04.03.2013 Aufrufe

umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität - Bafu - admin.ch

umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität - Bafu - admin.ch

umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität - Bafu - admin.ch

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

umwelt<br />

Natürli<strong>ch</strong>e Ressourcen in der S<strong>ch</strong>weiz<br />

<strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong><br />

Ein Blick in die Zukunft > Keine grenzenlose <strong>Mobilität</strong> > Umwelts<strong>ch</strong>onend<br />

unterwegs > Die Vorteile des kombinierten Güterverkehrs<br />

Weitere Themen: > Immer mehr Waldreservate > Lokale Klimainitiativen<br />

3/<strong>2012</strong>


Inhalt<br />

> Dossier<br />

<strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong><br />

03 Editorial von BAFU-Vizedirektor Gérard Poffet<br />

04 Der Verkehr der Zukunft<br />

Ein Blick hinter die Labortüren<br />

08 <strong>Mobilität</strong> unter der Lupe<br />

Zahlen und Fakten zum Alltagsverkehr in der<br />

S<strong>ch</strong>weiz<br />

12 Mit dem Tram an den Start<br />

In ihrer Freizeit sind die Mens<strong>ch</strong>en am meisten<br />

unterwegs.<br />

16 Keine grenzenlose <strong>Mobilität</strong><br />

Interview mit dem BAV-Direktor Peter Füglistaler<br />

20 Umweltgere<strong>ch</strong>t unterwegs<br />

13 Vorzeigebeispiele aus der Praxis<br />

30 Na<strong>ch</strong>denken über Autos und Städte<br />

Interview mit der <strong>Mobilität</strong>sexpertin Saskia Sassen<br />

33 Zwei Paletten auf Reisen<br />

Der kombinierte Gütertransport ist eine wegweisende<br />

Lösung.<br />

> Zum Titelbild<br />

2<br />

Dynamis<strong>ch</strong> unterwegs: Die hohe <strong>Mobilität</strong> führt hierzulande<br />

vor allem in den Städten zu Beeinträ<strong>ch</strong>tigungen<br />

der Lebensqualität und der mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Gesundheit.<br />

Hauptprobleme sind die primär von privaten<br />

Motorfahrzeugen verursa<strong>ch</strong>te Luftvers<strong>ch</strong>mutzung und<br />

der Lärm. Im Verglei<strong>ch</strong> dazu belasten der Langsamverkehr<br />

und der ÖV die Umwelt deutli<strong>ch</strong> weniger.<br />

Bild: Keystone<br />

umwelt > gratis abonnieren/na<strong>ch</strong>bestellen<br />

umwelt, Swissprinters St.Gallen AG<br />

Leserservice, 9001 St.Gallen<br />

Tel. +41 (0)58 787 58 68<br />

Fax +41 (0)58 787 58 15<br />

umweltabo@bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />

www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/magazin<br />

> Weitere Themen<br />

39 Waldreservate für 20 000 Arten<br />

Ein Gewinn für die Biodiversität im Wald<br />

44 Grenzübers<strong>ch</strong>reitende Lufts<strong>ch</strong>adstoffe<br />

Vers<strong>ch</strong>ärfung des Göteborg-Protokolls<br />

46 Klimas<strong>ch</strong>utz beginnt im Kleinen<br />

Vorzeigebeispiele für lokale Klimainitiativen<br />

50 Immer mehr Plastik im Abfall<br />

Knackpunkte des Kunststoffrecyclings<br />

54 Reduktion der Umweltrisiken<br />

Gefahrengüter im S<strong>ch</strong>ienenverkehr unter der Lupe<br />

> Rubriken<br />

36 Vor Ort Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>ten aus den Kantonen<br />

38 International<br />

57 Bildung<br />

58 Re<strong>ch</strong>t /Publikationen<br />

60 Tipps<br />

61 Impressum<br />

62 Intern<br />

63 Porträt<br />

> Gut zu wissen<br />

Alle Artikel dieses Heftes – ausser den Rubriken –<br />

sind au<strong>ch</strong> im Internet verfügbar:<br />

www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/magazin<strong>2012</strong>-3<br />

Die meisten Beiträge enthalten weiterführende Links<br />

und Literaturangaben.<br />

Das BAFU im Internet: www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />

> Vors<strong>ch</strong>au<br />

Hierzulande leben rund drei Viertel der Mens<strong>ch</strong>en in<br />

Städten oder Agglomerationsgemeinden. Die nä<strong>ch</strong>ste<br />

Ausgabe ist deshalb dem Thema Urbane Lebensräume<br />

gewidmet und ers<strong>ch</strong>eint Ende November<br />

<strong>2012</strong>. Das BAFU setzt si<strong>ch</strong> für eine na<strong>ch</strong>haltige Gestaltung<br />

und Nutzung dieser Siedlungsräume ein, in<br />

denen au<strong>ch</strong> vielfältige Naturerlebnisse und die Biodiversität<br />

ihren Platz finden sollen.<br />

umwelt 3/<strong>2012</strong>


Intelligent unterwegs<br />

No<strong>ch</strong> nie war die S<strong>ch</strong>weiz so mobil wie heute. Über<br />

derart viel Bewegungsdrang würden frühere Genera-<br />

tionen nur staunen: Wir wohnen im Kanton S<strong>ch</strong>wyz und<br />

pendeln na<strong>ch</strong> Züri<strong>ch</strong> zur Arbeit; wir leben in Nyon und<br />

verbringen die Wo<strong>ch</strong>enenden im Val d’Anniviers; und<br />

wir sind in Lyss zu Hause und frönen unserer Kletter-<br />

leidens<strong>ch</strong>aft im Jura. Ni<strong>ch</strong>t zu vergessen sind die<br />

Ferien. 2010 unternahm die S<strong>ch</strong>weizer Bevölkerung rund<br />

10 Millionen Reisen ins Ausland. Ihre persönli<strong>ch</strong>e<br />

<strong>Mobilität</strong> s<strong>ch</strong>eint grenzenlos. Gesells<strong>ch</strong>aft und Wirt-<br />

s<strong>ch</strong>aft profitieren entspre<strong>ch</strong>end von mobilen Mens<strong>ch</strong>en<br />

und lei<strong>ch</strong>t vers<strong>ch</strong>iebbaren Gütern.<br />

Do<strong>ch</strong> die grosse Bewegungsfreiheit hat ihren Preis.<br />

2010 herrs<strong>ch</strong>te auf S<strong>ch</strong>weizer Strassen 16 000 Stunden<br />

Stau, das heisst im S<strong>ch</strong>nitt fast 44 Stunden tägli<strong>ch</strong> –<br />

ein neuer Rekord. Und au<strong>ch</strong> beim CO 2-Ausstoss lag der<br />

Strassenverkehr nur unwesentli<strong>ch</strong> unter der Rekordmar-<br />

ke von 2008. Zudem leiden viele Mens<strong>ch</strong>en unter dem<br />

Verkehrslärm, und die Infrastruktur für Auto und Zug<br />

verbrau<strong>ch</strong>t Land – eine sehr begrenzte Ressource in<br />

der S<strong>ch</strong>weiz. Damit bedroht das ungebremste Verkehrs-<br />

wa<strong>ch</strong>stum die Errungens<strong>ch</strong>aften einer mobilen Gesell-<br />

s<strong>ch</strong>aft. Gefragt sind also neue, zukunftsfähige Formen.<br />

Deshalb wollen Bundesrat und Parlament unter anderem<br />

den Langsamverkehr fördern.<br />

umwelt 3/<strong>2012</strong><br />

In diesem Heft zeigen wir, dass umweltgere<strong>ch</strong>te<br />

<strong>Mobilität</strong> s<strong>ch</strong>on heute mögli<strong>ch</strong> ist, und wir präsentieren<br />

na<strong>ch</strong>ahmenswerte Beispiele. Wir werfen zudem einen<br />

Blick hinter die Türen von Fors<strong>ch</strong>ungslabors und Firmen,<br />

die an den mögli<strong>ch</strong>st energiesparenden Verkehrsmitteln<br />

von morgen arbeiten.<br />

Te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e Verbesserungen und neue Te<strong>ch</strong>nologien<br />

werden viel zur Lösung unserer <strong>Mobilität</strong>sprobleme bei-<br />

tragen, do<strong>ch</strong> ein Patentrezept gibt es ni<strong>ch</strong>t. Umweltge-<br />

re<strong>ch</strong>te <strong>Mobilität</strong> setzt si<strong>ch</strong> aus vielen unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en<br />

Puzzleteilen zusammen – aus einer Kombination von<br />

mehreren Fortbewegungsmitteln sowie dem Hinterfra-<br />

gen von Gewohnheiten und Bedürfnissen.<br />

Denn si<strong>ch</strong>er ist: Au<strong>ch</strong> umweltgere<strong>ch</strong>te <strong>Mobilität</strong><br />

kann ni<strong>ch</strong>t grenzenlos sein. Selbst wenn wir unsere<br />

Verkehrsmittel auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> mit erneuerbarer Energie<br />

betreiben, wird immer eine bessere Ökobilanz aufwei-<br />

sen, wer in der Nähe seines Arbeitsplatzes wohnt. Und<br />

Wo<strong>ch</strong>enendausflüge mit dem Flugzeug werden die Um-<br />

welt immer stärker belasten als eine Velotour ins Grüne<br />

direkt vor der eigenen Haustür.<br />

Gérard Poffet, Vizedirektor BAFU<br />

Verkehrte S<strong>ch</strong>weiz, in der<br />

si<strong>ch</strong> die Berge im Mittelland<br />

erheben: Je höher<br />

die Spitze, desto besser<br />

ist die Ers<strong>ch</strong>liessung eines<br />

Ortes mit dem öffentli<strong>ch</strong>en<br />

Verkehr.<br />

Quelle: Bundesamt für Raumentwicklung<br />

ARE<br />

3


ZUKUNFTSVERKEHR<br />

Keine Science-Fiction<br />

auf der Strasse<br />

Werden Brennstoffzellenautos die Benzinfahrzeuge ablösen? Wann sind auf unseren Strassen<br />

die ersten Lei<strong>ch</strong>tbau-Autos unterwegs? Reisen wir künftig mit der Magnets<strong>ch</strong>webebahn zur<br />

Arbeit? Ein Blick in die Labors der Motoren- und <strong>Mobilität</strong>sfors<strong>ch</strong>ung.<br />

Dann steht es plötzli<strong>ch</strong> vor uns, das erste Brennstoffzellen-Postauto<br />

der S<strong>ch</strong>weiz. Unsere Augen<br />

auf die Zeitung geri<strong>ch</strong>tet, hatten wir den Bus an<br />

diesem frühen Morgen im Brugger Bahnhof gar<br />

ni<strong>ch</strong>t kommen sehen, und zu hören war er au<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t. Ansonsten aber unters<strong>ch</strong>eidet er si<strong>ch</strong><br />

kaum von klassis<strong>ch</strong>en Postautos – nur das Da<strong>ch</strong><br />

ist um einen halben Meter erhöht, und am Bus<br />

prangt der stolze Slogan «Ein emissionsfreier<br />

Antrieb für unsere Umwelt».<br />

Das Testfahrzeug verkehrt seit Dezember<br />

2011 auf den Postautolinien in Brugg (AG). Es<br />

ist Teil des internationalen Fors<strong>ch</strong>ungsprojekts<br />

CHIC (Clean Hydrogen in European Cities). Fünf<br />

Jahre lang wird in fünf europäis<strong>ch</strong>en Städten<br />

getestet, wie si<strong>ch</strong> Brennstoffzellen-Busse im Alltag<br />

bewähren. Betankt werden sie an einer fixen<br />

Tankstelle mit lokal hergestelltem Wasserstoff.<br />

Dieser wird ni<strong>ch</strong>t wie übli<strong>ch</strong> in einem <strong>ch</strong>emis<strong>ch</strong>en<br />

Verfahren aus Erdgas oder Kohle gewonnen,<br />

sondern mittels Stromelektrolyse aus Wasser.<br />

Dazu dienen erneuerbare Energiequellen<br />

wie Wasserkraft, Solarstrom und Windkraft. In<br />

den Brennstoffzellen auf dem Da<strong>ch</strong> des Busses<br />

wird der Wasserstoff in elektris<strong>ch</strong>e Antriebsenergie<br />

umgewandelt. Um die Leistungsfähigkeit<br />

zu steigern, verfügen die Fahrzeuge über eine<br />

Lithium-Ionen-Batterie. Sie dient als Zwis<strong>ch</strong>enspei<strong>ch</strong>er<br />

für die elektris<strong>ch</strong>e Energie. Bremst der<br />

Bus, generiert der Elektromotor Strom, den er in<br />

die Batterie zurückspeist. Dies ist ein bedeutender<br />

Gewinn für Postautos, die häufig bremsen,<br />

anhalten und wieder bes<strong>ch</strong>leunigen müssen.<br />

4<br />

Die S<strong>ch</strong>weizer Brennstoffzelle. Auf unserer Fahrt<br />

über die hügelrei<strong>ch</strong>e Strecke von Brugg na<strong>ch</strong><br />

Villigen zeigt der Bus keinerlei S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>en.<br />

Pannen gebe es nur sehr selten, erklärt uns der<br />

Chauffeur. Er sei begeistert und stolz, bei diesem<br />

Experiment – «einem Projekt mit Zukunft» –<br />

mittun zu dürfen. Bald passieren wir den Elektronenbes<strong>ch</strong>leuniger<br />

des Paul S<strong>ch</strong>errer Instituts<br />

(PSI), der wie ein gigantis<strong>ch</strong>es UFO auf einer<br />

Wiese steht. Dann geht es zu Fuss über eine Brücke<br />

zum Hauptgebäude des PSI, wo uns Philipp<br />

Dietri<strong>ch</strong>, der Projektleiter für Brennstoffzellenantriebe,<br />

empfängt. Er führt uns dur<strong>ch</strong> das Labor<br />

zum Herzstück seiner Fors<strong>ch</strong>ungstätigkeit –<br />

der «S<strong>ch</strong>weizer Brennstoffzelle». Zusammen mit<br />

Nick Hayeks Belenos AG entwickelt das PSI ein<br />

Brennstoffzellensystem für einen Kleinwagen.<br />

Das Ziel lautet: Die Fahrleistung und die Kosten<br />

(Fahrzeugkauf plus Betrieb) des Brennstoffzellenautos<br />

sollen über die ganze Lebenszeit von<br />

rund zehn Jahren mit herkömmli<strong>ch</strong>en Personenwagen<br />

verglei<strong>ch</strong>bar sein. No<strong>ch</strong> ist man ni<strong>ch</strong>t<br />

so weit: «Die Kosten und die Lebensdauer der<br />

Brennstoffzellen weisen no<strong>ch</strong> viel Optimierungspotenzial<br />

auf», sagt Dietri<strong>ch</strong>. Do<strong>ch</strong> man sei auf<br />

gutem Weg. Dies hat jüngst au<strong>ch</strong> das Bundesamt<br />

für Energie (BFE) erkannt: Es zei<strong>ch</strong>nete die<br />

Belenos AG und das PSI mit dem Preis Watt d’Or<br />

2011 aus.<br />

Hayeks Antriebssystem bekommen wir an<br />

diesem Vormittag aus Geheimhaltungsgründen<br />

ni<strong>ch</strong>t zu sehen, dafür ein ähnli<strong>ch</strong> konzipiertes<br />

Brennstoffzellensystem zum Antrieb<br />

umwelt 3/<strong>2012</strong> > Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong>


Sollen Autos und<br />

Elektromobile ents<strong>ch</strong>eidend<br />

weniger Energie<br />

verbrau<strong>ch</strong>en, müssen<br />

sie lei<strong>ch</strong>ter werden.<br />

Die Firma ESORO in<br />

Fällanden (ZH) ist unter<br />

anderem auf die Entwicklung<br />

von Lei<strong>ch</strong>tbaufahrzeugen<br />

spezialisiert.<br />

Weniger Gewi<strong>ch</strong>t gilt<br />

ni<strong>ch</strong>t nur für den Bau<br />

der Karosserie, sondern<br />

für die Konstruktion<br />

aller Fahrzeugkomponenten<br />

– wie zum<br />

Beispiel der Sitze. Sie<br />

müssen lei<strong>ch</strong>t, aber vor<br />

allem au<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong>er sein.<br />

Die Stabilität ist bereits<br />

beim Entwurf das zen-<br />

trale Thema und wird am Computer getestet (oben). Die Herstellung der<br />

Lei<strong>ch</strong>tbausitze erfolgt aus rezyklierbarem Faserverbundkunststoff (Mitte<br />

links). Ein Industrieroboter sorgt für die Positionierung der Materialien in<br />

der Produktionspresse (Mitte re<strong>ch</strong>ts). Gegenüber herkömmli<strong>ch</strong>en Sitzen<br />

Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong> > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />

(unten links im Hintergrund) lassen si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> die Lei<strong>ch</strong>tbaute<strong>ch</strong>nologie<br />

bis zu 30 Prozent Gewi<strong>ch</strong>t einsparen. Ein Kleinwagen wie der Prototyp<br />

ESORO H301 (unten re<strong>ch</strong>ts) wiegt in Lei<strong>ch</strong>tbauweise rund ein Viertel<br />

weniger als gängige Autos. Bilder: Hans S<strong>ch</strong>ürmann<br />

5


Bild links: Automatisierte<br />

Si<strong>ch</strong>erheitssysteme sollen<br />

künftig Unfälle auf der<br />

Strasse verhindern – beispielsweise<br />

dur<strong>ch</strong> Kommunikationsmögli<strong>ch</strong>keiten<br />

der Autos untereinander.<br />

Die Car2Car-Te<strong>ch</strong>nologie<br />

basiert auf Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>ten,<br />

wel<strong>ch</strong>e si<strong>ch</strong> die Fahrzeuge<br />

gegenseitig senden.<br />

Sie dienen als Grundlage<br />

zum Erkennen von kritis<strong>ch</strong>en<br />

Situationen.<br />

Bild re<strong>ch</strong>ts: Das Funksystem<br />

für die Car2Car-<br />

Kommunikation basiert<br />

auf dem drahtlosen<br />

lokalen Netzwerk (WLAN)<br />

und hat einen Radius von<br />

wenigen hundert Metern.<br />

Sobald zwei oder mehrere<br />

Fahrzeuge in Funkdistanz<br />

sind, bauen sie ein<br />

Ad-hoc-Netzwerk auf.<br />

Bilder: car2car<br />

6<br />

eines S<strong>ch</strong>iffsmotors. Daran ist eine Vielzahl von<br />

Messgeräten anges<strong>ch</strong>lossen. «Das Prinzip einer<br />

Brennstoffzelle ist einfa<strong>ch</strong>», erklärt der Fors<strong>ch</strong>er<br />

und rei<strong>ch</strong>t uns eine Zelle, klein wie eine Strei<strong>ch</strong>holzs<strong>ch</strong>a<strong>ch</strong>tel.<br />

Eine Membran in der Mitte der<br />

Zelle lässt die Wasserstoffmoleküle kontrolliert<br />

ausströmen. Diese treffen auf der anderen Seite<br />

auf Sauerstoff; daraus entsteht elektris<strong>ch</strong>er<br />

Strom. Im Prinzip könne si<strong>ch</strong> jedes S<strong>ch</strong>ulkind<br />

eine Brennstoffzelle bauen, sagt der Projektleiter.<br />

Die Vorgänge im Nano- und Mikroberei<strong>ch</strong><br />

zu verstehen und zu optimieren ist die Aufgabe<br />

der Fors<strong>ch</strong>er. Wann ist mit dem Dur<strong>ch</strong>bru<strong>ch</strong> zu<br />

re<strong>ch</strong>nen? «Bei der Leistungsdi<strong>ch</strong>te sind wir nah<br />

dran», sagt Philipp Dietri<strong>ch</strong>. Wasserstoff sei zwar<br />

teurer als Benzin, aber im Fahrzeug doppelt so<br />

effizient. Der hohe Preis ist eine Folge der aufwändigen<br />

Herstellung und der verglei<strong>ch</strong>sweise<br />

s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ten Energiebilanz: Um Wasserstoff mit<br />

dem Energiegehalt eines Liters Benzin zu produzieren,<br />

muss man die Energie von rund drei<br />

Litern Benzin einsetzen. Zudem, so räumt Dietri<strong>ch</strong><br />

ein, fehle in der S<strong>ch</strong>weiz ein Grundversorgungsnetz<br />

mit Wasserstoff-Tankstellen, wie es<br />

derzeit in Deuts<strong>ch</strong>land gebaut werde. Erst dann<br />

folgten die Autokäufer. Einfa<strong>ch</strong>er sei der Einstieg<br />

für Stadtbusse und Postautos: Wie im Testbetrieb<br />

in Brugg können die Fahrer stets dieselbe<br />

Tankstelle ansteuern.<br />

Erdgas mit grossem Potenzial. Ähnli<strong>ch</strong>es hören wir<br />

ein paar Tage später von Christian Ba<strong>ch</strong>, Motorenentwickler<br />

an der Eidgenössis<strong>ch</strong>en Materialprüfungs-<br />

und Fors<strong>ch</strong>ungsanstalt (Empa) in Dübendorf<br />

(ZH). Er bes<strong>ch</strong>äftigt si<strong>ch</strong> seit Jahren mit<br />

der Entwicklung eines verbrau<strong>ch</strong>sarmen Erdgasfahrzeugs.<br />

«Erdgas und Biogas sind attraktive<br />

Treibstoffe mit deutli<strong>ch</strong> geringeren CO2-Emissionen<br />

als Benzin oder Diesel», erklärt er und führt<br />

uns ins Motorenlabor. Dort hantiert ein Me<strong>ch</strong>aniker<br />

an einem grünen VW Touran. Auf den ersten<br />

Blick uns<strong>ch</strong>einbar, beherbergt das Auto ein<br />

komplexes Erdgas-Elektrohybrid-Antriebssystem.<br />

Es ist im Rahmen des Projekts «CLEVER» (Clean<br />

and Efficient Vehicle Resear<strong>ch</strong>) entwickelt und<br />

von Bos<strong>ch</strong>, VW sowie den Bundesämtern BFE<br />

und BAFU mitfinanziert worden. Jüngst konnten<br />

die Fors<strong>ch</strong>er zeigen, dass der Erdgas-Elektrohybrid-Motor<br />

35 Prozent CO2 einspart, mit Biogasbeimis<strong>ch</strong>ung<br />

nimmt die CO2-Belastung no<strong>ch</strong><br />

mehr ab. Erstaunli<strong>ch</strong>erweise kostet ein Erdgas-<br />

Elektrohybrid-Auto über die ganze Lebensdauer<br />

ni<strong>ch</strong>t mehr als ein Benziner. Gehört ihm also die<br />

Zukunft? «Die Knacknuss ist das Versorgungsnetz»,<br />

sagt Christian Ba<strong>ch</strong>. No<strong>ch</strong> stehen den Erdgasfahrern<br />

in der S<strong>ch</strong>weiz bloss 132 Tankstellen<br />

zur Verfügung, in ganz Frankrei<strong>ch</strong> sind es ledigli<strong>ch</strong><br />

25, was die Reiseplanung ers<strong>ch</strong>wert. Do<strong>ch</strong><br />

das werde si<strong>ch</strong> ändern, ist der Entwickler überzeugt.<br />

«Erdgasmotoren haben no<strong>ch</strong> viel Effizienzsteigerungspotenzial.<br />

Die tiefen Erdgaspreise<br />

und die neuen CO2-Vors<strong>ch</strong>riften ab 2015 werden<br />

zu einer deutli<strong>ch</strong>en Zunahme der Erdgasfahrzeuge<br />

führen. Dann folgen die Tankstellen.»<br />

An ein baldiges Ende des Verbrennungsmotors<br />

glaubt au<strong>ch</strong> der Mas<strong>ch</strong>inenbauer Lino<br />

Guzzella von der ETH Züri<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t: «Au<strong>ch</strong> in Zukunft<br />

werden die meisten Autos mit Otto- oder<br />

Dieselmotoren ausgerüstet sein», sagt der neue<br />

Rektor der Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ule. Im Unters<strong>ch</strong>ied zum<br />

öffentli<strong>ch</strong>en Bahn- und Stadtverkehr, der weitgehend<br />

von Stromleitungen abhängig sei, müsse<br />

der Individualverkehr seine Energie selber mitführen.<br />

Aus der S<strong>ch</strong>ublade seines S<strong>ch</strong>reibtis<strong>ch</strong>s<br />

umwelt 3/<strong>2012</strong> > Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong>


Das Gewi<strong>ch</strong>t des Fahrzeugs<br />

wird zur zentralen Grösse. Als<br />

Konsequenz darf das Auto<br />

der Zukunft keine Zusammenstösse<br />

mehr erleiden. Weil an<br />

den allermeisten Unfällen die<br />

Fahrer s<strong>ch</strong>uld sind, brau<strong>ch</strong>t<br />

es automatisierte Si<strong>ch</strong>erheitssysteme.<br />

kramt er S<strong>ch</strong>okolade hervor und fragt: «Wenn<br />

Sie auf eine Wanderung gehen, packen Sie dann<br />

eine Tafel S<strong>ch</strong>oggi ein oder gut zwei Kilogramm<br />

Brokkoli mit dem glei<strong>ch</strong>en Energiegehalt?» Die<br />

Antwort gibt er glei<strong>ch</strong> selbst: «Mit dem Treibstoff<br />

ist es dasselbe: Benzin und Diesel haben fantastis<strong>ch</strong>e<br />

Energiewerte, viel höhere als Batterien.»<br />

Dazu komme der sehr günstige Preis von Benzin,<br />

das pro Liter kaum teurer sei als Mineralwasser.<br />

Dieser finanzielle Fehlanreiz habe allerdings<br />

zum Bau von zu s<strong>ch</strong>weren und zu leistungsstarken<br />

Autos geführt.<br />

Computergesteuerte Fahrzeuge. Lino Guzzella<br />

wüns<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> lei<strong>ch</strong>tere und sparsamere Autos.<br />

Dabei setzt er auf kleine, turbogeladene Motoren<br />

und pneumatis<strong>ch</strong>e Hybriden mit einer Kombination<br />

aus Druckluft- und Verbrennungsmotor,<br />

wie sie im Keller des Instituts erprobt werden.<br />

Nötig sei zudem ein radikaler Lei<strong>ch</strong>tbau aus<br />

Aluminium, Kohlefasern oder Magnesium, wie<br />

ihn etwa die S<strong>ch</strong>weizer Firmen Georg Fis<strong>ch</strong>er,<br />

Esoro oder Horla<strong>ch</strong>er, aber au<strong>ch</strong> Industriegrössen<br />

wie Audi und BMW vorantreiben. «Das Gewi<strong>ch</strong>t<br />

des Fahrzeugs wird zur zentralen Grösse»,<br />

prophezeit Lino Guzzella. Als Konsequenz darf<br />

das Auto der Zukunft keine Zusammenstösse<br />

mehr erleiden. Weil an den allermeisten Unfällen<br />

die Fahrer s<strong>ch</strong>uld sind, brau<strong>ch</strong>t es automatisierte<br />

Si<strong>ch</strong>erheitssysteme.<br />

Das Feld der diskutierten Hilfsmittel ist gross:<br />

Bordcomputer, Satellitennavigation, vorprogrammierte<br />

Strassenprofile, Steuerhilfen, Kommunikation<br />

der Autos untereinander (Car2Car)<br />

und mit Verkehrssignalen. Der Internetkonzern<br />

Google testet gar ein Highte<strong>ch</strong>-Auto, das auf<br />

einen autonomen Betrieb ums<strong>ch</strong>alten kann.<br />

Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong> > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />

Jüngst hat das US-Patentamt ein entspre<strong>ch</strong>endes<br />

Patent gewährt. Damit liessen si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t nur<br />

Unfälle, sondern au<strong>ch</strong> Staus vermeiden, sind<br />

die Google-Te<strong>ch</strong>niker überzeugt. Sie re<strong>ch</strong>nen<br />

vor, unsere Strassen könnten doppelt so viele<br />

computergesteuerte Autos aufnehmen wie von<br />

Mens<strong>ch</strong>enhand gelenkte. «Te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong> ist das alles<br />

ma<strong>ch</strong>bar», sagt Lino Guzzella. «Der grosse<br />

Widerstand sitzt in den Köpfen, denn die Leute<br />

könnten dann ni<strong>ch</strong>t mehr na<strong>ch</strong> Herzenslust<br />

bes<strong>ch</strong>leunigen.»<br />

Führerlose Systeme im Test. Au<strong>ch</strong> Giovanni<br />

D’Urbano, Mas<strong>ch</strong>ineningenieur und Leiter der<br />

BAFU-Sektion Verkehr, kann si<strong>ch</strong> eine Koppelung<br />

der Fahrzeuge auf viel befahrenen Strecken<br />

wie Autobahnen vorstellen. In di<strong>ch</strong>ten Ballungszentren<br />

s<strong>ch</strong>webt ihm der Einsatz von Personal-<br />

Rapid-Transit-Systemen (PRT) vor, wie sie der<br />

Flughafen Heathrow in London testet. In einem<br />

Pilotversu<strong>ch</strong> werden hier Passagiere mit kleinen,<br />

führerlosen Elektrowagen von einem Parkplatz<br />

zum gewüns<strong>ch</strong>ten Terminal befördert.<br />

Wie also wird der Individualverkehr in 20 bis<br />

30 Jahren aussehen, fragen wir den Fa<strong>ch</strong>mann<br />

auf einer Zugfahrt zwis<strong>ch</strong>en Bern und Züri<strong>ch</strong>?<br />

Giovanni D’Urbano sieht einen Mix aus vers<strong>ch</strong>iedenen<br />

Antriebssystemen und Treibstoffen:<br />

saubere Diesel, kleine Benzinautos, Hybridfahrzeuge,<br />

Erdgasautos, reine Elektromobile, E-Bikes<br />

und Velos. Ents<strong>ch</strong>eidend seien au<strong>ch</strong> die Entwicklung<br />

der Treibstoffkosten und gesetzli<strong>ch</strong>e<br />

Rahmenbedingungen wie CO2-Gesetz, Abgasvors<strong>ch</strong>riften<br />

oder finanzielle Lenkungsabgaben.<br />

«Es ist anzunehmen, dass die fossilen Treibstoffe<br />

künftig teurer werden. Deshalb dürften si<strong>ch</strong> die<br />

sparsamen Modelle dur<strong>ch</strong>setzen», sagt Giovanni<br />

D’Urbano und greift na<strong>ch</strong> seinem Abonnement,<br />

das er dem Zugführer entgegenstreckt. Und wie<br />

wird si<strong>ch</strong> der öffentli<strong>ch</strong>e Verkehr entwickeln?<br />

Werden wir dereinst mit Magnets<strong>ch</strong>webebahnen<br />

das Mittelland queren, wie es die Projekte «Swiss<br />

Metro» (unterirdis<strong>ch</strong>) oder «SwissRapid Express»<br />

skizzieren? «Es sind no<strong>ch</strong> zu viele Fragen offen»,<br />

erklärt der BAFU-Verkehrsspezialist. «Die Fors<strong>ch</strong>ung<br />

muss zuerst zeigen, was te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong> und<br />

finanziell überhaupt ma<strong>ch</strong>bar ist.»<br />

Die Züge der Zukunft werden si<strong>ch</strong> also ni<strong>ch</strong>t<br />

grundsätzli<strong>ch</strong> von den heutigen unters<strong>ch</strong>eiden.<br />

Do<strong>ch</strong> immerhin will uns die SBB künftig geräumigere<br />

Wagen und auf den Hauptverkehrsa<strong>ch</strong>sen<br />

zusätzli<strong>ch</strong>e Fahrten im Viertelstundentakt<br />

bieten.<br />

Nicolas Gattlen<br />

Weiterführende Links unter<br />

www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/magazin<strong>2012</strong>-3-01<br />

KONTAKT<br />

Giovanni D’Urbano<br />

Sektions<strong>ch</strong>ef Verkehr,BAFU<br />

031 322 93 40<br />

giovanni.durbano@bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />

7


8<br />

<strong>Mobilität</strong> unter der Lupe<br />

Länge des Strassennetzes:71 452km<br />

stark gesundheitsgefährdend (> 55 dBA)<br />

gesundheitsgefährdend (40 – 44,9 dBA)<br />

mässig störend (30 – 39,9 dBA)<br />

gesundheitli<strong>ch</strong> unbedenkli<strong>ch</strong> (< 30 dBA)<br />

Bewertung na<strong>ch</strong> WHO<br />

bjo. Millionen von Mens<strong>ch</strong>en sind in der S<strong>ch</strong>weiz tägli<strong>ch</strong> auf dem Strassen- und<br />

S<strong>ch</strong>ienennetz unterwegs. Die hohe <strong>Mobilität</strong> ist ein zentrales Merkmal unserer<br />

Gesells<strong>ch</strong>aft und Teil der persönli<strong>ch</strong>en Lebensqualität. Sie vers<strong>ch</strong>afft uns wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e<br />

Vorteile, verursa<strong>ch</strong>t andererseits aber au<strong>ch</strong> vielfältige Umwelt- und<br />

Gesundheitsprobleme.<br />

Vor allem entlang von viel befahrenen Strassen leiden Hunderttausende<br />

von Anwohnern unter dem gesundheitss<strong>ch</strong>ädigenden Lärm der Motorfahrzeuge<br />

und ihrem Abgasausstoss. Die Verkehrsadern mit der grössten Transportleistung<br />

sind praktis<strong>ch</strong> deckungsglei<strong>ch</strong> mit den Immissionskarten, die<br />

übermässige Lärm- und Luftbelastungen anzeigen – so etwa mit dem Reizgas<br />

Stickstoffdioxid (NO 2).<br />

Bedingt dur<strong>ch</strong> die dynamis<strong>ch</strong>e Entwicklung der Transportbedürfnisse im<br />

Personen- und Güterverkehr haben in den letzten Jahrzehnten au<strong>ch</strong> die entspre<strong>ch</strong>enden<br />

Treibhausgasemissionen, der Flä<strong>ch</strong>enverbrau<strong>ch</strong> und damit die<br />

Lands<strong>ch</strong>aftszerstörung und Zers<strong>ch</strong>neidung von Lebensräumen stark zugenommen.<br />

Die Verkehrsinfrastruktur belegt heute rund einen Drittel der Siedlungsflä<strong>ch</strong>en<br />

oder umgere<strong>ch</strong>net etwa 130 Quadratmeter pro Person, was ungefähr<br />

dem Dreifa<strong>ch</strong>en der Wohnflä<strong>ch</strong>e entspri<strong>ch</strong>t. Dabei nehmen allein die Strassenareale<br />

fast 90 Prozent in Bes<strong>ch</strong>lag.<br />

Neben den Ho<strong>ch</strong>leistungsa<strong>ch</strong>sen existiert aber au<strong>ch</strong> ein gut ausgebautes<br />

Netz für den umwelts<strong>ch</strong>onenden Langsamverkehr in Form von Wanderwegen,<br />

Gebirgspfaden und Velorouten (Seiten 10 und 11).<br />

Länge<br />

STRASSENLäRMBELASTUNG, 2008<br />

des S<strong>ch</strong>ienennetzes: 5124<br />

Tagsüber leiden<br />

1200 000<br />

Personen unter Strassenlärm<br />

70 000<br />

unter Bahnlärm<br />

65 000<br />

unter Fluglärm<br />

km<br />

Na<strong>ch</strong>ts leiden<br />

700 000<br />

Personen unter Strassenlärm<br />

140 000<br />

unter Bahnlärm<br />

95 000<br />

unter Fluglärm<br />

ANZAHL DER MOTORFAHRZEUGE MIT CH-NUMMERNSCHILD, 2011<br />

4163 003 348 553 60 324 665 870<br />

umwelt 3/<strong>2012</strong> > Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong>


17<br />

16<br />

15<br />

14<br />

13<br />

12<br />

11<br />

10<br />

9<br />

8<br />

7<br />

6<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

1<br />

11 845 379<br />

85 000<br />

29<br />

Flughafen und<br />

Anzahl Passagiere pro Jahr<br />

Passagierzahlen (Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nitt<br />

pro Tag) der grössten Bahnhöfe<br />

Gebirgslandeplatz<br />

Anzahl Passagiers<strong>ch</strong>iffe auf<br />

den grössten Seen<br />

Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong> > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />

9<br />

69 336<br />

100 704<br />

30 074<br />

4 095 626<br />

120 000 22 910 504<br />

150 000<br />

JäHRLICHER CO 2-AUSSTOSS DES VERKEHRS IN MILLIONEN TONNEN<br />

1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010<br />

HOCHLEISTUNGSNETZ FÜR DEN STRASSEN- UND BAHNVERKEHR<br />

10<br />

120 000<br />

300 000<br />

23<br />

22<br />

125 000<br />

169 082<br />

12<br />

15<br />

81 113<br />

18 697<br />

Anzahl Motorfahrzeuge pro Tag<br />

Anzahl Zugreisende pro Tag<br />

bis 5000<br />

25 000<br />

50 000<br />

100 000<br />

15 000<br />

30 000<br />

45 000<br />

60 000<br />

75 000<br />

90 000<br />

STICKSTOFFDIOXID-BELASTUNG (NO 2), 2010<br />

Mikrogramm NO2 /m<br />

> 36<br />

33–36<br />

30–33<br />

25–30<br />

20–25<br />

15–20<br />

10–15<br />

≤ 10<br />

3<br />

9


20500 km<br />

Die S<strong>ch</strong>weizer Bevölkerung legt im Jahr pro Kopf zurück – rund die Hälfte des Erdumfangs.<br />

40% Von den im Inland zurückgelegten Distanzen entfallen<br />

auf die Freizeit,<br />

36% 18%<br />

auf Arbeit und Ausbildung und auf Einkäufe und Begleitgänge.<br />

FLäCHENBEDARF UNTERSCHIEDLICHER<br />

VERKEHRSMITTEL, PRO PERSON<br />

(in Bewegung, inklusive Abstände)<br />

10<br />

3 m 2<br />

115 m 2<br />

7 m 2<br />

10 m 2<br />

ZURÜCKGELEGTE DISTANZEN PRO FORTBEWEGUNGSMITTEL, IN PROZENT<br />

25,6%<br />

18,7%<br />

DIE SCHWEIZER HAUSHALTE BESITZEN FOLGENDE TRANSPORTMITTEL<br />

20,5 %<br />

48,7 %<br />

11%<br />

22,6 %<br />

24,8 %<br />

und mehr...<br />

2 %<br />

und mehr...<br />

25,5 %<br />

und mehr...<br />

5,7 %<br />

31,4 %<br />

20,8 %<br />

87 %<br />

3,7%<br />

49,6%<br />

Quellen: ARE, ASTRA, BAFU, BAV, BAZL, BFS, SBB, Stadt Züri<strong>ch</strong><br />

umwelt 3/<strong>2012</strong> > Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong>


Grün: nationale Velorouten<br />

Grüner Punkt: Velomietstation<br />

Gelb: Wanderwege<br />

Rot: Bergwanderwege<br />

Blau: Alpinwanderwege<br />

66 000 km Wanderwege<br />

UNTERWEGS VERBRACHTE ZEIT (in Minuten pro Tag):<br />

DURCHSCHNITTLICHES REISETEMPO (in Stundenkilometern):<br />

Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong> > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />

DICHT GEWOBENES NETZ FÜR DEN LANGSAMVERKEHR<br />

vernetzen die ganze S<strong>ch</strong>weiz. Es gibt in der S<strong>ch</strong>weiz9nationale, 53 regionale<br />

und 59 lokale Velorouten mit über100Velomietstationen.<br />

4,9 km 13,4 km 33,5 km 38,6 km 61,4 km<br />

Weiterführende Links unter www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/magazin<strong>2012</strong>-3-02<br />

ÖV<br />

11


FREIZEITVERKEHR<br />

Mit Bahn und Tram<br />

an den Start<br />

Die verstopften Strassen und überfüllten Züge vor Arbeitsbeginn und na<strong>ch</strong> Büros<strong>ch</strong>luss täus<strong>ch</strong>en<br />

darüber hinweg: Am mobilsten sind die Mens<strong>ch</strong>en in der S<strong>ch</strong>weiz ni<strong>ch</strong>t als Pendler, sondern in ihrer<br />

Freizeit. Die grössten Distanzen legen sie im Auto und während der Ferien im Flugzeug zurück.<br />

Der Berner Frauenlauf ist ein sportli<strong>ch</strong>es Ereignis,<br />

das mehr Mens<strong>ch</strong>en bewegt als ho<strong>ch</strong>karätige<br />

Fussballspiele im Stade de Suisse. «Bewegt»<br />

im Wortsinn: Ni<strong>ch</strong>t nur, dass 14 000 Läuferinnen<br />

Strecken von 0,5 bis 15 Kilometern rennend<br />

oder walkend hinter si<strong>ch</strong> bringen. Über viel weitere<br />

Distanzen bewegt werden die Aktiven und<br />

das no<strong>ch</strong> zahlrei<strong>ch</strong>ere Publikum auf dem Weg<br />

an den Ort des Ges<strong>ch</strong>ehens und abends wieder<br />

zurück na<strong>ch</strong> Hause.<br />

Bahnbillett im Startgeld inbegriffen. Um diesen Verkehr<br />

mögli<strong>ch</strong>st umweltverträgli<strong>ch</strong> abzuwickeln,<br />

haben si<strong>ch</strong> die Organisatoren einiges einfallen<br />

lassen. Im Startgeld inbegriffen ist ein Bahnbillett<br />

für die Hin- und Rückfahrt ab Wohnort in<br />

der ganzen S<strong>ch</strong>weiz. Mit der SBB ist dafür ein<br />

Paus<strong>ch</strong>alpreis ausgehandelt worden. Wer ein Generalabonnement<br />

besitzt, bezahlt ein reduziertes<br />

Startgeld, desglei<strong>ch</strong>en Läuferinnen aus Bern<br />

und den nä<strong>ch</strong>stgelegenen Aussengemeinden, die<br />

bloss eine Fahrkarte für das Nahverkehrsnetz<br />

benötigen. Zudem steht in den Startunterlagen<br />

deutli<strong>ch</strong>, dass keine Parkplätze angeboten werden.<br />

Die Kombination der beiden Massnahmen<br />

wirkt: «Unsere Umfragen zeigen, dass 95 Prozent<br />

der Läuferinnen mit öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrsmitteln<br />

anreisen», sagt Catherine Imhof vom Organisationskomitee.<br />

Das ist ein Traumwert für den Freizeitverkehr.<br />

Gemäss der Erhebung der Bundesämter für<br />

Statistik (BFS) und Raumentwicklung (ARE) über<br />

die <strong>Mobilität</strong> in der S<strong>ch</strong>weiz aus dem Jahr <strong>2012</strong><br />

wird insgesamt zwar fast die Hälfte aller Wegetappen<br />

zu Fuss zurückgelegt. Do<strong>ch</strong> für 67 Prozent<br />

der Distanzen im Freizeitverkehr kommen<br />

12<br />

Auto oder Motorrad zum Einsatz. Und während<br />

der Anteil des motorisierten Individualverkehrs<br />

insgesamt lei<strong>ch</strong>t gesunken ist, bleibt das Auto<br />

unbestritten das wi<strong>ch</strong>tigste Gefährt in der Freizeit.<br />

Zur Arbeit geht es zunehmend per Bahn<br />

oder Bus − do<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Feierabend setzt man si<strong>ch</strong><br />

na<strong>ch</strong> wie vor am liebsten ins eigene Gefährt.<br />

Frei im eigenen Auto. Befragungen zeigen klar,<br />

weshalb das Auto in der Freizeit so populär ist:<br />

kürzere Fahrzeit einerseits, ungenügende Ers<strong>ch</strong>liessung<br />

des Reiseziels dur<strong>ch</strong> Bus und Bahn<br />

anderseits. Die Kosten hingegen spielen eine untergeordnete<br />

Rolle. Tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> lassen si<strong>ch</strong> Freizeitziele<br />

mit dem öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr oft ni<strong>ch</strong>t<br />

so gut errei<strong>ch</strong>en wie der Arbeitsplatz, und na<strong>ch</strong><br />

Feierabend und an Feiertagen sind die Fahrpläne<br />

weniger di<strong>ch</strong>t als zu den werktägli<strong>ch</strong>en<br />

Stosszeiten.<br />

Andreas Blumenstein vom Büro für <strong>Mobilität</strong><br />

in Bern sieht no<strong>ch</strong> einen anderen Grund für<br />

die geringe Beliebtheit des ÖV na<strong>ch</strong> Feierabend.<br />

«Die Verkehrsmittelwahl hat au<strong>ch</strong> einen emotionalen<br />

Aspekt», sagt er. «Pendeln ist Alltagsroutine,<br />

Freizeit ist Ausbru<strong>ch</strong> aus dieser Routine. Wir<br />

mö<strong>ch</strong>ten dann spontan ents<strong>ch</strong>eiden können,<br />

wann und wohin die Fahrt geht. Das eigene<br />

Auto entspri<strong>ch</strong>t dieser Befindli<strong>ch</strong>keit eher als<br />

der ÖV, dessen Nutzung eine gewisse Planung erfordert.»<br />

Freizeit ist Freiheit, und diese will man<br />

si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> Fahrpläne bes<strong>ch</strong>neiden lassen.<br />

Freizeitverkehr dominiert. Unsere Gesells<strong>ch</strong>aft ist<br />

so mobil wie nie zuvor. Im Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nitt sind<br />

die Mens<strong>ch</strong>en in der S<strong>ch</strong>weiz 37 Kilometer pro<br />

Tag unterwegs, davon 40 Prozent in der Freizeit<br />

umwelt 3/<strong>2012</strong> > Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong>


Der Berner Frauenlauf setzt<br />

als sportli<strong>ch</strong>e Grossveranstaltung<br />

voll auf den öffentli<strong>ch</strong>en<br />

Verkehr. 95 Prozent<br />

der Teilnehmerinnen reisen<br />

per Bahn, Tram und Bus<br />

zum Start im Stadtzentrum.<br />

Alle Bilder: Ruben Wyttenba<strong>ch</strong><br />

und bloss 24 Prozent im Arbeitsverkehr. Unberücksi<strong>ch</strong>tigt<br />

bleiben in diesen Zahlen längere<br />

Tagesausflüge und Reisen, die pro Person und<br />

Jahr 6700 Kilometer ausma<strong>ch</strong>en – davon sind<br />

vier Fünftel Freizeitverkehr. Mehr als die Hälfte<br />

dieser Distanzen legen wir im Flugzeug zurück.<br />

Auf 3Tonnen CO 2-Emissionen im gesamten<br />

motorisierten Individualverkehr kommt heute<br />

bereits mehr als 1 Tonne, die wir im internationalen<br />

Flugverkehr freisetzen. Die Bedeutung<br />

der Flugreisen wird laut Tourismusexperten weiter<br />

zunehmen. So hat etwa die Studie Reisemarkt<br />

S<strong>ch</strong>weiz des Instituts für Öffentli<strong>ch</strong>e Dienstleistungen<br />

und Tourismus der Universität St. Gallen<br />

aus dem Jahr 2008 gezeigt, dass kürzere Reisen<br />

und Billigflüge besonders im Trend liegen.<br />

Wie lässt si<strong>ch</strong> dieser <strong>Mobilität</strong>shunger in<br />

der Freizeit umweltgere<strong>ch</strong>t stillen? Eine s<strong>ch</strong>wierige<br />

Frage: «Bisherige verkehrspolitis<strong>ch</strong>e und<br />

verkehrsplaneris<strong>ch</strong>e Strategien waren in erster<br />

Linie auf den Arbeitspendlerverkehr sowie auf<br />

den Fernverkehr ausgeri<strong>ch</strong>tet», s<strong>ch</strong>reibt der Bundesrat<br />

in seiner 2009 veröffentli<strong>ch</strong>ten «Strategie<br />

Freizeitverkehr». «Die spezifis<strong>ch</strong>en Aspekte des<br />

Freizeitverkehrs wurden zu wenig intensiv in die<br />

Überlegungen zu einer na<strong>ch</strong>haltigen Verkehrspolitik<br />

einbezogen. Entspre<strong>ch</strong>end gross sind<br />

heute der Handlungsbedarf und das Handlungspotenzial.»<br />

Die Strategie hat zum Ziel, den privaten<br />

Freizeitverkehr mit Auto und Motorrad bis<br />

zum Jahr 2020 zu stabilisieren. Die Anteile des<br />

ÖV und des Langsamverkehrs sollen erhöht, die<br />

Wege verkürzt werden.<br />

Die Ziele also sind klar – wie sie si<strong>ch</strong> errei<strong>ch</strong>en<br />

lassen, weniger. Einer der Gründe liegt<br />

darin, dass si<strong>ch</strong> das Verhalten der Mens<strong>ch</strong>en in<br />

Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong> > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />

13


der Freizeit ni<strong>ch</strong>t über einen Leisten s<strong>ch</strong>lagen<br />

lässt, der Freizeitverkehr ist ein überaus heterogenes<br />

Gebilde. Deshalb gibt es au<strong>ch</strong> keine<br />

Patentlösungen, um ihn zu beeinflussen. Was<br />

es brau<strong>ch</strong>t, ist ein Paket von vers<strong>ch</strong>iedensten<br />

aufeinander abgestimmten Massnahmen.<br />

Freizeitverkehr ist Nahverkehr. Fast zwei Drittel<br />

der tägli<strong>ch</strong>en Freizeitwege liegen innerhalb von<br />

Agglomerationen. Man fährt zu Besu<strong>ch</strong>, geht<br />

auswärts essen, saust ins Training oder zum<br />

nä<strong>ch</strong>sten Waldrand. Ein Drittel bis die Hälfte<br />

dieser Wege misst weniger als 2 Kilometer. Das<br />

heisst: Dur<strong>ch</strong> ein ausgebautes ÖV-Angebot und<br />

attraktive Wege für Velofahrende und Fussgänger<br />

könnte es dur<strong>ch</strong>aus gelingen, die Freizeitmobilität<br />

vom Auto weg zu verlagern. Dies gilt<br />

vorab für Berei<strong>ch</strong>e, in denen der Anteil des Individualverkehrs<br />

besonders ho<strong>ch</strong> ist, wie zum<br />

Beispiel für den Sportverkehr. Kein Wunder,<br />

versu<strong>ch</strong>en viele Umsteigeprojekte, den Sportlerinnen<br />

und Sportlern den ÖV s<strong>ch</strong>mackhaft zu<br />

ma<strong>ch</strong>en.<br />

Fussballna<strong>ch</strong>wu<strong>ch</strong>s per ÖV zum Mat<strong>ch</strong>. Eltern von<br />

fussballspielenden Kindern werden am Wo<strong>ch</strong>enende<br />

vielfa<strong>ch</strong> zu Chauffeuren im Nebenamt.<br />

Sie fahren ihren Na<strong>ch</strong>wu<strong>ch</strong>s zum Mat<strong>ch</strong>.<br />

Weit sind die Wege beispielsweise bei den Turnieren,<br />

die man<strong>ch</strong>e Fussballclubs im Kanton<br />

Züri<strong>ch</strong> im Frühsommer und Spätherbst organisieren.<br />

Um die Eltern von ihrem Fahrdienst<br />

und die Umwelt von den Auswirkungen des<br />

Autoverkehrs zu entlasten, hat das Beratungsbüro<br />

Synergo mit Unterstützung des BAFU und<br />

weiteren Partnern das Projekt Soccermobile<br />

entwickelt. Synergo stellt für Veranstalter und<br />

Clubs Informationen zur Anreise mit dem öffentli<strong>ch</strong>en<br />

Verkehr zusammen. Zudem gibt es<br />

für die Clubs ein kostenloses, für das gesamte<br />

Gebiet des Zür<strong>ch</strong>er Verkehrsverbundes gültiges<br />

Gruppenbillett.<br />

Die Ergebnisse eines Tests an fünf Turnieren<br />

waren vielverspre<strong>ch</strong>end: Jedes dritte Team<br />

nutzte das ÖV-Angebot. Im Juni <strong>2012</strong> lief das<br />

Projekt aus. No<strong>ch</strong> ist ungewiss, ob und in wel<strong>ch</strong>er<br />

Form es weitergeführt werden soll. Kostenlose<br />

Gruppenbillette könne es aber auf die<br />

Dauer ni<strong>ch</strong>t geben, sagt Projektleiter Dominik<br />

Oetterli von Synergo. Ob die Vereine dem ÖV<br />

treu bleiben, wenn sie das Kollektivbillett selber<br />

berappen müssen, ist offen.<br />

Lücken im touristis<strong>ch</strong>en ÖV-Netz s<strong>ch</strong>liessen. Wer<br />

si<strong>ch</strong> in seiner Freizeit gerne in der Natur bewegt,<br />

fährt oft im Auto in die Berge oder Hügel.<br />

Dabei gäbe es dur<strong>ch</strong>aus Mögli<strong>ch</strong>keiten, ohne<br />

eigenes Fahrzeug in abgelegene Gebiete zu<br />

14<br />

reisen. Diese Alternative will der Verein mountain<br />

wilderness besser bekannt ma<strong>ch</strong>en. Unter<br />

www.alpentaxi.<strong>ch</strong> bietet er einen Überblick<br />

über lokale Taxiunternehmen im S<strong>ch</strong>weizer<br />

Alpenraum. Die Idee: Das Alpentaxi überbrückt<br />

die letzten Kilometer von der Bus- oder Bahnendstation<br />

bis zu Ausgangs- und Endpunkt einer<br />

Wanderung oder Skitour.<br />

Lücken im touristis<strong>ch</strong>en ÖV-Netz s<strong>ch</strong>liessen<br />

will au<strong>ch</strong> der Verein Busalpin. Dazu wurden<br />

2005 und 2006 in vier Pilotregionen – Gantris<strong>ch</strong><br />

(BE), Binntal (VS), Greina (GR/TI) und<br />

Moosalp (VS) – neue Angebote entwickelt,<br />

zum Beispiel ein Ruf bus, der die Ausflügler zur<br />

Langlaufloipe oder zum Ausgangspunkt einer<br />

Wanderung bringt. Mehr als 25 000 Fahrgäste<br />

haben diese Mögli<strong>ch</strong>keit in den beiden Versu<strong>ch</strong>sjahren<br />

genutzt. Inzwis<strong>ch</strong>en sind weitere<br />

Regionen beigetreten. Der Verein berät sie beim<br />

Auf bau von ÖV-Angeboten und vermarktet diese<br />

über seine Internetplattform www.busalpin.<strong>ch</strong>.<br />

Sowohl das Alpentaxi wie au<strong>ch</strong> Busalpin werden<br />

vom BAFU finanziell unterstützt.<br />

Gefördert wird au<strong>ch</strong> das Projekt «Mobiles<br />

Entlebu<strong>ch</strong>». Es bietet Besu<strong>ch</strong>erinnen und<br />

Besu<strong>ch</strong>ern des UNESCO-Biosphärengebiets<br />

Alternativen zum Privatauto: Verkehrsangebote<br />

wie zum Beispiel Kleinbusse für Wintersporttreibende<br />

oder Rail Bons für die Anreise<br />

zu Exkursionen. Die Angebote werden genutzt,<br />

wenn au<strong>ch</strong> in eher bes<strong>ch</strong>eidenem Umfang.<br />

Eine Erfolgskontrolle dur<strong>ch</strong> das Institut für<br />

Tourismuswirts<strong>ch</strong>aft an der Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ule Luzern<br />

hat ergeben, dass im Laufe eines Jahres rund<br />

1200 automobile Gäste aufgrund dieser Alternativen<br />

auf den ÖV und den Langsamverkehr<br />

umgestiegen sind.<br />

Warum in die Ferne s<strong>ch</strong>weifen? <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong><br />

Freizeitmobilität lässt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t nur dur<strong>ch</strong> bessere<br />

ÖV-Angebote s<strong>ch</strong>affen. Viel Verkehr liesse<br />

si<strong>ch</strong> zum Beispiel vermeiden, wenn wir ni<strong>ch</strong>t<br />

bis in die Alpen oder den Jura fahren müssten,<br />

um uns der Natur nahe zu fühlen. Anders gesagt:<br />

Gut ers<strong>ch</strong>lossene und attraktive Naherholungsgebiete<br />

ma<strong>ch</strong>en lange Fahrten ins Grüne<br />

überflüssig. Eine wi<strong>ch</strong>tige Rolle können hier<br />

wiederbelebte Flusslands<strong>ch</strong>aften spielen. Dies<br />

gilt etwa für die Birspark-Lands<strong>ch</strong>aft, ein Aufwertungsprojekt<br />

im Kanton Baselland, das von<br />

der Stiftung Lands<strong>ch</strong>aftss<strong>ch</strong>utz zur Lands<strong>ch</strong>aft<br />

des Jahres <strong>2012</strong> gewählt worden ist. Früher galten<br />

die Uferzonen als verna<strong>ch</strong>lässigte Hinterhöfe<br />

der Gemeinden an der Birs, heute werden<br />

sie von der Bevölkerung als Naturoasen und Erholungsgebiete<br />

ges<strong>ch</strong>ätzt.<br />

Au<strong>ch</strong> in der Hunzigenau an der Aare oberhalb<br />

von Bern herrs<strong>ch</strong>t an sonnigen Tagen<br />

umwelt 3/<strong>2012</strong> > Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong>


KONTAKT<br />

Doris O<strong>ch</strong>sner Tanner<br />

Sektion Verkehr<br />

BAFU<br />

031 322 96 87<br />

doris.o<strong>ch</strong>sner@bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />

Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong> > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />

reger Betrieb. Man badet, brät Würste und geniesst<br />

die Sonne. Das war ni<strong>ch</strong>t immer so: Zu<br />

einer viel besu<strong>ch</strong>ten Wasserwelt entwickelte<br />

si<strong>ch</strong> die Hunzigenau erst 2006. Als Ho<strong>ch</strong>wassers<strong>ch</strong>utzmassnahme<br />

wurde damals das Flussbett<br />

verbreitert. Ein neuer Seitenarm liess zwei<br />

Inseln entstehen, wovon die eine mit einem<br />

Steg ers<strong>ch</strong>lossen ist. Die wilde Flusslands<strong>ch</strong>aft<br />

im Kleinformat liegt in Fusswegdistanz zu den<br />

Agglomerationsgemeinden Rubigen und Münsingen.<br />

Ähnli<strong>ch</strong>e Renaturierungsmassnahmen werden<br />

au<strong>ch</strong> an anderen Abs<strong>ch</strong>nitten der Aare zwis<strong>ch</strong>en<br />

Thun und Bern umgesetzt oder sind geplant.<br />

Übrigens: 68 Prozent der Leute, die si<strong>ch</strong><br />

heute in dieser Lands<strong>ch</strong>aft erholen, wohnen in<br />

den anliegenden Gemeinden. Dies ergab unlängst<br />

eine Besu<strong>ch</strong>ererhebung. 65 Prozent kommen<br />

per ÖV, Velo oder zu Fuss. Ob die Aufwertungen<br />

insgesamt zu weniger Autofahrten<br />

Rund 14 000 Läuferinnen bestreiten Jahr für Jahr den Berner Frauenlauf. Im Startgeld<br />

inbegriffen ist das Bahnbillett ab dem Wohnort na<strong>ch</strong> Bern. Das Ticket ist vier Tage<br />

gültig. Öffentli<strong>ch</strong>e Parkplätze werden keine angeboten, dafür zahlrei<strong>ch</strong>e Extrazüge.<br />

führen werden, ist hingegen fragli<strong>ch</strong>. Weil das<br />

Gebiet immer mehr Leute anziehe, sei «mit<br />

einer Zunahme des motorisierten Individualverkehrs<br />

zu re<strong>ch</strong>nen», heisst es im Beri<strong>ch</strong>t zum Erholungs-<br />

und Besu<strong>ch</strong>erinformationskonzept für<br />

die gesamte Aarestrecke zwis<strong>ch</strong>en Thun und<br />

Bern.<br />

Ob Farniente am Wasser, Outdoor-Aktivitäten<br />

in den Bergen, Grossveranstaltungen oder<br />

Kinderfussball: Der Weg zu einer umweltgere<strong>ch</strong>ten<br />

<strong>Mobilität</strong> in der Freizeit ist lang. Und es<br />

brau<strong>ch</strong>t no<strong>ch</strong> viele sprühende Ideen und wegweisende<br />

Projekte, bis wir das Gefühl von Freiheit<br />

und Ungebundenheit ni<strong>ch</strong>t mehr mit dem<br />

Losfahren im Auto glei<strong>ch</strong>setzen.<br />

Weiterführende Links unter<br />

www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/magazin<strong>2012</strong>-3-03<br />

Hansjakob Baumgartner<br />

15


VERKEHRSPOLITIK<br />

«Wir wollen keine<br />

grenzenlose <strong>Mobilität</strong>»<br />

Der vorbildli<strong>ch</strong> ausgebaute öffentli<strong>ch</strong>e Verkehr gehört für Peter Füglistaler zu den wi<strong>ch</strong>tigsten wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Standort-<br />

vorteilen der S<strong>ch</strong>weiz. Im Interview mit umwelt erklärt der Direktor des Bundesamtes für Verkehr (BAV), wie das an-<br />

haltende Wa<strong>ch</strong>stum der <strong>Mobilität</strong> bewältigt werden soll – und weshalb der Staat in diesem Berei<strong>ch</strong> Grenzen setzen muss.<br />

16<br />

umwelt: Herr Füglistaler, ist es erstrebenswert, künftig<br />

mit dem Zug in einer halben Stunde von Bern na<strong>ch</strong><br />

Züri<strong>ch</strong> fahren zu können?<br />

Peter Füglistaler: Jede Bes<strong>ch</strong>leunigung s<strong>ch</strong>afft<br />

mehr <strong>Mobilität</strong>. Unser Ziel ist aber ni<strong>ch</strong>t, die <strong>Mobilität</strong><br />

zu erhöhen, sondern sie zu bewältigen,<br />

– und zwar mögli<strong>ch</strong>st ökologis<strong>ch</strong> verträgli<strong>ch</strong>.<br />

Darum ri<strong>ch</strong>ten wir den Ausbau auf die Kapazität<br />

mit besseren und bequemeren Angeboten aus<br />

und ni<strong>ch</strong>t auf die Bes<strong>ch</strong>leunigung. Das ist eine<br />

klare Absage an eine S<strong>ch</strong>nellbahn Züri<strong>ch</strong>–Bern.<br />

Das sieht die SBB-Chefetage etwas anders. Dort heisst<br />

es: «Wir erfüllen die Bedürfnisse unserer Kunden und<br />

ma<strong>ch</strong>en, was der Markt will.»<br />

Der von uns geplante Kapazitätsausbau ri<strong>ch</strong>tet<br />

si<strong>ch</strong> voll na<strong>ch</strong> dem Markt. Aber wir wollen ni<strong>ch</strong>t<br />

mit Fahrzeitverkürzungen neue Märkte s<strong>ch</strong>affen.<br />

Eine zusätzli<strong>ch</strong>e Bes<strong>ch</strong>leunigung würde zu<br />

einem zusätzli<strong>ch</strong>en Landvers<strong>ch</strong>leiss führen und<br />

damit dem Raumkonzept S<strong>ch</strong>weiz und der Verkehrs-<br />

sowie der Raumplanungspolitik des Bundes<br />

widerspre<strong>ch</strong>en.<br />

Wel<strong>ch</strong>en Nutzen verdanken wir der gestiegenen<br />

<strong>Mobilität</strong>?<br />

Wir profitieren in jeder Phase unseres Lebens<br />

umwelt 3/<strong>2012</strong> > Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong>


davon: während der S<strong>ch</strong>ul- und Ausbildungszeit,<br />

später bei der Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> einer interessanten<br />

Arbeit und immer wieder au<strong>ch</strong> zur Erholung<br />

in der Freizeit. Vor allem aber erweitert die gestiegene<br />

<strong>Mobilität</strong> unseren Erlebnisraum, und<br />

sie bedeutet ein Stück persönli<strong>ch</strong>e Freiheit, die<br />

vielen Mens<strong>ch</strong>en neben der gedankli<strong>ch</strong>en Freiheit<br />

sehr wi<strong>ch</strong>tig ist.<br />

Wie viel <strong>Mobilität</strong> brau<strong>ch</strong>t es, damit si<strong>ch</strong> die S<strong>ch</strong>weiz<br />

wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> erfolgrei<strong>ch</strong> weiterentwickeln kann?<br />

Man geht allgemein davon aus, dass ein Zusammenhang<br />

zwis<strong>ch</strong>en Wohlstand und Verkehrswa<strong>ch</strong>stum<br />

besteht. Ein ökonomis<strong>ch</strong>er<br />

Aufs<strong>ch</strong>wung führt zu einer Verkehrszunahme.<br />

Unsere Abs<strong>ch</strong>ätzungen zeigen, dass für die wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e<br />

Entwicklung der S<strong>ch</strong>weiz bis 2030<br />

ein beträ<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>es Verkehrswa<strong>ch</strong>stum nötig sein<br />

wird. Beim Personenverkehr re<strong>ch</strong>nen wir mit<br />

Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong> > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />

«Vor allem erweitert die gestiegene <strong>Mobilität</strong> unseren<br />

Erlebnisraum, und sie bedeutet ein Stück persönli<strong>ch</strong>e<br />

Freiheit, die vielen Mens<strong>ch</strong>en neben der gedankli<strong>ch</strong>en<br />

Freiheit sehr wi<strong>ch</strong>tig ist.» Peter Füglistaler, Direktor BAV<br />

einem Plus in der Grössenordnung von 60 Prozent<br />

und beim Gütertransport mit 70 Prozent.<br />

Als stark exportorientiertes Land müssen wir<br />

unsere Märkte effizient ers<strong>ch</strong>liessen, den Pendlerverkehr<br />

zu den Wirts<strong>ch</strong>aftszentren ermögli<strong>ch</strong>en<br />

und als Tourismusland au<strong>ch</strong> den Freizeitverkehr<br />

attraktiv organisieren.<br />

Kann die S<strong>ch</strong>weiz eine derartige Verkehrszunahme<br />

verkraften?<br />

Tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> spüren wir die Na<strong>ch</strong>teile des Verkehrswa<strong>ch</strong>stums<br />

immer deutli<strong>ch</strong>er. I<strong>ch</strong> denke<br />

an die Zersiedlung des Landes oder an die Belastungen<br />

dur<strong>ch</strong> Lärm und Lufts<strong>ch</strong>adstoffe. Zudem<br />

nehmen die Verkehrsanlagen immer grössere<br />

Flä<strong>ch</strong>en in Anspru<strong>ch</strong>. Wir müssen den Verkehr<br />

deshalb mögli<strong>ch</strong>st ökologis<strong>ch</strong> bewältigen. Er<br />

muss gebündelt und in sensiblen Räumen –<br />

wie etwa in di<strong>ch</strong>t bevölkerten Gebieten oder im<br />

Bilder: Hansueli Tra<strong>ch</strong>sel<br />

17


18<br />

Alpenraum – in seinem Wa<strong>ch</strong>stum bes<strong>ch</strong>ränkt<br />

oder auf umweltgere<strong>ch</strong>te Verkehrsträger verlagert<br />

werden.<br />

Gibt es Grenzen der persönli<strong>ch</strong>en <strong>Mobilität</strong>?<br />

Selbstverständli<strong>ch</strong>, überall wo die persönli<strong>ch</strong>e<br />

Freiheit die Gemeins<strong>ch</strong>aft zu stark belastet,<br />

brau<strong>ch</strong>t es Eins<strong>ch</strong>ränkungen. Das gilt längst<br />

au<strong>ch</strong> beim Verkehr. Wir sperren Dur<strong>ch</strong>gangsstrassen<br />

und stellen so in Wohnquartieren<br />

den S<strong>ch</strong>utz der Anwohner über das Re<strong>ch</strong>t auf<br />

freie <strong>Mobilität</strong>. Oder wir befreien die Stadtzentren<br />

vom Verkehr. Au<strong>ch</strong> mit dem Na<strong>ch</strong>t- und<br />

Sonntagsfahrverbot für Lastwagen kennt die<br />

S<strong>ch</strong>weiz eine gesetzli<strong>ch</strong>e Eins<strong>ch</strong>ränkung, wel<strong>ch</strong>e<br />

die öffentli<strong>ch</strong>en Interessen über die uneinges<strong>ch</strong>ränkte<br />

<strong>Mobilität</strong> stellt. Wir wollen keine<br />

grenzenlose <strong>Mobilität</strong>, der Verkehr muss für<br />

Mens<strong>ch</strong> und Umwelt verträgli<strong>ch</strong> sein.<br />

Der Staat s<strong>ch</strong>ränkt die <strong>Mobilität</strong> also ein?<br />

Ja, und unsere neue Vorlage zur Finanzierung<br />

und zum Ausbau der Bahninfrastruktur sieht<br />

au<strong>ch</strong> vor, dass die Nutzer mehr an die Infrastruktur<br />

bezahlen müssen, weshalb die Preise<br />

auf Ende <strong>2012</strong> um gut 5 Prozent erhöht werden.<br />

Der Benutzer soll spüren, dass die <strong>Mobilität</strong><br />

etwas kostet. Teil der Vorlage ist au<strong>ch</strong> die<br />

Bes<strong>ch</strong>ränkung des Pendlerabzugs bei der direkten<br />

Bundessteuer auf 3000 Franken im Jahr. Es<br />

gibt Autopendler, die bis anhin 70 000 Franken<br />

abgezogen haben. Die Bots<strong>ch</strong>aft ans Parlament<br />

ist klar: Es brau<strong>ch</strong>t die <strong>Mobilität</strong> – vor allem<br />

im Berufsleben, aber sie soll nur no<strong>ch</strong> im Ag-<br />

«Wenn wir Geld sparen wollen, holen wir im<br />

di<strong>ch</strong>t belasteten Netz mehr heraus, als wenn wir<br />

in den Randgebieten Kahls<strong>ch</strong>lag betreiben.»<br />

glomerationsgebiet steuerli<strong>ch</strong> begünstigt werden.<br />

Wer über grössere Distanzen pendelt, soll<br />

vom Staat ni<strong>ch</strong>t mehr dafür belohnt werden.<br />

Zu Spitzenzeiten sind viele Züge bereits heute bre<strong>ch</strong>end<br />

voll. Ist eine weitere Verlagerung des Verkehrs<br />

von der Strasse auf die S<strong>ch</strong>iene überhaupt no<strong>ch</strong><br />

mögli<strong>ch</strong>?<br />

Sie muss mögli<strong>ch</strong> sein. In den letzten 10 Jahren<br />

ist der Anteil des ÖV am gesamten Verkehrsaufkommen<br />

gestiegen, und dieser Trend wird<br />

si<strong>ch</strong> weiter fortsetzen müssen. Wenn wir den<br />

Verkehr mögli<strong>ch</strong>st ökologis<strong>ch</strong> bewältigen wollen,<br />

sind die ents<strong>ch</strong>eidenden Kriterien hohe<br />

Effizienz und geringe Umweltbelastung. Hier<br />

s<strong>ch</strong>neiden Massenverkehrsmittel wie die Bahn<br />

deutli<strong>ch</strong> besser ab als der motorisierte Individualverkehr.<br />

Die Stossri<strong>ch</strong>tung ist deshalb klar:<br />

Das künftige Verkehrswa<strong>ch</strong>stum soll weitgehend<br />

vom ÖV bewältigt werden.<br />

Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Wie sind wir im<br />

Jahr 2050 ges<strong>ch</strong>äftli<strong>ch</strong> und privat unterwegs?<br />

Es fällt mir s<strong>ch</strong>wer zu sagen, ob wir uns in Zukunft<br />

mit Magnetbahnen bewegen oder mit<br />

dem Lei<strong>ch</strong>tflugzeug umhers<strong>ch</strong>wirren. I<strong>ch</strong> bin<br />

kein Te<strong>ch</strong>nikfreak. Sehr wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> aber<br />

werden wir weiterhin mit Zug und Auto unterwegs<br />

sein. Do<strong>ch</strong> das Ents<strong>ch</strong>eidende sind für<br />

mi<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t die Verkehrsmittel. Meine Vision<br />

ist, dass es 2050 eine persönli<strong>ch</strong>e <strong>Mobilität</strong>skarte<br />

gibt. Sie wird die Fahrkosten aufgrund<br />

der Distanz und der Tageszeit belasten, den<br />

Verkehr in empfindli<strong>ch</strong>en Räumen wie in Städten<br />

oder Erholungszonen extra verre<strong>ch</strong>nen,<br />

Rabatte für ökologis<strong>ch</strong>e Transportarten gewähren<br />

und einen Zus<strong>ch</strong>lag für Leute erheben, die<br />

immer no<strong>ch</strong> mit der Benzinkuts<strong>ch</strong>e unterwegs<br />

sind.<br />

Hat ein immer besser ausgebautes öffentli<strong>ch</strong>es<br />

Verkehrsnetz ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> Kehrseiten? Es hält die<br />

Mens<strong>ch</strong>en davon ab, si<strong>ch</strong> zu Fuss oder mit dem Velo<br />

fortzubewegen.<br />

Öffentli<strong>ch</strong>er Verkehr und Langsamverkehr<br />

müssen si<strong>ch</strong> ergänzen. Der Langsamverkehr<br />

hat si<strong>ch</strong>er no<strong>ch</strong> Potenzial. Bei den Elektrobikes<br />

erleben wir im Moment ja fast eine Art Revolution.<br />

Sie s<strong>ch</strong>liessen eine Lücke, da es vielen<br />

Leuten zu aufwendig ist, Distanzen ab einer<br />

gewissen Länge mit dem Velo zurückzulegen.<br />

Aber man darf ni<strong>ch</strong>t vergessen, dass die Bevölkerung<br />

älter wird und trotzdem mobil sein<br />

will. Dur<strong>ch</strong> die Angebote im öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr<br />

stellen wir si<strong>ch</strong>er, dass si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> diese<br />

Leute bequem und weitgehend CO 2-frei bewegen<br />

können.<br />

Der Langsamverkehr wird vom Staat bena<strong>ch</strong>teiligt.<br />

Ausgere<strong>ch</strong>net Fussgänger und Velofahrende, wel<strong>ch</strong>e<br />

die Umwelt und das Verkehrssystem am wenigsten<br />

belasten, erhalten keine Steuervorteile.<br />

Eine gewisse Ungere<strong>ch</strong>tigkeit wird ja nun<br />

dur<strong>ch</strong> die erwähnte Bes<strong>ch</strong>ränkung des Pendlerabzugs<br />

beseitigt. Um weiter zu gehen, bräu<strong>ch</strong>te<br />

es ein eigentli<strong>ch</strong>es «Mobility Pricing», also eine<br />

viel stärker differenzierte Tarifierung als heute.<br />

Für den öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr würde dies allerdings<br />

au<strong>ch</strong> bedeuten, das Generalabonnement<br />

zu hinterfragen. Dieses Angebot für unlimitierte<br />

Fahrten zu einem Fixpreis von knapp 3400 Franken<br />

ist natürli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t im Sinn einer benutzergere<strong>ch</strong>ten<br />

Tarifierung. Dies alles wird no<strong>ch</strong> viel<br />

umwelt 3/<strong>2012</strong> > Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong>


zu reden geben. Deshalb müssen si<strong>ch</strong> Velofahrende<br />

und Fussgänger wohl no<strong>ch</strong> einige Jahre mit<br />

einem guten Gewissen selber belohnen.<br />

Wie lange können wir uns den gut ausgebauten ÖV<br />

no<strong>ch</strong> leisten?<br />

Gegenfrage: Kann es si<strong>ch</strong> die S<strong>ch</strong>weiz leisten,<br />

auf einen ihrer wi<strong>ch</strong>tigsten Standortvorteile zu<br />

verzi<strong>ch</strong>ten?<br />

Denkt man an die Postautos, die oft kaum besetzt bis<br />

ins hinterste Bergtal fahren, kann s<strong>ch</strong>on das Gefühl<br />

aufkommen, die S<strong>ch</strong>weiz leiste si<strong>ch</strong> mit dem flä<strong>ch</strong>endeckenden<br />

ÖV-Angebot einen Luxus.<br />

Dies ist ein grosser Irrtum. Wer s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t ausgelastete<br />

Busse sieht, denkt, dieses Angebot brau<strong>ch</strong>e<br />

es do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t. Do<strong>ch</strong> im Verglei<strong>ch</strong> mit der<br />

S-Bahn, die au<strong>ch</strong> im Raum Züri<strong>ch</strong> ihre Kosten<br />

ni<strong>ch</strong>t deckt, geht es dabei um relativ kleine Beträge.<br />

Wenn wir Geld sparen wollen, holen wir<br />

im di<strong>ch</strong>t belasteten Netz mehr heraus, als wenn<br />

wir in den Randgebieten Kahls<strong>ch</strong>lag betreiben.<br />

Beim letzten Sparprogramm des Bundes zeigte<br />

si<strong>ch</strong>, wel<strong>ch</strong> grosser Teil des Angebots in den<br />

Randgebieten gestri<strong>ch</strong>en werden müsste, um<br />

nur s<strong>ch</strong>on eine kleine Einsparung zu erzielen.<br />

Wir haben s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> einen Versorgungsauftrag.<br />

Es gehört zur S<strong>ch</strong>weiz, dass si<strong>ch</strong> mit<br />

dem öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr au<strong>ch</strong> die meisten<br />

Bergdörfer errei<strong>ch</strong>en lassen. Das müssen wir<br />

uns leisten, denn es trägt au<strong>ch</strong> zum gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

Zusammenhalt bei!<br />

Sie haben s<strong>ch</strong>on angetönt, dass die ÖV-Benutzenden<br />

künftig mehr für die <strong>Mobilität</strong> bezahlen sollen.<br />

Ja, davon bin i<strong>ch</strong> überzeugt. Man darf si<strong>ch</strong> keinen<br />

Illusionen hingeben – wir kommen immer<br />

für die Kosten der <strong>Mobilität</strong> auf, wenn ni<strong>ch</strong>t<br />

über die Tarife, dann eben über die Steuern.<br />

Deshalb soll etwas mehr bezahlen, wer den unmittelbaren<br />

Nutzen hat. Heute tragen die ÖV-<br />

Nutzer nur etwa die Hälfte der Kosten, während<br />

die Steuerzahler den Rest übernehmen. Dieses<br />

Verhältnis wird si<strong>ch</strong> in den nä<strong>ch</strong>sten Jahren graduell<br />

vers<strong>ch</strong>ieben. Do<strong>ch</strong> eigentli<strong>ch</strong> müssten die<br />

Nutzer einen deutli<strong>ch</strong> grösseren Kostenanteil<br />

tragen.<br />

Wie soll die Kostenverteilung denn künftig aussehen?<br />

Es geht um eine s<strong>ch</strong>rittweise Verteuerung. Mit<br />

einem Preisanstieg von über 5Prozent Ende<br />

<strong>2012</strong> bewegen wir uns si<strong>ch</strong>er am oberen Ende<br />

des Mögli<strong>ch</strong>en. Es brau<strong>ch</strong>t höhere Preise, damit<br />

wir die Infrastrukturkosten decken können. Das<br />

BAV geht davon aus, dass es wegen dieser Verteuerung<br />

ni<strong>ch</strong>t zu einer Rückverlagerung des<br />

Verkehrs auf die Strasse kommt. Mögli<strong>ch</strong> ist eine<br />

gewisse Abs<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>ung des Wa<strong>ch</strong>stums – und<br />

Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong> > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />

das ist gar ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t. Der ÖV hat in den<br />

vergangenen Jahren Wa<strong>ch</strong>stumsraten von bis zu<br />

8 Prozent erlebt, was au<strong>ch</strong> zu Problemen geführt<br />

hat.<br />

Warum wird ausgere<strong>ch</strong>net der öffentli<strong>ch</strong>e Verkehr so<br />

stark gefördert? Aus Umweltsi<strong>ch</strong>t liessen si<strong>ch</strong> diese<br />

öffentli<strong>ch</strong>en Mittel effizienter ausgeben, oder man<br />

könnte damit au<strong>ch</strong> andere Berei<strong>ch</strong>e wie die Gesundheit<br />

stärker subventionieren.<br />

Zu diesen Fragen findet eine permanente Diskussion<br />

in Bundesrat und Parlament statt, wenn<br />

es um Budgetents<strong>ch</strong>eide geht und Vorlagen dis-<br />

«Bei allen Umfragen zur Wettbewerbsfähigkeit<br />

der S<strong>ch</strong>weiz steht die Qualität des ÖV an<br />

prominenter Stelle.»<br />

kutiert werden. Da steht der ÖV im dauernden<br />

Verteilkampf mit anderen Ausgabenberei<strong>ch</strong>en.<br />

Die S<strong>ch</strong>weiz kennt bei der Zuteilung der staatli<strong>ch</strong>en<br />

Mittel einen relativ einfa<strong>ch</strong>en Me<strong>ch</strong>anismus:<br />

Es gilt, Abstimmungen zu gewinnen – sei<br />

es im Parlament oder an der Urne.<br />

Ihr Vorgänger Max Friedli hat einmal von einer «beinahe<br />

irrationalen Begeisterung» der S<strong>ch</strong>weiz für den<br />

öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr gespro<strong>ch</strong>en. Sehen Sie das<br />

au<strong>ch</strong> so?<br />

Meiner Meinung na<strong>ch</strong> sind es sehr rationale<br />

Überlegungen, die uns dazu veranlassen, den<br />

öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr zu fördern. Bei allen Umfragen<br />

zur Wettbewerbsfähigkeit der S<strong>ch</strong>weiz<br />

steht die Qualität des ÖV an prominenter Stelle.<br />

Es zieht ausländis<strong>ch</strong>e Firmen ni<strong>ch</strong>t zuletzt in die<br />

S<strong>ch</strong>weiz, weil es uns gelingt, die Verkehrsprobleme<br />

vorbildli<strong>ch</strong> zu lösen.<br />

Interview: Kaspar Meuli<br />

Weiterführende Links unter<br />

www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/magazin<strong>2012</strong>-3-04<br />

Peter Füglistaler. Der 1959 geborene Peter Füglistaler<br />

ist seit 2010 Direktor des Bundesamtes für Verkehr<br />

(BAV) und gestaltet in dieser Funktion die s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e<br />

Verkehrspolitik ents<strong>ch</strong>eidend mit. Na<strong>ch</strong> einer<br />

Banklehre holte er in einem Fernstudium die Matura<br />

na<strong>ch</strong>, studierte an der Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ule St. Gallen Volkswirts<strong>ch</strong>aft<br />

und doktorierte über Massnahmen gegen die<br />

Armut. Dana<strong>ch</strong> arbeitete er bei der Eidgenössis<strong>ch</strong>en<br />

Finanzverwaltung und war während 14 Jahren in vers<strong>ch</strong>iedenen<br />

leitenden Funktionen bei der SBB tätig.<br />

Peter Füglistaler ist verheiratet und hat zwei Tö<strong>ch</strong>ter. Er<br />

lebt in Binningen (BL).<br />

19


PRAXISBEISPIELE<br />

Umweltgere<strong>ch</strong>t hier und heute<br />

Beispiele aus der S<strong>ch</strong>weiz und aus dem Ausland zeigen: <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong> ist keine Zukunftsmu-<br />

sik, sondern s<strong>ch</strong>on heute mögli<strong>ch</strong>. umwelt stellt 13 erprobte, originelle oder besonders innovative Ansätze<br />

vor – von den S<strong>ch</strong>weizer Erfolgsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten «Mobility» und «Umweltabo» bis zum <strong>Mobilität</strong>smanagement<br />

in Firmen und bei der Stadtentwicklung.<br />

Rote Flotte auf dem Vormars<strong>ch</strong><br />

Die S<strong>ch</strong>weiz ist die Wiege des Carsharings. Die Erfindung der kombinierten<br />

<strong>Mobilität</strong> von Auto und öffentli<strong>ch</strong>em Verkehr ist eine Erfolgsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te.<br />

Warum ein eigenes Auto besitzen, wenn es oft<br />

ungebrau<strong>ch</strong>t herumsteht? Weshalb einen PW<br />

ni<strong>ch</strong>t mit anderen teilen und erst dann nutzen,<br />

wenn man ihn wirkli<strong>ch</strong> brau<strong>ch</strong>t? Diese Frage<br />

gab in den 1980er-Jahren den Anstoss zum Modell<br />

des «Autoteilens». Sie führte 1997 zur Gründung<br />

von Mobility Carsharing und leitete einen<br />

gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Wandel ein: Immer mehr<br />

Mens<strong>ch</strong>en verzi<strong>ch</strong>ten auf das eigene Auto als<br />

Statussymbol – eine Mobility-Mitgliedkarte ist<br />

ni<strong>ch</strong>t nur für junge Mens<strong>ch</strong>en attraktiver. Sie erlaubt<br />

den Zugang zu 2600 Fahrzeugen an 1300<br />

Standorten in der ganzen S<strong>ch</strong>weiz – vom Kleinwagen<br />

bis zum Cabriolet und Transporter. Jeden<br />

Monat eröffnet Mobility bis zu 10 neue Standorte.<br />

Dadur<strong>ch</strong> können ständig mehr Benutzer<br />

ein Auto in wenigen Minuten zu Fuss oder mit<br />

dem Velo errei<strong>ch</strong>en.<br />

Die roten Fahrzeuge der Mobility-Flotte gehören<br />

in der S<strong>ch</strong>weiz mittlerweile zum vertrauten<br />

Strassenbild. Der Dur<strong>ch</strong>bru<strong>ch</strong> zum ho<strong>ch</strong>professionellen,<br />

kundenorientierten Unternehmen<br />

erfolgte 2002 dank der Kooperation mit der SBB<br />

und dem Konzept der kombinierten <strong>Mobilität</strong>.<br />

Es steht für ein nahtloses Umsteigen vom Zug<br />

auf das Auto am Bahnhof. Heute zählt Mobility<br />

über 100 000 Mitglieder – das theoretis<strong>ch</strong>e<br />

Potenzial wird gar auf eine halbe Million Kunden<br />

ges<strong>ch</strong>ätzt.<br />

Mobility-Kunden bu<strong>ch</strong>en pro Jahr zwis<strong>ch</strong>en<br />

10 und 15 Fahrten, auf denen sie dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong><br />

je 40 Kilometer zurücklegen. Ist das wirkli<strong>ch</strong><br />

weniger als mit dem eigenen Auto? «Das<br />

20<br />

Modell ist ökologis<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong>haltig», erklärt Hermann<br />

S<strong>ch</strong>errer vom Bundesamt für Energie.<br />

«Ein Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittskunde senkt seinen CO 2-<br />

Ausstoss um etwa 200 Kilogramm pro Jahr. Total<br />

sind das 20 000 Tonnen CO 2.» Jeder fünfte<br />

Mobility-Nutzer hatte zuvor ein eigenes Auto.<br />

Dank Carsharing sind auf den S<strong>ch</strong>weizer Strassen<br />

also 20 000 Autos weniger unterwegs – tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />

eine Erfolgsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te. Stefan Hartmann<br />

o<br />

umwelt 3/<strong>2012</strong> > Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong>


Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong> > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />

Umfassender <strong>Mobilität</strong>splan<br />

Die neue Genfer Industriezone Plan-les-Ouates boomt. Do<strong>ch</strong> der Verkehr auf den Zufahrten<br />

staut si<strong>ch</strong>, und Parkplätze werden immer knapper. Abhilfe s<strong>ch</strong>afft ein unternehmensüber-<br />

greifender <strong>Mobilität</strong>splan, an dem si<strong>ch</strong> zahlrei<strong>ch</strong>e Partner beteiligen.<br />

Die Industriezone Plan-les-Ouates (ZIPLO) bei<br />

Genf beherbergt 330 Unternehmen mit insgesamt<br />

knapp 8000 Mitarbeitenden. Die meisten<br />

von ihnen kommen motorisiert zur Arbeit. Bis<br />

2015 sollen hier rund 2000 zusätzli<strong>ch</strong>e Arbeitsplätze<br />

entstehen.<br />

Um das Verkehrsaufkommen einzudämmen<br />

und denno<strong>ch</strong> eine gute Ers<strong>ch</strong>liessung der Zone<br />

zu gewährleisten, galt es, einen breiten Konsens<br />

unter allen Akteuren zu finden. Deshalb haben<br />

die Gemeinde Plan-les-Ouates, die Vereinigung<br />

der ansässigen Firmen sowie die Fondation<br />

pour les terrains industriels und die kantonale<br />

Verkehrsdirektion einen umfassenden <strong>Mobilität</strong>splan<br />

bes<strong>ch</strong>lossen. «No<strong>ch</strong> nie sind in einem<br />

derart grossen Rahmen Ressourcen zusammengelegt<br />

und Hilfsmittel bereitgestellt worden»,<br />

bestätigt Sandra Brazzini, Projektverantwortli<strong>ch</strong>e<br />

bei der ZIPLO. «Je höher die Zahl der beteiligten<br />

Unternehmen und je vielfältiger die<br />

Partner, desto günstiger und bedarfsgere<strong>ch</strong>ter<br />

die angebotenen Dienstleistungen.»<br />

Herzstück des Plans ist die seit Mitte 2010 betriebene<br />

<strong>Mobilität</strong>szentrale. Sie bietet weit mehr<br />

als eine herkömmli<strong>ch</strong>e Auskunftsstelle: Betreute<br />

my<br />

Alle Illustrationen: Anna Lu<strong>ch</strong>s<br />

Dienstleistungen, persönli<strong>ch</strong>e Beratung, eine<br />

peppige Website und Merkblätter sollen die Bes<strong>ch</strong>äftigten<br />

von sanfteren <strong>Mobilität</strong>slösungen<br />

überzeugen. Als Alternative zum allein benutzten<br />

Privatauto fördert die Zentrale namentli<strong>ch</strong><br />

das Carpooling: Anbieter von Mitfahrgelegenheiten<br />

und Interessenten werden unkompliziert<br />

telefonis<strong>ch</strong> vermittelt. Der persönli<strong>ch</strong>e Kontakt<br />

erlaubt es, gezielt auf spezifis<strong>ch</strong>e Anfragen<br />

einzugehen. Weitere aktive Massnahmen sind<br />

«Grand Compte Unireso» – ein Vorzugstarif für<br />

ÖV-Jahresabonnemente – sowie in Zukunft eine<br />

Veloflotte und direkte Shuttleverbindungen.<br />

Um die Unternehmen moralis<strong>ch</strong> in die<br />

Pfli<strong>ch</strong>t zu nehmen, hat die ZIPLO eine Charta<br />

erarbeitet. 19 Betriebe, die zusammen knapp<br />

80 Prozent der Bes<strong>ch</strong>äftigten in der Zone stellen,<br />

haben si<strong>ch</strong> bereits dazu verpfli<strong>ch</strong>tet und zur<br />

Erlei<strong>ch</strong>terung der Kommunikation interne <strong>Mobilität</strong>sverantwortli<strong>ch</strong>e<br />

ernannt. «In einer ersten<br />

Phase wollen wir errei<strong>ch</strong>en, dass die grössten<br />

Unternehmen mitma<strong>ch</strong>en und eine Vorreiterrolle<br />

spielen», erklärt Sandra Brazzini. Langfristig<br />

sollen alle Unternehmen eingebunden werden.<br />

Cornélia Mühlberger de Preux<br />

21


Das Homeoffice verringert den Pendlerstrom<br />

Ein Viertel der in der S<strong>ch</strong>weiz gefahrenen Kilometer wird auf dem Weg zur Arbeit zurückgelegt. Es<br />

geht aber au<strong>ch</strong> anders. Regelmässige Heimarbeit reduziert den <strong>Mobilität</strong>sbedarf im Berufsalltag.<br />

Laptop und Internetans<strong>ch</strong>luss ma<strong>ch</strong>en<br />

das Arbeiten für immer mehr Mens<strong>ch</strong>en<br />

praktis<strong>ch</strong> überall mögli<strong>ch</strong> – unter<br />

anderem daheim. Das Potenzial<br />

für diese moderne Form von Heimarbeit<br />

ist gross. «In der S<strong>ch</strong>weiz könnten<br />

rund 450 000 Arbeitnehmende<br />

einen Tag pro Wo<strong>ch</strong>e von zu Hause<br />

aus arbeiten», weiss Norbert Egli von<br />

der Sektion Konsum und Produkte<br />

des BAFU. «So liessen si<strong>ch</strong> pro Jahr<br />

67 000 Tonnen CO 2 einsparen.» Zum<br />

Verglei<strong>ch</strong>: In einem Unternehmen mit<br />

150 Angestellten entspri<strong>ch</strong>t das Sparpotenzial<br />

eines wö<strong>ch</strong>entli<strong>ch</strong>en Homeoffice<br />

Day der CO 2-Belastung von fünfeinhalb<br />

Flugreisen rund um die Welt. «Homeoffice<br />

ist ni<strong>ch</strong>t nur ökologis<strong>ch</strong> sinnvoll,<br />

sondern au<strong>ch</strong> volkswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> interessant»,<br />

betont Norbert Egli. «Dur<strong>ch</strong> das<br />

Arbeiten von zu Hause aus lässt si<strong>ch</strong><br />

die <strong>Mobilität</strong>sna<strong>ch</strong>frage in Stosszeiten<br />

dämpfen.» Allein bei der SBB, so zeigen<br />

deren Bere<strong>ch</strong>nungen, liessen si<strong>ch</strong> jedes<br />

Jahr Dutzende von Millionen Franken<br />

für Kapazitätserweiterungen einsparen,<br />

wenn jeder fünfte Pendler einen Tag<br />

pro Wo<strong>ch</strong>e daheim arbeiten würde.<br />

Zahlrei<strong>ch</strong>e Arbeitgeber setzen si<strong>ch</strong><br />

denn au<strong>ch</strong> aktiv für die Heimarbeit ihrer<br />

Angestellten ein – so zum Beispiel<br />

der WWF mit seinen rund 120 Bes<strong>ch</strong>äftigten.<br />

«Es gibt kaum einen anderen<br />

Berei<strong>ch</strong>, in dem mit verglei<strong>ch</strong>sweise geringem<br />

Aufwand so grosse Einsparungen<br />

bei den CO 2-Emissionen mögli<strong>ch</strong><br />

sind», sagt Thomas Vellacott, CEO des<br />

WWF S<strong>ch</strong>weiz. «Deshalb verfügen bei<br />

uns praktis<strong>ch</strong> alle Mitarbeitenden über<br />

die te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en Hilfsmittel, um von zu<br />

Hause aus auf alle Server zuzugreifen.»<br />

22<br />

Das Angebot der Telearbeit stosse auf<br />

«sehr positive Resonanz».<br />

Am meisten Erfahrung mit der Arbeit<br />

im Homeoffice hat Microsoft. Beim<br />

Umbau des S<strong>ch</strong>weizer Hauptsitzes in<br />

Züri<strong>ch</strong>-Wollishofen wagte das Unternehmen<br />

2011 einen Versu<strong>ch</strong>: Baubedingt<br />

konnten die 500 Angestellten<br />

damals während dreier Monate ni<strong>ch</strong>t<br />

im Büro arbeiten. «Die Mitarbeitenden<br />

fanden es grundsätzli<strong>ch</strong> toll, ihren Arbeitsort<br />

frei zu wählen», sagt Microsoft-<br />

Medienspre<strong>ch</strong>erin Barbara Josef. «Zur<br />

Not hatten wir ein Gemeins<strong>ch</strong>aftsbüro<br />

in Wollishofen bereitgestellt.»<br />

Berei<strong>ch</strong>ernd fanden die Microsoft-Leute<br />

vor allem, dass si<strong>ch</strong> Arbeit und Familie<br />

besser unter einen Hut bringen liessen.<br />

Dur<strong>ch</strong> die Arbeit daheim fühlten si<strong>ch</strong><br />

man<strong>ch</strong>e Mitarbeitende jedo<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> berufli<strong>ch</strong><br />

und sozial isoliert. Do<strong>ch</strong> insgesamt<br />

s<strong>ch</strong>eint das Fazit des Experiments<br />

positiv: Die Microsoft-Bes<strong>ch</strong>äftigten<br />

arbeiten heute deutli<strong>ch</strong> öfter freiwillig<br />

von zu Hause aus als vor dem Umbau.<br />

«Es gilt, das gute Mass zu finden»,<br />

sagt Norbert Egli. «Das Ziel kann ni<strong>ch</strong>t<br />

sein, die Arbeit im Büro abzus<strong>ch</strong>affen.»<br />

Sonst gehe der soziale Zusammenhang<br />

am Arbeitsplatz verloren und au<strong>ch</strong> der<br />

inhaltli<strong>ch</strong>e Austaus<strong>ch</strong> leide. «Do<strong>ch</strong> die<br />

Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> der ri<strong>ch</strong>tigen Balance lohnt<br />

si<strong>ch</strong>, denn als ökologis<strong>ch</strong>er Gewinn<br />

winkt weniger <strong>Mobilität</strong> – ohne zusätzli<strong>ch</strong>e<br />

Einri<strong>ch</strong>tungen.»<br />

Vera Bueller<br />

umwelt 3/<strong>2012</strong> > Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong>


«In S<strong>ch</strong>weizer Firmen liesse si<strong>ch</strong> eine von sieben<br />

Ges<strong>ch</strong>äftsreisen einsparen, das sind rund 15 Prozent<br />

der gefahrenen oder geflogenen Kilometer», sagt der<br />

Ökonom Peter Masciadri. Er leitet beim Berner Büro<br />

für <strong>Mobilität</strong> das Projekt Swit<strong>ch</strong>. Dieses will Firmen<br />

davon überzeugen, vermehrt auf Online-Meeting-<br />

Systeme zu setzen und so Verkehr zu vermeiden.<br />

Die dazu nötige Te<strong>ch</strong>nik ist längst vorhanden: Ein<br />

breites Angebot von Videokonferenzsystemen wie<br />

Webex, Skype oder Lync erlaubt virtuelle Treffen<br />

von Mitarbeitenden, Kunden und Partnern mit bis<br />

zu 25 Teilnehmenden. Die Systeme funktionieren<br />

webgestützt und ermögli<strong>ch</strong>en zum Beispiel au<strong>ch</strong><br />

den Austaus<strong>ch</strong> von Dokumenten. «Diese Lösungen<br />

brau<strong>ch</strong>en keine spezielle Infrastruktur, sind kostengünstig<br />

und au<strong>ch</strong> innerhalb der S<strong>ch</strong>weiz sinnvoll»,<br />

erklärt Peter Masciadri.<br />

Skypen statt reisen: Diese Devise drängt si<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t nur aus Umweltsi<strong>ch</strong>t auf. Die Firma Contec<br />

aus Uetendorf bei Thun (BE) etwa hat erlebt, dass<br />

si<strong>ch</strong> dank neuster Te<strong>ch</strong>nologie und individueller<br />

Beratung mit Swit<strong>ch</strong> jährli<strong>ch</strong> rund 4000 Franken<br />

pro mobilen Mitarbeiter einsparen lassen. Das Unternehmen<br />

stellt Gummiabdi<strong>ch</strong>tungen für Fla<strong>ch</strong>dä<strong>ch</strong>er<br />

und Tei<strong>ch</strong>e her und bes<strong>ch</strong>äftigt rund 50 Angestellte<br />

an vier Standorten in der ganzen S<strong>ch</strong>weiz.<br />

«Unsere Mitarbeiter verbringen unterwegs zu Aus-<br />

Per Velo ins Unispital<br />

Der von Pro Velo S<strong>ch</strong>weiz verliehene Prix Velo<br />

zei<strong>ch</strong>net Betriebe aus, die anderen in Sa<strong>ch</strong>en Fahrradförderung<br />

eine Nasenlänge voraus sind. Er wird<br />

vom BAFU sowie von Biketek, Vélosuisse und Velopa<br />

unterstützt. Das Genfer Universitätsspital gehört<br />

zweifellos zu den Vorbildern. Es bemüht si<strong>ch</strong><br />

na<strong>ch</strong> Kräften, den Verkehr zu verflüssigen, die Umwelt<br />

zu s<strong>ch</strong>onen und die rund 12 000 Mitarbeitenden<br />

zu mehr Bewegung zu ermutigen. «Seit 2008<br />

ist der <strong>Mobilität</strong>splan fest im institutionellen Umweltmanagement<br />

des Spitals verankert», erläutert<br />

die Verantwortli<strong>ch</strong>e Mouna Asal. Drei Kernmassnahmen<br />

sollen die Nutzung des Fahrrads fördern:<br />

Vergünstigungen beim Kauf von Velos, kostenlose<br />

Tests von E-Bikes und zinslose Darlehen. Eine Erhöhung<br />

der Abstellplätze auf 1300, optimierte<br />

Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong> > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />

Skypen statt reisen<br />

Videokonferenzen statt Ges<strong>ch</strong>äftsreisen: Virtuelle Meetings können au<strong>ch</strong><br />

innerhalb der S<strong>ch</strong>weiz erhebli<strong>ch</strong> zur Verkehrsvermeidung beitragen.<br />

senstellen oder Kunden drei volle Monate pro Jahr im Auto», sagt<br />

der Ges<strong>ch</strong>äftsinhaber Erwin Gyger, «etwas Ineffizienteres gibt es<br />

gar ni<strong>ch</strong>t!» Au<strong>ch</strong> Thomas Bu<strong>ch</strong>eli, wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Mitarbeiter<br />

in der Sektion Klimapolitik des BAFU, sieht für Videokonferenzen<br />

ein grosses Potenzial. «Sie können persönli<strong>ch</strong>e Kontakte zwar ni<strong>ch</strong>t<br />

vollständig ersetzen, sind aber im Ges<strong>ch</strong>äftsalltag viel häufiger eine<br />

sinnvolle Alternative, als man denkt.» Drei wi<strong>ch</strong>tige Pluspunkte<br />

sind tiefere Kosten, geringere S<strong>ch</strong>adstoffemissionen und der erhebli<strong>ch</strong>e<br />

Zeitgewinn. Vera Bueller<br />

2011 ist das Genfer Universitätsspital zu Re<strong>ch</strong>t mit dem «Prix Velo<br />

für velofreundli<strong>ch</strong>e Betriebe» ausgezei<strong>ch</strong>net worden.<br />

Parkmögli<strong>ch</strong>keiten und eine neu eröffnete Selbstbedienungs-Reparaturwerkstatt<br />

bieten weitere Anreize. Zudem stehen 368 Fahrräder<br />

bereit, um dur<strong>ch</strong> Unterführungen von einem Gebäude zum<br />

anderen zu gelangen, sowie weitere 32 Räder für Fahrten ausserhalb<br />

des Areals. Versu<strong>ch</strong>sweise besteht au<strong>ch</strong> das Angebot einer<br />

Velothek für die Ausleihe von Klappfahrrädern. «Das Engagement<br />

des Genfer Universitätsspitals zugunsten des Velos ist beispielhaft»,<br />

lobt Harald Jenk von der Sektion Verkehr beim BAFU.<br />

Damit ni<strong>ch</strong>t genug: Das Team von Mouna Asal ermutigt die<br />

Angestellten, si<strong>ch</strong> an der immer beliebteren Aktion «Bike to work»<br />

zu beteiligen. Na<strong>ch</strong> dem Vorbild von «Green Monkeys» ist in Genf<br />

ausserdem eine Mitfahrzentrale entstanden, die si<strong>ch</strong> besonders an<br />

Bes<strong>ch</strong>äftigte mit unregelmässigen Arbeitszeiten ri<strong>ch</strong>tet. Mouna Asal<br />

ist von ihrem Konzept überzeugt: «Der S<strong>ch</strong>lüssel zum Erfolg eines<br />

<strong>Mobilität</strong>splans ist die interne Dynamik.» Das Genfer Universitätsspital<br />

ist der beste Beweis dafür. Cornélia Mühlberger de Preux<br />

23


Orange mobil<br />

Die Firma Orange hat den Neubau ihres Hauptsitzes in Renens<br />

(VD) zum Anlass genommen, um die Arbeitsorganisation und<br />

<strong>Mobilität</strong> an allen Standorten umzugestalten. Insbesondere<br />

das Parkplatzmanagement ist neu konzipiert worden.<br />

Die meisten Angestellten von Orange S<strong>ch</strong>weiz verfügen über<br />

keinen festen Arbeitsplatz mehr. Am Hauptsitz in Renens<br />

lassen si<strong>ch</strong> die Mitarbeitenden mit ihren mobilen Büros –<br />

ein Trolleykoffer oder Rucksack und ein Laptop – an einer<br />

freien Docking-Station in ihrer Abteilung nieder. Au<strong>ch</strong> in<br />

Sa<strong>ch</strong>en <strong>Mobilität</strong> lautet das Motto mittlerweile «Flexibilität»:<br />

Den Arbeitsweg zu den Firmenstandorten Renens, Biel und<br />

Züri<strong>ch</strong> bewältigen die Bes<strong>ch</strong>äftigten mit unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en<br />

Verkehrsmitteln. Die früher kostenlosen Parkplätze sind<br />

neuerdings zahlungspfli<strong>ch</strong>tig. Ursprüngli<strong>ch</strong> wollte Orange<br />

beim neuen Hauptsitz in Renens zahlrei<strong>ch</strong>e Parkmögli<strong>ch</strong>keiten<br />

einri<strong>ch</strong>ten. Anfang 2009 aber ents<strong>ch</strong>loss man si<strong>ch</strong> mit<br />

Unterstützung des Verkehrs-Clubs der S<strong>ch</strong>weiz (VCS) zur Erarbeitung<br />

eines <strong>Mobilität</strong>skonzepts.<br />

Der für alle drei Standorte in der S<strong>ch</strong>weiz verbindli<strong>ch</strong>e<br />

Plan sah als Erstes eine Art Versteigerung der Parkplätze<br />

vor. Damit wollte man die Bes<strong>ch</strong>äftigten dazu bewegen, ihre<br />

<strong>Mobilität</strong> zu überdenken. Dieser Prozess ermögli<strong>ch</strong>te es, die<br />

Plätze einvernehmli<strong>ch</strong> zuzuteilen und die Parkplatzmiete<br />

festzulegen – in Renens sind es derzeit 70 Franken pro<br />

Monat. Die Einnahmen fliessen in einen gemeinsamen Topf<br />

und werden zweimal pro Jahr an das Personal verteilt. Eine<br />

weitere originelle Massnahme ist der «Mobility Jackpot», eine<br />

Art Verlosung, die besonders engagierte Angestellte belohnt.<br />

Darüber hinaus informiert Orange intern aktiv über mobilitätsbezogene<br />

Themen. So werden die Mitarbeitenden beispielsweise<br />

eingeladen, ihr <strong>Mobilität</strong>sverhalten mithilfe von<br />

www.mobilitaetsdur<strong>ch</strong>blick.<strong>ch</strong> zu überprüfen. Weiter können<br />

sie einen Pool von Firmenautos für berufli<strong>ch</strong>e Zwecke<br />

nutzen – und so auf ein eigenes Auto verzi<strong>ch</strong>ten. Zudem<br />

werden Eco-Drive-Kurse angeboten, und die Infrastruktur für<br />

Velofahrende ist optimiert worden. «Orange setzt vielverspre<strong>ch</strong>ende<br />

Anreize, um die Angestellten zu<br />

einer Änderung ihres <strong>Mobilität</strong>sverhaltens<br />

zu ermuntern», meint Iris Oberauner von<br />

der Sektion Ökonomie beim BAFU. «Ob<br />

si<strong>ch</strong> die negativen Auswirkungen<br />

des Strassenverkehrs dadur<strong>ch</strong><br />

reduzieren lassen, hängt aber<br />

davon ab, ob diese Massnahmen<br />

tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> greifen und<br />

genutzt werden. Eine Evaluierung<br />

ihrer Wirkung<br />

wäre daher wüns<strong>ch</strong>enswert.»<br />

Cornélia Mühlberger de Preux<br />

24<br />

8 7 6 5 4 3 2 1<br />

Das Mietauto<br />

im Take-away<br />

Car2go nennt si<strong>ch</strong> eine neue Form<br />

von kurzer Automiete in Grossstädten.<br />

Ihre Stärken sind unkompliziertes<br />

Bu<strong>ch</strong>en und eine hohe Flexibilität.<br />

Au<strong>ch</strong> Automobilgiganten wie der deuts<strong>ch</strong>e<br />

Daimler-Konzern denken über<br />

neue Formen von <strong>Mobilität</strong> na<strong>ch</strong> – und<br />

lancieren sie mit geballter Marktkraft.<br />

2009 startete Daimler das Projekt Car-<br />

2go mit Pilotversu<strong>ch</strong>en in Ulm und<br />

Austin (USA). Drei Jahre später ist es in<br />

elf Städten Nordamerikas und Europas<br />

Realität und soll s<strong>ch</strong>nell weiterwa<strong>ch</strong>sen.<br />

Das Konzept nimmt den Gedanken<br />

des Carsharings auf und will ihn dank<br />

viel Flexibilität weiter popularisieren.<br />

Und das geht so: Die Car2go-Autos<br />

– auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> zweisitzige Smarts –<br />

stehen ni<strong>ch</strong>t an fixen Verleihstationen,<br />

sondern sind frei über die ganze Stadt<br />

verteilt. Eine Flotte umfasst typis<strong>ch</strong>erweise<br />

300 Wagen. Car2go zielt auf die<br />

innerstädtis<strong>ch</strong>e <strong>Mobilität</strong> ab und ri<strong>ch</strong>tet<br />

si<strong>ch</strong> vor allem an Kurzents<strong>ch</strong>lossene.<br />

Sie können das nä<strong>ch</strong>stliegende Fahrzeug<br />

über eine Smartphone-App, eine<br />

Telefon-Hotline oder via Internet lokalisieren,<br />

bu<strong>ch</strong>en und sofort damit losfahren.<br />

Im Gegensatz zum klassis<strong>ch</strong>en Carsharing<br />

– wie bei Mobility – müssen<br />

si<strong>ch</strong> die Nutzer weder auf eine Rückgabezeit<br />

no<strong>ch</strong> auf einen Rückgabeort<br />

festlegen. Na<strong>ch</strong> Gebrau<strong>ch</strong> können sie<br />

das Fahrzeug auf irgendeinem städtis<strong>ch</strong><br />

verwalteten Parkplatz abstellen.<br />

Der Idee der Kürzestmiete entspri<strong>ch</strong>t<br />

au<strong>ch</strong> das Bezahlsystem: Die Abre<strong>ch</strong>nung<br />

erfolgt auf Minutenbasis. Eine<br />

Minute kostet 29 Cents, ein ganzer Tag<br />

39 Euro. Zusätzli<strong>ch</strong> wird für jeden gefahrenen<br />

Kilometer bezahlt. Versi<strong>ch</strong>erung,<br />

Benzin und Parkgebühren sind<br />

inbegriffen.<br />

Do<strong>ch</strong> ist das ohne Zweifel attraktive<br />

Angebot au<strong>ch</strong> umweltfreundli<strong>ch</strong>? «Ents<strong>ch</strong>eidend<br />

ist, wie viele Autofahrende<br />

dank Car2go auf ihr eigenes Auto verzi<strong>ch</strong>ten»,<br />

meint Harald Jenk von der<br />

Sektion Verkehr beim BAFU. Und <strong>Mobilität</strong>sberater<br />

Andreas Blumenstein<br />

vom Büro für <strong>Mobilität</strong> in Bern gibt zu<br />

umwelt 3/<strong>2012</strong> > Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong>


edenken: «Innerhalb von Städten sind<br />

sol<strong>ch</strong>e Modelle nur bedingt sinnvoll.<br />

Angebote wie Car2go könnten si<strong>ch</strong> gar<br />

als Konkurrenz zum öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr<br />

erweisen und Autofahrende vom<br />

Umsteigen abhalten.»<br />

Der Daimler-Konzern hingegen ist<br />

von seinem Konzept überzeugt. Car-<br />

2go expandiert ras<strong>ch</strong> und weltweit. Im<br />

Herbst 2011 ging Car2go zum Beispiel<br />

mit 500 Smarts in Wien an den Start<br />

und eröffnete Ableger in Amsterdam<br />

und San Diego (USA) mit Flotten von je<br />

300 Elektro-Smarts. Das Konzept findet<br />

denn au<strong>ch</strong> bereits Na<strong>ch</strong>ahmer. Anfang<br />

<strong>2012</strong> haben BMW, Mini und Sixt in Düsseldorf<br />

das Konkurrenzangebot Drive-<br />

Now mit 150 Kleinwagen lanciert.<br />

Stefan Hartmann<br />

umwelt 3/<strong>2012</strong><br />

Zweirädrig unter Strom<br />

Elektrovelos und Elektroroller sind im Aufwind.<br />

Sie tragen dazu bei, dass unsere <strong>Mobilität</strong> Lun-<br />

gen und Ohren weniger belastet.<br />

Die E-Bikes erobern unsere Strassen im Sturm. Im<br />

Jahr 2008 ma<strong>ch</strong>ten sie erst 4 Prozent der in der<br />

S<strong>ch</strong>weiz verkauften Fahrräder aus, 2010 waren es<br />

dreimal so viel: 40 000 Stück – Tendenz steigend.<br />

Wie eine Studie in der Stadt Basel ermittelte, steigen<br />

vor allem reifere Semester auf Elektrofahrräder<br />

um. Ihr Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittsalter beträgt 49 Jahre;<br />

die allermeisten von ihnen verfügen über einen<br />

Führerausweis. Ist dies ein Indiz dafür, dass E-<br />

Bikes zumindest für kürzere Strecken das Auto<br />

ersetzen? «Ja», meint Urs S<strong>ch</strong>wegler, «es gilt die<br />

Faustregel, dass ein Drittel der mit E-Bikes gefahrenen<br />

Kilometer sonst auf normalen Fahrrädern<br />

zurückgelegt worden wäre, ein Drittel mit den<br />

öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrsmitteln und ein Drittel mit<br />

dem Auto oder Motorrad.» Urs S<strong>ch</strong>wegler ist Mitglied<br />

der Ges<strong>ch</strong>äftsleitung von NewRide, einer<br />

Organisation, wel<strong>ch</strong>e die Verbreitung von Elektrofahrrädern<br />

und -scootern fördert – und ihre Nutzung<br />

kritis<strong>ch</strong> unter die Lupe nimmt. Sie wird vom<br />

BAFU und vom Bundesamt für Energie (BFE) unterstützt<br />

und hat unter anderem die Basler Studie<br />

zur E-Bike-Kunds<strong>ch</strong>aft in Auftrag gegeben. Diese<br />

bestätigt, dass Elektrofahrräder andere Verkehrsmittel<br />

ersetzen.<br />

Gross im Kommen sind au<strong>ch</strong> Elektroroller.<br />

Sie verbrau<strong>ch</strong>en laut NewRide 8 Kilowattstunden<br />

Strom für 100 Kilometer, was umgere<strong>ch</strong>net 0,8 Litern<br />

Benzin entspri<strong>ch</strong>t. Vor allem auf kurzen Strecken<br />

mit häufigen Stopps sind die elektrifizierten<br />

Flitzer beim Energiesparen kaum zu s<strong>ch</strong>lagen.<br />

Diesen Vorteil hat die Post erkannt: Seit 2008<br />

setzt sie sol<strong>ch</strong>e Roller für die Briefzustellung ein.<br />

Während man ein Motorrad bei jedem Halt abstellen<br />

und neu starten muss, genügt es beim<br />

E-Roller, anzuhalten und wieder Gas zu geben.<br />

Das auffälligste Unters<strong>ch</strong>eidungsmerkmal der<br />

E-Scooter gegenüber herkömmli<strong>ch</strong>en Rollern ist<br />

allerdings ihr nahezu geräus<strong>ch</strong>loser Auftritt. «Bei<br />

der Lärmbelastung ist der Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en<br />

einem elektris<strong>ch</strong>en und einem herkömmli<strong>ch</strong>en<br />

Roller grösser als jener zwis<strong>ch</strong>en einem Elektround<br />

einem Benzinauto», bestätigt Dominique<br />

S<strong>ch</strong>neuwly von der BAFU-Sektion Strassen und<br />

Fahrzeuge. Aus Si<strong>ch</strong>t des Lärms<strong>ch</strong>utzes wäre<br />

es also dringend erwüns<strong>ch</strong>t, dass si<strong>ch</strong> die Elektroroller<br />

im Verkehr dur<strong>ch</strong>setzen – unter der<br />

Bedingung, dass sie dabei konventionelle<br />

Motorräder ersetzen und ni<strong>ch</strong>t etwa Velos.<br />

Lucienne Rey<br />

25


Veloverleih rollt an<br />

In der S<strong>ch</strong>weiz verzei<strong>ch</strong>net der Veloverleih einen regelre<strong>ch</strong>ten Boom: Angebote wie velopass,<br />

PubliBike und nextbike sind in immer mehr Landesteilen verfügbar. Mit velospot hat die Stadt<br />

Biel eine eigene überzeugende Lösung lanciert.<br />

Sie sind s<strong>ch</strong>on von Weitem erkennbar:<br />

die knallroten velospot-Velos mit ihrem<br />

s<strong>ch</strong>warzen Korb am Lenker. Na<strong>ch</strong><br />

einer Testphase und mehreren Optimierungen<br />

zählt die Seelandmetropole<br />

inzwis<strong>ch</strong>en 40 Verleihstationen und<br />

eine Flotte von 250 Rädern. Wer eines<br />

der leu<strong>ch</strong>tend roten Vehikel ausleihen<br />

mö<strong>ch</strong>te, muss si<strong>ch</strong> ledigli<strong>ch</strong> online<br />

unter www.velospot.<strong>ch</strong> registrieren.<br />

Dana<strong>ch</strong> erhält man eine Chipkarte<br />

zuges<strong>ch</strong>ickt, mit der si<strong>ch</strong> das Fahrrads<strong>ch</strong>loss<br />

entriegeln lässt – und s<strong>ch</strong>on<br />

ist man unterwegs. Ein ni<strong>ch</strong>t mehr benötigtes<br />

Fahrrad wird an einer beliebigen<br />

Verleihstation wieder abgegeben.<br />

«Das System ist einfa<strong>ch</strong>, flexibel und<br />

kommt ohne besondere Infrastruktur<br />

aus», erklärt Jonas S<strong>ch</strong>mid, Spre<strong>ch</strong>er<br />

des Projekts velospot.<br />

Damit der Veloverleih im Nahverkehr<br />

aber eine Rolle spielen kann, zur<br />

Verkehrsverlagerung beiträgt und neue<br />

Nutzergruppen mobilisiert, brau<strong>ch</strong>t es<br />

ein di<strong>ch</strong>tes Netz, das die ganze Stadt<br />

abdeckt. velospot wird vom Dienstleistungszentrum<br />

für innovative <strong>Mobilität</strong><br />

des Eidgenössis<strong>ch</strong>en Departements für<br />

Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation<br />

(UVEK) unterstützt. Um<br />

den Unterhalt der Fahrräder kümmert<br />

si<strong>ch</strong> ein Sozialbetrieb. Ein Jahresabonnement<br />

kostet 50 Franken und bere<strong>ch</strong>tigt<br />

zu einer unbegrenzten Anzahl<br />

Fahrten von bis zu 30 Minuten Dauer.<br />

«Für längere Fahrten wird ein bes<strong>ch</strong>eidener<br />

Zus<strong>ch</strong>lag erhoben. Ausserdem<br />

sind au<strong>ch</strong> Tageskarten verfügbar», präzisiert<br />

Jonas S<strong>ch</strong>mid.<br />

Au<strong>ch</strong> in anderen Teilen der S<strong>ch</strong>weiz<br />

gewinnt der te<strong>ch</strong>nologis<strong>ch</strong> aufgerüstete<br />

Zweiradverleih an Terrain: Im<br />

Frühjahr <strong>2012</strong> hat die PostAuto<br />

S<strong>ch</strong>weiz AG mit velopass den bislang<br />

grössten Bikesharing-Anbieter im<br />

Inland übernommen. Das bestehende<br />

Netz zur Selbstausleihe in über<br />

20 Städten der Romandie sowie im Tessin<br />

wird weitergeführt. Zusammen mit<br />

26<br />

der SBB und Rent a Bike hat PostAuto<br />

bereits 2011 ein ähnli<strong>ch</strong>es Angebot<br />

namens PubliBike lanciert, das zahlrei<strong>ch</strong>e<br />

Nahverkehrsnetze in der ganzen<br />

S<strong>ch</strong>weiz abdeckt. Luzern, Brig, Solothurn,<br />

Basel, Frauenfeld, Winterthur<br />

und Kreuzlingen sind s<strong>ch</strong>on mit an<br />

Bord. Im Lauf des Jahres sollen au<strong>ch</strong><br />

Delsberg, Rapperswil und Züri<strong>ch</strong> dazukommen.<br />

Das aus Deuts<strong>ch</strong>land stammende<br />

System nextbike ist vor allem<br />

in der Osts<strong>ch</strong>weiz vertreten.<br />

In Zusammenarbeit mit den städtis<strong>ch</strong>en<br />

Verkehrsbetrieben sollen demnä<strong>ch</strong>st<br />

au<strong>ch</strong> in Genf 150 Selbstbedienungs-Verleihstationen<br />

für Fahrräder<br />

erri<strong>ch</strong>tet werden. Die Grundidee ist,<br />

eine Ergänzung zu den öffentli<strong>ch</strong>en<br />

Verkehrsmitteln und zum Individualverkehr<br />

anzubieten.<br />

Au<strong>ch</strong> das Bundesamt für Strassen<br />

(ASTRA) verfolgt die Entwicklung<br />

mit Interesse: «Wir mö<strong>ch</strong>ten herausfinden,<br />

ob die Benutzerinnen und<br />

Benutzer anderer Verkehrsmittel mit<br />

Bikesharing-Angeboten neu für das<br />

Velofahren gewonnen werden können<br />

und ob si<strong>ch</strong> damit die Zahl der selten<br />

benutzten Velos reduzieren lässt, die<br />

Parkplätze an zentralen Lagen blockieren»,<br />

erklärt Niklaus S<strong>ch</strong>ranz vom<br />

ASTRA.<br />

Cornélia Mühlberger de Preux<br />

umwelt 3/<strong>2012</strong> > Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong>


Blitzs<strong>ch</strong>nell elektris<strong>ch</strong> aufgetankt<br />

Sollen Elektrofahrzeuge die Benzinautos ablösen, brau<strong>ch</strong>t es ein di<strong>ch</strong>tes<br />

Netz an Ladestationen. Do<strong>ch</strong> eine grosse Frage bleibt offen: Wie öko-<br />

logis<strong>ch</strong> wird der Strom für die Hunderttausenden von E-Mobilen erzeugt?<br />

Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong> > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />

Viele Hoffnungen werden in die Elektromobilität<br />

gesetzt: Mit Strom angetriebene<br />

Fahrzeuge sollen den Verkehr umweltfreundli<strong>ch</strong>er<br />

ma<strong>ch</strong>en und insbesondere<br />

die Belastung dur<strong>ch</strong> Lärm, Feinstaub und<br />

CO 2 mindern. Gemäss Bere<strong>ch</strong>nungen des<br />

Energieunternehmens Alpiq könnten bis<br />

zum Jahr 2020 15 Prozent der s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en<br />

Fahrzeugflotte elektris<strong>ch</strong> betrieben<br />

sein und dazu beitragen, einen namhaften<br />

Teil der S<strong>ch</strong>weizer Klimaziele zu errei<strong>ch</strong>en.<br />

Das entsprä<strong>ch</strong>e 720 000 Elektrofahrzeugen.<br />

Etwas konservativer ist die<br />

Prognose des Bundesamtes für Energie<br />

– es re<strong>ch</strong>net mit gegen 300 000 E-Autos.<br />

Damit sol<strong>ch</strong>e Visionen Realität werden,<br />

brau<strong>ch</strong>t es allerdings die entspre<strong>ch</strong>ende<br />

Infrastruktur. Insgesamt 753 000 Ladestationen<br />

in Wohnhäusern, bei Firmen<br />

und im öffentli<strong>ch</strong>en Raum wären nötig,<br />

um den Betrieb der von Alpiq erwarteten<br />

Elektrofahrzeuge si<strong>ch</strong>erzustellen. Zudem<br />

bräu<strong>ch</strong>te es 250 S<strong>ch</strong>nellladestationen an<br />

strategis<strong>ch</strong>en Punkten des Strassennetzes.<br />

Und selbst wenn diese Voraussetzungen<br />

erfüllt sind, ist die Umweltverträgli<strong>ch</strong>keit<br />

keineswegs garantiert. Denn nur<br />

wenn die Autos erneuerbaren Strom tanken,<br />

fällt die Ökobilanz während ihrer<br />

Lebensdauer ähnli<strong>ch</strong> aus wie diejenige<br />

eines modernen Diesel-Kleinwagens.<br />

Der genaue Verglei<strong>ch</strong> der Umweltbelastung<br />

von Benzinfahrzeugen und<br />

Elektroautos ist komplex. Neben der<br />

Stromherkunft spielen zum Beispiel<br />

au<strong>ch</strong> die bei der Herstellung der PW und<br />

der Batterien entstehenden Emissionen<br />

eine wi<strong>ch</strong>tige Rolle. Im mehrjährigen<br />

Projekt THELMA arbeiten die Eidgenössis<strong>ch</strong>e<br />

te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ule (ETH) und<br />

das Paul S<strong>ch</strong>errer Institut deshalb zurzeit<br />

an einer umfassenden Gegenüberstellung<br />

der beiden Antriebsformen – inklusive<br />

ihrer gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Auswirkungen.<br />

Unabhängig davon, wie der Strom für<br />

Elektrofahrzeuge hergestellt wird, haben<br />

ihre Besitzerinnen und Besitzer bislang<br />

mit praktis<strong>ch</strong>en Problemen zu kämpfen:<br />

Eine Batterie ganz aufzuladen dauert bis<br />

zu a<strong>ch</strong>t Stunden. «Es gibt zwar au<strong>ch</strong> Systeme,<br />

mit denen die Batterie innerhalb<br />

von ein bis zwei Stunden auf 80 Prozent<br />

geladen wird», erklärt Felix Reutimann<br />

von der BAFU-Sektion Verkehr. Do<strong>ch</strong> der<br />

s<strong>ch</strong>nelle Ladevorgang senkt die Lebensdauer<br />

der teuren Akkus. Zudem kann es<br />

zu einer Überlastung des lokalen Netzes<br />

kommen, wenn viele Fahrzeuge glei<strong>ch</strong>zeitig<br />

Strom brau<strong>ch</strong>en.<br />

«Mö<strong>ch</strong>te man die Batterien so ras<strong>ch</strong><br />

laden, wie man heute Benzin tankt,<br />

müsste man sie taus<strong>ch</strong>en», sagt Felix<br />

Reutimann. Genau diesen Weg begeht<br />

die kalifornis<strong>ch</strong>e Firma Better Place. Ihr<br />

Ges<strong>ch</strong>äftsprinzip: Die E-Mobil-Besitzer<br />

kaufen nur das Auto, die Batterien mieten<br />

sie. An ultras<strong>ch</strong>nellen Ladestationen<br />

können sie innerhalb von fünf Minuten<br />

eine vollgeladene Batterie eintaus<strong>ch</strong>en –<br />

computergesteuert und vollautomatis<strong>ch</strong>.<br />

Bereits sind Better-Place-Taus<strong>ch</strong>stationen<br />

in Israel und Dänemark in Betrieb.<br />

Lucienne Rey<br />

27


Umweltgere<strong>ch</strong>t bis vor die Haustür<br />

Beim Gütertransport s<strong>ch</strong>einen es umweltgere<strong>ch</strong>te Lösungen s<strong>ch</strong>wer zu haben.<br />

Do<strong>ch</strong> es gibt sie. Zum Beispiel in Burgdorf (BE) oder in den Niederlanden.<br />

Viele historis<strong>ch</strong>e Stadtkerne in<br />

Holland sind eng – zu eng für<br />

Lieferwagen, die si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>male<br />

Gassen zwängen, die Luft belasten und<br />

den Fussgängern das Leben ers<strong>ch</strong>weren.<br />

Vor diesem Hintergrund entstand 2009<br />

in Nijmegen der «Binnenstadservice».<br />

Ziel des neuen Logistikmodells ist eine<br />

na<strong>ch</strong>haltige Warenverteilung in Innenstädten.<br />

Dazu werden die Güter am<br />

Stadtrand in dezentrale Logistikzentren<br />

angeliefert und dann mittels E-Bikes,<br />

Erdgas- oder Elektrofahrzeugen zu den<br />

Kundinnen in der Innenstadt feinverteilt.<br />

Die Versorgung der Läden und<br />

Restaurants erfolgt «just in time» an<br />

sieben Tagen pro Wo<strong>ch</strong>e. Der Start des<br />

innovativen Lieferdienstes erfolgte mithilfe<br />

der öffentli<strong>ch</strong>en Hand. Inzwis<strong>ch</strong>en<br />

ist er kostendeckend – und so erfolgrei<strong>ch</strong>,<br />

dass er na<strong>ch</strong> dem Fran<strong>ch</strong>ising-<br />

System bereits auf zehn weitere Städte<br />

ausgeweitet werden konnte. Laut Fa<strong>ch</strong>leuten<br />

liesse si<strong>ch</strong> das Modell dur<strong>ch</strong>aus<br />

au<strong>ch</strong> in der S<strong>ch</strong>weiz anwenden.<br />

Do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> bei uns gibt es Pioniere<br />

für die umweltgere<strong>ch</strong>te Feinverteilung<br />

von Gütern. Vor 15 Jahren startete in<br />

28<br />

Burgdorf der erste Velohauslieferdienst.<br />

Er spediert den Kunden die im Laden<br />

eingekauften Güter na<strong>ch</strong> Hause. Im Unters<strong>ch</strong>ied<br />

zum Online-Einkauf können<br />

die Konsumentinnen Frü<strong>ch</strong>te, Gemüse<br />

und weitere Produkte zwar im Laden<br />

beguta<strong>ch</strong>ten, müssen si<strong>ch</strong> aber ni<strong>ch</strong>t<br />

ums Heims<strong>ch</strong>leppen kümmern. Mittlerweile<br />

hat das Angebot in 16 Städten<br />

und Gemeinden S<strong>ch</strong>ule gema<strong>ch</strong>t. «Die<br />

Zahl der so vermiedenen Autofahrten<br />

ist beträ<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>», sagt Martin Wälti,<br />

Initiator des Dienstes und Ges<strong>ch</strong>äftsleitungsmitglied<br />

des Büros für <strong>Mobilität</strong>,<br />

einer 2002 gegründeten Firma für<br />

massges<strong>ch</strong>neiderte <strong>Mobilität</strong>slösungen.<br />

In Langnau (BE) zum Beispiel, so Wälti,<br />

habe der Dienst bereits im vierten<br />

Betriebsjahr rund 20 000 Aufträge ausgeführt.<br />

Zum Erfolg tragen au<strong>ch</strong> die<br />

moderaten Kosten von 3Franken pro<br />

Einzellieferung und von 150 Franken<br />

für ein Jahresabo bei.<br />

S<strong>ch</strong>wieriger als im Kleinen<br />

haben es Projekte zur umweltgere<strong>ch</strong>ten<br />

Gütermobilität im Grossen.<br />

Die im Rahmen der Alpen-Initiative<br />

entwickelte Alpentransitbörse etwa<br />

strebt eine bessere Steuerung des alpenquerenden<br />

Güterverkehrs an. Die Idee<br />

basiert auf einer begrenzten Anzahl<br />

von Dur<strong>ch</strong>fahrtsre<strong>ch</strong>ten für Lastwagen<br />

auf den Alpentransitstrecken. Dabei<br />

würden diese Re<strong>ch</strong>te an die Meistbietenden<br />

versteigert. Der Preis hängt von<br />

der Na<strong>ch</strong>frage ab und soll ungefähr<br />

der Differenz der Transportkosten auf<br />

Strasse und S<strong>ch</strong>iene entspre<strong>ch</strong>en. Sobald<br />

der Preis höher steigt, wird es für<br />

Transporteure günstiger, die Bahn zu<br />

benutzen. «Ein länderübergreifendes<br />

Modell wie die Alpentransitbörse würde<br />

die grossen Transitstrecken dur<strong>ch</strong><br />

die Alpen massiv vom Strassengüterverkehr<br />

entlasten», verspri<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> Klaus<br />

Kammer von der Sektion Umweltbeoba<strong>ch</strong>tung<br />

im BAFU. Allerdings brau<strong>ch</strong>t<br />

es dazu eine breite Akzeptanz in allen<br />

Alpenländern – und entspre<strong>ch</strong>end viel<br />

Überzeugungsarbeit.<br />

Stefan Hartmann<br />

umwelt 3/<strong>2012</strong> > Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong>


Pioniertat Umweltabo Umsteigen bei Monds<strong>ch</strong>ein<br />

Günstige und benutzerfreundli<strong>ch</strong>e Abonnements<br />

haben viele Pendler zum Umsteigen auf den<br />

öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr bewogen. Do<strong>ch</strong> dieser Erfolg<br />

hat seinen Preis.<br />

«Passepartout», «Libero» oder «Ostwind»: Die<br />

Namen verheissen Freiheit und Bewegli<strong>ch</strong>keit. Sie<br />

stehen für vers<strong>ch</strong>iedene regionale Tarifverbünde<br />

in der S<strong>ch</strong>weiz. Pionier unter ihnen war 1984<br />

der Tarifverbund Nordwests<strong>ch</strong>weiz (TNW). Sein<br />

«Umweltabo» – europaweit die erste Monatskarte<br />

zur Nutzung aller öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrsmittel<br />

einer Region – ist ein dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>lagender Erfolg.<br />

Die Verkaufszahlen haben kontinuierli<strong>ch</strong> auf heute<br />

über 2Millionen Abos zugenommen. Drei von<br />

vier Fahrgästen besitzen ein U-Abo, das dem TNW<br />

mehr als zwei Drittel seiner jährli<strong>ch</strong>en Einnahmen<br />

von über 200 Millionen Franken einbringt.<br />

Tarifverbünde haben erwiesenermassen viele<br />

Berufspendlerinnen und -pendler dazu bewogen,<br />

vom Auto auf den öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr umzusteigen.<br />

Allerdings trägt die au<strong>ch</strong> in der Freizeit rege<br />

Nutzung der praktis<strong>ch</strong>en Abos zu einer problematis<strong>ch</strong>en<br />

Erhöhung des Verkehrsaufkommens bei.<br />

Do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> auf dem Sonntagsausflug sind öffentli<strong>ch</strong>e<br />

Transportmittel aus Umweltsi<strong>ch</strong>t sinnvoll:<br />

«In den meisten Fällen s<strong>ch</strong>neiden Fahrten mit dem<br />

ÖV in der Ökobilanz besser ab als der motorisierte<br />

Individualverkehr», bestätigt Doris O<strong>ch</strong>sner von<br />

der BAFU-Sektion Verkehr.<br />

Die Förderung einer umweltfreundli<strong>ch</strong>eren<br />

<strong>Mobilität</strong> hat allerdings ihren Preis: Der öffentli<strong>ch</strong>e<br />

Regionalverkehr deckt seine Kosten nirgends<br />

in der S<strong>ch</strong>weiz, er brau<strong>ch</strong>t überall Finanzspritzen.<br />

In Zeiten leerer Kassen gerät dieses Modell in Bedrängnis.<br />

Sogar beim revolutionären Basler U-Abo<br />

wird erwogen, diverse Zonen mit unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en<br />

Tarifen einzuführen. Wer weiter fährt,<br />

würde damit au<strong>ch</strong> stärker zur Kasse gebeten – ein<br />

S<strong>ch</strong>ritt in Ri<strong>ch</strong>tung Verursa<strong>ch</strong>erprinzip also, der<br />

au<strong>ch</strong> aus ökologis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t sinnvoll ers<strong>ch</strong>eint.<br />

«Allerdings sollten die Preise in tragbaren S<strong>ch</strong>ritten<br />

erhöht werden, um mögli<strong>ch</strong>st wenig ÖV-Passagiere<br />

ans Privatauto zu verlieren», sagt Iris Oberauner<br />

von der BAFU-Sektion Ökonomie. «Mehr Kostenwahrheit<br />

würde aber au<strong>ch</strong> höhere Preise im<br />

Strassenverkehr zur Deckung der Umweltkosten<br />

erfordern.»<br />

Praktis<strong>ch</strong>e und kostengünstige Abos, um die<br />

ÖV-Kunds<strong>ch</strong>aft bei der Stange zu halten? Oder teurere<br />

Ticketpreise, wel<strong>ch</strong>e die effektiven Kosten unserer<br />

<strong>Mobilität</strong> widerspiegeln? Beide Strategien bergen<br />

Gefahren. Wel<strong>ch</strong>er von ihnen man den Vorzug<br />

gibt, ist letztli<strong>ch</strong> eine politis<strong>ch</strong>e Frage. Lucienne Rey<br />

Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong> > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />

ÖV-Angebote für Na<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>wärmer haben in der ganzen<br />

S<strong>ch</strong>weiz Erfolg. Au<strong>ch</strong> das Tessin verspri<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> einen deut-<br />

li<strong>ch</strong>en Umsteigeeffekt vom Auto auf den «Night Express».<br />

Na<strong>ch</strong>tbusse sorgen für umweltverträgli<strong>ch</strong>e <strong>Mobilität</strong>. «Vor allem<br />

in grösseren Städten mit zahlrei<strong>ch</strong>en Linien, die ni<strong>ch</strong>t nur das<br />

Stadtgebiet, sondern praktis<strong>ch</strong> die gesamte Agglomeration abdecken,<br />

hat dieses Angebot wesentli<strong>ch</strong> zur Verkehrs- und Lärmentlastung<br />

in den frühen Morgenstunden beigetragen», sagt<br />

Peter S<strong>ch</strong>ild, Sa<strong>ch</strong>bearbeiter Verkehrspolitik beim Bundesamt<br />

für Raumentwicklung (ARE). Das lässt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> im Tessin feststellen.<br />

Obwohl es hier besonders s<strong>ch</strong>wierig ist, die vorwiegend<br />

jugendli<strong>ch</strong>en Na<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>wärmer zum Umsteigen auf den öffentli<strong>ch</strong>en<br />

Verkehr zu bewegen: Getunte Scooter gelten als cool, uralte<br />

Vespas aus Italien als totaler Kult. Zudem sind die Tessiner<br />

Dörfer und Täler dur<strong>ch</strong> den öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr nur s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t<br />

ers<strong>ch</strong>lossen – vor allem abends und na<strong>ch</strong>ts fahren kaum mehr<br />

Busse.<br />

2003 allerdings führte die PostAuto S<strong>ch</strong>weiz AG im Raum<br />

Lugano den «Capriasca Night Express» ein, der si<strong>ch</strong> bei Jugendli<strong>ch</strong>en<br />

als grosser Erfolg erwies: Die Na<strong>ch</strong>frage stieg innert kurzer<br />

Zeit derart an, dass man das Angebot 2005 auf das Gebiet<br />

Collina d’Oro bei Lugano ausgebaut hat. «Wir haben bisher nur<br />

positive Erfahrungen gema<strong>ch</strong>t», bestätigt Paolo Solari, Leiter der<br />

PostAuto-Region Tessin. Wie gross der Umsteigeeffekt vom Auto<br />

zur Nutzung des ÖV sei, lässt si<strong>ch</strong> allerdings no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t sagen,<br />

da der Na<strong>ch</strong>tbus vor allem von Jugendli<strong>ch</strong>en genutzt wird, die<br />

no<strong>ch</strong> gar kein Auto besitzen. Dank dem Na<strong>ch</strong>tbusangebot sind<br />

immerhin einige Eltern weniger als Chauffeure unterwegs. Ausserdem<br />

ist Paolo Solari überzeugt: «Die Na<strong>ch</strong>tbusse haben den<br />

Effekt, dass Jugendli<strong>ch</strong>e positiv an das ÖV-Angebot herangeführt<br />

werden – vorausgesetzt, die Verbindungen sind gut und bequem.»<br />

Zudem komme der Na<strong>ch</strong>wu<strong>ch</strong>s im Bus si<strong>ch</strong>er na<strong>ch</strong> Hause.<br />

«Das gibt den Eltern ein beruhigendes Gefühl.» Vera Bueller<br />

Weiterführende Links unter<br />

www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/magazin<strong>2012</strong>-3-05<br />

KONTAKT<br />

Harald Jenk, siehe Seite 35<br />

Doris O<strong>ch</strong>sner, siehe Seite 15<br />

29


Die Ansi<strong>ch</strong>ten der renommierten<br />

Soziologin Saskia<br />

Sassen sind von ganz<br />

unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Seiten<br />

gefragt: Sie tritt sowohl am<br />

Parteitag der deuts<strong>ch</strong>en<br />

Grünen auf wie an Kongressen<br />

der Autoindustrie.<br />

MOBILITäTSFORSCHUNG<br />

«Den urbanen Raum betra<strong>ch</strong>ten,<br />

als ob wir selbst Städte wären»<br />

Die Soziologin und Ökonomin Saskia Sassen ist eine der s<strong>ch</strong>arfsinnigsten und bekanntesten Sozialfors<strong>ch</strong>erinnen<br />

unserer Zeit. Im Interview mit umwelt spri<strong>ch</strong>t sie über die Grenzen der <strong>Mobilität</strong>, die Urbanisierung des Autos und<br />

über das S<strong>ch</strong>reiben in Zug und Flugzeug.<br />

30<br />

umwelt: Frau Sassen, ist das Bedürfnis na<strong>ch</strong> <strong>Mobilität</strong><br />

eine Konstante in der mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Entwicklung?<br />

Saskia Sassen: Ja, das s<strong>ch</strong>eint so. Aber es gibt ein<br />

äusserst unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>es Verständnis von <strong>Mobilität</strong>.<br />

Es liesse si<strong>ch</strong> sagen, dass unser Begriff<br />

von <strong>Mobilität</strong> mit der digitalen Te<strong>ch</strong>nologie<br />

no<strong>ch</strong> einmal eine andere Phase konzeptioneller<br />

Neuerfindung erfahren hat. Weltweites, simultanes<br />

Kommunizieren, während der eigene Körper<br />

an Ort bleibt, ist au<strong>ch</strong> eine Art von <strong>Mobilität</strong>.<br />

Bild: Dukas Presseagentur<br />

Wenn si<strong>ch</strong> unsere Stimme, unsere Rede bewegt,<br />

tut es ni<strong>ch</strong>ts zur Sa<strong>ch</strong>e, dass der Körper stationär<br />

bleibt.<br />

Bis in die 1960er-Jahre besassen nur vermögende<br />

Leute Autos und reisten ins Ausland. Ist die individuelle<br />

<strong>Mobilität</strong> eine Errungens<strong>ch</strong>aft der demokratis<strong>ch</strong>en<br />

Gesells<strong>ch</strong>aft?<br />

Ja und nein. Ein grosser Teil der <strong>Mobilität</strong> in der<br />

industrialisierten Phase der Entwicklung wird<br />

umwelt 3/<strong>2012</strong> > Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong>


dur<strong>ch</strong> ökonomis<strong>ch</strong>e Bedürfnisse angetrieben.<br />

Die Systeme des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs dienen<br />

im Grunde den Arbeitgebern, sind aber dur<strong>ch</strong><br />

Steuergelder finanziert.<br />

Ist das ni<strong>ch</strong>t etwas gar vereinfa<strong>ch</strong>t?<br />

Natürli<strong>ch</strong> ist der öffentli<strong>ch</strong>e Verkehr viel mehr<br />

als das, aber trotzdem erweist si<strong>ch</strong> der Arbeitsmarkt<br />

in vielen Ländern als ein S<strong>ch</strong>lüsselelement<br />

für seinen Ausbau. Was wir als individuelle<br />

<strong>Mobilität</strong> empfinden, ist in Tat und Wahrheit<br />

ein strukturell getriebenes Bedürfnis.<br />

Ist die <strong>Mobilität</strong> eine Art von Grundre<strong>ch</strong>t?<br />

In man<strong>ch</strong>er Hinsi<strong>ch</strong>t ja, aber wie gesagt, das<br />

Re<strong>ch</strong>t auf <strong>Mobilität</strong> ist mit einer Eins<strong>ch</strong>ränkung<br />

verbunden: Sie besteht dort, wo die Jobs sind.<br />

Was ist mit den Mens<strong>ch</strong>en im Süden, die bei der<br />

<strong>Mobilität</strong> aufholen wollen? Hat jeder Mens<strong>ch</strong> auf<br />

diesem Planeten das Re<strong>ch</strong>t auf ein eigenes Auto?<br />

I<strong>ch</strong> würde eher von einem Re<strong>ch</strong>t auf <strong>Mobilität</strong><br />

spre<strong>ch</strong>en.<br />

Ein eigenes Auto s<strong>ch</strong>eint überall auf der Welt ein<br />

Symbol für persönli<strong>ch</strong>e Freiheit zu sein. Könnte si<strong>ch</strong><br />

das mögli<strong>ch</strong>erweise ändern? In den S<strong>ch</strong>weizer Städten<br />

besitzen heute weniger Mens<strong>ch</strong>en ein Auto als no<strong>ch</strong><br />

vor ein paar Jahren.<br />

Das ist gut für die S<strong>ch</strong>weizer. Mein Mann und<br />

i<strong>ch</strong> leben in zwei Städten – New York und London.<br />

Wir haben kein Auto, und das funktioniert<br />

prima. Wir nehmen Taxis, benutzen den öffentli<strong>ch</strong>en<br />

Verkehr, und i<strong>ch</strong> gehe viel zu Fuss. Leute,<br />

die mit dem Auto in der Stadt unterwegs sind,<br />

sagen mir oft: Das ist do<strong>ch</strong> viel zu weit, sol<strong>ch</strong>e<br />

Distanzen kann man unmögli<strong>ch</strong> zu Fuss gehen!<br />

Und dann entgegne i<strong>ch</strong>: Klar geht das – a<strong>ch</strong> dieser<br />

bourgeoise Heroismus.<br />

Autos stehen ni<strong>ch</strong>t nur für persönli<strong>ch</strong>e Freiheit,<br />

sondern au<strong>ch</strong> für den sozialen Status. Wie konnte das<br />

Auto in dieser Hinsi<strong>ch</strong>t eine derart universelle Rolle<br />

einnehmen?<br />

Ja, das ist erstaunli<strong>ch</strong>. Do<strong>ch</strong> Autos sind hö<strong>ch</strong>st<br />

si<strong>ch</strong>tbare Objekte – und sie werden mit sehr<br />

effizienten Marketingstrategien beworben. Zudem<br />

kann ein Auto au<strong>ch</strong> ein sehr s<strong>ch</strong>önes Objekt<br />

sein, das man gerne ans<strong>ch</strong>aut, berührt und<br />

natürli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> fährt. Es steckt viel Genuss in<br />

einem s<strong>ch</strong>önen Objekt, und obendrein kann ein<br />

Auto sehr nützli<strong>ch</strong> sein.<br />

Was halten Sie von der Forderung, wir sollten unser<br />

Leben ents<strong>ch</strong>leunigen – von der Slow-Food-Bewegung<br />

zum Beispiel?<br />

Dies ist von grosser Bedeutung. I<strong>ch</strong> entwickle<br />

ein verglei<strong>ch</strong>bares Projekt, das si<strong>ch</strong> so ums<strong>ch</strong>rei-<br />

Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong> > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />

ben liesse: Was würde es brau<strong>ch</strong>en, um einen<br />

mögli<strong>ch</strong>st grossen Teil unserer Wirts<strong>ch</strong>aft wieder<br />

zurückzubringen – in eine Region, in eine<br />

Stadt –, statt weiter Outsourcing zu betreiben<br />

und Waren von weit entfernten Orten zu bes<strong>ch</strong>affen.<br />

Wann wird die <strong>Mobilität</strong> vom Bedürfnis zur Last?<br />

In dieser Hinsi<strong>ch</strong>t verhält es si<strong>ch</strong> bei der <strong>Mobilität</strong><br />

glei<strong>ch</strong> wie mit vielen anderen Dingen. Bis zu<br />

einem gewissen Grad ist alles gut und wüns<strong>ch</strong>bar,<br />

und dann wird es problematis<strong>ch</strong>. Die grosse<br />

«Warum bauen wir ni<strong>ch</strong>t verdi<strong>ch</strong>tete Vorstädte,<br />

in denen die Leute mehr zu Fuss unterwegs<br />

sein können!»<br />

Ausdehnung der Vorstädte in den USA halte i<strong>ch</strong><br />

für einen problematis<strong>ch</strong>en Teil der <strong>Mobilität</strong>skurve.<br />

Warum bauen wir ni<strong>ch</strong>t verdi<strong>ch</strong>tete Vorstädte,<br />

in denen die Leute mehr zu Fuss unterwegs<br />

sein können!<br />

Sie sind berufli<strong>ch</strong> ständig rund um den Globus<br />

unterwegs. Empfinden Sie diese extreme <strong>Mobilität</strong><br />

als persönli<strong>ch</strong>e Freiheit oder als Last?<br />

Lästig sind die kurzen Flugreisen – reine Transaktionskosten.<br />

I<strong>ch</strong> mag lange Reisen im Zug<br />

oder im Flugzeug, aber sie müssen sehr komfortabel<br />

sein. Dann erlebe i<strong>ch</strong> das Reisen als<br />

Freiheitsraum, weil i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> dabei in einfa<strong>ch</strong>en<br />

Räumen aufhalte. Hier kann i<strong>ch</strong> so vieles ni<strong>ch</strong>t<br />

tun, das getan werden müsste, wenn i<strong>ch</strong> im<br />

Büro oder zuhause in meinem Arbeitszimmer<br />

wäre. Das Resultat dieser fundamentalen Qualität?<br />

I<strong>ch</strong> kann s<strong>ch</strong>reiben, Stunde um Stunde. Das<br />

fühlt si<strong>ch</strong> an wie Zeit stehlen.<br />

Die individuelle <strong>Mobilität</strong> bringt Kosten für die Gesells<strong>ch</strong>aft<br />

mit si<strong>ch</strong>: von Umwelts<strong>ch</strong>äden über Unfallopfer<br />

bis zu der in Staus vergeudeten Zeit. Lassen si<strong>ch</strong> diese<br />

Probleme mit te<strong>ch</strong>nologis<strong>ch</strong>em Forts<strong>ch</strong>ritt lösen, oder<br />

brau<strong>ch</strong>t es dazu gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Veränderungen?<br />

Diese Probleme lassen si<strong>ch</strong> lösen, und sie müssen<br />

gelöst werden. Mein Projekt, so viel wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e<br />

Aktivität wie mögli<strong>ch</strong> zurückzubringen,<br />

geht in diese Ri<strong>ch</strong>tung. Warum sollen<br />

wir die Herstellung von Tis<strong>ch</strong>en oder Puppen in<br />

weit entfernte Länder auslagern und dann damit<br />

um die halbe Welt reisen, wenn viele Mens<strong>ch</strong>en<br />

bei uns diese Arbeiten verri<strong>ch</strong>ten könnten? Als<br />

Volkswirts<strong>ch</strong>aft sparen wir dur<strong>ch</strong> das Auslagern<br />

kein Geld ein, denn die externen Kosten<br />

dur<strong>ch</strong> Umwelts<strong>ch</strong>äden wie die Vers<strong>ch</strong>mutzung<br />

von Luft und Ozeanen oder den Ressourcenver-<br />

31


au<strong>ch</strong> als Folge der Transporte trägt die Allgemeinheit.<br />

Zudem müssen au<strong>ch</strong> all die Arbeitslosen<br />

in den Industrieländern von der Gesells<strong>ch</strong>aft<br />

unterstützt werden – es sind ni<strong>ch</strong>t die Firmen,<br />

wel<strong>ch</strong>e dafür aufkommen. Wir müssen diese<br />

Art von ökonomis<strong>ch</strong>en Bere<strong>ch</strong>nungen ernst nehmen,<br />

sie bilden nämli<strong>ch</strong> die Grundlage einer<br />

ökologis<strong>ch</strong>en Wirts<strong>ch</strong>aft.<br />

«Es kann ni<strong>ch</strong>t sein, dass die<br />

Armen nur mit dem öffentli<strong>ch</strong>en<br />

Verkehr unterwegs sein dürfen,<br />

während die Mitglieder rei<strong>ch</strong>er<br />

Familien alle ihr eigenes Auto<br />

fahren.»<br />

Haben Regierungen das Re<strong>ch</strong>t, die individuelle <strong>Mobilität</strong><br />

zu bes<strong>ch</strong>ränken, um Umweltprobleme zu lösen –<br />

dur<strong>ch</strong> Quoten zum Beispiel?<br />

Ja, aber es muss so ges<strong>ch</strong>ehen, dass Leute mit<br />

Ma<strong>ch</strong>t und Geld ni<strong>ch</strong>t privilegiert werden. Es<br />

kann ni<strong>ch</strong>t sein, dass die Armen nur mit dem<br />

öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr unterwegs sein dürfen,<br />

während die Mitglieder rei<strong>ch</strong>er Familien alle ihr<br />

eigenes Auto fahren.<br />

Ihre Ansi<strong>ch</strong>ten sind von ganz unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Seiten<br />

gefragt: Sie treten sowohl am Parteitag der deuts<strong>ch</strong>en<br />

Grünen auf wie an Kongressen der Autoindustrie.<br />

Werden die ideologis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>euklappen in der <strong>Mobilität</strong>sdiskussion<br />

abgelegt?<br />

Da bin i<strong>ch</strong> mir ni<strong>ch</strong>t so si<strong>ch</strong>er. Es könnte eher<br />

ein Zei<strong>ch</strong>en dafür sein, dass i<strong>ch</strong> Dinge auf ungewohnte<br />

Weise zusammenbringe.<br />

In einem Ihrer Essays spre<strong>ch</strong>en Sie von der «Urbanisierung<br />

des Autos». Was meinen Sie damit?<br />

I<strong>ch</strong> fors<strong>ch</strong>e mit einem Stipendium von Audi. Die<br />

Firma betreibt eine Denkfabrik für Fragen zur<br />

Stadtentwicklung. Hier arbeiten Fa<strong>ch</strong>leute mit<br />

interessanten Ansi<strong>ch</strong>ten über neue Autokonzepte<br />

zusammen. Dabei geht es au<strong>ch</strong> um das Auto<br />

und die Stadt. Mein Ausgangspunkt ist, dass<br />

Städte auf die Te<strong>ch</strong>nologie zurückwirken. Ein<br />

Beispiel dieser Urbanisierung sind die neuen für<br />

Stadtzentren bestimmten, sehr kleinen Autos.<br />

Spannend finde i<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong>, dass die eigentli<strong>ch</strong><br />

für hohe Ges<strong>ch</strong>windigkeiten und lange Strecken<br />

konzipierten Fahrzeuge im di<strong>ch</strong>ten Stadtzentrum<br />

aufs Krie<strong>ch</strong>en reduziert werden. Die Stadt<br />

ist eine Art Lupe, mit deren Hilfe si<strong>ch</strong> erfolgrei<strong>ch</strong>e<br />

te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e Innovationen für urbane Syste-<br />

32<br />

me besser erkennen lassen. No<strong>ch</strong> gibt es bei der<br />

Urbanisierung des Autos mehr Fragen als Antworten.<br />

Eine Ri<strong>ch</strong>tung ist, neue forts<strong>ch</strong>rittli<strong>ch</strong>e<br />

<strong>Mobilität</strong>sräume zu s<strong>ch</strong>affen.<br />

Was müssen wir uns darunter vorstellen?<br />

Es geht um die Idee, dass <strong>Mobilität</strong>sangebote<br />

eher in Räumen eingebettet sein werden als in<br />

si<strong>ch</strong> bewegenden Fahrzeugen. Es existiert bereits<br />

eine ganze Palette von neuen Te<strong>ch</strong>nologien, wel<strong>ch</strong>e<br />

die Entwicklung von sol<strong>ch</strong>en Räumen fördern<br />

und die Rolle des Autos verändern könnten.<br />

Um zum Kern dieser Frage vorzustossen,<br />

müssen wir den urbanen Raum so betra<strong>ch</strong>ten,<br />

als ob wir selbst Städte wären. Es gilt, mit den<br />

vers<strong>ch</strong>iedenen Elementen zu jonglieren, die den<br />

urbanen Raum ausma<strong>ch</strong>en, und ihn aus mehreren<br />

Perspektiven zu betra<strong>ch</strong>ten. Diese Art von<br />

Analyse bewahrt uns davor, nur den te<strong>ch</strong>nologis<strong>ch</strong>en<br />

Ansatz im Auge zu behalten.<br />

Interview und Übersetzung: Kaspar Meuli<br />

Weiterführende Links unter<br />

www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/magazin<strong>2012</strong>-3-06<br />

Saskia Sassen. Die 1949 in Den Haag (NL) geborene<br />

Saskia Sassen studierte Politikwissens<strong>ch</strong>aften,<br />

Soziologie und Ökonomie. Sie ist Professorin an der<br />

Columbia University in New York und unterri<strong>ch</strong>tet<br />

au<strong>ch</strong> ander London S<strong>ch</strong>ool of Economics. Als Fors<strong>ch</strong>erin<br />

befasst sie si<strong>ch</strong> unter anderem mit Fragen<br />

der Globalisierung und deren Auswirkungen auf die<br />

Entwicklung von Städten. Saskia Sassen ist Mitglied<br />

des Club of Rome. Sie ist mit dem bekannten Soziologen<br />

Ri<strong>ch</strong>ard Sennet verheiratet. Ausgewählte<br />

Publikationen: Das Paradox des Nationalen. Territorium,<br />

Autorität und Re<strong>ch</strong>te im globalen Zeitalter (Suhrkamp,<br />

2008), Metropolen des Weltmarkts (Campus,<br />

2006), The Global City (Princeton University Press,<br />

1991) > www.saskiasassen.com<br />

umwelt 3/<strong>2012</strong> > Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong>


GÜTERTRANSPORT<br />

Zwei Paletten<br />

auf S<strong>ch</strong>weizer Reise<br />

Der Gütertransport gilt als Sorgenkind der umweltverträgli<strong>ch</strong>en <strong>Mobilität</strong>. Aber immer mehr<br />

Unternehmen verfolgen bei der Logistik au<strong>ch</strong> Klimaziele. Der Handlungsspielraum ist allerdings<br />

bes<strong>ch</strong>ränkt, wie die Reise von zwei Transportpaletten aus der Ost- in die Wests<strong>ch</strong>weiz zeigt.<br />

Rasend s<strong>ch</strong>nell sausen die bunt bedruckten Kartons<br />

dur<strong>ch</strong> die Falzmas<strong>ch</strong>ine. Wo Verpackungen<br />

für Medikamente gefaltet und geklebt werden,<br />

kommt das Auge ni<strong>ch</strong>t mehr mit. Dabei ist<br />

hö<strong>ch</strong>ste Präzision gefragt: «Man stelle si<strong>ch</strong> eine<br />

Verwe<strong>ch</strong>slung der Angaben für die Dosierungen<br />

vor», gibt Urs Metzler, stellvertretender Direktor<br />

der Druckerei K+D in St. Gallen, zu bedenken.<br />

«Das darf niemals passieren!» Die Kunden von<br />

K+D – zu 80 Prozent Pharmafirmen – verlangen<br />

ni<strong>ch</strong>t nur Zuverlässigkeit, au<strong>ch</strong> ihre logistis<strong>ch</strong>en<br />

Ansprü<strong>ch</strong>e sind ho<strong>ch</strong>: Die Ware muss «just in time»<br />

verfügbar sein. Die Kunds<strong>ch</strong>aft will ihre Verpackungen<br />

genau dann vor Ort, wenn sie gebrau<strong>ch</strong>t<br />

werden. Entspre<strong>ch</strong>end kurzfristig treffen die Bestellungen<br />

ein. Speditionsleiter Maher Ben Hedi<br />

weiss oft erst um die Mittagszeit, wel<strong>ch</strong>e Mengen<br />

an Kartons es no<strong>ch</strong> am selben Tag zu transportieren<br />

gibt. Umgehend liefert er die Aufträge deshalb<br />

an den Transporteur der Druckerei weiter.<br />

Die Erben von Cargo Domizil. Das Familienunternehmen<br />

Camion Transport aus S<strong>ch</strong>warzenba<strong>ch</strong> (SG)<br />

zählt mit seinen 500 Lastwagen und einem Jahresumsatz<br />

von knapp 200 Millionen Franken zu den<br />

ganz Grossen der Transportbran<strong>ch</strong>e. Hauptges<strong>ch</strong>äft<br />

ist die Spedition von Stückgut. So heissen Sendun-<br />

Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong> > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />

gen, die keinen ganzen Lastwagen füllen, sondern<br />

im Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nitt nur eine halbe Tonne wiegen –<br />

im S<strong>ch</strong>weizer Güterverkehr die mit Abstand wi<strong>ch</strong>tigste<br />

Kategorie. Die Camion Transport verfolgt<br />

ehrgeizige Ziele, ni<strong>ch</strong>t zuletzt im Umweltberei<strong>ch</strong>.<br />

Im Jahr 2010 hat sie si<strong>ch</strong> vorgenommen, S<strong>ch</strong>weizer<br />

Marktführer in der Transportökologie zu werden.<br />

Bis 2015 will sie ihren CO 2-Ausstoss um 5Prozent<br />

senken. Das klingt na<strong>ch</strong> wenig, do<strong>ch</strong> Vizedirektor<br />

Franz Meienhofer relativiert. «Wir starten von<br />

einem sehr hohen Niveau aus. Unsere Emissionen<br />

liegen s<strong>ch</strong>on heute um rund ein Viertel tiefer als<br />

bei den meisten Konkurrenten.»<br />

Franz Meienhofers Ökorezept ist das «duale System».<br />

Einst war es unter dem Namen Cargo Domizil<br />

Herzstück des Stückguttransports bei der SBB. Do<strong>ch</strong><br />

na<strong>ch</strong>dem Cargo Domizil jahrelang zweistellige<br />

Millionenverluste s<strong>ch</strong>rieb, wurde dieser Ges<strong>ch</strong>äftsberei<strong>ch</strong><br />

1996 an die drei Speditionsunternehmen<br />

Camion Transport, Galliker und Planzer verkauft.<br />

Diese haben daraus eine Perle moderner Logistik<br />

geformt. Im 2003 eröffneten Logistikzentrum der<br />

Camion Transport in S<strong>ch</strong>warzenba<strong>ch</strong> werden heute<br />

tägli<strong>ch</strong> bis zu 30 Bahnwaggons beladen, zusammen<br />

verladen die drei Unternehmen 250 Waggons pro<br />

Tag – 80 mehr als zu den besten Zeiten von Cargo<br />

Domizil.<br />

Von der Druckerei<br />

zum Bahnverlad …<br />

Bilder: Stefan Bohrer<br />

33


Umweltgere<strong>ch</strong>t mobil<br />

34<br />

Die Grossverteiler als Vorreiter. Der Gütertransport<br />

mit der Bahn spielt unter anderem bei Coop<br />

und Migros eine wi<strong>ch</strong>tige Rolle. Drei Viertel der<br />

Migros-Transporte von den nationalen in die regionalen<br />

Verteilzentren erfolgen auf der S<strong>ch</strong>iene,<br />

bei Coop sind es zwei Drittel. Mehr Bahn, da sind<br />

si<strong>ch</strong> Logistiker einig, ist kaum mögli<strong>ch</strong>, denn die<br />

Belieferung der Verkaufsstellen erfolgt notgedrungen<br />

praktis<strong>ch</strong> auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> per Lastwagen. Beide<br />

Grossverteiler haben in den vergangenen Jahren<br />

bei der umweltgere<strong>ch</strong>ten Logistik einiges errei<strong>ch</strong>t.<br />

Nun, so sagen sie, seien grosse Sprünge ni<strong>ch</strong>t mehr<br />

mögli<strong>ch</strong>, nur no<strong>ch</strong> Optimierungen. Au<strong>ch</strong> der Leistungsausweis<br />

der Post kann si<strong>ch</strong> sehen lassen: Pakete<br />

und Briefe werden zwis<strong>ch</strong>en den Logistikzentren<br />

auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> per Bahn transportiert. Die Briefzustellung<br />

erfolgt in der S<strong>ch</strong>weiz dank dem Kauf von<br />

Emissionszertifikaten CO 2-neutral, und bis 2016<br />

sollen im Zustelldienst nur no<strong>ch</strong> Elektromopeds<br />

unterwegs sein. Laut Post<strong>ch</strong>ef Jürg Bu<strong>ch</strong>er re<strong>ch</strong>nen<br />

si<strong>ch</strong> diese Massnahmen au<strong>ch</strong> ökonomis<strong>ch</strong>.<br />

Wer als Firma oder als Privatperson die Na<strong>ch</strong>haltigkeit der eigenen <strong>Mobilität</strong><br />

unter die Lupe nehmen will, findet im Internet diverse Hilfsmittel:<br />

www.mobitool.<strong>ch</strong>: Das mit Unterstützung des BFE entwickelte Arbeitsinstrument<br />

für Unternehmen bietet vom ras<strong>ch</strong>en Überblick bis zur vertieften<br />

Analyse dur<strong>ch</strong> Fa<strong>ch</strong>leute alles für den <strong>Mobilität</strong>s<strong>ch</strong>eck.<br />

www.ecotransit.org: Das von vers<strong>ch</strong>iedenen europäis<strong>ch</strong>en Bahnen entwickelte<br />

umfassende Tool ermögli<strong>ch</strong>t Disponenten einen detaillierten Verglei<strong>ch</strong><br />

der Umweltbelastungen vers<strong>ch</strong>iedener Verkehrsmittel auf einer bestimmten<br />

Transportroute.<br />

www.ecopassenger.org: Dieses ausgezei<strong>ch</strong>nete Hilfsmittel für Private kombiniert<br />

Fahrplan, Reisezeit und CO 2­Belastung für jede beliebige Route. Dabei<br />

ist die eine oder andere Überras<strong>ch</strong>ung mögli<strong>ch</strong>: Auf langen Strecken<br />

gewinnt ni<strong>ch</strong>t immer der Zug – vollbesetzte Ökoautos halten bei der Umweltbilanz<br />

dur<strong>ch</strong>aus gegen einen ICE mit.<br />

www.mobilitaetsdur<strong>ch</strong>blick.<strong>ch</strong>: Der Online<strong>ch</strong>eck für die private <strong>Mobilität</strong> erlaubt<br />

den Verglei<strong>ch</strong> vers<strong>ch</strong>iedener Transportmittel und zeigt das Verbesserungspotenzial<br />

auf.<br />

In einem Grossraumbüro der Camion Transport<br />

in S<strong>ch</strong>warzenba<strong>ch</strong> dirigieren Disponentinnen<br />

und Disponenten die Lastwagenflotte<br />

des Unternehmens. Dabei lotsen sie jedes Fahrzeug<br />

so, dass es mögli<strong>ch</strong>st effizient unterwegs<br />

ist. Dafür sind drei Kriterien auss<strong>ch</strong>laggebend:<br />

freie Ladekapazität, Nähe zum Kunden und zeitli<strong>ch</strong>e<br />

Verfügbarkeit. Aus diesen Überlegungen<br />

wird beispielsweise Eraldo Braun zur Druckerei<br />

K+D in St. Gallen beordert. Um 13.30 Uhr trifft<br />

der Chauffeur mit seinem Anhängerzug dort ein.<br />

Seit 6 Uhr morgens ist er unterwegs und hat s<strong>ch</strong>on<br />

drei Destinationen angefahren. Sein 36-Tönner<br />

erfüllt die neue Abgasnorm Euro V. Trotzdem verbrau<strong>ch</strong>t<br />

der LKW mit dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong> 31 Litern<br />

ni<strong>ch</strong>t viel weniger Diesel als die Fahrzeuge, mit<br />

denen Eraldo Braun zu Beginn seiner Karriere vor<br />

40 Jahren unterwegs war.<br />

Umladen im Morgengrauen. Um 14.30 Uhr sind<br />

die fris<strong>ch</strong> gedruckten Medikamentenverpackungen<br />

verladen und bereit für die Reise von<br />

St. Gallen zu einem Pharmaunternehmen in der<br />

Wests<strong>ch</strong>weiz. Erste Station ist das Logistikzentrum<br />

der Camion Transport in S<strong>ch</strong>warzenba<strong>ch</strong>.<br />

Dort manövriert Eraldo Braun seinen Laster in<br />

eine Verladebu<strong>ch</strong>t. Ein Hubstapler verfra<strong>ch</strong>tet<br />

die beiden Paletten der Druckerei K+D in<br />

einen mit Codes gekennzei<strong>ch</strong>neten Bahnwaggon.<br />

Dessen Ziel ist das Cargo-Ums<strong>ch</strong>lagcenter<br />

CTL in Lausanne. Um 21.45 Uhr fährt der Güterzug<br />

in S<strong>ch</strong>warzenba<strong>ch</strong> ab. Von nun an ist die<br />

SBB für den Transport zuständig. Die Reise führt<br />

na<strong>ch</strong> Olten (SO). Dort treffen si<strong>ch</strong> die aus den<br />

14 S<strong>ch</strong>weizer Logistikzentren angereisten Lokomotivführer<br />

zu einem gemeinsamen Mitterna<strong>ch</strong>tskaffee.<br />

In dieser Zeit werden die Güterwaggons<br />

neu zusammengestellt, worauf die fris<strong>ch</strong> beladenen<br />

Züge wieder an ihren Ursprungsort zurückfahren<br />

– zum Beispiel na<strong>ch</strong> Lausanne. Dort<br />

beginnt in den frühen Morgenstunden das Umladen<br />

auf Lastwagen. Die Pharmaverpackungen aus<br />

St. Gallen sind für eine Fabrik in Nyon (VD) bestimmt<br />

– aus logistis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t ein Katzensprung.<br />

Um 6.15 Uhr belädt ein Chauffeur sein Fahrzeug<br />

umwelt 3/<strong>2012</strong> > Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong>


mit mehreren für Nyon bestimmten Sendungen.<br />

Um 8.30 Uhr sind die zwei Paletten von K+D an<br />

ihrem Ziel.<br />

Insgesamt hat die kombinierte Reise auf Strasse<br />

und S<strong>ch</strong>iene 18 Stunden gedauert. Dies ist ein<br />

Mehrfa<strong>ch</strong>es der direkten Lastwagenfahrt von der<br />

Ost- in die Wests<strong>ch</strong>weiz, do<strong>ch</strong> die Klimabilanz lässt<br />

si<strong>ch</strong> sehen. So beträgt die CO 2-Belastung der beiden<br />

transportierten Paletten mit Medikamentenkartons<br />

16,2 Kilogramm, wie die Disponenten der Camion<br />

Transport mit ihrer EcoBalance-Software bere<strong>ch</strong>net<br />

haben. Dank der Bahn sind es 19,6 Kilogramm<br />

CO 2 weniger als bei einer Fahrt auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> mit<br />

dem Lastwagen. Zählt man alle von Camion Transport<br />

gelieferten Güter zusammen, hat das Unternehmen<br />

seinen CO 2-Ausstoss mit dem dualen System<br />

um 25 Prozent reduziert. «Damit stossen wir<br />

an die Grenzen unserer Mögli<strong>ch</strong>keiten», sagt Franz<br />

Meienhofer. Aus diesem Grund sind die aktuellen<br />

Reduktionsziele der Firma eher bes<strong>ch</strong>eiden. Do<strong>ch</strong><br />

mittelfristig existiere dur<strong>ch</strong>aus Sparpotenzial –<br />

vor allem dank energieeffizienteren Fahrzeugen.<br />

Bei einer Umstellung auf Hybrid- oder Erdgas-Lastwagen<br />

re<strong>ch</strong>net Franz Meienhofer mit einer zusätzli<strong>ch</strong>en<br />

CO 2-Reduktion um 20 bis 30 Prozent. No<strong>ch</strong><br />

sei die dazu nötige umwelts<strong>ch</strong>onende Antriebste<strong>ch</strong>nologie<br />

aber ni<strong>ch</strong>t serienreif.<br />

Ökobilanzre<strong>ch</strong>ner s<strong>ch</strong>affen Transparenz. Die Firma Camion<br />

Transport gibt Öko-Informationen direkt an<br />

ihre Kunden weiter. Mithilfe des EcoBalance-Systems<br />

werden sie über die Umweltbelastung jeder<br />

einzelnen Sendung informiert und erhalten Ende<br />

Jahr eine detaillierte Bilanz der verursa<strong>ch</strong>ten CO 2-<br />

Emissionen. «So transparent soll es für den Kunden<br />

sein», lobt Harald Jenk von der BAFU-Sektion<br />

Verkehr. Tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ist Transparenz ni<strong>ch</strong>t immer<br />

einfa<strong>ch</strong> zu gewährleisten. Das Bundesamt für Umwelt<br />

arbeitet deshalb an europaweit geltenden<br />

Ökobilanznormen für den Verkehr mit. Immerhin<br />

lassen si<strong>ch</strong> die Umweltbelastungen vers<strong>ch</strong>iedener<br />

Verkehrsmittel im Personen- und Güterverkehr<br />

dank einer Reihe von Ökobilanzre<strong>ch</strong>nern bereits<br />

heute einfa<strong>ch</strong> miteinander verglei<strong>ch</strong>en. Die<br />

St. Galler Druckerei K+D, wel<strong>ch</strong>e ihren Gütertrans-<br />

Dossier <strong>Umweltgere<strong>ch</strong>te</strong> <strong>Mobilität</strong> > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />

port ganz ausgelagert hat, konnte die CO 2-Emissionen<br />

mit dem dualen Systems im Jahr 2011 um 19<br />

Prozent oder 18,5 Tonnen reduzieren. Diese bea<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e<br />

Einsparung entspri<strong>ch</strong>t dem CO 2-Ausstoss<br />

eines Mittelklasseautos auf einer Strecke von rund<br />

120 000 Kilometern. Trotz der umweltfreundli<strong>ch</strong>eren<br />

Logistik haben si<strong>ch</strong> die Transportkosten für<br />

K+D ni<strong>ch</strong>t verteuert.<br />

Die Strasse holt auf. No<strong>ch</strong> gilt für die umweltgere<strong>ch</strong>te<br />

<strong>Mobilität</strong> von Gütern die Devise: Mögli<strong>ch</strong>st viel<br />

S<strong>ch</strong>iene, mögli<strong>ch</strong>st wenig Strasse! Künftig könnte<br />

si<strong>ch</strong> dies – zumindest tendenziell – ändern. Die<br />

vom Bundesamt für Verkehr (BAV) in Auftrag gegebene<br />

Studie «ÖV und Umwelt. Herausforderungen<br />

und Handlungsbedarf» kommt zum S<strong>ch</strong>luss,<br />

dass der Gütertransport auf der Strasse seinen<br />

Umweltna<strong>ch</strong>teil gegenüber der S<strong>ch</strong>iene in den<br />

kommenden zwei Jahrzehnten wettma<strong>ch</strong>en dürfte<br />

– sei es auf freiwilliger Basis oder als Folge neuer<br />

Vors<strong>ch</strong>riften. Dies gilt insbesondere für die Reduktion<br />

der Stickoxide (NOX) und Russrückstände (PM)<br />

in den Abgasen. «Beim CO 2 sind allerdings keine<br />

Wunder zu erwarten», erklärt Verkehrsspezialist<br />

Harald Jenk. «Wä<strong>ch</strong>st das Transportvolumen wie<br />

erwartet weiter, ist beim Güterverkehr s<strong>ch</strong>on die<br />

Stabilisierung der heutigen CO 2-Emissionen ein<br />

Erfolg.»<br />

Die Firma K+D hat si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t etwa bewusst für<br />

den kombinierten Gütertransport ents<strong>ch</strong>ieden: Bei<br />

der Wahl der Speditionsfirma zählte vor allem die<br />

Pünktli<strong>ch</strong>keit, wie der stellvertretende Direktor Urs<br />

Metzler erklärt. Allein aufgrund der umweltgere<strong>ch</strong>teren<br />

Logistik liessen si<strong>ch</strong> keine zusätzli<strong>ch</strong>en Aufträge<br />

an Land ziehen. Do<strong>ch</strong> wie Beispiele aus anderen<br />

Wirts<strong>ch</strong>aftszweigen zeigen, a<strong>ch</strong>tet ni<strong>ch</strong>t nur<br />

die Kunds<strong>ch</strong>aft vermehrt auf die Ökobilanz, au<strong>ch</strong><br />

immer mehr Unternehmen sind bemüht, si<strong>ch</strong> ökologis<strong>ch</strong><br />

vorbildli<strong>ch</strong> zu verhalten. Unter ihnen gibt<br />

es viele potenzielle Kunden für die Vorreiter einer<br />

umweltfreundli<strong>ch</strong>en Gütermobilität.<br />

Urs Fitze<br />

Weiterführende Links unter<br />

www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/magazin<strong>2012</strong>-3-07<br />

KONTAKT<br />

Harald Jenk<br />

Sektion Verkehr<br />

BAFU<br />

031 322 93 50<br />

harald.jenk@bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />

35


Vor Ort<br />

36<br />

ZG<br />

Intelligente Leu<strong>ch</strong>ten<br />

Seit Anfang <strong>2012</strong> testet die Gemeinde Baar<br />

(ZG) eine intelligente Strassenbeleu<strong>ch</strong>tung.<br />

Auf einem rund 600 Meter langen Fuss- und<br />

Radweg haben die Verantwortli<strong>ch</strong>en 20 LED-<br />

Leu<strong>ch</strong>ten mit einer Leistung von je 29 Watt<br />

installiert. Im Normalzustand sind die Lampen<br />

auf 10 Prozent der Leistung gedimmt. Ihre<br />

volle Leu<strong>ch</strong>tkraft entfalten sie erst, wenn si<strong>ch</strong><br />

ein Velofahrer oder eine Fussgängerin nähert.<br />

Mit Kontrasterkennung operierende Sensoren<br />

können Tiere von Mens<strong>ch</strong>en, Velos oder Autos<br />

unters<strong>ch</strong>eiden. Sie registrieren den Verkehrsteilnehmer<br />

und geben das Signal per Funkverbindung<br />

an die nä<strong>ch</strong>ste Leu<strong>ch</strong>te weiter. So bewegen<br />

si<strong>ch</strong> Radfahrerinnen oder Spaziergänger<br />

auf einem vorauseilenden Li<strong>ch</strong>tteppi<strong>ch</strong>. Stellen<br />

die Sensoren keine Bewegung mehr fest, fahren<br />

die Leu<strong>ch</strong>ten ihre Leistung zurück. Damit<br />

soll bei der Strassenbeleu<strong>ch</strong>tung eine Energieeinsparung<br />

von rund 60 Prozent mögli<strong>ch</strong><br />

sein, und glei<strong>ch</strong>zeitig fallen die unerwüns<strong>ch</strong>ten<br />

Li<strong>ch</strong>timmissionen geringer aus.<br />

> Paul Langenegger, Bauvorsteher, Baar,<br />

041 769 04 30, paul.langenegger@baar.<strong>ch</strong><br />

ZH<br />

Mit Pilzen gegen Zecken<br />

Bei der Bekämpfung von Zecken kommen konventionelle<br />

Methoden – etwa der Einsatz von<br />

Pestiziden – im empfindli<strong>ch</strong>en Ökosystem des<br />

Waldes ni<strong>ch</strong>t in Frage. Ers<strong>ch</strong>wert wird die Su<strong>ch</strong>e<br />

na<strong>ch</strong> biologis<strong>ch</strong>en Massnahmen dadur<strong>ch</strong>,<br />

dass Zecken erstaunli<strong>ch</strong>e Überlebenskünstler<br />

sind – eine einzige Blutmahlzeit rei<strong>ch</strong>t ihnen<br />

für mehrere Monate. Zudem haben sie kaum<br />

natürli<strong>ch</strong>e Feinde. Nun haben Fors<strong>ch</strong>ende der<br />

Zür<strong>ch</strong>er Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ule für Angewandte Wissens<strong>ch</strong>aften<br />

(ZHAW) eine Zecke mit einem tödli<strong>ch</strong>en<br />

Pilzbefall entdeckt. Interessant dabei ist,<br />

dass Pilze aus derselben Gattung (Beauveria<br />

bassiana) bereits zur Bekämpfung von Maikäfern<br />

und Kirs<strong>ch</strong>fru<strong>ch</strong>tfliegen eingesetzt werden.<br />

Im Rahmen eines dreijährigen Fors<strong>ch</strong>ungsprojekts<br />

will man die biologis<strong>ch</strong>e Zeckenbekämpfung<br />

mittels Pilzen nun weiter untersu<strong>ch</strong>en.<br />

> Thomas Hufs<strong>ch</strong>mid, Life Sciences und Facility<br />

Management, ZHAW, 058 934 56 77,<br />

thomas.hufs<strong>ch</strong>mid@zhaw.<strong>ch</strong>, www.zhaw.<strong>ch</strong><br />

BE<br />

Neue Aareinsel<br />

zVg<br />

Im Berner Seeland ist bei Niederried und Radelfingen<br />

eine neue Gewässerlands<strong>ch</strong>aft ent-<br />

standen. Auf einer 6,5 Hektaren grossen Flä<strong>ch</strong>e,<br />

die 13 Fussballfeldern entspri<strong>ch</strong>t, hat man<br />

eine Insel und einen neuen Seitenarm der Aare<br />

gebaut. Die 221 Meter lange und 40 Meter<br />

breite Aareinsel sowie das 370 Meter lange<br />

Seitengerinne haben den vormals glei<strong>ch</strong>förmigen,<br />

strukturarmen Flusslauf verändert. Mit<br />

der Zeit soll hier ein vielfältiger Lebensraum<br />

für Tiere wie Äs<strong>ch</strong>en, Eisvögel oder Biber und<br />

für Pflanzen wie S<strong>ch</strong>warzpappeln entstehen.<br />

Für die Baukosten von 2,7 Millionen Franken<br />

kamen der Kanton Bern, der kantonale Renaturierungsfonds<br />

und der Ökofonds der BKW FMB<br />

Energie AG auf.<br />

> Peter Hässig, Präsident des Ökofonds der BKW,<br />

031 330 51 11, peter.haessig@bkw-fmb.<strong>ch</strong><br />

AG<br />

Naturstreifzug dur<strong>ch</strong> Baden<br />

Eine originelle Führung dur<strong>ch</strong> die Wälder und<br />

das Siedlungsgrün von Baden (AG) bietet der<br />

vom Stadtforstamt und der Stadtökologie lancierte<br />

Audioguide «Ohren auf – Natur erzählt!».<br />

Während eines Spaziergangs – von der Baldegg<br />

dur<strong>ch</strong> den Wald hinein in die Stadt und<br />

dana<strong>ch</strong> aufwärts zu den Reben am Ennetbadener<br />

Geissberg – passiert man 19 Posten, wo<br />

über eine Gratisnummer per Handy zu erfahren<br />

ist, was es vor Ort zu sehen und zu hören gibt.<br />

Thematisiert werden die Arbeit des Försters,<br />

Waldlebewesen, wi<strong>ch</strong>tige Waldbäume, die<br />

Forstwirts<strong>ch</strong>aft in früheren Zeiten, aber au<strong>ch</strong><br />

die Stadtnatur, die Vielfalt der Trockenwiesen<br />

im Gebiet S<strong>ch</strong>artenfels und die illustren Gäste<br />

des Kurhauses Baden im 19.Jahrhundert. Der<br />

Spaziergang dauert knapp vier Stunden.<br />

> www.wald.baden.<strong>ch</strong>/audioguide<br />

LU<br />

Erste Anlage «frisst»<br />

S<strong>ch</strong>wemmholz<br />

Ein Ho<strong>ch</strong>wasser hat 2005 in den Gebieten der<br />

Kleinen Emme und der Reuss S<strong>ch</strong>äden von<br />

umwelt 3/<strong>2012</strong>


und 345 Millionen Franken angeri<strong>ch</strong>tet. Als<br />

Reaktion darauf initiierte der Kanton Luzern<br />

das Projekt «Ho<strong>ch</strong>wassers<strong>ch</strong>utz und Renaturierung<br />

Kleine Emme und Reuss». Zusammen<br />

mit den Kantonen Aargau, Züri<strong>ch</strong> und Zug realisierte<br />

er dabei unter anderem an der Kleinen<br />

Emme in Ettisbühl auf dem Gemeindegebiet<br />

von Malters (LU) die s<strong>ch</strong>weizweit erste Grossanlage<br />

zur S<strong>ch</strong>wemmholzentfernung. Sie kann<br />

einem Ho<strong>ch</strong>wasser führenden Fluss bis zu zwei<br />

Drittel des S<strong>ch</strong>wemmholzes entnehmen. Dazu<br />

ist das Flussbett der Kleinen Emme in Ettisbühl<br />

um 60 Meter verbreitert worden. Das anfallende<br />

S<strong>ch</strong>wemmholz wird damit aus dem Hauptgerinne<br />

zur Holzrückhalteanlage getrieben. Ab<br />

einem Ho<strong>ch</strong>wasser von rund 250 Kubikmetern<br />

pro Sekunde wird die Stauklappe des Ausleitbauwerks<br />

geöffnet und so ein Teil des Ho<strong>ch</strong>wassers<br />

mit dem mitgeführten S<strong>ch</strong>wemmholz<br />

in den Holzrückhalteraum abgeleitet. Dort<br />

fangen Re<strong>ch</strong>en das Holz auf. Die Anlage ist<br />

mit einem neuen Kleinwasserkraftwerk gekoppelt,<br />

das jährli<strong>ch</strong> 4,5 Millionen Kilowattstunden<br />

Strom produzieren soll.<br />

> Albin S<strong>ch</strong>midhauser, Verkehr und Infrastruktur,<br />

albin.s<strong>ch</strong>midhauser@lu.<strong>ch</strong>,<br />

www.ho<strong>ch</strong>wassers<strong>ch</strong>utz-emme-reuss.lu.<strong>ch</strong><br />

umwelt 3/<strong>2012</strong><br />

CH<br />

Der ÖSL-Check<br />

Ob in Form von sauberem Trinkwasser, als<br />

S<strong>ch</strong>utz vor Naturgefahren, als Grundlage für<br />

die landwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Produktion oder zur<br />

Erholung im Freien: Alle profitieren von den<br />

zVg<br />

Leistungen unserer Umwelt und ihrer Ökosysteme.<br />

Do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t jeder, der diese Ökosystemleistungen<br />

in Anspru<strong>ch</strong> nimmt, ist si<strong>ch</strong> dessen<br />

bewusst. Dies liegt au<strong>ch</strong> daran, dass sie oft<br />

kostenlos sind. In den vers<strong>ch</strong>iedenen Prozessen<br />

der räumli<strong>ch</strong>en Planung hat es bisher an<br />

einer systematis<strong>ch</strong>en Berücksi<strong>ch</strong>tigung der<br />

Ökosystemleistungen gemangelt. Dies soll si<strong>ch</strong><br />

nun ändern: Eine gemeinsam vom BAFU und<br />

der Eidgenössis<strong>ch</strong>en Te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ule<br />

(ETH) Züri<strong>ch</strong> konzipierte Arbeitshilfe zeigt<br />

auf, wie sol<strong>ch</strong>e Leistungen in der Planung von<br />

Projekten und Prozessen in der Lands<strong>ch</strong>aft berücksi<strong>ch</strong>tigt<br />

und ges<strong>ch</strong>ützt werden können. Das<br />

Online-Instrument eignet si<strong>ch</strong> etwa für die Erarbeitung<br />

von Leitbildern, Lands<strong>ch</strong>aftsentwicklungskonzepten<br />

(LEK) oder Umweltverträgli<strong>ch</strong>keitsprüfungen<br />

(UVP).<br />

> Roger Keller, Abteilung Arten, Ökosysteme,<br />

Lands<strong>ch</strong>aften, BAFU, 031 322 15 16,<br />

roger.keller@bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>;<br />

http://oesl-<strong>ch</strong>eck.ethz.<strong>ch</strong><br />

ZH<br />

Intelligente Fassaden<br />

Fors<strong>ch</strong>ende der Eidgenössis<strong>ch</strong>en Te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en<br />

Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ule Züri<strong>ch</strong> (ETHZ) entwickeln eine modulare,<br />

adaptive Fassade, die si<strong>ch</strong> automatis<strong>ch</strong><br />

an Energie, Li<strong>ch</strong>t- und Temperaturbedürfnisse<br />

anpasst und daneben au<strong>ch</strong> einen ar<strong>ch</strong>itektonis<strong>ch</strong>en<br />

Gestaltungsspielraum ermögli<strong>ch</strong>t. Je<br />

na<strong>ch</strong> äusseren Bedingungen und vorgegebenen<br />

Zielen kann die Fassade Energie gewinnen,<br />

bes<strong>ch</strong>atten oder die Li<strong>ch</strong>tverhältnisse im<br />

zVg<br />

Raum anpassen. Voraussetzung dafür ist ein<br />

komplexes Zusammenspiel von Sensoren und<br />

Informationste<strong>ch</strong>nik.<br />

> Prof. Dr.Arno S<strong>ch</strong>lüter, ETH Züri<strong>ch</strong>,<br />

s<strong>ch</strong>lueter@ar<strong>ch</strong>.ethz.<strong>ch</strong>, www.suat.ar<strong>ch</strong>.ethz.<strong>ch</strong><br />

BS/SG/BE/GE<br />

Fahren mit Wasserstoff<br />

zVg<br />

Von 2009 bis Anfang <strong>2012</strong> ist auf Basels Strassen<br />

ein wasserstoffbetriebenes Kehrfahrzeug<br />

erprobt worden. Das unter anderem von der<br />

Eidgenössis<strong>ch</strong>en Materialprüfungs- und Fors<strong>ch</strong>ungsanstalt<br />

(Empa) sowie vom Paul S<strong>ch</strong>errer<br />

Institut (PSI) konzipierte Pilotfahrzeug soll den<br />

Wasserstoffantrieb «vom Labor auf die Strasse»<br />

bringen. Wie der Versu<strong>ch</strong> zeigt, spart Wasserstoff<br />

als Treibstoff für Kommunalfahrzeuge<br />

Energie, s<strong>ch</strong>ont die Umwelt, und der Betrieb<br />

ist au<strong>ch</strong> te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>bar. Gegenüber Dieselfahrzeugen<br />

wird der Energieverbrau<strong>ch</strong> um<br />

mehr als die Hälfte reduziert, und bei den CO 2-<br />

Emissionen s<strong>ch</strong>neidet das Fahrzeug – selbst bei<br />

einer fossilen Produktion des Wasserstoffs – um<br />

rund 40 Prozent besser ab. Um rentabel zu sein,<br />

müssen Brennstoffzelle, Druckspei<strong>ch</strong>ertank und<br />

Elektroantrieb allerdings no<strong>ch</strong> deutli<strong>ch</strong> günstiger<br />

werden. Das Fahrzeug ist nun no<strong>ch</strong> bis September<br />

<strong>2012</strong> auf St.Gallens Strassen unterwegs.<br />

Dana<strong>ch</strong> folgen weitere Praxistests in Bern und<br />

Onex (GE).<br />

> Christian Ba<strong>ch</strong>, Abteilung Verbrennungsmotoren,<br />

Empa, 058 765 41 37, <strong>ch</strong>ristian.ba<strong>ch</strong>@empa.<strong>ch</strong><br />

37


21 Aufgaben für das 21. Jahrhundert<br />

Der fünfte, globale UNO-Beri<strong>ch</strong>t über den Zustand der Umwelt<br />

(www.unep.org/geo), an dessen Erarbeitung au<strong>ch</strong> die<br />

S<strong>ch</strong>weiz beteiligt war, s<strong>ch</strong>lägt Alarm: Laut GEO-5 sind die<br />

derzeit beoba<strong>ch</strong>teten Umweltveränderungen beispiellos in<br />

der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Mens<strong>ch</strong>heit. Massnahmen für den Klimas<strong>ch</strong>utz<br />

oder zur Steigerung der Ressourceneffizienz hätten<br />

wohl Verbesserungen gebra<strong>ch</strong>t, do<strong>ch</strong> seien weitere S<strong>ch</strong>ritte<br />

nötig. Dies gilt insbesondere für die Berei<strong>ch</strong>e Klimawandel<br />

und Biodiversität sowie für Massnahmen zur Ents<strong>ch</strong>ärfung<br />

der Wasser-, Abfall- und Chemikalienproblematik. Ansonsten<br />

entstünden unumkehrbare S<strong>ch</strong>äden an den globalen<br />

Ökosystemen. Aufgrund der aktuellen Bestandesaufnahme<br />

formuliert der Beri<strong>ch</strong>t die wi<strong>ch</strong>tigsten «21 Aufgaben für das<br />

21. Jahrhundert».<br />

Gemäss GEO-5 ist das heute unübersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e System der<br />

internationalen Umweltpolitik zu wenig effizient, um die anstehenden<br />

Probleme zu lösen. Zudem fehle es der internationalen<br />

Umweltpolitik an Transparenz und vielerorts au<strong>ch</strong> an<br />

demokratis<strong>ch</strong>er Abstützung. Die zweite grosse Herausforderung<br />

betrifft die Grüne Wirts<strong>ch</strong>aft. Um sie umsetzen zu können,<br />

müsse unter anderem in die Aus- und Weiterbildung<br />

investiert werden. Die dritte grosse Aufgabe sei die Lebensmittel-<br />

und Ernährungssi<strong>ch</strong>erung für 9 Milliarden Mens<strong>ch</strong>en.<br />

Dazu bedürfe es umfassender Frühwarnsysteme, einer effizienteren<br />

landwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Produktion, der Unterstützung<br />

von Kleinbauern und einer Reduktion der Vers<strong>ch</strong>wendung<br />

von Nahrungsmitteln.<br />

38<br />

Nicolas Perritaz<br />

Sektion Europa, Handel und<br />

Entwicklungszusammenarbeit, BAFU<br />

031 325 81 40<br />

nicolas.perritaz@bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />

Wi<strong>ch</strong>tige Termine der internationalen Umweltpolitik<br />

3.–7. September <strong>2012</strong>:<br />

Treffen des zwis<strong>ch</strong>enstaatli<strong>ch</strong>en<br />

Verhandlungsauss<strong>ch</strong>usses für<br />

eine europäis<strong>ch</strong>e Waldkonvention<br />

(INC2) in Bonn (Deuts<strong>ch</strong>land)<br />

17.–21. September <strong>2012</strong>:<br />

Sitzung der Konferenz für<br />

ein internationales Chemikalien-Management<br />

(SAICM)<br />

in Nairobi (Kenia)<br />

International<br />

Wertvolle Feu<strong>ch</strong>tgebiete s<strong>ch</strong>ützen<br />

Feu<strong>ch</strong>tgebiete wie Mangroven, Korallenriffe, Moore, Seeund<br />

Flusslands<strong>ch</strong>aften sind unverzi<strong>ch</strong>tbar für die Erhaltung<br />

der Biodiversität, die Versorgung mit Trinkwasser und die<br />

Dämpfung von Ho<strong>ch</strong>wasserspitzen. Ihr weltweiter S<strong>ch</strong>utz ist<br />

im Ramsar-Übereinkommen von 1975 geregelt. Hauptzweck<br />

dieser Konvention ist die Bezei<strong>ch</strong>nung der international bedeutenden<br />

Feu<strong>ch</strong>tgebiete – und die damit verbundene Verpfli<strong>ch</strong>tung<br />

der jeweiligen Regierungen zu einer na<strong>ch</strong>haltigen<br />

Bewirts<strong>ch</strong>aftung. Inzwis<strong>ch</strong>en sind 2040 sol<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>utzgebiete<br />

mit einer Gesamtflä<strong>ch</strong>e von über 193 Millionen Hektaren<br />

anerkannt.<br />

In der ersten Julihälfte <strong>2012</strong> haben si<strong>ch</strong> 115 der insgesamt<br />

162 Mitgliedstaaten in der rumänis<strong>ch</strong>en Hauptstadt Bukarest<br />

zur 11. Vertragsparteienkonferenz getroffen. Bei den Verhandlungen<br />

ging es unter anderem um die Entwicklung von<br />

Synergien mit weiteren internationalen Abkommen, um die<br />

Verhinderung und Kompensation von Verlusten an Feu<strong>ch</strong>tgebieten<br />

sowie um die Auswirkungen des Klimawandels<br />

auf diese Ökosysteme. Die S<strong>ch</strong>weizer Delegation hat einen<br />

Vors<strong>ch</strong>lag eingebra<strong>ch</strong>t, der in sol<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>utzzonen mögli<strong>ch</strong>st<br />

verantwortungsvolle Investitionen fördern soll. Ziel<br />

ist, dass mit öffentli<strong>ch</strong>en oder privaten Geldern finanzierte<br />

Projekte die Feu<strong>ch</strong>tgebiete weder ökologis<strong>ch</strong> beeinträ<strong>ch</strong>tigen<br />

no<strong>ch</strong> die Lebensbedingungen der dort vorkommenden Arten<br />

vers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tern dürfen.<br />

Sibylle Vermont<br />

Sektion Globales<br />

BAFU<br />

031 322 85 47<br />

sibylle.vermont@bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />

24.–28. September <strong>2012</strong>:<br />

Treffen des internationalen<br />

Auss<strong>ch</strong>usses für Forstwirts<strong>ch</strong>aft<br />

der FAO in Rom (Italien)<br />

1.–12. Oktober <strong>2012</strong>:<br />

Vertragsparteienkonferenzen<br />

des Protokolls von Cartagena<br />

und der Biodiversitäts-Konvention<br />

in Hyderabad (Indien)<br />

umwelt 3/<strong>2012</strong>


WALDBIODIVERSITäT<br />

Waldreservate für 20 000 Arten<br />

Bis 2030 wollen Bund und Kantone auf 10 Prozent der S<strong>ch</strong>weizer Waldflä<strong>ch</strong>e Reservate einri<strong>ch</strong>ten.<br />

Da viele Kantone entspre<strong>ch</strong>ende Anstrengungen unternehmen, wird dieses Ziel wohl errei<strong>ch</strong>t, wie eine<br />

Zwis<strong>ch</strong>enbilanz zeigt. Vor allem in tieferen Lagen besteht allerdings no<strong>ch</strong> ein Na<strong>ch</strong>holbedarf an<br />

grösseren Reservaten.<br />

Viele Amerikareisende s<strong>ch</strong>wärmen von<br />

den riesigen Waldreservaten wie Redwood,<br />

Sequoia oder Yellowstone in den<br />

glei<strong>ch</strong>namigen Nationalpärken der USA.<br />

Mit Ausnahme der naturbelassenen<br />

Bergwälder im Engadiner Nationalpark<br />

finden sie hierzulande ni<strong>ch</strong>ts Verglei<strong>ch</strong>bares.<br />

Die Idee, grosse Walds<strong>ch</strong>utzgebiete<br />

zu s<strong>ch</strong>affen, setzte si<strong>ch</strong> bei uns nur<br />

zögerli<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong>. No<strong>ch</strong> in den 1990er-<br />

Jahren waren erst magere 1,5 Prozent<br />

der S<strong>ch</strong>weizer Waldflä<strong>ch</strong>e als Reservate<br />

Artenvielfalt > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />

Dank seiner steilen und s<strong>ch</strong>wer zugängli<strong>ch</strong>en Lage blieb der Blockfi<strong>ch</strong>tenwald Scatlè bei Brigels<br />

(GR) in der Surselva am Vorderrhein während Jahrhunderten von mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Eingriffen vers<strong>ch</strong>ont.<br />

Aus diesem Grund findet si<strong>ch</strong> im ersten Waldreservat der S<strong>ch</strong>weiz einer der letzten e<strong>ch</strong>ten<br />

Fi<strong>ch</strong>tenurwälder in den Alpen.<br />

ausgewiesen. Mehr sei ni<strong>ch</strong>t nötig, fanden<br />

damals viele Waldbesitzende und<br />

Politiker. Allgemein herrs<strong>ch</strong>te die Meinung<br />

vor, mit den Jagdbanngebieten<br />

und der Erholung der Wildbestände sei<br />

eines der Hauptziele im Naturs<strong>ch</strong>utz<br />

bereits errei<strong>ch</strong>t. Im Verglei<strong>ch</strong> zu den<br />

oft naturfremden Forstbeständen im<br />

Ausland era<strong>ch</strong>tete man den S<strong>ch</strong>weizer<br />

Wald dank seiner naturnahen Bewirts<strong>ch</strong>aftung<br />

ohnehin als ein einziges<br />

Grossreservat.<br />

Umso überras<strong>ch</strong>ter reagierten Waldeigentümer<br />

und Behörden, als Forderungen<br />

na<strong>ch</strong> zusätzli<strong>ch</strong>en Walds<strong>ch</strong>utzgebieten<br />

laut wurden: 10 Prozent<br />

verlangte der WWF, 18 Prozent die<br />

S<strong>ch</strong>utzorganisation Pro Natura und<br />

gar 50 Prozent ein junger Umweltaktivist<br />

vor dem Bundeshaus. Den Anstoss<br />

dazu hatte der erste Erdgipfel in Rio<br />

von 1992 gegeben. Damals verpfli<strong>ch</strong>teten<br />

si<strong>ch</strong> die Unterzei<strong>ch</strong>nerstaaten der<br />

Biodiversitätskonvention, zu denen<br />

39


au<strong>ch</strong> die S<strong>ch</strong>weiz gehört, grosszügig<br />

bemessene Waldreservate einzuri<strong>ch</strong>ten.<br />

In diesen S<strong>ch</strong>utzgebieten soll die Biodiversität<br />

Vorrang haben vor anderen<br />

Waldfunktionen wie Holznutzung oder<br />

Erholung. In den Reservaten will man<br />

au<strong>ch</strong> die wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> uninteressanten,<br />

aber ökologis<strong>ch</strong> wertvollen Zerfalls- und<br />

Pionierphasen zulassen und so vielfältige<br />

Lebensräume für seltene Tier- und<br />

Pflanzenarten s<strong>ch</strong>affen.<br />

Konzept Waldreservate S<strong>ch</strong>weiz. Der Bund<br />

lässt in der Folge ein Basispapier für<br />

eine s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e Waldreservatspolitik<br />

erarbeiten, deren Gestaltung und<br />

Umsetzung freili<strong>ch</strong> den Kantonen<br />

überlassen bleibt. Das 1998 publizierte<br />

«Konzept Waldreservate S<strong>ch</strong>weiz» zeigt<br />

das Potenzial auf und gibt Hinweise<br />

für die Planung und Einri<strong>ch</strong>tung von<br />

Waldreservaten. Im Anhang enthält<br />

40<br />

Für Mittelland-Verhältnisse ist das Waldreservat «Mettlenrein-Hö<strong>ch</strong>i» (links oben) in Wynau (BE) mit 168 Hektaren<br />

relativ gross. Im «Leihubelwald» (links unten) bei Giswil (OW) dokumentieren bis zu 42 Meter hohe Tannen<br />

und Fi<strong>ch</strong>ten die Rückentwicklung zum Naturwald. Höhere Pilze, wie der Rotrandige Baums<strong>ch</strong>wamm (Fomitopsis<br />

pinicola) im jurassis<strong>ch</strong>en Naturwaldreservat «Bois Banal», sind die wi<strong>ch</strong>tigste Organismengruppe zum Abbau<br />

von Totholz.<br />

es Karten, auf denen die potenziell geeigneten<br />

Gebiete eingezei<strong>ch</strong>net sind.<br />

Sie bieten den Betroffenen rei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />

Diskussionsstoff. 2001 einigen si<strong>ch</strong> das<br />

Bundesamt für Umwelt und die kantonalen<br />

Forstdirektoren in den «Leitsätzen<br />

einer s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Waldreservatspolitik»<br />

auf konkrete nationale Ziele.<br />

Demna<strong>ch</strong> sollen bis zum Jahr 2030<br />

10 Prozent der S<strong>ch</strong>weizer Waldflä<strong>ch</strong>e<br />

als Reservate ausgewiesen sein. Auf<br />

etwa der Hälfte aller geplanten Reservatsgebiete<br />

will man die natürli<strong>ch</strong>e<br />

Waldentwicklung wieder zulassen. In<br />

sol<strong>ch</strong>en Naturwaldreservaten (NWR)<br />

wird ganz oder weitgehend auf Eingriffe<br />

verzi<strong>ch</strong>tet. Je na<strong>ch</strong> Status sind eine<br />

Regulation der Wildtierbestände mittels<br />

Jagd sowie Si<strong>ch</strong>erheitss<strong>ch</strong>läge an Strassen<br />

und die Waldbrandbekämpfung<br />

mögli<strong>ch</strong>. Ansonsten lässt man der natürli<strong>ch</strong>en<br />

Entwicklung freien Lauf und<br />

stärkt damit vor allem Organismen, die<br />

im Wirts<strong>ch</strong>aftswald zu kurz kommen,<br />

wie beispielsweise im Holz lebende Insekten<br />

und Pilze. Etwa ein Fünftel aller<br />

Tiere und Pflanzen im Wald – also<br />

über 6000 Arten – sind auf Totholz als<br />

Lebensraum und Nahrungsquelle angewiesen.<br />

Die restli<strong>ch</strong>en 5Prozent der gesamten<br />

Waldflä<strong>ch</strong>e sollen als Sonderwaldreservate<br />

(SWR) dienen. Um die ökologis<strong>ch</strong>e<br />

Qualität bestimmter Biotope<br />

zu erhalten sowie ausgewählte Pflanzen-<br />

und Tierarten zu fördern, sind<br />

hier gezielte Eingriffe mögli<strong>ch</strong> und oft<br />

sogar nötig. Dazu zählen etwa die Entbus<strong>ch</strong>ung<br />

von Felsen und Geröllhalden<br />

mit Reptilienpopulationen oder die<br />

Freihaltung von Waldli<strong>ch</strong>tungen für<br />

Tagfalter, Or<strong>ch</strong>ideen oder das Auerwild.<br />

Ein weiteres Beispiel sind die vom<br />

BAFU unterstützten Ei<strong>ch</strong>enförderungs-<br />

umwelt 3/<strong>2012</strong> > Artenvielfalt


Im Naturwaldreservat<br />

«Bois Banal» auf dem<br />

Gebiet der Gemeinde<br />

Clos du Doubs (JU)<br />

wird die Tanne zunehmend<br />

von der Bu<strong>ch</strong>e<br />

verdrängt. Das Totholz<br />

bietet Lebensraum für<br />

Tausende von Insekten,<br />

Pilzen und Fle<strong>ch</strong>tenarten.<br />

Artenvielfalt > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />

41


programme. Damit will der Bund unter<br />

anderem den Mittelspe<strong>ch</strong>t sowie den<br />

Hirs<strong>ch</strong>käfer erhalten und deren Ausbreitung<br />

fördern.<br />

Zudem besteht die Absi<strong>ch</strong>t, innerhalb<br />

der geplanten Reservatsflä<strong>ch</strong>e<br />

30 Grossreservate von mindestens<br />

500 Hektaren einzuri<strong>ch</strong>ten – und zwar<br />

bei einer angemessenen Verteilung auf<br />

die Regionen. Neben diesem quantitativen<br />

Ziel formuliert das Konzept au<strong>ch</strong><br />

qualitative Ziele. Angestrebt werden<br />

eine repräsentative Vertretung der über<br />

120 bei uns vorkommenden Waldgesells<strong>ch</strong>aften<br />

sowie die besondere Berücksi<strong>ch</strong>tigung<br />

der seltenen und gefährdeten<br />

Waldtypen, für die unser Land au<strong>ch</strong> eine<br />

internationale Verantwortung trägt –<br />

beispielsweise die Lär<strong>ch</strong>en-Arvenwälder<br />

der Zentralalpen oder die Alpenrosenund<br />

Torfmoos-Bergföhrenwälder.<br />

Zwis<strong>ch</strong>enbilanz des BAFU. Na<strong>ch</strong> den ersten<br />

10 von 30 Jahren haben die Kantone<br />

bei allen quantitativen Zielen<br />

Die ökologis<strong>ch</strong> wertvollen Zerfalls- und Pionierphasen<br />

in den Waldreservaten s<strong>ch</strong>affen vielfältige<br />

Lebensräume für seltene Tier- und Pflanzenarten.<br />

bereits gut die Hälfte der Vorgaben errei<strong>ch</strong>t,<br />

wie eine erste Zwis<strong>ch</strong>enbilanz des<br />

BAFU zeigt. Insgesamt sind heute auf<br />

4,6 Prozent der Waldflä<strong>ch</strong>en Reservate<br />

ausges<strong>ch</strong>ieden, davon 2,5 Prozent als<br />

NWR und 2,1 Prozent als SWR. Allerdings<br />

variiert der Wert in den vers<strong>ch</strong>iedenen<br />

Regionen. «Die vorliegenden<br />

Zahlen aus den Kantonen stimmen uns<br />

insofern optimistis<strong>ch</strong>, als wir das quantitative<br />

Ziel bereits fast zur Hälfte errei<strong>ch</strong>t<br />

haben», stellt Markus Bolliger von<br />

der BAFU-Sektion Jagd, Wildtiere und<br />

Waldbiodiversität fest. Für eine tiefere<br />

Analyse der qualitativen Aspekte benötigt<br />

der Bund aber die genauen geografis<strong>ch</strong>en<br />

Daten jedes einzelnen Reservats.<br />

Dazu erarbeitet das BAFU eine umfassende<br />

Statistik, die Ende <strong>2012</strong> vorliegen<br />

sollte. Laut Markus Bolliger «wird es in<br />

42<br />

ANTEIL DER WALDRESERVATE ANDER WALDFLäCHE IN PROZENT UND IHRE FLäCHE IN HA (SäULEN)<br />

Quelle: BAFU<br />

den nä<strong>ch</strong>sten Jahren wohl s<strong>ch</strong>wieriger,<br />

weitere und vor allem grössere zusammenhängende<br />

Flä<strong>ch</strong>en als Reservate<br />

auszuweisen. Es sind nämli<strong>ch</strong> immer<br />

weniger Waldbesitzer bereit, langfristig<br />

auf die Holznutzung in ihrem Wald zu<br />

verzi<strong>ch</strong>ten.» Dafür gibt es vermutli<strong>ch</strong><br />

vers<strong>ch</strong>iedene Gründe. So sind die Eigentümer<br />

zum Beispiel emotional an ihren<br />

Wald gebunden, wollen si<strong>ch</strong> für die Zukunft<br />

ni<strong>ch</strong>ts vergeben oder empfinden<br />

die finanzielle Unterstützung dur<strong>ch</strong> die<br />

öffentli<strong>ch</strong>e Hand als ungenügend.<br />

Es brau<strong>ch</strong>t mehr Grossreservate. S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>punkte<br />

ortet Markus Bolliger au<strong>ch</strong> bei<br />

der regionalen Verteilung der Reservate,<br />

bei ihrer Grösse und hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />

der Repräsentativität der Waldtypen.<br />

Untervertreten seien beispielsweise die<br />

lands<strong>ch</strong>aftsprägenden Bu<strong>ch</strong>enwälder,<br />

Ahorn- und Tannen-Bu<strong>ch</strong>enwälder,<br />

Fi<strong>ch</strong>ten-Tannenwälder sowie Föhrenund<br />

Auenwälder. Immerhin gibt es in-<br />

4000 ha<br />

%<br />

10,1 – 13<br />

5,1 – 10<br />

3,1 – 5,0<br />

2,0 – 3,0<br />

1,6 – 2,0<br />

1,0 – 1,5<br />

zwis<strong>ch</strong>en s<strong>ch</strong>on 18 Grossreservate mit<br />

einer Waldflä<strong>ch</strong>e von je mindestens<br />

500 Hektaren, die si<strong>ch</strong> allerdings vorwiegend<br />

auf wenige Gebiete konzentrieren.<br />

«Die S<strong>ch</strong>affung von weiteren<br />

Grossreservaten in allen Regionen ist<br />

nur mögli<strong>ch</strong>, wenn die Kantone eng<br />

zusammenarbeiten», stellt die ETH-<br />

Fors<strong>ch</strong>erin Jasmin Bernasconi fest.<br />

Ihre im Rahmen einer Ba<strong>ch</strong>elorarbeit<br />

vorgenommene Zwis<strong>ch</strong>enbilanz über<br />

10 Jahre gemeinsame Waldreservatspolitik<br />

von Bund und Kantonen zeigt<br />

auf, dass mehr als die Hälfte der Stände<br />

no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mit den Na<strong>ch</strong>barkantonen<br />

zusammengearbeitet haben, um Grossreservate<br />

auszus<strong>ch</strong>eiden. Die Forstämter<br />

müssten dafür unbedingt mehr investieren,<br />

denn die Grösse sei sehr wohl<br />

wi<strong>ch</strong>tig. «Viele Naturwaldreservate sind<br />

zu klein, um die gewüns<strong>ch</strong>ten ökologis<strong>ch</strong>en<br />

Funktionen erfüllen zu können»,<br />

sagt Markus Bolliger. «Damit si<strong>ch</strong> alle<br />

Entwicklungsphasen auf einer Flä<strong>ch</strong>e<br />

ausbilden können, muss ein Reservat<br />

eine gewisse Mindestflä<strong>ch</strong>e haben –<br />

das heisst im Minimum 40, aber besser<br />

100 Hektaren und mehr.»<br />

Relikte eines Mittelwaldes. Ni<strong>ch</strong>t immer<br />

ist die Baumartenvielfalt in Reservaten<br />

rei<strong>ch</strong>er als in naturnah bewirts<strong>ch</strong>afte-<br />

umwelt 3/<strong>2012</strong> > Artenvielfalt


ten Wäldern. Im NWR «Bois de Chênes»<br />

bei Nyon (VD) beispielsweise<br />

stehen viele Ei<strong>ch</strong>enbäume, wie der<br />

Name erraten lässt. Allerdings sind sie<br />

ni<strong>ch</strong>t das Resultat einer natürli<strong>ch</strong>en<br />

Walddynamik, sondern ein Produkt<br />

der früheren Waldbewirts<strong>ch</strong>aftung,<br />

deren Spuren no<strong>ch</strong> heute gut si<strong>ch</strong>tbar<br />

sind. Abges<strong>ch</strong>nittene Ei<strong>ch</strong>enstrünke<br />

und Bestände mit hohem Ei<strong>ch</strong>enanteil<br />

weisen darauf hin, dass der «Bois<br />

de Chênes» früher als Mittelwald bewirts<strong>ch</strong>aftet<br />

wurde. Man liess einzelne<br />

Ei<strong>ch</strong>enbäume älter werden und fällte<br />

sie erst, wenn sie einen nutzholzfähigen<br />

Dur<strong>ch</strong>messer errei<strong>ch</strong>t hatten. Derweil<br />

wurde aus der Unters<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>t alle<br />

30 Jahre flä<strong>ch</strong>ig das Brennholz geerntet.<br />

Au<strong>ch</strong> andere Gehölzarten im «Bois<br />

de Chênes» sind wohl Kulturrelikte,<br />

darunter Sträu<strong>ch</strong>er wie Goldregen und<br />

Kornelkirs<strong>ch</strong>e sowie Nadelbäume wie<br />

Fi<strong>ch</strong>ten, Tannen, Lär<strong>ch</strong>en und Douglasien.<br />

Für eine nahe gelegene Strei<strong>ch</strong>holzfabrik<br />

wurden sogar nordamerikanis<strong>ch</strong>e<br />

Pappeln angepflanzt.<br />

Artenvielfalt > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />

Mehr Totholz und Baumriesen. Im Jahr<br />

1961 trat die Waadtländer Gemeinde<br />

Grenolier die Nutzungsre<strong>ch</strong>te für<br />

den «Bois de Chênes» an den Kanton<br />

ab, der 1966 eine S<strong>ch</strong>utzverordnung<br />

für eine Flä<strong>ch</strong>e von 160 Hektaren<br />

Wald und Waldwiesen erliess. Seitdem<br />

sind im «Bois de Chênes» die<br />

Bu<strong>ch</strong>en auf dem Vormars<strong>ch</strong>, wie überall<br />

in den tieferen Lagen der S<strong>ch</strong>weiz.<br />

Peter Brang, Mitarbeiter der Eidgenössis<strong>ch</strong>en<br />

Fors<strong>ch</strong>ungsanstalt für<br />

Wald, S<strong>ch</strong>nee und Lands<strong>ch</strong>aft (WSL)<br />

und Co-Autor des Bu<strong>ch</strong>s Waldreservate.<br />

50 Jahre natürli<strong>ch</strong>e Waldentwicklung in der<br />

S<strong>ch</strong>weiz (Haupt Verlag, 2011), weist auf<br />

die langfristige Entwicklung hin: «Da<br />

die Bu<strong>ch</strong>e eine di<strong>ch</strong>te Krone hat und<br />

sehr viel S<strong>ch</strong>atten wirft, kommen viele<br />

andere Baumarten unter Druck, weshalb<br />

die Baumartenvielfalt langsam zurückgeht.<br />

Dafür nimmt die Menge an<br />

Totholz und damit die Zahl an Insekten-,<br />

Vogel- und Pilzarten, die auf abgestorbenes<br />

Holz angewiesen sind, stark<br />

zu. Längerfristig, wenn die derzeit he-<br />

Alle Bilder: Markus Bolliger, BAFU<br />

Ein Waldmeister-Bu<strong>ch</strong>enwald im Reservat «S<strong>ch</strong>lossflue» oberhalb von Twann (BE) am Bielersee. Neben dieser au<strong>ch</strong> im Mittelland weit verbreiteten<br />

Waldgesells<strong>ch</strong>aft prägen diverse wärmeliebende und für den Jurasüdfuss typis<strong>ch</strong>e Laubmis<strong>ch</strong>wälder das 68 Hektaren grosse S<strong>ch</strong>utzgebiet.<br />

Forstli<strong>ch</strong>e Pflegeingriffe erfolgen hier nur no<strong>ch</strong>, um die Verbus<strong>ch</strong>ung und Wiederbewaldung von artenrei<strong>ch</strong>en Li<strong>ch</strong>tungen und Trockenwiesen zu<br />

verhindern.<br />

ranwa<strong>ch</strong>sende und älter werdende Bu<strong>ch</strong>engeneration<br />

abgelöst wird, dürfte<br />

die Baumartendiversität wieder zunehmen,<br />

ganz besonders na<strong>ch</strong> Störungsereignissen<br />

wie Windwurf.»<br />

Die zu einem bestimmten Zeitpunkt<br />

beoba<strong>ch</strong>tete Artenvielfalt in<br />

einem Naturwald ist also nur eine Momentaufnahme<br />

aus einem endlosen<br />

Film, der lange ein Zeitlupentempo<br />

einhält, um plötzli<strong>ch</strong> wie im Zeitraffer<br />

abzulaufen, wenn si<strong>ch</strong> die Ereignisse<br />

na<strong>ch</strong> einem Sturm oder Waldbrand<br />

überstürzen. Anders ist es im Wirts<strong>ch</strong>aftswald<br />

– hier endet der Film,<br />

no<strong>ch</strong> bevor alle Protagonisten auftreten<br />

konnten.<br />

Nicolas Gattlen<br />

Weiterführende Links unter<br />

www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/magazin<strong>2012</strong>-3-08<br />

KONTAKT<br />

Markus Bolliger<br />

Sektion Jagd, Wildtiere und<br />

Waldbiodiversität, BAFU<br />

031 324 77 87<br />

markus.bolliger@bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />

43


GÖTEBORG-PROTOKOLL<br />

Lufts<strong>ch</strong>adstoffe respektieren<br />

keine Grenzen<br />

Die S<strong>ch</strong>adstoffbelastung der Luft in Europa hat seit den frühen 1990er-Jahren stark ab-<br />

genommen. Die bisherigen Forts<strong>ch</strong>ritte auf internationaler Ebene genügen aber ni<strong>ch</strong>t,<br />

um die mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Gesundheit und empfindli<strong>ch</strong>e Ökosysteme ausrei<strong>ch</strong>end zu s<strong>ch</strong>ützen.<br />

Deshalb sollen neue Etappenziele für das Jahr 2020 und eine entspre<strong>ch</strong>ende Vers<strong>ch</strong>ärfung<br />

des Göteborg-Protokolls die Luftqualität nun weiter verbessern.<br />

Belastete Luft kennt keine Grenzen.<br />

Selbst auf dem Grund s<strong>ch</strong>einbar unberührter<br />

Seen in der Arktis stiess ein Fors<strong>ch</strong>erteam<br />

der University of Washington<br />

im nordamerikanis<strong>ch</strong>en Seattle jüngst<br />

auf erhöhte Stickstoffgehalte. Wie die<br />

Fa<strong>ch</strong>leute Ende 2011 im Wissens<strong>ch</strong>aftsmagazin<br />

«Science» beri<strong>ch</strong>teten, liefern<br />

ihre Sedimentanalysen in 36 Seen etwa<br />

ab 1895 erste Hinweise auf einen steigenden<br />

Stickstoffeintrag aus der Atmosphäre.<br />

Seit Mitte des 20. Jahrhunderts<br />

hat die unerwüns<strong>ch</strong>te Düngung (Eutrophierung)<br />

der untersu<strong>ch</strong>ten Gewässer<br />

in Skandinavien, Kanada und den USA<br />

markant zugenommen. Dies gilt für<br />

entlegene Bergseen in den gemässigten<br />

Breiten ebenso wie für die Polargebiete.<br />

Die vor allem in den Gebirgsregionen<br />

und im hohen Norden von Natur<br />

aus nährstoffarmen Gewässer sind bei<br />

Weitem ni<strong>ch</strong>t die einzigen Ökosysteme,<br />

denen die <strong>ch</strong>ronis<strong>ch</strong>e Überdüngung aus<br />

der Luft sowie die allmähli<strong>ch</strong>e Versauerung<br />

zusetzen. Au<strong>ch</strong> Wälder, Weiden,<br />

Magerwiesen, Moore und Sümpfe dienen<br />

als Lebensraum für eine spezialisierte<br />

Vegetation. Sie hat si<strong>ch</strong> im Lauf<br />

der Evolution optimal auf die Nährstoffarmut<br />

eingestellt. Bei einer s<strong>ch</strong>lei<strong>ch</strong>enden<br />

Eutrophierung, wel<strong>ch</strong>e si<strong>ch</strong> über<br />

Jahrzehnte hinziehen kann, werden<br />

44<br />

diese Hungerkünstler allmähli<strong>ch</strong> von<br />

nährstoffliebenden Pflanzen verdrängt,<br />

was si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> negativ auf die Artenvielfalt<br />

der lokalen Fauna auswirkt.<br />

Weit transportierte S<strong>ch</strong>adstoffe. Je na<strong>ch</strong><br />

Windströmung werden umwelt- und<br />

gesundheitss<strong>ch</strong>ädigende Lufts<strong>ch</strong>adstoffe<br />

wie Stickoxide (NO x), S<strong>ch</strong>wefeldioxid<br />

(SO 2) und Feinstaub über Hunderte von<br />

Kilometern verfra<strong>ch</strong>tet. Damit können<br />

beispielsweise Emissionen in Italien,<br />

Frankrei<strong>ch</strong> und Deuts<strong>ch</strong>land au<strong>ch</strong> bei<br />

uns die Hintergrundbelastung der Luft<br />

beeinflussen. Umgekehrt werden Lufts<strong>ch</strong>adstoffe<br />

aus S<strong>ch</strong>weizer Quellen au<strong>ch</strong><br />

in die Na<strong>ch</strong>barländer verweht.<br />

Im Rahmen der UN-Wirts<strong>ch</strong>aftskommission<br />

für Europa (UNECE) haben si<strong>ch</strong><br />

die Mitgliedsstaaten bereits 1979 auf<br />

ein internationales Übereinkommen<br />

zur Bekämpfung dieser weiträumigen<br />

grenzübers<strong>ch</strong>reitenden Luftverunreinigung<br />

geeinigt. «Das mittlerweile von<br />

rund 50 Ländern ratifizierte Abkommen<br />

ist die älteste Umwelts<strong>ch</strong>utz-Konvention»,<br />

erläutert Ri<strong>ch</strong>ard Ballaman, Chef<br />

der Sektion Luftqualität beim BAFU.<br />

«Dank der regelmässigen Erarbeitung<br />

von Zusatzprotokollen, die Lösungen<br />

für gegenwärtige und künftige Probleme<br />

im Berei<strong>ch</strong> der Luftreinhaltung vor-<br />

s<strong>ch</strong>lagen, gilt das UNECE-Abkommen<br />

aber na<strong>ch</strong> wie vor als sehr modern.»<br />

Das Göteborg-Protokoll als Meilenstein.<br />

Eine wi<strong>ch</strong>tige Wegmarke war insbesondere<br />

das 1999 verabs<strong>ch</strong>iedete<br />

Göteborg-Protokoll zur Verringerung<br />

von Versauerung, Eutrophierung und<br />

bodennahem Ozon. Es begrenzt die<br />

aus Si<strong>ch</strong>t der Ökosysteme und der<br />

mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Gesundheit besonders<br />

problematis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>adstoffe SO 2, NO x,<br />

Ammoniak (NH 3) sowie die flü<strong>ch</strong>tigen<br />

organis<strong>ch</strong>en Verbindungen (VOC).<br />

In einer ersten Etappe mit dem Zieljahr<br />

2010 hatten si<strong>ch</strong> die inzwis<strong>ch</strong>en<br />

26 Unterzei<strong>ch</strong>nerstaaten des Protokolls<br />

– darunter die S<strong>ch</strong>weiz, die Europäis<strong>ch</strong>e<br />

Union sowie die USA – zu länderspezifis<strong>ch</strong>en<br />

Reduktionszielen für diese<br />

vier relevanten Lufts<strong>ch</strong>adstoffe verpfli<strong>ch</strong>tet.<br />

Die entspre<strong>ch</strong>enden Vorgaben ri<strong>ch</strong>ten<br />

si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> einer Bewertungsmethode<br />

für eine mögli<strong>ch</strong>st wirkungsorientierte<br />

und kosteneffiziente Verminderung der<br />

Luftverunreinigungen.<br />

Im Verglei<strong>ch</strong> zum Bezugsjahr 1990<br />

ma<strong>ch</strong>en die in Europa angestrebten<br />

Emissionsreduktionen je na<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>adstoff<br />

rund 40 bis gut 60 Prozent aus.<br />

Im Gegensatz zur S<strong>ch</strong>weiz, wel<strong>ch</strong>e alle<br />

entspre<strong>ch</strong>enden Verpfli<strong>ch</strong>tungen er-<br />

umwelt 3/<strong>2012</strong> > Luftreinhaltung


«Aufgrund ihrer Lage mitten in Europa wird die<br />

S<strong>ch</strong>weiz unmittelbar von weiteren Verbesserungen der<br />

Luftqualität in den EU-Staaten profitieren.»<br />

füllt hat und die internationalen Vorgaben<br />

für SO 2 und VOC sogar deutli<strong>ch</strong><br />

übertreffen konnte, haben 10 Länder<br />

ihre Emissionsziele für NO x verfehlt,<br />

wie eine Auswertung der Europäis<strong>ch</strong>en<br />

Umweltagentur (EUA) zeigt. «Die bisherigen<br />

Anstrengungen zur Reduktion<br />

der Luftverunreinigungen rei<strong>ch</strong>en aber<br />

ohnehin ni<strong>ch</strong>t aus, um die kritis<strong>ch</strong>en<br />

Eintragsraten in empfindli<strong>ch</strong>e Ökosysteme<br />

und die no<strong>ch</strong> tragbare Ozonbelastung<br />

zu unters<strong>ch</strong>reiten», stellt Ri<strong>ch</strong>ard<br />

Ballaman fest. «Dazu brau<strong>ch</strong>t es auf paneuropäis<strong>ch</strong>er<br />

Ebene weitere Emissionsminderungen.»<br />

Als Vorsitzender der<br />

Arbeitsgruppe «Strategies and Review»<br />

leitete der BAFU-Luftexperte in den<br />

letzten Jahren denn au<strong>ch</strong> die internationalen<br />

Verhandlungen über eine Weiterentwicklung<br />

des Göteborg-Protokolls<br />

für die Verpfli<strong>ch</strong>tungsperiode bis 2020.<br />

Es geht dabei um einen zusätzli<strong>ch</strong>en<br />

wi<strong>ch</strong>tigen S<strong>ch</strong>ritt, der freili<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t alle<br />

lufthygienis<strong>ch</strong>en Probleme lösen wird.<br />

Neu soll das revidierte Protokoll au<strong>ch</strong><br />

die Belastung der Atemluft mit lun-<br />

Luftreinhaltung > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />

Ri<strong>ch</strong>ard Ballaman, BAFU<br />

gengängigem Feinstaub vermindern.<br />

Wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Erkenntnisse weisen<br />

nämli<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong>, dass die heutige Exposition<br />

der Bevölkerung eine deutli<strong>ch</strong><br />

geringere Lebenserwartung bewirkt. Die<br />

bisherigen Regelungen erfassten ledigli<strong>ch</strong><br />

die Vorläufer der sekundären Feinpartikel,<br />

ohne jedo<strong>ch</strong> den besonders gesundheitss<strong>ch</strong>ädigenden<br />

Russausstoss zu<br />

limitieren.<br />

«Aufgrund ihrer Lage mitten in Europa<br />

wird die S<strong>ch</strong>weiz unmittelbar von<br />

weiteren Verbesserungen der Luftqualität<br />

in den EU-Staaten profitieren», sagt<br />

Ri<strong>ch</strong>ard Ballaman. «Trotzdem werden<br />

uns die lufthygienis<strong>ch</strong>en Dauerbrenner<br />

– wie der Sommersmog dur<strong>ch</strong> zu hohe<br />

Ozongehalte, umwelts<strong>ch</strong>ädigende Stickstoffeinträge<br />

oder die übermässige Feinstaubbelastung<br />

– in ganz Europa no<strong>ch</strong><br />

lange bes<strong>ch</strong>äftigen.»<br />

Vers<strong>ch</strong>ärfte Grenzwerte. Mit strengeren<br />

Limiten für den S<strong>ch</strong>adstoffausstoss aus<br />

Verbrennungsanlagen, s<strong>ch</strong>ärferen Abgasnormen<br />

für neue Fahrzeuge oder<br />

Oberhalb von St. Peter im<br />

S<strong>ch</strong>anfigg (GR) trübt die<br />

vers<strong>ch</strong>mutzte Luft über dem<br />

Churer Rheintal den Weitblick<br />

auf die Gebirgszüge<br />

des Bündner Oberlandes.<br />

Bild: Keystone, Arno Balzarini<br />

te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en Vors<strong>ch</strong>riften zur Minderung<br />

der diffusen Emissionen von<br />

Lösungsmitteln aus Industrie- und Gewerbebetrieben<br />

ist die Mars<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>tung<br />

im revidierten Göteborg-Protokoll vorgegeben.<br />

Eher bes<strong>ch</strong>eiden muten hingegen<br />

die lufthygienis<strong>ch</strong>en Ziele in der<br />

Landwirts<strong>ch</strong>aft an, da si<strong>ch</strong> die Staatengemeins<strong>ch</strong>aft<br />

hier ni<strong>ch</strong>t auf ehrgeizige<br />

Vorgaben für eine Reduktion der Ammoniakemissionen<br />

aus der Nutztierhaltung<br />

einigen konnte.<br />

Damit die S<strong>ch</strong>weiz die gesteckten<br />

Ziele der zweiten Verpfli<strong>ch</strong>tungsperiode<br />

errei<strong>ch</strong>en kann, sind bei einzelnen Anlagenkategorien<br />

kleinere Anpassungen<br />

an den Stand der Te<strong>ch</strong>nik erforderli<strong>ch</strong>,<br />

die das Luftreinhaltekonzept des Bundesrates<br />

von 2009 ohnehin vorsieht.<br />

Beat Jordi<br />

Weiterführende Links unter<br />

www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/magazin<strong>2012</strong>-3-09<br />

KONTAKT<br />

Ri<strong>ch</strong>ard Ballaman<br />

Sektions<strong>ch</strong>ef Luftqualität<br />

BAFU<br />

031 322 64 96<br />

ri<strong>ch</strong>ard.ballaman@bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />

45


LOKALE KLIMAINITIATIVEN<br />

Klimas<strong>ch</strong>utz beginnt im Kleinen<br />

Die internationalen Verhandlungen zum S<strong>ch</strong>utz des Weltklimas kommen seit Jahrzehnten nur s<strong>ch</strong>leppend voran.<br />

Viele Stadtbehörden und umweltbewusste Unternehmen wollen ni<strong>ch</strong>t auf die Ergebnisse warten. Sie denken s<strong>ch</strong>on<br />

heute global und handeln lokal. Dabei können sie auf eine breite Unterstützung dur<strong>ch</strong> die Bevölkerung und ihre<br />

Kunds<strong>ch</strong>aft zählen.<br />

Ende <strong>2012</strong> läuft die erste Verpfli<strong>ch</strong>tungsperiode<br />

der Staatengemeins<strong>ch</strong>aft zur<br />

weltweiten Reduktion der Treibhausgase<br />

aus. Die internationalen Verhandlungen<br />

für das im Rahmen der Klimakonvention<br />

bes<strong>ch</strong>lossene Kyoto-Protokoll dauerten<br />

damals 6Jahre. Zwis<strong>ch</strong>en dem<br />

Dur<strong>ch</strong>bru<strong>ch</strong> an der Klimakonferenz in<br />

Japan und der formellen Inkraftsetzung<br />

des Protokolls im Jahr 2005 verstri<strong>ch</strong>en<br />

46<br />

dann no<strong>ch</strong>mals gut 7 Jahre. Trotz intensiver<br />

Bemühungen konnten si<strong>ch</strong> die<br />

Staaten bis heute ni<strong>ch</strong>t auf einen verbindli<strong>ch</strong>en<br />

Zeitplan und auf konkrete<br />

Reduktionsziele für eine weitere Verpfli<strong>ch</strong>tungsperiode<br />

einigen. Die kommenden<br />

Klimakonferenzen sollen diesbezügli<strong>ch</strong><br />

mehr Klarheit bringen und<br />

neu au<strong>ch</strong> bisher abseits stehende Grossemittenten<br />

wie die USA, China oder In-<br />

dien einbeziehen. Do<strong>ch</strong> gerade beim<br />

Klimas<strong>ch</strong>utz ist der Faktor Zeit ents<strong>ch</strong>eidend.<br />

Um eine gefährli<strong>ch</strong>e Störung des<br />

Klimasystems zu verhindern, soll die<br />

globale Erwärmung auf hö<strong>ch</strong>stens 2 °C<br />

gegenüber der vorindustriellen Zeit begrenzt<br />

werden. Der Weltklimarat IPCC<br />

re<strong>ch</strong>net vor, dass dazu eine Halbierung<br />

der weltweiten Treibhausgasemissionen<br />

bis 2050 notwendig ist.<br />

umwelt 3/<strong>2012</strong> > Klimas<strong>ch</strong>utz


Erfolgrei<strong>ch</strong>e Kampagne in Grossbritannien.<br />

Inzwis<strong>ch</strong>en sind si<strong>ch</strong> weite Teile der<br />

Bevölkerung der Tragweite dieses Problems<br />

bewusst und entspre<strong>ch</strong>end bereit,<br />

freiwillig etwas für den Klimas<strong>ch</strong>utz<br />

zu tun. Dies belegt etwa die ursprüngli<strong>ch</strong><br />

in Grossbritannien lancierte Kampagne<br />

«10:10». Die Unterzei<strong>ch</strong>nenden<br />

verpfli<strong>ch</strong>ten si<strong>ch</strong>, ihren CO 2-Ausstoss<br />

jährli<strong>ch</strong> um 10 Prozent zu reduzieren.<br />

Nur 3Tage na<strong>ch</strong> Lancierung des Projekts<br />

im Jahr 2009 hatten si<strong>ch</strong> bereits<br />

10 000 Privatpersonen, S<strong>ch</strong>ulen, Firmen<br />

und Organisationen angemeldet. Bis<br />

Ende April <strong>2012</strong> ist ihre Zahl auf rund<br />

120 000 Anhänger in mehreren Ländern<br />

angewa<strong>ch</strong>sen. Die Kampagne basiert auf<br />

der einfa<strong>ch</strong>en Idee, dass kontinuierli<strong>ch</strong>e<br />

Optimierungen einfa<strong>ch</strong>er zu realisieren<br />

sind als ehrgeizige Reduktionsziele in<br />

ferner Zukunft. So wirken 10 Prozent<br />

pro Jahr für viele greif barer als etwa<br />

50 Prozent bis 2050, wobei das s<strong>ch</strong>ritt-<br />

Klimas<strong>ch</strong>utz > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />

weise Vorgehen erst no<strong>ch</strong> viel ras<strong>ch</strong>er<br />

zum Ziel führt.<br />

Klimabündnisse in der S<strong>ch</strong>weiz. In der<br />

S<strong>ch</strong>weiz stützt si<strong>ch</strong> die Klimapolitik vor<br />

allem auf das CO 2-Gesetz. Für die Zeit<br />

na<strong>ch</strong> Inkrafttreten der Revision ab 2013<br />

hat das Parlament den Bundesbehörden<br />

eine aktivere Rolle beim lokalen Klimas<strong>ch</strong>utz<br />

übertragen. Demna<strong>ch</strong> sollen sie<br />

Gemeinden, Unternehmen sowie Konsumentinnen<br />

und Konsumenten über<br />

wirksame Massnahmen informieren<br />

und beraten. «I<strong>ch</strong> bin überzeugt, dass<br />

hier no<strong>ch</strong> ein grosses Potenzial bra<strong>ch</strong>liegt»,<br />

sagt Andrea Burkhardt, die Leiterin<br />

der Abteilung Klima beim BAFU.<br />

S<strong>ch</strong>on heute werden au<strong>ch</strong> hierzulande<br />

zahlrei<strong>ch</strong>e effektive Massnahmen<br />

freiwillig umgesetzt. So haben si<strong>ch</strong><br />

21 grössere Gemeinden im «KlimaBündnis-Städte<br />

S<strong>ch</strong>weiz» zusammenges<strong>ch</strong>lossen.<br />

Sie verfolgen gemeinsam lokale<br />

Klimas<strong>ch</strong>utzprojekte, setzen auf eine<br />

na<strong>ch</strong>haltige kommunale Energie- und<br />

Verkehrspolitik, fördern klimafreundli<strong>ch</strong>e<br />

Bauten sowie ein umweltverträgli<strong>ch</strong>es<br />

Bes<strong>ch</strong>affungswesen und sensibilisieren<br />

ihre Bevölkerung.<br />

Zudem tragen mittlerweile fast<br />

300 S<strong>ch</strong>weizer Gemeinden das Label<br />

«Energiestadt». Dieser Leistungsausweis<br />

bes<strong>ch</strong>einigt ihnen unter anderem,<br />

dass sie eine na<strong>ch</strong>haltige kommunale<br />

Energiepolitik betreiben, erneuerbare<br />

Energien fördern, auf eine umweltverträgli<strong>ch</strong>e<br />

<strong>Mobilität</strong> setzen und die Ressourcen<br />

effizient nutzen. Gemäss der<br />

Vision der 2000-Watt-Gesells<strong>ch</strong>aft sind<br />

sie bereit, ihren Energieverbrau<strong>ch</strong> kontinuierli<strong>ch</strong><br />

auf 2000 Watt oder 1 Tonne<br />

CO 2 pro Person und Jahr zu senken.<br />

Leu<strong>ch</strong>tturmprojekte in Genf und Züri<strong>ch</strong>. Als<br />

Vorbild gilt beispielsweise der Kanton<br />

Genf. Seit er das 2000-Watt-Ziel vor<br />

Ein Bekenntnis zur klimas<strong>ch</strong>onenden<br />

2000-Watt-<br />

Gesells<strong>ch</strong>aft an der Fassade<br />

eines neuen Wohngebäudes<br />

im Zür<strong>ch</strong>er Kreis 4. Das<br />

hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> verwendete<br />

Baumaterial aus S<strong>ch</strong>weizer<br />

Wäldern ist der Hauptgrund<br />

für die gute Energie- und<br />

Klimabilanz des Miethauses.<br />

Bilder: BAFU /AURA, E. Ammon<br />

47


Ein Leu<strong>ch</strong>tturmprojekt für die internationale<br />

Umweltstadt Genf: Mitten im Zentrum und<br />

direkt an der Rhone soll auf einem ehemaligen<br />

Industriegelände bis 2014 das erste Ökoquartier<br />

«Carré Vert» mit 300 energieeffizienten Wohnungen<br />

entstehen.<br />

Bilder: «Carré Vert»; Dreier Frenzel, Lausanne<br />

einigen Jahren in sein Energiekonzept<br />

aufgenommen hat, treibt er die konkrete<br />

Umsetzung mit Leu<strong>ch</strong>tturmprojekten<br />

voran. So entsteht etwa auf der Industriebra<strong>ch</strong>e<br />

eines ehemaligen Gaswerks<br />

am Quai du Rhône, mitten in der Innenstadt<br />

bis 2014 das erste Ökoquartier<br />

«Carré Vert» mit 300 Wohnungen. Vorgängig<br />

müssen allerdings no<strong>ch</strong> der mit<br />

S<strong>ch</strong>wermetallen, Kohlenwasserstoffen<br />

und Zyanid belastete Boden sowie das<br />

Grundwasser saniert werden.<br />

An der Fassade eines se<strong>ch</strong>sstöckigen<br />

Holzhauses an der Badenerstrasse mitten<br />

im di<strong>ch</strong>t besiedelten Zür<strong>ch</strong>er Kreis 4<br />

prangt das Klimaverspre<strong>ch</strong>en direkt an<br />

der Fassade: «Die Bewohnerinnen und<br />

Bewohner dieses Gebäudes verpfli<strong>ch</strong>ten<br />

si<strong>ch</strong>, ihren gesamten, stetigen Energieverbrau<strong>ch</strong><br />

auf maximal 2000 Watt<br />

pro Person zu reduzieren. Bei Vertragsbru<strong>ch</strong><br />

hat der Rest der Welt Anspru<strong>ch</strong><br />

auf sozialen Ausglei<strong>ch</strong> oder S<strong>ch</strong>adenersatz»,<br />

steht hier ges<strong>ch</strong>rieben.<br />

«Das ist Kunst am Bau und re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />

natürli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong>setzbar, aber die<br />

2000-Watt-Gesells<strong>ch</strong>aft gehört bei uns<br />

zum Konzept», erklärt Rolf Hefti, Ges<strong>ch</strong>äftsführer<br />

der verantwortli<strong>ch</strong>en Baugenossens<strong>ch</strong>aft<br />

Zurlinden. Züri<strong>ch</strong> liess<br />

als erste S<strong>ch</strong>weizer Stadt über die Ziele<br />

der 2000-Watt-Gesells<strong>ch</strong>aft abstimmen.<br />

Drei von vier Stimmen votierten dabei<br />

für eine Aufnahme in die Gemeindeordnung.<br />

«Für uns war dies ein Grund,<br />

um künftig auf na<strong>ch</strong>haltiges Bauen zu<br />

setzen», sagt Rolf Hefti. «Wir wollen zeigen,<br />

dass diese Ziele s<strong>ch</strong>on heute realisierbar<br />

sind.»<br />

48<br />

Der Hauptgrund für die gute Klimaund<br />

Energiebilanz des Gebäudes an<br />

der Badenerstrasse ist der verbaute<br />

Rohstoff. Er stammt aus S<strong>ch</strong>weizer<br />

Wäldern, ist CO 2-neutral und lässt si<strong>ch</strong><br />

bei einem späteren Abbru<strong>ch</strong> erst no<strong>ch</strong><br />

als Brennstoff nutzen. Für die einstigen<br />

S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>en von Holzbauten – wie den<br />

Brand- und S<strong>ch</strong>alls<strong>ch</strong>utz – hat man<br />

innovative Lösungen gefunden, etwa<br />

in Form einer lärmdämpfenden Splitts<strong>ch</strong>üttung<br />

in den Holzdecken.<br />

Im Interesse einer Reduktion der<br />

grauen Energie setzt die Baugenossens<strong>ch</strong>aft<br />

au<strong>ch</strong> in Sa<strong>ch</strong>en <strong>Mobilität</strong> auf<br />

eine klimaverträgli<strong>ch</strong>e Strategie. In den<br />

Mietpreisen ihres neusten Projekts am<br />

Sihlbogen im Zür<strong>ch</strong>er Kreis 2 ist ein<br />

Abonnement für den Zür<strong>ch</strong>er Verkehrsverbund<br />

enthalten. Parkplätze stehen<br />

praktis<strong>ch</strong> keine zur Verfügung. Hingegen<br />

wird die Genossens<strong>ch</strong>aft Mobility-Fahrzeuge<br />

oder eigene Elektroautos<br />

zur gemeinsamen Nutzung bereitstellen.<br />

«Die zentrale Lage erlei<strong>ch</strong>tert den<br />

Verzi<strong>ch</strong>t auf ein eigenes Auto», stellt<br />

Rolf Hefti fest.<br />

Na<strong>ch</strong>haltigkeit zahlt si<strong>ch</strong> aus. Im Gegensatz<br />

zur Baugenossens<strong>ch</strong>aft Zurlinden,<br />

in der si<strong>ch</strong> mehrheitli<strong>ch</strong> kleine und<br />

mittlere Unternehmen (KMU) aus der<br />

Baubran<strong>ch</strong>e zusammenges<strong>ch</strong>lossen haben,<br />

sind in der Familienheimgenossens<strong>ch</strong>aft<br />

Züri<strong>ch</strong> (FGZ) die jeweiligen<br />

Mietparteien vertreten. 2011 stimmten<br />

sie fast einhellig einem Kredit von rund<br />

16 Millionen Franken für den Bau eines<br />

Netzes zur Versorgung der 2200 Haushalte<br />

mit Abwärme (Anergie) zu. Damit<br />

soll der Energiebedarf bis 2050 von<br />

heute 35 auf 15 Gigawattstunden reduziert<br />

werden. Dur<strong>ch</strong> den weitgehenden<br />

Ersatz der fossilen Brennstoffe Öl und<br />

Gas dur<strong>ch</strong> Abwärme und Sonnenenergie<br />

nimmt der jährli<strong>ch</strong>e CO 2-Ausstoss<br />

umwelt 3/<strong>2012</strong> > Klimas<strong>ch</strong>utz


Insbesondere bei steigenden Energiepreisen s<strong>ch</strong>ont<br />

der sparsame Umgang mit fossilen Brennstoffen ni<strong>ch</strong>t<br />

nur das Klima, sondern bringt zusätzli<strong>ch</strong> finanzielle<br />

Einsparungen.<br />

jedo<strong>ch</strong> viel stärker ab. «Beim Bau des<br />

Fernwärmenetzes kommt uns das kompakte<br />

Siedlungsgebiet entgegen», stellt<br />

der FGZ-Ges<strong>ch</strong>äftsführer Josef Köpfli<br />

fest. Kurzfristig dürfte die Investition<br />

die monatli<strong>ch</strong>en Mietkosten pro Wohnung<br />

um 10 bis 15 Franken erhöhen,<br />

längerfristig werde sie si<strong>ch</strong> jedo<strong>ch</strong> auszahlen.<br />

Insbesondere bei steigenden Energiepreisen<br />

s<strong>ch</strong>ont der sparsame Umgang<br />

mit fossilen Brennstoffen ni<strong>ch</strong>t nur das<br />

Klima, sondern bringt zusätzli<strong>ch</strong> finanzielle<br />

Einsparungen. Dies ma<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong><br />

au<strong>ch</strong> die Klimastiftung S<strong>ch</strong>weiz zunutze,<br />

indem sie KMU beim Energiesparen<br />

unterstützt. Die Finanzierung folgt dem<br />

Prinzip «Die Grossen helfen den Kleinen».<br />

So stammt das Geld von 21 Dienstleistungsunternehmen<br />

wie Banken und<br />

Versi<strong>ch</strong>erungen, die dafür Mittel aus<br />

der Rückverteilung der CO 2-Abgabe zur<br />

Verfügung stellen. Gefördert werden<br />

unter anderem innovative Projekte wie<br />

beispielsweise die Kühlung von Lagerräumen<br />

mit Regenwasser statt mit<br />

Kaltluft. Gelder fliessen au<strong>ch</strong> in die Entwicklung<br />

eines Vakuum-Wäs<strong>ch</strong>etrockners,<br />

der bei glei<strong>ch</strong>er Leistung nur halb<br />

so viel Energie brau<strong>ch</strong>t wie herkömmli<strong>ch</strong>e<br />

Modelle.<br />

Klimas<strong>ch</strong>utz > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />

Mehr Umsatz – weniger CO 2. Das stärkere<br />

Klimabewusstsein zeigt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> im<br />

Konsumverhalten. «Die Na<strong>ch</strong>frage na<strong>ch</strong><br />

sozialethis<strong>ch</strong>en und na<strong>ch</strong>haltigen Produkten<br />

steigt ungebremst», konstatiert<br />

Jürg Peritz, Marketingleiter von Coop.<br />

So konnte der Grossverteiler etwa seinen<br />

Umsatz mit den vollständig CO 2neutralen<br />

Naturaline-Textilien seit den<br />

frühen 1990er-Jahren von 3 auf rund<br />

60 Millionen Franken steigern. Bereits<br />

sind etwa 60 Prozent der Baumwolltextilien<br />

in Coop-Supermärkten Naturaline-Produkte.<br />

«Wir wollen zeigen, dass<br />

Fashion Fairness ni<strong>ch</strong>t auss<strong>ch</strong>liesst»,<br />

sagt Jürg Peritz.<br />

Beim Stromverbrau<strong>ch</strong> setzt Coop<br />

inzwis<strong>ch</strong>en voll auf die Wasserkraft.<br />

Seit 2008 sind die firmeneigenen CO 2-<br />

Emissionen um 9500 Tonnen oder 7 Prozent<br />

gesunken. Als Mitglied der WWF<br />

Climate Group hat si<strong>ch</strong> das Unternehmen<br />

unter anderem zu konkreten Reduktionszielen<br />

verpfli<strong>ch</strong>tet. Neben Coop<br />

beteiligen si<strong>ch</strong> weitere Grossfirmen wie<br />

Migros, Ikea, Swisscom oder die Post.<br />

Trotz steigender Umsätze haben die 11<br />

beteiligten Unternehmen ihre CO 2-Emissionen<br />

zwis<strong>ch</strong>en 2005 und 2010 um insgesamt<br />

150000 Tonnen oder 21 Prozent<br />

verringert.<br />

Aufklärung über den Klimawandel. Szenenwe<strong>ch</strong>sel:<br />

Auf dem grossen Parkplatz<br />

vor dem Hotel Wetterhorn in Grindelwald<br />

(BE) ist die Si<strong>ch</strong>t auf den Oberen<br />

Grindelwaldglets<strong>ch</strong>er beeindruckend.<br />

Do<strong>ch</strong> eine Stimme im Ohr sagt: «In den<br />

1980er-Jahren rei<strong>ch</strong>te der Glets<strong>ch</strong>er<br />

no<strong>ch</strong> bis in die bewaldete Flä<strong>ch</strong>e hinunter.<br />

Diese Lands<strong>ch</strong>aft wird si<strong>ch</strong> in<br />

den kommenden Jahrzehnten mit dem<br />

Klimawandel verändern.» Die Stimme<br />

stammt aus einem zuvor im Bergdorf<br />

gemieteten iPhone, das über die Auswirkungen<br />

des Klimawandels vor Ort<br />

aufklärt. Mit dem Smartphone in der<br />

Hand begeben si<strong>ch</strong> die interessierten<br />

Gäste auf einen von sieben Lehrpfaden.<br />

Mit diesem Angebot ma<strong>ch</strong>en die Verantwortli<strong>ch</strong>en<br />

der Tourismusdestination<br />

Jungfrau-Region auf die gut ersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en<br />

Folgen der Klimaerwärmung im<br />

Alpenraum aufmerksam. Zudem versu<strong>ch</strong>en<br />

sie, die Treibhausgasemissionen in<br />

der Region zu senken und damit selber<br />

einen Beitrag zum Klimas<strong>ch</strong>utz zu leisten.<br />

Na<strong>ch</strong> dem eindrückli<strong>ch</strong>en Besu<strong>ch</strong><br />

im Berner Oberland werden si<strong>ch</strong> wohl<br />

au<strong>ch</strong> einige Feriengäste diesem Anliegen<br />

ans<strong>ch</strong>liessen.<br />

Andres Eberhard<br />

Weiterführende Links unter<br />

www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/magazin<strong>2012</strong>-3-10<br />

KONTAKT<br />

Andrea Burkhardt<br />

Chefin der Abteilung Klima<br />

BAFU<br />

031 322 64 94<br />

andrea.burkhardt@bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />

49


KUNSTSTOFFRECYCLING<br />

Bald ein Einwurflo<strong>ch</strong> mehr?<br />

Der Anteil von Kunststoffen am Haushaltkehri<strong>ch</strong>t steigt kontinuierli<strong>ch</strong> an. Wie die neusten<br />

Bewertungen zeigen, eignen si<strong>ch</strong> einzelne Kunststoffprodukte im Abfall dur<strong>ch</strong>aus<br />

für eine Verwertung. Knackpunkte eines erweiterten Recyclings bleiben jedo<strong>ch</strong> die<br />

Finanzierung und die Standorte der Sammelsysteme.<br />

Das Verstauen des Wo<strong>ch</strong>enendeinkaufs<br />

im Kühls<strong>ch</strong>rank und auf dem Kü<strong>ch</strong>enregal<br />

ma<strong>ch</strong>t es augenfällig: Der Stapel<br />

leerer Plastiktragtas<strong>ch</strong>en wird no<strong>ch</strong><br />

grösser, und Multipackungen müssen<br />

meist von einer Kunststofffolie befreit<br />

werden, die umgehend im Abfall landet.<br />

Au<strong>ch</strong> immer mehr Lebensmittel,<br />

die früher in Gebinden aus Glas, Metall<br />

oder Karton verkauft wurden, sind heute<br />

in Verpackungen aus Polyethylen,<br />

Polystyrol, PET und weiteren Kunststoffen<br />

abgefüllt. Bei steigender Tendenz<br />

ma<strong>ch</strong>en sie im Kehri<strong>ch</strong>tsack inzwis<strong>ch</strong>en<br />

bereits 15 Gewi<strong>ch</strong>tsprozente aus.<br />

Mit Ausnahme von PET-Flas<strong>ch</strong>en,<br />

für die ein feinmas<strong>ch</strong>iges Sammelnetz<br />

mit einer hohen Verwertungsquote von<br />

80 Prozent besteht, landen die meisten<br />

Verpackungsabfälle aus Plastik im Kehri<strong>ch</strong>t.<br />

Do<strong>ch</strong> weshalb werden ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong><br />

andere Kunststofffraktionen aus den<br />

Haushalten separat erfasst und rezykliert?<br />

«Eine Sammlung und Verwertung<br />

von vermis<strong>ch</strong>ten Plastikrückständen<br />

wäre für die Herstellung von neuen Produkten<br />

unbrau<strong>ch</strong>bar», erklärt Mi<strong>ch</strong>el<br />

Monteil, Chef der Sektion Abfallverwertung<br />

und -behandlung beim BAFU. «Bevor<br />

man sol<strong>ch</strong>e Abfälle eins<strong>ch</strong>melzen<br />

kann, müssen sie sorgfältig sortiert, zer-<br />

50<br />

kleinert und gewas<strong>ch</strong>en werden. Diese<br />

Aufbereitung verursa<strong>ch</strong>t vor allem bei<br />

stark vers<strong>ch</strong>mutzten Kunststoffen einen<br />

beträ<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Aufwand.»<br />

Kein zwingender Handlungsbedarf. Zudem<br />

verteuert das beträ<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Volumen<br />

vieler Verpackungen die Rücknahme<br />

und den Transport. Es sind denn au<strong>ch</strong><br />

primär die verglei<strong>ch</strong>sweise hohen<br />

Kosten, wel<strong>ch</strong>e bisher weitere Separatsammlungen<br />

von Plastikgebinden<br />

verhindert haben. Dazu kommt, dass<br />

hierzulande aus ökologis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t<br />

kein dringender Handlungsbedarf besteht,<br />

weil bei uns die meisten Kunststoffrückstände<br />

in den Siedlungsabfall<br />

gelangen – und damit in Kehri<strong>ch</strong>tverbrennungsanlagen<br />

(KVA) energetis<strong>ch</strong><br />

genutzt werden. Anders verhält es si<strong>ch</strong><br />

in Ländern wie Grossbritannien oder<br />

Italien, wo na<strong>ch</strong> wie vor grosse Mengen<br />

an Siedlungsabfällen auf Deponien landen.<br />

Dadur<strong>ch</strong> werden die Plastikrückstände<br />

zum Teil weiträumig verweht,<br />

was die Lands<strong>ch</strong>aft verunstaltet und die<br />

Gewässer belastet.<br />

Ökoeffizientes Recycling. Eine neue Studie<br />

zeigt nun aber, dass die stoffli<strong>ch</strong>e<br />

Verwertung bestimmter Plastikabfälle<br />

au<strong>ch</strong> bei uns dur<strong>ch</strong>aus ökoeffizient sein<br />

kann. «Dies gilt zum Beispiel für das<br />

Recycling von Hohlkörpern und grossen<br />

Folien», stellt Mi<strong>ch</strong>el Monteil fest. «Es<br />

könnte die Umwelt entlasten und wäre<br />

au<strong>ch</strong> volkswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> sinnvoll, weil<br />

dadur<strong>ch</strong> wertvolle Rohstoffe wie insbesondere<br />

Erdöl eingespart würden.»<br />

Seit dem Frühjahr 2010 treffen si<strong>ch</strong><br />

Fa<strong>ch</strong>leute von Bund, Kantonen, Gemeinden,<br />

des Detailhandels und der<br />

Bran<strong>ch</strong>e regelmässig am «Runden Tis<strong>ch</strong><br />

Kunststoffrecycling». Dieses Gremium<br />

erarbeitet Ents<strong>ch</strong>eidungsgrundlagen<br />

und dient der gemeinsamen Lösungssu<strong>ch</strong>e<br />

zur Auss<strong>ch</strong>öpfung der Verwertungspotenziale.<br />

In seinem Auftrag soll eine<br />

Studie unter anderem klären, wel<strong>ch</strong>e<br />

zusätzli<strong>ch</strong>en Kunststofffraktionen si<strong>ch</strong><br />

für eine separate Verwertung eignen.<br />

Dana<strong>ch</strong> muss si<strong>ch</strong> zeigen, ob einzelne<br />

Partner – wie etwa Gemeinden, der Detailhandel<br />

oder private Organisationen<br />

– bereit sind, sol<strong>ch</strong>e Abfälle zurückzunehmen.<br />

Die Frage der Finanzierung<br />

dürfte dabei eine S<strong>ch</strong>lüsselrolle spielen.<br />

Die Interessengemeins<strong>ch</strong>aft Detailhandel<br />

S<strong>ch</strong>weiz (IG DHS) hat die Ma<strong>ch</strong>barkeit<br />

einer kombinierten Hohlkörpersammlung<br />

für Kunststoffflas<strong>ch</strong>en,<br />

PE-Mil<strong>ch</strong>flas<strong>ch</strong>en und Getränkekartons<br />

umwelt 3/<strong>2012</strong> > Abfallwirts<strong>ch</strong>aft


Abfallwirts<strong>ch</strong>aft > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />

PRODUKTIONS-<br />

ABFäLLE<br />

STOFFLICHES RECYCLING<br />

80 000 t Rezyklat<br />

Kunststoffflüsse in der S<strong>ch</strong>weiz für das Jahr 2010<br />

110 000 t<br />

90 000 t<br />

80 000 t<br />

30 000 t<br />

SONSTIGES 24 %<br />

ELEKTRO-<br />

GERäTE 5%<br />

FAHRZEUGE<br />

9%<br />

PRODUKTION<br />

Granulate, Halb- und<br />

Fertigfabrikate<br />

VERBRAUCH<br />

in der S<strong>ch</strong>weiz pro Jahr<br />

1000 000 t<br />

ABFALL<br />

s<strong>ch</strong>weizweit (aus<br />

Verbrau<strong>ch</strong>, Zwis<strong>ch</strong>enlager<br />

und Produktion)<br />

780 000 t<br />

SORTIERUNG<br />

AUFBEREITUNG<br />

145 000 t<br />

5000 t<br />

45 000 t<br />

ENERGETISCHE<br />

VERWERTUNG<br />

50 000 t<br />

VERPACKUNG 37 %<br />

BAU 25 %<br />

430 000 t<br />

Das Zwis<strong>ch</strong>enlager an Kunststoffen in Form von langlebigen Gütern wie Bauteilen oder Fahrzeugen<br />

nimmt jährli<strong>ch</strong> um rund 255 000 Tonnen zu. Derzeit werden etwa 70 Prozent des Jahresverbrau<strong>ch</strong>s<br />

an Plastik energetis<strong>ch</strong> genutzt. Produktströme = blaue Pfeile; Abfallflüsse = grüne Pfeile; industrielle<br />

Prozesse im In- und Ausland = gelb.<br />

570 000 t<br />

10 000 t<br />

5000 t<br />

ZWISCHENLAGER<br />

je na<strong>ch</strong> Verweildauer<br />

320 000 t<br />

635 000 t<br />

KEHRICHTVERBRENNUNG<br />

650 000 t<br />

Grafik: Redilo GmbH /BAFU /Ruth S<strong>ch</strong>ürmann<br />

51


in ihren Verkaufsstellen 2011 bereits<br />

auf eigene Initiative geprüft. Aufgrund<br />

der besonders in kleinen Filialen knappen<br />

Platzverhältnisse und der erforderli<strong>ch</strong>en<br />

Investitionen in die Rücknahmelogistik<br />

hat sie jedo<strong>ch</strong> ents<strong>ch</strong>ieden,<br />

keine flä<strong>ch</strong>endeckende Sammlung<br />

anzubieten. Dies s<strong>ch</strong>liesst jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

aus, dass einzelne grössere Verkaufsstellen<br />

oder Detailhändler trotzdem<br />

eine Rücknahme der Kunststoffflas<strong>ch</strong>en<br />

anbieten, wie dies etwa in der Region<br />

Luzern bereits der Fall ist.<br />

«Gemeinden, die versu<strong>ch</strong>sweise sol<strong>ch</strong>e<br />

Sammlungen einführen wollen, raten<br />

wir, die erwüns<strong>ch</strong>ten Abfälle genau zu<br />

definieren», sagt Mi<strong>ch</strong>el Monteil. «Dadur<strong>ch</strong><br />

können sie vermeiden, dass stark<br />

vers<strong>ch</strong>mutzte Folien, Joghurtbe<strong>ch</strong>er<br />

oder Verbundpackungen in den Containern<br />

landen, die aufgrund der Verunreinigungen<br />

s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> do<strong>ch</strong> in KVAs<br />

verbrannt werden müssen.» Gestützt<br />

auf die geltenden gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen<br />

liegt es s<strong>ch</strong>on heute in der Kompetenz<br />

der Kantone zu ents<strong>ch</strong>eiden, ob<br />

die Gemeinden auf ihrem Gebiet Separatsammlungen<br />

von Kunststoffabfällen<br />

anbieten dürfen oder gar sollen.<br />

Weniger Probleme bereiten die relativ<br />

einheitli<strong>ch</strong>en Plastikfraktionen aus<br />

Industrie- und Gewerbebetrieben. So<br />

eignen si<strong>ch</strong> etwa Polyethylenfolien aus<br />

der Distribution sowie Abs<strong>ch</strong>nitte oder<br />

dickwandige Kanister sehr gut für das<br />

52<br />

Recycling und erzielen teilweise hohe<br />

Erlöse.<br />

Thermis<strong>ch</strong>e Verwertung. Wird eine thermis<strong>ch</strong>e<br />

Verwertung angestrebt, bestehen<br />

grundsätzli<strong>ch</strong> zwei Mögli<strong>ch</strong>keiten.<br />

Entweder belässt man die Kunststoffe<br />

in den Siedlungsabfällen, womit sie in<br />

Kehri<strong>ch</strong>tverbrennungsanlagen zu Strom<br />

und Wärme umgewandelt werden, oder<br />

sie dienen als alternativer Brennstoff in<br />

Zementwerken. Die S<strong>ch</strong>weizer Zementindustrie<br />

setzt bereits heute beträ<strong>ch</strong>t-<br />

«Eine Sammlung und Verwertung von vermis<strong>ch</strong>ten<br />

Plastikrückständen wäre für die Herstellung von<br />

neuen Produkten unbrau<strong>ch</strong>bar.» Mi<strong>ch</strong>el Monteil, BAFU<br />

li<strong>ch</strong>e Mengen an Kunststoffen ein, die<br />

meistens aus Produktionsrückständen<br />

von Industrie- und Gewerbebetrieben<br />

bestehen. Ein na<strong>ch</strong>trägli<strong>ch</strong>es Aussortieren<br />

der Plastikbestandteile aus den<br />

gemis<strong>ch</strong>ten Siedlungsabfällen ist na<strong>ch</strong><br />

dem geltenden Umweltre<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t zulässig.<br />

Mögli<strong>ch</strong>keiten der Finanzierung. Zur verursa<strong>ch</strong>ergere<strong>ch</strong>ten<br />

Finanzierung der<br />

Verwertungskosten kommt einerseits<br />

ein vorgezogener Recyclingbeitrag<br />

(VRB) auf privatwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Basis in<br />

Frage, wie er im Inland bereits für die<br />

stoffli<strong>ch</strong>e Verwertung von PET-Getränkeflas<strong>ch</strong>en<br />

und Aluminiumdosen existiert.<br />

«Ein sol<strong>ch</strong>es System müsste selbst<br />

bei einem stark s<strong>ch</strong>wankenden Erdölpreis<br />

stabil bleiben, denn die langfristige<br />

Entsorgungssi<strong>ch</strong>erheit hat au<strong>ch</strong> beim<br />

Recycling oberste Priorität», sagt Mi<strong>ch</strong>el<br />

Monteil. Kann si<strong>ch</strong> die betroffene Bran<strong>ch</strong>e<br />

ni<strong>ch</strong>t auf eine sol<strong>ch</strong>e Lösung einigen,<br />

wäre andererseits au<strong>ch</strong> eine vom<br />

Bund vorges<strong>ch</strong>riebene vorgezogene<br />

Entsorgungsgebühr (VEG) mögli<strong>ch</strong>, wie<br />

sie hierzulande für Glasflas<strong>ch</strong>en und<br />

Batterien gilt. Gegenwärtig evaluiert<br />

der Runde Tis<strong>ch</strong> Kunststoffrecycling die<br />

Ma<strong>ch</strong>barkeit einzelner Sammel- und Recyclingsysteme.<br />

Sofern si<strong>ch</strong> die Betroffenen<br />

ni<strong>ch</strong>t auf eine freiwillige Lösung<br />

einigen können, müsste vor einer allfälligen<br />

Umsetzung zuerst ein Konsens auf<br />

politis<strong>ch</strong>er Ebene gefunden werden.<br />

Stoffflüsse unter der Lupe. Als wi<strong>ch</strong>tige<br />

Ents<strong>ch</strong>eidungsgrundlage hat das Fa<strong>ch</strong>gremium<br />

zuerst eine genaue Erhebung<br />

der aktuellen Mengenströme und Verwertungskanäle<br />

erarbeitet. Demna<strong>ch</strong><br />

sind in der S<strong>ch</strong>weiz 2010 insgesamt<br />

rund 1Million Tonnen oder 125 Kilogramm<br />

Kunststoff pro Kopf in den<br />

Wirts<strong>ch</strong>aftskreislauf gelangt. Davon<br />

entfallen unter anderem 26 Prozent auf<br />

Polyethylen, 16 Prozent auf Polypropylen<br />

und 15 Prozent auf PVC – vor<br />

allem Bauteile. 37 Prozent des Kunststoffverbrau<strong>ch</strong>s<br />

gehen auf das Konto<br />

von Verpackungen, und ein Viertel beanspru<strong>ch</strong>t<br />

die Baubran<strong>ch</strong>e. Ebenfalls<br />

bedeutend sind die Kunststoffabfälle<br />

aus der Landwirts<strong>ch</strong>aft, wel<strong>ch</strong>e immer<br />

mehr Wickelfolien einsetzt.<br />

Überras<strong>ch</strong>end ist die Tatsa<strong>ch</strong>e, dass<br />

nur 430 000 Tonnen oder umgere<strong>ch</strong>net<br />

43 Prozent des jeweiligen Jahresverbrau<strong>ch</strong>s<br />

an Kunststoffen direkt im<br />

Abfall landen. Mehr als die Hälfte verbleibt<br />

in Zwis<strong>ch</strong>enlagern, zum Beispiel<br />

in Form von Kunststoff-Fensterrahmen<br />

oder Sportartikeln, die teils erst na<strong>ch</strong><br />

Jahrzehnten entsorgt werden und dann<br />

umwelt 3/<strong>2012</strong> > Abfallwirts<strong>ch</strong>aft


wieder in den Abfallstrom fliessen. Damit<br />

werden pro Jahr insgesamt rund<br />

650 000 Tonnen in KVAs thermis<strong>ch</strong> verwertet.<br />

2010 gelangten von den insgesamt<br />

780000 Tonnen an ausgedienten<br />

Kunststoffrückständen 145 000 Tonnen<br />

in die Sortierung und Auf bereitung.<br />

Davon sind 35 000 Tonnen in S<strong>ch</strong>weizer<br />

Zementwerken als Alternativbrennstoff<br />

eingesetzt und weitere 10 000 Tonnen<br />

in Wirbels<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>töfen für die Energiegewinnung<br />

genutzt worden. Auf die<br />

stoffli<strong>ch</strong>e Verwertung entfallen 90 000<br />

Tonnen, also 9Prozent der in Verkehr<br />

gebra<strong>ch</strong>ten Menge. Die zu 80 000 Tonnen<br />

Rezyklat verarbeiteten Chargen<br />

stammen überwiegend aus Industrie<br />

und Gewerbe, wo Produktionsabfälle<br />

zum Teil in reiner Form anfallen.<br />

Bra<strong>ch</strong>liegendes Verwertungspotenzial. «Einige<br />

unserer Na<strong>ch</strong>barstaaten wie etwa<br />

Deuts<strong>ch</strong>land haben Verwertungsquoten<br />

von bis zu 40 Prozent, während<br />

die S<strong>ch</strong>weiz bei weniger als 10 Prozent<br />

liegt», gibt Martin Model, Ges<strong>ch</strong>äftsführer<br />

der Innoplastics AG in Es<strong>ch</strong>likon<br />

(TG) zu bedenken. Das Potenzial sei<br />

gross, und zwar in Industrie- und Gewerbebetrieben,<br />

in Landwirts<strong>ch</strong>aft und<br />

Gartenbau, aber au<strong>ch</strong> bei Spülmittelund<br />

Kosmetikaflas<strong>ch</strong>en aus den Haushalten.<br />

«Sol<strong>ch</strong>e Abfälle gehören generell<br />

ni<strong>ch</strong>t in die Kehri<strong>ch</strong>tverbrennung.»<br />

Das bra<strong>ch</strong>liegende Potenzial für<br />

ein stoffli<strong>ch</strong>es Recycling ist in der Tat<br />

beträ<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>. Au<strong>ch</strong> die Betreiber der<br />

Zementwerke melden ihr Interesse an.<br />

«S<strong>ch</strong>on heute decken Alternativbrennstoffe<br />

die Hälfte unseres Energiebedarfs<br />

ab, do<strong>ch</strong> wir könnten no<strong>ch</strong> wesentli<strong>ch</strong><br />

mehr Kunststoffe nutzen», erklärt Heiner<br />

Widmer, der beim Bran<strong>ch</strong>enver-<br />

Abfallwirts<strong>ch</strong>aft > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />

band cemsuisse die Berei<strong>ch</strong>e Te<strong>ch</strong>nik<br />

und Umwelt betreut. Bereits seit Mitte<br />

der 1980er-Jahre setzt die S<strong>ch</strong>weizer<br />

Zementindustrie vers<strong>ch</strong>iedene Alternativbrennstoffe<br />

wie Altöl, Lösungsmittel,<br />

Klärs<strong>ch</strong>lamm, Altreifen und Tiermehl<br />

ein – und vermindert dadur<strong>ch</strong> ihren<br />

Bedarf an Kohle. «Diese Strategie ermögli<strong>ch</strong>t<br />

es unserer Bran<strong>ch</strong>e, CO 2-Emissionen<br />

zu reduzieren, inländis<strong>ch</strong>e Energieressourcen<br />

zu nutzen und damit die<br />

Auslandabhängigkeit zu vermindern»,<br />

sagt Heiner Widmer. Do<strong>ch</strong> die Bes<strong>ch</strong>affung<br />

sol<strong>ch</strong>er Brennstoffe ist zunehmend<br />

s<strong>ch</strong>wieriger. Entweder nutzt die produzierende<br />

Industrie kalorienrei<strong>ch</strong>e Abfälle<br />

wie Lösungsmittel vermehrt selbst<br />

thermis<strong>ch</strong>, oder es treten Firmen auf<br />

den Plan, die das Material stoffli<strong>ch</strong> verwerten<br />

wollen, wie dies bei den Kunststoffen<br />

der Fall ist.<br />

Massnahmenbündel für mehr Ökologie. Unabhängig<br />

vom mögli<strong>ch</strong>en Ausbau der<br />

Kunststoffverwertung empfiehlt das<br />

BAFU ein Bündel von Massnahmen,<br />

um die ökologis<strong>ch</strong>en Auswirkungen<br />

des Plastikkonsums mögli<strong>ch</strong>st tief zu<br />

halten. An erster Stelle sind die Verpackungsproduzenten<br />

gefordert. Sie<br />

haben es in der Hand, dünnere Folien<br />

und lei<strong>ch</strong>tere Behälter zu konstruieren<br />

oder Na<strong>ch</strong>füllbeutel anzubieten und damit<br />

den Verbrau<strong>ch</strong> zu minimieren. Die<br />

Kunds<strong>ch</strong>aft wiederum ist gehalten, auf<br />

unnötige Verpackungen zu verzi<strong>ch</strong>ten<br />

und Na<strong>ch</strong>füllsysteme, wie sie etwa für<br />

Was<strong>ch</strong>mittel und das breite Sortiment<br />

an Cerealien bestehen, au<strong>ch</strong> zu nutzen.<br />

An die Verwerter appelliert das<br />

2010 sind in der S<strong>ch</strong>weiz insgesamt rund 1 Million<br />

Tonnen oder 125 Kilogramm Kunststoff pro Kopf in den<br />

Wirts<strong>ch</strong>aftskreislauf gelangt.<br />

BAFU, die Effizienz der vorhandenen<br />

Verbrennungs- und Recyclinglösungen<br />

zu optimieren. «So könnten no<strong>ch</strong> etli<strong>ch</strong>e<br />

KVA-Betreiber den Wirkungsgrad<br />

ihrer Anlagen und die Wärmenutzung<br />

verbessern», sagt Mi<strong>ch</strong>el Monteil. «Eine<br />

höhere Ausbeute an Wärme und Strom<br />

trägt nämli<strong>ch</strong> unter anderem dazu bei,<br />

primäre fossile Energieträger zu s<strong>ch</strong>onen.»<br />

Pieter Poldervaart<br />

Weiterführende Links unter<br />

www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/magazin<strong>2012</strong>-3-11<br />

KONTAKT<br />

Mi<strong>ch</strong>el Monteil<br />

Sektions<strong>ch</strong>ef Abfallverwertung<br />

und -behandlung<br />

BAFU<br />

031 325 91 59<br />

mi<strong>ch</strong>el.monteil@bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />

53


UMWELTRISIKEN BEIM BAHNTRANSPORT<br />

Risikoanalysen als guter Zug<br />

gegen Störfälle<br />

Vorbeugen heisst mit dem denkbar S<strong>ch</strong>limmsten re<strong>ch</strong>nen und dafür sorgen, dass es na<strong>ch</strong> Mögli<strong>ch</strong>keit<br />

ni<strong>ch</strong>t eintritt. Na<strong>ch</strong> der Ermittlung der Personenrisiken beim Transport gefährli<strong>ch</strong>er Güter mit der Bahn<br />

werden nun die methodis<strong>ch</strong>en Grundlagen zur Beurteilung der Umweltrisiken erarbeitet.<br />

In unmittelbarer Umgebung der grün<br />

glitzernden Aare dur<strong>ch</strong>strömt ein ni<strong>ch</strong>t<br />

weniger eindrückli<strong>ch</strong>er Wasserlauf das<br />

Flusstal zwis<strong>ch</strong>en Thun und Bern. Im<br />

Untergrund fliesst ein mä<strong>ch</strong>tiger Grundwasserstrom<br />

dur<strong>ch</strong> die einst von der<br />

Aare abgelagerten Kies- und S<strong>ch</strong>otters<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten.<br />

Für die Bevölkerung der Region<br />

ist diese unsi<strong>ch</strong>tbare Ressource eine<br />

eigentli<strong>ch</strong>e Lebensader. Aus insgesamt<br />

vier Trinkwasserbrunnen in der Nähe<br />

54<br />

Te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e Massnahmen wie verstärkte Tankumhüllungen bei Kesselwagen für den Bahntransport<br />

besonders gefährli<strong>ch</strong>er Güter – zum Beispiel von Chlorgas – haben ents<strong>ch</strong>eidend<br />

zur netzweiten Reduktion der Personenrisiken beigetragen. Nun werden au<strong>ch</strong> die Umweltrisiken<br />

vertieft analysiert. Bilder: SBB<br />

von Kiesen s<strong>ch</strong>öpft der Wasserverbund<br />

Region Bern 55000 Liter pro Minute. Damit<br />

lässt si<strong>ch</strong> der Bedarf der Stadt Bern<br />

und von a<strong>ch</strong>t weiteren Gemeinden decken.<br />

Sowohl die Konstanz der S<strong>ch</strong>üttung<br />

als au<strong>ch</strong> die Qualität des geförderten<br />

Grundwassers sind bemerkenswert.<br />

Der Sand und das feine Geröll im Untergrund<br />

wirken dabei als effizienter Filter.<br />

«Dadur<strong>ch</strong> können wir hier bestes<br />

Trinkwasser gewinnen, das keine weite-<br />

re Auf bereitung mehr benötigt», erklärt<br />

Bernhard Gyger, Ges<strong>ch</strong>äftsführer des<br />

Wasserverbunds Region Bern AG.<br />

Potenziell gefährdete Ressource. Wie in<br />

praktis<strong>ch</strong> allen grösseren Flusstälern der<br />

S<strong>ch</strong>weiz bestehen freili<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> hier vers<strong>ch</strong>iedene<br />

Nutzungsansprü<strong>ch</strong>e an den<br />

begrenzten Raum, die zu Konflikten führen.<br />

So verläuft in unmittelbarer Nähe<br />

der Grundwassers<strong>ch</strong>utzzone die au<strong>ch</strong><br />

umwelt 3/<strong>2012</strong> > Störfallvorsorge


von Lastwagen genutzte Nationalstrasse<br />

A6. Und im Fall der viel befahrenen Eisenbahnstrecke<br />

zwis<strong>ch</strong>en Thun und<br />

Bern wird die S<strong>ch</strong>utzzone sogar vom<br />

Trassee gequert. Dies ist insofern mit Risiken<br />

verbunden, als Güterzüge und<br />

Lastwagen grössere Mengen an wassergefährdenden<br />

Stoffen transportieren. Bei<br />

einem gravierenden Störfall in Kiesen<br />

könnten deshalb Flüssigkeiten wie Benzin<br />

und Heizöl oder Chemikalien in die<br />

Umwelt gelangen und dadur<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> die<br />

wi<strong>ch</strong>tige Grundwasserressource akut gefährden.<br />

«Als effizientes Transportsystem<br />

weist die Bahn gegenüber der Strasse<br />

einige Umwelt- und Si<strong>ch</strong>erheitsvorteile<br />

auf», stellt Daniel Bonomi von der Sektion<br />

Störfall- und Erdbebenvorsorge<br />

beim BAFU fest. «Kommt es beim Transport<br />

von gefährli<strong>ch</strong>en Gütern jedo<strong>ch</strong> zu<br />

einem Unfall, können die deutli<strong>ch</strong> grösseren<br />

Ladekapazitäten das S<strong>ch</strong>adenausmass<br />

vers<strong>ch</strong>limmern.» Zwar wäre es<br />

mögli<strong>ch</strong>, den Trinkwasserbedarf der<br />

Bundeshauptstadt au<strong>ch</strong> bei einer unfallbedingten<br />

Stilllegung der Wasserfassungen<br />

in Kiesen vorübergehend zu decken.<br />

«Kurzfristig könnten wir genügend Wasser<br />

aus dem Emmental und aus der<br />

Belpau beziehen», erläutert Bernhard<br />

Gyger. Allerdings wären in einem sol<strong>ch</strong>en<br />

Fall Qualitätseinbussen in Kauf zu<br />

nehmen, und ausserdem fielen Zusatzkosten<br />

an. Während das Wasser aus<br />

Kiesen dank dem natürli<strong>ch</strong>en Grundwassergefälle<br />

mit Fallhebern ohne zusätzli<strong>ch</strong>en<br />

Energieaufwand na<strong>ch</strong> Bern befördert<br />

wird, sind bei der Wasserfassung<br />

Belpau Pumpen erforderli<strong>ch</strong>. Do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

in erster Linie dieser Mehraufwand bereitet<br />

Bernhard Gyger Sorgen. «Käme es<br />

in Kiesen zu einer Kontamination, müssten<br />

wir alle verfügbaren Wasserreserven<br />

auss<strong>ch</strong>öpfen. Dies wäre eine sehr<br />

s<strong>ch</strong>wierige Situation.»<br />

Berücksi<strong>ch</strong>tigung der Risiken im Umweltre<strong>ch</strong>t.<br />

Seit 1991 ist der Umgang mit Risi-<br />

Störfallvorsorge > umwelt 3/<strong>2012</strong><br />

ken dur<strong>ch</strong> den Einsatz und Transport<br />

von gesundheits- und umweltgefährdenden<br />

Stoffen in der Störfallverordnung<br />

(StFV) geregelt. Die Anlagenbetreiber<br />

sind im Sinne der Vorsorge verpfli<strong>ch</strong>tet,<br />

alle geeigneten Massnahmen zur Risikoreduktion<br />

zu treffen. Zur Beurteilung<br />

der Risiken kann die Behörde für Betriebe<br />

oder Verkehrswege bei Bedarf Risikoermittlungen<br />

verlangen. Ihr Zweck besteht<br />

darin, die mögli<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>ädigungen<br />

und deren Eintretenswahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit<br />

abzus<strong>ch</strong>ätzen.<br />

1998 haben Fa<strong>ch</strong>leute eine erste Pilotrisikoanalyse<br />

für die Personenrisiken der<br />

Bahntransporte gefährli<strong>ch</strong>er Güter<br />

dur<strong>ch</strong>geführt. Im Zentrum standen methodis<strong>ch</strong>e<br />

Fragen: «Was könnte alles ges<strong>ch</strong>ehen,<br />

wie passiert es, und wer kann<br />

auf wel<strong>ch</strong>e Art davon betroffen sein?»,<br />

erläutert Daniel Bonomi. «Dabei ging es<br />

darum, dass si<strong>ch</strong> alle Beteiligten auf die<br />

Annahmen und S<strong>ch</strong>ätzungen als Grundlagen<br />

der Analyse einigen, damit die Ergebnisse<br />

breit anerkannt sind.» Ziel der<br />

Pilotstudie war die Entwicklung einer<br />

tragfähigen Methode, um die Bahnrisiken<br />

darstellen und anhand von Kriterien<br />

beurteilen zu können. Auf dieser Basis<br />

sind seitdem vier netzweite, vereinfa<strong>ch</strong>te<br />

Abs<strong>ch</strong>ätzungen der Personenrisiken<br />

aus dem Gefahrguttransport mit der<br />

Bahn vorgenommen worden. Dabei ist<br />

es gelungen, die Datengrundlagen und<br />

Bere<strong>ch</strong>nungsmethoden laufend zu verbessern.<br />

Netzweite Reduktion der Personenrisiken.<br />

Die erste Abs<strong>ch</strong>ätzung ermittelte<br />

135 S<strong>ch</strong>ienenkilometer mit untragbar<br />

hohen Risiken. Das Ergebnis rüttelte auf<br />

und bewog die Bahnunternehmen, die<br />

verantwortli<strong>ch</strong>en Bundesstellen sowie<br />

die Industrie, ein Massnahmenkonzept<br />

zu entwickeln und die Bere<strong>ch</strong>nungen<br />

zu überprüfen. Unter Berücksi<strong>ch</strong>tigung<br />

präziserer Daten ging die 2002 dur<strong>ch</strong>geführte<br />

Analyse no<strong>ch</strong> für 34 S<strong>ch</strong>ienenkilometer<br />

von ni<strong>ch</strong>t akzeptablen<br />

Risiken aus. Sie betrafen hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />

Streckenabs<strong>ch</strong>nitte in di<strong>ch</strong>t besiedeltem<br />

Gebiet, wo ein Unfall entspre<strong>ch</strong>end<br />

viele Mens<strong>ch</strong>enleben hätte gefährden<br />

können.<br />

«Als effizientes Transportsystem weist die Bahn<br />

gegenüber der Strasse einige Umwelt- und Si<strong>ch</strong>erheitsvorteile<br />

auf.» Daniel Bonomi, BAFU<br />

Dank vers<strong>ch</strong>iedener Massnahmen<br />

zur Risikoreduktion konnten die Behörden<br />

jedo<strong>ch</strong> bereits 2006 Entwarnung<br />

geben. «Von Bedeutung sind in diesem<br />

Zusammenhang vor allem die neu installierten<br />

Ortungsanlagen für blockierte<br />

Wagenbremsen und heiss gelaufene Räder»,<br />

erklärt der Störfallexperte Markus<br />

Ammann von der Sektion Umwelt beim<br />

Bundesamt für Verkehr (BAV). Ein weiteres<br />

Potenzial besteht – insbesondere bei<br />

besonders gefährli<strong>ch</strong>en Ladungen wie<br />

Chlorgas – im Berei<strong>ch</strong> der Detektoren<br />

für entgleiste Wagena<strong>ch</strong>sen. Ziel sol<strong>ch</strong>er<br />

te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en Na<strong>ch</strong>rüstungen ist es, betroffene<br />

Züge anzuhalten, bevor si<strong>ch</strong><br />

gravierende Unglücksfälle ereignen.<br />

Konkreten Ans<strong>ch</strong>auungsunterri<strong>ch</strong>t<br />

liefern frühere Störfälle in der S<strong>ch</strong>weiz<br />

wie etwa die Entgleisung eines mit<br />

350 000 Litern Kerosin beladenen Güterzugs<br />

bei Au im St. Galler Rheintal von<br />

1988. Bei diesem Transportunfall ging<br />

ein Teil des Flugbenzins in Flammen<br />

auf, während fast 260000 Liter Kerosin<br />

im Boden versickerten und das Grundwasser<br />

vers<strong>ch</strong>mutzten, was jahrelange<br />

Sanierungsarbeiten erforderte. 1994<br />

55


sprangen Güterwagen eines Benzinzugs<br />

bei Züri<strong>ch</strong>-Affoltern aus den S<strong>ch</strong>ienen<br />

und wurden no<strong>ch</strong> kilometerweit mitgezogen,<br />

bevor sie mit einem Fahrleitungsmast<br />

kollidierten, kippten und ebenfalls<br />

in Brand gerieten.<br />

Neben den netzweit wirksamen<br />

Massnahmen – wie verstärkten Tankumhüllungen<br />

von Kesselwagen – werden<br />

lokal aber au<strong>ch</strong> organisatoris<strong>ch</strong>e<br />

Vorkehrungen zur Risikoreduktion getroffen.<br />

So dürfen beispielsweise in der<br />

Rangieranlage La Praille (GE) während<br />

eines Spiels in der nahe gelegenen Fussballarena<br />

Stade de Genève keine Güterwagen<br />

mit gefährli<strong>ch</strong>er Ladung manövriert<br />

werden.<br />

Solide methodis<strong>ch</strong>e Grundlage. Die letzte<br />

Abs<strong>ch</strong>ätzung von 2011 widerspiegelt<br />

denn au<strong>ch</strong> die positiven Auswirkungen<br />

der in den vergangenen Jahren getroffenen<br />

Si<strong>ch</strong>erheitsmassnahmen. So bestätigt<br />

die jüngste Analyse, dass auf dem<br />

S<strong>ch</strong>weizer Bahnnetz keine ni<strong>ch</strong>t akzeptablen<br />

Risiken mehr bestehen. Au<strong>ch</strong> die<br />

Länge der Strecken im Übergangsberei<strong>ch</strong><br />

mit knapp vertretbaren Risiken hat seit<br />

2006 markant von 579 auf 68 Kilometer<br />

abgenommen, was no<strong>ch</strong> rund 2 Prozent<br />

des Streckennetzes entspri<strong>ch</strong>t. Wesentli<strong>ch</strong>e<br />

Gründe dafür sind die gesenkten<br />

Entgleisungsraten und die geringere Eintretenswahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit<br />

einer Freisetzung<br />

von gefährli<strong>ch</strong>en Stoffen.<br />

Zudem hat die SBB inzwis<strong>ch</strong>en Zugriff<br />

auf einen vergrösserten Bestand<br />

an Anlagen- und Betriebsdaten. Dies ermögli<strong>ch</strong>t<br />

es, die effektiv vorhandenen<br />

56<br />

Wei<strong>ch</strong>en genauer in die Bere<strong>ch</strong>nungen<br />

einzubeziehen und au<strong>ch</strong> die Belegungszahlen<br />

der Züge zu präzisieren. «Damit<br />

lassen si<strong>ch</strong> die Ergebnisse immer stärker<br />

der Realität anglei<strong>ch</strong>en, sodass wir zunehmend<br />

von vorsorgli<strong>ch</strong> pessimistis<strong>ch</strong>en<br />

Annahmen abwei<strong>ch</strong>en können»,<br />

erläutert Daniel Bonomi vom BAFU.<br />

Die vorliegenden soliden methodis<strong>ch</strong>en<br />

Grundlagen für die Abs<strong>ch</strong>ätzung<br />

der Personenrisiken erlei<strong>ch</strong>tern nun<br />

au<strong>ch</strong> die netzweite Ermittlung der potenziellen<br />

Umweltrisiken. Die Annahmen<br />

über Streckenführung, Transportmengen,<br />

Anzahl der Wei<strong>ch</strong>en pro<br />

Strecke wie au<strong>ch</strong> die S<strong>ch</strong>ätzungen der<br />

ausgelaufenen Stoffmengen bleiben si<strong>ch</strong><br />

nämli<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong>.<br />

Im Unters<strong>ch</strong>ied zu den Personenrisiken, wel<strong>ch</strong>e si<strong>ch</strong><br />

na<strong>ch</strong> der Opferzahl bemessen, wirft die Beurteilung<br />

der Umweltrisiken grössere methodis<strong>ch</strong>e Probleme<br />

auf.<br />

S<strong>ch</strong>wer bere<strong>ch</strong>enbare Umwelt. Im Unters<strong>ch</strong>ied<br />

zu den Personenrisiken, wel<strong>ch</strong>e<br />

si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> der Opferzahl bemessen, wirft<br />

die Beurteilung der Umweltrisiken allerdings<br />

grössere methodis<strong>ch</strong>e Probleme<br />

auf. «Die unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Vers<strong>ch</strong>mutzungen<br />

der Umwelt sind tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />

s<strong>ch</strong>wer zu quantifizieren», stellt Daniel<br />

Bonomi fest. Zudem lassen si<strong>ch</strong> die Prozesse<br />

bei störfallbedingten Umweltbelastungen<br />

s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t verallgemeinern. «So<br />

müsste man für jeden denkbaren Unfallstandort<br />

wissen, wohin etwa auslaufendes<br />

Benzin fliesst. Aber s<strong>ch</strong>on eine kleine<br />

Mauer oder ein Entwässerungsgraben<br />

können die Situation total verändern.»<br />

Die s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>te Fassbarkeit des Untersu<strong>ch</strong>ungsgegenstandes<br />

legt ein pragmatis<strong>ch</strong>es<br />

Vorgehen nahe. Von vitaler Bedeutung<br />

sind dabei in erster Linie<br />

grössere Grundwasserfassungen. An-<br />

hand des Pilotstandortes Kiesen untersu<strong>ch</strong>t<br />

das BAFU – in Zusammenarbeit<br />

mit dem BAV und der SBB – deshalb die<br />

wesentli<strong>ch</strong>en Parameter zur Abs<strong>ch</strong>ätzung<br />

der Umweltrisiken bei einem<br />

Eisenbahnunfall mit Gefahrengütern<br />

sowie den Aufwand für präventive Si<strong>ch</strong>erheitsmassnahmen.<br />

Bernhard Gyger beziffert die Kosten<br />

für einen Tagesausfall der Grundwasserfassungen<br />

in Kiesen auf 50000 Franken.<br />

Na<strong>ch</strong> dem Kerosinunfall bei Au im<br />

St. Galler Rheintal dauerte es damals allerdings<br />

zwei Jahre, bis allein das kontaminierte<br />

Erdrei<strong>ch</strong> vom versickerten Flugbenzin<br />

gereinigt war. Im Rahmen des<br />

Projekts «Aarewasser» hat der Kanton<br />

Bern die Folgekosten für einen vollständigen<br />

Ersatz der Trinkwassernutzung in<br />

Kiesen abges<strong>ch</strong>ätzt und kam dabei auf<br />

100 Millionen Franken. Angesi<strong>ch</strong>ts sol<strong>ch</strong>er<br />

Zahlen lohnt es si<strong>ch</strong> also, die Umweltrisiken<br />

beim Transport gefährli<strong>ch</strong>er<br />

Güter und mögli<strong>ch</strong>e vorsorgli<strong>ch</strong>e Massnahmen<br />

fundiert abzuklären.<br />

Weiterführende Links unter<br />

www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/magazin<strong>2012</strong>-3-12<br />

Lucienne Rey<br />

KONTAKT<br />

Daniel Bonomi<br />

Sektion Störfall- und Erdbebenvorsorge<br />

BAFU<br />

031 322 93 98<br />

daniel.bonomi@bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />

umwelt 3/<strong>2012</strong> > Störfallvorsorge


Bildung<br />

Lernen ausserhalb der S<strong>ch</strong>ulgebäude<br />

Am 10. November <strong>2012</strong> findet in Luzern die 3. Tagung über<br />

«Aussers<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>e Lernorte» statt. Das Programm setzt si<strong>ch</strong><br />

aus zwei Plenarvorträgen sowie individuell wählbaren Ateliers<br />

und Kurzvorträgen zusammen. Praxisbeispiele zeigen, wie si<strong>ch</strong><br />

der Unterri<strong>ch</strong>t ausserhalb der S<strong>ch</strong>ulgebäude am effektivsten<br />

umsetzen lässt. Das Angebot ri<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> an Lehrpersonen aller<br />

Stufen, an Dozierende von Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ulen und Universitäten sowie<br />

an weitere Interessierte und kostet CHF 80.– (Lehrpersonen)<br />

bzw. CHF 120.– (Übrige). Die Anmeldung ist direkt auf der Website<br />

mögli<strong>ch</strong>.<br />

> Pädagogis<strong>ch</strong>e Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ule Zentrals<strong>ch</strong>weiz, Luzern, 041 228 45 15,<br />

raffael.vonniederhaeusern@phz.<strong>ch</strong>, www.lernwelten.luzern.phz.<strong>ch</strong> ><br />

Aussers<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>e Lernorte > Tagungen<br />

Grosser Fundus an S<strong>ch</strong>ulmaterialien<br />

Auf der Plattform www.umweltbildung.<strong>ch</strong> stehen vielfältige Unterri<strong>ch</strong>tsmaterialien<br />

zur Verfügung, die den Lehrplänen und Zielen<br />

der Bildung für Na<strong>ch</strong>haltige Entwicklung (BNE) entspre<strong>ch</strong>en.<br />

Neben den evaluierten Unterri<strong>ch</strong>tsmedien unterstützen neu Themendossiers<br />

die Lehrpersonen bei der Unterri<strong>ch</strong>tsgestaltung zur<br />

Umweltbildung. Das erste fertiggestellte Dossier behandelt den<br />

Wald. Weitere Dossiers zu den Themen Energie und Klima sind<br />

in Vorbereitung. Zudem finden si<strong>ch</strong> auf der Plattform gute Beispiele<br />

von Projekten, die von Lehrpersonen realisiert wurden, mit<br />

genauen Angaben zu Lernzielen, Umsetzung, Kosten usw. Sie<br />

sollen zur Na<strong>ch</strong>ahmung anregen. So profitieren weitere Lehrpersonen<br />

von bereits gema<strong>ch</strong>ten Erfahrungen.<br />

> Stiftung Umweltbildung S<strong>ch</strong>weiz, Bern, 031 370 17 70, info@<br />

sub-fee.<strong>ch</strong>, www.umweltbildung.<strong>ch</strong> > Themendossiers bzw. > Gute<br />

S<strong>ch</strong>ulprojekte<br />

Wer findet die Ringelnatter?<br />

Das Naturama Aargau stellt ein Online-Biofotoquiz zur Verfügung. Na<strong>ch</strong> dem Grundsatz, dass Artenkenntnis<br />

den Grundstein zur Erhaltung der biologis<strong>ch</strong>en Vielfalt legt, soll das Wissen mit der Methode «üben im<br />

Internet – erkennen im Feld» ausgebaut werden. Im Biofotoquiz finden si<strong>ch</strong> 16 000 Bilder von über 1600<br />

Arten. Sie sind in die Gruppen Pflanzen, Heus<strong>ch</strong>recken, Amphibien, Reptilien und Vögel unterteilt. Dazu<br />

gibt es Übungen in vier vers<strong>ch</strong>iedenen Quizformen. Lehrpersonen oder Kursleitende haben die Mögli<strong>ch</strong>keit,<br />

auf der Plattform aus bestehenden Serien auszuwählen oder individuelle Lernserien zu erstellen und<br />

mit den dazugehörenden Arbeitsblättern und Quizfragen zu ergänzen.<br />

> Naturama Aargau, Aarau, 062 832 72 00, info@naturama.<strong>ch</strong>, www.biofotoquiz.<strong>ch</strong><br />

umwelt 3/<strong>2012</strong><br />

zVg<br />

zVg<br />

NOTIZBLOCK<br />

Kreative Seilspielgeräte<br />

Mit nur wenigen Seilen und den entspre<strong>ch</strong>enden<br />

Knoten lassen si<strong>ch</strong> im Wald<br />

innert Kürze unbegrenzte Spielmögli<strong>ch</strong>keiten<br />

selber realisieren. Die Sozialpädagogin<br />

Alexandra S<strong>ch</strong>warzer bietet<br />

dazu Kurse in der Deuts<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>weiz und<br />

in der Romandie an und hat ein Bu<strong>ch</strong> mit<br />

Anleitungen herausgegeben (s<strong>ch</strong>aukelfee<br />

& klettermax).<br />

> 055 266 14 55,<br />

www.naturundbewegung.de<br />

Klimawerkstatt für Lernende<br />

Die Klimawerkstatt will Jugendli<strong>ch</strong>e für<br />

den Themenkomplex «Energie – Klima<br />

– Beruf» sensibilisieren. Der von myclimate<br />

lancierte Wettbewerb ist für alle<br />

Lernenden vom 1. bis zum 4. Lehrjahr<br />

offen. Sie können mit ihren selbst entwickelten<br />

Projekten rund ums Energiesparen<br />

teilnehmen und dadur<strong>ch</strong> einen wi<strong>ch</strong>tigen<br />

Einblick in die spätere Berufspraxis<br />

erhalten.<br />

> www.klimawerkstatt.<strong>ch</strong><br />

Wegweiser im Bildungsberei<strong>ch</strong><br />

Der Bildungsführer Umwelt und Na<strong>ch</strong>haltige<br />

Entwicklung ist auf Leute zuges<strong>ch</strong>nitten,<br />

die si<strong>ch</strong> professionell in diesen<br />

beiden Berei<strong>ch</strong>en engagieren mö<strong>ch</strong>ten.<br />

Die Neuauflage <strong>2012</strong> enthält rund<br />

200 aktuelle Bildungs­ und Weiterbildungsangebote<br />

und lässt si<strong>ch</strong> zum Preis<br />

von CHF 35.– (zzgl. Versand und MwSt.)<br />

direkt über die Website bestellen.<br />

> www.sanu.<strong>ch</strong> > Dienstleistungen ><br />

Bildungsführer<br />

Die grosse Waldarena<br />

Der Naturpark Gantris<strong>ch</strong> bietet unter<br />

dem Namen Waldarena vers<strong>ch</strong>iedene<br />

Exkursionen für S<strong>ch</strong>ulklassen, Firmen<br />

und Vereine an. Die Themen rei<strong>ch</strong>en<br />

von «Na<strong>ch</strong>t der Vögel» über «Wildwasser<br />

Gürbe» bis zu «Klettern mit Köpf<strong>ch</strong>en».<br />

Au<strong>ch</strong> Vors<strong>ch</strong>läge für ganze Projektwo<strong>ch</strong>en<br />

sind online verfügbar.<br />

> Naturpark Gantris<strong>ch</strong> / Waldarena,<br />

031 808 00 20, waldarena@gantris<strong>ch</strong>.<strong>ch</strong>,<br />

www.waldarena.<strong>ch</strong><br />

57


Re<strong>ch</strong>t<br />

Hoher S<strong>ch</strong>utz für Moorlands<strong>ch</strong>aften<br />

Die Züri<strong>ch</strong>see-Insel Ufenau ist Teil der Moorlands<strong>ch</strong>aft<br />

«Frauenwinkel». In diesem Gebiet von besonderer<br />

S<strong>ch</strong>önheit und nationaler Bedeutung hatte das Kloster<br />

Einsiedeln (SZ) insgesamt vier Baugesu<strong>ch</strong>e für Änderungsvorhaben<br />

eingerei<strong>ch</strong>t. Kernstück des Konzepts war<br />

der Neubau eines blattförmigen Sommerrestaurants<br />

dur<strong>ch</strong> den Starar<strong>ch</strong>itekten Peter Zumthor. Das Verwaltungsgeri<strong>ch</strong>t<br />

des Kantons S<strong>ch</strong>wyz wies eine Einspra<strong>ch</strong>e<br />

von Aqua Viva dagegen ab, worauf die Naturs<strong>ch</strong>utz-Vereinigung<br />

Bes<strong>ch</strong>werde beim Bundesgeri<strong>ch</strong>t einrei<strong>ch</strong>te.<br />

Dieses hat die Baubewilligung für das Sommerrestaurant<br />

inzwis<strong>ch</strong>en aufgehoben, weil Artikel 78 der Bundesverfassung<br />

Moorlands<strong>ch</strong>aften grundsätzli<strong>ch</strong> unter<br />

S<strong>ch</strong>utz stellt. Das verfassungsre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Veränderungsverbot<br />

wird im Natur- und Heimats<strong>ch</strong>utzgesetz (NHG)<br />

konkretisiert. Demna<strong>ch</strong> seien Eingriffe in Moorlands<strong>ch</strong>aften<br />

zwar ni<strong>ch</strong>t absolut ausges<strong>ch</strong>lossen, argumentiert<br />

das Bundesgeri<strong>ch</strong>t. Ein Neubau, der ni<strong>ch</strong>t mit einer<br />

s<strong>ch</strong>utzzielkonformen Nutzung in Zusammenhang stehe,<br />

sprenge diesen Rahmen aber bei Weitem.<br />

Christoph Fis<strong>ch</strong>,Abteilung Re<strong>ch</strong>t, BAFU, 031 324 78 35,<br />

<strong>ch</strong>ristoph.fis<strong>ch</strong>@bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>, Bundesgeri<strong>ch</strong>t: Urteil BGE 138 II 23<br />

Verursa<strong>ch</strong>er zahlen für Littering<br />

Seit dem 1. Mai 2007 gilt in der Stadt Bern ein neues<br />

Abfallreglement. Demna<strong>ch</strong> wird die öffentli<strong>ch</strong>e Entsorgung<br />

von Litteringabfall sowie von Kehri<strong>ch</strong>t in den städtis<strong>ch</strong>en<br />

Mülleimern dur<strong>ch</strong> Grundgebühren finanziert,<br />

die alle Liegens<strong>ch</strong>aftsbesitzer entri<strong>ch</strong>ten müssen. Dagegen<br />

setzten si<strong>ch</strong> vers<strong>ch</strong>iedene Berner Verkaufsges<strong>ch</strong>äfte<br />

erfolgrei<strong>ch</strong> vor dem kantonalen Verwaltungsgeri<strong>ch</strong>t zur<br />

Wehr.<br />

Das Bundesgeri<strong>ch</strong>t wies die na<strong>ch</strong>folgende Bes<strong>ch</strong>werde<br />

der Stadt Bern zwar ab, do<strong>ch</strong> widerspra<strong>ch</strong> es dem Berner<br />

Verwaltungsgeri<strong>ch</strong>t in wesentli<strong>ch</strong>en Punkten. So kamen<br />

die Lausanner Ri<strong>ch</strong>ter zum S<strong>ch</strong>luss, dass Litteringkosten<br />

über verursa<strong>ch</strong>ergere<strong>ch</strong>te Gebühren – im Sinne von<br />

Artikel 32a des Umwelts<strong>ch</strong>utzgesetzes – zu finanzieren<br />

sind. Als Abfallverursa<strong>ch</strong>er gelten gemäss dem Bundesgeri<strong>ch</strong>t<br />

ni<strong>ch</strong>t nur Personen, die Abfälle direkt im öffentli<strong>ch</strong>en<br />

Raum liegen lassen, sondern zum Beispiel au<strong>ch</strong><br />

Take-away-Betriebe. Sie verkaufen nämli<strong>ch</strong> Produkte mit<br />

einem zumeist hohen Abfallanteil, wel<strong>ch</strong>er in der Regel<br />

im öffentli<strong>ch</strong>en Raum entsorgt wird. Somit können Gemeinden<br />

Littering verursa<strong>ch</strong>ende Betriebe künftig finanziell<br />

belangen.<br />

Berenice Iten, Abteilung Re<strong>ch</strong>t, BAFU, 031 322 93 53,<br />

berenice.iten@bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>, Bundesgeri<strong>ch</strong>t: Urteil 2C_239/2011<br />

58<br />

Publikationen<br />

umwelt 3/<strong>2012</strong>


Abfall<br />

Verkehr mit Sonderabfällen und anderen kontrollpfli<strong>ch</strong>tigen Abfällen<br />

in der S<strong>ch</strong>weiz. Vollzugshilfe. D, F; keine gedruckte Ausgabe;<br />

Download: www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/uv-1215-d<br />

Biodiversität<br />

Rote Liste Wei<strong>ch</strong>tiere (S<strong>ch</strong>necken und Mus<strong>ch</strong>eln). Gefährdete<br />

Arten der S<strong>ch</strong>weiz, Stand 2010. Hrsg. BAFU und S<strong>ch</strong>weizer Zentrum<br />

für die Kartografie der Fauna (SZKF/CSCF); 148 S.; D, F; kostenlos;<br />

Bestellung der gedruckten Ausgabe: www.bundespublikationen.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>, Art.-Nr.<br />

810.100.095d; Download: www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/uv-1216-d<br />

Kurzporträt Strategie Biodiversität S<strong>ch</strong>weiz. Gemeinsam die Vielfalt<br />

des Lebens erhalten und na<strong>ch</strong>haltig nutzen. Faltblatt; D, F, I;<br />

kostenlos; Bestellung der gedruckten Ausgabe: www.bundespublikationen.<br />

<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>, Art.-Nr. 810.400.067d; Download: www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/ud-1056-d<br />

Elektrosmog<br />

Elektromagnetis<strong>ch</strong>e Hypersensibilität. Bewertung von wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

Studien. Stand Ende 2011. 103 S.; D (F nur als Zusammenfassung);<br />

keine gedruckte Ausgabe;<br />

Download: www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/uw-1218-d<br />

Hydrologie<br />

Auswirkungen der Klimaänderung auf Wasserressourcen und Gewässer.<br />

Syntheseberi<strong>ch</strong>t zum Projekt «Klimaänderung und Hydrologie<br />

in der S<strong>ch</strong>weiz» (CCHydro). 76 S.; D, F in Vorbereitung; CHF 7.50;<br />

Bestellung der gedruckten Ausgabe: www.bundespublikationen.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>, Art.-Nr.<br />

810.300.127d; Download: www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/uw-1217-d<br />

Luft<br />

Weniger Russ aus Dieselmotoren. Erfolge der S<strong>ch</strong>weiz bei der<br />

Emissionsreduktion. 28 S.; D, F, I, E; kostenlos; Bestellung der gedruckten<br />

Ausgabe: www.bundespublikationen.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>, Art.-Nr. 810.400.068d;<br />

Download: www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/ud-1057-d<br />

Wald und Holz<br />

Forstwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>es Testbetriebsnetz der S<strong>ch</strong>weiz. Ergebnisse<br />

der Jahre 2008 – 2010. Hrsg. BAFU und Bundesamt für Statistik (BFS);<br />

32 S.; D, F; kostenlos;<br />

Bestellung der gedruckten Ausgabe: www.bfs.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>;<br />

Download: www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/ud-1059-d<br />

Edelkastaniengallwespe (Dryocosmus kuriphilus). Besonders gefährli<strong>ch</strong>er<br />

S<strong>ch</strong>ädling – helfen Sie mit! 4 S.; D, F, I; kostenlos; Bestellung<br />

der gedruckten Ausgabe: www.bundespublikationen.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>, Art.-Nr.<br />

810.400.073d; Download: www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/ud-1061-d<br />

umwelt 3/<strong>2012</strong><br />

Wasser<br />

Grundwassers<strong>ch</strong>utzzonen bei Lockergesteinen. Ein Modul der<br />

Vollzugshilfe Grundwassers<strong>ch</strong>utz. 58 S.; D, F; kostenlos; Bestellung<br />

der gedruckten Ausgabe: www.bundespublikationen.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>, Art.-Nr.<br />

810.100.094d; Download: www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/uv-1207-d<br />

Mikroverunreinigungen aus kommunalem Abwasser. Verfahren<br />

zur weitergehenden Elimination auf Kläranlagen. 210 S.; D, F, (I und<br />

E nur als Zusammenfassung); keine gedruckte Ausgabe;<br />

Download: www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/uw-1214-d<br />

Merkblatt-Sammlung Wasserbau und Ökologie. Erkenntnisse<br />

aus dem Projekt Integrales Flussgebietsmanagement. 58 S.; D, F;<br />

CHF 12.–; Bestellung der gedruckten Ausgabe: www.bundespublikationen.<br />

<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>,Art.-Nr. 810.300.126d; Download: www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/uw-1211-d<br />

Umwelt allgemein<br />

Umweltstatistik S<strong>ch</strong>weiz in der Tas<strong>ch</strong>e <strong>2012</strong>. Publikumsbros<strong>ch</strong>üre.<br />

Hrsg. Bundesamt für Statistik (BFS); 36 S.; D, F, I, E; kostenlos; Bezug: BFS,<br />

2010 Neu<strong>ch</strong>âtel,Tel. 032 713 60 60, Fax 032 713 60 61, order@bfs.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>,<br />

www.bfs.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>; Bestellnummer D: 521-1200.Anhand von Kennzahlen, Grafiken<br />

und Kurztexten bietet diese kleine Bros<strong>ch</strong>üre einen s<strong>ch</strong>nellen Überblick<br />

über Zusammenhänge und Entwicklungen im Umweltberei<strong>ch</strong>.<br />

Die Bros<strong>ch</strong>üre liegt diesem Heft bei.<br />

Herunterladen oder bestellen<br />

Sämtli<strong>ch</strong>e BAFU­Publikationen sind elektronis<strong>ch</strong> verfügbar und<br />

lassen si<strong>ch</strong> als PDF kostenlos herunterladen unter:<br />

www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/publikationen<br />

Einzelne Veröffentli<strong>ch</strong>ungen sind zudem in gedruckter Form<br />

erhältli<strong>ch</strong> und können bestellt werden bei:<br />

BBL, Vertrieb Bundespublikationen, CH­3003 Bern<br />

Tel.: +41 (0)31 325 50 50, Fax +41 (0)31 325 50 58<br />

E­Mail: verkauf.zivil@bbl.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />

www.bundespublikationen.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />

(bitte Artikelnummer angeben)<br />

Eine Bestellkarte ist in diesem Magazin eingeheftet. Bei kostenpfli<strong>ch</strong>tigen<br />

Publikationen wird ein Versandkostenbeitrag erhoben.<br />

Ein Newsletter oder RSS­Feed für alle Neuers<strong>ch</strong>einungen kann auf<br />

der BAFU­Website unter www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/newsletter abonniert<br />

werden.<br />

S<strong>ch</strong>lüssel zu den bibliografis<strong>ch</strong>en Angaben:<br />

Titel. Untertitel. Herausgeber (wenn ni<strong>ch</strong>t BAFU). Seitenzahl; erhältli<strong>ch</strong>e<br />

Spra<strong>ch</strong>en; Preis (sofern gedruckte Ausgabe); Bezug und Artikelnummer<br />

(sofern gedruckte Ausgabe); Link für den Download.<br />

59


Tipps<br />

Genussvolles Strampeln<br />

Auf der «Herzroute» lässt si<strong>ch</strong> die Voralpens<strong>ch</strong>weiz<br />

im gehobenen Fahrradtempo entdecken:<br />

Die Velowanderroute führt von Lausanne<br />

via Romont, Laupen, Thun, Langnau, Burgdorf,<br />

Willisau na<strong>ch</strong> Zug. An den Etappenorten bestehen<br />

Mietmögli<strong>ch</strong>keiten für Flyer-E-Bikes. Für<br />

Gepäcktransport und Überna<strong>ch</strong>tungen gibt es<br />

spezielle Angebote.<br />

> www.herzroute.<strong>ch</strong><br />

Natürli<strong>ch</strong>er Tourismus<br />

für Anfänger<br />

Das Handbu<strong>ch</strong> Tourismus – ganz natürli<strong>ch</strong> ist<br />

ein Arbeitsinstrument für alle, die mehr über<br />

den natur- und kulturnahen Tourismus erfahren<br />

und ein entspre<strong>ch</strong>endes Angebot entwickeln<br />

60<br />

zVg<br />

mö<strong>ch</strong>ten. Es enthält Informationen zum potenziellen<br />

Markt und zu den Trends sowie eine Anleitung<br />

zur Angebotsentwicklung.<br />

> Kostenloser Download unter:<br />

www.naturkultur-erlebnis.<strong>ch</strong><br />

Erlebnis Kanufahren<br />

Kanufahren ist ni<strong>ch</strong>t nur etwas für ambitionierte<br />

Sportlerinnen und Sportler, sondern kann<br />

au<strong>ch</strong> ein Erlebnis für die ganze Familie sein.<br />

Die Website www.kanuland.<strong>ch</strong> gibt nützli<strong>ch</strong>e<br />

Tipps – so etwa eine Übersi<strong>ch</strong>t zu geführten<br />

Touren in der ganzen S<strong>ch</strong>weiz.<br />

> www.kanuland.<strong>ch</strong><br />

ästhetik des Unsi<strong>ch</strong>tbaren<br />

S<strong>ch</strong>öne, überras<strong>ch</strong>ende, bisweilen au<strong>ch</strong> «eklige»<br />

Natur: Mit einem Rasterelektronenmikroskop<br />

und hunderttausendfa<strong>ch</strong>er Vergrösserung<br />

werden Würmer zu veritablen Horrorwesen,<br />

und Milben erinnern an futuristis<strong>ch</strong>e Ufos. Auf<br />

www.fei.com oder auf der micronaut-Website<br />

des S<strong>ch</strong>weizer Wissens<strong>ch</strong>aftsfotografen Martin<br />

Oeggerli kann man in eine verborgene Welt<br />

eintau<strong>ch</strong>en.<br />

> www.fei.com > resources > image gallery<br />

(nur E); www.micronaut.<strong>ch</strong> > Gallery<br />

Riesen mit Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

Im Bu<strong>ch</strong> Baumriesen der S<strong>ch</strong>weiz porträtiert<br />

der Fotograf und Baumkenner Mi<strong>ch</strong>el Brunner<br />

die s<strong>ch</strong>önsten, ältesten und eindrückli<strong>ch</strong>sten<br />

Bäume unseres Landes. Auf 240 Seiten dokumentiert<br />

er deren Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, Mythen und<br />

zVg<br />

Biologie. Dazu gibt es einen Wanderführer mit<br />

20 Routen zu alten Bäumen in der S<strong>ch</strong>weiz.<br />

> Baumriesen der S<strong>ch</strong>weiz, Mi<strong>ch</strong>el Brunner,<br />

CHF 59.–,Werd-Verlag, ISBN: 978-3-85932-629-3;<br />

Wege zu Baumriesen, Mi<strong>ch</strong>el Brunner, CHF 34.90,<br />

Werd-Verlag, ISBN: 978-3-85932-654-5<br />

«Sonne bewegt»<br />

Eine Sonderausstellung im Verkehrshaus Luzern<br />

widmet si<strong>ch</strong> dem Thema na<strong>ch</strong>haltige<br />

<strong>Mobilität</strong> und zeigt, wie die Sonne in diesem<br />

Berei<strong>ch</strong> eine vielseitige Energiespenderin sein<br />

kann. Anhand physikalis<strong>ch</strong>er Experimente, bei<br />

Testfahrten und in einer Infozone erfährt man<br />

mehr zum Thema Sonne und Energie. Die Ausstellung<br />

dauert bis zum 21.Oktober <strong>2012</strong>.<br />

> www.verkehrshaus.<strong>ch</strong> > Sonne bewegt<br />

Ferien na<strong>ch</strong> Mass<br />

Feriengestaltung na<strong>ch</strong> den eigenen Wüns<strong>ch</strong>en<br />

im Unesco-Welterbe-Gebiet Jungfrau-Alets<strong>ch</strong>:<br />

Bei der individuellen Planung hilft die Website<br />

www.mySwissalps.<strong>ch</strong> mit ausführli<strong>ch</strong>en<br />

Wandertipps und Hinweisen zum Leben in der<br />

Region.<br />

> Unesco-Welterbe S<strong>ch</strong>weizer Alpen<br />

Jungfrau-Alets<strong>ch</strong>, Naters, 027 924 52 76,<br />

www.mySwissalps.<strong>ch</strong><br />

Kleinode der Natur<br />

Moore spielen eine wi<strong>ch</strong>tige Rolle im Wasserhaushalt<br />

und sind ganz besondere Lebensräume<br />

sowie wi<strong>ch</strong>tige Naturar<strong>ch</strong>ive. Do<strong>ch</strong> sie<br />

stehen in vers<strong>ch</strong>iedener Hinsi<strong>ch</strong>t unter Druck.<br />

umwelt 3/<strong>2012</strong><br />

zVg


Das Naturmuseum St.Gallen zeigt eine Wanderausstellung<br />

zum Thema Moors<strong>ch</strong>utz unter dem<br />

Titel «Moore – Kleinode unserer Lands<strong>ch</strong>aft».<br />

Sie ist bis Oktober <strong>2012</strong> in St.Gallen sowie in<br />

weiteren Orten der Osts<strong>ch</strong>weiz zu sehen.<br />

> Naturmuseum St.Gallen, 071 242 06 70,<br />

www.naturmuseumsg.<strong>ch</strong><br />

Ökostrom verkaufen<br />

Die Ökostrombörse ist eine Plattform zur Versteigerung<br />

des Mehrwerts von zertifiziertem<br />

Strom aus erneuerbaren Quellen. Produzenten<br />

sol<strong>ch</strong>er Energie, die keine Förderung vom Bund<br />

erhalten, können hier ihren Strom anbieten und<br />

direkt den vers<strong>ch</strong>iedenen Energieversorgern im<br />

Kanton Aargau verkaufen, wel<strong>ch</strong>e die Strombörse<br />

betreiben.<br />

> www.oekostromboerse.<strong>ch</strong>, 062 834 27 00<br />

Berner Wanderwege<br />

ma<strong>ch</strong>en mobil<br />

Ausgewählte Tourenvors<strong>ch</strong>läge der Berner<br />

Wanderwege sind neu au<strong>ch</strong> auf mobilen Geräten<br />

wie Smartphones und Tablets zugängli<strong>ch</strong>.<br />

Zu jeder Route lassen si<strong>ch</strong> eine Bes<strong>ch</strong>reibung,<br />

Fotos und ein Höhenprofil anzeigen. Die dazugehörige<br />

Strecke kann direkt in der integrierten<br />

Karte abgebildet werden.<br />

> www.bernerwanderwege.<strong>ch</strong>,<br />

www.gps-tracks.com<br />

umwelt 3/<strong>2012</strong><br />

Unheimli<strong>ch</strong>e Eroberer<br />

Invasive Pflanzen und Tiere wie Ambrosia, Tigermücke<br />

oder Marderhund siedeln erst seit jüngster<br />

Zeit in der S<strong>ch</strong>weiz und bedrängen zum Teil<br />

die einheimis<strong>ch</strong>e Flora und Fauna. Das Bu<strong>ch</strong><br />

Unheimli<strong>ch</strong>e Eroberer porträtiert 24 Arten aus<br />

der Tier- und Pflanzenwelt, die in Europa Probleme<br />

verursa<strong>ch</strong>en und deren Bekämpfung eine<br />

grosse Herausforderung ist.<br />

> Unheimli<strong>ch</strong>e Eroberer: Invasive Pflanzen und<br />

Tiere in Europa,Wolfgang Nentwig (Hrsg.), CHF<br />

53.90, Haupt Verlag, ISBN: 978-3-258-07660-7<br />

Ruhe-Insel im Alltag<br />

Die vom BAFU unterstützte interaktive Ausstellung<br />

«Ruhe-Insel» bietet Informationen und Be-<br />

ratung zum Thema Lärm und sorgt für sinnli<strong>ch</strong>e<br />

Hörerlebnisse. Besu<strong>ch</strong>erinnen und Besu<strong>ch</strong>er<br />

können zudem ihr eigenes Lärmprofil erstellen<br />

oder auf einer regionalen Karte ihre persönli<strong>ch</strong>e<br />

Ruhe-Insel eintragen. Die Ausstellung kann<br />

au<strong>ch</strong> für eigene Anlässe gemietet werden.<br />

> Aktuelle Ausstellungsstandorte unter:<br />

www.ruhe-insel.<strong>ch</strong><br />

Der Klang-Spaziergang<br />

Das Amt für Umwelt und Energie Basel-Stadt<br />

hat akustis<strong>ch</strong> spezielle Orte ausgewählt, die<br />

si<strong>ch</strong> auf einem Spaziergang dur<strong>ch</strong> Basel beliebig<br />

miteinander verbinden lassen. Einerseits<br />

trifft man dabei auf Ruhe-Inseln, andererseits<br />

auf Klangphänomene, die lei<strong>ch</strong>t zu überhören<br />

sind, es aber verdienen, wahrgenommen zu<br />

werden.<br />

> www.aue.bs.<strong>ch</strong>/hoerenswerte_orte_in_basel.<br />

pdf, 061 639 22 22<br />

Wer wird Bio-Millionär?<br />

Anlässli<strong>ch</strong> des Natur Festivals <strong>2012</strong> in Basel<br />

fand au<strong>ch</strong> eine Biomillionen-Show statt. Bei<br />

dem vom BAFU unterstützten Quiz konnten die<br />

Teilnehmenden ihr Naturwissen unter Beweis<br />

stellen. Wer mö<strong>ch</strong>te, kann jetzt seine Kenntnisse<br />

au<strong>ch</strong> online testen.<br />

> www.biomillionenshow.<strong>ch</strong><br />

Impressum 3/12 August <strong>2012</strong> |Das Magazin umwelt des BAFU ers<strong>ch</strong>eint viermal jährli<strong>ch</strong> und kann kostenlos abonniert werden; ISSN 1424-7186<br />

Herausgeber: Bundesamt für Umwelt BAFU. Das BAFU ist ein Amt des Eidg. Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK | Projektoberleitung:<br />

Bruno Oberle, Thomas Göttin | Konzept, Redaktion, Produktion: Georg Ledergerber (Gesamtleitung), Charlotte S<strong>ch</strong>läpfer (Stellvertretung); Doris O<strong>ch</strong>sner, Harald Jenk<br />

und Kaspar Meuli (Dossier «<strong>Mobilität</strong>»); Beat Jordi (Weitere Themen), Luc Hutter (online), Cornélia Mühlberger de Preux (Redaktorin Romandie), Valérie Fries (Redak-<br />

tionssekretariat) | Externe journalistis<strong>ch</strong>e Mitarbeit: Hansjakob Baumgartner,Vera Bueller,Andres Eberhard, Urs Fitze, Nicolas Gattlen, Oliver Graf, Stefan Hartmann,<br />

Pieter Poldervaart, Lucienne Rey; Peter Bader – textatelier.<strong>ch</strong> (Rubriken); Jacqueline Dougoud (Lektorat, Korrektorat), Rolf Geiser (Übersetzung) | Visuelle Umsetzung:<br />

Atelier Ruth S<strong>ch</strong>ürmann, Luzern | Redaktionss<strong>ch</strong>luss: 30. Juni <strong>2012</strong> | Redaktionsadresse: BAFU, Kommunikation, Redaktion umwelt, 3003 Bern, Tel. 031 323 03 34,<br />

Fax 031 322 70 54, magazin@bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong> | Spra<strong>ch</strong>en: Deuts<strong>ch</strong>, Französis<strong>ch</strong>; Italienis<strong>ch</strong> in Auszügen auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> im Internet | Online: Der Inhalt des Magazins<br />

(ohne Rubriken) ist abrufbar unter www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/magazin | Papier: Cyclus Print, 100 % Altpapier aus sortierten Druckerei- und Büroabfällen | Auflage dieser<br />

Nummer: 47 500 Expl. Deuts<strong>ch</strong>, 18 500 Expl. Französis<strong>ch</strong> / Druck und Versand: Swissprinters AG, 4800 Zofingen, www.swissprinters.<strong>ch</strong> | Gratisabonnemente,<br />

Na<strong>ch</strong>bestellungen einzelner Nummern und Adressänderungen: umwelt, Swissprinters St. Gallen AG, Leserservice, 9001 St. Gallen, Tel. 058 787 58 68,<br />

Fax 058 787 58 15, umweltabo@bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>, www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/magazin | Copyright: Na<strong>ch</strong>druck der Texte und Grafiken erwüns<strong>ch</strong>t mit Quellenangabe und Be-<br />

legexemplar an die Redaktion.<br />

61


Umweltpreis für Franz-Sepp Stulz<br />

Mitte Mai hat die Jury der S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Umweltstiftung den Juristen<br />

Franz-Sepp Stulz für seine jahrzehntelangen Bemühungen zur Erhaltung der<br />

Natur- und Lands<strong>ch</strong>aftsvielfalt im Inland mit dem Umweltpreis <strong>2012</strong> ausgezei<strong>ch</strong>net.<br />

Na<strong>ch</strong> der überras<strong>ch</strong>enden Annahme der Rothenthurm-Initiative zum<br />

S<strong>ch</strong>utz der Moore erhielt das Bundesamt für Umwelt 1987 den Verfassungsauftrag,<br />

sol<strong>ch</strong>e Naturlands<strong>ch</strong>aften vor zerstöreris<strong>ch</strong>en Eingriffen zu bewahren. In einem<br />

konstruktiven Dialog ist es Franz-Sepp Stulz – dem früheren Leiter der BAFU-Abteilung<br />

Natur und Lands<strong>ch</strong>aft und heutigen Berater der Direktion – mit viel Pragmatismus und<br />

Überzeugungskraft gelungen, einen Ausglei<strong>ch</strong> der S<strong>ch</strong>utz- und Nutzinteressen zu errei<strong>ch</strong>en.<br />

Zu seinen berufli<strong>ch</strong>en Verdiensten gehören etwa das Inventar der Moorlands<strong>ch</strong>aften von nationaler<br />

Bedeutung sowie entspre<strong>ch</strong>ende S<strong>ch</strong>utzverzei<strong>ch</strong>nisse für Auenlands<strong>ch</strong>aften, Amphibienlai<strong>ch</strong>gewässer,<br />

Trockenwiesen, Fla<strong>ch</strong>moore und Ho<strong>ch</strong>moore.<br />

Als Vizepräsident der Eidgenössis<strong>ch</strong>en Nationalparkkommission engagierte si<strong>ch</strong> der<br />

Preisträger für die Weiterentwicklung des Nationalparks. Mit Geduld und diplomatis<strong>ch</strong>em Ges<strong>ch</strong>ick<br />

trieb er zudem die Pläne für weitere nationale S<strong>ch</strong>utzgebiete, das Unesco-Biosphärenreservat<br />

Entlebu<strong>ch</strong> (LU) sowie die mittlerweile 15 Regionalen Naturpärke voran, in wel<strong>ch</strong>en<br />

Naturs<strong>ch</strong>utzanliegen und wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Interessen Hand in Hand gehen. Das zum Teil gegen<br />

vielerlei Widerstände dur<strong>ch</strong>gesetzte Lebenswerk von Franz-Sepp Stulz werde no<strong>ch</strong> man<strong>ch</strong>e Generationen<br />

na<strong>ch</strong> uns erfreuen, führte Reto Lo<strong>ch</strong>er von der S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Umweltstiftung in<br />

seiner Laudatio aus. Er erwähnte dabei au<strong>ch</strong> das Engagement des Preisgekrönten beim Fonds<br />

Lands<strong>ch</strong>aft S<strong>ch</strong>weiz, bei der Basler NATUR Messe, als Mitglied der Eidgenössis<strong>ch</strong>en Natur- und<br />

Heimats<strong>ch</strong>utzkommission sowie als Stiftungsrat der Stiftung Natur & Wirts<strong>ch</strong>aft, die seit dem<br />

Gründungsjahr 1995 über 300 naturnahe Firmenparks zertifiziert hat.<br />

Na<strong>ch</strong>haltige Ressourcennutzung als Ziel<br />

Heute getroffene Ents<strong>ch</strong>eidungen wirken si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> in ferner Zukunft auf den Umweltzustand<br />

und die natürli<strong>ch</strong>en Ressourcen aus. Mit dem Ziel einer mögli<strong>ch</strong>st na<strong>ch</strong>haltigen<br />

Ressourcennutzung haben Fa<strong>ch</strong>leute aus vier BAFU-Abteilungen im Rahmen des Projekts<br />

«Ausblick 2050» Umweltziele, Visionen und Handlungsoptionen entwickelt. Die in den<br />

Pilotberei<strong>ch</strong>en Klima, Biodiversität und Rohstoffe erarbeiteten Langzeitperspektiven sollen<br />

es erlauben, ökologis<strong>ch</strong>e, wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e und gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Entwicklungen besser abzus<strong>ch</strong>ätzen<br />

und zu steuern. Zur Verhinderung eines gefährli<strong>ch</strong>en Klimawandels sieht ein Ziel<br />

bis zum Jahr 2050 beispielsweise die Reduktion der inländis<strong>ch</strong>en Treibhausgasemissionen<br />

um 80 Prozent im Verglei<strong>ch</strong> zu 1990 vor.<br />

Zur Umsetzung der Visionen brau<strong>ch</strong>t es politis<strong>ch</strong>e Wei<strong>ch</strong>enstellungen, die mehrheitli<strong>ch</strong><br />

im Zeitraum bis 2020 erfolgen müssen. Wie die Ergebnisse der Pilotprojekte zeigen, lassen<br />

si<strong>ch</strong> dabei gemeinsame Handlungss<strong>ch</strong>werpunkte wie etwa eine deutli<strong>ch</strong>e Effizienzsteigerung<br />

und Veränderungen des Konsumverhaltens ableiten. Um den Energie- und Ressourcenverbrau<strong>ch</strong><br />

im erforderli<strong>ch</strong>en Ausmass zu reduzieren, drängen si<strong>ch</strong> stärkere ökonomis<strong>ch</strong>e<br />

Anreize auf. Dazu zählt au<strong>ch</strong> eine ökologis<strong>ch</strong>e Steuerreform, die vermehrt Energie und Rohstoffe<br />

anstelle von Arbeit und Kapital besteuert.<br />

Die am Projekt «Ausblick 2050» beteiligten BAFU-Abteilungen werden die Ergebnisse nun<br />

in ihre laufenden Aktivitäten einfliessen lassen. Zudem will man au<strong>ch</strong> für weitere Themenberei<strong>ch</strong>e<br />

des Amtes längerfristige Perspektiven entwickeln.<br />

62<br />

umwelt 3/<strong>2012</strong><br />

Intern


Porträt<br />

Immer mehr Ho<strong>ch</strong>leistungskühe<br />

verbringen ihr<br />

Leben nur no<strong>ch</strong> im Stall.<br />

Weil sie si<strong>ch</strong> kaum bewegen<br />

können, lässt si<strong>ch</strong><br />

das Futter fast ganz für die<br />

Mil<strong>ch</strong>produktion nutzen.<br />

Wikipedia commons<br />

umwelt 3/<strong>2012</strong><br />

Die Mil<strong>ch</strong>kuh der Nation<br />

Der amerikanis<strong>ch</strong>e Rinderzü<strong>ch</strong>ter und Mil<strong>ch</strong>farmer<br />

Tom Kestell aus Wisconsin hält mit seiner<br />

Holstein-Kuh «Ever-Green-View My 1326-ET»<br />

seit 2010 den Weltrekord. In einem Jahr konnte<br />

die Melkmas<strong>ch</strong>ine dem prallen Euter seines<br />

Rindviehs mehr als 32 700 Kilo Mil<strong>ch</strong> entziehen.<br />

Der Organismus von Kühen ist von Natur aus<br />

ni<strong>ch</strong>t auf sol<strong>ch</strong>e Hö<strong>ch</strong>stleistungen ausgelegt,<br />

sondern auf den Mil<strong>ch</strong>bedarf eines Kalbes, und<br />

dafür rei<strong>ch</strong>en Mil<strong>ch</strong>leistungen von 6 bis 8 Kilo<br />

pro Tag locker aus. No<strong>ch</strong> um 1900 wogen die<br />

S<strong>ch</strong>weizer Kühe ausserhalb des Berggebiets im<br />

Mittel etwa 250 Kilo und gaben in einem Jahr<br />

selten mehr als 2000 Kilo Mil<strong>ch</strong>. Inzwis<strong>ch</strong>en<br />

stehen die speziell auf hohe Mil<strong>ch</strong>erträge gezü<strong>ch</strong>teten<br />

Ho<strong>ch</strong>leistungsrassen Holstein und<br />

Brown-Suisse mit dem dreifa<strong>ch</strong>en Gewi<strong>ch</strong>t am<br />

Futtertrog und trumpfen – bei konsequenter<br />

Stallhaltung – au<strong>ch</strong> hierzulande vereinzelt mit<br />

Jahresleistungen von über 12 000 Kilo Mil<strong>ch</strong> auf.<br />

Der Preis dafür ist eine vom Mens<strong>ch</strong>en erzwungene<br />

Dauers<strong>ch</strong>wangers<strong>ch</strong>aft der Mil<strong>ch</strong>kühe,<br />

die oft s<strong>ch</strong>on wenige Tage na<strong>ch</strong> der Geburt von<br />

ihren Kälbern getrennt werden. Eine normale<br />

Mil<strong>ch</strong>abgabeperiode dauert rund 10 Monate, wo-<br />

bei die Kuh ledigli<strong>ch</strong> 3 Monate na<strong>ch</strong> dem Abkalben<br />

bereits wieder ges<strong>ch</strong>wängert wird – in der<br />

Regel ni<strong>ch</strong>t von einem Stier, sondern vom Besamungste<strong>ch</strong>niker.<br />

Au<strong>ch</strong> während der Trä<strong>ch</strong>tigkeit<br />

hängen die geduldigen Wiederkäuer bis zu dreimal<br />

tägli<strong>ch</strong> an der Melkmas<strong>ch</strong>ine und stehen<br />

jeweils nur 2Monate vor der nä<strong>ch</strong>sten Geburt<br />

trocken.<br />

Na<strong>ch</strong> der vierten oder fünften Laktationsphase<br />

errei<strong>ch</strong>t die Mil<strong>ch</strong>leistung mit bis zu<br />

50 Kilo am Tag ihren Höhepunkt. Dann sind die<br />

Mil<strong>ch</strong>produzentinnen – trotz Ho<strong>ch</strong>leistungsnahrung<br />

in Form von Mais, Soja und weiterem<br />

eiweissrei<strong>ch</strong>em Kraftfutter – in der Regel ausgepowert.<br />

So beträgt die dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>e Nutzungsdauer<br />

einer Mil<strong>ch</strong>kuh von 4 bis 5 Jahren<br />

heute no<strong>ch</strong> etwa 20 Prozent ihrer natürli<strong>ch</strong>en<br />

Lebenserwartung. Au<strong>ch</strong> im Grasland S<strong>ch</strong>weiz,<br />

das geradezu für die Mil<strong>ch</strong>produktion prädestiniert<br />

ist, wä<strong>ch</strong>st der Druck auf die 565 000<br />

Mil<strong>ch</strong>kühe, si<strong>ch</strong> gefälligst den Anforderungen<br />

der industriellen Nahrungsmittelproduktion anzupassen.<br />

Beat Jordi<br />

www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/magazin<strong>2012</strong>-3-13<br />

63


Die Artikel dieses Heftes sind au<strong>ch</strong> im Internet verfügbar –<br />

mit weiterführenden Links und Literaturangaben:<br />

www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/magazin<strong>2012</strong>-3<br />

> Besu<strong>ch</strong>en Sie das BAFU im Internet:<br />

www.bafu.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!