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>e Lernorte» statt. Das Programm setzt si<strong>ch</strong><br />
aus zwei Plenarvorträgen sowie individuell wählbaren Ateliers<br />
und Kurzvorträgen zusammen. Praxisbeispiele zeigen, wie si<strong>ch</strong><br />
der Unterri<strong>ch</strong>t ausserhalb der S<strong>ch</strong>ulgebäude am effektivsten<br />
umsetzen lässt. Das Angebot ri<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> an Lehrpersonen aller<br />
Stufen, an Dozierende von Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ulen und Universitäten sowie<br />
an weitere Interessierte und kostet CHF 80.– (Lehrpersonen)<br />
bzw. CHF 120.– (Übrige). Die Anmeldung ist direkt auf der Website<br />
mögli<strong>ch</strong>.<br />
> Pädagogis<strong>ch</strong>e Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ule Zentrals<strong>ch</strong>weiz, Luzern, 041 228 45 15,<br />
raffael.vonniederhaeusern@phz.<strong>ch</strong>, www.lernwelten.luzern.phz.<strong>ch</strong> ><br />
Aussers<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>e Lernorte > Tagungen<br />
Grosser Fundus an S<strong>ch</strong>ulmaterialien<br />
Auf der Plattform www.umweltbildung.<strong>ch</strong> stehen vielfältige Unterri<strong>ch</strong>tsmaterialien<br />
zur Verfügung, die den Lehrplänen und Zielen<br />
der Bildung für Na<strong>ch</strong>haltige Entwicklung (BNE) entspre<strong>ch</strong>en.<br />
Neben den evaluierten Unterri<strong>ch</strong>tsmedien unterstützen neu Themendossiers<br />
die Lehrpersonen bei der Unterri<strong>ch</strong>tsgestaltung zur<br />
Umweltbildung. Das erste fertiggestellte Dossier behandelt den<br />
Wald. Weitere Dossiers zu den Themen Energie und Klima sind<br />
in Vorbereitung. Zudem finden si<strong>ch</strong> auf der Plattform gute Beispiele<br />
von Projekten, die von Lehrpersonen realisiert wurden, mit<br />
genauen Angaben zu Lernzielen, Umsetzung, Kosten usw. Sie<br />
sollen zur Na<strong>ch</strong>ahmung anregen. So profitieren weitere Lehrpersonen<br />
von bereits gema<strong>ch</strong>ten Erfahrungen.<br />
> Stiftung Umweltbildung S<strong>ch</strong>weiz, Bern, 031 370 17 70, info@<br />
sub-fee.<strong>ch</strong>, www.umweltbildung.<strong>ch</strong> > Themendossiers bzw. > Gute<br />
S<strong>ch</strong>ulprojekte<br />
Wer findet die Ringelnatter?<br />
Das Naturama Aargau stellt ein Online-Biofotoquiz zur Verfügung. Na<strong>ch</strong> dem Grundsatz, dass Artenkenntnis<br />
den Grundstein zur Erhaltung der biologis<strong>ch</strong>en Vielfalt legt, soll das Wissen mit der Methode «üben im<br />
Internet – erkennen im Feld» ausgebaut werden. Im Biofotoquiz finden si<strong>ch</strong> 16 000 Bilder von über 1600<br />
Arten. Sie sind in die Gruppen Pflanzen, Heus<strong>ch</strong>recken, Amphibien, Reptilien und Vögel unterteilt. Dazu<br />
gibt es Übungen in vier vers<strong>ch</strong>iedenen Quizformen. Lehrpersonen oder Kursleitende haben die Mögli<strong>ch</strong>keit,<br />
auf der Plattform aus bestehenden Serien auszuwählen oder individuelle Lernserien zu erstellen und<br />
mit den dazugehörenden Arbeitsblättern und Quizfragen zu ergänzen.<br />
> Naturama Aargau, Aarau, 062 832 72 00, info@naturama.<strong>ch</strong>, www.biofotoquiz.<strong>ch</strong><br />
umwelt 3/<strong>2012</strong><br />
zVg<br />
zVg<br />
NOTIZBLOCK<br />
Kreative Seilspielgeräte<br />
Mit nur wenigen Seilen und den entspre<strong>ch</strong>enden<br />
Knoten lassen si<strong>ch</strong> im Wald<br />
innert Kürze unbegrenzte Spielmögli<strong>ch</strong>keiten<br />
selber realisieren. Die Sozialpädagogin<br />
Alexandra S<strong>ch</strong>warzer bietet<br />
dazu Kurse in der Deuts<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>weiz und<br />
in der Romandie an und hat ein Bu<strong>ch</strong> mit<br />
Anleitungen herausgegeben (s<strong>ch</strong>aukelfee<br />
& klettermax).<br />
> 055 266 14 55,<br />
www.naturundbewegung.de<br />
Klimawerkstatt für Lernende<br />
Die Klimawerkstatt will Jugendli<strong>ch</strong>e für<br />
den Themenkomplex «Energie – Klima<br />
– Beruf» sensibilisieren. Der von myclimate<br />
lancierte Wettbewerb ist für alle<br />
Lernenden vom 1. bis zum 4. Lehrjahr<br />
offen. Sie können mit ihren selbst entwickelten<br />
Projekten rund ums Energiesparen<br />
teilnehmen und dadur<strong>ch</strong> einen wi<strong>ch</strong>tigen<br />
Einblick in die spätere Berufspraxis<br />
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Entwicklung ist auf Leute zuges<strong>ch</strong>nitten,<br />
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beiden Berei<strong>ch</strong>en engagieren mö<strong>ch</strong>ten.<br />
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von CHF 35.– (zzgl. Versand und MwSt.)<br />
direkt über die Website bestellen.<br />
> www.sanu.<strong>ch</strong> > Dienstleistungen ><br />
Bildungsführer<br />
Die grosse Waldarena<br />
Der Naturpark Gantris<strong>ch</strong> bietet unter<br />
dem Namen Waldarena vers<strong>ch</strong>iedene<br />
Exkursionen für S<strong>ch</strong>ulklassen, Firmen<br />
und Vereine an. Die Themen rei<strong>ch</strong>en<br />
von «Na<strong>ch</strong>t der Vögel» über «Wildwasser<br />
Gürbe» bis zu «Klettern mit Köpf<strong>ch</strong>en».<br />
Au<strong>ch</strong> Vors<strong>ch</strong>läge für ganze Projektwo<strong>ch</strong>en<br />
sind online verfügbar.<br />
> Naturpark Gantris<strong>ch</strong> / Waldarena,<br />
031 808 00 20, waldarena@gantris<strong>ch</strong>.<strong>ch</strong>,<br />
www.waldarena.<strong>ch</strong><br />
57
Re<strong>ch</strong>t<br />
Hoher S<strong>ch</strong>utz für Moorlands<strong>ch</strong>aften<br />
Die Züri<strong>ch</strong>see-Insel Ufenau ist Teil der Moorlands<strong>ch</strong>aft<br />
«Frauenwinkel». In diesem Gebiet von besonderer<br />
S<strong>ch</strong>önheit und nationaler Bedeutung hatte das Kloster<br />
Einsiedeln (SZ) insgesamt vier Baugesu<strong>ch</strong>e für Änderungsvorhaben<br />
eingerei<strong>ch</strong>t. Kernstück des Konzepts war<br />
der Neubau eines blattförmigen Sommerrestaurants<br />
dur<strong>ch</strong> den Starar<strong>ch</strong>itekten Peter Zumthor. Das Verwaltungsgeri<strong>ch</strong>t<br />
des Kantons S<strong>ch</strong>wyz wies eine Einspra<strong>ch</strong>e<br />
von Aqua Viva dagegen ab, worauf die Naturs<strong>ch</strong>utz-Vereinigung<br />
Bes<strong>ch</strong>werde beim Bundesgeri<strong>ch</strong>t einrei<strong>ch</strong>te.<br />
Dieses hat die Baubewilligung für das Sommerrestaurant<br />
inzwis<strong>ch</strong>en aufgehoben, weil Artikel 78 der Bundesverfassung<br />
Moorlands<strong>ch</strong>aften grundsätzli<strong>ch</strong> unter<br />
S<strong>ch</strong>utz stellt. Das verfassungsre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Veränderungsverbot<br />
wird im Natur- und Heimats<strong>ch</strong>utzgesetz (NHG)<br />
konkretisiert. Demna<strong>ch</strong> seien Eingriffe in Moorlands<strong>ch</strong>aften<br />
zwar ni<strong>ch</strong>t absolut ausges<strong>ch</strong>lossen, argumentiert<br />
das Bundesgeri<strong>ch</strong>t. Ein Neubau, der ni<strong>ch</strong>t mit einer<br />
s<strong>ch</strong>utzzielkonformen Nutzung in Zusammenhang stehe,<br />
sprenge diesen Rahmen aber bei Weitem.<br />
Christoph Fis<strong>ch</strong>,Abteilung Re<strong>ch</strong>t, BAFU, 031 324 78 35,<br />
<strong>ch</strong>ristoph.fis<strong>ch</strong>@bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>, Bundesgeri<strong>ch</strong>t: Urteil BGE 138 II 23<br />
Verursa<strong>ch</strong>er zahlen für Littering<br />
Seit dem 1. Mai 2007 gilt in der Stadt Bern ein neues<br />
Abfallreglement. Demna<strong>ch</strong> wird die öffentli<strong>ch</strong>e Entsorgung<br />
von Litteringabfall sowie von Kehri<strong>ch</strong>t in den städtis<strong>ch</strong>en<br />
Mülleimern dur<strong>ch</strong> Grundgebühren finanziert,<br />
die alle Liegens<strong>ch</strong>aftsbesitzer entri<strong>ch</strong>ten müssen. Dagegen<br />
setzten si<strong>ch</strong> vers<strong>ch</strong>iedene Berner Verkaufsges<strong>ch</strong>äfte<br />
erfolgrei<strong>ch</strong> vor dem kantonalen Verwaltungsgeri<strong>ch</strong>t zur<br />
Wehr.<br />
Das Bundesgeri<strong>ch</strong>t wies die na<strong>ch</strong>folgende Bes<strong>ch</strong>werde<br />
der Stadt Bern zwar ab, do<strong>ch</strong> widerspra<strong>ch</strong> es dem Berner<br />
Verwaltungsgeri<strong>ch</strong>t in wesentli<strong>ch</strong>en Punkten. So kamen<br />
die Lausanner Ri<strong>ch</strong>ter zum S<strong>ch</strong>luss, dass Litteringkosten<br />
über verursa<strong>ch</strong>ergere<strong>ch</strong>te Gebühren – im Sinne von<br />
Artikel 32a des Umwelts<strong>ch</strong>utzgesetzes – zu finanzieren<br />
sind. Als Abfallverursa<strong>ch</strong>er gelten gemäss dem Bundesgeri<strong>ch</strong>t<br />
ni<strong>ch</strong>t nur Personen, die Abfälle direkt im öffentli<strong>ch</strong>en<br />
Raum liegen lassen, sondern zum Beispiel au<strong>ch</strong><br />
Take-away-Betriebe. Sie verkaufen nämli<strong>ch</strong> Produkte mit<br />
einem zumeist hohen Abfallanteil, wel<strong>ch</strong>er in der Regel<br />
im öffentli<strong>ch</strong>en Raum entsorgt wird. Somit können Gemeinden<br />
Littering verursa<strong>ch</strong>ende Betriebe künftig finanziell<br />
belangen.<br />
Berenice Iten, Abteilung Re<strong>ch</strong>t, BAFU, 031 322 93 53,<br />
berenice.iten@bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>, Bundesgeri<strong>ch</strong>t: Urteil 2C_239/2011<br />
58<br />
Publikationen<br />
umwelt 3/<strong>2012</strong>
Abfall<br />
Verkehr mit Sonderabfällen und anderen kontrollpfli<strong>ch</strong>tigen Abfällen<br />
in der S<strong>ch</strong>weiz. Vollzugshilfe. D, F; keine gedruckte Ausgabe;<br />
Download: www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/uv-1215-d<br />
Biodiversität<br />
Rote Liste Wei<strong>ch</strong>tiere (S<strong>ch</strong>necken und Mus<strong>ch</strong>eln). Gefährdete<br />
Arten der S<strong>ch</strong>weiz, Stand 2010. Hrsg. BAFU und S<strong>ch</strong>weizer Zentrum<br />
für die Kartografie der Fauna (SZKF/CSCF); 148 S.; D, F; kostenlos;<br />
Bestellung der gedruckten Ausgabe: www.bundespublikationen.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>, Art.-Nr.<br />
810.100.095d; Download: www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/uv-1216-d<br />
Kurzporträt Strategie Biodiversität S<strong>ch</strong>weiz. Gemeinsam die Vielfalt<br />
des Lebens erhalten und na<strong>ch</strong>haltig nutzen. Faltblatt; D, F, I;<br />
kostenlos; Bestellung der gedruckten Ausgabe: www.bundespublikationen.<br />
<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>, Art.-Nr. 810.400.067d; Download: www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/ud-1056-d<br />
Elektrosmog<br />
Elektromagnetis<strong>ch</strong>e Hypersensibilität. Bewertung von wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />
Studien. Stand Ende 2011. 103 S.; D (F nur als Zusammenfassung);<br />
keine gedruckte Ausgabe;<br />
Download: www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/uw-1218-d<br />
Hydrologie<br />
Auswirkungen der Klimaänderung auf Wasserressourcen und Gewässer.<br />
Syntheseberi<strong>ch</strong>t zum Projekt «Klimaänderung und Hydrologie<br />
in der S<strong>ch</strong>weiz» (CCHydro). 76 S.; D, F in Vorbereitung; CHF 7.50;<br />
Bestellung der gedruckten Ausgabe: www.bundespublikationen.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>, Art.-Nr.<br />
810.300.127d; Download: www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/uw-1217-d<br />
Luft<br />
Weniger Russ aus Dieselmotoren. Erfolge der S<strong>ch</strong>weiz bei der<br />
Emissionsreduktion. 28 S.; D, F, I, E; kostenlos; Bestellung der gedruckten<br />
Ausgabe: www.bundespublikationen.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>, Art.-Nr. 810.400.068d;<br />
Download: www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/ud-1057-d<br />
Wald und Holz<br />
Forstwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>es Testbetriebsnetz der S<strong>ch</strong>weiz. Ergebnisse<br />
der Jahre 2008 – 2010. Hrsg. BAFU und Bundesamt für Statistik (BFS);<br />
32 S.; D, F; kostenlos;<br />
Bestellung der gedruckten Ausgabe: www.bfs.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>;<br />
Download: www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/ud-1059-d<br />
Edelkastaniengallwespe (Dryocosmus kuriphilus). Besonders gefährli<strong>ch</strong>er<br />
S<strong>ch</strong>ädling – helfen Sie mit! 4 S.; D, F, I; kostenlos; Bestellung<br />
der gedruckten Ausgabe: www.bundespublikationen.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>, Art.-Nr.<br />
810.400.073d; Download: www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/ud-1061-d<br />
umwelt 3/<strong>2012</strong><br />
Wasser<br />
Grundwassers<strong>ch</strong>utzzonen bei Lockergesteinen. Ein Modul der<br />
Vollzugshilfe Grundwassers<strong>ch</strong>utz. 58 S.; D, F; kostenlos; Bestellung<br />
der gedruckten Ausgabe: www.bundespublikationen.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>, Art.-Nr.<br />
810.100.094d; Download: www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/uv-1207-d<br />
Mikroverunreinigungen aus kommunalem Abwasser. Verfahren<br />
zur weitergehenden Elimination auf Kläranlagen. 210 S.; D, F, (I und<br />
E nur als Zusammenfassung); keine gedruckte Ausgabe;<br />
Download: www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/uw-1214-d<br />
Merkblatt-Sammlung Wasserbau und Ökologie. Erkenntnisse<br />
aus dem Projekt Integrales Flussgebietsmanagement. 58 S.; D, F;<br />
CHF 12.–; Bestellung der gedruckten Ausgabe: www.bundespublikationen.<br />
<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>,Art.-Nr. 810.300.126d; Download: www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/uw-1211-d<br />
Umwelt allgemein<br />
Umweltstatistik S<strong>ch</strong>weiz in der Tas<strong>ch</strong>e <strong>2012</strong>. Publikumsbros<strong>ch</strong>üre.<br />
Hrsg. Bundesamt für Statistik (BFS); 36 S.; D, F, I, E; kostenlos; Bezug: BFS,<br />
2010 Neu<strong>ch</strong>âtel,Tel. 032 713 60 60, Fax 032 713 60 61, order@bfs.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>,<br />
www.bfs.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>; Bestellnummer D: 521-1200.Anhand von Kennzahlen, Grafiken<br />
und Kurztexten bietet diese kleine Bros<strong>ch</strong>üre einen s<strong>ch</strong>nellen Überblick<br />
über Zusammenhänge und Entwicklungen im Umweltberei<strong>ch</strong>.<br />
Die Bros<strong>ch</strong>üre liegt diesem Heft bei.<br />
Herunterladen oder bestellen<br />
Sämtli<strong>ch</strong>e BAFUPublikationen sind elektronis<strong>ch</strong> verfügbar und<br />
lassen si<strong>ch</strong> als PDF kostenlos herunterladen unter:<br />
www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/publikationen<br />
Einzelne Veröffentli<strong>ch</strong>ungen sind zudem in gedruckter Form<br />
erhältli<strong>ch</strong> und können bestellt werden bei:<br />
BBL, Vertrieb Bundespublikationen, CH3003 Bern<br />
Tel.: +41 (0)31 325 50 50, Fax +41 (0)31 325 50 58<br />
EMail: verkauf.zivil@bbl.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />
www.bundespublikationen.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />
(bitte Artikelnummer angeben)<br />
Eine Bestellkarte ist in diesem Magazin eingeheftet. Bei kostenpfli<strong>ch</strong>tigen<br />
Publikationen wird ein Versandkostenbeitrag erhoben.<br />
Ein Newsletter oder RSSFeed für alle Neuers<strong>ch</strong>einungen kann auf<br />
der BAFUWebsite unter www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/newsletter abonniert<br />
werden.<br />
S<strong>ch</strong>lüssel zu den bibliografis<strong>ch</strong>en Angaben:<br />
Titel. Untertitel. Herausgeber (wenn ni<strong>ch</strong>t BAFU). Seitenzahl; erhältli<strong>ch</strong>e<br />
Spra<strong>ch</strong>en; Preis (sofern gedruckte Ausgabe); Bezug und Artikelnummer<br />
(sofern gedruckte Ausgabe); Link für den Download.<br />
59
Tipps<br />
Genussvolles Strampeln<br />
Auf der «Herzroute» lässt si<strong>ch</strong> die Voralpens<strong>ch</strong>weiz<br />
im gehobenen Fahrradtempo entdecken:<br />
Die Velowanderroute führt von Lausanne<br />
via Romont, Laupen, Thun, Langnau, Burgdorf,<br />
Willisau na<strong>ch</strong> Zug. An den Etappenorten bestehen<br />
Mietmögli<strong>ch</strong>keiten für Flyer-E-Bikes. Für<br />
Gepäcktransport und Überna<strong>ch</strong>tungen gibt es<br />
spezielle Angebote.<br />
> www.herzroute.<strong>ch</strong><br />
Natürli<strong>ch</strong>er Tourismus<br />
für Anfänger<br />
Das Handbu<strong>ch</strong> Tourismus – ganz natürli<strong>ch</strong> ist<br />
ein Arbeitsinstrument für alle, die mehr über<br />
den natur- und kulturnahen Tourismus erfahren<br />
und ein entspre<strong>ch</strong>endes Angebot entwickeln<br />
60<br />
zVg<br />
mö<strong>ch</strong>ten. Es enthält Informationen zum potenziellen<br />
Markt und zu den Trends sowie eine Anleitung<br />
zur Angebotsentwicklung.<br />
> Kostenloser Download unter:<br />
www.naturkultur-erlebnis.<strong>ch</strong><br />
Erlebnis Kanufahren<br />
Kanufahren ist ni<strong>ch</strong>t nur etwas für ambitionierte<br />
Sportlerinnen und Sportler, sondern kann<br />
au<strong>ch</strong> ein Erlebnis für die ganze Familie sein.<br />
Die Website www.kanuland.<strong>ch</strong> gibt nützli<strong>ch</strong>e<br />
Tipps – so etwa eine Übersi<strong>ch</strong>t zu geführten<br />
Touren in der ganzen S<strong>ch</strong>weiz.<br />
> www.kanuland.<strong>ch</strong><br />
ästhetik des Unsi<strong>ch</strong>tbaren<br />
S<strong>ch</strong>öne, überras<strong>ch</strong>ende, bisweilen au<strong>ch</strong> «eklige»<br />
Natur: Mit einem Rasterelektronenmikroskop<br />
und hunderttausendfa<strong>ch</strong>er Vergrösserung<br />
werden Würmer zu veritablen Horrorwesen,<br />
und Milben erinnern an futuristis<strong>ch</strong>e Ufos. Auf<br />
www.fei.com oder auf der micronaut-Website<br />
des S<strong>ch</strong>weizer Wissens<strong>ch</strong>aftsfotografen Martin<br />
Oeggerli kann man in eine verborgene Welt<br />
eintau<strong>ch</strong>en.<br />
> www.fei.com > resources > image gallery<br />
(nur E); www.micronaut.<strong>ch</strong> > Gallery<br />
Riesen mit Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />
Im Bu<strong>ch</strong> Baumriesen der S<strong>ch</strong>weiz porträtiert<br />
der Fotograf und Baumkenner Mi<strong>ch</strong>el Brunner<br />
die s<strong>ch</strong>önsten, ältesten und eindrückli<strong>ch</strong>sten<br />
Bäume unseres Landes. Auf 240 Seiten dokumentiert<br />
er deren Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, Mythen und<br />
zVg<br />
Biologie. Dazu gibt es einen Wanderführer mit<br />
20 Routen zu alten Bäumen in der S<strong>ch</strong>weiz.<br />
> Baumriesen der S<strong>ch</strong>weiz, Mi<strong>ch</strong>el Brunner,<br />
CHF 59.–,Werd-Verlag, ISBN: 978-3-85932-629-3;<br />
Wege zu Baumriesen, Mi<strong>ch</strong>el Brunner, CHF 34.90,<br />
Werd-Verlag, ISBN: 978-3-85932-654-5<br />
«Sonne bewegt»<br />
Eine Sonderausstellung im Verkehrshaus Luzern<br />
widmet si<strong>ch</strong> dem Thema na<strong>ch</strong>haltige<br />
<strong>Mobilität</strong> und zeigt, wie die Sonne in diesem<br />
Berei<strong>ch</strong> eine vielseitige Energiespenderin sein<br />
kann. Anhand physikalis<strong>ch</strong>er Experimente, bei<br />
Testfahrten und in einer Infozone erfährt man<br />
mehr zum Thema Sonne und Energie. Die Ausstellung<br />
dauert bis zum 21.Oktober <strong>2012</strong>.<br />
> www.verkehrshaus.<strong>ch</strong> > Sonne bewegt<br />
Ferien na<strong>ch</strong> Mass<br />
Feriengestaltung na<strong>ch</strong> den eigenen Wüns<strong>ch</strong>en<br />
im Unesco-Welterbe-Gebiet Jungfrau-Alets<strong>ch</strong>:<br />
Bei der individuellen Planung hilft die Website<br />
www.mySwissalps.<strong>ch</strong> mit ausführli<strong>ch</strong>en<br />
Wandertipps und Hinweisen zum Leben in der<br />
Region.<br />
> Unesco-Welterbe S<strong>ch</strong>weizer Alpen<br />
Jungfrau-Alets<strong>ch</strong>, Naters, 027 924 52 76,<br />
www.mySwissalps.<strong>ch</strong><br />
Kleinode der Natur<br />
Moore spielen eine wi<strong>ch</strong>tige Rolle im Wasserhaushalt<br />
und sind ganz besondere Lebensräume<br />
sowie wi<strong>ch</strong>tige Naturar<strong>ch</strong>ive. Do<strong>ch</strong> sie<br />
stehen in vers<strong>ch</strong>iedener Hinsi<strong>ch</strong>t unter Druck.<br />
umwelt 3/<strong>2012</strong><br />
zVg
Das Naturmuseum St.Gallen zeigt eine Wanderausstellung<br />
zum Thema Moors<strong>ch</strong>utz unter dem<br />
Titel «Moore – Kleinode unserer Lands<strong>ch</strong>aft».<br />
Sie ist bis Oktober <strong>2012</strong> in St.Gallen sowie in<br />
weiteren Orten der Osts<strong>ch</strong>weiz zu sehen.<br />
> Naturmuseum St.Gallen, 071 242 06 70,<br />
www.naturmuseumsg.<strong>ch</strong><br />
Ökostrom verkaufen<br />
Die Ökostrombörse ist eine Plattform zur Versteigerung<br />
des Mehrwerts von zertifiziertem<br />
Strom aus erneuerbaren Quellen. Produzenten<br />
sol<strong>ch</strong>er Energie, die keine Förderung vom Bund<br />
erhalten, können hier ihren Strom anbieten und<br />
direkt den vers<strong>ch</strong>iedenen Energieversorgern im<br />
Kanton Aargau verkaufen, wel<strong>ch</strong>e die Strombörse<br />
betreiben.<br />
> www.oekostromboerse.<strong>ch</strong>, 062 834 27 00<br />
Berner Wanderwege<br />
ma<strong>ch</strong>en mobil<br />
Ausgewählte Tourenvors<strong>ch</strong>läge der Berner<br />
Wanderwege sind neu au<strong>ch</strong> auf mobilen Geräten<br />
wie Smartphones und Tablets zugängli<strong>ch</strong>.<br />
Zu jeder Route lassen si<strong>ch</strong> eine Bes<strong>ch</strong>reibung,<br />
Fotos und ein Höhenprofil anzeigen. Die dazugehörige<br />
Strecke kann direkt in der integrierten<br />
Karte abgebildet werden.<br />
> www.bernerwanderwege.<strong>ch</strong>,<br />
www.gps-tracks.com<br />
umwelt 3/<strong>2012</strong><br />
Unheimli<strong>ch</strong>e Eroberer<br />
Invasive Pflanzen und Tiere wie Ambrosia, Tigermücke<br />
oder Marderhund siedeln erst seit jüngster<br />
Zeit in der S<strong>ch</strong>weiz und bedrängen zum Teil<br />
die einheimis<strong>ch</strong>e Flora und Fauna. Das Bu<strong>ch</strong><br />
Unheimli<strong>ch</strong>e Eroberer porträtiert 24 Arten aus<br />
der Tier- und Pflanzenwelt, die in Europa Probleme<br />
verursa<strong>ch</strong>en und deren Bekämpfung eine<br />
grosse Herausforderung ist.<br />
> Unheimli<strong>ch</strong>e Eroberer: Invasive Pflanzen und<br />
Tiere in Europa,Wolfgang Nentwig (Hrsg.), CHF<br />
53.90, Haupt Verlag, ISBN: 978-3-258-07660-7<br />
Ruhe-Insel im Alltag<br />
Die vom BAFU unterstützte interaktive Ausstellung<br />
«Ruhe-Insel» bietet Informationen und Be-<br />
ratung zum Thema Lärm und sorgt für sinnli<strong>ch</strong>e<br />
Hörerlebnisse. Besu<strong>ch</strong>erinnen und Besu<strong>ch</strong>er<br />
können zudem ihr eigenes Lärmprofil erstellen<br />
oder auf einer regionalen Karte ihre persönli<strong>ch</strong>e<br />
Ruhe-Insel eintragen. Die Ausstellung kann<br />
au<strong>ch</strong> für eigene Anlässe gemietet werden.<br />
> Aktuelle Ausstellungsstandorte unter:<br />
www.ruhe-insel.<strong>ch</strong><br />
Der Klang-Spaziergang<br />
Das Amt für Umwelt und Energie Basel-Stadt<br />
hat akustis<strong>ch</strong> spezielle Orte ausgewählt, die<br />
si<strong>ch</strong> auf einem Spaziergang dur<strong>ch</strong> Basel beliebig<br />
miteinander verbinden lassen. Einerseits<br />
trifft man dabei auf Ruhe-Inseln, andererseits<br />
auf Klangphänomene, die lei<strong>ch</strong>t zu überhören<br />
sind, es aber verdienen, wahrgenommen zu<br />
werden.<br />
> www.aue.bs.<strong>ch</strong>/hoerenswerte_orte_in_basel.<br />
pdf, 061 639 22 22<br />
Wer wird Bio-Millionär?<br />
Anlässli<strong>ch</strong> des Natur Festivals <strong>2012</strong> in Basel<br />
fand au<strong>ch</strong> eine Biomillionen-Show statt. Bei<br />
dem vom BAFU unterstützten Quiz konnten die<br />
Teilnehmenden ihr Naturwissen unter Beweis<br />
stellen. Wer mö<strong>ch</strong>te, kann jetzt seine Kenntnisse<br />
au<strong>ch</strong> online testen.<br />
> www.biomillionenshow.<strong>ch</strong><br />
Impressum 3/12 August <strong>2012</strong> |Das Magazin umwelt des BAFU ers<strong>ch</strong>eint viermal jährli<strong>ch</strong> und kann kostenlos abonniert werden; ISSN 1424-7186<br />
Herausgeber: Bundesamt für Umwelt BAFU. Das BAFU ist ein Amt des Eidg. Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK | Projektoberleitung:<br />
Bruno Oberle, Thomas Göttin | Konzept, Redaktion, Produktion: Georg Ledergerber (Gesamtleitung), Charlotte S<strong>ch</strong>läpfer (Stellvertretung); Doris O<strong>ch</strong>sner, Harald Jenk<br />
und Kaspar Meuli (Dossier «<strong>Mobilität</strong>»); Beat Jordi (Weitere Themen), Luc Hutter (online), Cornélia Mühlberger de Preux (Redaktorin Romandie), Valérie Fries (Redak-<br />
tionssekretariat) | Externe journalistis<strong>ch</strong>e Mitarbeit: Hansjakob Baumgartner,Vera Bueller,Andres Eberhard, Urs Fitze, Nicolas Gattlen, Oliver Graf, Stefan Hartmann,<br />
Pieter Poldervaart, Lucienne Rey; Peter Bader – textatelier.<strong>ch</strong> (Rubriken); Jacqueline Dougoud (Lektorat, Korrektorat), Rolf Geiser (Übersetzung) | Visuelle Umsetzung:<br />
Atelier Ruth S<strong>ch</strong>ürmann, Luzern | Redaktionss<strong>ch</strong>luss: 30. Juni <strong>2012</strong> | Redaktionsadresse: BAFU, Kommunikation, Redaktion umwelt, 3003 Bern, Tel. 031 323 03 34,<br />
Fax 031 322 70 54, magazin@bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong> | Spra<strong>ch</strong>en: Deuts<strong>ch</strong>, Französis<strong>ch</strong>; Italienis<strong>ch</strong> in Auszügen auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> im Internet | Online: Der Inhalt des Magazins<br />
(ohne Rubriken) ist abrufbar unter www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/magazin | Papier: Cyclus Print, 100 % Altpapier aus sortierten Druckerei- und Büroabfällen | Auflage dieser<br />
Nummer: 47 500 Expl. Deuts<strong>ch</strong>, 18 500 Expl. Französis<strong>ch</strong> / Druck und Versand: Swissprinters AG, 4800 Zofingen, www.swissprinters.<strong>ch</strong> | Gratisabonnemente,<br />
Na<strong>ch</strong>bestellungen einzelner Nummern und Adressänderungen: umwelt, Swissprinters St. Gallen AG, Leserservice, 9001 St. Gallen, Tel. 058 787 58 68,<br />
Fax 058 787 58 15, umweltabo@bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>, www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/magazin | Copyright: Na<strong>ch</strong>druck der Texte und Grafiken erwüns<strong>ch</strong>t mit Quellenangabe und Be-<br />
legexemplar an die Redaktion.<br />
61
Umweltpreis für Franz-Sepp Stulz<br />
Mitte Mai hat die Jury der S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Umweltstiftung den Juristen<br />
Franz-Sepp Stulz für seine jahrzehntelangen Bemühungen zur Erhaltung der<br />
Natur- und Lands<strong>ch</strong>aftsvielfalt im Inland mit dem Umweltpreis <strong>2012</strong> ausgezei<strong>ch</strong>net.<br />
Na<strong>ch</strong> der überras<strong>ch</strong>enden Annahme der Rothenthurm-Initiative zum<br />
S<strong>ch</strong>utz der Moore erhielt das Bundesamt für Umwelt 1987 den Verfassungsauftrag,<br />
sol<strong>ch</strong>e Naturlands<strong>ch</strong>aften vor zerstöreris<strong>ch</strong>en Eingriffen zu bewahren. In einem<br />
konstruktiven Dialog ist es Franz-Sepp Stulz – dem früheren Leiter der BAFU-Abteilung<br />
Natur und Lands<strong>ch</strong>aft und heutigen Berater der Direktion – mit viel Pragmatismus und<br />
Überzeugungskraft gelungen, einen Ausglei<strong>ch</strong> der S<strong>ch</strong>utz- und Nutzinteressen zu errei<strong>ch</strong>en.<br />
Zu seinen berufli<strong>ch</strong>en Verdiensten gehören etwa das Inventar der Moorlands<strong>ch</strong>aften von nationaler<br />
Bedeutung sowie entspre<strong>ch</strong>ende S<strong>ch</strong>utzverzei<strong>ch</strong>nisse für Auenlands<strong>ch</strong>aften, Amphibienlai<strong>ch</strong>gewässer,<br />
Trockenwiesen, Fla<strong>ch</strong>moore und Ho<strong>ch</strong>moore.<br />
Als Vizepräsident der Eidgenössis<strong>ch</strong>en Nationalparkkommission engagierte si<strong>ch</strong> der<br />
Preisträger für die Weiterentwicklung des Nationalparks. Mit Geduld und diplomatis<strong>ch</strong>em Ges<strong>ch</strong>ick<br />
trieb er zudem die Pläne für weitere nationale S<strong>ch</strong>utzgebiete, das Unesco-Biosphärenreservat<br />
Entlebu<strong>ch</strong> (LU) sowie die mittlerweile 15 Regionalen Naturpärke voran, in wel<strong>ch</strong>en<br />
Naturs<strong>ch</strong>utzanliegen und wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Interessen Hand in Hand gehen. Das zum Teil gegen<br />
vielerlei Widerstände dur<strong>ch</strong>gesetzte Lebenswerk von Franz-Sepp Stulz werde no<strong>ch</strong> man<strong>ch</strong>e Generationen<br />
na<strong>ch</strong> uns erfreuen, führte Reto Lo<strong>ch</strong>er von der S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Umweltstiftung in<br />
seiner Laudatio aus. Er erwähnte dabei au<strong>ch</strong> das Engagement des Preisgekrönten beim Fonds<br />
Lands<strong>ch</strong>aft S<strong>ch</strong>weiz, bei der Basler NATUR Messe, als Mitglied der Eidgenössis<strong>ch</strong>en Natur- und<br />
Heimats<strong>ch</strong>utzkommission sowie als Stiftungsrat der Stiftung Natur & Wirts<strong>ch</strong>aft, die seit dem<br />
Gründungsjahr 1995 über 300 naturnahe Firmenparks zertifiziert hat.<br />
Na<strong>ch</strong>haltige Ressourcennutzung als Ziel<br />
Heute getroffene Ents<strong>ch</strong>eidungen wirken si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> in ferner Zukunft auf den Umweltzustand<br />
und die natürli<strong>ch</strong>en Ressourcen aus. Mit dem Ziel einer mögli<strong>ch</strong>st na<strong>ch</strong>haltigen<br />
Ressourcennutzung haben Fa<strong>ch</strong>leute aus vier BAFU-Abteilungen im Rahmen des Projekts<br />
«Ausblick 2050» Umweltziele, Visionen und Handlungsoptionen entwickelt. Die in den<br />
Pilotberei<strong>ch</strong>en Klima, Biodiversität und Rohstoffe erarbeiteten Langzeitperspektiven sollen<br />
es erlauben, ökologis<strong>ch</strong>e, wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e und gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Entwicklungen besser abzus<strong>ch</strong>ätzen<br />
und zu steuern. Zur Verhinderung eines gefährli<strong>ch</strong>en Klimawandels sieht ein Ziel<br />
bis zum Jahr 2050 beispielsweise die Reduktion der inländis<strong>ch</strong>en Treibhausgasemissionen<br />
um 80 Prozent im Verglei<strong>ch</strong> zu 1990 vor.<br />
Zur Umsetzung der Visionen brau<strong>ch</strong>t es politis<strong>ch</strong>e Wei<strong>ch</strong>enstellungen, die mehrheitli<strong>ch</strong><br />
im Zeitraum bis 2020 erfolgen müssen. Wie die Ergebnisse der Pilotprojekte zeigen, lassen<br />
si<strong>ch</strong> dabei gemeinsame Handlungss<strong>ch</strong>werpunkte wie etwa eine deutli<strong>ch</strong>e Effizienzsteigerung<br />
und Veränderungen des Konsumverhaltens ableiten. Um den Energie- und Ressourcenverbrau<strong>ch</strong><br />
im erforderli<strong>ch</strong>en Ausmass zu reduzieren, drängen si<strong>ch</strong> stärkere ökonomis<strong>ch</strong>e<br />
Anreize auf. Dazu zählt au<strong>ch</strong> eine ökologis<strong>ch</strong>e Steuerreform, die vermehrt Energie und Rohstoffe<br />
anstelle von Arbeit und Kapital besteuert.<br />
Die am Projekt «Ausblick 2050» beteiligten BAFU-Abteilungen werden die Ergebnisse nun<br />
in ihre laufenden Aktivitäten einfliessen lassen. Zudem will man au<strong>ch</strong> für weitere Themenberei<strong>ch</strong>e<br />
des Amtes längerfristige Perspektiven entwickeln.<br />
62<br />
umwelt 3/<strong>2012</strong><br />
Intern
Porträt<br />
Immer mehr Ho<strong>ch</strong>leistungskühe<br />
verbringen ihr<br />
Leben nur no<strong>ch</strong> im Stall.<br />
Weil sie si<strong>ch</strong> kaum bewegen<br />
können, lässt si<strong>ch</strong><br />
das Futter fast ganz für die<br />
Mil<strong>ch</strong>produktion nutzen.<br />
Wikipedia commons<br />
umwelt 3/<strong>2012</strong><br />
Die Mil<strong>ch</strong>kuh der Nation<br />
Der amerikanis<strong>ch</strong>e Rinderzü<strong>ch</strong>ter und Mil<strong>ch</strong>farmer<br />
Tom Kestell aus Wisconsin hält mit seiner<br />
Holstein-Kuh «Ever-Green-View My 1326-ET»<br />
seit 2010 den Weltrekord. In einem Jahr konnte<br />
die Melkmas<strong>ch</strong>ine dem prallen Euter seines<br />
Rindviehs mehr als 32 700 Kilo Mil<strong>ch</strong> entziehen.<br />
Der Organismus von Kühen ist von Natur aus<br />
ni<strong>ch</strong>t auf sol<strong>ch</strong>e Hö<strong>ch</strong>stleistungen ausgelegt,<br />
sondern auf den Mil<strong>ch</strong>bedarf eines Kalbes, und<br />
dafür rei<strong>ch</strong>en Mil<strong>ch</strong>leistungen von 6 bis 8 Kilo<br />
pro Tag locker aus. No<strong>ch</strong> um 1900 wogen die<br />
S<strong>ch</strong>weizer Kühe ausserhalb des Berggebiets im<br />
Mittel etwa 250 Kilo und gaben in einem Jahr<br />
selten mehr als 2000 Kilo Mil<strong>ch</strong>. Inzwis<strong>ch</strong>en<br />
stehen die speziell auf hohe Mil<strong>ch</strong>erträge gezü<strong>ch</strong>teten<br />
Ho<strong>ch</strong>leistungsrassen Holstein und<br />
Brown-Suisse mit dem dreifa<strong>ch</strong>en Gewi<strong>ch</strong>t am<br />
Futtertrog und trumpfen – bei konsequenter<br />
Stallhaltung – au<strong>ch</strong> hierzulande vereinzelt mit<br />
Jahresleistungen von über 12 000 Kilo Mil<strong>ch</strong> auf.<br />
Der Preis dafür ist eine vom Mens<strong>ch</strong>en erzwungene<br />
Dauers<strong>ch</strong>wangers<strong>ch</strong>aft der Mil<strong>ch</strong>kühe,<br />
die oft s<strong>ch</strong>on wenige Tage na<strong>ch</strong> der Geburt von<br />
ihren Kälbern getrennt werden. Eine normale<br />
Mil<strong>ch</strong>abgabeperiode dauert rund 10 Monate, wo-<br />
bei die Kuh ledigli<strong>ch</strong> 3 Monate na<strong>ch</strong> dem Abkalben<br />
bereits wieder ges<strong>ch</strong>wängert wird – in der<br />
Regel ni<strong>ch</strong>t von einem Stier, sondern vom Besamungste<strong>ch</strong>niker.<br />
Au<strong>ch</strong> während der Trä<strong>ch</strong>tigkeit<br />
hängen die geduldigen Wiederkäuer bis zu dreimal<br />
tägli<strong>ch</strong> an der Melkmas<strong>ch</strong>ine und stehen<br />
jeweils nur 2Monate vor der nä<strong>ch</strong>sten Geburt<br />
trocken.<br />
Na<strong>ch</strong> der vierten oder fünften Laktationsphase<br />
errei<strong>ch</strong>t die Mil<strong>ch</strong>leistung mit bis zu<br />
50 Kilo am Tag ihren Höhepunkt. Dann sind die<br />
Mil<strong>ch</strong>produzentinnen – trotz Ho<strong>ch</strong>leistungsnahrung<br />
in Form von Mais, Soja und weiterem<br />
eiweissrei<strong>ch</strong>em Kraftfutter – in der Regel ausgepowert.<br />
So beträgt die dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>e Nutzungsdauer<br />
einer Mil<strong>ch</strong>kuh von 4 bis 5 Jahren<br />
heute no<strong>ch</strong> etwa 20 Prozent ihrer natürli<strong>ch</strong>en<br />
Lebenserwartung. Au<strong>ch</strong> im Grasland S<strong>ch</strong>weiz,<br />
das geradezu für die Mil<strong>ch</strong>produktion prädestiniert<br />
ist, wä<strong>ch</strong>st der Druck auf die 565 000<br />
Mil<strong>ch</strong>kühe, si<strong>ch</strong> gefälligst den Anforderungen<br />
der industriellen Nahrungsmittelproduktion anzupassen.<br />
Beat Jordi<br />
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