Clancy, Tom - Jack Ryan 12 - Red Rabbit.pdf

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schulte.josefine23
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en, dass es ins Chaos stürzte, und für diese Aufgabe war es unabdingbar, dass er noch lange lebte und Breschnew möglichst bald das Zeitliche segnete. Leonid war ganz offensichtlich krank. Er hatte es zwar geschafft, das Rauchen einzustellen – eine beachtliche Leistung, denn immerhin war er schon 76 Jahre alt war –, doch an seiner galoppierenden Senilität ließ sich wohl nichts mehr korrigieren. Er konnte sich nicht mehr richtig konzentrieren, hatte Gedächtnisstörungen und schlief auf wichtigen Sitzungen häufig ein, was seine Parteigenossen immer arg in Verlegenheit brachte. Aber trotzdem hielt er – wie schon in Todesstarre – mit unlöslichem Griff an der Macht fest. Er hatte mit einer raffinierten Folge von politischen Schachzügen Nikita Sergeiewitsch Chruschtschow zu Fall gebracht, was in Moskau als historisches Lehrstück in unvergesslicher Erinnerung geblieben war. Ein ähnliches Manöver jetzt gegen ihn ins Feld zu führen wäre wenig ratsam. Bislang hatte sich noch niemand getraut, ihm auseinander zu legen, dass es doch besser wäre, wenn er sich etwas mehr schonte und von seinen Regierungsgeschäften zumindest einige Teile delegierte, um mehr Kraft für die eigentlich wichtigen Aufgaben zu haben. Der amerikanische Präsident war auch nicht viel jünger als Breschnew, hatte aber anscheinend eine gesündere Konstitution oder zumindest gesünder gelebt. In nachdenklichen Momenten sah Andropow die Halsstarrigkeit des Generalsekretärs als eine Form von Korruption an, die auch er bei aller Nachsicht nicht mehr akzeptieren konnte. In solchen Momenten rekurrierte er tatsächlich auf seine bereits vor Jahren aufgegebenen marxistischen Prinzipien, denn manchmal waren selbst für ihn ethische Grundsätze unverzichtbar, und er kannte keine anderen. Sonderbar, dass sich ausgerechnet auf diesem Gebiet Marxismus und Christentum überlappten. So ein Zufall! Schließlich war Karl Marx jüdischer Herkunft gewesen, kein Christ, und wenn sich denn tatsächlich religiöse Einflüsse in seine Lehren eingeschlichen hatten, waren das doch wohl aller Wahrscheinlichkeit nach Einflüsse des eigenen religiösen Hintergrundes, nicht eines fremden. Der KGB-Vorsitzende verwarf den gesamten Gedankenkomplex mit einer ärgerlichen Kopfbewegung. Er hatte genug davon, und er hatte auch genug von seinem Frühstück. Plötzlich war ein diskretes Klopfen an der Tür zu hören. »Herein!«, rief Andropow. Er wusste schon, wer da vor der Tür stand. 111

»Ihr Wagen ist vorgefahren, Genosse Vorsitzender«, meldete der Leiter seiner persönlichen Sicherheitstruppe. »Danke, Wladimir Stepanowitsch.« Andropow stand vom Tisch auf, nahm das Jackett von der Stuhllehne und machte sich auf den Weg ins Büro. Die Fahrt durch die Moskauer Innenstadt dauerte genau vierzehn Minuten. Seine ZIL-Limousine war vorn bis hinten handgefertigt und sah einem amerikanischen Checker-Taxi nicht unähnlich. Sie rollte über die Mittelspur der breiten Boulevards, eine Spur, die die Moskauer Miliz exklusiv für hohe Regierungsbeamte freihielt. Die Beamten standen dort Tag für Tag, in der Sommerhitze wie bei klirrender Kälte im Winter, alle zwei oder drei Straßenecken je ein Schutzmann, und stellten sicher, dass die Fahrspur immer frei passierbar blieb. So verlief auch für Andropow die Fahrt ins Büro ähnlich reibungslos und schnell wie der Flug in einem Hubschrauber. Der Hauptsitz des KGB, in der Welt des Geheimdienstes auch Moskauer Zentrale genannt, befand sich in dem ehemaligen Stammhaus der Versicherungsgesellschaft Rossiya, die, dem imposanten Gebäude nach zu urteilen, ein mächtiges Unternehmen gewe sen sein musste. Andropows Limousine passierte die Toreinfahrt, rollte in den Innenhof und hielt vor den bronzenen Flügeln der Pforte an. Sogleich wurde ihm der Verschlag geöffnet, und er stieg aus zwischen zwei uniformierten Männern des Achten Direktorats, die vor ihm strammstanden und salutierten. Durch die Pforte eingetreten, steuerte er auf den Fahrstuhl zu, der – selbstverständlich – für ihn bereit stand, und fuhr hinauf bis ins oberste Stockwerk. Die Männer, die für seine Sicherheit verantwortlich waren, suchten in seiner Miene nach Hinweisen darauf, in welcher Stimmung der Chef heute war, entdeckten aber wie gewöhnlich nichts. Ein professioneller Kartenspieler hätte seine Gemütsbewegungen nicht gründlicher verstecken können als er. Oben angekommen, hatte er noch etwa fünfzehn Schritte bis zur Tür zum Vorzimmer seines Büros zurückzulegen. In das Büro selbst kam man nur durch einen versteckten Zugang, der durch einen Wandschrank führte. Diese Schikane stammte noch aus der Zeit von Lawrenti Berija, dem obersten Spitzel unter Stalin, der offenbar eine Heidenangst davor gehabt hatte, gemeuchelt zu werden, und diese Vorsichtsmaßnahme eingerichtet hatte für den Fall, dass ein Mordkommando bis ins 112

»Ihr Wagen ist vorgefahren, Genosse Vorsitzender«, meldete der<br />

Leiter seiner persönlichen Sicherheitstruppe.<br />

»Danke, Wladimir Stepanowitsch.« Andropow stand vom Tisch<br />

auf, nahm das <strong>Jack</strong>ett von der Stuhllehne und machte sich auf den<br />

Weg ins Büro.<br />

Die Fahrt durch die Moskauer Innenstadt dauerte genau vierzehn<br />

Minuten. Seine ZIL-Limousine war vorn bis hinten handgefertigt<br />

und sah einem amerikanischen Checker-Taxi nicht unähnlich. Sie<br />

rollte über die Mittelspur der breiten Boulevards, eine Spur, die die<br />

Moskauer Miliz exklusiv für hohe Regierungsbeamte freihielt. Die<br />

Beamten standen dort Tag für Tag, in der Sommerhitze wie bei<br />

klirrender Kälte im Winter, alle zwei oder drei Straßenecken je ein<br />

Schutzmann, und stellten sicher, dass die Fahrspur immer frei passierbar<br />

blieb. So verlief auch für Andropow die Fahrt ins Büro ähnlich<br />

reibungslos und schnell wie der Flug in einem Hubschrauber.<br />

Der Hauptsitz des KGB, in der Welt des Geheimdienstes auch<br />

Moskauer Zentrale genannt, befand sich in dem ehemaligen Stammhaus<br />

der Versicherungsgesellschaft Rossiya, die, dem imposanten<br />

Gebäude nach zu urteilen, ein mächtiges Unternehmen gewe sen<br />

sein musste. Andropows Limousine passierte die Toreinfahrt, rollte<br />

in den Innenhof und hielt vor den bronzenen Flügeln der Pforte an.<br />

Sogleich wurde ihm der Verschlag geöffnet, und er stieg aus zwischen<br />

zwei uniformierten Männern des Achten Direktorats, die vor<br />

ihm strammstanden und salutierten. Durch die Pforte eingetreten,<br />

steuerte er auf den Fahrstuhl zu, der – selbstverständlich – für ihn<br />

bereit stand, und fuhr hinauf bis ins oberste Stockwerk. Die Männer,<br />

die für seine Sicherheit verantwortlich waren, suchten in seiner<br />

Miene nach Hinweisen darauf, in welcher Stimmung der Chef<br />

heute war, entdeckten aber wie gewöhnlich nichts. Ein professioneller<br />

Kartenspieler hätte seine Gemütsbewegungen nicht gründlicher<br />

verstecken können als er. Oben angekommen, hatte er noch<br />

etwa fünfzehn Schritte bis zur Tür zum Vorzimmer seines Büros<br />

zurückzulegen. In das Büro selbst kam man nur durch einen versteckten<br />

Zugang, der durch einen Wandschrank führte. Diese Schikane<br />

stammte noch aus der Zeit von Lawrenti Berija, dem obersten<br />

Spitzel unter Stalin, der offenbar eine Heidenangst davor gehabt<br />

hatte, gemeuchelt zu werden, und diese Vorsichtsmaßnahme eingerichtet<br />

hatte für den Fall, dass ein Mordkommando bis ins<br />

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