Clancy, Tom - Jack Ryan 12 - Red Rabbit.pdf

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schulte.josefine23
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Wenn aber andererseits die polnische Regierung das Problem in den Griff bekäme, würde sich die Lage entspannen. Bis zu den nächsten Unruhen, dachte Andropow mit zurückgenommener Hoffnung. Hätte er sich einen breiteren Überblick verschafft, wäre ihm vielleicht das eigentliche Problem deutlich geworden. Doch als Mitglied des Politbüros waren für ihn die unangenehmeren Aspekte des Lebens in seinem Land ausgeblendet. Ihm persönlich mangelte es an nichts. Gutes Essen war ihm so selbstverständlich wie der Zugriff aufs Telefon. Seine große Wohnung war erstklassig ausgestattet, unter anderem mit Installationen deutscher Provenienz. Auch das Mobiliar ließ nichts zu wünschen übrig. Der Fahrstuhl im Haus funktionierte zuverlässig. Er hatte einen eigenen Chauffeur, der ihn ins Büro fuhr, und genoss einen exklusiven, nicht weniger aufwändigen Personenschutz als seinerzeit Zar Nikolaus II. All das war ihm mittlerweile fast selbstverständlich geworden – solange er nicht selbstkritisch darüber nachdachte. Aber die Leute da draußen hatten doch schließlich auch genug zu essen, Fernsehen und Kino zur Unterhaltung, Sportmannschaften, die man anfeuern konnte, ja, sogar die Möglichkeit, ein Auto zu erwerben... war das etwa nichts? Und zum Ausgleich dafür, dass er sich so sehr für das Volk ins Zeug legte, hatte er schließlich einen etwas besseren Lebensstandard durchaus verdient. Das war doch wohl zu rechtfertigen. Arbeitete er nicht härter als alle anderen? Was zum Teufel wollten diese Leute noch? Und nun probte dieser polnische Priester den Aufstand. Ihm war sogar zuzutrauen, dass er damit Erfolg hatte. Andropow erinnerte sich an Stalins berühmt gewordene Frage, über wie viele Divisionen der Papst denn verfüge – wiewohl er selbst gewusst haben dürfte, dass eben doch nicht alle Macht der Welt aus Gewehrläufen kam. Wenn der Papst wirklich zurückträte, was dann? Er würde nach Polen zurückzukehren versuchen. Könnte es zum Beispiel sein, dass man ihn nicht einreisen ließe und ihm die Staatsbürgerschaft aberkennen würde? Nein, irgendwie würde er es schon schaffen, in seine Heimat zurückzukehren. Andropow und die Polen hatten natürlich auch in der Kirche ihre Spitzel, aber deren Informationen taugten nicht sonderlich viel. Im Übrigen war davon auszugehen, 107

dass die Kirche ihrerseits seine Geheimdienste infiltriert hatte, fragte sich nur, in welchem Maße. Kurzum, jeder Versuch, den Papst von Polen fernzuhalten, wäre wohl zum Scheitern verurteilt. Nicht auszudenken die Katastrophe, wenn ein solcher Versuch tatsächlich unternommen und scheitern würde. Vielleicht empfahl es sich, diplomatische Kontakte zu nutzen und einen Vertreter des Außenministeriums nach Rom fliegen zu lassen, wo er versuchen konnte, Karol in einem vertraulichen Gespräch dazu zu überreden, von seiner Drohung Abstand zu nehmen. Aber womit würde er einem solchen Begehren Nachdruck verleihen können? Mit einer unverhohlenen Morddrohung etwa? Wohl kaum. Die Aussicht darauf, als Märtyrer dereinst heilig gesprochen zu werden, würde den Papst in seinem Entschluss nur bestärken. Er würde darin wahrscheinlich eine vom Teufel zugestellte Einladung in den Himmel sehen und mit Freude einwilligen. Nein, einem solchen Mann konnte man nicht mit dem Tod drohen. Ebenso wenig taugte die Drohung, sein Volk büßen zu lassen. Er würde umso schneller zurückzukehren versuchen und seinen Landsleuten Beistand leisten. Und vor der Welt würde er dann noch heldenhafter dastehen. Seine an die Regierung in Warschau gerichtete Drohung war ein wirklich cleverer Schachzug und als solcher aller Anerkennung wert – das räumte Andropow bereitwillig ein. Aber es gab auch schon eine bestimmte Antwort darauf: Karol würde bald selbst herausfinden müssen, ob sein Gott tatsächlich existierte. Gibt es einen Gott? Andropow stellte sich die uralte Frage, die schon so viele verschiedene Antworten hervorgerufen hatte, bis sie endlich von Marx und Lenin abschließend gelöst worden war. Nein, dachte Juri Wladimirowitsch, sich auf eine andere Vorstellung einzulassen kam für ihn nicht mehr in Frage. Nein, es gab keinen Gott. Menschliches Leben fand ausschließlich im Hier und Jetzt statt, und wenn es endete, war auch wirklich Schluss, weshalb es sich empfahl, das Beste aus diesem Leben zu machen und das, was es zu bieten hatte, bis zur Neige auszukosten. Das war Andropows Devise: alle erreichbaren Früchte zu pflücken, und wenn es sein musste, mit Hilfe einer Leiter. Versuchte Karol an dieser Gleichung herumzupfuschen? Versuchte er an der Leiter zu rütteln? Oder gar am Baum? Nun, wenn diese Frage nicht ein bisschen zu weit führte... 108

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Zugriff aufs Telefon. Seine große Wohnung war erstklassig ausgestattet,<br />

unter anderem mit Installationen deutscher Provenienz.<br />

Auch das Mobiliar ließ nichts zu wünschen übrig. Der Fahrstuhl im<br />

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der ihn ins Büro fuhr, und genoss einen exklusiven, nicht weniger<br />

aufwändigen Personenschutz als seinerzeit Zar Nikolaus II. All das<br />

war ihm mittlerweile fast selbstverständlich geworden – solange er<br />

nicht selbstkritisch darüber nachdachte. Aber die Leute da draußen<br />

hatten doch schließlich auch genug zu essen, Fernsehen und Kino<br />

zur Unterhaltung, Sportmannschaften, die man anfeuern konnte,<br />

ja, sogar die Möglichkeit, ein Auto zu erwerben... war das etwa<br />

nichts? Und zum Ausgleich dafür, dass er sich so sehr für das Volk<br />

ins Zeug legte, hatte er schließlich einen etwas besseren Lebensstandard<br />

durchaus verdient. Das war doch wohl zu rechtfertigen.<br />

Arbeitete er nicht härter als alle anderen? Was zum Teufel wollten<br />

diese Leute noch?<br />

Und nun probte dieser polnische Priester den Aufstand. Ihm war<br />

sogar zuzutrauen, dass er damit Erfolg hatte.<br />

Andropow erinnerte sich an Stalins berühmt gewordene Frage,<br />

über wie viele Divisionen der Papst denn verfüge – wiewohl er<br />

selbst gewusst haben dürfte, dass eben doch nicht alle Macht der<br />

Welt aus Gewehrläufen kam.<br />

Wenn der Papst wirklich zurückträte, was dann? Er würde nach<br />

Polen zurückzukehren versuchen. Könnte es zum Beispiel sein,<br />

dass man ihn nicht einreisen ließe und ihm die Staatsbürgerschaft<br />

aberkennen würde? Nein, irgendwie würde er es schon schaffen, in<br />

seine Heimat zurückzukehren. Andropow und die Polen hatten<br />

natürlich auch in der Kirche ihre Spitzel, aber deren Informationen<br />

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