Clancy, Tom - Jack Ryan 12 - Red Rabbit.pdf
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»Guten Morgen, Oleg«, grüßte Dobrik kameradschaftlich und reckte sich in seinem Drehstuhl. »Guten Morgen, Kolja. Wie war die Nachtschicht?« »Eine Menge Verkehr aus Washington. Wieder dieser Irre von einem Präsidenten. Wussten Sie, dass wir der ›Inbegriff des Bösen in der modernen Welt‹ sind?« »Hat er das gesagt?«, fragte Zaitzew ungläubig. Dobrik nickte. »Allerdings. Die Agentur in Washington hat uns den Text seiner Rede geschickt – für seine treuen Parteianhänger war es natürlich Wasser auf ihre Mühlen, aber auch so hat das Ganze für einigen Aufruhr gesorgt. Ich schätze, der Botschafter wird deswegen vom Außenministerium Anweisungen erhalten, und das Politbüro wird wahrscheinlich auch etwas dazu zu sagen haben. Aber wenigstens war es eine relativ spannende Schicht!« »Aber sie haben es doch hoffentlich nicht Buchstabe für Buchstabe verschlüsselt?« Eine komplette Übertragung per Einmal- Block wäre ein Alptraum gewesen. »Nein, Gott sei Dank war’s ein reiner Maschinenjob«, erwiderte Dobrik. Diese Redewendung war weit verbreitet, selbst in der Zentrale. »Unsere Leute versuchen immer noch, sich einen Reim auf seine Keiferei zu machen. In der politischen Abteilung wi rd man bestimmt noch stundenlang darüber brüten – nein, eher tagelang, zusammen mit den Psychiatern, schätze ich.« Zaitzew lachte leise. Das Hin und Her zwischen den Psychos und den Agenten würde sicher unterhaltsam zu lesen sein – und wie es sich für gute Schreibstubenhengste gehörte, lasen sie normalerweise alle unterhaltsamen Nachrichten. »Da fragt man sich schon, wie solche Männer dazu kommen, ein derart großes Land zu regieren«, bemerkte Dobrik, stand auf und zündete sich eine Zigarette an. »Die nennen das, glaube ich, einen demokratischen Prozess«, erwiderte Zaitzew. »Also, wenn das so ist, können wir nur froh sein über den kollektiven Willen des Volkes, wie er sich durch die geliebte Partei Ausdruck verschafft.« Trotz der bewussten Ironie seiner Bemerkung war Dobrik natürlich wie jeder im Raum ein gutes Parteimitglied. 221
»Allerdings, Kolja. Nun« – Zaitzew sah zur Wanduhr hinüber, er war sechs Minuten zu früh – »ich löse Sie jetzt ab, Genosse Major.« »Und ich danke Ihnen, Genosse Major.« Dobrik entfernte sich in Richtung Ausgang. Zaitzew setzte sich auf den Stuhl, der noch warm war von Dobriks Gesäß, und trug sich in den Dienstplan ein. Als Nächstes kippte er den Inhalt des Aschenbechers in den Abfalleimer – was Dobrik immer versäumte – und trat damit einen neuen Arbeitstag im Büro an. Die Ablösung seines Kollegen war reine Routine, aber ein angenehme. Bis auf diese wenigen Momente zu Beginn seines Diensts hatte er mit Dobrik kaum etwas zu tun. Wie sich jemand freiwillig auf Dauer für den Nachtdienst einteilen lassen konnte, war Zaitzew ein Rätsel. Jedenfalls hinterließ Dobrik ihm stets einen leeren Schreibtisch und keinen, auf dem sich unerledigte Arbeit türmte. So blieben Zaitzew ein paar freie Minuten, die er nutzen konnte, um sich auf den neue sten Stand zu bringen und mental auf den Tag einzustimmen. An diesem Tag brachten diese paar Minuten allerdings nur die Bilder zurück, die ihm, schien es, nicht mehr aus dem Kopf gehen wollten. Und deshalb zündete sich Oleg Iwanowitsch seine erste Dienstzigarette des Tages an und ordnete die Papiere auf dem Metallschreibtisch, während er in Gedanken ganz woanders war. Es war zehn nach acht, als ein Kollege aus der Chiffrierabteilung mit einem braunen Ordner zu ihm kam. »Von der Außenstelle in Washington, Genosse Major«, sagte der Mann. »Danke, Genosse«, antwortete Zaitzew. Er nahm den braunen Ordner, schlug ihn auf und begann die Nachrichten durchzublättern. Aha, dachte er, dieser CASSIUS hat sich wieder gemeldet... ja, weitere politische Informationen. Er kannte weder den richtigen Namen noch das Gesicht, das zu CASSIUS gehörte, aber er musste Assistent eines hochrangigen Parlamentariers sein, möglicherweise sogar eines Senators. Er lieferte hochwertige politische Informationen, die darauf hindeuteten, dass er Zugriff auf nachrichtendienstlich brisantes Material hatte. Es arbeitete also auch ein Mitarbeiter eines hohen amerikanischen Politikers für die Sowjetunion. Da er dafür nicht bezahlt wurde, war er offenbar ein 222
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»Guten Morgen, Oleg«, grüßte Dobrik kameradschaftlich und<br />
reckte sich in seinem Drehstuhl.<br />
»Guten Morgen, Kolja. Wie war die Nachtschicht?«<br />
»Eine Menge Verkehr aus Washington. Wieder dieser Irre von<br />
einem Präsidenten. Wussten Sie, dass wir der ›Inbegriff des Bösen in<br />
der modernen Welt‹ sind?«<br />
»Hat er das gesagt?«, fragte Zaitzew ungläubig.<br />
Dobrik nickte. »Allerdings. Die Agentur in Washington hat<br />
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war es natürlich Wasser auf ihre Mühlen, aber auch so<br />
hat das Ganze für einigen Aufruhr gesorgt. Ich schätze, der Botschafter<br />
wird deswegen vom Außenministerium Anweisungen<br />
erhalten, und das Politbüro wird wahrscheinlich auch etwas dazu<br />
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Schicht!«<br />
»Aber sie haben es doch hoffentlich nicht Buchstabe für Buchstabe<br />
verschlüsselt?« Eine komplette Übertragung per Einmal-<br />
Block wäre ein Alptraum gewesen.<br />
»Nein, Gott sei Dank war’s ein reiner Maschinenjob«, erwiderte<br />
Dobrik. Diese <strong>Red</strong>ewendung war weit verbreitet, selbst in der Zentrale.<br />
»Unsere Leute versuchen immer noch, sich einen Reim auf<br />
seine Keiferei zu machen. In der politischen Abteilung wi rd man<br />
bestimmt noch stundenlang darüber brüten – nein, eher tagelang,<br />
zusammen mit den Psychiatern, schätze ich.«<br />
Zaitzew lachte leise. Das Hin und Her zwischen den Psychos<br />
und den Agenten würde sicher unterhaltsam zu lesen sein – und wie<br />
es sich für gute Schreibstubenhengste gehörte, lasen sie normalerweise<br />
alle unterhaltsamen Nachrichten.<br />
»Da fragt man sich schon, wie solche Männer dazu kommen, ein<br />
derart großes Land zu regieren«, bemerkte Dobrik, stand auf und<br />
zündete sich eine Zigarette an.<br />
»Die nennen das, glaube ich, einen demokratischen Prozess«,<br />
erwiderte Zaitzew.<br />
»Also, wenn das so ist, können wir nur froh sein über den kollektiven<br />
Willen des Volkes, wie er sich durch die geliebte Partei<br />
Ausdruck verschafft.« Trotz der bewussten Ironie seiner Bemerkung<br />
war Dobrik natürlich wie jeder im Raum ein gutes Parteimitglied.<br />
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