Clancy, Tom - Jack Ryan 12 - Red Rabbit.pdf

Clancy, Tom - Jack Ryan 12 - Red Rabbit.pdf Clancy, Tom - Jack Ryan 12 - Red Rabbit.pdf

schulte.josefine23
von schulte.josefine23 Mehr von diesem Publisher
04.03.2013 Aufrufe

ablegen, wählen, Bleistift wieder aufnehmen, das Ergebnis kontrollieren – in diesem Fall insgesamt zweimal – und wieder von vorn anfangen. (Die Kollegen, die nichts anderes taten als zu chiffrieren, konnten beidhändig arbeiten, doch das war Zaitzew unmöglich.) Was ihm da abverlangt wurde, war wirklich eine Zumutung, eines studierten Mathematikers nicht würdig. Er kam sich vor wie ein Hilfslehrer, der die Buchstabentests von I-Dötzchen korrigieren musste. Hätte er doch wenigstens eine Hilfe gehabt! Aber das kam nicht in Frage, die Vorschriften waren allzu streng. Als er endlich mit dem Text durch war, musste alles noch einmal geprüft werden, um Fehler auszuschließen, denn Fehler brachten die ganze Geschichte sowohl hier als auch am Empfängerort durcheinander. Im schlimmsten Fall konnte man allerdings dem Kollegen am Fernschreiber die Schuld zuschieben, was dann auch jeder tat. Es dauerte noch einmal viereinhalb Minuten, bis er ausschließen konnte, dass ihm ein Irrtum unterlaufen war. Prima. Zaitzew stand auf und ging in den Funkraum. Dort herrschte ein Lärm, der einen verrückt machen konnte. Die uralten Fernschreiber – einer davon war tatsächlich in den dreißiger Jahren aus Deutschland gestohlen worden – ratterten wie Maschinengewehre. Vor jedem Gerät saß eine uniformierte Schreibkraft – es waren durch die Bank männliche Kollegen – mit kerzengeradem Rückgrat, die Hände scheinbar mit der Tastatur verschweißt. Sie alle trugen einen Lärmschutz auf den Ohren, der einer Einlieferung in die Psychiatrie vorbeugen sollte. Zaitzew legte seine Nachricht dem Aufsichtsbeamten vor, der ebenfalls die Ohren geschützt hatte. Wortlos nahm dieser den Zettel zur Hand und brachte ihn zu dem Kollegen, der in der hintersten Reihe ganz links saß. Dort klemmte der Aufsichtsbeamte den Zettel an ein über der Tastatur schwebendes Brett. Am oberen Rand des Formblattes stand das Zeichen für den Empfänger. Die Schreibkraft wählte die entsprechende Nummer und wartete, bis an ihrer Maschine eine gelbe Lampe aufleuchtete und am anderen Ende der Funkverbindung das trillernde Geräusch des Fernschreibers in ihrem Kopfhörer zu hören war. Dann gab sie den Buchstabensalat ein. Wie diese Kollegen eine solche Ar beit tun konnten, ohne durchzudrehen, blieb für Zaitzew ein Geheimnis. Der menschliche Verstand war auf Sinn und Ordnung erpicht, doch ein Wort wie 123

TKALNNETPTN zu tippen erforderte Fähigkeiten, die alles Menschentypische negierten und eigentlich nur von einem Roboter erbracht werden konnten. Es hieß, dass diese Kollegen allesamt vorzügliche Klavierspieler waren, was Zaitzew aber nicht glauben mochte. Selbst das dissonanteste Stück für Klavier hatte irgendeine nachvollziehbare Harmonie. Nicht so ein Text, der nach der Methode der Einzelverschlüsselung chiffriert worden war. Schon nach wenigen Sekunden blickte die Schreibkraft auf und sagte: »Übertragung abgeschlossen, Genosse.« Zaitzew nickte dem Mann zu und kehrte ans Pult des Aufsichtsbeamten zurück. »Geben Sie mir bitte Bescheid, sobald eine Antwort eintrifft.« »Ja, Genosse Major«, versprach der Aufsichtsbeamte und setzte eine weitere Nummer auf seine Dringlichkeitsliste. Zaitzew kehrte an seinen Schreibtisch zurück, auf dem sich mittlerweile noch mehr Arbeit angehäuft hatte, Arbeit, die auch nicht sehr viel weniger geisttötend war als das, was die Roboter im Raum nebenan tun mussten. Vielleicht war dies der Grund dafür, dass sich in seinem Hinterkopf eine Frage zu regen begann: Möglichst nahe an den Papst heran... Warum? Um viertel vor sechs am Morgen ging der Wecker. Eine unchristliche Zeit, fand Ryan und rechnete sich aus, dass es zu Hause auf die erste Stunde nach Mitternacht zuging. Doch darüber mochte er nicht lange nachdenken. Er schlug die Decke zur Seite, stand auf und wankte ins Bad. Es gab da noch einiges, woran er sich gewöhnen musste. Die Spülung der Toilette funktionierte in etwa wie daheim, aber das Handwaschbecken... Wozu, fragte sich Ryan, waren hier zwei separate Hähne installiert, der eine für kaltes, der andere für heißes Wasser? Zu Hause hielt man einfach die Hände unter einen lauwarm temperierten Strahl. Hier musste man das kalte und heiße Wasser zuerst im Becken mischen, und das hielt auf. Der erste morgendliche Blick in den Spiegel war dann wie gewohnt problematisch. Bin ich das wirklich? fragte er sich und tapste ins Schlafzimmer zurück, um seine Frau mit einem sanften Klaps aufs Hinterteil zu wecken. »Es wird Zeit, Liebling.« Ein Grummeln ertönte aus tiefster Ferne und dann ein Murmeln: »Ja, ich weiß.« 124

ablegen, wählen, Bleistift wieder aufnehmen, das Ergebnis kontrollieren<br />

– in diesem Fall insgesamt zweimal – und wieder von vorn<br />

anfangen. (Die Kollegen, die nichts anderes taten als zu chiffrieren,<br />

konnten beidhändig arbeiten, doch das war Zaitzew unmöglich.)<br />

Was ihm da abverlangt wurde, war wirklich eine Zumutung, eines<br />

studierten Mathematikers nicht würdig. Er kam sich vor wie ein<br />

Hilfslehrer, der die Buchstabentests von I-Dötzchen korrigieren<br />

musste. Hätte er doch wenigstens eine Hilfe gehabt! Aber das kam<br />

nicht in Frage, die Vorschriften waren allzu streng.<br />

Als er endlich mit dem Text durch war, musste alles noch einmal<br />

geprüft werden, um Fehler auszuschließen, denn Fehler brachten<br />

die ganze Geschichte sowohl hier als auch am Empfängerort durcheinander.<br />

Im schlimmsten Fall konnte man allerdings dem Kollegen<br />

am Fernschreiber die Schuld zuschieben, was dann auch jeder tat.<br />

Es dauerte noch einmal viereinhalb Minuten, bis er ausschließen<br />

konnte, dass ihm ein Irrtum unterlaufen war. Prima.<br />

Zaitzew stand auf und ging in den Funkraum. Dort herrschte ein<br />

Lärm, der einen verrückt machen konnte. Die uralten Fernschreiber<br />

– einer davon war tatsächlich in den dreißiger Jahren aus<br />

Deutschland gestohlen worden – ratterten wie Maschinengewehre.<br />

Vor jedem Gerät saß eine uniformierte Schreibkraft – es waren<br />

durch die Bank männliche Kollegen – mit kerzengeradem Rückgrat,<br />

die Hände scheinbar mit der Tastatur verschweißt. Sie alle trugen<br />

einen Lärmschutz auf den Ohren, der einer Einlieferung in die<br />

Psychiatrie vorbeugen sollte. Zaitzew legte seine Nachricht dem<br />

Aufsichtsbeamten vor, der ebenfalls die Ohren geschützt hatte.<br />

Wortlos nahm dieser den Zettel zur Hand und brachte ihn zu dem<br />

Kollegen, der in der hintersten Reihe ganz links saß. Dort klemmte<br />

der Aufsichtsbeamte den Zettel an ein über der Tastatur schwebendes<br />

Brett. Am oberen Rand des Formblattes stand das Zeichen für<br />

den Empfänger. Die Schreibkraft wählte die entsprechende Nummer<br />

und wartete, bis an ihrer Maschine eine gelbe Lampe aufleuchtete<br />

und am anderen Ende der Funkverbindung das trillernde<br />

Geräusch des Fernschreibers in ihrem Kopfhörer zu hören war.<br />

Dann gab sie den Buchstabensalat ein.<br />

Wie diese Kollegen eine solche Ar beit tun konnten, ohne durchzudrehen,<br />

blieb für Zaitzew ein Geheimnis. Der menschliche Verstand<br />

war auf Sinn und Ordnung erpicht, doch ein Wort wie<br />

<strong>12</strong>3

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!