Clancy, Tom - Jack Ryan 12 - Red Rabbit.pdf

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Er winkte Oberst Roschdestwenski zu, der daraufhin rasch um den Tisch ging und Kopien des Warschauer Briefs verteilte. »Was Sie hier sehen, ist ein Brief, den der Papst in Rom letzte Woche nach Warschau geschickt hat.« Jeder Anwesende hielt jetzt eine Fotokopie des Originals in Händen – einige von ihnen sprachen Polnisch – sowie eine Übersetzung ins Russische, komplett mit Fußnoten. »Ich finde, dabei handelt es sich potenziell um eine politische Bedrohung.« »Ich habe diesen Brief bereits gesehen«, erklärte Alexandrow von seinem abgelegenen »Kandidaten«-Platz aus. Aus Achtung vor der höheren Position des todkranken Michail Suslow war dessen Sitz zu Breschnews Linken (und neben Andropow) leer geblieben, obwohl an seinem Platz die gleiche Anzahl von Papieren lag wie auf jedem anderen – vielleicht hatte Suslow sie auf dem Totenbett gelesen und würde von seiner Wartenische in der Kremlmauer ein letztes Mal zuschlagen. »Das ist ja unerhört«, sagte Marschall Ustinow sofort. Er war ebenfalls schon weit über siebzig. »Für wen hält sich dieser Pfaffe eigentlich?« »Nun, er ist Pole«, rief Andropow seinen Kollegen in Erinnerung, »und er fühlt sich gewissermaßen verpflichtet, seinen Landsleuten politischen Schutz zukommen zu lassen.« »Schutz wovor?«, wollte der Innenminister wissen. »Die Bedrohung Polens geht von deren eigenen Konterrevolutionären aus.« »Und die polnische Regierung hat nicht den nötigen Mumm, um da mal richtig aufzuräumen. Ich habe Ihnen schon letztes Jahr gesagt, wir müssen da einmarschieren«, erklärte der Erste Sekretär der Moskauer Partei. »Und wenn sie sich unserem Einschreiten widersetzen?«, fragte der Landwirtschaftsminister von seinem Platz am anderen Ende des Tisches aus. »Dessen können Sie sich sogar sicher sein«, erklärte der Außenminister. »Zumindest werden sie politischen Widerstand leisten.« »Dimitri Fedorowitsch?« Alexandrow übergab das Wort an Marschall Ustinow, der in seiner vollen Uniform einschließlich eines halben Quadratmeters Auszeichnungen und zweier Heldder-Sowjetunion-Goldsterne dasaß. Er hatte sie für politischen Mut verliehen bekommen, nicht für Tapferkeit im Feld, aber er war 269

einer der intelligentesten Männer im Raum. Er hatte sich seine Sporen im Großen Vaterländischen Krieg als Volkskommissar für Rüstung verdient – und weil er geholfen hatte, die UdSSR ins Raumfahrtzeitalter zu führen. Seine Meinung war vorhersehbar, aber wegen ihrer Weisheit geschätzt. »Die Frage, Genossen, ist doch, ob sich die Polen mit Waffengewalt widersetzen würden. Das wäre zwar militärisch keine Bedrohung für uns, aber politisch außerordentlich peinlich, sowohl hierzulande wie im Ausland. Mit anderen Worten, die Polen könnten die Rote Armee auf dem Schlachtfeld zwar nicht aufhalten, aber sollten sie es auch nur versuchen, zöge dies massive politische Konsequenzen nach sich. Aus diesem Grund habe ich mich im vergangenen Jahr für unsere Entscheidung eingesetzt, politischen Druck auf Warschau auszuüben – was uns mit Erfolg gelungen ist, wie Sie sich bestimmt erinnern können.« Mit seinen vierundsiebzig Jahren hatte Dimitri Fedorowitsch gelernt, vorsichtig zu sein, zumindest auf weltpolitischer Ebene. Seine unausgesprochene Sorge galt der Wirkung, die ein solcher Widerstand auf die Vereinigten Staaten von Amerika haben könnte, die ihre Nase mit Vorliebe in Dinge steckten, die sie nichts angingen. »Nun, das könnte in Polen zusätzliche politische Unruhen entfachen – sagen zumindest meine Berater«, erklärte Andropow seinen Kollegen, worauf es etwas frostig im Saal wurde. »Wie ernst ist diese Sache, Juri Wladimirowitsch? Vielmehr – wie ernst könnte sie werden?« Es war das erste Mal, dass Breschnew etwas sagte – und die buschigen Augenbrauen kletterten dabei nach oben. »Wegen konterrevolutionärer Elemente in der Gesellschaft bleibt Polen weiterhin unstabil. Vor allem unter den Arbeitern herrscht Unruhe. Wir haben unsere Quellen innerhalb dieses Solidarnosc-Komplotts, und sie sagen, dass der Topf weiterhin siedet. Das Problem mit dem Papst ist, dass das polnische Volk eine Leitfigur bekommen wird, wenn er, wie er es angedroht hat, nach Polen zurückkehrt. Und wenn sich dieser Bewegung genügend Menschen anschließen, könnte das Land durchaus versuchen, seine Verfassung zu ändern«, gab der KGB-Chef vorsichtig zu bedenken. »So weit darf es auf keinen Fall kommen«, bemerkte Leonid Iljitsch mit ruhiger Stimme. »Wenn Polen fällt, fällt Ostdeutsch­ 270

Er winkte Oberst Roschdestwenski zu, der daraufhin rasch um den<br />

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Woche nach Warschau geschickt hat.« Jeder Anwesende hielt jetzt<br />

eine Fotokopie des Originals in Händen – einige von ihnen sprachen<br />

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»Ich habe diesen Brief bereits gesehen«, erklärte Alexandrow<br />

von seinem abgelegenen »Kandidaten«-Platz aus. Aus Achtung vor<br />

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Sitz zu Breschnews Linken (und neben Andropow) leer geblieben,<br />

obwohl an seinem Platz die gleiche Anzahl von Papieren lag wie auf<br />

jedem anderen – vielleicht hatte Suslow sie auf dem Totenbett gelesen<br />

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»Das ist ja unerhört«, sagte Marschall Ustinow sofort. Er war<br />

ebenfalls schon weit über siebzig. »Für wen hält sich dieser Pfaffe<br />

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»Nun, er ist Pole«, rief Andropow seinen Kollegen in Erinnerung,<br />

»und er fühlt sich gewissermaßen verpflichtet, seinen Landsleuten<br />

politischen Schutz zukommen zu lassen.«<br />

»Schutz wovor?«, wollte der Innenminister wissen. »Die Bedrohung<br />

Polens geht von deren eigenen Konterrevolutionären aus.«<br />

»Und die polnische Regierung hat nicht den nötigen Mumm, um<br />

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gesagt, wir müssen da einmarschieren«, erklärte der Erste Sekretär<br />

der Moskauer Partei.<br />

»Und wenn sie sich unserem Einschreiten widersetzen?«, fragte<br />

der Landwirtschaftsminister von seinem Platz am anderen Ende<br />

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»Dessen können Sie sich sogar sicher sein«, erklärte der Außenminister.<br />

»Zumindest werden sie politischen Widerstand leisten.«<br />

»Dimitri Fedorowitsch?« Alexandrow übergab das Wort an<br />

Marschall Ustinow, der in seiner vollen Uniform einschließlich<br />

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