Clancy, Tom - Jack Ryan 12 - Red Rabbit.pdf

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schulte.josefine23
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»So etwas machen wir nicht«, erklärte sie kurz und bündig. »Schatz, ich könnte nie im Leben mit einem Messer in den Augapfel eines Menschen schneiden, ohne einen Anfall zu bekommen – oder in Ohnmacht zu fallen.« Schon bei dem bloßen Gedanken schauderte er. »Schwächling«, war ihr ganzer Kommentar zu diesem Geständnis. Sie schien nicht verstehen zu können, dass das bei der Ausbildung an der Marine Corps Basic School in Quantico, Virginia, nicht auch auf dem Lehrplan stand. Mary Pat spürte, dass ihr Mann noch wach war, aber für eine Unterhaltung war jetzt nicht die Zeit, auch nicht für stumme Dialoge in ihrer privaten Zeichensprache. Stattdessen ließ sie sich diverse Möglichkeiten durch den Kopf gehen, die geeignet waren, das Paket außer Landes zu schaffen. Über ein Versteck in Moskau? Zu heikel. Über Stationen in anderen Teilen der Sowjetunion? Das wäre auch nicht viel einfacher, weil die Moskauer Außenstelle nicht über ausreichend viele Mitarbeiter verfügte, die man an anderen Orten dieses riesigen Landes hätte einsetzen können. Geheimdienstoperationen spielten sich in der Regel in Landeshauptstädten ab, denn dort konnte man »Diplomaten« postieren, die in Wirklichkeit Wölfe in Schafspelzen waren. Eine nahe liegende Gegenmaßnahme wäre es, in der eigenen Regierungshauptstadt ausschließlich strikt regierungsbezogene Behörden zu etablieren, klar abgegrenzt vom Militär und anderen sensiblen Bereichen. Aber das würde niemand tun, und zwar aus dem einfachen Grund, weil alle Regierungsmitglieder ihre Funktionäre greifbar in der Nähe haben wollten, damit sie – die Regierungsmitglieder – die Ausübung von Macht auch genießen konnten. Und das war es doch, worum es allen ging, sei es nun in Moskau, in Berlin oder in Washington, D. C. Wenn sie also nicht von Moskau aus operieren konnten, von wo aus dann? Es gab nicht allzu viele Orte, an die Rabbit ohne weiteres reisen konnte. Schon gar nicht in Gegenden westlich des Stacheldrahts, wie man den Eisernen Vorhang immer nannte, der sich 1945 auf Europa herabgesenkt hatte. Und es gab kaum Orte, die für die CIA praktisch waren und an die sich zugleich jemand in seiner Funktion begeben konnte, ohne Aufsehen zu erregen. Die Strände in Sotschi vielleicht. Rein theoretisch hätte die Navy ein U-Boot 373

dorthin schicken können, um ihn abzuholen, aber man konnte nicht einfach ein U-Boot anfordern. Mit einer solchen Anfrage würde man bei der Navy auf Granit stoßen. Damit blieben nur die sozialistischen Bruderstaaten Osteuropas, die als Urlaubsziel etwa ebenso attraktiv waren wie das tiefste Mississippi im Sommer: ein hübsches Fleckchen Erde für den, der auf Baumwollplantagen und glühende Hitze stand, aber ansonsten? Polen kam nicht in Frage. Nach der Verwüstung durch die deutsche Wehrmacht war Warschau zwar wieder aufgebaut worden, aber wegen der angespannten innenpolitischen Situation war Polen im Moment keine gute Wahl, zumal der beste Absprungpunkt, Gdansk, augenblicklich so scharf bewacht wurde wie die russischpolnische Grenze. Es verbesserte die Sache auch nicht gerade, dass die Engländer dort einen neuen russischen T-72-Kampfpanzer abgestaubt hatten. Mary Pat hoffte, dass der gestohlene Panzer für irgendjemanden von Nutzen sein würde, denn irgendein Idiot in London hatte sich damit bei der Presse großgetan, und die hatte es natürlich bereitwilligst gedruckt, worauf Gdansk bis auf weiteres von der Liste der geeigneten Übergangsstellen gestrichen werden konnte. Die DDR vielleicht? Allerdings interessierten sich die meisten Russen einen Dreck für Deutschland, zumal es dort für sie auch wenig zu sehen gab. Die Tschechoslowakei? Prag war angeblich eine wunderschöne Stadt, geprägt von seiner Architektur aus der Zeit der Donaumonarchie und einem blühenden kulturellen Leben. Das dortige Symphonieorchester und die Ballette konnten sich fast mit den russischen messen, und die Kunstmuseen, hieß es, waren vorzüglich. Aber auch die tschechisch-österreichische Grenze wurde streng bewacht. Blieb nur noch... Ungarn. Ungarn, dachte sie. Auch Budapest war eine alte k. u. k Stadt, einst von der österreichischen Habsburger-Dynastie regiert, 1945 nach langem, erbittertem Widerstand der SS von den Russen erobert, inzwischen wahrscheinlich wieder in dem Glanz aufgebaut, in dem es hundert Jahre zuvor gestrahlt hatte. Wie wenig die Bevölkerung vom Kommunismus begeistert war, hatte sie 1956 augenfällig unter Beweis gestellt und war dann auf Chruschtschows persönliche Anordnung hin brutal in ihre Schranken verwiesen worden. Unter Andropows Ägide als sowjetischer Botschafter 374

»So etwas machen wir nicht«, erklärte sie kurz und bündig.<br />

»Schatz, ich könnte nie im Leben mit einem Messer in den Augapfel<br />

eines Menschen schneiden, ohne einen Anfall zu bekommen –<br />

oder in Ohnmacht zu fallen.« Schon bei dem bloßen Gedanken<br />

schauderte er.<br />

»Schwächling«, war ihr ganzer Kommentar zu diesem Geständnis.<br />

Sie schien nicht verstehen zu können, dass das bei der Ausbildung<br />

an der Marine Corps Basic School in Quantico, Virginia, nicht<br />

auch auf dem Lehrplan stand.<br />

Mary Pat spürte, dass ihr Mann noch wach war, aber für eine Unterhaltung<br />

war jetzt nicht die Zeit, auch nicht für stumme Dialoge in<br />

ihrer privaten Zeichensprache. Stattdessen ließ sie sich diverse<br />

Möglichkeiten durch den Kopf gehen, die geeignet waren, das<br />

Paket außer Landes zu schaffen. Über ein Versteck in Moskau? Zu<br />

heikel. Über Stationen in anderen Teilen der Sowjetunion? Das<br />

wäre auch nicht viel einfacher, weil die Moskauer Außenstelle nicht<br />

über ausreichend viele Mitarbeiter verfügte, die man an anderen<br />

Orten dieses riesigen Landes hätte einsetzen können. Geheimdienstoperationen<br />

spielten sich in der Regel in Landeshauptstädten ab,<br />

denn dort konnte man »Diplomaten« postieren, die in Wirklichkeit<br />

Wölfe in Schafspelzen waren. Eine nahe liegende Gegenmaßnahme<br />

wäre es, in der eigenen Regierungshauptstadt ausschließlich strikt<br />

regierungsbezogene Behörden zu etablieren, klar abgegrenzt vom<br />

Militär und anderen sensiblen Bereichen. Aber das würde niemand<br />

tun, und zwar aus dem einfachen Grund, weil alle Regierungsmitglieder<br />

ihre Funktionäre greifbar in der Nähe haben wollten, damit<br />

sie – die Regierungsmitglieder – die Ausübung von Macht auch<br />

genießen konnten. Und das war es doch, worum es allen ging, sei es<br />

nun in Moskau, in Berlin oder in Washington, D. C.<br />

Wenn sie also nicht von Moskau aus operieren konnten, von wo<br />

aus dann? Es gab nicht allzu viele Orte, an die <strong>Rabbit</strong> ohne weiteres<br />

reisen konnte. Schon gar nicht in Gegenden westlich des Stacheldrahts,<br />

wie man den Eisernen Vorhang immer nannte, der sich 1945<br />

auf Europa herabgesenkt hatte. Und es gab kaum Orte, die für die<br />

CIA praktisch waren und an die sich zugleich jemand in seiner<br />

Funktion begeben konnte, ohne Aufsehen zu erregen. Die Strände<br />

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