Clancy, Tom - Jack Ryan 12 - Red Rabbit.pdf

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schulte.josefine23
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04.03.2013 Aufrufe

Oleg Iwan’tsch schenkte sich ein weiteres Glas Wodka aus der vor ihm stehenden Flasche ein und nahm einen kräftigen Schluck. In seinem Leben gab es viele störende Details. Von seinem Schreibtisch zum Wasserspender war es zu weit. Es gab Kollegen, die er nicht mochte – Stefan Jewgeniewi tsch Iwanow zum Beispiel, ein ihm übergeordneter Major in der Kommunikationszentrale. Wie er es vor vier Jahren geschafft hatte, befördert zu werden, war allen in der Abteilung ein Rätsel. Von den hochrangigeren Mitarbeitern wurde er als typischer Schreibtischhengst eingeschätzt, der außerstande war, nützliche Arbeit zu leisten. Zaitzew vermutete, dass es in jedem Betrieb so jemanden gab, eine Blamage für das Büro, aber nicht ohne weiteres loszuwerden, weil... nun, weil er einfach da war. Wäre Iwanow nicht im Weg gewesen, hätte er, Zaitzew, befördert werden können – wenn schon nicht zu einem höheren Dienstgrad, so doch in seiner Position gegenüber dem Leiter der Abteilung. Jeder Atemzug, den Iwanow tat, war für Oleg Iwan’tsch ein Ärgernis, aber das verlieh ihm noch lange nicht das Recht, den ranghöheren Kollegen umzubringen, oder? Nein, er würde verhaftet und vor Gericht gestellt und vielleicht sogar wegen Mordes hingerichtet werden. Weil es gesetzlich verboten war. Weil es falsch war. Das sagten ihm das Gesetz, die Partei und sein eigenes Gewissen. Aber Andropow wollte diesen Karol töten, und sein Gewissen sagte dazu offenbar nicht Nein. Täte das ein anderes Gewissen? Ein weiterer Schluck Wodka. Ein weiteres Schnauben. Ein Gewissen, im Politbüro? Selbst beim KGB wurde nicht viel gegrübelt. Keine Debatten. Keine offenen Diskussionen. Nur Handlungsanweisungen und Benachrichtigungen über Durchführung oder Scheitern. Beurteilungen von Ausländern natürlich, Diskussionen über die Anschauungen von Ausländern, richtigen Agenten oder lediglich Einfluss nehmenden Agenten, den im KGB-Wörterbuch so genannten »nützlichen Idioten«. Noch nie hatte ein Agent, nachdem er einen Befehl erhalten hatte, zurückgeschrieben: »Nein, Genosse, das sollten wir nicht tun, weil es moralisch falsch ist.« Goderenko in Rom war dem noch am nächsten gekommen, als er sich die Bemerkung erlaubte, die Ermordung des Priesters Karol könne sich nachteilig 209

auf andere Operationen auswirken. Hieß das, dass auch Ruslan Borissowitsch Gewissensbisse hatte? Nein. Goderenko hatte drei Söhne – einen bei der Roten Flotte, einen, so hieß es, in der KGB- Akademie draußen an der Ringstraße und den dritten an der Moskauer Staatsuniversität. Wenn Ruslan Borissowitsch Ärger mit dem KGB bekam, konnte das, wenn schon nicht seinen Tod, so doch zumindest erhebliche Benachteiligungen für seine Kinder bedeuten, und darauf ließen es nur die wenigsten ankommen. Hatte er also als Einziger ein Gewissen im KGB? Zaitzew nahm einen Schluck und dachte darüber nach. Wahrscheinlich nicht. Es gab Tausende von Männern in der Zentrale und Tausende mehr anderswo, und schon nach der Statistik war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es jede Menge »guter« Männer gab (was immer man darunter verstand). Aber wie erkannte man sie? Offen nach ihnen zu suchen bedeutete den sicheren Tod – oder zumindest eine lange Haftstrafe. Das war sein grundlegendes Problem. Es gab niemanden, dem er seine Zweifel anvertrauen konnte. Niemanden, mit dem er über seine Bedenken sprechen konnte – keinen Arzt, keinen Geistlichen... nicht einmal seine Frau Irina. Nein, er hatte nur seine Wodkaflasche, und selbst wenn sie ihm auf ihre Weise beim Nachdenken half, war sie kein besonders guter Gesprächspartner. Russische Männer hatten keine Probleme damit, Tränen zu vergießen, aber auch Tränen wären keine große Hilfe gewesen. Irina würde ihm vielleicht Fragen stellen, und er wäre nicht in der Lage, sie zu ihrer Zufriedenheit zu beantworten. Alles, was ihm blieb, war Schlaf, der ihm zumindest vorübergehend das Vergessen brachte. Er würde ihm allerdings nicht auf Dauer helfen, da war sich Zaitzew sicher, und in diesem Punkt hatte er Recht. Nach einer weiteren Stunde und zwei weiteren Gläsern Wodka war er wenigstens endlich bettreif. Seine Frau döste vor dem Fernseher – die Rote Armee hatte wieder einmal die Schlacht um Kursk gewonnen, und der Film endete mit dem Beginn eines langen Marsches, der, voller Hoffnung und voller Begeisterung für das blutige Werk, zum Berliner Reichstag führen sollte. Zaitzew lachte leise in sich hinein. Hoffnung und Begeisterung – danach suchte er bei sich im Moment vergeblich. Er trug das leere Glas in die Küche, dann weckte er seine Frau, damit sie mit ins Schlafzimmer kam. Er hoffte, 210

Oleg Iwan’tsch schenkte sich ein weiteres Glas Wodka aus der<br />

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vermutete, dass es in jedem Betrieb so jemanden gab, eine Blamage<br />

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er, Zaitzew, befördert werden können – wenn schon nicht zu<br />

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dem Leiter der Abteilung. Jeder Atemzug, den Iwanow tat,<br />

war für Oleg Iwan’tsch ein Ärgernis, aber das verlieh ihm noch<br />

lange nicht das Recht, den ranghöheren Kollegen umzubringen,<br />

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Nein, er würde verhaftet und vor Gericht gestellt und vielleicht<br />

sogar wegen Mordes hingerichtet werden. Weil es gesetzlich verboten<br />

war. Weil es falsch war. Das sagten ihm das Gesetz, die Partei<br />

und sein eigenes Gewissen.<br />

Aber Andropow wollte diesen Karol töten, und sein Gewissen<br />

sagte dazu offenbar nicht Nein. Täte das ein anderes Gewissen? Ein<br />

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im Politbüro?<br />

Selbst beim KGB wurde nicht viel gegrübelt. Keine Debatten.<br />

Keine offenen Diskussionen. Nur Handlungsanweisungen und<br />

Benachrichtigungen über Durchführung oder Scheitern. Beurteilungen<br />

von Ausländern natürlich, Diskussionen über die Anschauungen<br />

von Ausländern, richtigen Agenten oder lediglich Einfluss<br />

nehmenden Agenten, den im KGB-Wörterbuch so genannten<br />

»nützlichen Idioten«. Noch nie hatte ein Agent, nachdem er einen<br />

Befehl erhalten hatte, zurückgeschrieben: »Nein, Genosse, das sollten<br />

wir nicht tun, weil es moralisch falsch ist.« Goderenko in Rom<br />

war dem noch am nächsten gekommen, als er sich die Bemerkung<br />

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