Clancy, Tom - Jack Ryan 12 - Red Rabbit.pdf

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schulte.josefine23
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zogenheit regieren würde, sondern in kollegialem Konsens. Keiner von ihnen wollte einen zweiten Stalin oder auch nur einen zweiten Chruschtschow, der sie in irgendwelche Abenteuer stürzte. Diesen Männern war nicht nach Abenteuern. Sie alle hatten aus der Geschichte gelernt, dass Glücksspiele immer die Möglichkeit des Verlierern beinhalteten, und keiner von ihnen hatte es so weit gebracht, um jetzt auch nur den geringsten Verlust riskieren zu wollen. Sie waren die Ältesten einer Nation von Schachspielern, für die ein Sieg durch stundenlanges geduldiges Taktieren errungen wurde. Das war eins der Probleme heute, dachte Andropow, als er neben Verteidigungsminister Ustinow Platz nahm. Beide saßen nicht weit vom Kopfende des Tisches entfernt, auf den Plätzen, die für die Angehörigen des Verteidigungsrates, des Soviet Orborny, reserviert waren, also für die fünf ranghöchsten Funktionäre des ganzen sowjetischen Regierungsapparates, zu denen auch der Sekretär für ideologische Fragen gehörte – Suslow. Ustinow sah von seinen Informationsunterlagen auf. »Guten Tag, Juri«, begrüßte der Minister den Neuankömmling. »Guten Tag, Dimitri.« Andropow war mit dem Marschall der Sowjetunion bereits zu einer Übereinkunft gekommen. Er hatte sich nie seinen Budgetforderungen für das aufgeblähte und ineffektive sowjetische Militär widersetzt, das in Afghanistan um sich schlug wie ein gestrandeter Wal. Am Ende trug es wahrscheinlich doch den Sieg davon, dachten alle. Schließlich hatte die Rote Armee nie versagt... es sei denn, man erinnerte sich an Lenins ersten Einfall in Polen 1919, der mit einer schmachvollen Schlappe endete. Nein, da erinnerten sie sich schon lieber an den Sieg über Hitler, als die Deutschen schon in Sichtweite des Kremls gekommen und schließlich nur von Russlands zuverlässigstem Verbündeten, General Winter, aufgehalten worden waren. Andropow war kein treuer Anhänger des sowjetischen Militärs, aber es blieb weiterhin das Sicherheitspolster für den Rest des Politbüros, denn die Armee sorgte dafür, dass die Menschen im Land taten, was ihnen aufgetragen wurde. Das geschah nicht aus Zuneigung, sondern weil die Rote Armee viele, viele Schusswaffen besaß. Über die verfügten natürlich auch der KGB und das Ministerium des Inneren, um ein Gegengewicht zur Roten Armee zu bilden – nicht, dass die Militärs 267

auf dumme Gedanken kamen. Sicherheitshalber befehligte der KGB auch noch das Dritte Hauptdirektorat, dessen Aufgabe darin bestand, jede einzelne Schützenkompanie der Roten Armee scharf im Auge zu behalten. In anderen Ländern nannte man das Kräftegleichgewicht. Hier war es ein Gleichgewicht des Schreckens. Leonid Iljitsch Breschnew traf als Letzter ein. Er ging wie der alte Bauer, der er war, und die Haut hing ihm schlaff vom einstmals markanten Gesicht. Er wurde bald achtzig, ein Alter, das er, seinem Aussehen nach zu schließen, vielleicht erreichen, aber nicht überschreiten würde. Das hatte sowohl positive als auch negative Seiten. Es ließ sich nicht sagen, welche Gedanken durch die Windungen seines verkalkten Gehirns spukten. Er war einmal ein Mann von großer persönlicher Macht gewesen – Andropow konnte sich noch gut daran erinnern. Breschnew war ein dynamischer Mann, der in tiefen Wäldern Elche n und sogar Bären nachgestellt hatte. Aber diese Zeiten waren vorbei. Er hatte schon seit Jahren nichts mehr geschossen–- außer vielleicht Menschen durch zweite oder dritte Hand. Doch dieser Umstand verlieh Leonid Iljitsch nicht etwa die Milde des Alters. Weit gefehlt. Die braunen Augen waren immer noch verschlagen, hielten immer noch Ausschau nach Verrat und glaubten manchmal welchen zu entdecken, wo es gar keinen gab. Unter Stalin war das häufig einem Todesurteil gleichgekommen. Aber auch das hatte sich geändert. Jetzt wurde man nur demontiert, seiner Macht beraubt und auf irgendeinen Posten in der Provinz versetzt, wo man vor Langeweile starb. »Guten Tag, Genossen«, sagte der Generalsekretär so freundlich, wie es seine brummige Stimme zuließ. Wenigstens gab es keine offensichtliche Speichelleckerei mehr, mit der kommunistische Höflinge untereinander um die Gunst des marxistischen Kaisers buhlten. Mit derlei Unsinn konnte man eine halbe Sitzung vertun, und Andropow hatte wichtige Dinge zu besprechen. Leonid Iljitsch war bereits vorinforrniert, und nachdem er einen Schluck von seinem Tee genommen hatte, wandte sich der Generalsekretär dem KGB-Chef zu. »Juri Wladimirowitsch, haben Sie etwas mit uns zu bereden?« »Ja, danke, Genosse Generalsekretär. Genossen«, begann er, »es hat sich etwas ergeben, womit wir uns unbedingt befassen sollten.« 268

auf dumme Gedanken kamen. Sicherheitshalber befehligte der<br />

KGB auch noch das Dritte Hauptdirektorat, dessen Aufgabe darin<br />

bestand, jede einzelne Schützenkompanie der Roten Armee scharf<br />

im Auge zu behalten. In anderen Ländern nannte man das Kräftegleichgewicht.<br />

Hier war es ein Gleichgewicht des Schreckens.<br />

Leonid Iljitsch Breschnew traf als Letzter ein. Er ging wie der alte<br />

Bauer, der er war, und die Haut hing ihm schlaff vom einstmals<br />

markanten Gesicht. Er wurde bald achtzig, ein Alter, das er, seinem<br />

Aussehen nach zu schließen, vielleicht erreichen, aber nicht überschreiten<br />

würde. Das hatte sowohl positive als auch negative Seiten.<br />

Es ließ sich nicht sagen, welche Gedanken durch die Windungen<br />

seines verkalkten Gehirns spukten. Er war einmal ein Mann von<br />

großer persönlicher Macht gewesen – Andropow konnte sich noch<br />

gut daran erinnern. Breschnew war ein dynamischer Mann, der in<br />

tiefen Wäldern Elche n und sogar Bären nachgestellt hatte. Aber<br />

diese Zeiten waren vorbei. Er hatte schon seit Jahren nichts mehr<br />

geschossen–- außer vielleicht Menschen durch zweite oder dritte<br />

Hand. Doch dieser Umstand verlieh Leonid Iljitsch nicht etwa die<br />

Milde des Alters. Weit gefehlt. Die braunen Augen waren immer<br />

noch verschlagen, hielten immer noch Ausschau nach Verrat und<br />

glaubten manchmal welchen zu entdecken, wo es gar keinen gab.<br />

Unter Stalin war das häufig einem Todesurteil gleichgekommen.<br />

Aber auch das hatte sich geändert. Jetzt wurde man nur demontiert,<br />

seiner Macht beraubt und auf irgendeinen Posten in der Provinz<br />

versetzt, wo man vor Langeweile starb.<br />

»Guten Tag, Genossen«, sagte der Generalsekretär so freundlich,<br />

wie es seine brummige Stimme zuließ.<br />

Wenigstens gab es keine offensichtliche Speichelleckerei mehr,<br />

mit der kommunistische Höflinge untereinander um die Gunst des<br />

marxistischen Kaisers buhlten. Mit derlei Unsinn konnte man eine<br />

halbe Sitzung vertun, und Andropow hatte wichtige Dinge zu<br />

besprechen.<br />

Leonid Iljitsch war bereits vorinforrniert, und nachdem er einen<br />

Schluck von seinem Tee genommen hatte, wandte sich der Generalsekretär<br />

dem KGB-Chef zu. »Juri Wladimirowitsch, haben Sie<br />

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hat sich etwas ergeben, womit wir uns unbedingt befassen sollten.«<br />

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