Clancy, Tom - Jack Ryan 12 - Red Rabbit.pdf

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04.03.2013 Aufrufe

gelernt, damit sein Gesicht dem Observierungsobjekt nicht zu vertraut wurde. Die Straßen und Gehsteige in Moskau waren breit, aber nicht besonders stark frequentiert. Die meisten Russen waren bei der Arbeit, und es gab kaum Frauen, die nicht berufstätig waren und stattdessen einkaufen gingen oder zu irgendwelchen gesellschaftlichen Anlässen oder zum Golfclub unterwegs waren – allerhöchstem die Frauen der wirklich wichtigen Parteimitglieder. Ein bisschen wie die untätigen Reichen zu Hause, dachte Mary Pat. Ihre Mutter hatte immer gearbeitet, zumindest in ihrer Erinnerung – und tat es eigentlich auch jetzt noch. Aber hier benutzten arbeitende Frauen Schaufeln, während die Männer Kipplaster fuhren. Sie besserten ständig Schlaglöcher aus, aber sie besserten sie nie gut genug aus. Genau wie in Washington und New York, dachte sie. Dafür gab es hier Straßenverkäufer, die Eis anboten, und Mary Pat kaufte eines für den kleinen Eddie, der alles ringsum mit großen Augen aufnahm. Sie hatte leichte Gewissensbisse, ihrem Sohn diese Stadt und diese Mission aufzubürden, aber er war erst vier, und es würde eine lehrreiche Erfahrung für ihn werden. Wenigstens konnte er zweisprachig aufwachsen. Außerdem würde er sein Land besser zu schätzen lernen als die meisten amerikanischen Kinder, und schon allein das, fand Mary Pat, hatte sein Gutes. Sie hatte also einen Schatten. Wie gut war er? Vielleicht wurde es Zeit, das herauszufinden. Sie griff in ihre Handtasche und nahm unauffällig ein Stück Papierklebestreifen heraus. Es war rot, knallrot. Sie bog um eine Ecke, heftete es mit einer Geste, so beiläufig, dass sie praktisch nicht zu sehen war, an einen Laternenpfahl und ging weiter. Nach fünfzig Metern blieb sie stehen, blickte sich um, als hätte sie sich verlaufen – und sah den Mann an dem Laternenpfahl vorbeimarschieren. Demnach hatte er nicht gesehen, dass sie das Signal angebracht hatte. Hätte er es bemerkt, hätte er zumindest einen Blick darauf geworfen. Und er war der Einzige, der ihr folgte. Ihre Route war so willkürlich gewählt, dass ihr niemand anders zugeteilt worden sein dürfte, wenn sie nicht gerade besonders gründlich observiert werden sollte, was sehr unwahrscheinlich war. Mary Pat war noch bei keinem ihrer Außendiensteinsätze aufgeflogen. Sie erinnerte sich an jeden einzelnen Moment 165

ihrer Ausbildung auf der »Farm« in Tidewater, Virginia. Sie hatte zu den Besten ihrer Klasse gehört, und sie wusste, dass sie gut war. Sie wusste aber auch, dass man nie so gut war, um sich Unvorsichtigkeit leisten zu können. Aber solange man vorsichtig war, konnte man jedes Pferd reiten. Großvater Wanja hatte ihr auch das Reiten beigebracht. Sie würde in dieser Stadt mit dem kleinen Eddie viele Abenteuer erleben. Sie würde warten, bis der KGB es satt bekam, sie zu beschatten, und dann wollte sie so richtig loslegen. Sie fragte sich, wen sie außer den etablierten Agenten vor Ort, die sie zu führen hatte, noch alles für die CIA anwerben konnte. Ja, sie war hier mitten in der Höhle des Löwen, und ihre Aufgabe bestand darin, diesem Mistvieh ordentlich die Hölle heiß zu machen. »Sehr gut, Aleksei Nikolai’tsch, Sie kennen den Mann«, sagte Andropow. »Was soll ich ihm jetzt sagen?« Es war ein Zeichen für die Intelligenz des KGB-Chefs, dass er den Agenten in Rom nicht mit einer vernichtenden Bemerkung bloßstellte. Nur ein Dummkopf trampelte auf seinen hochrangigen Untergebenen herum. »Er bittet um Führung – wegen der Tragweite der Operation und so weiter. Wir sollten sie ihm geben. Das wirft die Frage auf, was genau Sie im Sinn haben, Genosse Vorsitzender. Haben Sie sich schon zu diesem Punkt Gedanken gemacht?« »Also schön, Oberst, was sollten wir Ihrer Meinung nach tun?« »Genosse Vorsitzender, die Amerikaner haben für diese Situation eine Redewendung, die ich zu schätzen gelernt habe: Das übersteigt meine Gehaltsstufe.« »Wollen Sie damit etwa sagen, dass Sie nicht ab und zu – zumindest in Gedanken – den KGB-Vorsitzenden spielen?«, fragte Juri Wladimirowitsch ziemlich pointiert. »Ehrlich gesagt, nein. Ich beschränke meine Überlegungen auf das, wovon ich etwas verstehe – auf operative Probleme. Für Fragen, die so stark in die hohe Politik hineinspielen, fühle ich mich nicht kompetent genug, Genosse.« Eine kluge Antwort, wenn auch keine ehrliche, stellte Andropow fest. Es wäre Roschdestwenski allerdings auch gar nicht möglich, über irgendwelche Überlegungen dieser Größenordnung zu reden, 166

gelernt, damit sein Gesicht dem Observierungsobjekt nicht zu vertraut<br />

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Die Straßen und Gehsteige in Moskau waren breit, aber nicht<br />

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Ihre Mutter hatte immer gearbeitet, zumindest in ihrer Erinnerung<br />

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arbeitende Frauen Schaufeln, während die Männer Kipplaster<br />

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Dafür gab es hier Straßenverkäufer, die Eis anboten, und Mary<br />

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Sohn diese Stadt und diese Mission aufzubürden, aber er war erst<br />

vier, und es würde eine lehrreiche Erfahrung für ihn werden.<br />

Wenigstens konnte er zweisprachig aufwachsen. Außerdem würde<br />

er sein Land besser zu schätzen lernen als die meisten amerikanischen<br />

Kinder, und schon allein das, fand Mary Pat, hatte sein<br />

Gutes. Sie hatte also einen Schatten. Wie gut war er? Vielleicht<br />

wurde es Zeit, das herauszufinden. Sie griff in ihre Handtasche und<br />

nahm unauffällig ein Stück Papierklebestreifen heraus. Es war rot,<br />

knallrot. Sie bog um eine Ecke, heftete es mit einer Geste, so<br />

beiläufig, dass sie praktisch nicht zu sehen war, an einen Laternenpfahl<br />

und ging weiter. Nach fünfzig Metern blieb sie stehen, blickte<br />

sich um, als hätte sie sich verlaufen – und sah den Mann an dem<br />

Laternenpfahl vorbeimarschieren. Demnach hatte er nicht gesehen,<br />

dass sie das Signal angebracht hatte. Hätte er es bemerkt, hätte<br />

er zumindest einen Blick darauf geworfen. Und er war der Einzige,<br />

der ihr folgte. Ihre Route war so willkürlich gewählt, dass ihr niemand<br />

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war. Mary Pat war noch bei keinem ihrer Außendiensteinsätze<br />

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